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1
/J
Das
Japanische Msenrecht
in seiner Anwendung
im japanisch-russischen Kriege
Eine Sammlung der japanischen Prisenrechts-
bestimmungen und der Entscheidungen der
japanischen Prisengerichte
übersetzt und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts
und des Reichs-Marine-Amts herausgegeben von
Dr. jur. K. Marstrand-Mechlenburg
Berliiv 1908
Ernst Siegfried JVfittler und Sohn
Königliche Hoftuchhandlung ' Kochstraße 68—71
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. Das '^
Japanische Prisenrecht
in seiner Anwendung
im japanisch-russischen Kriege
Eine Sammlung der japanischen Prisenrechts-
bestimmungen und der Entscheidungen der
japanischen Prisengerichte
Übersetzt und mit Unterstützung des Auswärtigen Amts
und des Reichs-Marine- Amts herausgegeben von
Dr. jur. K. Marstrand-Mechlenburg
Berlin 1908
Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Konigl. Hofbnchhandlnng
Kochstraße 68—71
Alle Rechte aus dem Gesetze vom 19. Juni 1901
sowie das Übersetzungsrecht sind vorbehaltea
Vorwort
)ie nachstehende Arbeit bezweckt, in einer dem Westen zugängigen
Sprache ein Bild von der Anwendung des Seekriegsrechts in dem
japanisch-russischen Krieg von seiten Japans in leicht über-
sichtlicher Form zu bieten.
Die Arbeit macht keinen Anspruch auf Originalität. Der anfängliche
Plan, die japanischen Prisengerichtsentscheidungen in fortlaufendem Text
zu besprechen, mußte dem Wunsche, keine Kritik, sondern eine objektive
Darstellung zu geben, geopfert werden. Auch glaubte der Verfasser,
nachdem er Überblick über das gesamte Material gewonnen hatte, den
Hauptzweck schneller Übersichtlichkeit des umfangreichen Stoffes nicht
besser erreichen zu können, als indem er anstelle seines eigenen Textes
die für diesen Krieg japanischerseits erschienenen prisenrechtlichen Be-
stimmungen setzte und diese mit erschöpfenden Verweisungen auf das
Fntscheidungsmaterial versah. Dies um so mehr, als die Entscheidungen
sich mit wenigen Ausnahmen an diese Bestimmungen halten. Wo Ab-
weichungen vorgekommen sind, wird dies aus den Verweisungen der
Fußnoten leicht ersichtlich.
Wie die Verordnungen und Instruktionen ist auch das sich daran
anschließende vollständige Entscheidungsmaterial mit Fußnoten versehen,
welche vorzugsweise ihrerseits auf die genannten prisenrechth'chen Be-
stimmungen Bezug nehmen.
So ist die Arbeit im wesentlichen nur eine Übersetzungsarbeit,
als welche sie aber bei der Authentizität ihrer Grundlagen eine um so
sicherere Quelle für Forschung, Kritik und Nachbildung abgeben kann.
Der Verfasser hat wertvolle Beiträge für die nachstehende Arbeit
erhalten von der Kaiserlich Deutschen Botschaft in Tokio und dem
Kaiserlich Deutschen Generalkonsulat in Yokohama.
— IV ~
Außerdem ist ihm von japanischer Seite unentbehrliche Hilfe zuteil
geworden. Vorzugsweise hat er zu danken
Seiner Excellenz Herrn Baron Dr. Ooto Shimpei,
Herrn Staatsanwalt Koyama Matsukichi,
Herrn Rechtsanwalt Dr. Nagashima Washitaro,
Herrn Rechtsanwalt Dr. Jshibashi Tomokichi,
sowie seinen ständigen Mitarbeitern, den Herren Kamada Toshi-
kuni, Watanabe Junnoske und Fujikawa Jiro.
Twatutia, Formosa, Januar 1907.
Dr. Mechlenburg.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Abschnitt I Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom 9. Februar 1904, betreffend
die Befreiung russischer Handelsschiffe von der Beschlagnahme l
Abschnitt II Instruiction des Marineministeriums Nr. 1 vom 10. Februar 1904,
betreffend die Kriegsiconterbande 2
Abschnitt III Instruiction des Marineministeriums Nr. 1 vom 9. Februar 1905,
betreffend Abänderung der Instruktion Nr. 1 vom Jahre 1904 (II) 3
Abschnitt IV Prisengerichtsordnung:
1) Organisation und Amtsrechte der Prisengerichte und des Ober-
prisengerichts 4
2) Prisenuntersuchungsverfahren 5
Abschnitt V Seeprisenordnung:
1) Allgemeine Bestimmungen 10
2) Personen, Dokumente und Güter, welche als Kriegskonter-
bande gelten 12
3) Die Schiffspapiere 14
4) Blockade 16
5) Gründe für Visitierung, Durchsuchung und Aufbringung . . 19
6) Behandlung der aufgebrachten Schiffe, ihrer Ladung und ihrer
Besatzung 21
7) Verfahren bei der Aufbringung ?3
8) Verfahren nach der Aufbringung 26
Formular Nr. 1. Blockadebekanntmachung 31
, 2. Blockadewamung 31
, 3. Warnung über den Kriegsausbruch 32
n ,4. Protokoll über die zur Zeit der Aufbringung
empfangenen Schiffspapicre 32
, 5. Protokoll über die zur Zeit der Aufbringung
weggeworfen (zerrissen oder versteckt) ge-
wesenen Schiffspapiere 33
, , 6. Aufstellung über die zur Zeit der Aufbringung
an Bord des Schiffes gegenwärtig gewesenen
Gelder, Wertsachen und sonstigen wichtigen
Gegenstände 33
, 7. Protokoll über die Umschiffung der Mannschaft
des aufgebrachten Schiffes durch den Kriegs-
schiffskommandanten 34
. 8. Protokoll über den Verkauf der Ladung ... 35
, 9. Protokoll über die Überführung des aufgebrachten
Schiffes nach einem neutralen Hafen ... 36
— VI —
Abschnitt V Seite
Formular Nr. 10. Verzeichnis des Proviants, des Inventars und
der Ladung des aufgebrachten Schiffes . . 36
, 11. Protokoll über die während der Navigierung
empfangenen (weggeworfenen, zerstörten oder
versteckten) Schiffspapiere ....... 37
, , 12. Protokoll über die Landung (Umschiffung) der
Besatzung oder der Ladung des aufgebrachten
Schiffes 38
Englische Formulare:
Formular Nr. 1. Declaration of Blockade 38
. 2. Waming of Blockade 39
, 3. Warning of Hostilities 39
, 6. Certificate as to Money and Valuables found
on board the Prize 40
, 10. Inventory of the Stores, Forniture and Cargo *
of the Prize 40
Abschnitt VI Chronologische Obersicht über die Prisengerichtsentscheidungen 42
Nr. 1 bis 58. Vollständige Sammlung der Prisengerichtsent-
scheidungen 48
Alphabetisch nach den Namen der Schiffe geordnete Übersicht
über die Prisengerichtsentscheidungen siehe Seite .... 936
Anordnung.
Die Arbeit zerfällt in sechs Abschnitte (I— VI). Die Abschnitte I — V
enthalten die japanischen Prisenrechtsbestimmungen, der Abschnitt VI
die Prisengerichtsentscheidungen.
Zur Erreichung leichter Übersichtlichkeit ist jeder Seite am Rande
oben die Nummer des betreffenden Abschnitts in römischer Ziffer auf-
gedruckt.
Die Prisengerichtsentscheidungen sind chronologisch nach dem Zeit-
punkt der Aufbringung der Prisen angeordnet. Die Entscheidung eines
Prisengerichts und die dazu gehörige Entscheidung des Oberprisen-
gerichts sind jeweils unter derselben Nummer zusamitiengefaßt. Die
Entscheidungen sind entsprechend der Übersicht am Anfang des Ab-
schnitts VI mit arabischen Zahlen und Buchstaben numeriert, welche
gleichfalls am Rande der Seiten aufgedruckt sind.
Sämtliche Verweisungen in den Fußnoten beziehen sich auf die
genannten Randnummern.
Abschnitt I.
Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom
9. Februar 1904
betreffend die Befreiung russischer Handelsschiffe von der
Beschlagnahme, i)
§ 1.2) Die beim Inkrafttreten dieser Verordnung in einem
japanischen Hafen befindlichen russischen Handelsschiffe ») können bis
zum 16. Februar*) in diesem Hafen ihre Ladung löschen oder ein-
nehmen wnd von Japan abreisen, s)
§ 2. Die russischen Handelsschiffe, welche Japan gemäß dem
vorstehenden Paragraphen verlassen haben, werden, wenn sie ausweis-
lich von Schiffspapieren, die von einer japanischen Behörde beglaubigt
sind, vor dem im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Termin ihre
Ladung gelöscht oder eingenommen haben und von dem japanischen
Hafen abgereist sind, und wenn es offenbar ist, daß sie auf der Reise
von jenem Hafen nach dem nächsten Hafen der Heimat oder einer
Pachtung oder ihrem Bestimmungshafen begriffen sind, nicht auf-
gebracht. Ausgenommen sind jedoch solche Fälle, wo schon einmal
ein Hafen der Heimat oder einer Pachtung angelaufen worden ist.
§ 3. «) Die russischen Handelsschiffe, ^) welche vor dem 9. Februar
1904 von einem ausländischen Hafen nach einem japanischen Hafen')
abgereist sind, können in den japanischen Hafen einlaufen, dort sogleich
ihre Ladung löschen «) und Japan verlassen.
^) Zweck der Verordnung ist Schutz des japanischen Handels: VI 2b; 6; 7; 8; 9.
«) Dieser Paragraph ist angezogen in VI 2b, i, k; 6; 9; 10a; 12; 13; 15.
») Nicht gültig für Fischereifahrzeuge: VI 6; 7; 8; 9; 10a.
♦) Fristverlängerung nicht gewährt: VI 13.
*) Reiseunfahigkeit schützt nicht: VI 15.
*) Dieser Paragraph ist angezogen in VI la, b; 3a; 4b; 5a; 7; 8.
0 Keine Analogie zulässig: VI la, b; 4b; '5a; 7; 8.
^ Nicht anwendbar auf Schiffe ohne Ladung: VI 3a.
Maratrand-Meohlenbarff, Das J«p«nisch9 Prisenreoht. B«Dd I. (1) 1-
l
Abschnitt II Instruktion des Marlnemlnlsteriums.
Auf die russischen Handelsschiffe, welche Japan gemäß dem vorigen
Absatz verlassen haben, finden die Vorschriften des vorstehenden
Paragraphen entsprechende Anwendung.
§ 4. Auf die russischen Handelsschiffe, welche Güter, deren Aus-
fuhr verboten ist, Kriegskonterbandepersonen, Kriegskonterbandegüter
oder Kriegskonterbandedokumente an Bord führen, findet diese Ver-
ordnung keine Anwendung.
Zusatzbestimmung.
Diese Verordnung tritt vom Tage der Veröffentlichung») in Kraft. ^*')
*) Diese Veroidnung wurde mittels Extrablatts des Staatsanzeigers vom 9. Februar
1904 veröffentlicht.
10) Keine rückwirkende Kraft: VI Ib; 2b; 3a; 4b.
Abschnitt IL
Instruktion des Marineministeriums Nr. 1.^^
Kriegskonterbande während des japanisch-russischen Krieges wird,
wie folgt, bestimmt:
1. Folgende Güter gelten als Kriegskonterbande, wenn sie feind-
liches Gebiet zu passieren oder dorthin oder an die feindliche Armee oder
Marine zu gelangen bestimmt sind:
Waffen, 2) Munition, Explosivstoffe und deren Materialien 3) (ein-
schließlich Blei, Salpeter, Schwefel usw.) sowie Maschinen für deren
Verarbeitung, Zement,*) Uniformen und Ausrüstungsgegenstände für"
Armee- und Marineangehörige, Panzerplatten, Material für Bau und
Ausrüstung von Kriegsschiffen und sonstigen Schiffen ^) und alle anderen,
nicht unter die obigen fallenden Gegenstände, welche nur zum Kriegs-
gebrauch dienen können.
2. «) Folgende Güter gelten nur dann als Kriegskonterbande, wenn
sie für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sind oder nach einem
Platz in Feindesland gehen, nach dessen Verhältnissen . angenommen
werden muß, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder iVlarine
dienen würden:
*) Vgl. hierzu §§ 13, 14 und 18 der Seeprisenordnung (V).
2) VI 30b, c; 36. — «) VI 18c; 37a. — *) VI 37a.
*) VI 18b; 19h; 30a, b, c, d; 36; 37a; 48a, b; 55a, b.
8) Abgeändert durch Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 v. 9. Februar 1905 (III).
lüftniktioii des Marineministeriums.. Abschnift II u. III
Nahrungsmittel, ') Getränke, 8) Pferde, Pferdegeschirr, ») Pferde-
futter. 10) Wagen, Steinkohlen, ii) Bauholz^ i«) Geld, i») G«ld- und Silber-
barren. Materialien zum Telegraphen-, Telephon- 1*) und Eisenbahnbau. ^^)
3. Die unter den beiden obigen Ziffern aufgeführten Güter gelten
nicht als Konterbande, wenn es als erwiesen anzusehen ist, daß sie
ihrer Menge und Art nach speziell zum Gebrauch des betreffenden
Schiffes dienen sollen.
Dieses wird als Instruktion erlassen.
Am 10. Februar 1904.
Der Marinetninister
Baron Yamamoto Gombe.
') VI 18b; 19b, h; 28a; 30a, b, c, d; SCj; 37a; 48a, b; 50a, b; 55a, b; 57.
•) VI 18b, c; 19h; 30a, b, c. d. — ») VI 30b, c. — i») vi 33b, c; 34a, b.
") VI 26a, b; 27 a, b; 29a. b; 31a, b; 32a, b; 35a, b; 36; 38; 39a, b; 40a, b;
41; 42; 43a b; 44a, b; 45; 46; 49a, b. — '*) VI I8c.
'«) VI 18c, d, e, f ; 19c, d, e, f, g, h. - '*) VI 30b; 37 a, b. — '*) VI 18c; 30a, b. d.
Abschnitt III.
Instruktion des Marineministeriums Nr. 1.^^
Die Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 vom Februar 1904*)
vird, wie folgt, abgeändert.
Am 9. Februar 1905.
Der Marinetninister
Baron Yamamoto Gombe.
In Ziffer 2 wird hinter „Getränke": „Kleidung und deren
Materialien" hinzugefügt und statt „Steinkohlen" wird „Steinkohlen
und sonstige Brennmaterialien" gesetzt.
*) Vgl. § 14 der Seeprisenordnung (V).
(i*)
Abschnitt IV Prisengerichtsordnung: Organisation und Amtsrechte.
Abschnitt IV.
Prisengerichtsordnung. '^
Erster Abschnitt.
Organisation und Amtsreclite der Prisengericlite und des
Oberprisengericlits.
§ 1. In Prisenangelegenheiten entscheiden 2) in erster Instanz die
Prisengerichte, in zweiter Instanz das Oberprisengericht.
§ 2. Die Prisengerichte setzen sich zusammen aus einem Prisen-
gerichtspräsidenten und acht Prisengerichtsräten.
Zu Präsidenten sind Richter mit Chokuninrang^) zu ernennen.
Zu Räten sind Personen aus den nachfolgend angegebenen Ständen
zu ernennen:
1. Richter,
2. Marineoffiziere,
3. Marineministerialräte und -Auditeure,
4. Ministerialräte der Legislatur,
5. Ministerialräte und Sekretäre des Auswärtigen Amtes, Diplo-
maten und Konsuln.
§ 3. Das Oberprisengericht setzt sich zusammen aus einem Ober-
prisengerichtspräsidenten und acht Oberprisengerichtsräten.
Der Präsident wird aus den Mitgliedern des geheimen Staatsrats
ernannt.
Zu Räten werden ernannt: ein Mitglied des geheimen Staatsrats,
zwei Marineoffiziere, drei Richter des Kassationshofs, der Chef der
Legislatur, der Direktor der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt.
§ 4. Der Präsident eines Prisengerichts bzw. des Oberprisen-
gerichts hat die Oesamtleitung der Geschäfte des Prisengerichts bzw.
Oberprisengerichts und den Vorsitz bei den Verhandlungen. Wenn der
Präsident verhindert ist, so kann er einen Rat des betreffenden Prisen-
gerichts zum Vorsitzenden ernennen.
*) In ursprünglicher Form veröffentlicht durch die Kaiserliche Verordnung Nr. 14J)
vom 20. August 1897; abgeändert durch die Kaiserliche Verordnung Nr. 55 vom
1. März 1904.
') Die Entscheidung kann sich nur auf Einziehung oder Freigabe erstrecken,
nicht auf Schadensersatz (VI Ib; 2c, i, k; 5d; 25), Arrestanlegung (VI 2d). Darlehns-
ansprüche (VI 3b), Vorzugsrechte aus einem Hilfslohn (VI 23 c).
«) d. s. die Präsidenten des Kassationshofs und der Oberlandesgerichte sowie
die Senatspräsidenten des Kassationshofs.
4:
Prisengerichtsordnung: Prisenuntersuchungsverfahren. Abschnitt IV
§ 5. Jedem Prisengericht sind drei Staatsanwälte und dem Ober-
prisengericht zwei Staatsanwälte zugeteilt.
Dieselben sind aus den Marineauditeuren, Staatsanwälten und
höheren Verwaltungsbeamten zu ernennen.
Dem Oberprisengericht ist ein Sekretär zugeteilt, der aus den
höheren Verwaltungsbeamten zu ernennen ist.
§ 6. Der Präsident, die Räte und Staatsanwälte der Prisengerichte
und des Oberprisengerichts sowie der Sekretär des Oberprisengerichts
werden auf Vorschlag des Premierministers vom Kaiser ernannt.
§ 7. Bei jedem Prisengericht und dem Oberprisengericht werden
Gerichtsschreiber angestellt.
Die Präsidenten berufen die Qerichtsschreiber aus den Unter-
beamten.
§ 8. Zur Vornahme der Verhandlungen des Prisengerichts bedarf
es der Anwesenheit von mindestens 6 Mitgliedern, einschließlich des
Präsidenten, worunter 2 aus dem Richterstand sein müssen. Zur Vor-
nahme der Verhandlungen des Oberprisengerichts bedarf es der An-
wesenheit von mindestens 8 Mitgliedern, einschließlich des Präsidenten.
§ 9. Eröffnung und Schließung der Prisengerichte und des Ober-
prisengerichts werden durch besondere Kaiserliche Verordnung*) be-
stimmt.
Das Oberprisengericht wird in Tokio errichtet. Der Amtssitz der
Prisengerichte wird durch Kaiserliche Verordnung^) bestimmt.
Zweiter Abschnitt.
Das Prisenuntersuchungsverfahren.
§ 10. Die Kriegsschiffs-Kommandanten haben die beschlagnahmten
Schiffe in den Hafen, in welchem sich ein Prisengericht befindet, zu
führen oder einen Offizier ihres Schiffes als Vertreter an Bord des
beschlagnahmten Schiffes zu schicken mit dem Befehl, das Schiff in
den betreffenden Hafen zu führen. Bei der Ankunft ist dasselbe mit
einer Aussageschrift dem Prisengericht auszuliefern. Falls das Schiff
aus irgendeinem Grunde nicht ausgeliefert werden kann, ist nur die
Aussageschrift vorzulegen.
Die Aussageschrift muß die Gründe der Beschlagnahme sowie
alle Tatumstände, welche das Vorgehen rechtfertigen sollen, enthalten.
Alle Bücher und Dokumente, die von dem Kapitän oder der Besatzung
♦) Kaiserliche Verordnungen Nr. 56 vom 1. März 1904 und Nr. 34 vom 29. März 1906.
*) Die Kaiserliche Verordnung Nr. 27 vom 10. Februar 1904 bestimmte Sasebo
als Sitz des Prisengerichts. Die Kaiserliche Verordnung Nr. 56 vom 1. März 1904
fügte zu Sasebo noch Yolcosulca als Sitz eines Prisengerichts hinzu.
5
Abschnitt IV Prisengerichtsordnung: Prisenuntersuchungsverfahren.
des beschlagnahmten Schiffes empfangen worden sind oder sich an
Bord des Schiffes gefunden haben, sind beizufügen.
§ 11. Sobald der Präsident des Prisengerichts die Aussageschrift
des § 10 erhalten hat, hat er für den Fall einen Prisengerichtsrat aus
den zuständigen Prisengerichtsräten zu ernennen und denselben mit
dem Fall zu beauftragen.
Der beauftragte Rat hat in Gegenwart des Kommandanten oder
stellvertretenden Offiziers und des Kapitäns des beschlagnahmten
Dampfers die vorgelegten Schriftstücke zu öffnen und ein Verzeichnis
derselben anzufertigen.
Nach Beendigung dieses Verfahrens hat der beauftragte Rat unter
Zuziehung des Kapitäns des beschlagnahmten Schiffes das Schiff und
die an Bord befindlichen Güter zu besichtigen und über dieselben ein
genaues Verzeichnis aufzustellen.
§ 12. Der beauftragte Rat hat den Kapitän und die Besatzung
des beschlagnahmten Schiffes und, falls er es für nötig erachtet, die
Besatzung des Schiffes, welches die Beschlagnahme ausgeführt hat, sowie
die Passagiere des beschlagnahmten Schiffes zu vernehmen und über
die Vernehmung vom Gerichtsschreiber ein Protokoll aufnehmen zu
lassen.
Wenn er es für nötig erachtet, kann der beauftragte Rat zur
Begutachtung der Angelegenheit einen Sachverständigen ernennen und
dessen Gutachten einfordern.
§ 13. Wenn der beauftragte Rat die Untersuchung des Tatbestands
beendigt hat, welche er für die Entscheidung darüber für nötig hält,
ob die ganze Prise oder ein Teil derselben zu nehmen oder frei-
zulassen ist, hat er eine Untersuchungsschrift anzufertigen und die-
selbe zusammen mit der Aussageschrift des § 10 und den dazu ge-
hörigen Dokumenten dem Staatsanwalt des Prisengerichts zu übersenden.
§ 14. Der Staatsanwalt hat für die Entscheidung über den Fall
seinerseits einen Schriftsatz anzufertigen und denselben mit den ihm
übersandten Akten dem Prisengericht einzureichen.
Falls er es zur Aufstellung seines Schriftsatzes für nötig hält,
kann er den beauftragten Richter unter Angabe der fraglichen Tat-
umstände um eine weitere Untersuchung ersuchen.
§ 15. Wenn der Staatsanwalt in seinem Schriftsatz die Ansicht
vertritt, daß die in Beschlag genommenen Sachen sofort freizugeben
seien und das Prisengericht dies gleichfalls anerkennt, so hat das Prisen-
gericht sofort ein Urteil auf Freigabe zu erlassen und dasselbe sofort
dem Staatsanwalt zu übersenden.
§ 16. Wenn der Staatsanwalt in seinem Schriftsatz geltend macht,
daß eine Entscheidung auf Einziehung abzugeben sei, oder wenn das
Prisengericht sich der Ansicht des Staatsanwalts, daß die Prise sofort
6
PriMiigtfichtsordnung: Prlsenuntersuchungsverfahren. Abschnitt IV
freizulassen sei, nicht anschließt, hat das Prisengericht das Bekannt-
machungsverfahren vorzunehmen.
In der Bekanntmachung des vorigen Absatzes, welche im Staats-
anzeiger und in zwei in Japan erscheinenden fremdsprachigen Zeitungen
zu veröffentlichen ist, sind die Interessenten®) darüber zu unterrichten,
daß sie innerhalb einer Frist von 30 Tagen, ^) vom Tage nach der Be-
kanntmachung an gerechnet, schriftlich reklamieren können.
Wenn nach Ablauf der im vorigen Absatz bezeichneten Frist
Reklamationen nicht eingegangen sind, so hat das Prisengericht sofort
zur Verhandlung zu schreiten. Wenn der Staatsanwalt es beantragt,
hat eine weitere Verhandlung nicht stattzufinden, und das Urteil ist
sofort zu erlassen. Die Urteilsschrift ist sofort dem Staatsanwalt zu
übersenden.
§ 17. In der Reklamationsschrift s) müssen die Hauptreklamations-
punkte aufgezeichnet sein, und die Beweisschriften oder Beweisgegen-
stände müssen derselben beigefügt werden.
Reklamanten können sich nur durch japanische Rechtsanwälte*)
vertreten ^0) lassen.
Falls der Reklamant oder dessen Vertreter in dem Amtssitz des
Prisengerichts keinen Wohnsitz hat, hat er an dem genannten Orte
einen vorübergehenden Wohnsitz zu bestimmen und denselben dem
Prisengericht anzumelden, um die Zustellung von Schriftstücken zu
ermöglichen.
Falls diese Anmeldung nicht erfolgt ist, sind die Schriftstücke
mit der Post zu befördern. In diesem Falle werden die in dieser Ver-
ordnung festgelegten Fristen vom Tage der Aufgabe auf die Post an
gerechnet.
§ 18. Wenn in der vorgeschriebenen Frist Reklamationen ein-
gegangen sind, so ist ein Termin anzusetzen und in demselben die
mündliche Verhandlung zu eröffnen. Der Staatsanwalt und die
Reklamanten müssen zur Aussage zugelassen werden. Bei unbefugter
Abwesenheit eines Reklamanten ist die Verhandlung gleichwohl zu er-
öffnen. ")
'} Der Begriff Interessenten ist nicht beschränkt auf Eigentümer (VI 2d; 5k;
iNb), doch sind Konsuln als solche nicht zur Interessenwahrnahme ihrer Staatsangehörigen
befugt (VI 2g; 5b).
') VI 2d; 10b; 18b.
^) Telegraphische Reklamation unzulässig: VI 10b.
®) VI 2 h. In der zweiten Instanz ist die Berufungsschrift von einem japanischen
Rechtsanwalt zu zeichnen: § 23,3.
^^) Vertretungsvollmacht ist in schriftlicher Form zu den Akten zu bringen:
VI 21; 5g.
") VI 2h, 1; 6b, d.
Abschnitt IV Prisengeiichtsordnung: Prisenuntersuchungsverfahren.
Nach Beendigung der mündlichen Verhandlung ist das Urteil zu
erlassen und auf der Stelle oder an einem besonders festzusetzenden
Termin zu veröffentlichen. Bei Veröffentlichung des Urteils ist die
Anwesenheit des Reklamanten nicht erforderlich.
§ 19. Wenn das Prisengericht vor Erlaß des Urteils eine neue
Beweiserhebung für nötig hält, so kann es den beauftragten Rat um '
dieselbe ersuchen.
Bis zum Erlaß des Urteils können von dem Staatsanwalt und
Reklamanten neue Beweise und Tatsachen vorgebracht werden.
Wenn im Falle der beiden vorstehenden Absätze das Prisengericht
es für nötig hält, kann aufs neue in die mündliche Verhandlung ein-
getreten werden.
§ 20. Ober weitere, das Verhandlungsverfahren betreffende Punkte,
die in den vorstehenden Paragraphen nicht erwähnt sind, trifft das
Prisengericht Bestimmung, i*)
§ 21. Der Staatsanwalt und die Reklamanten können gegen das
Urteil des Prisengerichts bei dem Oberprisengericht Berufung einlegen.
§ 22. Die Berufungsfrist beträgt 20 Tage, vom Tage der Ver-
öffentlichung des Urteils oder der Zustellung der Urteilsschrift ab ge-
rechnet.
§ 23. Die Berufungsschrift ist bei dem Prisengericht einzureichen.
In der Berufungsschrift sind die Hauptberufungspunkte genau an-
zugeben.
Die Berufungsschrift muß von einem japanischen Rechtsanwalt
unterzeichnet sein.
Das Prisengericht hat die Berufung zu verwerfen, wenn dieselbe
von den gesetzlichen Formvorschriften abweicht oder die Frist abgelaufen
ist. Im Falle des Abweichens von den gesetzlichen Formvorschriften
kann das Prisengericht, falls es sich um das Datum, die Adresse oder
andere unwichtige Punkte handelt, den Reklamanten zur Richtigstellung
auffordern.
§ 24. Das Prisengericht hat, ausgenommen im Fall der Verwerfung
der Berufung nach Maßgabe des vorstehenden Paragraphen, dem
Reklamanten eine Abschrift der Berufungsschrift des Staatsanwalts zu-
zustellen und dem Staatsanwalt die Berufungsschrift des Reklamanten
vorzulegen. Innerhalb von 10 Tagen ist eine Erwiderungsschrift ein-
zureichen.
Die im vorigen Absatz erwähnte Erwiderungsschrift des Re-
klamanten muß von einem japanischen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Falls das Prisengericht es für nötig erachtet, kann es die Fristen
der §§ 16, 22 und 24 verlängern.
12) VI 21; 5 g.
Pri8engericht8ordnung : Prisenuntersuchungsverfahren. Abschnitt IV
§ 25. Nach Ablauf der Frist für die Erwiderung hat das Prisen-
gericht die Berufungsakten dem Oberprisengericht zu übersenden.
Falls das Oberprisengericht eine weitere Untersuchung des Tat-
bestandes oder der Beweismittel für nötig hält, hat es die Akten dem
Prisengericht zurückzusenden und eine neue Untersuchung anzuordnen.
Das Prisengericht hat den Fall von dem beauftragten Rat unter-
suchen zu lassen und dessen Aufzeichnungen dem Staatsanwalt und
dem Reklamanten vorzulegen, bevor diese dem Oberprisengericht ein-
geschickt werden.
§ 26. Das Oberprisengericht hat auf Grund der Akten zu ur-
teilen und eine Urteilsschrift dem Staatsanwalt des Prisengerichts . erster
Instanz und dem Reklamanten zu übersenden.
Wenn die Urteile des Prisengerichts und Oberprisengerichts er-
lassen sind, sind die Hauptpunkte im Staatsanzeiger zu veröffentlichen, i»)
Die Gerichtssprache in den Prisengerichten und im Oberprisen-
gericht ist die japanische.**)
Falls jemand der japanischen Sprache nicht mächtig ist, so kann
ein japanisch verstehender Dolmetscher gebraucht werden.
§ 27. Bestimmungen betreffend das Verfahren vor dem Ober-
prisengericht sind von diesem selbst zu erlassen.
§ 28. Die zur Einziehung verurteilten Gegenstände werden vom
Staat vereinnahmt.
§ 29. Das Prisengericht hat die beschlagnahmten Schiffe und
Güter bis zur Fällung des Urteils den Marinebehörden zu übergeben.
Die Marinebehörde, welche der Marineminister bestimmt, hat die
Schiffe und Güter in Verwahrung zu nehmen.
§ 30. Die Ausführung des Urteils wird dem Staatsanwalt des Prisen-
gerichts übertragen.
Zur Ausführung des Urteils kann der Staatsanwalt des Prisengerichts
die Unterstützung der Marine- und Polizeibehörden in Anspruch nehmen,
§ 31. Im Falle, daß ein Schiff nach der besonderen Lage des
Falles nicht mitgeführt werden kann, kommen die Bestimmungen dieser
Verordnung, soweit ausführbar, zur Anwendung.
§ 32. Diese Verordnung tritt vom Tage des Erlasses ^) an in Kraft,
*') Die Texte der Obersetzungen des Teils VI sind alle dem Staatsanzeiger ent-
nommen.
") VI 33 a.
9
Abschnitt V Seeprisenordnung: Allgemeine».
Abschnitt V.
Seeprisenordnung.
Folgendes wird als Seeprisenordnung festgesetzt.
Die Verordnung tritt am 15. März 1904 in Kraft.
Am 7. März 1904.
Das Große Hauptquartier.
Kapitel I.
Allgemeine Bestimmungen.
§ 1. Die Kaiserlichen Kriegsschiffe können in Kriegszeiten i) 2) in
Oemäßheit der Bestimmungen dieser Verordnung Schiffe visitieren,
durchsuchen und beschlagnahmen.
§ 2. Die Visitierung, die Durchsuchung und die Beschlagnahme
dürfen nicht stattfinden in neutralen 3) Hoheitsgewässern*) und in Ge-
wässern, welche durch Vertrag ausdrücklich als außerhalb des Kriegs-
gebiets belegen bezeichnet sind, s)
§ 3. Die Landeszugehörigkeit®) von Personen wird ohne Rück-
sicht auf ihre Nationalität nach dem Lande bestimmt, in welchem die-
selben zurzeit ihren Wohnsitz haben.
§ 4. Als Wohnsitz einer Person gilt der Ort, an welchem sie ihre
ständige') Niederlassung hat. Doch soll bei Kaufleuten der Ort, an
welchem sie ihr Hauptgeschäft betreiben, und bei kaufmännischen
Konsuln der Ort, an welchem sie ihr kaufmännisches Geschäft betreiben,
als Wohnsitz gelten.
§ 5. Gebiet, welches vorübergehend vom Feinde besetzt ist, gilt
1) Beginn der Kriegszeit; Kriegserklärung: VI la, b; 2b, c, m, n, o; 3a, b;
4b; 5a; 7.
^) Das Recht der prisAerichtlichen Aburteilung dauert dagegen auch noch nach
Wiederherstellung des Frieden? fort: VI 55a, b; 56.
3) Neutralität Koreas verneint: VI la; 2b, c, i, k, m, n; 3a; 4b; 7; 8.
*) 3 Meilen Grenze: VI 3a; 7; 8.
*) Sind Werften als Seegebiet zu betrachten?: VI 16.
ö) Wörtlich: Landescharaicter. VI la, b; 2a, b, c, f, i, k, 1, ra, n, o; 4a; 5a,
c, d, e, f, h, i, k.
'') Vorübergehender Aufenthalt begründet keine feindliche Landeszugehörig-
keit: VI 5 a.
10
Seeprisenordnung: Allgemeines. Abschnitt V
mit Bezug auf die Landeszugehörigkeit von Personen, Schiffen und
Gütern als Feindesland.»)
§ 6. Folgende Schiffe werden als feindliche angesehen:
1. Schiffe, welche im Dienst des feindlichen Staats stehen,») auch
wenn der Dienst ein vom Feinde erzwungener ist.
2. Schiffe, welche unter feindlicher Flagge oder mit einer be-
sonderen Erlaubnis des feindlichen Staats ^^j fahren.
3. Schiffe, welche ganz oder teilweise '^) dem feindlichen Staat
oder einer feindlichen Person gehören. ^^) Ausgenommen hiervon sind
die Schiffe, welche ein Kaiserlich japanisches Schiffszertifikat besitzen
oder mit einer besonderen Erlaubnis des Japanischen Staats fahren.
4. Schiffe, deren Eigentum vor dem Kriegsausbruch, aber in Vor-
aussicht desselben, oder während des Krieges vom feindlichen Staat
oder von einer feindlichen Person auf eine in Japan oder in einem
neutralen Staat ihren Wohnsitz habende Person übertragen worden ist,
venn nicht der Nachweis erbracht wird, daß die Eigentumsübertragung
in gutem Glauben und vollständig geschehen ist.
Wenn die Eigentumsübertragung während der Seereise statt-
gefunden hat, eine tatsächliche Übergabe des Schiffes aber noch nicht
erfolgt ist, so gilt die Eigentumsübertragung nicht als in gutem Glauben
und vollständig geschehen.
§ 7. Als japanische Schiffe werden, soweit sie nicht nach den Be-
stimmungen des vorigen Paragraphen zu beurteilen sind, die folgenden
Schiffe angesehen:
1. Schiffe, welche ein japanisches Schiffszertifikat besitzen, sowie
Schiffe, welche mit besonderer Erlaubnis der Kaiserlich Japanischen
Regierung fahren.
2. Schiffe, welche solchen Personen gehören, die im Japanischen
Reiche ihren Wohnsitz haben.
3. Schiffe, deren Eigentum vor dem Kriegsausbruch, aber in Vor-
aussicht desselben, oder während des Krieges von einer Person, welche
im Japanischen Reich ihren Wohnsitz hat, auf eine Person, welche in
einem neutralen Staat ihren Wohnsitz hat, übertragen worden ist, wenn
nicht der Nachweis erbracht werden kann, daß die Eigentumsübertragung
in gutem Glauben und vollständig geschehen ist.
Wenn die Eigentumsübertragung während der Seereise statt-
gefunden hat, eine tatsächliche Übergabe des Schiffs aber noch nicht
erfolgt ist, so gilt die Eigentumsübertragung nicht als in gutem Glauben
und vollständig geschehen.
•j VI 18b, c, d, e, f; 19a, b, c, d, e, f, g. h. — ») VI 50; 58.
•») VI 56. — ") 5a. — »2) Besitzverhältnisse sind belanglos: VI 15.
11
Abschnitt V Seeprisenordnung: Kriegskonterbande
§ 8.1«) Die Landeszugehörigkeit eines Gutes i*) richtet sich nach
der Landeszugehörigkeit des Eigentümers, i^)
§ 9. Die folgenden Güter \{^erden, ungeachtet der Bestimmungen
des vorigen Paragraphen, für feindliches Gut angesehen :
L Güter, welche vor dem Kriegsausbruch, aber in Voraussicht
desselben, oder während des Krieges von einem in Japan oder in einem
neutralen Staat seinen Wohnsitz habenden Eigentümer oder von einer
in seinem Auftrag handelnden Person an den feindlichen Staat, an
eine feindliche Person oder an eine in deren Auftrag handelnde Person
verschifft worden sind.
2. Güter, deren Eigentum vom feindlichen Staat oder von einer
feindlichen Person vor dem Kriegsausbruch, aber in Voraussicht des-
selben, oder während des Krieges an eine in Japan oder in einem
neutralen Staat ihren Wohnsitz habende Person übertragen worden ist,
wenn nicht der Nachweis erbracht wird, daß die Eigentumsübertragung
in gutem Glauben und vollständig geschehen ist.
Wenn die Eigentumsübertragung während der Reise des Schiffes,
auf welchem die Güter verladen sind, stattgefunden hat, eine tatsächliche
Übergabe aber noch nicht erfolgt ist, so gilt die Eigentumsübertragung
nicht als in gutem Glauben und vollständig geschehen.
§ 10. Soweit Gesetze und Verordnungen, Verträge und diese
Prisenordnung keine Bestimmungen enthalten, greifen die völkerrecht-
lichen Grundsätze Platz.
Kapitel IL
Personen, Dokumente und Güter, welche als Kriegs-
konterbande gelten.
§ 11. Als Kriegskonterbandepersonen gelten feindliche Soldaten
und andere Personen, welche befördert werden, um beim Feinde Kriegs-
dienst zu leisten.!«)
§ 12. Als Kriegskonterbandedokumente gelten alle Arten von amt-
»•) VI Ib; 2a, b, c, f, i, k, 1, ra, n, o; 5a, c, d, e, f, h, i, k.
*♦) Wörtlich: „der Landescharakter eines Guts", d. h. die Frage, ob ein Gut
feindlichen oder neutralen Charakter hat, entscheidet sich nach dem entsprechenden
Charakter des Eigentümers, dessen Zugehörigkeit zu einem Lande sich wiedenim nach
seinem Wohnsitz bestimmt (§§ 3 und 4).
1*) Es wird präsumiert, daß das Eigentum mit der Verschiffung auf den Emp-
fänger übergeht; Gegenbeweis liegt dem Reklamanten ob: VI 2b, c, f, i, k, 1, m, n, o;
5 c, d, e, f, h, i, k.
^«) Gegebene Parole ändert nicht die Kombattanteneigenschaft: VI 23a.
12
Seeprisenordnung: Kriegskonterbande. Abschnitt V
liehen Schriftstücken, welche zwischen den Beamten der feindlichen
Regierung in bezug auf dienstliche Angelegenheiten ausgetauscht werden.
Die zwischen der feindlichen Regierung und ihren in einem neu-
tralen Lande residierenden diplomatischen und konsularischen Ver-
tretern i«) sowie die zwischen der feindlichen Regierung und der Re-
gierung eines neutralen Staats ausgetauschten Schriftstücke bilden hiervon
eine Ausnahme.
§ 13.18) Folgende Güter gelten als Kriegskonterbande, wenn sie
nach feindlichem Gebiet oder an die feindliche Armee oder Marine zu
gelangen bestimmt sind:
Waffen, Munition, Explosivstoffe und deren Materialien (ein-
schließlich Blei, Salpeter, Schwefel usw.) sowie Maschinen für deren
Verarbeitung, Zement, Uniformen und Ausrüstungsgegenstände für
Armee- und Marineangehörige, Panzerplatten, Material für Bau und
Ausrüstung von Kriegsschiffen und sonstigen Schiffen und alle anderen,
nicht unter die obigen fallenden Gegenstände, welche nur zum Kriegs-
gebrauch dienen können.
§ 14.1^) Folgende Güter gelten nur dann als Kriegskonterbande,
wenn sie für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sind oder
nach einem Platz im Feindesland gehen, nach dessen Verhältnissen
angenommen werden muß, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
oder Marine dienen würden :
Nahrungsmittel, Getränke, (Kleidungsstücke und deren Ma-
terialien), *o) Pferde, Pferdegeschirr, Pferdefutter, Wagen, Steinkohle (und
andere Brennmaterialien), 20) Holz, Geld, Gold- und Silberbarren sowie
.Materialien zum Telegraphen-, Telephon- und Eisenbahnbau.
§ 15. In der Regel ^i) soll der Bestimmungsort eines Schiffes als
der Bestimmungsort seiner Ladung gelten.
§ 16. Wenn ein Schiff, dessen Bestimmungsort nicht in feind-
lichem Gebiet liegt, unterwegs einen Zwischenhafen anläuft, welcher
in feindlichem Gebiet liegt, oder wenn anzunehmen ist, daß das Schiff
unterwegs ein Kriegsschiff oder ein sonstiges Schiff des Feindes treffen
vtill, so gilt sein Bestimmungsort als feindliches Gebiet.
§ 17. Wenn angenommen werden muß, daß ein Schiff, dessen Be-
stimmungsort nicht feindliches Gebiet ist, seine Ladung nach feind-
lichem Gebiet befördert, so gilt, gleichgültig, ob es einmal in jenen
IT) Desgl. Dokumente usw., die eine neutrale Regiening an ihre Vertreter im
Feindesland schickt: VI 2e; 5a.
1») u. '^ Vgl. hierzu die Stücke II und III und deren Anmerkungen.
^) Die eingeklammerten Stellen sind erst auf Grund der Instruktion des Marine-
ministeriums Nr. 1 vom 9. Februar 1905 hinzugetreten. Vgl. Stück III.
<i) Nicht unbedingt? Vgl. Erörterungen des Staatsanwalts in dem Berufungs-
urteil VI 18c.
13
Abschnitt V Seeprisenordnung: Schiffspapiere.
Bestimmungsort einlaufen und seine Ladung landen sollte oder nicht,
die Reise als eine einheitliche und der Bestimmungsort des Schiffs als
von Anfang an in Feindesgebiet belegen.
§ 18. Wenn in bezug auf Güter, welche unter die Bestimmungen
der Paragraphen 13 und 14 fallen, nach deren Menge und Natur deutlich
hervorgeht, daß dieselben lediglich zum eigenen Gebrauch des frag-
lichen Schiffes bestimmt sind, so werden dieselben nicht als Kriegs-
konterbande betrachtet.
§ 19. Wenn Verdacht vorhanden ist, daß sich unter der Ladung-
eines Schiffes Kriegskonterbande befindet, so soll der Kommandant
des Kriegsschiffs das Manifest, die Ausklarierungspapiere und die
sonstigen Schiffspapiere prüfen sowie den Schiffskapitän und die Be-
satzung vernehmen, um sich über den Bestimmungsort des Schiffes
sichere Kunde zu verschaffen.
Kapitel IIL
Die Schiffspapiere.
§ 20. Im allgemeinen gelten die im nachstehenden aufgeführten
Dokumente als Schiffspapiere:
1. Das Schiffszertifikat.
Das Schiffszertifikat ist eine von dem Registerbeamten des Heimats-
hafens des Schiffes ausgestellte Urkunde, welche enthalten muß:
den Namen des Schiffes,
den Tonnengehalt,
den Vor- und Zunamen des Kapitäns,
die genauen Angaben über die Art und Weise des Erwerbs
des Schiffes, Vor- und Zunamen des eingetragenen
Eigentümers, seine Nationalität usw.
2. Der Reisepaß.
Der Reisepaß ist ein von der Regierung des Landes, welchem
das Schiff angehört, auf Antrag visitiertes Dokument, in welchem unter
Angabe der Besatzung, der Passagiere, der Güter und Handelswaren
die Genehmigung zur freien und ungehinderten Reise nachgesucht wird.
Er enthält in der Regel den Vor- und Zunamen sowie den Wohnsitz
des Kapitäns, ferner den Namen, die Bauart und den Bestimmungsort
des Schiffes.
3. Der Seebrief.
Der Seebrief ist ein von den Behörden des Ausrüstungshafens
des Schiffs ausgestelltes Dokument, in welchem das Recht erteilt
14
Seeprlsenordnang: Schiffepapiere. Abschnitt V
uird***) unter Führung der Flagge und mit einem Reisepaß seines
Staates zu fahren. In der Regel enthält er Angaben über Art und
Menge der Ladung sowie über deren Eigentümer und Bestimmungsort.
4. Der Chartervertrag.
Der Chartervertrag ist ein zwischen dem Eigentümer oder Kapitän
eines Schiffes und dem Charterer abgeschlossener Vertrag über die
Vermietung des Schiffes im ganzen oder zu einem Teil. Derselbe ent-
hält in der Regel Angaben über Vor- und Zunamen des Kapitäns, über
den Namen des Schiffes, über seine Bauart, über den Hafen, woselbst
das Schiff zur Zeit des Vertragsabschlusses verankert liegt, über Vor-
und Zunamen sowie den Wohnsitz des Charterers, über die Art der
Ladung, den Ladehafen und den Löschhafen sowie über die Fracht.
5. Das Schiffsjournal.
Das Schiffsjournal ist das Tagebuch, welches der Kapitän nach
den gesetzlichen Bestimmungen des Heimatlandes des Schiffes führt.
6. Das Privat-Schiffsjournal.
Das Privat-Schiffsjournal ist das Tagebuch, welches der Schiffs-
kapitän zur Informierung für den Reeder führt.
7. Der Schiffsbauvertrag.
Der Schiffsbauvertrag muß sich in allen solchen Fällen auf dem
Schiff vorfinden, wo nach Erbauung des Schiffes ein Wechsel in der
Person des Eigentümers nicht stattgefunden hat, und ist das Doku-
ment, aus welchem sich beim Nichtvorhandensein eines Reisepasses,
einer Erlaubnis zur Ausübung der Seefahrt oder eines Schiffszertifikats
die Nationalität des Schiffes ergibt.
8. Ein Verkaufsvertrag.
Verkaufsvertrag nennt man das Dokument, durch welches der
Übergang des Eigentums an einem Schiff auf einen Käufer bescheinigt
vird.
9. Die Konnossemente.
Die Konnossemente sind Abschriften der Urkunden, a^elche in
der Regel für alle geladenen Güter ausgestellt werden, und die an
ßord befindlichen sind Abschriften der zur Zeit der Verschiffung von
dem Kapitän dem Verlader ausgehändigten Bescheinigungen. Sie ent-
halten gewöhnlich Vor- und Zunamen des Verladers, Tag und Ort
der Verladung, den Namen sowie den Bestimmungsort des Schiffes,
Art, Menge sowie Bestimmungsort der Ladung und den Betrag der
Fracht.
10. Die Deklarationen.
Die Deklarationen, welche unter allen Umständen die Güter be-
21») Es ist nicht gesagt, wem das Recht erteilt wird. Doch läßt die grammatische
Konstruktion annehmen, dafi das 'Recht dem Schiff erteilt werde, während tatsächlich
der Seebrief dem Kapitän das Recht zur Fahrt mit dem betreffenden Schiff erteilt.
15
Abschnitt V Seeprisenordnung : Schiffspapfere.
gleiten, enthalten eine genaue Beschreibung jedes einzelnen Stücks, den
Wert, die Fracht, die Angaben über den Zoll und die sonst darauf
lastenden Abgaben, den Vor- und Zunamen sowie Wohnort des Ver-
laders und des Ladungsempfängers.
11. Das Ladungsverzeichnis.
Das Ladungsverzeichnis ist ein Dokument, welches Vor- und Zu-
namen des Verladers und des Ladungsempfängers sowie für jedes Stück
die Marken und Nummern und die Menge der darin enthaltenen ein-
zelnen Güter, desgleichen eine mit dem Konnossement übereinstimmende
Frachtberechnung enthält, und von dem Schiffsagenten, der die Aus-
klarierung des Schiffs bei den Zollbehörden besorgt, und dem Kapitän
unterzeichnet ist.
12. Der Ausklarierungsschein.
Der Ausklarierungsschein ist das Dokument, welches dem Schiff
von den Zollbehörden des zuletzt verlassenen Hafens zum Ausweis
darüber gegeben wird, daß es seinen Zoll bezahlt hat. Es enthält
außerdem die Angabe der Ladung und des Bestimmungshafens.
13. Die Musterrolle.
Die Musterrolle enthält Vor- und Zunamen, Alter, Dienststellung,
Wohnsitz und Geburtsort jeder einzelnen zur Schiffsbesatzung gehörigen
Person.
14. Die Heuerverträge.
Die Heuerverträge, welche von den einzelnen zu der Besatzung
gehörigen Personen unterzeichnet sind, enthalten genaue Angaben über
die Ausdehnung der Seereise sowie über die Zeitdauer der Ausheuerung,
auf welche sich der Vertrag bezieht.
15. Die Gesundheitspässe.
Die Gesundheitspässe sind Dokumente, in welchen beurkundet
wird, daß in dem Ausfahrtshafen des Schiffes keine ansteckende Krank-
heit geherrscht hat, und daß zur Zeit der Ausfahrt an Bord des Schiffes
keine Fälle ansteckender Krankheiten vorgekommen sind.
Kapitel IV.
Blockade. '')
§ 21. Eine Blockade gilt als effektiv, wenn die feindlichen Häfen
oder Küsten mit einer tatsächlichen Macht gesperrt sind, welche aus-
reicht, um für das Ein- und Ausfahren bzw. die Annäherung von
Schiffen an dieselben eine offenbare Gefahr darzustellen. ^3) Doch ver-
22) Entscheidungen über Blockadebmch: VI 20; 22 a, b; 24 a, b; 2^^.
2') VI 20; 25. ''■ '• '
16
StepriMBordiittiig: Blockade. Abschnitt V
liert die Blockade nicht schon dadurch ihre Wirksamkeit, daß die Flotte
oder das Kriegsschiff wegen schlechten Wetters oder, um den Zweck
der Blockade zu erreichen, sich vorübergehend von dem Blockade-
gebiet entfernt.
§ 22. Wenn eine Blockade besteht, muß der Kommandant des
Geschwaders oder Kriegsschiffs nach dem Formular Nr. 1 unter Aus-
füllung des Blockadegebiets und des Tags, von welchem an die Blockade
durchgeführt wird, eine Blockadeerklärung erlassen.
§ 23. Wenn eine Blockade, nachdem sie ihre Wirksamkeit ver-
loren hatte, aufs neue wieder durchgeführt wird, oder wenn eine Ver-
änderung im Blockadegebiet eintritt, so ist eine neue Blockadeerklärung
in Gemäßheit des vorigen Paragraphen zu erlassen.
§ 24. Sofort nach Erlaß der Blockadeerklärung durch den Kom-
mandanten eines Geschwaders oder Kriegsschiffes hat derselbe nach
den folgenden Nummern zu verfahren:
1. Er hat dem Marineminister von dem Erlaß der Blockadeerklärung
Meldung zu machen.
2. Er hat den im Ausland, soweit es dem Blockadegebiet be-
nachbart ist, residierenden KaiSerhch Japanischen Gesandten die
Blockadeerklärung mit dem Ersuchen mitzuteilen, die betreffenden
fremden Regierungen und die sämtlichen bei denselben beglaubigten
diplomatischen und konsularischen Vertreter von dem Bestehen der
Blockade zu benachrichtigen.
3. Er hat den Konsuln der Mächte, welche in neutralen Plätzen
in der Nähe des Blockadegebiets ihren Amtssitz haben, die Bekannt-
machung zuzusenden und auch sonst alle notwendigen Schritte zu tun,
um die Tatsache der Blockade allgemein bekannt werden zu lassen.
4. Er hat nach Möglichkeit den in Betracht kommenden Behörden
innerhalb des Blockadegebiets sowie den Konsuln der neutralen Staaten
daselbst unter Heißung der Parlamentärflagge die Blockadeerklärung
mitzuteilen.
§ 25. Wenn es erwiesen ist, daß ein Kapitän, sei es durch direkten
tmpfang einer Warnung seitens eines Kaiserlichen Kriegsschiffs oder
durch öffentliche oder private Nachricht oder auf irgend eine andere
Weise von dem Bestehen der Blockade Kenntnis gehabt hat, so wird
dit Blockade als dem Kapitän tatsächlich mitgeteilt erachtet.
§ 26. In folgenden Fällen wird die Blockade als dem Kapitän ver-
mutlich mitgeteilt erachtet:
1. Wenn anzunehmen ist, daß der Kapitän Mitteilung von der
Blockade erhalten hat, weil den maßgebenden Behörden des Staats,
dem sein Schiff angehört, die Anzeige über das Bestehen der Blockade
übersandt worden und seitdem genügende Zeit verstrichen ist, um diese
Mmrsirand-MeohleBbarg, Du JapaxüBolie Prlsenrecht. Band I. (2) 17
Abschnitt V ^eeprisenordnung: Blockade.
Behörden in die Lage zu setzen, ihren Staatsangehörigen hiervon Kenntnis
zu geben, ohne Rücksicht darauf, ob dies tatsächlich geschehen ist
oder nicht.
2. Wenn anzunehmen ist, daß der Kapitän Mitteilung von der
Blockade erhalten hat, weil die Tatsache allgemein öffentlich bekannt
gegeben ist.
§ 27. Folgende Schiffe gelten als aus der Blockade ausgebrochen:
1. Schiffe, welche aus dem blockierten Gebiet entweichen oder
zu entweichen suchen. 2*)
2. Schiffe, welche von einem aus dem Blockadegebiet aus-
gebrochenen Schiffe außerhalb des Blockadegebiets Ladung übernehmen
oder überzunehmen versuchen.
§ 28. In folgenden Fällen greifen für Schiffe die Bestimmungen
des vorigen Paragraphen nicht Platz:
L Wenn ein Schiff auf Grund einer von der Kaiserlichen Re-
gierung oder von dem Kommandierenden des blockierenden Geschwaders
oder Kriegsschiffes ausgestellten besonderen Erlaubnis aus dem Blockade-
gebiet ausfährt.
2. Wenn ein Schiff ohne Kenntnis von der Blockade in das
Blockadegebiet eingelaufen ist und sich ohne Ladung wieder daraus
entfernt.
3. Wenn sich ein Schiff zur Zeit der Verhängung der Blockade
im Blockadegebiet befand und sich ohne Ladung daraus entfernt.
4. Wenn ein Schiff mit einer innerhalb des Blockadegebiets vor
der Verhängung der Blockade eingenommenen Ladung das Blockade-
gebiet verläßt.
§ 29. Folgende Schiffe gelten, wenn sie von der Blockade Mit-
teilung erhalten haben, *^) als in die Blockade eingebrochen:
L Schiffe, welche die Blockadelinie überschreiten und in das
Blockadegebiet eindringen oder einzudringen suchen, ^e)
> 2. Schiffe, welche sich in der Nähe des Blockadegebiets befinden
und von denen offenbar anzunehmen ist, daß sie nach dem Blockade-
gebiet fahren, welches auch immer der aus ihren Schiffspapieren sich
ergebende Bestimmungsort sein möge.
3. Schiffe, welche ihre Ladung außerhalb des Blockadegebiets auf
ein anderes Schiff umladen und auf diesem die Blockadelinie passieren
und in das Blockadegebiet gelangen lassen oder gelangen zu lassen
versuchen.
4. Schiffe, welche mit Bestimmung nach einem blockierten Hafen
reisen.
§ 30. In den folgenden Fällen greifen für Schiffe die Bestimmungen
des vorigen Paragraphen nicht Platz:
2*) VI 20; 25. — w) Vgl. §§ 25, 26. — *«; VI 20; 22a, b; 24a, b; 25.
18
Seeprisenordnung: Durchsuchung. Abschnitt V
1. Wenn ein Schiff eine von der Japanischen Regierung oder
voni Kommandanten des blockierenden Geschwaders oder Kriegsschiffs
ausgestellte besondere Erlaubnis hat.
2. Wenn darin, daß der Kapitän eines Schiffes, welches aus großer
Entfernung gekommen ist, den blockierten Hafen zum Bestimmungs-
hafen gemacht hat, indem er es darauf ankommen ließ, ob die Blockade
aufgehoben sein würde, und mit der Absicht, andernfalls den Be-
stimmungshafen zu ändern, ein Grund zu erblicken ist, aus welchem
das Schiff freizulassen ist.
3. Wenn es klar ist, daß ein Kapitän seine Absicht, den blockierten
Hafen als Bestimmungsort zu nehmen, aufgegeben hat.
4. Wenn ein Schiff wegen schlechten Wetters, Mangels an Lebens-
mitteln oder sonstiger unvermeidlicher Umstände in einen Hafen ein-
zulaufen genötigt ist, und weil ein anderer Hafen, in den es einlaufen
könnte, nicht vorhanden ist, in das Blockadegebiet einfährt.
§ 31. Wenn die Blockade aufgehoben wird, ^') so hat der Kom-
mandant des Geschwaders oder des Kriegsschiffs dies sofort dem Marine-
minister zu melden und auch sonst alle erforderlichen Maßregeln zu
ergreifen, damit die Aufhebung der Blockade allgemein bekannt wird.
Kapitel V.
Grfinde für Visitientng, Durchsuchung und Aufbringung.
§ 32. Die Visitierung und die Untersuchung kann gegen jedes
Privatschiff ohne Unterschied der Nationalität zur Ausüfbung gebracht
werden, wenn angenommen werden muß, daß Verdachtsgründe vor-
liegen, die seine Aufbringung nötig machen.
§ 33. In dem Falle, daß ein neutrales Schiff von einem Kriegs-
schiff des Staates, dem es angehört, geleitet wird, darf die Visitierung
und Durchsuchung nicht ausgeübt werden, wenn der Kommandant
des geleitenden Kriegsschiffs darüber, daß sich an Bord des fraglichen
Schiffes weder Kriegskonterbandepersonen, noch Kriegskonterbande-
dokumente, noch Kriegskonterbandegüter befinden, sowie, daß die
Schiffspapiere in Ordnung sind, eine schriftliche, von ihm unterzeichnete
Erklärung abgibt, in welcher auch die Nationalität, der Ausgangs- und
Bestimmungshafen des Schiffes klar bezeichnet sind. Die vorstehende
Bestimmung soll indessen, wenn schwerwiegende Verdachtsgründe vor-
liegen, keine Anwendung finden.
'^) Aufhebung der Blockade nach Aufbringung und vor Abgabe der prisen-
gerichtlichen Entscheidung ist kein Grund für Freigabe: VI 25.
(2*) . 19
Abschnitt V Seeprisenordnung: Durchsuchung.
§ 34. Findet die Visitierung oder die ^Durchsuchung einem neu-
tralert ^«j Postschiff gegenüber statt, so darf, wenn von einem auf dem
Schiff mitfahrenden Postbeamten des betreffenden Staats die schrift-
liche, eidliche Versicherung abgegeben wird, daß sich in den Post-
säcken keine Kriegskonterbandedokumente befinden, die Durchsuchung
mit Bezug auf diese Säcke nicht ausgeübt werden, es sei denn, daß
schwerwiegende Verdachtsgründe vorliegen.
§ 35. Sämtliche feindliche Schiffe unterliegen der Aufbringung. ^^)
Doch sind die im folgenden bezeichneten Schiffe von der Aufbringung
auszunehmen, wenn es klar ist, daß sie ausschließlich ^o) zu den Ar-
beiten oder Aufgaben verwendet werden, zu denen sie bestimmt sind:
1. Küstenfischereifahrzeuge, ^1)
2. Schiffe, welche zu wissenschaftlichen, zu philanthropischen oder
zu Missionszwecken ^2) fahren,
3. Schiffe im Dienste von Leuchttürmen,
4. Schiffe zum Austausch von Kriegsgefangenen.
§ 36. Japanische Schiffe, welche im Handelsverkehr mit dem
feindlichen Staat oder mit feindlichen Personen oder mit der Absicht
solchen Handelsverkehrs fahren, unterliegen ebenfalls der Aufbringung,
jedoch sind Schiffe, welche von dem Ausbruch des Krieges noch keine
Kenntnis haben oder welche sich im Besitz einer besonderen Erlaubnis
der Japanischen Regierung befinden, ausgenommen.
§ 37. Die im folgenden aufgezählten Schiffe unterliegen der Auf-
bringung ohne Rücksicht auf ihre Landeszugehörigkeit : ^3)
1. Schiffe, welche Kriegskonterbandepersonen, »*) Kriegskonter-
bandedokumente oder Kriegskonterbandegüter 3s) an Bord haben.
2. Schiffe, welche nicht ordnungsmäßig mit Schiffspapieren ver-
sehen sind oder dieselben absichtlich vernichtet oder verborgen haben
oder gefälschte Schiffspapiere vorweisen, »e)
3. Schiffe, welche eine Blockade gebrochen haben. 3'^)
4. Schiffe, von welchen ihrer Ausrüstung nach anzunehmen
ist, daß sie ausgerüstet worden sind, um für den feindlichen Kriegs-
dienst bereitgestellt zu werden.
5. Schiffe, von denen anzunehmen ist, daß sie im Interesse des
w) Nicht feindlichen: VI 4b.
2«) VI la; 2b; 3a; 4b; 5a; 6; 7; 8; 9; 10a; 13; 14; 15; 16; 50; 54a; 56; 58.
^) Fall des Lazarettschiffs ,Orel«: VI 54a, b.
»0 Nicht Hochseefischereifahrzeuge: VI 6; 7; 8.
'^) Analog sind auch Güter, welche Missionen gehören, nicht einzuziehen: VI 5a.
»») Nicht Nationalität; vgl. §§ 5, 6 und 7. — »*) VI 23a.
s*) VI 11; 18a; 19a; 21; 26a; 27a; 30a; 31a; 32a; 33b; 34a; 35a; 36; 37a;
38; 39a; 40a; 41; 42; 43a; 44a; 45; 46; 48a; 49a; 51a; 55a; 57.
^ VI 21. — »') VI 20; 22a; 24a; 25.
20
SaepiiMnordnung: Aufgebrachte Schiffe. Abschnitt V
Feindes Kundschafterdienste leisten ^) oder Nachrichten übermitteln oder
sonst offenbar tätig sind, um den Feind zu unterstützen.
6. Schiffe, welche sich der Visitierung oder der Durchsuchung
widersetzen.
7. Schiffe, welche im Geleit feindlicher Kriegsschiffe fahren.
§ 38. Von der Aufbringung ist abzusehen, wenn ein Schiff, welches
Kriegskonterbandepersonen, Kriegskonterbandedokumente oder Kriegs-
konterbandegüter an Bord hat, von dem Ausbruch des Kriegs noch
keine Kenntnis hat. 3^)
Dagegen kann der* Umstand, daß der Kapitän die Kriegskonter-
bandeeigenschaft der an Bord befindlichen Personen oder Dokumente
oder Güter nicht kannte, oder daß er zur Anbordnahme derselben
durch Drohungen des Feindes gezwungen worden ist, nicht als Grund
angenommen werden, von der Aufbringung abzusehen.
§ 39. In den nachstehend aufgeführten Fällen können Schiffe
ohne Rücksicht auf ihre Landeszugehörigkeit ^3) aufgebracht werden:
1. Wenn ein Schiff Schiffspapiere, mit denen es unbedingt ver-
sehen sein müßte, nicht vorweist oder wenn die Schiffspapiere nicht
in Ordnung sind. *ö)
2. Wenn die Schiffspapiere widersprechende Angaben enthalten, *<>)
oder wenn die Auskunft des Kapitäns mit dem Inhalt der Schiffspapiere
nicht im Einklang steht.
3. Wenn, ohne daß die Fälle der beiden vorigen Nummern vor-
liegen, auf Grund des Ergebnisses der Visitierung oder der Durch-
suchung dringender Verdacht besteht, daß das Schiff nach den Be-
stimmungen der §§ 35 — 37 aufzubringen ist.
Kapitel VI.
Behandlung der aufgebrachten Schiffe, ihrej* Ladung und
ihrer Besatzung.
§40. Feindliche Schiffe") werden eingezogen. *2) «)
Die unter der Ladung der im vorigen Absatz bezeichneten Schiffe
befindlichen") feindlichen Güter ^^) werden eingezogen. *2) \x^enn aber
~ ^vToO; 53. — »«) VI 11.
**0 VI 17; 26a; 27a; 29a; 30a; 31a; 32a; 33a; 34a; 35a; 36; 37a; 38; 39a;
41; 42; 43a; 44a; 45; 46; 48a; 49a; 51a; 55a.
*») VI la; 2b; 3a; 4b; 5a; 6; 7; 8; 9; 10a; 13; 14; 15; 16; 50; 54a; 56; 58.
*^ Ungeachtet Unkenntnis vom Kriegszustand: VI la, b; 2b, i, k; 3a; 4b;
:»c, f, h; 6; 7; 8.
♦*) Das Recht der Einziehung ist ein absolutes: VI 2d; 3b; 5a, k.
♦*) Gleichgültig, ob vor dem Kriege verschifft: VI 2c, f, m, n; 5d, e, f, h.
") VI Ib; 2b, c, f, i, k, 1, m, n, o; 4b; 5a, c, d, e, f. h, i, k; 6; 7; 8; 10a;
15; 54b; 56; 58.
• 21
Abschnitt V Seeprisenordnung : Aufgebrachte Schiffe.
ein solches Schiff Kriegsausrüstung trägt, so wird die gesamte Ladung
eingezogen.
§ 41. Japanische Schiffe, welche im Handelsverkehr mit dem
feindlichen Staat oder mit feindlichen Personen oder mit der Absicht
solchen Handelsverkehrs fahren, werden eingezogen.
Die unter der Ladung solcher Schiffe befindlichen, dem Schiffs-
eigentümer gehörigen und die feindlichen Güter werden eingezogen.
§ 42. Kriegskonterbandepersonen werden zu Kriegsgefangenen ge-
macht, *®) Kriegskonterbandedokumente werden eingezogen.
Schiffe, welche Kriegskonterbandepersonen *7) oder -Dokumente an
Bord haben, sowie die den Eigentümern ^^j jer Schiffe gehörigen Güter
werden eingezogen. Wird indessen der klare Beweis erbracht, daß der
Kapitän ohne sein Verschulden die Sachlage nicht kannte, so findet diese
Bestimmung keine Anwendung.
§ 43. Kriegskonterbandegüter ^9) und die dem Eigentümer derselben
gehörigen Güter ^o) werden eingezogen, ^i) ^^j
Ist der Eigentümer eines Schiffes zugleich Eigentümer von Kriegs-
konterbandegütern, welche auf dem Schiff verladen sind, so wird das
Schiff eingezogen. 53)
§ 44. Schiffe, welche unter Anwendung betrügerischer iVlittel Kriegs-
konterbandegüter an Bord haben, sowie die dem Eigentümer solcher
Schiffe gehörigen Güter werden eingezogen. ^*) *^)
§ 45. Schiffe, welche eine Blockade brechen, und deren Ladung
werden eingezogen.^«) Wenn indessen ein Ladungseigentümer den Be-
weis erbringt, daß er von der Sache nichts gewußt hat, so ist seine
Ladung freizugeben.
§ 46. Schiffe, von welchen anzunehmen ist, daß sie ausgerüstet
sind, um für den Kriegsgebrauch des Feindes bereitgestellt zu werden,
sowie die dem Eigentümer eines solchen Schiffes gehörigen Güter werden
eingezogen.
♦ß) VI 22a. — *') VI 23a. — *•) Analoge Ausdehnung auf den Charterer: VI 23b.
") VI 18b, c, d, e, f; 19b, c, d, c, f, g, h; 26b; 27b; 28b; 29b; .30b, c;
31b; 32b; 33c; 34b; 35b; 36; 37a; 38; 39b; 40b; 41; 42; 43b; 44b; 45; 46; 48b;
44b; 45; 46; 48li; 49b; 51b; 55b; 57. - ^) VI 18b, c; 30«; 37a; 55b.
*0 GMängm^ ob die dem E^sent&ner der Qfiter gehörige Konterbande ab-
solute oder rdative Koiiteibande ist: VI 18c.
•*> Auch wenn nicht nach demselben Orte verschifft wie die Konterbande: VI 18c.
«) VI 38; 40a; 41; 42; 44a.
M) VI 26a; 27a; 29a; 30a; 31a; 32a; 33b; 34a; 35a; 36; 37a; 38; 39a; 41;
42; 43a; 44a; 45; 46; 48a; 49a; 51a; 55a.
^) Es genügt indes schon zur Einziehung des Schiffes, daß dasselbe einen
Konterbandetransport „bezwecict* oder .unternommen* hat: VI 28a; 40a; 5t. Dies
ist auch in allen Oberprisengerichtsentscheidungen bezüglich Konterbandetransports
(Fälle unter Anmerkung 54) ausgesprochen, wenn auch dort die Einziehung noch
anderweitig begründet ist. — *«) VI 20; 22 a; 24 a; 25.
22
Seepri^enordBung: Aufbiingung. Abschnitt V
§ 47. Schiffe, von denen anzunehmen ist, daß sie im Interesse
des Feindes Kundschafterdienste geleistet 5') oder Nachrichten übermittelt
haben oder sonst offenbar tätig gewesen sind, um den Feind zu unter-
stützen^*), sowie die dem Eigentümer eines solchen Schiffes gehörige
Ladung werden eingezogen.
§ 48. Schiffe, welche sich der Visitierung oder der Durchsuchung
\ridersetzt haben, sowie die dem Eigentümer eines solchen Schiffes ge-
hörige Ladung werden eingezogen.
§ 49. Schiffe, welche im Geleit feindlicher Kriegsschiffe fahren,
sowie die dem Eigentümer eines solchen Schiffes gehörige Ladung
werden eingezogen.
§ 50. Der Kapitän und die Besatzung eines feindlichen Schiffes
können zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Nicht zulässig ist dies
von Passagieren sowie bezüglich des Kapitäns und der Mannschaft
eines nichtfeindlichen Schiffes. Indessen können Personen festgehalten
werden, von denen anzunehmen ist, daß sie als Zeugen gebraucht werden.
Kapitel VIL
Verfahren bei der Aufbringung.
§ 51. Der Kriegsschiffskommandant soll bei der Visitierung oder
der Durchsuchung nicht mehr, als nötig ist, das Schiff aus seinem ur-
sprünglichen Kurs bringen und überhaupt bemüht sein, dem Schiff so
wenig Störung wie möglich zu verursachen.
§ 52. Der Kriegsschiffskommandant braucht bei der Verfolgung
eines Schiffes die japanische Kriegsflagge nicht zu zeigen, darf auch
eine falsche Flagge führen. Er muß aber, kurz bevor er dem Schiff
den Befehl erteilt, anzuhalten, unbedingt die Kaiserlich Japanische Kriegs-
schiffsflagge heißen.
§ 53. Unter keinen Umständen darf der Kriegsschiffskommandant
von dem zu visitierenden oder zu durchsuchenden Schiff verlangen,
daß es ein Boot, Leute von der Besatzung oder seine Schiffspapiere
usw. an Bord des Kriegsschiffes senden solle.
§ 54. Der Kriegsschiffskommandant hat zunächst dem in Betracht
kommenden Schiff durch Flaggensignale oder durch Signale mit der
Dampfpfeife bekannt zu geben, daß er es zu visitieren oder zu durch-
suchen beabsichtigt. Zur Nachtzeit ist über der Kriegsschiffsflagge eine
weiße Laterne zu heißen, welche an Stelle der Flaggensignale tritt.
Wenn wegen schlechten Wetters die Absicht der Visitierung in der
im vorigen Absatz angegebenen Weise nicht kundgegeben werden kann,
*^ VI 60; 53. — w) VI 54a, b.
23
Abschnitt V Seeprisenordnung: Aufbringung»
oder wenn das Schiff den Signalen nicht entspricht, sind hintereinander
zwei blinde Schüsse abzugeben, und, wenn dann noch nötig, ist ein
scharfer Schuß vorn am Schiff vorbei zu feuern.
Wenn trotz der Beobachtung der Bestimmungen des vorigen Ab-
satzes das Schiff dem Befehl, anzuhalten, nicht Folge leistet, ist zunächst
ein scharfer Schuß in die Takelage abzugeben und nur zuletzt darf
auf den Schiffskörper geschossen werden.
§ 55. Wenn das Schiff anhält, hat der Kommandant einen Offi-
zier, dem er je nach Bedarf zur Unterstützung noch andere Offiziere
beigeben kann, zur Visitierung in einem Boot an Bord des Schiffes zu
schicken.
Die Bootsmannschaft darf keine Waffen tragen, doch bestehen
gegen die Mitnahme der Waffen im Boot keine Bedenken.
Wenn der Offizier dies beim Anbordgehen für erforderlich hält^
kann er bis zu zwei Mann von der Bootsmannschaft mitnehmen.
§ 56. Wenn der visitierende Offizier Verdachtsmomente erblickt,,
soll er in höflicher Form Einsicht in die Schiffspapiere fordern. Wenn
aber der Kapitän die Vorzeigung der Papiere verweigert, so kann der
Offizier sie zwangsweise fordern.
§ 57. Wenn der visitierende Offizier nach Prüfung der Schiffs-
papiere zu der Ansicht kommt, daß zu einer Aufbringung des Schiffs
kein Anlaß vorliegt, so hat er dasselbe nach Einholung der Befehle des
Kriegsschiffskommandanten sofort freizugeben.
§ 58. Wenn der visitierende Offizier nach Prüfung der Schiffs-
papiere zu der Ansicht kommt, daß noch Verdachtsmomente vorliegen,,
so hat er zur Durchsuchung des Schiffes zu schreiten.
Wenn der visitierende Offizier dies für erforderlich hält, kann er
im Falle des vorigen Absatzes die Bootsmannschaft zu seiner Unter-
stützung an Bord kommen lassen oder auch vom Kriegsschiff Unter-
stützung erbitten.
§ 59. Die Durchsuchung hat in Gegenwart des Schiffskapitäns
oder seines Vertreters stattzufinden.
§ 60. Verschlossene Räume oder Behältnisse soll der Kapitän
oder dessen Vertreter zu öffnen veranlaßt werden. Wenn sie sich
weigern, können die den Umständen des Falls entsprechenden Maß-
regeln ergriffen werden.
§ 61. Kommt der visitierende Offizier im Laufe der Durchsuchung
zu der Ansicht, daß zu einer Aufbringung des Schiffes kein Anlaß vor-
liegt, so hat er die Untersuchung zu unterbrechen und das Schiff
nach Einholung der Befehle des Kriegsschiffskommandanten sofort frei-
zugeben.
§ 62. Ehe der visitierende Offizier das Schiff verläßt, hat er den
Kapitän desselben zu befragen, ob derselbe Einwendungen gegen das
24
Setpiiseiiordnaiig: Aufbringung. Abschnitt V
bei der Visitierung und der Durchsuchung beobachtete Verfahren zu
erheben habe. Ist dies der Fall, so hat er denselben zu veranlassen,
ihm eine schriftliche Aufzeichnung über diese Einwendungen zu über-
geben.
§ 63. Der visitierende Offizier hat in das Schiffsjournal einen Ver-
merk einzutragen, in welchem er genaue Angaben über Zeit und Ort
der Visitierung oder Durchsuchung, über den Namen des visitierenden
Kriegsschiffes, über die Dienststellung sowie über den Vor- und Zu-
namen seines Kommandanten zu machen, und welchen er unter Angabe
seiner eigenen Dienststellung mit Vor- und Zunamen zu unter-
zeichnen hat.
§ 64. Handelt es sich um Schiffe, welchen die Bekanntmachung
über eine Blockade nicht zugegangen war, oder um solche, welche in
Gemäßheit des § 30 Ziffer 2 oder in Gemäßheit der Bestimmungen der
§§ 36 oder 38 wegen Unkenntnis vom Ausbruch des Krieges der Auf-
bringung nicht unterliegen, so hat der visitierende Offizier in ihr Schiffs-
journal oder in diejenigen Schiffspapiere, welche über die Staats-
angehörigkeit des Schiffes Auskunft geben, nach Formular 2 oder 3
eine Warnung einzutragen und dem Schiff zu befehlen, umzukehren,
beziehungsweise andere geeignete Maßregeln zu ergreifen, wie zum Bei-
spiele, das Schiff einen anderen Kurs nehmen zu lassen '»9) oder
dergleichen.
§ 65. Wenn dem Kommandanten des Kriegsschiffs nach der Visi-
tierung und der Durchsuchung noch Verdachtsmomente vorzuliegen
scheinen, so muß er zunächst durch den visitierenden Offizier ein Verhör
des Kapitäns vornehmen lassen ; erscheint nach diesem Verhör die Auf-
bringung noch geboten, so ist das Schiff aufzubringen.
§ 66. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Schiff aufzubringen
ist oder nicht, sollen die Art des Schiffes, seine Ausrüstung, seine Ladung,
seine Schiffspapiere, sowie der Kapitän, die Mannschaft und deren Aus-
sagen berücksichtigt werden, ^o)
§ 67. Wenn der Kommandant des Kriegsschiffes beschlossen hat,
daß das Schiff aufzubringen sei, so hat er dem Kapitän die Gründe der
Aufbringung bekannt zu geben und einen Offizier und die erforderKchen
Unteroffiziere und Mannschaften an Bord zu senden und von dem
Schiffe Besitz zu ergreifen. Wenn aber infolge schlechten Wetters oder
aus sonstigen Gründen die Entsendung des Offiziers, der Unteroffiziere
und der Mannschaften untunlich ist, so hat der Kriegsschiffskommandant
das Schiff die Flagge herunterholen zu lassen und Befehl zu erteilen,
*«) VI 11.
^) Hieraus ist nicht zu schließen, daß das Prisengericht bei der Beweisaufnahme
an diese aus der Prise stammenden Beweismomente gebunden ist: VI 25; 26b; 27b.
Anders jedoch der Staatsanwalt VI 29 b, Anmerkung 4.
25
Abschnitt V Saepri^enofdnung : Aufbringung.
wohin es sich begeben soll. Leistet der Kapitän diesem Befehl nicht
Folge, so kann der Kriegsschiffskommandant die nach den Umständen
des Falls erforderlichen Maßregeln ergreifen.
§ 68. Wenn der Kriegsschiffskommandant ein Postschiff aufgebracht
hat, so hat er die Postsäcke, soweit dieselben unverfänglich erscheinen,
in versiegeltem Zustand von Bord herauszugeben und dafür Sorge zu
tragen, daß dieselben mit der nächsten Gelegenheit schnell an ihren
Bestimmungsort gelangen.
§ 69. Der Kriegsschiffskommandant hat die Passagiere des auf-
gebrachten Schiffes, soweit dieselben nicht als Kriegskonterbandepersonen
zu betrachten oder soweit sie nicht, weil ihr Zeugnis erheblich erscheint,
festzuhalten sind, in einem möglichst geeigneten Hafen an Land gehen
zu lassen.
§ 70. Der Kriegsschiffskommandant, der ein Schiff aufgebracht hat,
muß, wenn sich später herausstellt, daß die Aufbringung nicht gerecht-
fertigt war, das Schiff unverzüglich freigeben.
§ 7L Der Kriegsschiffskommandant hat in das bei diesem Kriegs-
schiff geführte Schiffsjournal sämtliche wichtigen Tatsachen in bezug
auf die Visitierung, die Durchsuchung und die Aufbringung eines Schiffes
einzutragen.
§ 72. Der Kriegsschiffskommandant hat über die Visitierung, die
Durchsuchung und die Aufbringung einen eingehenden Bericht ab-
zufassen und denselben zusammen mit seinem eigenen Gutachten über
den Fall unverzüglich dem Marineminister einzureichen.
§ 73. Der Kriegsschiffskommandant kann, falls er ein vom Feind
aufgebrachtes japanisches oder neutrales Schiff diesem wieder
abgenommen hat, vorausgesetzt, daß dasselbe noch nicht in einen feind-
lichen Hafen gebracht oder vom Feind für Kriegszwecke gebraucht
worden ist, freilassen.
Kapitel VIIL
Das Verfahren nach der Aufbringung.
§ 74. Der Kriegsschiffskommandant hat, sobald er von einem
Schiff Besitz ergriffen hat, die auf das Schiff und die Ladung bezüg-
lichen Papiere sowie sämtliche sonstigen an Bord befindlichen Papiere
mit Beschlag zu belegen und sofort der Reihe nach zu ordnen, zu
numerieren und zu kuvertieren und das Kuvert mit seinem und
des Kapitäns Siegel oder Unterschrift zu versehen und über den Vor-
gang ein nach Formular Nr. 4 abgefaßtes Protokoll beizufügen.
Es ist üblich, daß dies Protokoll von derjenigen Person abgefaßt
26
Seeprisenordnung: Aufbringung. Abschnitt V
wird, welche die beschlagnahmten Papiere in Empfang genommen oder
ausfindig gemacht hat.
§ 75. Wenn zerstörte und weggeworfene oder versteckte Papiere
aufgelesen oder ausfindig gemacht worden sind, so hat der Kriegs-
schiffskommandant, wie im vorigen Paragraphen angegeben, zu ver-
fahren. Indessen ist in diesem Falle das Protokoll nach Formular 5 ab-
zufassen.
§ 76. Der Kriegsschiffskommandant hat nach Formular Nr. 6 eine
Aufstellung der auf dem Schiff vorgefundenen Gelder, Wertpapiere und
sonstigen Wertgegenstände in 2 Exemplaren anzufertigen, deren eines
er dem Kapitän auszuhändigen hat.
§ 77. Der Kriegsschiffskommandant hat womöglich die Luken
des aufgebrachten Schiffs zu schließen und zu versiegeln und dafür
Sorge zu tragen, daß sich niemand etwas von der Ladung, vom Schiffs-
gerät oder von irgendwelchen im Schiff befindlichen Sachen aneignen
kann.
§ 78. Der Kommandant und die Offiziere des Kriegsschiffs haben
sämtlich dafür Sorge zu tragen, daß der Kapitän und die Besatzung des
aufgebrachten Schiffs sowie die als Kriegsgefangene zu betrachtenden
Personen gut behandelt, und daß sie bezüglich ihres Privateigentums
geschützt werden.
Den als Kriegsgefangenen zu betrachtenden Personen gegenüber
können, wenn dies erforderlich erscheint, Zwangsmaßregeln zur 'An-
wendung kommen. Den übrigen auf dem Schiff befindlichen Personen
gegenüber aber dürfen Zwangsmaßregeln nur aus ganz besonderen
Gründen zur Anwendung gebracht werden.
§ 79. Der Kriegsschiffskommandant hat zur Navigierung des auf-
gebrachten Schiffes einen Prisenoffizier zu ernennen, dem die er-
forderlichen Unteroffiziere und Mannschaften beizugeben sind. Diese
hat er an Bord zu schicken, um unverzüglich das Schiff mit seiner
Ladung nach dem nächsten japanischen Hafen, in welchem ein Prisen-
gericht seinen Sitz hat, oder einem in dessen Nähe belegenen anderen
japanischen Hafen überzuführen.
§ 80. Der Kriegsschiffskommandant kann den Kapitän und die
Mannschaft des aufgebrachten Schiffs ersuchen, den Prisenoffizier nach
dessen Weisungen in der Navigierung des Schiffes zu unterstützen. Wenn
diesem Ersuchen nicht entsprochen wird, darf er keinen Zwang aus-
üben.
§ 8L Der Kriegsschiffskommandant hat den Kapitän und die
Mannschaft des aufgebrachten Schiffes, die gesamte Ladung und das
Protokoll mit den beschlagnahmten Schiffspapieren auf dem beschlag-
nahmten Schiff unter möglichster Erhaltung des zur Zeit der Auf-
bringung vorhanden gewesenen Zustands zu befördern.
27
Abschnitt V Seeprisenordnung: Aufbringung«
Der Kriegsschiffskommandant hat, wenn dies erforderlich erscheint,
solche unter seinem Befehle stehende Personen, welche imstande sind,
die Tatumstände der Aufbringung zu bezeugen, an Bord des auf-
gebrachten Schiffes mitfahren zu lassen.
§ 82. Wenn es unzweckmäßig erscheint, den Kapitän und die ge-
samte Mannschaft mit dem Schiff zu befördern, so hat der Kriegsschiffs-
kommandant zum mindesten die drei oder vier wichtigsten Personen
auszusuchen und als Zeugen mitzusenden, von denen zwei Kapitän,
Zahlmeister, Offiziere oder Bootsmann sein müssen.
Die umgeschiffte Schiffsmannschaft soll ebenfalls unverzüglich nach
demjenigen Hafen befördert werden, nach welchem das betreffende
Schiff fährt.
§ 83. Im Falle des vorigen Paragraphen hat der Kriegsschiffs-
kommandant durch den Prisenoffizier nach Formular Nr. 7 ein Protokoll
über die Umschiffung der Mannschaft und über die Gründe der Um-
schiffung abfassen zu lassen.
§ 84. Befinden sich an Bord des Schiffes leicht verderbliche Güter,
oder bestehen sonst Bedenken gegen die Beförderung von Gütern,
so hat der Kriegsschiffskommandant die geeignetsten unter seinen Offi-
zieren als Untersuchungskommission auszuwählen und von ihnen ein
Untersuchungsprotokoll vorlegen zu lassen.
Die Hauptpunkte der Untersuchung sind in das Schiffsjournal
einzutragen.
§ 85. Wenn die Untersuchungskommission berichtet, daß sieb
unter der Ladung Güter befinden, gegen deren Beförderung Bedenken
bestehen, so hat der Kriegsschiffskommandant dieselben am Orte der
Aufbringung oder im nächsten japanischen Hafen oder auch mit Ge-
nehmigung der maßgebenden neutralen Behörden in neutralem Gebiet
zum Verkauf zu bringen. Bestehen aber gegen den Verkauf Bedenken,
so kann der Kriegsschiffskommandant diejenigen Maßregeln ergreifen,
welche ihm geeignet erscheinen.
§ 86. Wenn möglich, hat der Kriegsschiffskommandant vor dem
Verkauf der Ladung einen Sachverständigen zu ernennen und denselben
die ganze Ladung oder den zu verkaufenden Teil derselben schriftlich
abschätzen zu lassen.
Der Verkauf soll in Gegenwart des Prisenoffiziers und, wenn an-
gängig, in Gegenwart eines Kaiserlichen Konsuls oder sonstigen in der
Nähe des Verkaufsorts befindlichen Kaiserlichen Beamten stattfindet
und, wenn möglich, ein öffentlicher sein.
§ 87. Der Kriegsschiffskommandant hat den Prisenoffizier zu ver-
anlassen, über das ganze Verkaufsverfahren nach Formular Nr. 8 ein
Protokoll aufzunehmen und dasselbe zusammen mit dem Untersuchungs-
protokoll der Untersuchungskommission, der schriftlichen Abschätzung
28
Saeprisenordnung: Aufbringung. Abschnitt V
des Sachverständigen, der Verkaufsabrechnung und den sonstigen Ur-
kunden mit dem aufgebrachten Schiff zu befördern.
§ 88. Bestehen Bedenken gegen die Überführung des aufgebrachten
Schiffes, so hat der Kriegsschiffskommandant die geeignetsten unter
seinen Offizieren auszuwählen und zur Untersuchungskommission zu
ernennen und von derselben ein Untersuchungsprotokoll vorlegen zu
lassen.
Die Hauptpunkte der Untersuchung sind ins Schiffsjournal ein-
zutragen.
§ 89. Wenn die Untersuchungskommission berichtet, daß Bedenken
gegen die Überführung des aufgebrachten Schiffes bestehen, so hat
der Kriegsschiffskommandant dasselbe nach dem nächsten japanischen
Hafen oder mit Genehmigung der maßgebenden neutralen Behörden
nach dem nächsten neutralen Hafen zu senden.
§ 90. Im Falle des vorigen Paragraphen hat der Kriegsschiffs-
kommandant durch einen Prisenoffizier über die Überführung des auf-
gebrachten Schiffes nach dem nächsten japanischen beziehungsweise
neutralen Hafen ein ausführliches Protokoll nach Formular Nr. 9 auf-
nehmen zu lassen und dies zusammen mit dem Untersuchungsprotokoll
der Untersuchungskommission durch den genannten Offizier mit den
Zeugen, den Schiffspapieren und den sonstigen für die prisengerichtliche
Untersuchung erforderlichen Urkunden dem nächsten japanischen Prisen-
gerichi zu übersenden.
§ 91. In den folgenden Fällen kann der Kriegsschiffskommandant,
wenn es nicht zu vermeiden ist, das aufgebrachte Schiff vernichten oder
die sonst nach Lage des Falls geeigneten Maßregeln ergreifen. Doch
soll er, ehe er zur Vernichtung oder den sonst nach Lage des Falls
geeigneten Maßregeln schreitet, die Besatzung des aufgebrachten Schiffes
umschiffen und, soweit tunlich, die Ladung umladen, auch die Schiffs-
papiere und die sonstigen für die prisengerichtliche Untersuchung er-
forderlichen Gegenstände in Sicherheit bringen:
1. Wenn das Schiff nicht in gutem Zustande ist und wegen schwerer
See nicht navigiert werden kann.
2. Wenn zu befürchten ist, daß das Schiff vom Feinde wieder-
genommen werden könne.
3. Wenn das Schiff nicht navigiert werden kann, ohne daß die
zur Sicherheit des Kriegsschiffs notwendige Mannschaft entbehrt werden
müßte.
§ 92. Im Falle des vorigen Paragraphen hat der Kriegsschiffs-
kommandant den Prisenoffizier zu veranlassen, ein Protokoll darüber
aufzunehmen, warum die Navigierung untunlich war und welche Maß-
regeln er im einzelnen getroffen hat, und hat den genannten Offizier
mit der umgeschifften Mannschaft und Ladung sowie mit den Schiffs-
29
Abschnitt V Seeprisenordnung: Aufbringung.
papieren und sämtlichen für die prisengerichtliche Entscheidung not-
wendigen Urkunden und Gegenständen an das nächste japanische Prisen-
gericht zu senden.
§ 93. Der Prisenoffizier hat, wenn er selbst auf dem zu über-
führenden Schiff fährt, nach Formular Nr. 10 ein Verzeichnis über den
Proviant, das Inventar und die Ladung aufzunehmen, soweit sie in
dem gegenwärtigen Zustand der Verladung untersucht werden können.
Er kann bei der Aufnahme dieses Verzeichnisses den Kapitän um seine
Unterstützung ersuchen und hat ihm eine von ihm selbst unterzeichnete
Abschrift zu übergeben.
§ 94. Der Prisenoffizier hat ein Journal zu führen und während
der Reise die das Schiff, die Ladung und die Mannschaft betreffenden
Ereignisse in dasselbe einzutragen.
§ 95. Wenn der Prisenoffizier während der Reise noch weitere
Papiere empfängt oder zerstörte und weggeworfene oder versteckte Pa-
piere ausfindig macht oder aufliest, so hat er dieselben sofort zu ordnen
und zu numerieren und sie einem nach Formular Nr. 11 auf-
genommenen Protokoll beizufügen.
§ 96. Es ist Pflicht des Prisenoffiziers, mit äußerster Sorgfalt darauf
bedacht zu sein, daß dem Schiff und der Ladung während der Über-
führung kein Schade zustößt.
§ 97. Nur in Fällen dringender Notwendigkeit darf der Prisen-
offizier die Mannschaft oder die Ladung landen oder umschiffen. In
diesem Falle hat er über die Landung oder die Umschiffung der Mann-
schaft und der Ladung sowie über die Veranlassung hierzu ein Proto-
koll nach Formular Nr. 12 aufzunehmen.
Die gelandete oder umgeschiffte Mannschaft und Ladung muß
auf geeignete Weise unverzüglich nach dem Sitz eines japanischen Prisen-
gerichts befördert werden.
§ 98. Sofort nach der Ankunft an dem Reiseziel hat der Prisen-
offizier das aufgebrachte Schiff dem Prisengerichtshof zu übergeben
und die Einleitung des prisengerichtlichen Verfahrens zu beantragen.
30
Seeprisenordnung: Formulare. Abschnitt V
Formular Nn 1, (§ 22,)
Blockadebekanntmachung.
Ich erkläre hiermit im Auftrage der Kaiserlichen Regierung, daß
am (Datum) ....
(Ort)
von (Ort) in Breite Länge
bis (Ort) in Breite Länge
von Kaiserlichen Kriegsschiffen in ausreichender Stärke blockiert worden
ist, daß diese Blockade aufrechterhalten wird und daß gegen alle Schiffe,
welche dieselbe zu brechen versuchen, alle Zwangsmaßregeln, welche
das Völkerrecht und die Verträge zwischen Japan und den neutralen
Mächten gestatten, angewandt werden werden.
(Datum) ^
an Bord S.M. S. (Name)
(Name)
Oberstkommandierender (Kommandierender) des
Geschwaders.
Formular Nn 2. (§ 64,)
Blockadewarnung.
Ich habe heute im Auftrage des Kommandanten
(Name) S.M.S. (Name)
das Dampf- (Segel-) Schiff (Name)
visitiert und dasselbe gewarnt, daß (Ort)
von (Ort) in Breite Länge
bis (Ort) in Breite Länge
sich unter Blockade befindet.
(Datum)
Breite , Länge
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
31
Abschnitt V Seeprlsenordnung : Formulare.
Formular Nn 3. (§ 64,)
Warnung über den Kriegsausbruch.
Ich habe heute im Auftrage des Kommandanten (Name)
S. M. S. (Name)
das Dampf- (Segel-) Schiff (Name)
visitiert und dasselbe gewarnt, daß zwischen Japan und
Krieg ausgebrochen ist.
(Datum)
Breite Länge
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
Formular Nn 4, (§ 74,)
Protokoll über die zur Zeit der Aufbringung
empfangenen Schiffspapiere.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Ich bin am (Datum) bei der Auf-
bringung des oben bezeichneten Schiffes durch S. M. S. (Name)
gegenwärtig gewesen.
2. Ich habe alle bei der Aufbringung des oben bezeichneten Schiffes
an Bord vorhandenen, unter Nummer bis an-
liegenden Papiere damals empfangen.
3. An dem Zustand der oben bezeichneten Papiere zur Zeit des
Empfangs ist, abgesehen von ihrer Numerierung, keine Veränderung
vorgenommen worden.
Die vorstehenden Tatsachen werden hiermit bescheinigt.
(Datum)
(Rang, Name, Siegel)
; S. M. S. (Name)
ö2
^prisenordnung: Fonnulare» Abschnitt V
Formular Nn 5. (§ 750
Protokoll über die zur Zeit der Aufbringung
weggeworfen (zerrissen oder versteckt) gewesenen
Schiffspapiere. \
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Ich bin am (Datum) bei der Auf-
bringung des oben bezeichneten Schiffes durch S. M. S. (Name)
gegenwärtig gewesen.
2. Ich habe (Ort)
gesehen, wie aus einer Bordöffnung des oben bezeichneten Schiffes
einige Minuten (oder sonstige Angaben) vor der Aufbringung (Zahl)
Bündel Papiere ins Wasser geworfen wurden. Ich habe
sofort ein Boot ausgesetzt, (Zahl) von den Bündeln waren
schon untergegangen, (Zahl) von ihnen ließ ich aber von
der Bootsmannschaft aufnehmen. (Bei Zerreißen oder Verstecken ist
der jeweilige Tatbestand anzugeben.)
3. Die unter Nummer bis beiliegenden
Papiere sind alle, die derzeit aufgelesen worden sind. An dem damaligen
Zustand derselben ist, abgesehen von ihrer Numerierung, keine Ver-
änderung vorgenommen worden.
Die obigen Tatsachen werden hiermit bescheinigt.
Patum)
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
Formular Nn 6, (§ 76.)
Aufstellung über die zur Zeit der Aufbringung an
Bord des Schiffes gegenwärtig gewesenen Gelder,
Wertsachen und sonstigen wichtigen Gegenstände.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
(Aufstellung der Gegenstände)
MarBtrand-Meohlenburff, Dm Japanlsobe Prisenreoht. Band I. (3) OO
Abschnitt V Seeprisenordnimg: Formulare.
(Hier ist jeweils zu bemerken, ob die Gelder, die Wertsachen und die
sonstigen wichtigen Gegenstände freiwillig übergeben worden sind oder
ob und wo dieselben versteckt und gefunden worden sind.)
Daß das Obenstehende eine wahre Aufstellung der an Bord des
von mir am (Datum) aufgebrachten Schiffes vorhanden
gewesenen sämtlichen Gelder, Wertsachen und sonstigen wichtigen
Gegenstände ist, bescheinige ich hiermit.
Anm. Eine Abschrift dieser Aufstellung wurde, mit Unterschrift
versehen, am (Datum) dem Kapitän des (Name)
übergeben, und
(Hat der Kapitän Beschwerde erhoben, so ist dieselbe hier kurz zu er-
wähnen.)
(Datum)
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
N. B, Es ist unerläßlich, eine Abschrift der
Aufstellung dem Kapitän zu übergeben.
Fornmlar Nn 7, (§ 83,)
Protokoll über die Umschiffung der Mannschaft
des aufgebrachten Schiffes durch den
Kriegsschiffs-Kommandanten.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Der Kommandant S. M. S. (Name)
(Rang, Name) hat am (Datum)
auf Breite und Länge das oben
bezeichnete Schiff aufgebracht.
2. Der genannte Kommandant (Rang, Name)
ließ am (Datum) , ehe
er das aufgebrachte Schiff nach einem Hafen schickte, wo sich ein
Prisengericht befindet, (Zahl) von der Besatzung des ge-
nannten Schiffes sich umschiffen.
3. Der Grund dieser Umschiffung ist
(Datum)
Der Prisenoffizier
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
34
SeepriMDordnung: Fonnulare. Abschnitt V
Formular Nn 8, (§ 87.)
ProtokollüberdenVerkaufderLadung.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Der Kommandant S. M. S. (Name)
(Rang und Name) hat am (Datum)
auf Breite und Länge das
oben bezeichnete Schiff aufgebracht.
2. Der genannte Kommandant hat am (Datum)
den Befehl erteilt, die Ladung des aufgebrachten Schiffes zu untersuchen.
3. Das Untersuchungsprotokoll der Untersuchungskommission liegt
als Anlage A an.
4. Auf dieses Protokoll hin hat der Kommandant mir den Befehl
erteilt, das genannte Schiff sofort nach dem Hafen von
zu navigieren und dort die Ladung öffentlich zu verkaufen.
5. Die Ladung habe ich am (Datum) nach dem ge-
nannten Hafen befördert und durch die geeignetsten Sachverständigen
(Name) X und (Name) Y abschätzen
lassen.
6. Ehe X und Y zur Schätzung schritten, haben sie geschworen,
daß sie ihre Schätzung unparteiisch und gewissenhaft abgeben würden.
Die Eidesschrift liegt als Anlage B an.
7. Die Abschätzungsbescheinigung des X und Y liegt als An-
lage C an.
8. Am (Datum) habe ich den Befehl erteilt, die
Ladung in (Ort) öffentlich zu verkaufen. Die Anzeige
über den öffentlichen Verkauf in (Ort) liegt als An-
lage D an.
9. Der bekanntgemachte öffentliche Verkauf wurde am (Datum)
ausgeführt. Verkauf und Übergabe der Ladung ge-
schahen in meinem Beisein (oder dem eines Kaiserlichen Konsuls oder
eines in der Nähe des Verkaufsortes befindlichen Kaiserlichen Beamten)
und vor meinen Augen.
10. Eine mir von (Name) übergebene Aufstellung
über die an ihn verkaufte Ladung liegt als Anlage E an,
IL Die in der anliegenden Aufstellung angegebene Summe im
Betrage von Yen habe ich am (Datum)
dem (Name) übergeben.
Die vorstehenden Tatsachen bescheinige ich hiermit.
(Datum)
Der Prisenoffizier
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
(3*) 35
Abschnitt V SBeprisenordnung : Formulare.
Forrtmlar Nn 9. (§ 90.)
Protokoll über die Überführung
des aufgebrachten Schiffes nach einem neutralen
(nächst gelegenen japanischen) Hafen.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Der Kommandant S. M. S. (Name)
(Rang und Name) hat am (Datum)
auf Breite und Länge das oben be-
zeichnete Schiff aufgebracht.
2. Der genannte Kommandant hat am (Datum)
den Befehl erteilt, das aufgebrachte Schiff zu untersuchen.
3. Das Untersuchungsprotokoll der Untersuchungskommission liegt
als Anlage A an.
4. Auf dieses Protokoll hin hat der Kommandant mir den Befehl
erteilt, das aufgebrachte Schiff nach dem Hafen (Name)
zu navigieren.
5. Zur Ausführung dieses Befehls bin ich am (Datum)
in dem Hafen (Name) angekommen und habe das
aufgebrachte Schiff dem (Name)
übergeben.
Die vorstehenden Tatsachen bescheinige ich hiermit.
(Datum)
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
FormMlar Nn 10, (§ 93.)
Verzeichnis des Proviants, des Inventars und
der Ladung des aufgebrachten Schiffes.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
(Verzeichnis)
Ich bescheinige hiermit, daß ich am (Datum)
36
SatprisMordnung: Formulare. Abschnitt V
den Befehl bekommen habe, das genannte Schiff behufs prisengericht-
licher Untersuchung nach dem Hafen (Name)
zu navigieren, und daß das oben angegebene Verzeichnis den Proviant,
das Inventar und die Ladung enthält, soweit ich sie in dem damaligen
Zustand der Verladung untersuchen konnte.
Anmerkung. Eine Abschrift dieses Verzeichnisses wurde, mit
Unterschrift versehen, am (Datum) dem Kapitän des
(Name) übergeben, und
(Hat der Kapitän Beschwerde erhoben, so ist dieselbe
hier kurz zu erwähnen.)
(Datum)
Der Prisenoffizier
(Rang, Name, Siegel)
S.M. S. (Name)
N. B. Es ist unerläßlich, eine Abschrift
dieses Verzeichnisses dem Kapitän zu über-
geben.
Formular Nn 11> (§ 95,)
Protokoll über die während der Navigierung
empfangenen (weggeworfenen, zerstörten oder
versteckten) Schiffspapiere.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Ich habe am (Datum) den Befehl erhalten, das
genannte Schiff behufs prisengerichtlicher Untersuchung nach dem Hafen
(Name) zu navigieren.
2. Auf dieser Reise habe ich am (Datum) von
dem genannten Kapitän die unter Nr. 1 bis anliegenden
Papiere erhalten. (Gegebenenfalls sind die Umstände genau anzugeben.
Das gilt auch für Fälle, wo die Papiere weggeworfen, zerstört oder ver-
steckt gewesen sind.)
3. Die genannten Papiere sind alle, welche ich empfangen habe,
und an ihrem damaligen Zustand ist, abgesehen von ihrer Numerierung,
keine Veränderung vorgenommen worden.
Die vorstehenden Tatsachen werden hiermit bescheinigt.
(Datum)
Der Prisenoffizier
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name) :
37
Abschnitt V Seepri8enordnung : Formulare.
Formular Nr. 12> (§ 97.)
Protokoll über die Landung (Umschiffung)
der Besatzung oder der Ladung des aufgebrachten
Schiffes.
Name des Schiffes
Name des Kapitäns
1. Ich habe am (Datum) den Befehl erhalten, das
genannte Schiff behufs prisengerichtlicher Untersuchung nach dem Hafen
(Name) zu navigieren.
2. Auf dieser Reise habe ich am (Datum)
gelandet (umgeschifft): (gelandete bzw. umgeschiffte Gegenstände oder
Personen und der betreffende Ort)
3. Die Gründe der Landung (Umschiffung) derselben waren
folgende: _
Die vorstehenden Tatsachen bescheinige ich hiermit.
(Datum)
Der Prisenoffizier
(Rang, Name, Siegel)
S. M. S. (Name)
Zum Vergleich werden die englischen Obersetzungen der Formu-
lare No, 1, 2, 3, 6 und 10 beigefügt.
Der Marineadjutant des Großen
Hauptquartiers.
Form Nr. 1 (referred to in Art. 22).
Declaration of Blockade.
I hereby declare that on the day of last
the , from , in latitude ,
longitude , to in latitude ,
longitude , were placed in a state of Blockade by a
competent force of His Imperial Majesty's Ships and are now in such
38
Seeprisenordnung: Formulare. Abschnitt V
State of Blockade; and that all measures authorized by the Law of
Nations and the respective Treaties between the Empire of Japan and
the different Neutral Powers will be enforced on behalf of this Imperial
Japanese Majesty's -Government against all Vessels whicb may attempt
to violate the Blockade.
Given on board His Imperial Japanese Majesty's
Ship at ...., this day of 19
Signed: Commander in Chief (Admiral in
Command) of Squadron.
Form Nr. 2 (referred to in Art. 64).
Warning of Blockade.
I have visited the vessel, the this day
by the order of Captain of His Imperial Japanese
Majesty's Ship , and warned that ,
from : , in latitude , longitude ,
to , in latitude , longitude ,
is under Blockade.
Dated this day of 19
Signed :
His Imperial Japanese Majesty's Ship
Form Nr. 3 (referred to in Art. 64).
Warning of Hostilities.
I have visited the vessel, the this
day by the order of Captain of His Imperial Japanese
Majesty's Ship :... , and warned that the state qf War has
existed and exists between the Empire of Japan and the Empire
of
Dated this day of 19
Signed : •.
His Imperial Japanese Majesty's Ship
39
Abschnitt V Seeprisenordnung : Foimulare.
Form Nn 6 (referred to in Art. 76).
Certificate as to Money and Valuables found
on board the Prize.
The , Master.
I the undersigned , holding the rank of
in His Imperial Japanese Majesty's Navy, and commanding:
His Imperial Japanese Majesty's Ship , do hereby certify
that the following is a correct account of all Moneys and Valuables
found on board the above-named vessel , detained hy
me, as lawful Prize of War, on the day of
19
(Here state the several articles, distinguishing whether they were
voluntarily given up, or were found concealed, afid where)
Signed:
Commanding His Imperial Japanese Majesty's Ship.
Note. — I do hereby declare that on the day of
19 I deljvered a copy, signed by myself, of the above Certificate
to the Master of the , and that (here state
whether or not the Master made any objection, and if he did, what the
nature of the objection was)
Signed this day of 19
Commanding His Imp. Jap. Majesty's Ship
(A copy of this Certificate must in
all cases be delivered to the Master.)
Form Nr. 10 (referred to in Art. 93).
Inventory of the Stores, Furniture and Cargo
of the Prize.
The , Master.
I, , holding the rank of in His
Imperial Japanese Majesty's Navy, and the Prize-Officer in charge of
the above-named Vessel, do hereby certify that the following is a correct
Inventory of the Stores, Furniture, and Cargo of the said Vessel, so
4Ö
Seeprisenordnung: Formulare. Abschnitt V
far as the said can be ascertained without disturbing the Stowage:
Signed this day of 19 -
Note. — I do hereby declare that on the day of
19 , I delivered a copy, signed by myself, of the above Inventory
to the Master of the , and that (here
State whether or not the Master made any objection, and if he did, what
the nature of the objection was)
Signed this day of 19
(A copy of this Inventory must
be delivered to the Master).
il
Abschnitt VI.
Übersicht über die Prisengerichtsentscheidungen
nach der Anordnung des Abschnittes VI.
1. „Ekaterinoslav" (russisch).
a) Einziehung des feindlichen Schiffs und feindlicher Ladung.
b) Einziehung feindlicher Ladung.
2. „Mukden" (russisch).
a) Freigabe nichtfeindlicher Ladung.
b) Einziehung des feindlichen Schiffs und feindlicher Ladung. Frei-
gabe nichtfeindlicher Ladung.
c) Einziehung feindlicher Ladung.
d) Abweisung der Reklamation auf Freigabe von 10000 Rubeln
und des Antrags auf Arrestanlegung zugunsten des Rekla-
manteil.
e) Freigabe amtlicher Schriftstücke der französischen Handels-
agentur in Wladiwostok.
f) Einziehung feindlicher' Ladung.
g) Abweisung der Reklamation eines Konsuls, weil dieser als solcher
nicht zur Vertretung befugt.
h) Abweisung der Reklamation, weil Vertreter kein japanischer
Rechtsanwalt,
i) Einziehung feindlicher Ladung. Abweisung der Reklamation
auf Ersatz der Frachtkosten,
k) wie bei i.
1) Einziehung feindlicher Ladung,
m) wie bei 1.
n) wie bei 1.
o) wie bei 1.
3. „Rossia" (russisch).
a) Einziehung des feindlichen Schiffs.
b) Abweisung der Reklamation auf Freigabe des Schiffs wegen Be-
stehens eines neutralen Vorzugsrechts an demselben, bzw. Zu-
erkennung eines solchen an der Prise, bzw. Befriedigung des
zugrunde liegenden Anspruchs durch den japanischen Staat.
42
Prisengerichtsentscheidungen. Abschnitt VI
4. „Argun" (russisch).
a) Freigabe nichtfeindlicher Ladung.
b) Einziehung des feindlichen Schiffs und zugehörigen Geldes.
5. „Manchuria" (russisch).
a) Einziehung des feindlichen Schiffs und feindlicher Ladung. Frei-
gabe von Gütern einer Missionsgesellschaft und anderer, nicht-
feindlicher Ladung.
b) Abweisung der Reklamation eines Konsuls, weil dieser als solcher
nicht zur Vertretung befugt.
c) Einziehung feindlicher Ladung.
d) Einziehung feindlicher Ladung. Abweisung der Reklamation
wegen Ersatzes der Frachtkosten.
e) Einziehung feindlicher Ladung.
f) wie bei e.
g) Abweisung der Reklamation wegen nicht formgerechter Prozeß-
vollmacht. -'
h) Einziehung feindlicher Ladung,
i) wie bei h.
k) wie bei h.
6. „Alexander" (russisch).
Einziehung des feindlichen Walfischfängers und seiner Ladung.
7. „Michael" (russisch).
Wie bei 6.
8. „Nikolai" (russisch).
Einziehung des feindlichen Walfischfängers und zugehörigen
Geldes.
9. „Kotik" (russisch).
Wegnahme des feindlichen Fischerei- und Kontrollschiffs.
10. „Lesnik" (russisch).
a) Einziehung des feindlichen Hochseefischereifahrzeugs und seiner
Ladung.
b) Abweisung der Reklamation, weil nicht form- und fristgemäß.
11. „Hermes" {norwegisch).
Freigabe des Schiffs und seiner Kohlenladung, weil in Un-
kenntnis vom Kriegszustand befindlich.
12. „Nadeschda" (russisch).
Einziehung des feindlichen Schiffs.
13. „Bobrik" (russisch).
Einziehung des feindlichen Hochseefischereischiffs.
14. „J u 1 i a d e" (russisch).
Einziehung des feindlichen Dampfboots.
43
Abschnitt VI PrisengerichtsentscheiduDgen*
15. „Manchuria" (russisch).
Einziehung des in Reparatur begriffenen feindlichen Schiffs
und zugehörigen Proviants.
16. „Thalia" (russisch).
Einziehung des feindlichen Dampfboots.
17. „Aggi" (norwegisch).
Freigabe des Schiffs und der nichtfeindlichen Kohlenladung.
18. „Hsiping" (englisch).
a) Freigabe von Schiff und Nichtkonterbandegütern.
b) Einziehung von gemischter Konterbandeladung und von Gütern ^
die Konterbandeeigentümern gehören. Abweisung eines Teils
der Reklamation, weil nicht fristgemäß.
c) Einziehung von gemischter Konterbandeladung und von Gütern^
welche Konterbandeeigentümern gehören. Freigabe von Nicht-
konterbandegütern.
d) Einziehung einer Konterbandeladung von Geld.
e) wie bei d.
f) wie bei d.
19. „Peiping" (chinesisch).
a) Freigabe von Schiff- und Nichtkonterbandegütern.
b) Einziehung einer Konterbandeladung von Lebensmitteln.
c) Einziehung einer Konterbandeladung von Geld.
d) wie bei c.
e) wie bei c.
f) wie bei c.
g) wie bei c.
h) Einziehung von gemischten Konterbandegütern und von Gütern^
welche Konterbandeeigentümern gehören.
20. „George" (französisch).
Einziehung des Schiffes wegen Blockadebruchs.
21. „Si-Shan" (englisch).
Freigabe des Schiffs und seiner Ladung von Vieh.
22. „Fuping" (deutsch).
a) Einziehung von Schiff und Ladung wegen Blockadebruchs,
b) Einziehung von 67 000 Rubeln.
23. „Nigretia" (englisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Transports von Konterbande-
personen.
b) Einziehung der Ladung wegen Kollusion des Ladungseigen-
tümers bei dem Transport der Konterbandepersonen.
c) Abweisung der Reklamation auf Festsetzung eines Vorzugs-
rechts an dem Schiff wegen Anspruchs auf Hilfslohn.
PriMngerichtsentscheidungen. Abschnitt VI
24. ,,Veteran" (deutsch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Blockadebruchs.
b) Einziehung der Ladung wegen Blockadebruchs.
25. „K i n g A r t h u r" (englisch).
Einziehung des Schiffs wegen Blockadebruchs. Abweisung der
Reklamation wegen Ersatzes von Schaden und Kosten.
26. „Roseley" (englisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Transports einer Konterbande-
ladung von Kohle unter Anwendung betrügerischer Mittel.
b) Einziehung der Konterbandeladung von Kohle.
27. „Le thington" (englisch).
a) wie bei 26 a.
b) wie bei 26 b.
28. „S c o ts m a n" (englisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Transports einer Konterbande-
ladung von Kohle.
b) wie bei 26 b.
29. „W i 1 h e 1 m i n a" (holländisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Transports einer dem Schiffs-
eigentümer gehörigen Konterbandeladung von Kohle unter An-
wendung betrügerischer Mittel.
b) Abweisung der Reklamation wegen mangelnden rechtlichen
Interesses. Einziehung der Konterbandeladung von Kohle.
30. „B a w t r y" (englisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Transports gemischter Konter-
bandeladung unter Anwendung betrügerischer Mittel.
b) Einziehung von Konterbandeladung und von Gütern, welche
dem Eigentümer der Konterbande gehören.
c) wie bei b.
d) wie bei b.
e) Freigabe von Nichtkonterbandegütern.
31. „Oakley" (englisch).
a) wie bei 26 a.
b) wie bei 26 b.
32. „B u r m a" (österreichisch-ungarisch).
a) wie bei 26 a.
• b) wie bei 26 b.
33. „M. S. Dollar" (englisch).
a) Abweisung der Reklamation, weil nicht japanisch abgefaßt.
b) Wegnahme des Schiffs wegen Transports einer Konterbande-
ladung von Pferdefutter unter Anwendung betrügerischer Mittel.
c) Wegnahme der Konterbandeladung von Pferdefutter.
45
Abschnitt VI Priaengerichtsantscheidungen.
34. „Wyefield" (englisch).
a) wie 33 b.
b) wie 33 c.
35. „Siam" (österreichisch-ungarisch).
a) wie 26 a.
b) wie 26 b.
36. „Eastry" (engHsch).
Freigabe des Schiffs und seiner Kohlenladung.
37. „Faros" (deutsch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Konterbandetransports unter An-
wendung betrügerischer Mittel sowie der gemischten Konter-
bandeladung.
b) Freigabe von Nichtkonterbandegütern.
38. „Apollo" (englisch).
Einziehung des Schiffs wegen Transports einer dem Schiffs-
eigentümer gehörigen Konterbandeladung unter Anwendung be-
trügerischer Mittel sowie der Konterbandeladung von Kohle.
39. „Sylviana" (englisch).
a) wie bei 26 a.
b) wie bei 26 b.
40. „P o w d e r h a m" (englisch).
a) wie bei 28 a.
b) wie bei 26 b.
41. „Severus" (deutsch).
wie bei 38.
42. „Romulus" (deutsch).
wie bei 38.
43. „Easby Abbey" (englisch).
a) wie bei 26 a.
b) wie bei 26 b.
44. „V e g g a" (englisch).
a) wie bei 26 a.
b) wie bei 26 b.
45. „Venus" (englisch).
wie bei 38.
46. „ A p h r o d i t e" (englisch).
wie bei 38.
47. „S a X 0 n P r i n c e" (englisch). .
Freigabe von Schiff und Ladung.
48. „T a c o m a" (amerikanisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Konterbandetransports unter An-
wendung betrügerischer Mittel.
b) Einziehung der Konterbandeladung von Salzfleisch pp.
46
PrismgorichtseDtscheldimgen. Abschnitt VI
49. „H arber ton" (englisch).
a) wie 26 a.
b) wie 26 b.
50. „Industrie" (deutsch).
Einziehung des Schiffs wegen Spionage.
51. „Henry Bolckow" (norwegisch).
a) Einziehung des Schiffs wegen Konterbandetransports unter An-
wendung betrügerischer Mittel.
b) Einziehung der Konterbandeladung von Mehl.
32. „Lincluden" (englisch).
Freigabe von Schiff und Ladung.
53. „Q u a n g N a m" (französisch).
Abweisung der Reklamation wegen mangelnden rechtlichen
Interesses. Einziehung des Schiffs wegen Spionage.
54. „O r e 1" (russisch).
a) Einziehung des Lazarettschiffs wegen Teilnahme an den Kriegs-
operationen.
b) Einziehung des dem Lazarettschiff zugehörigen Geldes.
55. „Lydia" (deutsch).
a) wie 30 a.
b) wie 30 b.
56. „A u s t r a 1 i a" (amerikanisch).
Einziehung des Schiffs und der Ladung wegen feindlichen
Charakters.
57. „Antiope" (englisch).
Prisengericht : Freigabe des Schiffs. • Wegnahme der Konter-
bandeladung von Salz.
Oberprisengericht: Einziehung des Schiffs wegen Transport der
Konterbandeladung von Salz.
58. „Montara" (amerikanisch).
wie bei 56.
iT
Abschnitt VI Prisengerichtsentscheidungen: „Eitaterinoslav''
Reklamant: Die Gesellschaft der russischen freiwilligen Flotte
in St. Petersburg, Rußland, vertreten durch den Vorsitzenden Ver-
waltungsrat Pierre Faurief.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama Yamashitacho Nr. 14.
In der Prisensache, betreffend den russischen Dampfer „Ekaterinos-
lav" und seine Ladung, wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Ekaterinoslav" und die auf ihm verladenen 22 Ge-
wehre, 5 Pistolen, 3 Kisten Munition, 1600 Rubel, 31 Kolli Möbel,
4 Kolli Betten, 1 Kollo Musikinstrumente, 1 Kollo Fabrikartikel, 4 Kolli
Pelzwaren, Schmiedegeräte und 2 andere Warensorten, 1 Schrank,
2 Kolli Seidengewebe, 156 Kolli kupferne Patronenhülsen und eine
andere Warensorte und 1 Kollo Kleider werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Ekaterinoslav" steht im
Eigentum der russischen Gesellschaft der freiwilligen Flotte, sein Heimats-
hafen ist Odessa in Rußland, und er führt die russische Handelsflagge.
Am 4. Februar 1904 lud er die in der Urteilsformel verzeichneten Güter
und fuhr von Wladiwostok in Rußland nach Odessa im gleichen Lande
ab. Am 6. d, M., nach* 9 Uhr vormittags, wurde er 3 Seemeilen nördlich
von Fusan in Korea auf 35^ T n. Br. und 129^ 13' ö. L: von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Saiyen" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen sind nicht nur von dem Vertreter der Reklamation
anerkannt, sondern werden auch bewiesen durch die Aussageschrift
und das Güterverzeichnis des Vertreters des Kommandanten der
„Saiyen", Kapitänleutnants Yoshimura Shinsei, die Frachtbriefe
für die Güter, das Tagebuch, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
GeorgeSeletzky, des ersten Offiziers WladimirKicimoff und
■des zweiten Offiziers Peter Rübakoff vom Dampfer „Ekaterinoslav".
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
1. Da das zur Verhandlung stehende Schiff weder Gefechtsrüstung
trage, noch zum Kriegskonterbandetransport gedient, noch solche an
48
PrisengorichtsentBcheidungon: „Ekaterinoslav". Abschnitt VIi»
Bord gehabt habe, so könne es nach der von dem Völkerrechtskongreß
in Türin vom Jahre 1882 beschlossenen Seeprisenordnung, Artikel 23
Ziffer 3, nicht beschlagnahmt werden.
2. Der Dampfer sei in einer Entfernung von drei. Seemeilen von der
Küste Koreas, welches von Japan als unabhängiger Staat angesehen
ixerde, d. h. innerhalb der in neuerer Zeit als Hoheitsgewässer an-
gesehenen 6 Seemeilen beschlagnahmt worden. Dieser Ort könne dem-
nach nur als im Hoheitsgewässer eines neutralen Staates belegen an-
gesehen werden, und daher müsse entsprechend dem von dem Völker-
rechtskongreß in Paris im Jahre 1895 beschlossenen Abänderungsent-
Turf und Artikel 8 und 9 der oben erwähnten Seeprisenordnung die
Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes für unrecht-
mäßig erklärt werden,
3. Das Schiff sei auf der Reise von Wladiwostok nach Colombo
begriffen gewesen und habe von der Kriegseröffnung erst bei der Be-
schlagnahme Kenntnis erhalten. Daher könne es nach Artikel 6 der
oben erwähnten Prisenordnung nicht mit Beschlag belegt werden. Da
ferner der Krieg lediglich eine Beziehung zwischen den beteiligten
Staaten hervorrufe, so habe er vor der Bekanntmachung der Kriegs-
eröffnung keinen direkten Einfluß auf die einzelnen Untertanen. Daher
sei Reklamant der Ansicht, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
und seine Ladung, welche am 6. Februar, wo die Kriegseröffnung noch
nicht bekannt gewesen sei, beschlagnahmt worden seien, freigegeben
«erden müßten.
Da die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 *) aus dem
Gedanken hervorgegangen sei, Schiffe, welche von der Kriegseröffnung
keine Kenntnis hätten, nicht mit Beschlag zu belegen, so sei es billig,
daß auch das zur Verhandlung stehende Schiff, welches in Unkenntnis
der Kriegseröffnung von Feindesland nach dem neutralen Hafen Colombo
zu fahren vorgehabt habe, nicht beschlagnahmt werde.
4. Die modernen Gelehrten stünden auf dem Standpunkt, daß,
uic auf dem Lande das Privatvermögen unverletzlich sei, so auch das
Privateigentum zur See nicht beschlagnahmt werden dürfe. Da auch
der Völkerrechtskongreß in Turin im Jahre 1882 dies beschlossen und
der Friedenskonferenz im Haag im Jahre 1887 unterbreitet habe, so sei
diese Ansicht zu einem bereits privat und öffentlich anerkannten Grund-
satz geworden.
Da das Völkerrecht, abgesehen von den vertragsmäßigen oder
sonstigen Bestimmungen der bedeutenden souveränen Staaten der Erde,
aus den Prinzipien entstehe, welche Fachgelehrte des Völkerrechts oder
Staatsregierungen bei vorkommenden Fällen ausgesprochen hätten, so
Mftritrand-Mdolilenbarff, Dm Japanisohe Prisenreoht. Band I. (4) ^^
Abschnitt VI^* Prisengerichtsentscheidungen: „Ekaterlnoslav"»
müsse es sich mit dem Fortschritt der Welt und der Änderung der Zeit-
verhältnisse täglich fortentwickeln. Daher müßten die Staaten den Drang
der Welt und die fortgeschrittenste Meinung der Wissenschaft in Rück-
sicht nehmen und die entwickeltsten Grundsätze zur Anwendung bringen.
Aus Artikel 32 der genannten Seeprisenordnung gehe es klar her-
vor, daß Gegenstände, wie die 22 Gewehre, 5 Pistolen und 3 Kisten
Munition, welche, wie auch auf anderen Schiffen, zur Verteidigung
an Bord gehalten würden, keinenfalls als Konterbande angesehen werden
könnten.
Aus diesen Gründen werde die Freigabe des Schiffes und seiner
gesamten Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Das zur Verhandlung stehende Schiff sei ein feindliches und sei
nach Eintritt des Krieges beschlagnahmt worden. Da ferner Korea
kein neutrales Land sei, so sei die Beschlagnahme gerechtfertigt, und
es müsse auf Einziehung erkannt werden.
Was die Ladung angehe, so seien die Möbel und die alten Kleider
als persönliche Gebrauchsgegenstände freizugeben. Alle anderen Güter
müßten zur Einziehung verurteilt werden.
In dem vorliegenden Fall ist zu untersuchen :
1. ob die von dem Kongreß für Völkerrechtswissenschaft in Turin
im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung und der von dem Völker-
rechtskongreß in Paris im Jahre 1895 beschlossene Abänderungsentwurf
auf diesen Fall Anwendung finden oder nicht;
2. ob die hier verhandelte Beschlagnahme rechtmäßig ist oder
nicht;
3. ob das zur Verhandlung stehende Schiff und seine ganze Ladung
einzuziehen ist oder nicht.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
1. Wenn auch, wie der Reklamant behauptet hat, das Völkerrecht,,
abgesehen von den vertragsmäßigen oder sonstigen Bestimmungen der
Staaten, aus den Prinzipien hervorgehe, welche Fachgelehrte des Völker-
rechts oder Staatsregierungen bei vorgekommenen Fällen ausgesprochen
haben, so kann man doch nicht behaupten, daß die Erklärung einer
einzelnen Regierung oder Gelehrtenbeschlüsse ohne weiteres zu einer
Bestimmung oder Gewohnheit des gegenwärtigen Völkerrechts werden.
Da nun die von dem Reklamanten angezogene, von dem Völkerrechts-
kongreß in Turin im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung, der
der Friedenskonferenz im Haag im Jahre 1887 unterbreitete Entwurf
und der von dem Völkerrechtskongreß in Paris im Jahre 1895 be-
schlossene Abänderungsentwurf nur Vorschläge der Gelehrten zum Aus-
druck bringen, und ferner die Regierungen der Mächte lediglich erklärt
haben, diese Frage ihrer Untersuchung unterwerfen zu wollen, so können
50
Prisengerichtsentscheidungen: „Ekaterinoslav". Abschnitt VI^*
sie auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden. Daher kann
den Behauptungen des Reklamanten in diesem Punkt nicht beigepflichtet ,
xterden.
2. Um den zweiten Punkt klarzustellen, muß zunächst genau unter-
sucht werden, ob die Beschlagnahme nach dem Eintritt des Kriegs-
zustandes erfolgt ist oder nicht.
Aus den Tatsachen, daß Rußland während der Verhandlungen mit
Japan über die mandschurisch-koreanische Frage auf der einen Seite
seine Antwort^ grundlos hinzögerte, während es auf der anderen seine
Armee in der Mandschurei und in Korea aufmarschieren ließ und seine
Kriegsflotte nach Port Arthur zusammenzog, geht deutlich hervor, daß
es seinerseits bereits entschlossen war, den Kampf gegen Japan zu er-
öffnen. Japan übersandte daraufhin am 5. Februar 1904 an Rußland
eine Mitteilung über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
und machte gleichzeitig seine Kriegsmacht mobil, so daß die japanische
Hotte am 6. Februar 1904, 7 Uhr morgens, von Sasebo zum Angriff
des russischen Geschwaders aufbrach. Wenn man sich die damalige
allgemeine Situation und die Bewegungen der beiderseitigen Kriegs-
flotten vergegenwärtigt, so muß man sagen, daß die Feindseligkeiten
schon vor der zur Verhandlung stehenden Beschlagnahme ihren öffent-
lichen Anfang genommen hatten. Damit ist es erwiesen, daß der Kriegs-
zustand zur Zeit der hier verhandelten Beschlagnahme bereits ein-
getreten war.
Der Reklamant behauptet, die Bekanntmachung der Kriegseröff-
nung sei für die Staatsangehörigen unentbehrlich, daher sei eine Be-
schlagnahme vor Bekanntmachung der Kriegseröffnung unrechtmäßie-
Da es aber gegenwärtig allgemein völkerrechtlich anerkannt ist, daß es
zur Kriegseröffnung nicht unbedingt einer Bekanntmachung bedarf, so
ist diese Behauptung des Reklamanten unbegründet.
Was ferner den Ort der Aufbringung angeht, so macht der
Reklamant geltend, daß ein Ort in 3 Seemeilen Entfernung von der
Küste Hoheitsgewässer sei, aber da Korea tatsächlich kein neutraler Staat
ist. so kann damit die Unrechtmäßigkeit der Beschlagnahme nicht be-
gründet werden.
Da es des weiteren allgemein völkerrechtlich anerkannt wird, daß
ein feindliches Schiff, gleichgültig ob es von der Kriegseröffnung Kennt-
nis hatte oder nicht, beschlagnahmt werden kann, 2) so kann, selbst
angenommen, das Schiff habe keine Kenntnis von der Kriegseröffnung
gehabt, aus diesem Grunde die Beschlagnahme nicht für rechtswidrig
erachtet werden.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 ist eineOnaden-
verordnung, welche russische Handelsschiffe, die in japanischen Häfen
*) V§35.
(4*) 51
Abschnitt VI !• Prisengorichtsentscheidungen : „Ekaterinoslav".
lagen oder vor dem 9. Februar von einem ausländischen Hafen nach
«inem japanischen Hafen abgefahren waren, von der Beschlagnahme
ausnimmt. Sie ist daher ihrem Sinne nach auf das zur Verhandlung
stehende Schiff, welches auf der Reise nach Odessa war, wenn es auch
in Colombo anlaufen wollte, nicht auszudehnen, und die Vergünstigung
kann diesem nicht zuteil werden. Die zur Verhandlung stehende Be-
schlagnahme ist demnach zu Recht geschehen.
3. Da, wie oben dargetan, das zur Verhandlung stehende Schiff ein
feindliches ist, und die ihm gehörigen 22 Gewehre, 5 Pistolen und
3 Kisten Munition zum Schutz des Schiffes, die 1600 Rubel zur Löhnung
der Mannschaft bestimmt waren, so sind sie alle als feindliches Gut an-
zusehen und mit dem Schiff zusammen als Prise einzuziehen. 3)
Was ferner die in der Urteilsformel aufgeführten Ladungsgüter an-
geht, so waren sie alle von Wladiwostok nach Odessa abgesandt und
müssen alle als feindliches Gut betrachtet*) und ebenfalls als Prise ein-
gezogen werden.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Gesellschaft der russischen freiwilligen Flotte in
St. Petersburg, Rußland, vertreten durch den Vorsitzenden Verwaltungsrat
Pierre Faurie f. ♦
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama Yamashitacho Nr. 14.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht in Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den im Eigentum der russischen freiwilligen Flotte
stehenden Dampfer „Ekaterinoslav", welcher am 6. Februar 1904 in der
Nähe von Fusan in Korea von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Saiyen"
aufgebracht worden ist, ein Urteil erlassen, in welchem auf Einziehung
des genannten Dampfers sowie der auf ihm verladenen 22 Gewehre,
5 Pistolen, 3 Kisten Munition, 1600 Rubel, 31 Kolli Möbel, 4 Kolli
Kleidungsstücke und Betten, 1 Kollo Fabrikartikel, 4 Kolli Pelzwerk,
Schmiedegeräte und 2 andere Warensorten, 1 Schrank, 2 Kolli Seiden-
gewebe, 156 Kolli kupferne Patronenhülsen und anderes und 1 Kiste
Kleidungsstücke entschieden worden ist.
«j V § 40. - *) §§ 8, 3 und 4.
52
PritengerichtsentBcholdungen: „Ekaterinoslav" Abschnitt VI^»
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der Vorsitzende Verwaltungs-
rat Pierre Faurief der Gesellschaft der russischen freiwilligen Flotte,
durch den Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro als Prozeß-
vertreter die Berufung eingelegt, welche im Ober-Prisengericht im Bei-
sein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i w a t a r i
Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
.Masushima Rokuichiro und deren Gründe sind folgende:
1. Da eine Erklärung der Regierung eines Staats und ein Beschluß
der Gelehrten eine Bestimmung oder einen Gebrauch des gegenwärtig
geltenden Völkerrechts darstelle, so müsse die von dem internationalen
Völkerrechtskongreß in Turin im Jahre 1882 beschlossene Seeprisen-
ordnung, der der Friedenskonferenz im Jahre 1887 vorgelegte Entwurf
und der Abänderungsentwurf des Völkerrechtskongresses in Paris im
Jahre 1885 als Norm des geltenden Völkerrechts betrachtet werden.
Denn das Völkerrecht sei kein Gesetz, es fehle an einem Gesetzgeber
\tie für die Gesetze eines Staats. Die Normierung und Verbesserung
geschehe in Erklärungen der Regierungen der Mächte und Beschlüssen
der Gelehrten. Das, was eine Regierung vorkommendenfalls erkläre,
«erde damit zum Völkerrecht. Derartige Erklärungen müßten mit dem
Fortschritte der Welt und der Änderung der Zeitverhältnisse ihrerseits
fortschreitend, verschieden ausfallen und dürften nicht für einen Staat
unveränderlich bestimmt bleiben. Als Richtschnur für das Völkerrecht
müsse eine den Umständen des Falls entsprechende, billige und un-
parteiische Behandlung gelten, und bei der Anwendung der Be-
stimmungen des internationalen Kriegsrechts müßten die Staaten der all-
gemeinen Forderung der Welt nachgeben und unter Anwendung der
fortgeschrittensten Theorien das Prinzip unparteiischer Gerechtig-
keit gegen die ganze Welt zugrunde legen. Ein Prisengericht sei
\frschieden von einem gewöhnlichen Gerichtshof. Es gebe für das-
selbe keine Bestimmungen, an die es gebunden sei. Wenn man sich
ü()erlege; was die Grundlage bilde, auf der man zu dem Völkerrecht
gelangt sei, und was, darüber hinausgehend, als Richtschnur für die
tntscheidungen dienen müsse, so müsse man zu dem Resultat kommen,
daß bei der Entscheidung nach den jeweiligen Umständen des Falls
zu verfahren sei, Reklamant sei der Ansicht, daß es sein selbstverständ-
liches Recht sei, zu verlangen, daß bei einer Reklamation, welche er im
Jahre 1904, am Beginn des 20. Jahrhunderts, erhebe, der Untersuchung
die höchsten Prinzipien zugrunde gelegt würden, zu denen die völker-
rechtliche Forschung gelangt sei. Die Ansicht des Reklamanten gehe
dahin, daß nicht auf dem Standpunkt der Völkerrechtslehren des Westens
Halt gemacht werden müsse, sondern daß man noch neuere Ansichten
zugrunde legen müsse, nach. denen gemäß der oben genannten Richt-
53
Abschnitt VI^» Prisengerichtsentscheidungen : „Ekaterinoslav".
schnür selbst feindliche Schiffe und feindliches Gut, wenn dieses keine
Konterbande sei und keine verbotene Handlung oder Absicht vorliege,
auch ein direktes Kriegsbedürfnis oder ein Hindernis für die Kriegs-
führung nicht vorhanden sei, nicht weggenommen werden könnten.
Nach moderner völkerrechtlicher Auffassung geschehe die Beschlag-
nahme als Kontrolle im Interesse der Kriegsführung und die Visitierung
und Untersuchung dürfe über die Erreichung dieses Zieles hinaus nicht
ausgeübt werden und nicht den Charakter eines Racheaktes annehmen.
Selbst feindliche Schiffe und, feindliches Out dürften daher, abgesehen
von gewissen Fällen, nicht weggenommen werden. Reklamant sei der
Ansicht, daß eine Anschauung wie die, man müsse den Feind durch
Vernichtung seiner Schiffahrt und seines Handels zur Übergabe zwingen,
in unser Jahrhundert, welches die Organe des Verkehrs und der
Ökonomie so entwickelt habe, nicht übernommen werden dürfe. Dem-
nach müßten feindliche Schiffe, wenn man verbotene Handlungen nicht
annehmen könne, da der Zweck der Kontrolle erreicht sei, sofort frei-
gegeben werden.
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe keine Konterbande be-
fördert, auch sonst keine verbotenen Handlungen begangen. Daß es in
Zukunft derartiges vorhabe, sei nicht erwiesen. Es sei ein Schiff, welches
in friedlichen Handelsgeschäften verwandt worden sei und bei dem
irgendwelche Absicht, den Kampf direkt zu unterstützen, nicht vor-
liege. Daher sei seine Freisprechung selbstverständlich. Dies um so
mehr, da niemand bezweifeln könne, daß Japan, welches den Krieg mit
Rußland geraden Sinnes begonnen, ihn auch geraden Sinnes zu Ende
führen wolle, und es der wahren Absicht der Kaiserlichen Regierung
entsprechen müsse, wenn man feindlichen Schiffen und feindlichen
Gütern, soweit bei dem Eigentümer keine schädigende Absicht oder
Handlung vorliege, nach dem Grundsatz unparteiischer Gerechtigkeit
für die ganze Welt dasselbe weitherzige Verfahren angedeihen lasse wie
neutralen Schiffen und Gütern. Auch biete sich in dem jetzigen Kriege
die beste Gelegenheit, das Völkerrecht, welches sich in den letzten zehn
Jahren herausgebildet habe, anzuwenden und nötigenfalls neue Beispiele
zu schaffen.
Dafür, daß die Reklamation begründet sei, spreche auch die Tat-
sache, daß die Anschauungen des Völkerrechts sich nach und nach in
der Weise entwickelt hätten, daß die Beschränkungen für Beschlagnahme
und Wegnahme von Schiffen so vermehrt worden seien, daß es nun
so viele Ausnahmebestimmungen gebe, daß man geradezu- geneigt sei,
die Ausnahme zur Regel zu machen.
Wenn man nach dem suche, was für den vorliegenden Fall als
völkerrechtliche Richtschnur zu nehmen sei, so müsse man sagen, daß
es nichts besseres gebe, als die oben erwähnte, von dem internationalen
54
PrisengerichtsentBcheidungen: „Ekaterinoslav'S Abschnitt VI^»
Völkerrechtskongreß in Turin beschlossene Seeprisenordnung und daß
eine Entscheidung auf Grund der Artikel 4, 5, 6, 8—10, 23 und 32
derselben das Richtige treffen würde. Diese Bestimmungen seien der
Niederschlag der internationalen öffentlichen Meinung, und Japan dürfe
nicht zögern, dieselben anzunehmen.
2. Nach modernen völkerrechtlichen Begriffen könne, wenn auch
schon der Kampf begonnen habe, solange noch keine Bekanntmachung
über die Kriegseröffnung vorliege, das Eigentum von Privatpersonen,
die von dem Kriege keine Kenntnis hätten, wenn sie auch feindliche
Staatsangehörige seien, nicht zur Prise gemacht werden. Wenn man
sage, es bedürfe zur Kriegseröffnung keiner Bekanntmachung, so gelte
das nur für die kriegführenden Staaten, treffe aber für die privaten
Untertanen nicht zu. Denn der Krieg schaffe ein Verhältnis zwischen
den Staaten als solchen. Die den Staat zusammensetzenden Untertanen
hätten als einzelne Individuen zu dem Krieg keine Beziehung. Daher
müsse der Friede für ihre Person und ihr Eigentum, ungeachtet der
Kriegseröffnung, gewahrt werden.
Da ferner Korea ein neutrales Land sei, so sei die zur Verhandlung
stehende Beschlagnahme von vornherein unrechtmäßig. Nach dem
Völkerrecht sei für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit oder
Unrechtmäßigkeit einer Beschlagnahme der Punkt ins Auge zu fassen,
ob Handlungen oder Absichten, welche die kriegsrechtlichen Be-
stimmungen verletzten, vorlägen oder nicht. Wenn man ferner dem
Sinne der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904, 5) welche
den Schutz derer, die von der Kriegseröffnung keine Kertntnis hätten,
bestimme, so sei es offenbar, daß diese auch dem zur Verhandlung '
stehenden Schiff zugute kommen müsse. Deshalb mache Reklamant
auch diese Verordnung für den in dem vorliegenden Fall einzunehmenden
Standpunkt geltend.
3. Das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung stünden
freilich in feindlichem Eigentum. Aber die Beschlagnahme sei am 6. Fe-
bruar 1904 erfolget, und die Feindseligkeiten zwischen Japan und Ruß-
land hätten erst am 8. Februar, nämlich mit dem Seegefecht vor dem
Hafen von Chemulpo, begonnen. Das zur Verhandlung stehende Schiff
sei am 4. Februar 2*^ p. m. von Wladiwostok abgefahren und bis
zu seiner Aufbringung an keinem Orte angelaufen. Daher habe es von
dem Abbruch der friedlichen Beziehungen zwischen Japan und Ruß-
land keine Kenntnis gehabt. Fs sei ferner ein Handelsschiff, welches
zum Seehandel gedient habe. Es lägen keine Spuren dafür vor, daß
es Gefechtsrüstung geführt oder zum Konterbandetransport gedient habe.
Da es ein friedliches Handelsschiff sei, so könne es nach den Regeln
55
Abschnitt VIi» Prisengerichteentocheidungen: „Ekaterinoslav'^
des in der Neuzeit entwickelten Völkerrechts allenfalls beschlagnahmt,
keinenfalls aber eingezogen werden.
Im besonderen müßten, wie in der Reklamationsschrift und deren
Ergänzung dargetan, die der Frau Kondratowitsch gehörigen
3 Kolli Möbel, weil sie friedliches Out und keine Konterbande seien, frei-
gegeben werden.
Aus diesen Gründen sei das Urteil erster Instanz, welches das zur
Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung für gute Prise erkläre
und ihre Einziehung verfüge, rechtswidrig. Es werde daher Verwerfung^
dieser Entscheidung und Freigabe des Schiffs und seiner Ladung be-
antragt.
Die Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Sasebo,-
Yamamoto Tatsurokuro, ist, wie folgt :
Die Berufungsbegründung sei freilich sehr lang, enthalte aber recht
wenig Behauptungen, die mit der vorliegenden Sache direkt in Beziehung:
stünden. Ihr Kern sei der, daß der Reklamant wünsche:
daß die Beschlüsse des Völkerrechtskongresses in Turin im
Jahre 1882, welche das entwickeltste und unübertroffene
Völkerrecht darstellten, angewandt und noch darüber hinaus
neue Beispiele geschaffen würden. Das Urteil erster Instanz
habe dies nicht getan und sei rechtswidrig.
Das Völkerrecht werde indes gebildet durch die von den Staaten
allgemein anerkannten und in ihrem Verkehr untereinander von ihnen,
selbst befolgten Gewohnheiten und Rechtsbestimmungen. Bestim-
mungen, wie die von dem Reklamanten angezogenen, seien lediglich
. Beschlüsse von Gelehrten, welche nicht die allgemeine Anerkennung
der Staaten genössen und daher nicht ohne weiteres angenommen werden
könnten.
Was nun die anderen Beruf ungsgründe angehe, so sei die Ansicht
des mit dem Schriftsatz für die mündliche Verhandlung beauftragten
Staatsanwalts bereits klar ausgesprochen und, da neue Gründe nicht
geltend gemacht seien, so sei eine Erwiderung überflüssig.
Das Urteil erster Instanz sei demnach rechtmäßig und gebe keiner-
lei Grund zu Aussetzungen. Es werde daher Verwerfung der Be-
rufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Was die von dem Reklamanten angezogenen, von dem inter-
nationalen Völkerrechtskongreß in Turin beschlossene Seeprisenordnung
angeht, so ist ihr Inkrafttreten lediglich von einer Körperschaft be-
deutender Gelehrter gewünscht worden und die Staaten haben sie ihrer
Prüfung unterwerfen wollen. Sie hat aber keine völkerrechtlich bindende
Kraft. Es wäre daher ein Fehlgriff, wenn man heute auf ihrer Grund-
lage Fragen des Seeprisenwesens entscheiden wolle.
56
Prisengericht$ent8choidungon : „Ekaterinoslav". Abschnitt VI > »
Wenn man auch nicht behaupten kann, daß bei einem Prisengericht
die Leistung in dem Punkte, daß es bei der Erledigung seiner Fälle
das Landesgesetz und das Völkerrecht zu befolgen hat, von der Be-
handlung der Geschäfte in einem gewöhnlichen Gerichtshof nicht ver-
schieden ist, so besteht doch zwischen den beiden in dem Punkte, daß
sie die Gesetze befolgen und nach den gesetzlichen Anordnungen
arbeiten müssen, kein Unterschied. Eine Argumentation, wie die des
Reklamanten, welche nach Willkür einen humanitären Lehrsatz wie „Un-
parteiische Gerechtigkeit für die ganze Welt" zitiert und danach die
Aufgaben für eine Zeit wie die jetzige bemessen will, berücksichtigt nicht,
daß der Krieg bei dem heutigen Staatenverkehr eine unvermeidliche
Tatsache ist; und man kann dem natürlich nicht beistimmen, wenn der
Reklamant versucht, zu leugnen, daß nach dem geltenden Völkerrecht
das Recht, Seeprisen zu machen, eine der Befugnisse ist, welche den
Staaten im Kriegszustande zustehen. Daher ist der Grundsatz des gel-
tenden Völkerrechts, daß während eines Krieges feindliche Schiffe und
auf ihnen verladene Güter zur Prise gemacht werden können, ohne daß
man die Absichten oder Handlungen der Reeder oder der Besatzung
zu berücksichtigen braucht, durchaus billig und das Urteil erster Instanz,
welches diesen Grundsatz angewandt hat, zutreffend.
2. Korea hat für den Krieg zwischen Rußland und Japan von
Anfang an zu der Landung der japanischen Truppen in seinem Gebiet
und dem Passieren derselben seine Zustimmung gegeben. Auch hat
sich der Krieg anfangs innerhalb des Hoheitsgebiets von Korea ab-
gespielt. Daher kann Korea nicht als neutral im gewöhnlichen Sinne
des Worts erachtet werden. Wenn der Reklamant daher aus dem Orte
der Beschlagnahme die Wirkungslosigkeit derselben ableiten will, so ist
schon die Grundlage seiner Behauptung irrig.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 schafft mit Bezug auf die
Beschlagnahme feindlicher Schiffe eine besondere Vergünstigung, die
indes nur solchen feindlichen Schiffen zugute kommt, bei denen be-
sondere Umstände zutreffen. Eine Anwendung derselben unter Er-^
Weiterung des in ihr bestimmten Umfangs ist daher nicht möglich.
Da das zur Verhandlung stehende Schiff auf seiner Reise von
Wladiwostok in Rußland nach Odessa gleichfalls in Rußland auf der
See bei Korea beschlagnahmt worden ist, so ist das ein Fall,, der an
der Vergünstigung der Kaiserlichen Verordnung keinen Anteil nimmt.
Da es femer völkerrechtlich allgemein anerkannt ist, daß feindliche
Schiffe, auch wenn sie von der Kriegseröffnung keine Kenntnis haben,
zu Prisen gemacht werden können, so steht die Tatsache, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff von dem Bestehen des Kriegszustands
zwischen Japan und Rußland nichts gewußt hat, der Beschlagnahme
nicht entgegen.
57
Abschnitt VIi» Prisengerichtsentscheidungen: „Ekaterinoslav".
Des weiteren ist es völkerrechtlich allgemein anerkannt, daß der
Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privatvermögens für Seeprisen keine
Anwendimg findet. Punkt 2 der Berufung ist daher in allen Teilen
unbegründet.
3. Der Zeitpunkt des Beginns des Kriegszustands ist nicht unbedingt
der Augenblick, wo die beiden streitenden Mächte das erste Kanonen-
feuer wechseln. Wenn auch nur durch weniger drastische Ausführung
der Kriegsabsicht oder durch Abgabe einer Kriegserklärung oder einer
derselben gleichstehenden Mitteilung der Wille zu kämpfen offenbart
worden ist, so ist mit dem Zeitpunkt der Kriegszustand als eingetreten
zu erachten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen be-
treffend die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Chinas und Koreas
Rußland durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung
auf Erhaltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende
Kriegsrüstungen seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen,
klar bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar 1904 eine In-
struktion bezüglich Abbruchs der diplomatischen Beziehungen an unseren
Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegsgeschwader
seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, dem 6. Februar, mit
der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von dem Kriegshafen Sasebo
ab und nahm auf der Fahrt, also während der Kriegszeit, das, wie bekannt,
für den Kriegsgebrauch der feindlichen Regierung zur Verfügung zu
stellende, hier zur Verhandlung stehende Schiff in Beschlag. Dies war
eben nichts anderes als eine solche Ausführung der Kriegsabsicht, und
man muß sagen, daß der japanisch-russische Krieg mit diesem Zeitpunkt
seinen Anfang genommen hat. Der 6. Februar vorigen Jahres, d. h.
der Tag, an welchem das Kaiserliche Kriegsschiff „Saiyen" das zur Ver-
handlung stehende Schiff aufbrachte, liegt daher bereits in der Kriegs-
zeit. Unfraglich war daher die Beschlagnahme des zur Verhandlung
stehenden Schiffes gerechtfertigt und, da, wie bereits oben dargetan, das
Schiff und die auf ihm befindliche feindliche Ladung der Wegnahme
unterliegen, so hat das Urteil erster Instanz, welches ihre Einziehung
verfügt, vollkommen richtig entschieden.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. Mai 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
58
Prisengerichtsehtscheidungen : „Ekaterinoslav'^ Abschnitt VI i»
Reklamant: Die Filiale der deutschen offenen Handelsgesellschaft
Kunst & A 1 b e r s in Nagasaki, vertreten durch den Prokuristen
August Oese, Nagasaki, Oura 8.
In der Prisensache betreffend Ladungsstücke des russischen
Dampfers „Ekaterinoslav" wird, wie folgt, entschieden:
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Die auf dem Dampfer „Ekaterinoslav" verladenen Güter, nämlich
l Kiste Musikinstrumente, 1 Kollo Fabrikartikel, 4 Kolli Blasebälge und
anderes und 1 Kollo Kästen werden eingezogen.
Die Reklamation betreffend die Fracht für die Güter und Reise-
kosten wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die in der Urteilsformel verzeichneten Güter sind auf dem
russischen Dampfer „Ekaterinoslav'' verladen und von der Filiale der
deutschen offenen Handelsgesellschaft Kunst & Albers in Wladi-
wostok an die Filiale derselben Firma in Odessa versandt worden. Auf
der Reise dahin wurden sie am 6. Februar 1904, nach 9 Uhr vormittags,
3 Seemeilen nördlich von dem koreanischen Hafen Fusan, von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Saiyen" zusammen mit dem genannten Schiff
beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage des
Vertreters des Kommandanten der „Saiyen'', Kapitän leutnants Yoshi-
mura Shinsei, das Schiffszertifikat der „Ekaterinoslav", die Fracht-
briefe und die Vemehmungsprotokolle des Kapitäns George Se-
letzky, des ersten Offiziers Wladimir Kisimoff und des zweiten
Offiziers Peter Rübakoff des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Reklamanten sind fol-
gende :
Die zur Verhandlung stehenden Güter stünden im Eigentum der
von dem Reklamanten vertretenen offenen Handelsgesellschaft Kunst
& Albers, und sie seien, da die genannte Firma eine neutrale deutsche
Fimia sei. neutrales Gut. Neutrales Gut auf feindlichem Schiff könne,
abgesehen von Kriegskonterbande, nicht eingezogen werden. Es werde
daher Freigabe der gesamten zur Verhandlung stehenden Güter, welche
keine Konterbande sei, beantragt.
Femer werde Erstattung der Fracht für die zur Verhandlung
stehenden Güter im Betrage von 64 Rubel 37 Kopeken und der aus
Anlaß des Erscheinens des Reklamanten vor dem Prisengericht ver-
auslagten Reisekosten von 50 Yen beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts sind folgende :
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien, wenn sie auch im
59
Al^schnitt VI^^ Prisongerichtsontscheidungen : „Ekaterinoslav".
Eigentum einer neutralen Person stünden, offenbar feindlich, weil sie
von dem feindlichen Wladiwostok nach dem feindlichen Odessa ver-
schifft worden seien.
Feindliches Gut auf feindlichem Schiff unterliege aber, gleich-
gültig ob es Konterbande sei oder nicht, der Einziehung.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach dem geltenden Völkerrecht kann feindliches Out auf feind-
lichem Schiff, gleichviel ob Konterbande oder nicht, zu Kriegszeiten
eingezogen werden. Ob Güter feindlich sind oder nicht, bestimmt sich
nicht nach der Nationalität des Eigentümers, sondern nach seinem Wohn-
sitz und bei Kaufleuten nach dem Ort, an welchem sie ihre Handels-
niederlassung haben. 1)
Die Eigentümer der zur Verhandlung stehenden Güter, die Firma
Kunst & Albers, ist freilich eine deutsche Firma, sie betreibt
indes in Wladiwostok und,. Odessa mit eigenen Filialen Handelsgeschäfte.
Da die zur Verhandlung stehenden Güter von der Filiale der genannten
Firma in Wladiwostok an die Filiale derselben Firma in Odessa ver-
schifft wurden, so ist es erwiesen, daß sie feindliche Güter sind.
Als solche müssen die zur Verhandlung stehenden Güter, weil
sie auf dem feindlichen Dampfer „Ekaterinoslav" verladen und nach dem
Eintreten des Kriegszustands zwischen Japan und Rußland beschlag-
nahmt worden sind, wenn sie auch keine Konterbande sind, eingezogen
werden. 2)
Was den Antrag betreffend die Fracht- und Reisekosten angeht,
so liegt die Entscheidung hierüber nicht im Bereich des Prisengerichts,
und die Reklamation über diesen Punkt muß abgewiesen werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1Q04 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Filiale der offenen Handelsgesellschaft Kunst
& Albers in Nagasaki, Oura Nr. 8, vertreten durch den Prokuristen
A. Gese.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Na-
gasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend Ladungsstücke des am 6. Februar 1904 bei Fusan
1) V §§ 8, 3 u. 4. - 2) V § 42, 2.
60
PrJsengerichtsontBchoidungon : „Ekaterinoslav*^ Abschnitt VI ^^
in Korea von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Saiyen" beschlagnahmten,
der russischen Gesellschaft der freiwilligen Flotte gehörigen Dampfers
„Ekaterinoslav" ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der auf
diesem Dampfer verladenen folgenden Güter: 1 Kollo Musikinstrumente,
1 Kollo Fabrikartikel, 4 Kolli Blasebälge und sonstige Schmiedegeräte,
I Kollo Kästen, erkannt und die Reklamation für die Fracht dieser
Güter abgewiesen worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der Prokurist A. G e s e der
Filiale der offenen Handelsgesellschaft Kunst & Albers, durch den
Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi als Prozeßvertreter die Be-
rufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Kei-
roku und Jshiwatari Binichi im Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamatfon Ishi-
bashi Tomokichi und deren Begründung sind folgende:
1. Die Beschlagnahme der zur Verhandlung stehenden Güter sei
mit der Aufbringung des Dampfers „Ekaterinoslav" zusammen am 6. Fe-
bruar 1904, 9 Uhr vormittags, also während noch Frieden zwischen
Japan und Rußland bestand, erfolgt. Die Annahme der Entscheidung
erster Instanz, daß die Beziehungen zwischen Japan und Rußland am
5. Februar abgebrochen seien und der Kriegszustand bereits an diesem
Tage eingetreten sei, beruhe auf einer Entstellung der ihr zugrunde
liegenden Tatsachen. Außerdem sei es eine unzureichende Begründung,
«enn man einfach den 5. Februar nenne, ohne die Stunde genau an-
zugeben. Nach dem von dem Minister der Auswärtigen Angelegen-
heiten, K o m u r a , veröffentlichten Protokoll über die diplomatischen
Verhandlungen sei das Telegramm, welches die Instruktion für den in
St. Petersburg akkreditierten Gesandten Kurino bezüglich des Ab-
bruchs der diplomatischen Beziehungen mit der russischen Regierung
enthalten habe, am 5. Februar, nachmittags; 2 Uhr, abgesandt worden.
Diese Mitteilung sei der russischen Regierung von dem genannten Ge-
sandten am 6. Februar, 4 Uhr nachmittags, abgegeben worden. Daher
habe am 5. Februar noch kein Kriegszustand bestanden. Dieses Tele-
gramm des Ministers der Auswärtigen Angelegenheiten stelle nur die
interne Mitteilung des Willens der Japanischen Regierung dar, sei aber
noch keine Verlautbarung derselben nach außen. Erst am 6. Februar,
4 Uhr nachmittags, sei diese Absicht, die diplomatischen Beziehungen
abzubrechen, von dem japanischen Gesandten der russischen Regierung
gegenüber zum Ausdruck gebracht worden. Daß am 5. Februar noch
kein Krieg bestanden habe, gehe auch aus der Tatsache hervor, daß die
Zollbehörde in Nagasaki an diesem Tage für den Dampfer Mukden^)
und dessen Ladung die Ausklarierungspapiere ausgestellt habe.
") „Mukden" ist ein russischer Dampfer gewesen. (VI. 2 b.)
61
Abschnitt VI^^» Prlsengerichtsentscheidungen : „Ekaterinoslav*'.
2. Der Ort, an welchem der in Frage stehende Dampfer und seine
Ladung aufgebracht worden seien, liege 3 Seemeilen nörlich von Fusan
in Korea. Korea habe aber vor Abbruch der diplomatischen Beziehungen
zwischen Japan und Rußland sich für neutral erklärt und habe bis zum
Abschluß der Allianz mit Japan am 27. Februar 1904 diese Stellung
gewahrt. Es bedürfe daher nicht vieler Worte, um darzutun, daß die
zur Verhandlung stehende Beschlagnahme, weil der Ort, an dem sie
vollzogen worden sei, nach dem Völkerrecht in dem Hoheitsgebiet eines
neutralen Staates liege, rechtswidrig sei.
3. Wenn man aber annehme, Korea sei nicht neutral, so hätten
in seinen Hoheitsgewässern, in derselben Weise wie in den japanischen,
die zur Verhandlung stehenden Güter den Schutz der §§ 3. und 1 der
Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904*) erhalten und der
Beschlagnahme entgehen müssen.
4. Da der Absender der zur Verhandlung stehenden Güter von dem
Eintritt des Kriegszustands zwischen Japan und Rußland keine Kenntnis
gehabt habe, so stehe es außer Zweifel, daß er keine böse Absicht,
Japan zu schädigen und dem Feind zu nützen, gehabt habe. Daher
müßten die zur Verhandlung stehenden Güter in dem von den Ar-
tikeln 6, 23 und 30 der von dem internationalen Völkerrechtskongreß
im Jahre 1882 beschlossenen und den Regierungen der Mächte unter-
breiteten Seeprisenordnung vorgeschriebenen Sinne behandelt werden.
Denn das Völkerrecht besitze keine besondere gesetzliche Formulierung,
sondern entnehme seine Grundsätze den Ansichten einer Anzahl der
Gelehrten und den von einer Anzahl der Staaten anerkannten Rechts-
regeln.
5. Da der Krieg ein Verhältnis zwischen Staaten begründe, zu dem
die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden, so müsse in der-
selben Weise wie auf dem Lande der Grundsatz der Unverletzlichkeit
des Privatvermögens auch für die See zur Ausführung kommen und
es müsse anerkannt werden, daß Privatvermögen, wenn es auch im Eigen-
tum feindlicher Staatsangehöriger stehe, nicht zum Objekt einer Weg-
nahme gemacht werden dürfe. Reklamant hoffe daher, daß Japan mit
den bisher als Gewohnheit befolgten schlechten Präzedenzen, feindliches
Gut zur See wegzunehmen, im Interesse der Humanität und des Friedens
aufräumen werde und den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privat-
vermögens zur Ausführung bringen werde.
6. Absender und Empfänger der zur Verhandlung stehenden Güter
hätten freilich ihren Wohnsitz in feindlichem Gebiet, seien aber von neu-
traler Nationalität. Daher seien die Güter Eigentum Neutraler und
könnten nicht eingezogen werden.
62
Prisengerichtsentscheidungen: „Ekaterinoslav^^ Abschnitt VIi^
7. Der durch unrechtmäßiges Vorgehen des Staats von dem
Reklamanten tatsächlich erlittene Schaden müsse von dem betreffenden
Staat billiger^'-eise ersetzt werden, und das Prisengericht sei zur Ent-
scheidung zuständig, da ein Antrag auf Ersatz des Schadens aus einer
Beschlagnahme unter den Begriff „Prisenangelegenheiten" des § 1 der
Prisengerichtsordnung*) falle.
Aus diesen Gründen werde beantragt, daß unter Verwerfung des
Urteils erster Instanz eine Entscheidung gefällt werde, auf Grund deren
die in dem Tenor des erstinstanzlichen Urteils aufgeführten Güter frei-
gegeben würden und dem Staate der Ersatz der Frachtkosten von 64
Rubel 37 Kopeken auferlegt werde.
Die Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisengericht in Sasebo,
Yamamoto Tatsurokuro, ist folgende:
1. Der Reklamant sage in seinem ersten Beruf ungspunkte :
Da der Dampfer „Ekaterinoslav" von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Saiyen" am 6. Februar 1904, 9 Uhr vormittags,
beschlagnahmt worden sei, so sei diese Beschlagnahme, weil
vor Eintreten des Kriegszustands zwischen Japan und Ruß-
land, geschehen. Die Annahme des Urteils erster Instanz,
daß der Kriegszustand mit Absendung der Mitteilung be-
treffend den Abbruch der Beziehungen am 5. Februar ein-
getreten sei, sei eine Entstellung der Tatsachen.
Darauf sei zu erwidern, daß Rußland während der diplomatischen
Veihandlungen über die koreanisch-mandschurische Frage auf der einen
Seite absichtlich seine Antwort hingezögert, auf der anderen zu Land
und zu Wasser sich zum Kriege gerüstet und, als diese Rüstungen
vollendet gewesen, seine Truppen zu Wasser und zu Lande vorgeschoben
iiabe, um Japan zu erdrücken. Daraus, daß das Port Arthur-Geschwader
«ich schon gefechtsklar vor dem Hafen gesammelt habe, sei es klar ge-
worden, daß Rußland sich zum Kampfe entschlossen habe. So habe
Japan schließlich die Beziehungen abgebrochen, seinen Gesandten aus
Rußland zurückgezogen und am selben Tage dem Geschwader Befehl
gegeben, die feindliche Flotte aufzusuchen und anzugreifen. Daraufhin
i6 unsere vereinigte Kriegsflotte am 6. Februar, 7 Uhr vormittags, von
Sasebc» aufgebrochen. Dies sei die Antwort auf die russische Heraus-
forderung gewesen. Da die beiden Geschwader derartig in Gefechts-
bereitschaft einander gegenüber gestanden, so hätten, wenn sie auch
nicht miteinander in Berührung gekommen wären und noch kein
Kanonenfeuer ausgetauscht hätten, die Feindseligkeiten damit bereits
begonnen und der Kriegszustand seinen Anfang genommen. Daß daher
das Geschwader auf seiner Fahrt ein feindliches Schiff beschlagnahmt
•) IV.
63
Abschnitt ITI^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Eicaterinoslav".
habe, sei eine durchaus rechtmäßige Ausübung seiner kriegsrechth'chen
Befugnisse gewesen.
2. Der Reklamant behaupte,
daß der Ort der Beschlagnahme 3 Seemeilen nördlich von
Fusan in Korea, also in neutralem Hoheitsgewässer, liege,
und daß die Beschlagnahme ungerechtfertigt sei.
Aber nach dem jetzt geltenden Völkerrecht liege ein Ort in 3 Seemeilen
Entfernung vom Lande in der offenen See, nicht im Gebietsgewässer.
Aber selbst angenommen, er liege im Gebietsgewässer und Korea sei ein
neutraler Staat, so stehe doch das Recht der Beschwerde gegen Ver-
letzung der Neutralität ausschließlich dem betreffenden Staat zu und
könne keinenfalls als Grund für die Freilassung eines feindlichen Schiffes
oder seiner Ladung geltend gemacht werden.
3. Die erste Hälfte des dritten Punktes der Berufung sei durch das
in der vorigen Ziffer Gesagte bereits erledigt. Des weiteren mache der
Reklamant Anspruch auf die Vergünstigung der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20. Da aber diese Verordnung am 9. Februar veröffentlicht und
von diesem Tage an in Kraft zu treten bestimmt gewesen sei, so sei nach
allgemeinen Rechtsanschauungen offenbar, daß sie auf einen in der
Vergangenheit liegenden Fall keine Anwendung finden könne.
4. Der Reklamant bringe vor,
der Absender der zur Verhandlung stehenden Güter habe
weder zur Zeit der Verschiffung derselben in Wladiwostok
noch auch danach bis zur Beschlagnahme von dem Eintreten
des Kriegszustands Kenntnis gehabt, daher seien die Güter
nach der von dem Völkerrechtskongreß in Turin be-
schlossenen Seeprisenordnung freizugeben.
Das Völkerrecht heiße indes die Wegnahme feindlicher Schiffe und Güter
gut ohne Rücksicht auf Kenntnis oder Unkenntnis von dem Kriegs-
zustand. Die Beschlüsse des Gelehrtenkongresses in Turin könnten
nicht als Völkerrecht anerkannt werden und fänden daher auf den vor-
liegenden Fall keine Anwendung.
5. Der Reklamant sage,
es entspreche nur unparteiischer Gerechtigkeit, daß das Privat-
vermögen wie auf dem Lande so auch zur See als unverletzlich
angesehen werde und er erwarte daher die Verwirklichung
dieses Grundsatzes.
Da jedoch das Völkerrecht gebildet werde durch die von den zivilisierten
Mächten allgemein anerkannten und in ihrem Verkehr untereinander
von ihnen selbst befolgten Rechtsbestimmungen, so sei es unmöglich,
daß Japan allein den genannten Grundsatz, wenn er auch der Billig-
keit entsprechen möge, annehme.
€4
PrftMierichtsentscheidungen: „Ekaterinoslav". Abschnitt VI^i»
6. Der Reklamant führe an,
daß das Urteil erster Instanz die Landeszugehörigkeit der
Waren unter Verwerfung des Nationalitätsprinzips nach dem
Domizilprinzip bestimmt habe. Aus dem Domizilprinzip
würde indes die seltsame Ansicht zu folgern sein, daß ein
Japaner, welcher in Rußland lebe, als Feind anzusehen sei.
Dies vertrage sich nicht mit dem nationalen Gedanken des
japanischen Staats.
Da aber Out, welches im Feindesland sei, gleichgültig in wessen Eigen-
tum, als Vermögensquelle des feindlichen Staats dem feindlichen Krieger
zugute komme, so sei es nicht schwer einzusehen, daß der Charakter
solchen Guts feindlich sei. Daher sei das Domizilprinzip als das den
Verhältnissen am besten entsprechende von Japan angenommen, und
die auf Grund desselben gegebene Entscheidung sei richtig.
7. Der Reklamant sei der Ansicht, daß der Reklamationspunkt
betreffend den Schadensersatz unter den Ausdruck „Prisenangelegen-
heiten" des § 1 der Prisenordnung falle, und die Abweisung desselben
ungerechtfertigt sei. Es gehe indes aus der Prisenordnung deutlich
hervor, daß das Prisengericht sich mit der Untersuchung über die
Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit von Prisen und mit der Ent-
scheidung über Wegnahme oder Freigabe zu beschäftigen und in einer
rein zivilrechtlichen Frage, wie der eines Schadensersatzes, nicht zu
befinden habe. Daß Prisenangelegenheiten Ansprüche, wie die auf
Schadensersatz, umfassen sollten, müsse als eine willkürliche Behauptung
abgewiesen werden.
Aus diesen Gründen sei die Berufung ungerechtfertigt und müsse
abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Zeitpunkt des Beginns des Kriegszustands ist nicht unbedingt
der Augenblick, wo die beiden streitenden Mächte das erste Kanonen-
feuer wechseln. Wenn auch nur durch weniger drastische Ausführung
der Kriegsabsicht oder durch Abgabe einer Kriegserklärung oder einer
derselben gleichstehenden Mitteilung der Wille zu kämpfen offenbart
Torden ist, so ist mit diesem Zeitpunkt der Kriegszustand als eingetreten
zu erachten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen betreffend
die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Chinas und Koreas Ruß-
land durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf
Erhaltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende
Kriegsrüstungen seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen,
klar bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres
1904 eine Instruktion bezüglich Abbruchs der diplomatischen Be-
ziehungen an unseren Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser
Mar itrand-Meohlen barer, Das i*paniflche Prisonreclit. Band I. (5) 65
Abschnitt VH^ PrisengdrichtsentscheiduAgen: „Ekaterinoslav'^
Kriegsgeschwader seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage,
dem 6. Februar, mit der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von
dem Kriegshafen Sasebo ab und nahm auf der Fahrt, also während
der Kriegszeit, das, wie bekannt, für den Kriegsgebrau'ch der feindlichen
Regierung bereit zu stellende hier in Frage stehende Schiff in Beschlag.
Dies war eben nichts anderes als eine solche Ausführung der Kriegs-
absicht, und man muß sagen, daß der japanisch-russische Krieg mit
diesem Zeitpunkt seinen Anfang genommen hat.
Daher ist Punkt 1 der Berufung, welcher behauptet, daß die zur
Verhandlung stehenden Güter vor der Kriegseröffnung beschlagnahmt
seien und daher die Beschlagnahme rechtswidrig sei, unbegründet.
Korea hat für den Krieg zwischen Japan und Rußland von Anfang
an zu der Landung der japanischen Truppen in seinem Gebiet und dem
Passieren derselben seine Zustimmung gegeben. Auch hat sich der
Krieg anfangs innerhalb des Hoheitsgebiets von Korea abgespielt. Daher
kann Korea nicht als neutral im gewöhnlichen Sinne des Worts erachtet
werden. Wenn der Reklamant demnach aus dem Orte der Beschlag-
nahme die Wirkungslosigkeit derselben ableiten will, so ist schon die
Grundlage seiner Behauptung irrig, und damit fällt dieser Berufungs-
punkt hin.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 schafft mit
Bezug auf die Beschlagnahme feindlicher Schiffe eine besondere Ver-
günstigung, welche russischen Schiffen, die zur Zeit ihres Inkrafttretens
in japanischen Häfen lagen oder vor dem 9. Februar von einem aus-
ländischen Hafen nach einem japanischen Hafen abgefahren waren,
zugute kommen sollte. Daher kann ein Eigentümer von Ladung auf
dem Dampfer „Ekaterinoslav", welcher von Wladiwostok nach Odessa
fuhr, diese Verordnung nicht geltend machen und die Güter können
der Beschlagnahme nicht entgehen.
Die internationalen Gebräuche erblicken darin, daß die Kriegs-
eröffnung unbekannt war und daß die Absicht, den kriegführenden
Staaten zu schaden oder zu nützen, nicht vorlag, keinen Grund, weshalb
Güter mit feindlichem Charakter der Wegnahme entgehen sollten.
Des weiteren ist es völkerrechtlich anerkannt, daß der Grundsatz
der Unverletzlichkeit des Privatvermögens für die See nicht, wie im
Landkrieg, zu beobachten ist.
Was femer die von dem Reklamanten angezogenen Beschlüsse
eines internationalen Völkerrechtskongresses angeht, so ist ihre Durch-
führung lediglich der Wunsch einer Körperschaft bedeutender Gelehrter,
welcher noch der völkerrechtlichen Forschung unterzogen wird, und
sie haben nicht die Geltung von Vorschriften, die der vorliegenden
•Entscheidung zugrunde gelegt werden müßten^
Auch ist es von der völkerrechtlichen Praxis anei^kannt, daß die
66 .
Prjsengerichtsentscheidungen: „Mukden". Abschnitt VI^»
Landeszugehörigkeit von Gütern nach dem Domizilprinzip entschieden
werden kann, und das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies der
Billigkeit entspricht.
Daher müssen die Punkte 3 — 6 der Berufung abgewiesen werden.
Die Befugnisse eines Prisengerichts gehen über die in der Prisen-
ordnung bestimmte Untersuchung und Entscheidung über die Frage
der Rechtmäßigkeit von Prisen nicht hinaus. Angelegenheiten, wie mög-
licherweise aus Beschlagnahmen entstehende Schadensersatzansprüche^
liegen dagegen außerhalb seiner Kompetenz. Daher ist die Ablehnung
des sich hierauf beziehenden Reklamationspunktes seitens des Gerichts
erster Instanz zutreffend und auch dieser Berufungspunkt unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. Mai 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In Sachen des am 6. Februar 1904, 2 Uhr 45 Minuten nachmittags,
im Hafen von Fusan von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff
„Heiyen" beschlagnahmten russischen Handelsschiffs „Mukden" und
seiner Ladung wird bezüglich der in dem besonders beigefügten Ver-
zeichnis aufgeführten Güter nach Einsicht des Schriftsatzes des Staats-
anwalts, wie folgt, entschieden.
Bezüglich der in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten, von
der Firma Holme, Ringer&Co. verschifften und für O r i n e f f be-
stimmten Güter, nämlich einer Kiste Bettgestelle und einer Kiste Bett-
matratzen, welche in Nagasaki auf der „Mukden'' mit Bestimmung nach
Wonsang in Korea verladen waren; sowie bezüglich der von der Firma
Mactavish & Lehmann verschifften, für Wakefield bestimmten
einen Kiste Arzneiwaren, welche in Shanghai auf dem genannten Dampfer
mit Bestimmung nach Wonsang verladen war, muß nach den Angaben
des Ladungsverzeichnisses und nach der Natur der Waren angenommen
Verden, daß dieselben dem in Korea ansässigen Grineff beziehungs-
weise Wakefield gehören.
Bezüglich femer des von Matsumoto an Matsumoto ver-
schifften Geldschranks sowie bezüglich der von MoriyaanNishijima
verschifften Güter, nämlich eines Kollo Schirme und acht anderer Waren-
sorten, welche in Nagasaki mit Bestimmung nach Wonsang in Korea
verladen waren, muß angenommen werden, daß sie im Eigentum von
japanischen Staatsangehörigen stehen, die in Korea ansässig sind.
(5-) 67
Abschnitt VI«»»
Prisengeiichtsentscheidungen : „Mukden'^
Daher werden alle diese Güter, unbeschadet der Rechtmäßigkeit
ihrer Beschlagnahme, weil keine besonderen Gründe für ihre Einziehung
vorliegen, sofort freigegeben. ^)
Gegeben am 24. Februar 1Q04.
(Unterschriften.)
Qüterverzeichnis«
Name der Güter
Zahl
Absender
Empfänger
Eiserne Bettstellen . .
1 Kiste
Holme, Ringer & Co.
Grineff
Bettmatratzen dazu .
1 Kiste
do.
do.
Eiserner Geldschrank
1 Stück
Matsumoto
Matsumoto
Schirme
1 Kollo
Moriya
Nishijima
Nahrungsmittel
1 Kiste
do.
do.
Bücher . . .
1 Kiste
do.
do.
Schinken
1 Kiste
do.
do.
Äpfel . . .
2 Kisten
do.
do.
Bambus . .
69 Bund
do.
do.
Bauholz . .
2 Kisten
do.
do.
Porzellan
1 Kiste
do.
do.
Wachskerzen
1 Kiste
do.
do.
Arzneiwaren
1 Kiste
Mactavish & Lehmann
Wakefield
Reklamant: Die ostchinesische Eisenbahngesellschaft in St.
Petersburg, vertreten durch den Vizepräsidenten Wenzel.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
In der Prisensache betreffend den russischen Dampfer „Mukden"
und die auf demselben verschiffte Ladung wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Mukden" und die in dem beigefügten Ladungs-
verzeichnis unter Nr. 1 bis 45, 47 bis 52 und 54 bis 56 aufgeführten
Güter werden eingezogen, die unter Nr. 46 und 53 aufgeführten Güter
werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Mukden" ist Eigentum
der russisch-ostchinesischen Eisenbahngesellschaft, sein Heimatshafen ist
der russische Pachthafen Dalny in China, er führt die russische flagge
0 V §§ 8. 3 und 4.
68
PriMngericbtsentscheidungen ; „Mukden", Abschnitt VI>i»
und dient zum Transport von Passagieren, Gütern und Postsachen
zvischen Shanghai in China, Fusan in Korea, Nagasaki in Japan und
Wladiwostok in Rußland. Am 5. Februar verließ der Dampfer den
Hafen von Nagasaki mit Bestimmung nach Wladiwostok und wurde
am 6. desselben Monats während seines Aufenthalts im Hafen von
Fusan um 2*^ nachmittags von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen"
beschlagnahmt. Unter der Ladung, welche ohne Ausnahme für
Empfänger in Wladiwostok bestimmt war, befinden sich eine Kiste
für amtlichen Gebrauch bestimmte Registerpapiere und ein Kollo Flaggen,
welche dem in Wladiwostok ansässigen französischen Handelsagenten
gehören.
Diese Tatsachen hat nicht nur der Reklamant anerkannt, sondern
sie gehen auch hervor aus dem Protokoll des Stellvertreters des Kom-
mandanten des Kriegsschiffes „Heiyen", Kapitänleutnants Yoshimura
Shinsei, aus den Vernehmungsprotokollen des ersten Offiziers der
„Mukden*', Serge Wiszniowski, und des zweiten Offiziers, A 1 e x -
ander Iwano witsch Kanajeff, aus dem Schiffsjournal, dem
Ladungsverzeichnis, den Ausklarierungspapieren des Zollamts in Naga-
saki, dem Permit der Nagasaki Quarantäne-Station, aus den Protokollen
der mündlichen Verhandlungen in Sachen der Reklamationen Nr. 6 und
Nr. 12 1) betreffend die Beschlagnahme des Dampfers „Mukden" und den
Aussagen des französischen stellvertretenden Vizekonsuls in Nagasaki
0. Goudareau.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
1. Japan und Rußland seien in den Kriegszustand eingetreten mit
der Seeschlacht bei Port Arthur am 8. Februar 1904 und nicht mit der
Mitteilung Japans an Rußland über den Abbruch der diplomatischen Be-
ziehungen. Daher habe die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme
zu einer Zeit stattgefunden, die vor dem Eintreten der beiden Mächte
in den Kriegszustand liege, und das Schiff müsse daher freigelassen
«erden.
2. Selbst angenommen, die beiden Mächte seien zur Zeit der Mit-
teilung über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen in den Kriegs-
zustand eingetreten, so müsse doch, da diese Mitteilung durch den Ge-
sandten Kurino am 6. Februar, 4 Uhr nachmittags, stattgefunden habe,
die Beschlagnahme aber am selben Tage um 2" p. m. vorgenommen
worden sei, also in eine vor Eintreten des Kriegszustandes liegende Zeit
falle, das Schiff freigegeben werden.
3. Nach der Pariser Seerechtserklärung vom Jahre 1856 könnten
Güter, welche Neutralen gehörten, nicht beschlagnahmt werden. Daher
») VI 2 c und g.
69
Abschnitt Vl^i» Prisengerichtsentscheidungen: ,,Mukden".
seien die in der Bekanntmachung des Staatsanzeigers als der Ostasiatischen
Gesellschaft gehörig verzeichneten Güter, weil sie der in Wladiwostok
ansässigen Firma Marcerou, Schreter&Co. gehörten, freizulassen.
4. Wenn das Schiff freigelassen werde, so müsse auch die Ladung
freigegeben werden.
5. Da die Beschlagnahme in den koreanischen Hoheitsgewässern
stattgefunden habe, so sei die Frage, ob Korea als neutral anzusehen
sei oder nicht, klarzustellen. Da ferner die Angehörigen kriegsführender
Staaten von dem Kriegszustand erst durch die Bekanntmachung der
Kriegserklärung erführen, so sei das zur Verhandlung stehende, vor der
Veröffentlichung des Kaiserlichen Erlasses bezüglich der Kriegserklärung
beschlagnahmte Schiff freizulassen. Ferner sei es freizugeben, weil der
Sinn der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 2) auf Schiffe,
welche, wie das vorliegende, vor Eröffnung des Krieges Japan verlassen
hätten und auf der Reise begriffen gewesen seien, zutreffe.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die eine für den französischen Handelsagenten bestimmte Kiste mit
Registerpapieren (amtlichen Schriftstücken) sowie ein Kollo Flaggen
seien freizugeben; das Schiff dagegen und die übrige Ladung sei, weil
sämtliche Anführungen des Reklamanten grundlos seien, einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Rußland hat während der diplomatischen Verhandlungen mit Japan
über die mandschurische und koreanische Frage seine Antwort beständig
verzögert und in Entsendung seiner Truppen in die Mandschurei und
nach Korea hinein sowie in der Konzentration seines Geschwaders nach
Port Arthur lebhafte kriegerische Tätigkeit entwickelt und seinen Ent-
schluß, den Kampf mit Japan aufzunehmen, deutlich gezeigt. Daraufhin
hat Japan am 5. Februar 1904 seine Erklärung an Rußland über den Ab-
bruch der diplomatischen Beziehungen abgesandt und sich zugleich
in Kriegsbereitschaft gesetzt. Am folgenden Tage, dem 6. Februar 1904,
7 Uhr morgens, brach die japanische Flotte zum Angriff des russischen
Geschwaders von Sasebo auf. Wenn man sich die Bewegungen der
beiderseitigen Geschwader und die allgemeine Situation zu der Zeit ver-
gegenwärtigt, so muß man sagen, daß die Feindseligkeiten bereits vor
der zur Verhandlung stehenden Beschlagnahme ihren öffentlichen An-
fang genommen hatten. Es ist daher klar, daß zur Zeit der Beschlag-
nahme der Kriegszustand bereits eingetreten waf, und die Frage, ob
die Kriegserklärung veröffentlicht war oder nicht, ist belanglos.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 3) begründet
eine ausnahtnsweise Vergünstigung der Befreiung von der Beschlagnahme
*) I. - •) I.
70
PriseDgerichtsentscheidungen : „Mukderi".
Abschnitt VI«*
lediglich für russische Handelsschiffe, welche sich in japanischen Häfen
befunden haben oder vor dem 9. Februar von einem ausländischen
Hafen nach einem japanischen Hafen aufgebrochen sind. Auf Schiffe
jedoch, welche, wie das vorliegende, vor dem genannten Tage von
einem japanischen Hafen nach einem feindlichen Hafen aufgebrochen
sind, kann die Vergünstigung dieser Kaiserlichen Verordnung nicht aus-
gedehnt werden.
Da ferner offenbar Korea tatsächlich kein neutrales Land ist, so
kann gegen die Berechtigung zur Ausübung einer Beschlagnahme in
ieinen Hoheitsgewässern nichts eingewendet werden.
Da deshalb die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Schiffes zu Recht geschehen ist, so ist dasselbe einzuziehen.*)
Was die Schiffsladung angeht, so ist die eine Kiste Registerpapiere
{amtliche Schriftstücke) und ein Kollo Flaggen, weil für den in amt-
licher Eigenschaft in Wladiwostok ansässigen französischen Handels-
agenten bestimmt, freizugeben. Die übrigen Güter sind jedoch, als
feindliche Güter auf feindlichem Schiff, sämtlich einzuziehen.*)
Der Vertreter des Reklamanten hat bezüglich der im Staatsanzeiger
als der Ostasiatischen Gesellschaft gehörig verzeichneten Güter geltend
gemacht, daß dieselben der in Wladiwostok ansässigen französischen
Firma Marcerou, Schreter & Co. gehörten, folglich als Eigentum
eines Neutralen und nicht als feindliche Güter zu behandeln seien.
Aber der Charakter von Gütern als feindlicher bestimmt sich nicht nach
der Nationalität, sondern nach dem Wohnsitz des Eigentümers«) und,
da der Eigentümer der Güter freilich französische Staatsangehörigkeit
besitzt, indes in Wladiwostok, d. h. im Gebiete des Feindes ansässig
ist und dort Handel treibt, so sind die Güter feindlich und können der
Einziehung nicht entgehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Ladungsverzeichnis des Dampfers „Mttkden'^
Nr
Güter
Stück
Absender
Empfänger
1
2
3
lOOOO Rubel ....
Musikinstrumente . .
Schreibmaschinen . .
1 Kiste
1 Kiste
10 Kisten
Russ.-Chines. Bank,
Nagasaki
Ahrens & Co.
Kunst & Albers
Russ.-Chin. Bank,
Wladiwostok
Kunst & Albers
*) V § 40. 1. - ») V § 40. 2. — 8) V §§ 8. 3 und 4.
71
Abschnitt VI«»»
PrisengeiichtsentscheMungen ; „Mukden'^.
Nr.
Güter
Stück
Absender
Empfänger
4
Walfischöl
5 Fafi
Graf Kayserling
Feger
5
Parfümerien ....
3 Kisten
Ahrens & Co.
6
Glasröhren
2 Kisten
1 Kiste
7
Glasgeräte
8
Senfsamen
2 Kisten
1 Kiste
1 Kiste
150 Kolli
75 Kisten
»1
ff
9
Gewürze
10
Bücher
11
Zitronen
12
Apfelsinen
13
Reis
lOOOSack
1 Kiste
Holme, Ringer & Co.
Boeddinghaus .
Choorin & Co.
14
Qlasgeräte
15
59 Kisten
100 „
Chu Yen Cheng.
16
Apfelsinen
Yuang Gee Tse
17
n .....
50 „
Yeng Kiung
Lieh Ta Hang
18
50 „
16 Kolli
Holme, Ringer & Co.
>)
19
Phonographennoten
20
Getrocknetes Obst . .
50 Kisten
»
21
n j» • •
10 Kolli
»
22
Getrocknete Pflaumen
200 Kisten
>i
23
Getrocknete Äpfel . .
99 „
»>
24
Drogen
1 Kollo
Boeddinghaus
Köhler, Apotheke
25
Maschinenteile . . .
1 Kiste
Ahrens & Co.
26
Notizbücher ....
1 Kollo
»>
27
Stahlgeräte ....
1 Kollo
Clarkson & Co.
Clarkson & Co.
28
Musikinstrumente . .
5 Kisten
Mess. Maritimes,
Shanghai
Schreter & Co.,.
Wladiwostok
29
Parfümerien ....
3 „
))
>»
30
Gußeiserne Möbel . .
5 „
>>
»»
31
Telegraphenapparate .
1 Kiste
Great Northern
Shanghai
Telegraph Co.,
Wladiwostok
32
Phonographenröhren .
2 Kisten
Giyumann & Co.
Yumpozan
33
Zinkblech
22 Stück
P. 0. & Co.
M
34
Teeproben
1 Kiste
Siemssen & Co.
Kunst & Albers
35
Nägel
1768 Faß
Shewan, Tomes & Co.
1)
36
Wagen ......
45 Kisten
))
>»
37
Porzellangegenstände .
2 Kolli
Siemssen & Co.,
Shanghai
Kunst & Albers»
Wladiwostok
38
1 Kollo
)>
39
Eisenwaren ....
17 Kisten
n
40
»»
. .
6 „
n
41
Äxte ....
300Stück
42
Bücher . . .
1 Kiste
1 Stück
'
43
Maschinenteile
• •
»
72
Prisragerichtsentscheldiuigen: „Mukden'^
Abschnitt VI«>>
Nr.
Güter
Stück
Absender
•
Empfänger
44
Muster u. Verzeichnisse
1 Kiste
Siemssen & Co.
Kunst & Albers
45
Margarine
1 „
>>
))
46
Registerpapiere . . .
1 „
East Asiatic Co.,
Shanghai
»
47
Öl
1 Faß
n
48
Essig
1 „
j>
49
Konserven
25 Kisten
))
50
Geldschränlce u. Zubehör
4 „
>>
51
>» i>
2 „
)}
52
Fabrikartikel
12 „
Carlowitz & Co.,
Shanghai
Kunst & Albers,
Wladiwostok
53
Flaggen
1 Kollo
Mess. Maritimes,
Shanghai
Schreter & Co.,
Wladiwostok
54
i>
1 „
P. 0. & Co,
Adolsruk
55
i>
1 „
))
Ovesen
56
Gasbrenner ....
1 „
TradingCo., Shanghai
Taylor,
Wladiwostok
Reklamant: Die ostchinesische Eisenbahngesellschaft in St.
Petersburg, Rußland, vertreten durch den Vizepräsidenten WenzeL
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10.
Am 26. Mai hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisensache
betreffend den am 6. Februar 1904 im Hafen von Fusan von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen" aufgebrachten russischen Dampfer
.,Mukden" und dessen Ladung auf Einziehung des Dampfers und die
in dem, dem Urteil beigefügten, Ladungsverzeichnis unter Nr. 1 bis 45,
47 bis 52, 54 bis 56 aufgeführten und auf Freigabe der unter Nr. 46
und 53 aufgeführten Güter entschieden.
Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt NagashimaWashi-
laro als Prozeßvertreter der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft, ver-
treten durch den Vizepräsidenten Wenzel, die Berufung eingelegt.
Dieselbe ist von dem Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi geprüft worden.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Nagashima Washitaro sind folgende: Es werde Aufhebung des
Urteils erster Instanz, soweit auf Einziehung erkannt sei, und Freilassung^
des Dampfers und dessen Ladung beantragt, und zwar aus folgenden
Gründen :
73
Abschnitt Vl^b Prisengerichtsentscheidungen: „Mukden".
1. Da die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Dampfers
im Hafen von Fusan am 6. Februar 1904, 2*^ nachmittags, stattgefunden
habe, der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland aber erst am
8. Februar desselben Jahres, nämlich mit der Seeschlacht bei Port Arthur,
eingetreten sei, so sei die Beschlagnahme, weil früher geschehen, un-
gerechtfertigt.
2. Selbst wenn man aber das Eintreten des Kriegszustands auf
den Zeitpunkt der Mitteilung von dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen verlege, so sei doch, da der Gesandte Kur in o diese
Mitteilung dem russischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten
am 6. Februar, nachmittags 4 Uhr, gemacht habe, die Beschlagnahme
vor Eintreten des Kriegszustandes ausgeübt worden, und deshalb müsse
die Freilassung erfolgen.
3. Die unter der Ladung befindlichen, in der Bekanntmachung
des Staatsanzeigers als der ostasiatischen Gesellschaft gehörig verzeich-
neten Güter seien von der Firma Marcerou, Schreter & Co. auf
einem der französischen ostasiatischen Gesellschaft gehörigen Dampfer
für Wladiwostok verschifft und auf die „Mukden" umgeladen worden.
Da diese Güter am Bestimmungsorte gegen Aushändigung der Kon-
nossemente zu überantworten gewesen wären, so seien sie, solange
sie noch nicht im Bestimmungshafen angekommen seien, noch Eigentum
des Absenders. Es sei auch besonders zu bemerken, daß die Güter
von dem Absender auf einem französischen Postdampfer verschifft und
daß sie nur zufällig auf ein feindliches Handelsschiff umgeladen worden
seien.
4. Ebenso seien die unter Nr. 31 aufgeführten Güter Eigentum
der dänischen „Great Northern Telegraph Company", sie seien gegen
Aushändigung des Konnossements auszuliefern und stünden, solange
sie noch nicht im Bestimmungshafen angekommen seien, noch im
Eigentum des Absenders.
5. Im Falle der Freilassung des Schiffes müßten auch die auf dem-
selben verschifften Güter freigelassen werden.
6. Da das zur Verhandlung stehende Schiff im Hafen von Fusan
aufgebracht worden sei, so sei es bei Abgabe eines prisengerichtlichen
Erkenntnisses von Wichtigkeit, zu entscheiden, ob Korea ein neutraler
oder für die Kriegszeit mit Japan verbündeter Staat sei. Bedauerlicher-
weise habe aber das Urteil des Prisengerichts von Sasebo die völker-
rechtliche Stellung Koreas nicht klargelegt.
7. Die russischen Staatsangehörigen hätten, solange die Kriegs-
erklärung nicht veröffentlicht sei, keine Gelegenheit gehabt, von der-
selben Kenntnis zu erlangen. Daher sei die Beschlagnahme des hier
verhandelten Dampfers, welche vor der Veröffentlichung dieser Kriegs-
erklärung stattgefunden habe, ungerechtfertigt.
74
Priaengerichtsentscheidungen: y,Mukden". Abschnitt VI^i»
8. Da der Dampfer am 5. Februar 1Q04 von Nagasaki aufgebrochen
und am 6. des&lben Monats, 2** nachmittags, während seines Aufenthalts
in Fusan beschlagnahmt worden sei, so müsse er, wenn man den wahren
Sinn der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 auf ihn an-
wende, freigegeben werden.
9. Die in dem, dem Urteil des Prisengerichts zu Sasebo beigefügten
Ladungsverzeichnis unter Nr. 28 bis 30 und 46 bis 51 aufgeführten Güter
seien Eigentum von Bürgern der neutralen französischen Republik, die
unter Nr. 28 bis 30 verzeichneten Güter seien auf einem Dampfer der
.Messageries Maritimes, die Güter unter Nr. 46 bis 51 auf einem Dampfer
der französischen ostasiatischen Gesellschaft verschifft worden und erst
in Shanghai auf die „Mukden" umgeladen. Wenn diese Umladung auf
einen russischen Dampfer nicht stattgefunden hätte, würden die Güter
dem Unfall der Beschlagnahme entgangen sein. Das Sasebo-Prisengericht
habe diesen Punkt gar nicht in Erwägung gezogen, und der Reklamant
könne sich damit nicht einverstanden erklären.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts des Sasebo-
Prisengerichts, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland sei mit der Zeit
eingetreten,, wo die beiden Kriegsflotten Vorbereitungen zum Kampf
getroffen hätten, und man könne aus der Tatsache, daß sie kein Feuer
ausgetauscht hätten, nicht die Behauptung ableiten, daß sie nicht schon
öffentlich feindlich einander gegen übergetreten wären. Das russische
Geschwader habe in der Absicht, unser Geschwader anzugreifen, seine
Vorbereitungen getroffen und sei am 4. oder 5. Februar aus dem
Hafen von Port Arthur ausgelaufen. Unser Geschwader seinerseits
sei. um einen Gegenangriff zu machen, am 6. Februar, morgens 7 Uhr,
von dem Kriegshafen Sasebo aufgebrochen. Damit sei zwischen den
beiden Landern der Kriegszustand begründet gewesen.
Es sei ein allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz, daß mit der
Übergabe der Güter an einen Seeverfrachter die Gefahr des Seetransports
und das Eigentum an den Gütern auf den Empfänger übergingen.
Dadurch, daß die Güter auf der Reise auf einen anderen Dampfer
umgeladen worden seien, habe sich in der Vermutung bezüglich des
E^ientutnsrechts nichts geändert.
In der Tatsache, daß die Güter am Bestimmungsort gegen Aus-
lieferung der Konnossemente zu übergeben seien, könne man keineswegs
einen besonderen Vertrag erblicken, welcher den Übergang des Eigen-
tumsrechts aufschiebe, denn diese Tatsache sei ganz allgemeine kauf-
männische Übung.
Es sei gerechtfertigt, daß die Güter, welche nach Feindesland
bestimmt und auf feindlichem Schiff verladen worden seien, als feind-
liche betrachtet worden wären.
75
Abschnitt ITltb Prisengeiichtsentscheidungen: „Mukden"«
Es sei zweifellos richtig, daß im Falle, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff freigegeben würde, auch die auf demselben verschifften
Güter freizugeben seien, aber da die Aufbringung von feindlichen Schiffen
und Gütern eine rechtmäßige Betätigung des Rechts der Kriegführung
sei, so könnten sie auch in diesem Falle der Beschlagnahme nicht ent-
gehen.
Was die Behauptung, Korea sei zurzeit kein neutrales Land,
angehe, so gründe sich dieselbe auf der mandschurisch-koreanischen
Frage. Das bekanntlich den Kern dieser Frage bildende Bestreben, die
Integrität der Mandschurei und Koreas aufrechtzuerhalten, habe zur
offenbar notwendigen Folge, daß Korea ebenso wie die Mandschurei
tatsächlich den Kriegsschauplatz darstelle.
Ferner sei Unkenntnis feindlicher Schiffe oder Güter von dem
Bestehen des Kriegszustands kein Grund, weshalb dieselben der Auf-
bringung nicht unterworfen sein sollten.
Der alleinige Zweck der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 sei der,
den heimischen Handelsverkehr vor Schädigung zu schützen. Des-
halb gewähre sie als eine Ausnahme von dem sonst zu Kriegszeiten
bestehenden Recht der Beschlagnahme feindlicher Kriegsschiffe die Ver-
günstigung, daß für eine gewisse Frist die Prisenmaßnahmen suspendiert
sein sollten. Demnach sei es unzulässig, diese Verordnung auf Fälle,
die sich nicht mit ihrem genauen Wortlaut deckten, anwenden zu wollen.
Da der zur Verhandlung stehende Dampfer zur Zeit des Erlasses der-
Kaiserlichen Verordnung sich weder in einem japanischen Hafen be-
funden habe, noch auf der Fahrt nach einem solchen begriffen gewesen,
sondern bereits vor Veröffentlichung derselben beschlagnahmt worden
sei, so könne er selbstverständlich die Vergünstigung der Kaiserlichen
Verordnung nicht in Anspruch nehmen.
Daher sei der Staatsanwalt der Ansicht, daß das Urteil erster
Instanz voll begründet und die Berufung zu verwerfen sei.
Die vorliegende Entscheidung wird, wie folgt, begründet:
Der Berufungsreklamant behauptet in seinem ersten Punkte, daß
die Beschlagnahme vor Eintreten des Kriegszustands, nämlich vor der
am 8. Februar 1904 stattgehabten Seeschlacht bei Port Arthur vor-
genommen und deshalb ungerechtfertigt sei. Er behauptet ferner im
Punkte 2, daß die Beschlagnahme auch vor der Mitteilung vom Abbruch
der diplomatischen Beziehungen seitens des Gesandten Kurino an
den russischen Minister des Äußern geschehen sei und daß deshalb das
Schiff gutes Anrecht auf Freilassung habe. Aber es ist unbestreitbar,
daß die Eröffnung eines Krieges nicht von dem ersten Feuern der
Kanonen der kriegsführenden Mächte abhängig ist, und es ist ebenso
unbestreitbar, daß eine Kriegserklärung oder die Übermittelung einer
solchen an den andern Teil hierbei nicht entscheidend ist, daß viel-
76
Prisengerlchtsentscheidungen: „Mllkden'^ Abschnitt VI<b
mehr selbstredend die Verwirklichung der Kampfesabsicht oder jede
sonstige Manifestation derselben den Kriegszustand ins Leben ruft. Da
nun während der japanisch-russischen Verhandlungen Rußland durch
sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf Erhaltung
des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende Kriegsrüstungen
seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen, klar bewies, so
sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres 1904 eine Instruktion
bezüglich Abbruchs der diplomatischen Beziehungen an unseren Ge-
sandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegsgeschwader seine
Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, am 6. Februar, mit der
Bestimmung, den Kampf zu eröffnen, von Sasebo ab und nahm auf der
Fahrt, da es eben schon Kriegszeit war, das der russischen freiwilligen
Flotte angehörige, für den Kriegsgebrauch der russischen Regierung
bestimmte Dampfschiff „Ekaterinoslav'' in Beschlag. Dies war eine
deutliche Ausführung der Kampfesabsicht, und die erst später erfolgte
Beschlagnahme des hier in Frage kommenden Dampfers kann daher
nicht als ungerechtfertigt bezeichnet werden; dies um so weniger, als
sie auch nach der am 6. Februar um 2 Uhr nachmittags erfolgten
Mitteilung unserer Regierung an den bei unserem Hofe akkreditierten
russischen Gesandten betreffend den Abbruch der diplomatischen Be-
ziehungen stattgefunden hat. Punkt 1 und 2 der Berufung sind daher
grundlos.
Der Berufungsreklamant behauptet in Punkt 3 und 4 der Be-
rufungsschrift, daß die in der Bekanntmachung des Staatsanzeigers als
der ostasiatischen Gesellschaft gehörig und ferner die unter Nr. 31 ver-
zeichneten Güter im Eigentum der Absender stünden und daher frei-
zugeben seien. Es ist jedoch eine nach Ansicht des Oberprisengerichts
den Verhältnissen gerechtwerdende völkerrechtliche Gewohnheit, daß
Güter, welche von Personen, die außerhalb des Feindesgebiets ihren
Wohnsitz haben, an einen Empfänger im Feindesgebiet zur Kriegs-
zeit auf feindlichem Schiffe versandt werden, den Charakter feindlicher
Güter tragen und demgemäß der Einziehung unterliegen. Von dieser
Regel kann nicht nach der Art der Umstände, unter welchen die Ver-
ladung auf das feindliche Schiff geschehen ist,') eine Abweichung ge-
troffen werden. Daher sind Punkt 3 und 4 der Berufung unbegründet.
Solange die Notwendigkeit, das Schiff freizulassen, nicht nach-
gewiesen wird, ist Punkt 5 als Grund für die Freilassung der Güter
kraftlos.
Der Reklamant erklärt es in Punkt 6 seiner Berufungsgründe für
bedauerlich, daß das erstinstanzliche Urteil die völkerrechtliche Stellung
Koreas nicht klargestellt habe, aber da Korea als neutral im gewöhnlichen
^ d. h. also in diesem Falle: ob sie zuvor auf einem neutralen Schiff verladen
und spater auf das feindliche Schiff umgeladen worden sind.
77
Abschnitt VI<ii PrisengerJchtsentscheidungen : „Mukdan''.
Sinne des Worts nicht betrachtet werden kann, so kann aus der Tat-
sache, daß die Beschlagnahme in seinen Hoheitsgewässern stattgefunden
hat. ein Vorwurf gegen dieselbe nicht erhoben werden. Daher kann
auch die Behauptung, daß das Urteil des Sasebo-Prisengerichts, welches
die tatsächlich nicht bestehende Neutralität Koreas dartut, unvollständig
sei, weil es sich des weiteren über die Stellung Koreas in keine Er-
örterung eingelassen habe, nicht aufrechterhalten werden.
Punkt 7 der Berufung sagt, daß die Beschlagnahme ungerecht-
fertigt sei, weil sie vor Veröffentlichung der Kriegserklärung stattgefunden
habe. Es ist aber völkerrechtlich anerkannt, daß, wenn Staaten einmal
in den Kriegszustand eingetreten sind, jeder derselben, gleichviel ob
die Angehörigen des feindlichen Staats von dieser Tatsache Kenntnis
haben oder nicht, sein Beschlagnahmerecht ausüben kann. Daher
ist die Behauptung des Reklamanten grundlos.
Der Berufungsreklamant sagt im Punkt 8 seiner Gründe, daß nach
der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 das zur Ver-
handlung stehende Schiff freigelassen werden müsse. Aber einmal findet
die Kaiserliche Verordnung auf das Schiff keine Anwendung, weil das-
selbe am 5. Februar 1904 Nagasaki verlassen hat und bei seinem Auf-
enthalt in Fusan aufgebracht worden ist. Sodann aber beschränkt sich
die Vergünstigung der Befreiung von der Beschlagnahme der genannten
Kaiserlichen Verordnung auf friedlichem Zwecke dienende Privatschiffe,
kann dagegen auf Schiffe, die als Eigentum der feindlichen Regierung
anzusehen sind, keine Anwendung finden. Die ostchinesische Eisen-
bahngesellschaft hatte zwar im Anfang das Aussehen einer privaten
Gesellschaft, aber in der von dem russischen Verkehrsministerium ver-
öffentlichten Schiffsstatistik für Russisch-Ostasien werden alle der ost*
chinesischen Eisenbahngesellschaft gehörigen Schiffe unter die im Eigen-
tum der Regierung stehenden Fahrzeuge gerechnet. Ferner hat die
russische Regierung den Ersatz der bei den nordchinesischen Wirren
im Jahre 1900 von der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft erlittenen
Schäden als vom russischen Staat erlittener Schäden reklamiert. Man
muß also annehmen, daß die russische Regierung selbst die ostchinesische
Eisenbahngesellschaft in Wirldichkeit als ein Regierungsunternehmen be-
trachtet. Auch wenn man den Zweck dieser Gesellschaft und ihre
Beamtenorganisation ansieht, so kann man nicht zu dem Schluß kommen,
daß sie ein Privatunternehmen sei. Das zur Verhandlung stehende
Schiff ist demnach als im Eigentum der russischen Regierung stehend
anzuerkennen, und die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 findet selbst-
redend keine Anwendung.
Auch Punkt 9 der Berufungsgründe muß für unbegründet erklärt
werden, da, wie bereits im Punkt 3 dargetan, die Umstände, welche
die Verschiffung von Gütern mit feindlichem Charakter auf feindlichen
78
PriMigerichtsentschoidungon: „Mukden^^ Abschnitt VI>»
Schiffen begleiten mögen, nicht den geringsten Einfluß auf das Beschlag-
nahmerecht der kriegführenden Macht haben können,
ts wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 3. Juli 1905.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der im Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki,
Deshima Nr. 4, wohnhafte deutsche Kaufmann C. E. Boedding-
haus.
Bezüglich der auf dem russischen Dampfer „Mukden" verschifften
Güter wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden" verschifften Güter, nämlich
ein Korb Kuhlymphe und 60 Kisten Glasgeräte, werden eingezogen,
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, nämlich Kuhlymphe und
Olasgeräte, welche auf dem Dampfer „Mukden*' verschifft waren, wurden
auf der Reise nach Wladiwostok am 6. Februar 1904 im Hafen von
Fusan zusammen mit der „Mukden" von dem Kaiserlich Japanischen
Kriegsschiff „Heiyen" mit Beschlag belegt. ^ .
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Heiyen", Kapitänleutnant Yoshi-
mura Shinsei, und dessen Bescheinigung über den Ladungsbestand,
die Vernehmungsprotokolle des 1. Offiziers Serge Wiszniowski
und des 2. Offiziers Alexander Iwanowitsch Kanajeff, das
Tagebuch, das Ladungsverzeichnis und die Konnossemente der
„Mukden" sowie die Aussagen des Prozeßvertreters.
Die Hauptpunkte der Verteidigung des Reklamanten sind folgende:
Die Aufbringung der zur Verhandlung stehenden Güter sei nicht
nur aus dem Grunde unrechtmäßig, daß sie in den Hoheitsgewässern
eines neutralen Staats geschehen sei, sondern die Güter müßten auch,
Teil die Absenduiig vor der Kriegseröffnung zwischen Japan und Ruß-
land stattgefunden habe und weil das Eigentumsrecht dem Reklamanten
zustehe, freigegeben werden.
Auch müßten die von dem Reklamanten gezahlten Seeversicherungs-
prämien, die Frachtspesen und die Kosten für die zum Erscheinen vor
dem Prisengericht unternommene Reise ihm ersetzt werden.
79
Abschnitt VI'« Prisongerichtsontschoidungon: „Mukden".
Die Ansicht des Staatsanwalts geht in den Hauptpunkten dahin,
daß die Güter, weil die Beschlagnahme zu Recht erfolgt sei, nicht frei-
zugeben seien, und daß ferner die Entscheidung über die Vergütung
der Seeversicherungsprämien, der Fracht und der Reisekosten nicht zur
Kompetenz -des Prisengerichts gehörten.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß das Eigentumsrecht an Gütern,
welche für einen im Feindesland ansässigen Empfänger verschifft und
abgesandt werden, i) mangels gegenteiligen Beweises von dem Moment
der Verschiffung an sofort auf den Empfänger im Feindesland übergeht,
und daß die Güter damit durchaus feindlichen Charakter erwerben. Es
steht somit außer Frage, daß die zur Verhandlung stehenden Güter
feindliche sind.
Der Reklamant behauptet, daß die Beschlagnahme, weil in einem
neutralen Hafen erfolgt, zu Unrecht geschehen sei, aber es ist klar,
daß Korea tatsächlich zur Zeit nicht ein neutrales Land ist.
Da die Güter als feindliche Güter anzusehen sind, die auf feind-
lichem Schiff verladen worden sind, so erübrigt es sich, danach zu
fragen, ob ihre Absendung während des Krieges erfolgt sei oder nicht.
Daher sind dieselben einzuziehen. 2)
Was ferner den von dem Reklamanten behaupteten Anspruch auf
Erstattung von Versicherungs-, Fracht- und Reisegeldern angeht, so
gehört die Entscheidung hierüber nicht in den Bereich des Prisen-
gerichts.
Es wird daher wie in der Urteilsförmel entschieden.
Verkündet am 26. Mai im Prisengericht zu Sasebo im Beisein des
Staatsanwalt MizukamiChojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der chinesische Staatsangehörige Y u e n T s u
Chong, wohnhaft im Regierungsbezirk Hioge, Kobe, Shimoyamate-
dori Ichome Nr. 99.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Moriya Konoske, Tokio,
Kyobashiku, Sayegicho Nr. 5,
Rechtsanwalt Shimizu Ichitaro, Tokio, Kyobashiku, Hiyo-
shicho Nr. 2,
Rechtsanwalt Imamura Rikisaburo, Tokio, Kandaku, Ima-
gawakoji Nichome Nr. 14.
') V. §§ 8, 3 und 4. — «) V. § 40, 2.
80
Priseigerichtseiitscholclungoii: „Mukdon". Abschnitt VI>'
In Sachen von Ladungsstücken des russischen Dampfer „Mukden"
vird, vie folgt, entschieden:
Urteilsf ormei:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die Hauptpunkte des Prozeßvertreters Moriya Konoske sind
folgende :
Die russisch-chinesische Bank, Aktiengesellschaft, habe behauptet,
gegen den Reklamanten Ansprüche zu haben, die während dessen Be-
schäftigung bei derselben als Kompradore entstanden seien, und habe
am 26. Juni 1903 eine Klage auf Rückleistung von 175 971,10 Yen und
am 25. Juli desselben Jahres eine solche auf Rückleistung von 70 000 und
47 555,54 Yen bei dem Landgericht in Tokio angestrengt. Der Reklamant
habe dagegen am 10. Juli desselben Jahres Widerklage auf 535 307 Yen
Schadensersatz erhoben. Dieser Prozeß sei noch anhängig. Als der
Reklamant erfahren habe, daß die Aktiengesellschaft russisch-chinesische
Bank ihre Filiale zu schließen und sich nach der Heimat zurückzuziehen
im Begriff stände, habe er zur Sicherung der Vollstreckung einen Arrest
auf das bewegliche körperliche Vermögen der russisch-chinesischen Bank
beantragt, und am 12. Februar 1904 habe das Landgericht zu Tokio
einen Arrestbefehl für 359335,90 Yen des beweglichen körperlichen
Vermögens der russisch-chinesischen Bank erlassen, bei dessen Aus-
führung jedoch nur 7600 Yen arretiert worden seien, so daß ein Fehl-
betrag von 351 735,90 Yen nachbleibe.
Unter der Ladung des am 7. Februar 1904 von dem japanischen
Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmten russischen Dampfers „Mukden"
befänden sich 10000 Rubel, welche der russisch-chinesischen Bank ge-
hörten. Wenn diese 10000 Rubel eingezogen würden, könne der Re-
klamant den erwähnten Arrest nicht verwirklichen. Er hoffe ilaher
1. daß die genannten 10000 Rubel, weil sie Eigentum der Russisch-
chinesischen Bank seien, freigegeben würden;
2. daß gleichzeitig mit der Freigabe auf die 10000 Rubel ein
Arrest zur Sicherung der Vollstreckung des Anspruchs des Reklamanten
gelegt würde;
3. daß, wenn dem Antrag des Punktes nicht stattgegeben werde,
die genannten 10000 Rubel aber aus einem anderen Grunde freigegeben
Türden, zur Sicherung der Vollstreckung der Forderung des Reklamanten
der Arrest auf dieselben gelegt würde.
Zum Beweise seiner vorstehenden Behauptungen hat der Reklamant
den Arrestbefehl sowie Abschriften der Akten über das Arrestverfahren
gegen das bewegliche körperliche Vermögen der russisch-chinesischen
M ar Sir an d-Meohlen bar ff, Das Japanische Prisenrecht. Band I. (6) 81
Abschnitt VI>' Prisengerichtsentscheidungon: „MukdiBii"»
Bank und das weitere noch zu erledigende Verfahren in dieser Sache
vorgelegt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Nach dem Vorbringen des Prozeßvertreters könne dem Reklamanten
ein direktes Interesse an den zur Verhandlung stehenden 10000 Rubeln
nicht zuerkannt werden. Daher könne er auch die Reklamation nicht
anstellen. Angenommen aber, er könne sie anstellen, so läge doch ein
Grund für die Freigabe der 10000 Rubel nicht vor. Auch sei er der
Ansicht, daß das Prisengericht nicht in der Lage sei, auf Prisen Arreste
zu legen, so daß auch damit der Antrag auf Anlegung des Arrests hin-
fällig sei.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der § 16 der japanischen Prisengerichtsordnung i) bestimmt, daß-
Interessenten, welche Reklamationen erheben wollen, innerhalb einer
von dem auf die Bekanntmachung folgenden Tage an zu rechnenden
Frist von 30 Tagen eine Reklamationsschrift einzureichen haben und
daß nach Ablauf dieser Frist eingehende Reklamationen abzuweisen
sind. Da nun das unterzeichnete Gericht die Bekanntmachung be-
treffend eventuelle Reklamationen mit Bezug auf die zur Verhandlung
stehenden 10 000 Rubel am 1. März 1904 im Staatsanzeiger veröffentlicht
hat, so ist es klar, daß nach 30 Tagen vom folgenden Tage an gerechnet
Reklamationen nicht mehr erhoben werden konnten.
Das Gericht hat von der Reklamationsschrift vom 18. März 1904
Kenntnis genommen. Darin wird gesagt, daß
unter der Ladung des russischen Dampfers „Mukden" sich
10 000 Rubel befänden, welche der russisch-chinesischen
Bank gehörten. Wenn diese 10 000 Rubel eingezogen würden,,
könne der Reklamant den erwähnten vorläufigen Arrest nicht
verwirklichen. Dadurch würden seine Interessen verletzt.
Der Passus, in welchem das Petitum gestellt wird, lautet folgender-
maßen :
„Auf Grund des von dem Landgericht in Tokio unter der
Aktennummer P 36/1904 erlassenen Arrestbefehls gegen das
bewegliche körperliche Vermögen der russisch-chinesischen
Bank wird der Arrest auf die auf dem russischen Dampfer
„Mukden" verschifften, der russisch-chinesischen Bank ge-
hörigen 10000 Rubel beantragt".
Es ist daher gänzlich außer Zweifel, daß die zur Verhandlung:
stehende Reklamation sich nur auf Anlegung des Arrestes bezieht.
Bei dem am 20. April 1904 stattgehabten Termin zur mündlichen
Verhandlung hat alsdann der Prozeßvertreter einen neuen Antrag,.
/
') IV.
82
Priseagoriclitseiitschof düngen : „Mukden". Abschnitt VI>«
nämlich auf Freigabe der 10000 Rubel gestellt. Er hat dann auch
ein vom selben Tage datiertes Schriftstück eingereicht, in welchem er
seinen Antrag dargelegt hat. Da nun die Anlegung eines Arrestes zur
Sicherung der Zwangsvollstreckung dient und von der Freigabe, welche
den Hauptpunkt für das Prisengericht bildet, ihrer Natur nach grund-
verschieden ist, so ist es unzulässig, einen Antrag auf Arrest nachträglich
durch einen Antrag auf Freigabe zu ergänzen. Mangels irgendwelchen
Zusammenhangs kann daher der Antrag auf Freigabe, weil nach Ab-
lauf der gesetzlich vorgeschriebenen Frist gestellt, nicht mehr an-
genommen werden.
Auch kann aus dem Grunde, daß die Prisengerichtsordnung über
die Zulässigkeit, für Interessenten Arreste anzulegen, Bestimmungen
nicht enthält, dem Arrestantrag nicht stattgegeben werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der stellvertretende Vizekonsul der französischen
Republik in Nagasaki, G. Goudareau.
In Sachen der Beschlagnahme eines Stücks der Ladung des
russischen Dampfers „Mukden" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden" verschiffte kleine Kiste mit amt-
lichen Schriftstücken wird freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Die in dem französischen Hafen Marseille auf dem der ostasiatischen
Gesellschaft gehörigen Dampfer „Gambodje" verladene, in Shang-
hai auf den der russisch-ostchinesischen Eisenbahngesellschaft gehörigen
Dampfer „Mukden" umgeladene, zur Verhandlung stehende kleine Kiste
(Marke L. P. I.), bestimmt für den in Wladiwostok, Rußland, ansässigen
französischen Handelsagenten ist am 6. Februar 1904 im Hafen von
Fusan zusammen mit dem erwähnten Dampfer „Mukden" von dem
Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Heiyen" mit Beschlag belegt worden.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussage des Re-
klamanten, die von ihm vorgelegten Schriftstücke, die schriftliche Aus-
(6») 83
Abschnitt VI>f Prisongorichtsontscheidungon: „Mukden'^.
sage des Stellvertreters des Kommandanten des ,, Heiyen", Kapitän-
leutnants Yoshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des
1. Offiziers Serge Wiszniowski und des 2. Offiziers Alexander
Iwanowitsch Kanajef, das Ladungsverzeichnis, die Konnossemente
und das Tagebuch des genannten Dampfers.
Der Reklamant macht geltend, daß die zur Verhandlung stehenden
Schriftstücke freizugeben seien, weil sie amtliche Schriftstücke seien.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht in der Hauptsache dahin, daß *
Hie zur Verhandlung stehenden Gegenstände, welche im Eigentum des
französischen Handelsagenten in Wladiwostok stünden, in Anbetracht
der Natur derselben dem Antrag des Reklamanten entsprechend frei-
zugeben seien.
Das Gericht ist der Ansicht, daß, wie das Völkerrecht bestimmt,
daß Schriftstücke, welche ein neutraler Staat an einen seiner, im Gebiet
der kriegführenden Parteien ansässigen, Beamten schickt, respektiert
werden müssen, die zur Verhandlung stehenden Gegenstände, nämlich
eine Kiste amtliche Schriftstücke, freizugeben sind.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der chinesische Staatsangehörige Jak Y u k
Changi) und Yam Shiu Heng, wohnhaft in Nagasaki, Hiro-
baba Nr. 6.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Shida Söichi, Regierungs-
bezirk Nagasaki, Kreis Nishisonoki, Dorf Okushi.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des Dampfers
„Mukden" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden" verschifften 100 Kisten Apfel-
sinen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden, auf dem russischen Dampfer
„Makden" verschifften 100 Kisten Apfelsinen wurden am 6. Februar
^) Die Reklamationen der beiden Chinesen sind in allem gleich, und die Urteile
wörtlich übereinstimmend.
84
Prisengorichtsentscheidungen : ^,Mukden'^ Abschnitt VI > f
1904 im Hafen von Fusan, Korea, zusammen mit dem Dampfer „Mukden"
von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Heiyen" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen sind nicht nur von dem Prozeßvertreter anerkannt,
sondern werden auch bewiesen durch die schriftliche Aussage des Stell-
vertreters des Kommandanten der ,,Heiyen", Kapitänleutnants Yoshi-
mura Shinsei, das Vernehmungsprotokoll des 1. Offiziers Serge
Wiszniowski und des 2. Offiziers Alexander Iwanowitsch
Kanajef sowie das Ladungsverzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte des Prozeßvertreters sind folgende:
Da am 5. Februar 1904 zwischen Japan und Rußland der Kriegs-
zustand eingetreten sei, so könnten feindliche Güter natürlich beschlag-
nahmt werden. Da aber die zur Verhandlung stehenden Güter auf
Grund eines gewöhnlichen, vorher abgeschlossenen kaufmännischen
Kontraktes an den in Wladiwostok in Rußland ansässigen Chinesen
Yuen Tak Chi und Lee Chim Hang abgesandt gewesen seien,
so seien sie weder feindliche Güter, noch seien sie Kriegsmaterial oder
Lebensmittel für Truppen. Da ferner die Güter vor Eintritt des Kriegs-
zustands auf der „Mukden" verschifft seien, so liege kein Grund für
ihre Beschlagnahme vor und er beantrage ihre sofortige Freigabe.
Der Staatsanwalt erklärt die Gründe des Prozeßvertreters für völlig
haltlos und beantragt die Einziehung der Güter.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach den Bestimmungen und der Praxis des Völkerrechts können
feindliche Güter auf feindlichem Schiff, gleichgültig, ob sie Konterbande
sind oder nicht, oder ob sie vor der Kriegseröffnung verschifft sind
oder nicht, beschlagnahmt werden. Der Charakter der Güter als feind-
licher bestimmt sich nach dem Wohnsitz des Eigentümers 2) und das
Eigentumsrecht steht mangels Gegenbeweises dem Empfänger zu.
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind auf der „Mukden",
einem feindlichen Schiff, verladen worden mit Bestimmung für einen
seit langer Zeit in Wladiwostok in Handelsgeschäften ansässigen Emp-
fänger, und der Reklamant hat nicht bewiesen, daß das Eigentumsrecht
an den Gütern ihm selbst zusteht. Sie sind daher als feindliche Güter
zu erkennen und einzuziehen, s)
Es wird folglich wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
*) V. §§ 8, 3 und 4. — •) V. § 40.
85
Abschnitt VI«t Prisongerichtsentscholdungon: „Mukden''.
Reklamant: Der stellvertretende Vizekonsul der französischen
JRepublik in Nagasaki, O. Qoudareau.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Mukden" wird wie folgt entschieden.
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, nämlich eine Kiste mit
Kleiderparfüm und zehn weitere Stücke, sind in Shanghai in China von
den französischen Dampfern „Ernest Simons" und „Cambodje" auf
den der russisch - ostchinesischen Eisenbahngesellschaft gehörigen
Dampfer „Mukden" umgeladen und nach Wladiwostok abgesandt
worden. Sie wurden am 6. Februar 1904 im Hafen von Fusan, Korea,
von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Heiyen" zusammen mit
dem genannten Dampfer beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Stellvertreters des Kommandanten der „Heiyen", Kapitän leutnants
Voshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des 1. Offiziers
Serge Wiszniowski und des 2. Offiziers Alexander Iwano-
witsch Kanajef, das Ladungsverzeichnis, die Konnossemente und
das Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Der Reklamant macht geltend :
Die Verschiffer der zur Verhandlung stehenden Güter seien die
französische Postdampfergesellschaft und die ostasiatische Gesellschaft,
und er habe die Pflicht, die Interessen französischer Bürger zu schützen.
Da seit Ausbruch des Krieges die Verkehrsverbindungen gestört seien,
so sei es für den Empfänger nicht möglich, die Reklamation zu erheben.
Daher reiche er in seiner amtlichen Eigenschaft als stellvertretender
Vizekonsul die Reklamation ein und beantrage die Freigabe der Güter,
weil sie keine Kriegskonterbande seien.
Der Staatsanwalt bringt dagegen im wesentlichen folgendes vor:
Es sei nicht angängig, Konsularbeamten lediglich aus dem Grunde,
daß ihnen die Pflicht der * Interessenwahrnahme für ihre Landes-
angehörigen obliege, als Interessenten im Sinne der Prisengerichtsord-
nung ^) anzuerkennen. Daher entspreche die zur Verhandlung stehende
Reklamation nicht den gesetzlichen Vorschriften.
Im übrigen seien die in Frage stehenden Güter feindliche Güter
und als solche einzuziehen. Nur das eine Kollo, welches französische
Landesflaggen für den französischen Handelsagenten in Wladiwostok
enthalte, sei zurückzugeben.
^) iv;§ 16.
Prisengerichtsentschoidungen : „Mukdön'f. Abschnitt VI > »
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Einem Konsulatsbeamten liegt die von dem Reklamanten behauptete
Pflicht zur Wahrnähme der Interessen seiner Landesangehörigen in
seinem Amtsbezirk allerdings ob, aber deshalb kann er sich noch nicht
ohne weiteres als Interessenten im Sinne des § 16 der Prisengerichts-
ordnung erklären. Zudem sind auch weder Absender noch Empfänger
der zur Verhandlung stehenden Güter Landesangehörige des Rekla-
manten, die seinem Amtsbezirk unterstehen. Daher kann die vorliegende
Reklamation nicht aJs gesetzmäßig erachtet werden.
Da schon die Reklamation an und für sich nicht den gesetzlichen
Bestimmungen entspricht, so ist dieselbe abzuweisen, ohne daß über
die sonstigen Anführungen des Reklamanten Entscheidung getroffen
wird.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai im Prisengericht zu Sasebo im Beisein des
Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: The East Asiatic Company in Shanghai, vertreten
durch die Prokuristen A. Petersen und Iwan Andersen.
Bevollmächtigter: Der englische Staatsangehörige Frederic
Ringer, Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Ouramachi Nr. 7.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des »*ussischen
Dampfers „Mukden" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die zur Verhandlung stehende Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, nämlich Papier für Ge-
schäftsbücher und fünf weitere Warenarten, welche auf dem Dampfer
der russisch-ostchinesischen Eisenbahngesellschaft „Mukden" verladen
und für Wladiwostok bestimmt waren, wurden am 6. Februar 1904
im Hafen von Fusan von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff
,.Heiyen" zusammen mit dem genannten Dampfer beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Stellvertreters des Kommandanten des „Heiyen", Kapitänleutnants
Yoshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des 1. Offiziers
87
Abschnitt VI>i Prisongorichtseiitscheidungoii : „Mukden'^
Serge Wiszniowski und des 2. Offiziers Alexander Iwano-
witsch Kanajef, das Ladungsverzeichnis, die Konnossemente und
das Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Der Bevollmächtigte des Reklamanten hat im wesentlichen geltend
gemacht, daß die Güter, weil vor Ausbruch des Krieges verschifft und
im Eigentum einer neutralen Handelsfirma stehend, freizugeben seien,
Reklamant ist trotz erhaltener Ladung zum Termin zur mündlichen
Verhandlung nicht erschienen.
Der Staatsanwalt sagt im wesentlichen, daß der Vertreter des Re-
klamanten die zur Erhebung der Reklamation gesetzlich vorgeschriebenen
Erfordernisse nicht erfülle. Die Güter seien als feindliche einzuziehen.
Nur das unter denselben befindliche Papier für Geschäftsbücher müsse,,
weil für den amtlichen Gebrauch der in Wladiwostok ansässigen fran-
zösischen Handelsagentur bestimmt, freigegeben werden.
Das Gericht ist der folgenden Ansicht :
Der Bevollmächtigte des Reklamanten hat freilich eine schriftliche
Vollmacht der in Shanghai ansässigen Prokuristen der East Asiatic Com-
pany und hat mit Bezug auf die zur Verhandlung stehende Reklamation
eine Reklamationsschrift eingereicht. Aber nach § 17, Abs. 2 der Prisen-
gerichtsordnung i) beschränkt sich die Vertretungsbefugnis von Rekla-
manten auf japanische Rechtsanwälte. Die zur Verhandlung stehende
Reklamation ist daher nicht dem Gesetze gemäß erfolgt.
Da so die Reklamation schon an und für sich nicht dem Gesetze
entspricht, so ist sie abzuweisen, ohne daß über die sonstigen An-
führungen des Bevollmächtigten der Reklamantin Entscheidung getroffen
wird.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht in Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
^ (Unterschriften.)
Reklamant: Die Filiale der Firma Kunst & Albers, Nagasa-
kiken, Nagasaki Oura 8, vertreten durch den deutschen Reichsangehörigen
A. Gese.
In der Prisensache betreffend die an Bord des russischen Dampfers
„Mukden" befindlichen Güter wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die an Bord des Dampfers „Mukden'' verschifften 10 Kisten Schreib-
maschinen werden eingezogen. Die Reklamation wegen der Fracht der
genannten Güter wird abgewiesen.
88
PrlMBgericIitseiitschoidungeii; „Mukden". Abschnitt VI>>
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 10 Kisten Schreibmaschinen sind
am 5. Februar 1904 von der in Nagasaki befindlichen Filiale der deut-
schen Firma Kunst & Albers auf dem der russisch-ostasiatischen
Eisenbahngesellschaft gehörigen Dampfer „Mukden" für die Firma Kunst
& Albers in Wladiwostok verschifft und am 6. Februar 1904 von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen" im Hafen von Fusan in Korea zu-
sammen mit dem genannten Dampfer beschlagnahmt worden.
Diese Tatsachen hat nicht nur der Reklamant anerkannt, sondern
sie gehen auch hervor aus dem Protokoll des Stellvertreters des Kom-
mandanten des Kriegsschiffs „Heiyen", Kapitänleutnants Yoshimura
Shinsei, aus den Vernehmungsprotokollen des 1. Offiziers Serge
Wiszniowski und des 2. Offiziers Alexander Iwanowitsch
Kanajeff vom Dampfer „Mukden", aus dem Ladeverzeichnis, den
Frachtscheinen und dem Logbuch des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
1. Verschiff er und Empfänger der zur Verhandlung stehenden
lü Kisten Schreibmaschinen seien Angehörige eines neutralen Staats,
Daher seien die Güter, welclje keine Kriegskonterbande seien, neutrale
Güter.
2. Die Güter hätten am 5. Februar 1904 den Hafen von Nagasaki
verlassen und seien am 6. Februar, also noch vor Veröffentlichung
der japanischen Kriegserklärung, beschlagnahmt worden.
3. Da die Güter in neutralem Gebiet, nämlich dem koreanischen
Hafen Fusan, beschlagnahmt worden seien, so müßten sie nach Artikel 3
der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 freigegeben werden.
Außerdem beanspruche der Reklamant Ersatz der Frachtkosten im
Betrage von 42 Yen.
Der Staatsanwalt erklärt in der Hauptsache die Reklamationsgründe
alle für haltlos und beantragt Einziehung der Schreibmaschinen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Frage, ob Güter feindliche sind, bestimmt sich nicht nach der
.Nationalität des Eigentümers, sondern nach dessen Wohnsitz, i)
Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß mangels gegenteiligen
Beweises das Eigentum von Gütern vom Tage der Verschiffung an auf
den Empfänger übergeht. Der Reklamant hat diesen Gegenbeweis be-
züglich seines Eigentumsrechts an den Gütern nicht erbracht, daher
sind dieselben als im Eigentum des Empfängers in Wladiwostok stehend
und somit als feindUche Güter anzusehen.
Es entspricht den modernen völkerrechtlichen Anschauungen, daß
Güter auf feindlichem Schiffe, wenn sie erwiesenermaßen feindliche
') V. §§ 8. 3 und 4.
8d
Abschnitt VI« Prisongorichtsontscheldungon ; „Mukden^^
Güter sind, gleichgültig, ob sie Kriegskonterbande sind oder nicht, zu
Kriegszeiten beschlagnahmt werden können. Der Reklamant erklärt die
Beschlagnahme für unrechtmäßig, weil ,sie vor Veröffentlichung der
Kriegserklärung und in neutralem Gebiete geschehen sei. Es ist jedoch
unzweifelhaft das Recht eines kriegsführenden Staates, zu Kriegszeiten
Prisen aufzubringen, ungeachtet ob eine Kriegserklärung veröffentlicht
worden ist oder nicht. *) Am 6. Februar sind aber Japan und Rußland
in das Verhältnis von kriegführenden Mächten zu einander getreten.
Ferner kann Korea tatsächlich nicht als ein neutraler Staat betrachtet
werden. Die hier verhandelte Beschlagnahme ist demgemäß zu Recht
ausgeführt, und die beschlagnahmten 10 Kisten Schreibmaschinen sind
einzuziehen. ^)
Was die von dem Reklamanten vorgebrachte Frachtreklamation
angeht, so ist dieser Reklamationspunkt abzuweisen, da die Entscheidung
hierüber nicht zur Kompetenz des Prisengerichtshofes gehört.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: A. Gese, Vertreter der Filiale der Firma Kunst
& Albers, Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Oura 8.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Re-
gierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Togiyamachi 41.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht in Sasebo in der Prisensache
betreffend die auf dem russischen Dampfer „Mukden" verladene und mit
demselben am 6. Februar 1904 in dem koreanischen Hafen Fusan von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen" aufgebrachte Ladung dafür ent-
schieden, daß die auf dem Dampfer „Mukden" verschifften 10 Kisten
Schreibmaschinen einzuziehen seien. Die Reklamation wegen der Fracht
der genannten Güter wurde abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat
der Reklamant, der Vertreter der Filiale der Firma Kunst & Albers,
A. Gese, durch den Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi als Pro-
zeßvertreter die Berufung eingelegt. Diese ist vom Oberprisengericht
im Beisein der Staatsanwälte des Oberprisengerichts Tsutsuki Kei-
roku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi geprüft worden.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation sind
folgende :
«) V. §§ 1 und 35. - ») V. § 40.
90
Prisengericbtseiitscbof düngen : „Mukden'^ Abschnitt VI>i
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz, Freilassung der er-
mähnten beschlagnahmten Gegenstände und Ersatz der Frachtkosten
von 42 Yen durch den japanischen Staat beantragt, und zwar aus fol-
genden Gründen:
1. Die Beschlagnahme der zur Verhandlung stehenden Güter durch
das Kaiserliche Kriegsschiff „Heiyen" habe am 6. Februar 1904, 2** Mi-
nuter nachmittags, zusammen mit der Beschlagnahme des Dampfers
„Mukden" stattgefunden. Nach dem vom Minister der Auswärtigen
Angelegenheiten Komura veröffentlichten Protokoll über die diplo-
matischen Verhandlungen habe der Gesandte Kur in o das Ultimatum
erst um 4 Uhr nachmittags des 6. Februar der russischen Regierung
zugestellt. Daher habe die Beschlagnahme vor dem Entstehen des
Knegszustandes stattgefunden und sei deshalb nicht zu rechtfertigen.
Daß vor dem 6., nämlich am 5. Februar, noch kein Kriegszustand be-
standen habe, gehe klar hervor aus der Tatsache, daß das Zollamt
in Nagasaki, eine Kaiserlich Japanische Behörde, für den Dampfer
.^Vlukden'' und seine Ladung die Ausklarierungspapiere und die Lade-
erlaubnis gewährt habe.
2. Der Zeit in Fusan 2** p. m. am 6. Februar entspreche in der
russischen Hauptstadt die Zeit um 7 a. m. des 6. Februar. Das Urteil
erster Instanz hätte nur von der Annahme ausgehend, daß der Abbruch
der diplomatischen Beziehungen vor 7 a. m. des 6. Februar stattgefunden
hätte, zur Verurteilung der hier verhandelten Güter kommen können;
jetzt aber, wo es klar sei, daß man dies nicht mehr annehmen könne,
sei die Entscheidung erster Instanz hinfällig.
3. Der Ort der Beschlagnahme des fraglichen Dampfers sei Fusan
in Korea. Korea sei mindestens bis zum Abschluß der Allianz mit Japan
am 27. Februar 1904 ein neutraler Staat gewesen. Das Urteil erster In-
stanz stelle aber geradeweg die Behauptung auf, Korea könne de facto
nicht als neutraler Staat betrachtet werden. Weshalb es nicht als solcher
betrachtet werden könne, und ob es, wenn es nicht als neutral gelte,
als Feindesland anzusehen sei oder ob es, mit Rücksicht auf den Kriegs-
zustand als Japans Verbündeter gelte, der mit ihm Hand in Hand zu
gehen habe, alles das habe das Urteil erster Instanz nicht klargestellt,
sondern, ohne irgendwelche Beweise zugrunde zu legen, willkürliche
Behauptungen aufgestellt. Deshalb müsse das Urteil aufgehoben und
auf Freilassung der zur Verhandlung stehenden Güter erkannt werden.
4. Wenn man Korea im Sinne der ersten Entscheidung als nicht
neutral, vielmehr für die Dauer des Krieges als eine Erweiterung Japans
ansähe, so müsse man, da dann Fusan als eine Hafenbucht Japans gelte,
den zur Verhandlung stehenden Gütern wie auch hauptsächlich dem
91
'■'^
Abschnitt VI<i Prlsengerichtsentscheidungen : „Mukden".
Schiff selbst den Schutz der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre
1904*) angedeihen lassen.
5. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien am 5. Februar
1904 in Nagasaki verladen worden, und der Reklamant habe weder damals
noch auch zur Zeit der Aufbringung derselben irgendwelche Kenntnis
von dem Kriege gehabt, so daß ihm der Vorwurf, er habe den Feind
unterstützen und Japan schädigen wollen, nicht gemacht werden könne.
Daher könnten die Güter nach den Anschauungen der von der Gesell-
schaft für internationale Rechtswissenschaft im Jahre 1882 den Mächten
unterbreiteten Seeprisenordnung nicht beschlagnahmt werden. Freilich
habe Japan nicht ausdrücklich erklärt, daß es diese anerkenne, aber,
da das Völkerrecht keine besondere gesetzliche Formulierung besitze^
sondern seine Grundsätze aus den Ansichten einer Anzahl der Ge-
lehrten und den von einer Anzahl der Staaten anerkannten Rechts-
regeln entnehme, so müsse Bestimmungen, wie den hier angezogenen,,
alle Beachtung gezollt werden.
6. Da der Krieg zwischen Staaten als solchen ein Verhältnis be-
gründe, zu dem die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden,,
so ergebe sich der natürliche Grundsatz, daß das Privatvermögen zu
Wasser wie zu Lande unverletzbar sei, und es müsse als richtig anerkannt
werden, daß dasselbe, soweit es sich nicht um Kriegskonterbande handele,,
selbst wenn es im Eigentum eines feindlichen Staatsangehörigen stehe,,
nicht zum Objekt einer Beschlagnahme gemacht werden dürfe. Reklamant
hoffe daher, daß Japan sich nicht nach dem schlechten Vorgange und
den eigenmächtig aufgestellten Grundsätzen von Mächten richten werde^
welche um Vorteils willen die Rechtslogik verdrehten und verwirrten,
sondern daß es zu einer Zeit, wo es gegen den Feind der Humanität
und des Weltfriedens kämpfe, neben seiner nationalen' Machtentwicklung:
auch die Förderung von Recht und Vernunft im Auge behalten werde.
Daher müsse es jetzt seine Größe beweisen, indem es auch für das
Privatvermögen zur See den Grundsatz der Unverletzlichkeit zur Aus-
führung bringe.
7. Transportgüter gingen erst mit dem Augenblick, wo sie im Be-
stimmungsort angekommen und ausgehändigt worden seien, in das Eigen-
tum des Empfängers über, und der Verschiff er verliere keineswegs mit
dem Moment der Verschiffung sein Eigentumsrecht an den Gütern.
Er habe vielmehr selbstredend bis zur Ankunft der Güter im Be-
stimmungsort und Ablieferung an den Empfänger die Rechte und Ver-
antwortlichkeit des Eigentümers. Zum Beispiel habe er im Falle Ver-
lustes der Güter dem Schiffsherrn gegenüber Recht auf Schadensersatz;
und ebenso legten der 8. Abschnitt des 3. Buches und der 3. Abschnitt
*) I.
92
PriMBgerJchtsentschef düngen : „Mukden". Abschnitt VI > <
des 5 Buches unseres Handelsgesetzbuches dem Ladungsempfänger
die Verpflichtung zur Leistung der Fracht- und sonstigen Kosten erst
dann auf, wenn er die Güter ausgehändigt erhalten habe. Es läge kein
Grund vor, allein für das Völkerrecht andere Rechtsnormen anzunehmen.
Es sei daher außer Zweifel, daß die hier verhandelten Güter, welche
dem Empfänger nicht ausgehändigt worden seien, Eigentum des in
Nagasaki ansässigen deutschen Reklamanten seien. Wolle man das
Nationalitätsprinzip anwenden, so sei der Verschiffer Angehöriger eines
neutralen Staats; lege man das Domizilprinzip zugrunde, so sei er als
Japaner zu behandeln. Von welchem Punkte man den Fall auch an-
>ehe, könne man die Güter nicht als feindliche betrachten und für
konfisziert erklären.
8. Es sei billig, daß der Staat für den an Frachtkosten von dem
Reklamanten durch unrechtmäßiges Vorgehen des Staats tatsächlich er-
littenen Schaden aufkomme, da man annehmen müsse, daß der Aus-
druck „Prisensache'' des § 1 der Prisenordnung 5) alles, was zu der
hier verhandelten Sache Beziehung habe, in seinen Sinn einschließe.
Die Hauptpunkte des Schriftsatzes des Staatsanwalts beim Sasebo-
Prkengericht, Hayashi Ei j uro, besagen :
Was man völkerrechtlich als Kriegszeit bezeichne, nehme seinen
Anfang mit öffentlichen, aus der Absicht, den Kampf zu beginnen,
henorgegangenen feindseligen Handlungen. Schon ehe Japan und Ruß-
land über die mandschurische und koreanische Frage diplomatische
Verhandlungen eröffnet gehabt hätten, habe Rußland einerseits absichtlich
ieine Antwort immer hinausgeschoben, auf der andern Seite durch
umfangreiche Kriegsvorbereitungen Japan gegenüber seinen Entschluß,
zu kämpfen, deutlich gezeigt. Daraufhin habe Japan am 5. Februar
1904 seine an Rußland gerichtete Mitteilung über den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen abgesandt, und sein Geschwader sei am
6. Februar, um 7 Uhr morgens, vom Kriegshafen Sasebo aufgebrochen,
um die russische Flotte zu bekämpfen. Diese Handlung stelle sich als
eine mit der Absicht, den Kampf zu beginnen, vorgenommene Hand-
lung dar.
Da es feststehe, daß die Beschlagnahme des Dampfers „Mukden"
nach diesem Zeitpunkt stattgefunden habe, so sei daher die Entscheidung
in dem Urteil erster Instanz, daß es, wenn man den Stand der diplo-
matischen Beziehungen zwischen Japan und Rußland und die Be-
legungen der beiden Geschwader in Betracht ziehe, klar sei, daß der
Kriegszustand bereits vorher bestanden habe, zu Recht getroffen worden.
Für die Behauptung, daß Korea kein neutraler Staat sei, bedürfe
es angesichts dessen, daß es selber sich zu schützen nicht imstande sei,
und wenn man das Ziel dieses Krieges sich vor Augen halte, eines Be-
93
Abschnitt VI<i Prisengerichteentocheidungen : „Mukden'^
weises nicht, da alles dies aus der allgemein bekannten Lage der Dinge
von selbst klar hervorgehe. Zur Entscheidung darüber, ob die Beschlag-
nahme zu rechtfertigen sei oder nicht, genüge es, da das Beschlagnahme-
recht nach dem Völkerrecht in neutralen Häfen oder neutralen doheits-
gewässern nicht vorgenommen werden dürfe, vollkommen, festzustellen,
ob Korea neutral sei oder nicht, und eine Entscheidung darüber, ob
es als feindliches oder als verbündetes Land anzusehen sei, wäre voll-
kommen überflüssig. Daher könne in der Tatsache, daß das Urteil
erster Instanz lediglich behauptet habe, Korea sei kein neutrales Land,
nichts Ungerechtes erkannt werden. Ebenso erübrige es sich, die be-
langlose Behauptung des Reklamanten, das Urteil erster Instanz ver-
trete die Ansicht, Korea sei eine Allonge Japans, zu beantworten.
Ferner könnten die von der Gesellschaft für internationale Rechts-
wissenschaft im Jahre 1882 gefaßten Beschlüsse, welche lediglich die
Privatansichten von Gelehrten repräsentierten, für die Gegenwart noch
nicht als völkerrechtliche Norm anerkannt werden.
Daß man auf feindlichem Schiff befindliche feindliche Güter, wenn
sie auch Privatvermögen seien, einziehen könne, sei ein fundamentaler
Grundsatz des gegenwärtigen Völkerrechts und finde sich gleichermaßen
in der Pariser Erklärung von 1856 wie in der japanischen Prisenordnung
ausgesprochen. Es sei selbstredend, daß man diesen Grundsatz auf
den vorliegenden Fall zur Anwendung bringe.
Die Frage, ob Güter feindlich seien oder nicht, entscheide sich
nach dem Wohnsitz des Eigentümers, und Güter, welche an einen im
Feindesland ansässigen Empfänger abgesandt seien, gälten, mangels
ausdrücklichen Gegenbeweises, von dem Zeitpunkt der Absendung an
als in das Eigentum des Empfängers übergegangen. Da nun der Emp-
fänger der hier verhandelten Güter in dem zum Feindesland gehörigen
Wladiwostok ansässig sei, und der Reklamant keinen Beweis beigebracht
habe, daß die Güter zur Zeit der Aufbringung noch im Eigentum
des Absenders standen, so sei die Ansicht des erstinstanzlichen Urteils,
daß die Güter feindliche Güter seien, rechtmäßig.
Da nach der Prisengerichtsordnung die Entscheidung über die
Schadensersatzforderung nicht zur Kompetenz der Prisengerichte gehöre,
so habe das erstinstanzliche Urteil dieselbe mit Recht abgewiesen.
Die Berufung müsse daher, weil alle vorgebrachten Gründe un-
haltbar seien, abgewiesen werden.
Die vorliegende Entscheidung wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant erklärt die Beschlagnahme der hier verhandelten
Güter zusammen mit dem Dampfschiff „Mukden'' für ungerechtfertigt,
weil sie am 6. Februar 2*^ p. m., das heißt vor Entstehung des Kriegs-
zustandes, stattgefunden habe. Die Eröffnung des Krieges fällt aber
94
PriseBgerichtsentscheidungen: „Mukden". Abschnitt VI<f
nicht unbedingt mit dem ersten Austausch von Kanonenfeuer unter
den beiden Streitmächten zusammen, auch ist sie nicht unbedingt von
der Abgabe einer Kriegserklärung oder einer dieser gleichstehenden
Mitteilung abhängig. Wenn auch nur eine weniger drastische Aus-
führung der Kriegsabsicht oder andere Manifestation des Willens zu
kämpfen, vorliegt, so ist damit der Kriegszustand eingetreten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen Ruß-
land durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf
Erhaltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende
Kriegsrüstungen seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen,
klar bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres 1904
eine Instruktion bezüglich Abbruchs der diplomatischen Beziehungen
an unsern Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegs-
geschwader seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, dem
6. Februar, mit der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von dem
Kriegshafen von Sasebo ab und nahm auf der Fahrt, also während der
Kriegszeit, das der russischen freiwilligen Flotte angehörige, für den
Kriegsgebrauch der russischen Regierung bereitzustellende Dampfschiff
„Ekaterinoslav" in Beschlag. Dies war eben nichts anderes als eine
Ausführung der Kriegsabsicht, und die erst später erfolgte Beschlag-
nahme des hier in Frage kommenden Dampfers kann daher nicht als
ungerechtfertigt bezeichnet werden; dies um so weniger, als sie auch
nach der am 6. Februar um 2 Uhr nachmittags erfolgten Mitteilung
unserer Regierung an den bei unserem Hofe akkreditierten russischen
Gesandten betreffend den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
stattgefunden hat. Punkt 1 und 2 der Berufung sind daher grundlos.
Punkt 3 der Berufung behauptet, daß zum mindesten bis zum
27. Februar 1904, das heißt bis zum Abschluß des japanisch-koreanischen
Bündnisses, Korea neutral gewesen und daß dies ein Grund für die
Freilassung der in Frage stehenden Prise sei. Aber da Korea von
Anfang an für diesen Krieg sein Einverständnis gegeben hat, daß die
japanischen Truppen in Korea landen und durch dasselbe passieren
dürften, auch der Krieg sich von Anfang an in seinem Gebiete ab-
gespielt hat, so kann es nicht als neutral im gewöhnlichen Sinne des
^'orts bezeichnet werden. Auch läßt sich dagegen, daß das Sasebo-
Prisengericht neben seiner Behauptung, Korea sei nicht neutral, keine
weiteren Erörterungen über die Natur der Stellung Koreas getroffen
habe, nichts einwenden. Daher ist auch Punkt 3 der Berufung grundlos.
Da aus der Tatsache, daß Korea nicht neutral ist, durchaus nicht
gefolgert werden kann, daß Fusan ein japanischer Hafen ist, so fällt
auch Punkt 4 der Berufung hin.
Auf den Punkt 5 der Berufung ist zu erwidern,. daß der Reklamant
95
Abschnitt VI <i Prisengerichtoentocheidungen : „Mukden".
dort lediglich eine wissenschaftliche Ansicht anführt, welcher jedoch
bis jetzt noch nicht der Charakter einer völkerrechtlichen Form bei-
gelegt werden kann.
Der Punkt 6 der Berufung ist lediglich ein persönlicher Wunsch
des Reklamanten. Das Völkerrecht erkennt dagegen tatsächlich an, daß
Güter, wenn sie auch Privateigentum sind, deshalb nicht minder ein
Objekt der Beschlagnahme zur See sind. Daher sind auch Punkt 5
und 6 der Berufung als unhaltbar zurückzuweisen.
Im Punkt 7 seiner Berufung sagt der Reklamant, die Güter stünden
im Eigentum des Verschiffers und könnten daher nicht als feindliche
Güter eingezogen werden. Es ist aber völkerrechtliche Bestimmung,
daß Güter, welche von einer außerhalb Feindesgebiet ansässigen Person
auf feindlichem Schiffe an einen im Feindesgebiet wohnhaften Empfänger
abgesandt werden, als feindHche gelten und eingezogen werden können.
Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß diese Bestimmung den Ver-
hältnissen durchaus gerecht wird, und verwirft deshalb Punkt 7 der
Berufung.
Auch der Ansicht des Punktes 8 der Berufungsgründe, daß das
Urteil erster Instanz die Schadenersatzforderung für Fracht zu Unrecht
abgewiesen habe, kann nicht beigepflichtet werden, da nach den Be-
stimmungen unserer Prisengerichtsordnung die Prüfung von Schaden-
ersatzforderungen nicht zur Amtsbefugnis der Prisengerichte gehört.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird verworfen.
Am 3. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: A. Gese, Vertreter der Filiale der Firma H. Ah-
rens & Co., Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Oura 8.
In der Prisensache betreffend die Ladung des russischen Dampfers
„Mukden'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die an Bord des Dampfers „Mukden'' verschifften Güter, nämhch :
1 Kiste Bücher, 3 Kisten Parfüm, 1 Kiste Glasgeräte,
2 Kisten Glasröhren, 2 Kisten Senfsamen, 1 Kiste Gewürze
und Chemikalien, 150 Kolli Zitronen, 75 Kisten Apfelsinen,
1 Kiste Musikinstrumente, 1 Kollo Notizbücher und 1 Kiste
Instrumente
werden eingezogen.
96
Prisengerlchtsentscheidungen: „Mukden". Abschnitt VI<k
Die Reklamation wegen der Fracht-, Umlade- und Reisekosten wird
abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Bücher und die unter den anderen
10 Punkten aufgeführten Güter sind am 5. Februar 1904 von dem
Reklamanten in Nagasaki auf dem russischen Dampfer „Mukden" mit
Bestimmung nach Wladiwostok in Rußland verschifft und am 6. Februar
desselben Jahres nachmittags im Hafen von Fusan von dem japanischen
Kriegsschiff „Heiyen" zusammen mit dem genannten Dampfer beschlag-
nahmt worden. Diese Tatsachen gehen klar hervor aus dem Protokoll
des Stellvertreters des Kommandanten des Kriegsschiffs „Heiyen'',
Kapitanleutnants Yoshimura Shinsei, aus den Vernehmungs-
schriften des 1. Offiziers Serge Wiszniowski und des 2. Offiziers
Alexander Iwanowitsch Kanajeff des Dampfers „Mukden",
aus dem Ladungsverzeichnis, den Frachtscheinen und dem Logbuch
des genannten Dampfers.
Die Hauptreklamationspunkte sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien vor der Veröffent-
lichung der Kriegserklärung verschifft und vor der Eröffnung der Feind-
seligkeiten in einem neutralen koreanischen Hafen aufgebracht worden.
Da sie femer keine Kriegskonterbande seien und die Empfänger neutrale
Staatsangehörige, nämlich Deutsche und Italiener seien, so könnten sie
nach Artikel 3 der Pariser Deklaration vom Jahre 1856 nicht beschlag-
nahmt werden, und der Reklamant beantrage deshalb ihre Freilassung.
Femer beantragte er den Ersatz der Fracht- und Umladespesen sowie
der ihm durch die auf Ladung des Prisengerichts dorthin zwecks
Reklamation unternommene Reise erwachsenen Kosten.
Der Staatsanwalt bezeichnet in der Hauptsache die Gründe des
Reklamanten alle für haltlos und erklärt die Güter, da die Empfänger
derselben im feindlichen Gebiet ansässig und die Güter deshalb als
feindliche zu betrachten seien, für gute Prise.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Nach den gegenwärtigen völkerrechtlichen Bestimmungen und Ge-
bräuchen sind Güter auf feindlichem Schiff, gleichviel ob Kriegskonter-
bande oder nicht, feindliche Güter und können, ungeachtet ob vor Ver-
öffentlichung der Kriegserklärung verladen oder nicht, selbstverständlich
während der Kriegszeit mit Beschlag belegt werden. Nun sind die zur
Verhandlung stehenden Güter auf dem feindlichen Dampfer „Mukden"
nach dem feindlichen Wladiwostok versandt worden und, wenn auch
der größte Teil von ihnen für dort ansässige Deutsche und Italiener
bestimmt war, so erklärt das Gericht dieselben doch für feindliche,
da sich die Frage, ob Güter feindliche sind oder nicht, nicht nach der
Nationalität des Eigentümers, sondern nach dem Wohnsitz desselben
Mftrstrand-Meohlenburg, Das Japanische Prisenreoht. Band 1. (7) 97
Abschnitt VI<k Prisengerichtsentocheidungen: „Mukden".
bestimmt, i) die Eigentümer der gesamten hier verhandelten Güter aber
im Feindesland ansässig sind.
Außerdem ist es, wenn man den Stand der diplomatischen Be-
ziehungen zwischen Japan und Rußland und die Bewegungen der beiden
Geschwader in Betracht zieht, klar, daß der Kriegszustand bereits vorher
bestanden hat. Daher kann man nicht behaupten, daß die Beschlag-
nahme vor Eröffnung des Krieges stattgefunden hat.
Da es ferner klar ist, daß Korea zurzeit nicht neutral gewesen
ist, so kann man die in einem koreanischen Hafen stattgehabte Beschlag-
nahme nicht für rechtswidrig erklären.
Aus diesen Erwägungen müssen die Reklamationsgründe alle für
grundlos erachtet werden.
Was den Ersatz der Fracht-, Umlade- und Reisekosten angeht, so-
liegt die Entscheidung hierüber nicht im Bereich des Prisengerichts.
Es wird demnach wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet im Prisengericht zu Sasebo am 26. Mai 1904 im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: A. Gese, Vertreter der Filiale der Firma H. Äh-
ren s & Co., Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Oura 8.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Re-
gierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Togiyamachi 41.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht in Sasebo in der Prisen-
sache betreffend die auf dem russischen Dampfer „Mukden" verladene
und mit demselben am 6. Februar 1904 in dem koreanischen Hafen
Fusan von dem japanischen Kriegsschiff „Heiyen'' aufgebrachte Ladung
dahin entschieden, daß die auf dem Dampfer „Mukden'' verschifften
Güter, nämlich: 1 Kiste Bücher, 3 Kisten Parfüm, 1 Kiste Glasgeräte,.
2 Kisten Glasröhren, 2 Kisten Senfsamen, 1 Kiste Gewürze und Chemi-
kalien, 150 Kolli Zitronen, 75 Kisten Apfelsinen, 1 Kiste Musikinstrumente,.
1 Kollo Notizbücher und'l Kiste Instrumente einzuziehen seien.
Die Reklamation wegen der Fracht-, Umlade- und Reisekosten
wurde abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat der Reklamant, der Vertreter der
Filiale der Firma H. Ahrens & Co., A. Gese, durch den Rechts-
anwalt Ishibashi Tomokichi als Prozeßvertreter die Berufung ein-
0 V. §§ 8, 3 und 4. — ») V. § 40.
«8
Priseagerichtsentscheidungen : MMukden". Abschnitt VI <k
gelegt Diese ist vom Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte
des Oberprisengerichts, Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwa-
tari Binichi, geprüft worden.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Ishibashi Tomokichi, sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz, Freilassung der
enrähnten beschlagnahmten Gegenstände und Ersatz der Fracht- und
Umladekosten von 88, 56 Yen durch den japanischen Staat beantragt,
und zwar aus folgenden Gründen :
1. Die Beschlagnahme der zur Verhandlung stehenden Güter durch
das Kriegsschiff „Heiyen" habe am 6. Februar 1904, 2 Uhr 45 Minuten
nachmittags, zusammen mit der Beschlagnahme des Dampfers „Mukden''
stattgefunden. Nach dem vom Minister der Auswärtigen Angelegenheiten,
Komura, veröffentlichten Protokoll über die diplomatischen Ver-
handlungen habe der Gesandte K u r i n o das Ultimatum der russischen
Regierung erst um 4 Uhr nachmittags des 6. Februars zugestellt. Daher
habe die Beschlagnahme vor dem Entstehen des Kriegszustandes statt-
gefunden, und sei deshalb nicht zu rechtfertigen. Daß vor dem 6.,
nämlich am 5. Februar, noch kein Kriegszustand bestanden habe, gehe
klar hervor aus der Tatsache, daß das Zollamt in Nagasaki, eine Kaiserlich
japanische Behörde, dem Dampfer „Mukden" und seiner Ladung die
Ausklarierungspapiere und die Ladeerlaubnis gewährt habe.
2. Der Zeit in Fusan 2** p. m. am 6. Februar entspreche in der
russischen Hauptstadt die Zeit um 7 a. m. des 6. Februars. Das Urteil
erster Instanz hätte nur von der Annahme ausgehend, daß der Abbruch
der diplomatischen Beziehungen vor 7 a. m. des 6. Februars statt-
i;cfunden hätte, zur Verurteilung der hier verhandelten Güter kommen
können; jetzt aber, wo es klar sei, daß man dies nicht mehr annehmen
könne, sei die Entscheidung erster Instanz hinfällig.
3. Der Ort der Beschlagnahme des fraglichen Dampfers sei Fusan
in Korea. Korea sei mindestens bis zum Abschluß der Allianz mit Japan
am 27. Februar 1904 ein neutraler Staat gewesen. Das Urteil erster
Instanz stelle aber geradeweg die Behauptung auf, Korea könne de
facto nicht als neutraler Staat betrachtet werden. Weshalb es nicht
als solcher betrachtet werden könne und ob es, wenn es nicht als
neutral gelte, als Feindesland anzusehen sei, oder ob es mit Rücksicht
auf den Kriegszustand als Japans Verbündeter gelte, der mit ihm Hand
in Hand zu gehen habe, alles das habe das Urteil erster Instanz nicht
klargestellt, sondern, ohne irgendwelche Beweise zugrunde zu legen,
vrillkurliche Behauptungen aufgestellt. Deshalb müsse das Urteil auf-
gehoben und auf Freilassung der zur Verhandlung stehenden Güter
erkannt werden.
4. Wenn man Korea im Sinne der ersten Entscheidung als nicht
(?•) 99
Abschnitt Vl^k Prisengeiichtoentscheidungen: „Mukden".
neutral, vielmehr für die Dauer des Krieges als eine Erweiterung Japans
ansehe, so müsse man, da dann Fusan als eine Hafenbucht Japans gelte,
den zur Verhandlung stehenden Gütern wie auch hauptsächlich dem
Schiff selbst den Schutz der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre
1904 angedeihen lassen.
5. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien am 5. Februar
1904 in Nagasaki verladen worden, und der Reklamant habe weder
damals noch auch zur Zeit der Aufbringung derselben irgendwelche
Kenntnis von dem Kriege gehabt, so daß ihm der Vorwurf, er habe
den Feind unterstützen und Japan schädigen wollen, nicht gemacht
werden könne. Daher könnten die Güter nach den Anschauungen der
von der Gesellschaft für internationale Rechtswissenschaft im Jahre 1882
den Mächten unterbreiteten Seeprisenordnung nicht beschlagnahmt
werden. Freilich habe Japan nicht ausdrücklich erklärt, daß es diese
anerkenne, aber, da das Völkerrecht keine besondere gesetzliche Formu-
lierung besitze, sondern seine Grundsätze aus den Ansichten einer An-
zahl der Gelehrten und den von einer Anzahl der Staaten anerkannten
Rechtsregeln entnehme, so müsse Bestimmungen, wie den hier an-
gezogenen, alle Beachtung gezollt werden.
6. Da der Krieg zwischen den Staaten als solchen ein Verhältnis
begründe, zu dem die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden,
so ergebe sich der natürliche Grundsatz, daß das Privatvermögen zu
Wassei wie zu Lande unverletzbar sei, und es müsse als richtig an-
erkannt werden, daß dasselbe, soweit es sich nicht um Kriegskonterbande
handele, selbst wenn es im Eigentum eines feindlichen Staatsangehörigen
stehe, nicht zum Objekt einer Beschlagnahme gemacht werden dürfe.
Reklamant hoffe aber, daß Japan sich nicht nach dem schlechten Vor-
gange und den eigenmächtig aufgestellten Grundsätzen von Mächten
richten werde, welche um Vorteils willen die Rechtslogik verdrehten
und verwirrten, sondern daß es zu einer Zeit, wo es gegen den Feind
der Humanität und des Weltfriedens kämpfe, neben seiner nationalen
Machtentwicklung auch die Förderung von Recht und Vernunft im
Auge behalten werde. Daher müsse es jetzt seine Größe beweisen,
indem es auch für das Privatvermögen zur See den Grundsatz der
Unverletzlichkeit zur Ausführung bringe.
7. Transportgüter gingen erst mit dem Augenblick, wo sie im
Bestimmungsort angekommen und ausgehändigt worden seien, in das
Eigentum des Empfängers über, und der Verschiffer verliere keines-
wegs mit dem Moment der Verschiffung sein Eigentumsrecht an den
Gütern. Er habe vielmehr selbstredend bis zur Ankunft der Güter
im Bestimmungsort und Ablieferung an den Empfänger die Rechte
und Verantwortlichkeit des Eigentümers. Zum Beispiel habe er im Falle
Verlustes der Güter dem Schiffsherrn gegenüber Recht auf Schadens-
100
Pritengerichtsentscheidungeii: ,,lllukden". Abschnitt Vl^k
ersatz: und ebenso legten der 8. Abschnitt des 3. Buches und der
3. Abschnitt des 5. Buches unseres Handelsgesetzbuches dem Ladungs-
empfänger die Verpflichtung zur Leitung der Fracht- und sonstigen
Kosten erst dann auf, wenn er die Güter ausgehändigt erhalten habe.
Es läge kein Grund vor, allein für das Völkerrecht andere Rechts-
normen anzunehmen. Es sei daher außer Zweifel, daß die hier ver-
handelten Güter, welche dem Empfänger nicht ausgehändigt worden
seien, Eigentum des in Nagasaki ansässigen deutschen Reklamanten seien.
Wolle man das Nationalitätsprinzip anwenden, so sei der Verschiffer
Angehöriger eines neutralen Staats; lege man das Domizilprinzip zu-
grunde, so sei er als Japaner zu behandeln. Von welchem Punkte
man den Fall auch ansehe, könne man die Güter nicht als feindliche
betrachten und für konfisziert erklären.
8. Es sei billig, daß der Staat für den an Frachtkosten von dem
Reklamanten durch unrechtmäßiges Vorgehen des Staats tatsächlich er-
littenen Schaden aufkomme, da man annehmen müsse, daß der Aus-
druck „Prisensache" des § 1 der Prisenordnung alles, was zu der hier
verhandelten Sache Beziehung habe, in seinen Sinn einschließe.
Die Hauptpunkte des Schriftsatzes des Staatsanwalts beim Sasebo-
Prisengericht, Hayashi Ei j uro, besagen :
Was man völkerrechtlich als Kriegszeit bezeichne, nehme seinen
Anfang mit öffentlichen, aus der Absicht, den Kampf zu beginnen,
her\wgegangenen feindseligen Handlungen. Schon ehe Japan und Ruß-
land über die mandschurische und koreanische Frage diplomatische
Verhandlungen eröffnet gehabt hätten, habe Rußland einerseits absichtlich
seme Antwort immer hinausgeschoben, auf der anderen Seite durch
umfangreiche Kriegsvorbereitungen Japan gegenüber seinen Entschluß,
zu kämpfen, deutlich gezeigt. Daraufhin habe Japan am 5. Februar
1904 seine an Rußland gerichtete Mitteilung über den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen abgesandt, und sein Geschwader sei am
n. Februar, um 7 Uhr morgens, vom Kriegshafen von Sasebo auf-
gebrochen, um die russische Flotte zu bekämpfen. Diese Handlung
>telle sich als eine mit der Absicht, den Kampf zu beginnen, vor-
genommene Handlung dar.
Da es feststehe, daß die Beschlagnahme des Dampfers „Mukden"
nach diesem Zeitpunkte stattgefunden habe, so sei daher die Ent-
>cheidung in dem Urteil erster Instanz, daß am 6. Februar der Kriegs-
zustand zwischen Japan und Rußland bereits bestanden habe, zu Recht
.getroffen worden.
Für die Behauptung, daß Korea kein neutraler Staat sei, bedürfe
c> angesichts dessen, daß es selber sich zu schützen nicht imstande
j»ei, und wenn man das Ziel dieses Krieges sich vor Augen halte, eines
Beveises nicht, da alles dies aus der allgemein bekannten Lage der
101
Abschnitt VI<k Prisengerichtsentocheidungen: „Hlukden".
Dinge von selbst klar hervorgehe. Zur Entscheidung darüber, ob die
Beschlagnahme zu rechtfertigen sei oder nicht, genüge es, da das
Beschlagnahmerecht nach dem Völkerrecht in neutralen Häfen oder
neutralen Hoheitsgewässern nicht vorgenommen werden dürfe, voll-
kommen, festzustellen, ob Korea neutral sei oder nicht, und eine Ent-
scheidung darüber, ob es als feindliches oder als verbündetes Land
anzusehen sei, wäre vollkommen überflüssig. Daher könne in der Tat-
sache, daß das Urteil erster Instanz lediglich behauptet habe, Korea sei
kein neutrales Land, nichts Ungerechtes erkannt werden. Ebenso er-
übrige es sich, die belanglose Behauptung des Reklamanten, das Urteil
erster Instanz vertrete die Ansicht, Korea sei eine Allonge Japans, zu
beantworten.
Ferner könnten die von der Gesellschaft für internationale Rechts-
wissenschaft im Jahre 1882 gefaßten Beschlüsse, welche lediglich die
Privatansichten von Gelehrten repräsentierten, für die Gegenwart noch
nicht als völkerrechtliche Norm anerkannt werden.
Daß man auf feindlichem Schiff befindliche feindliche Güter, wenn
sie auch Privatvermögen seien, einziehen könne, sei ein fundamentaler
Grundsatz des gegenwärtigen Völkerrechts und finde sich gleichermaßen
in der Pariser Erklärung von 1856 wie in der japanischen Prisenordnung
ausgesprochen. Es sei selbstredend, daß man diesen Grundsatz auf
den vorliegenden Fall zur Anwendung bringe.
Die Frage, ob Güter feindlich seien oder nicht, entscheide' sich
nach dem Wohnsitz des Eigentümers, und 'Güter, welche an einen im
Feindesland ansässigen Empfänger abgesandt seien, gälten, mangels aus-
drücklichen Gegenbeweises, von dem Zeitpunkt der Absendung an als
in das Eigentum des Empfängers übergegangen. Da nun der Empfänger
der hier verhandelten Güter in dem zum Feindesland gehörigen Wladi-
wostok ansässig sei, und der Reklamant keinen Beweis beigebracht habe,
daß die Güter zur Zeit der Aufbringung noch im Eigentum des Ab-
senders standen, so sei die Ansicht des erstinstanzlichen Urteils, daß
die Güter feindliche Güter seien, rechtmäßig.
Da nach der Prisengerichtsordnung die Entscheidung über die
Schadensersatzforderung nicht zur Kompetenz der Prisengerichte gehöre,
so habe das erstinstanzliche Urteil dieselbe mit Recht abgewiesen.
Die Berufung müsse daher, weil alle vorgebrachten Gründe un-
haltbar seien, abgewiesen werden.
Die vorliegende Entscheidung wird wie folgt begründet:
Der Reklamant erklärt die Beschlagnahme der hier verhandelten
Güter zusammen mit dem Dampfschiff „Mukden'' für ungerechtfertigt,
weil sie am 6. Februar 1904 2** p. m., das heißt vor Entstehen des
Kriegszustandes, stattgefunden habe. Die Eröffnung des Krieges fällt
nicht unbedingt mit dem ersten Austausch von Kanonenfeuer unter
102
PiisanQSricIitsentscheidungen: ,»Mukden". Abschnitt VI<k
den beiden Streitmächten zusammen, auch ist sie nicht unbedingt von
der Abgabe einer Kriegserklärung oder einer dieser gleichstehenden
Mitteilung abhängig. Wenn auch nur eine weniger drastische Aus-
führung der Kriegsabsicht oder andere Manifestation des Willens, zu
kämpfen, vorliege, so ist damit der Kriegszustand eingetreten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen Ruß-
land durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf
Erhaltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende
Kriegsrüstungen seine Absicht, uns mit Waffengehalt zu unterwerfen,
klar bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres 1904
eine Instruktion bezügHch Abbruchs der diplomatischen Beziehungen
an unsern Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegs-
geschwader seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, dem
6, Februar, mit der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von dem
Kriegshafen Sasebo ab, und nahm auf der Fahrt, also während der
Kriegszeit, das der russischen freiwilligen Flotte angehörige, für den
Kriegsgebrauch der russischen Regierung bereitzustellende Dampfschiff
„Ekaterinoslav" in Beschlag. Dies war eben nichts anderes als eine
Ausführung der Kriegsabsicht, und die erst später erfolgte Beschlag-
nahme des hier in Frage kommenden .Dampfers kann daher nicht als
ungerechtfertigt bezeichnet werden; dies um so weniger, als sie auch
nach der am 6. Februar, nachmittags 2 Uhr, erfolgten Mitteilung unserer
Regierung an den bei unserem Hofe akkreditierten russischen Gesandten
betreffend den Abbruch der diplomatischen Beziehungen stattgefunden
hat. Punkt 1 und 2 der Berufung sind daher grundlos.
Punkt 3 der Berufung behauptet, daß zum mindesten bis zum
27. Februar 1904, das heißt bis zum Abschluß des japanisch-koreanischen
Bündnisses, Korea neutral gewesen und daß dies ein Grund für die
Freilassung der in Frage stehenden Prise sei. Aber da Korea von
Anfang an für diesen Krieg sein Einverständnis gegeben hat, daß die
japanischen Truppen in Korea landen und durch dasselbe passieren
dürften, auch der Krieg sich von Anfang an in seinem Gebiet abgespielt
hat, so kann es nicht als neutral im gewöhn Hchen Sinne des Wortes
bezeichnet werden. Wenn aber Korea nicht im gewöhnlichen Sinne
neutral ist, so kann die in seinen Hoheitsgewässern erfolgte Beschlag-
nahme nicht als widerrechtlich bezeichnet werden. Auch läßt sich da-
gegen, daß das Sasebo-Prisengericht neben seiner Behauptung, Korea
sei nicht neutral, keine weiteren Erörterungen über die Natur der Stellung
Koreas getroffen habe, nichts einwenden. Daher ist auch Punkt 3
der Berufung grundlos.
Da aus der Tatsache, daß Korea nicht neutral ist, durchaus nicht
gefolgert werden kann, daß Fusan ein japanischer Hafen ist, so fällt
auch Punkt 4 der Berufung hin.
103
Abschnitt VI<i Prisengerichtsentscheidungen: „Mukden".
Auf den Punkt 5 der Berufung ist zu erwidern, daß der Reklamant
dort lediglich eine wissenschaftliche Ansicht anführt, welcher jedoch
bis jetzt noch nicht der Charakter einer völkerrechtlichen Norm bei-
gelegt werden kann.
Der Punkt 6 der Berufung ist lediglich ein persönlicher Wunsch
des Reklamanten. Das Völkerrecht erkennt dagegen tatsächlich an, daß
Güter, wenn sie auch Privateigentum sind, deshalb nicht minder ein
Objekt der Beschlagnahme zur See sind. Daher sind auch Punkt 5-
und 6 der Berufung als unhaltbar zurückzuweisen.
Im Punkt 7 seiner Berufung sagt der Reklamant, die Güter stünden,
im Eigentum des Verschiffers und könnten daher nicht als feindliche
Güter eingezogen werden. Es ist aber völkerrechtliche Bestimmung,,
daß Güter, welche von einer außerhalb Feindesgebiet ansässigen Person
auf feindlichem Schiff an einen im Feindesgebiet wohnhaften Empfänger
abgesandt werden, als feindliche gelten und eingezogen werden Können.
Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß diese Bestimmung den Ver-
hältnissen durchaus gerecht wird, und verwirft deshalb Punkt 7 der
Berufung.
Auch der Ansicht des Punktes 8 der Berufungsgründe, daß das
Urteil erster Instanz die Schadensersatzforderung für Fracht- und Um-
ladekosten zu Unrecht abgewiesen habe, kann nicht beigepflichtet werden,
da nach den Bestimmungen unserer Prisengerichtsordnung die Prüfung^
von Schadensersatzforderungen nicht zur Amtsbefugnis der Prisen-
gerichte gehört.
Es wird daher wie folgt entschieden :
Die Berufung wird verworfen.
Am 3. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der englische Staatsangehörige Frederic Rin-
ger, Nagasaki, Oura Nr. 7, in Firma der Handels- und Schiffsagentur-
gesellschaft Holme, Ringer & Co.
• In der Prisensache betreffend Ladung des russischen Dampfers
„Mukden'' wird wie folgt entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden'' verladenen 1000 Sack japanischer
Reis und 360 Kolli getrocknetes Obst und 16 Polyphone werden ein-
gezogen.
104
Prisengerichtsentscheidungen: „Hlukden". Abschnitt VI>i
Tatbestand und Gründe:
Die in der Urteilsformel verzeichneten Güter sind von dem Rekla-
manten in Nagasaki auf dem russischen Dampfer „Mukden'* verladen
und am 6. Februar 1904, 2 Uhr 45 Minuten nachmittags, auf der Reise
nach Wladiwostok im Hafen von Fusan von dem Kaiserlichen Kriegs*
schiff „Heiyen" zusammen mit dem genannten Schiff beschlagnahmt
vorden.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Heiyen", Kapitänleutnants Yoshi-
mura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des 1. Offiziers der
„Mukden", Serge Wiszniowski, und des 2. Offiziers Alex-
ander Iwanowitsch Kanajeff, das Ladungsverzeichnis, die
Konnossemente und das Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Der Reklamant hat Ladung zur mündlichen Verhandlung erhalten,
ist aber nicht erschienen. *)
Die Hauptpunkte der in der Reklamationsschrift niedergelegten
Reklamation sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende japanische Reis sei von dem Rekla-
manten auf Bestellung der Firma Choorin & Co. in Wladiwostok
in Nagasaki eingekauft und während des Transports an die genannte
Firma beschlagnahmt worden. Da der Reis noch nicht am Bestimmungs-
ort angekommen und folglich der Kaufpreis noch nicht bezahlt sei, so
stehe der Reis noch im Eigentum des Reklamanten und habe keinerlei
Beziehungen zu der russischen Regierung.
Die 360 Kolli getrocknetes Obst und 16 Polyphone, welche von
S. Francisco auf dem japanischen Dampfer „Nippon Maru" nach
Nagasaki gekommen und von dem Reklamanten auf die „Mukden'*
umgeladen und nach Wladiwostok geschickt worden seien, stünden
gleichfalls im Eigentum verschiedener einzelner Personen.
Es werde daher die Auslieferung aller zur Verhandlung stehenden
Güter an den Reklamanten beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts gehen dahin, daß
die zur Verhandlung stehenden Güter alle für Personen, welche ihren
Wohnsitz im feindlichen Wladiwostok hätten, bestimmt seien und da-
her als feindliches Gut auf feindlichem Schiff der Wegnahme verfallen
mußten.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach den Bestimmungen und Gebräuchen des geltenden Völker-
rechts kann feindliches Gut auf feindlichem Schiff mit Recht weg-
genommen werden. Die Frage, ob Güter feindlich sind oder nicht,
') IV. § 18.
105
Abschnitt VI^"» Prisengerichtsentocheidungen: „Mukden**.
bestimmt sich nach dem Wohnsitz des Eigentümers,-) und die Frage,
ob sie der feindlichen Regierung gehören oder nicht, ist unerheblich.
Ferner werden Güter, welche an einen feindlichen Empfänger
abgesandt worden sind, als feindliche Güter betrachtet und, wenn die
Interessenten das Gegenteil behaupten wollen, so liegt der Beweis hier-
für ihnen ob.
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind auf dem feindlichen
Dampfer „Mukden" verladen und von amerikanischen und japanischen
Absendern an Empfänger im feindlichen Wladiwostok abgesandt
worden. Da der Reklamant für die Behauptung, daß die Güter nicht
feindlich seien, keinen Beweis erbracht hat, so ist diese Behauptung
als unbegründet anzusehen und die Güter sind als feindliche Güter
einzuziehen. »)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Frederic Ringer, Chef der Firma Holme,
Ringer & Co., Nagasaki, Gura, Nr. 7.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt ShigefujiTsurutaro, Na-
gasaki, Hikijimachi, Nr. 33.
Die gegen das Urteil des Prisengerichts zu Sasebo vom 14. Juni
1904 in Sachen von Ladungsstücken des beschlagnahmten Dampfers
„Mukden" eingelegte Berufung wird abgewiesen, weil der Prozeßvertreter
keine ausreichenden Beweisdokumente für seine Prozeßvollmacht bei-
gebracht hat.*)
• Am 3. Juli 1905.
Das Oberprisengericht.
Reklamanten: Der amerikanische Kaufmann Arthur W. Tay-
lor in Wladiwostok, Rußland, und
der amerikanische Staatsangehörige D. H. Blake, Prokurist der
American Trading Company, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama,
Yamashitacho Nr. 28.
*) V. §§ 8, 3 und 4. — ') V. § 40, 2. — *) IV. § 20.
106
Prisangerichtsentscheidungen: „Mukden''. Abschnitt VI >"■
Prozeßvertreter der beiden Reklamanten: Rechtsanwalt
Akiyama Genzo, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yama-
shitacho Nr. 75.
In der Prisensache betreffend Ladungsstücke des russischen
Dampfers „Mukden" wird, wie folgt, entschieden:
U r t e i I s f o r m e 1 :
Die auf dem Dampfer „Mukden'' verladenen 1723 Faß Nägel
und 1 Kollo Gasbrenner werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die auf dem Dampfer „Mukden" verladenen Nägel und Gas-
brenner wurden auf der Reise nach Wladiwostok am 6. Februar 1904
im Hafen von Fusan in Korea zusammen mit dem genannten Dampfer
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
das Güterverzeichnis des Stellvertreters des Kommandanten der „Heiyen",
Kapitänleutnants Yoshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle
des 1. Offiziers der „Mukden", Serge Wiszniowski, und des
2. Offiziers, Alexander IwanowitschKanajeff, das Tagebuch,
das Ladungsverzeichnis und die Konnossemente des genannten Dampfers
sowie die Aussagen des Vertreters der Reklamation.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Bestimmungsort der zur Verhandlung stehenden Güter sei
freilich feindliches Gebiet, aber zur Zeit ihrer Verschiffung hätten Japan
und Rußland noch keine Kriegserklärungen abgegeben, auch hätten
die Feindseligkeiten noch nicht begonnen gehabt.
Da die Güter im Eigentum des neutralen Empfängers stünden und
keine Kriegskonterbande seien, so müßten sie freigegeben werden.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, daß
die Güter erwiesenermaßen feindliche Güter auf feindlichem Schiff seien;
daß die Behauptungen des Reklamanten völlig unbegründet und die
Güter einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Feindliches Gut auf feindlichem Schiff, gleichviel ob Konterbande
oder nicht, gleichviel auch ob vor der Kriegseröffnung verschifft oder
nicht, kann mit Recht eingezogen werden.^)
Es steht nach dem Völkerrecht außer Zweifel, daß die Frage, ob
Guter feindlich sind, sich ungeachtet der Nationalität des Eigentümers
nach dessen Wohnsitz bestimmt. 2)
>) V. § 40. — 2) V. §§ 8, 3 und 4.
107
Abschnitt Vl^m" Prisengerichtoentscheidungen : „Mukden".
Wenn man die obigen Tatsachen betrachtet, so muß es für er-
wiesen erachtet werden, daß die zur Verhandlung stehenden Güter
feindliches Gut auf feindlichem Schiff darstellen und daß kein Grund
für ihre Freigabe vorliegt.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts MizukamiChojiro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die amerikanische Staatsangehörige Kaufmann
Sarah Elizabeth Smith in Wladiwostok, Rußland, und der
amerikanische Staatsangehörige D. H. Blake, Prokurist der American
Trading Company, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 28.
Prozeßvertreter der beiden Reklamanten: Rechtsanwalt
Akiyama Genzo, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yama-
shitacho Nr. 75.
In der Prisensache betreffend Ladungsstücke des russischen
Dampfers „Mukden'' wird wie folgt entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden" verladenen 45 Kisten Wagen
werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die auf dem Dampfer „Mukden'' verladenen Wagen wurden auf
der Reise nach Wladiwostok am 6. Februar 1904 im Hafen von Fusan
in Korea zusammen mit dem genannten Dampfer von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Heiyen'' beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
das Güterverzeichnis des Stellvertreters des Kommandanten der „Heiyen",
Kapitänleutnants Yoshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle
des 1. Offiziers der „Mukden'', Serge Wiszniowski, und des
2. Offiziers Alexander Iwanowitsch Kanajeff, das Tagebuch,
das Ladungsverzeichnis und die Konnossemente des genannten Dampfers
sowie die Aussagen des Vertreters der Reklamation.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Bestimmungsort der zur Verhandlung stehenden Güter sei
108
PriMiigerichtseiitscheidungen: „Mukden''.
Abschnitt VI«""
freilich feindliches Gebiet, aber zur Zeit ihrer Verschiffung hätten Japan
und Rußland noch keine Kriegserklärungen abgegeben, auch hätten
die Feindseligkeiten noch nicht begonnen gehabt.
Da die Güter im Eigentum des neutralen Empfängers stünden
und keine Kriegskonterbande seien, so müßten sie freigegeben werden.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, daß
die Güter erwiesenermaßen feindliche Güter auf feindlichem Schiff seien,
daß die Behauptungen des Reklamanten völlig unbegründet und die
Güter daher einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Feindliches Gut auf feindlichem Schiff kann, gleichviel ob Konter-
bande oder nicht, gleichgültig auch ob vor der Kriegseröffnung ver-
schifft oder nicht, mit Recht eingezogen werden.
Es steht nach dem Völkerrecht außer Zweifel, daß die Frage, ob
Güter feindlich sind, sich ungeachtet der Nationalität des Eigentümers
nach dessen Wohnsitz bestimmt.')
Wenn man die obigen Tatsachen betrachtet, ' so muß es für er-
wiesen erachtet werden, daß die zur Verhandlung stehenden Güter
feindliches Gut auf feindlichem Schiff darstellen und daß kein Grund
für ihre Freigabe vorliegt.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Arthur W.
Taylor, wohnhaft in Wladi-
wostok, Ostsibirien, Rußland, und
D. H. B 1 a k e , Prokurist der Ameri-
can Trading Company, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Ya-
mashitacho Nr. 28.
Reklamanten: Sarah Eliza-
beth S m i t h , wohnhaft in Wladi-
wostok, Ostsibirien, Rußland, und
D. H. B 1 a k e, Prokurist der Ameri-
can Trading Company, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Ya-
mashitacho Nr. 28.
Prozeßveftreter der beiden Reklamanten: Rechtsanwalt
Akiyama Genzo, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yama-
shitacho Nr. 75.
•) V. §§ 8, 3 und 4. — ♦) V. § 40.
109
Abschnitt VI>">" Prisengerichtsentscheidungen: ,,Mulcden''.
Am*) 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend Ladung des am 6. Februar 1904 im Hafen von Fusan
in Korea von dem KaiserHchen Kriegsschiff „Heiyen'' beschlagnahmten
russischen Dampfers „Mukden" ein Urteil erlassen, in welchem auf
Einziehung der auf dem genannten Dampfer verladenen
1723 Faß Nägel und 1 Kollo Gas-
brenner erkannt worden ist. Gegen
dieses Urteil haben die Rekla-
manten Arthur W. Taylor und
der Prokurist der American Tra-
ding Company, D. H. Blake,
45 Kisten Waren erkannt worden
ist. Gegen dieses Urteil haben die
Reklamanten Sarah Elizabeth
Smith und der Prokurist der
American Trading Company, D. H.
Blake,
durch den Rechtsanwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die
Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte I s u t s u k i
Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation, Aki-
yama Genzo, sind folgende :
Das Urteil des 'Prisengerichts zu Sasebo, in welchem auf Einziehung
der auf dem Dampfer „Mukden" verladenen
17765) Faß Nägel und 1 Kollo Gas- | 45 Kisten Wagen
brenner j
entschieden worden sei, sei unrechtmäßig. Es werde Aufhebung dieses
Urteils und. Freigabe der zur Verhandlung stehenden Güter beantragt,
und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die zur Verhandlung stehenden ] 1. Die zur Verhandlung stehenden
Nägel und Gasbrenner j Wagen
seien im September 1903 in New York, Amerika, verschifft, am 1. Fe-
bruar 1904 in Shanghai auf den der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft
gehörigen Dampfer „Mukden'' umgeladen und auf der Fahrt nach
Wladiwostok am 6. Februar, 2 Uhr 40 Minuten nachmittags, im Hafen
von Fusan in Korea zusammen mit dem genannten Dampfer beschlag-
nahmt worden. Da am 6. Februar der Kampf zwischen Rußland und
Japan noch nicht begonnen gehabt habe, so könne man diesen Tag nicht
als Kriegszeit bezeichnen. Es. sei aber unbestreitbar, daß Prisen nur
zur Kriegszeit gemacht werden dürften. Der Kriegszustand zwischen
Staaten entstehe dadurch, daß die am Kampfe beteiligten Mächte tat-
sächlich die ^Feindseligkeiten begännen ; er nehme dagegen seinen An-
fang nicht mit einem Ultimatum oder mit Vorbereitungen für den Kampf.
Was daher das Verhältnis zwischen Japan und Rußland am 6. Februar
*) Diese beiden Entscheidungen sind nur in der Person des Reklamanten und
in dem Reklamationsobjekt verschieden. Daher sind sie hier kollateral angeordnet
worden.
'^) Im. Urteil I. Inst. 1723 Faß.
110
Prlaragericbtsentscheidungen: „Mukden". Abschnitt VI>mi»
1904 angehe, so liege dieser Tag zwar nach der Abgabe des Ultimatums,
und die Kriegs Vorbereitungen seien bereits getroffen gewesen, aber tr.otz-
dem könne man nicht sagen, daß die Kriegszeit bereits begonnen gehabt
habe. Demnach habe Japan zu dieser Zeit noch nicht die Befugnisse
einer kriegführenden Macht ausüben dürfen, und die zur Verhandlung
stehende Beschlagnahme stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen
des Völkerrechts.
Sejbst aber wenn man einmal annehme, daß der 6. Februar be-
reits in die Kriegszeit falle, so sei doch die Beschlagnahme im Hafen
von Fusan in Korea geschehen. Korea sei zu der Zeit noch mit keinem
der beiden Kaiserreiche in Bündnis gewesen und müsse als ein un-
abhängiges neutrales Land angesehen werden. Es sei aber unbestreitbar,
daß eine Beschlagnahme in neutralen Hoheitsgewässern das Völker-
recht verletze und widerrechtlich sei.
2. Wie aus den Ladungspapieren der „Mukden'* hervorgehe, sei die-
selbe Eigentum der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft in Shanghai
und gehöre nicht zu Rußland. Selbst aber zugegeben, das Schiff stehe
im russischem Gebrauch und führe die russische Flagge oder stehe ganz
oder teilweise im Eigentum russischer Untertanen, so sei doch Ruß-
land am 6. Februar noch nicht als Feind anzusehen gewesen. Daher
sei das genannte Schiff nicht als Feindesschiff anzusehen, und die Ent-
scheidung, welche dies annehme und die zur Verhandlung stehenden
Güter für Ladung eines feindlichen Schiffs erklärt habe, sei unzutreffend.
3. Nach dem im Artikel 3 der Pariser Seerechtsdeklaration vom
Jahre 1856 ausgesprochenen Grundsatz könne neutrale Ladung auf
Schiffen feindlichen Charakters nicht beschlagnahmt werden. Das
Beschlagnahmerecht beschränke sich lediglich auf feindliche Ladung.
Zur Entscheidung über die Frage, ob Ladung feindlich sei oder nicht,
gebe es zwei Prinzipien. Das eine gehe nach der Nationalität, das andere
nach dem Wohnsitz des Eigentümers. Von dem modernen Völker-
recht werde zweifellos als das natürlichste und vernünftigste das
Nationalitätsprinzip und nicht das Domizilprinzip angesehen.
Der in Wladiwostok ansässige Arthur W. Taylor habe die zur
Verhandlung stehenden Güter von der in New York in Amerika nieder-
lassigen American Trading Company gekauft. Wenn man annehme,
daß einem solchen Vertrag die Kraft innewohne, das Eigentum zur Zeit
der Verschiffung übergehen zu lassen, so seien die zur Verhandlung
stehenden Güter freilich Eigentum
des Taylor. | der Smith.
Wenn man aber diese Kraft der Eigentumsübertragung nicht annehme,
^0 stünden die Güter nach wie vor im Eigentum des Verkäufers, der
American Trading Company. Das Urteil erster Instanz habe aber über
die Wirkung des Eigentumsübergangs nach dem Völkerrecht keine Unter-
111
Abschnitt VI>«" Prisengerichtsentscheidungen: „Mukden".
suchung angestellt, und daher könne die Entscheidung, so wie sie ab-
gegeben sei, nicht als zutreffend erachtet werden.
Wenn man auch annehme, das Eigentumsrecht sei bereits auf den
Käufer übergegangen und
die oben erwähnte Smith sei
Eigentümerin der zur Verhandlung
stehenden Güter, so seien, weil die
Smith von Nationalität ^ Ameri-
kanerin sei,
der oben erwähnte Taylor sei
Eigentümer der zur Verhandlung
stehenden Güter, so seien, weil
Taylor von Nationalität Ameri-
kaner sei,
die Güter der Nationalität
Taylors [ der S m i t h
entsprechend von neutraler Landeszugehörigkeit. Demnach könnten
sie nach der Pariser Seerechtsdeklaration nicht weggenommen werden,
und die Entscheidung des Prisengerichts erster Instanz, daß die Güter
feindlich seien und eingezogen werden müßten, sei ungesetzlich. Das
von diesem Gericht als völkerrechtlicher Grundsatz anerkannte Domizil-
prinzip sei nur englisches Prinzip, das man nicht als einen internationalen
Grundsatz hinstellen könne. Nach diesem Prinzip werde übrigens dem
Vertrag die Kraft der Übertragung des Eigentums an den Gütern von dem
Zeitpunkt der Verschiffung nicht zuerkannt, wie das im Gegenteil bei
dem französischen Nationalitätsprinzip der Fall sei, bei welchem im
Einklang mit den gewöhnlichen Handelsgebräuchen die Verantwortung
für die Güter nach der Verschiffung bei dem Käufer liege und dem-
gemäß die Kraft des* Vertrages, das Eigentum auf den Käufer über-
gehen zu lassen, anerkannt sei. Das Gericht erster Instanz habe, un-
geachtet dieser Verschiedenheit in den beiden Prinzipien, einfach ge-
sagt, das Domizilprinzip werde völkerrechtlich nicht in Zweifel gezogen,
und sei diesem ohne Verständnis blindlings gefolgt, wobei es aber
die Frage der Eigentumsübertragung übersehen habe. Man könne daher
nicht behaupten, daß das Urteil die Wahrheit erschöpfe. Denn wenn
man im vorliegenden Falle dem englischen Prinzip gefolgt sei, so stehe
das Eigentum nach wie vor beim Verkäufer, der American Trading
Company in New York, und die Landeszugehörigkeit der Güter sei
unbestreitbar neutral.
4. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien bereits im Sep-
tember 1903 abgesandt worden, d. h. etwa ein halbes Jahr vor der
Kriegseröffnung, welche doch offenbar nicht vorausgesehen worden sei.
Ihrem Charakter nacli seien die Güter unfraglich keine Konterbande.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Hayashi Ei j uro, sind folgende:
Es sei völkerrechtlich allgemein anerkannt, daß die Zeit der Aus-
übung des Seeprisenrechts nicht unbedingt mit dem Feuern der Ka-
nonen ihren Anfang nehme, daß vielmehr in die Zeit, wo dieses Recht
112
Priseigericiltsentschetdttngen: ,,Mukden''. Abschnitt VI<m
ausgeübt werden könne, schon eingetreten werde, wenn nur irgendeine
Tätigkeit gezeigt werde, die als feindliches Vorgehen angesehen werden
müsse. Seit Anfang der Eröffnung der diplomatischen Verhandlungen
zwischen Japan und Rußland über die mandschurisch-koreanische Frage
habe Rußland auf der einen Seite seine Antwort absichtlich hingezögert,
auf der anderen große Kriegsvorbereitungen getroffen und Japan gegen-
über seinen Entschluß, den Kampf zu eröffnen, dargetan. Daraufhin
habe Japan am 5. Februar 1904 seine Erklärung betreffend den Ab-
bruch der diplomatischen Beziehungen an Rußland abgeschickt und
das japanische Geschwader sei am 6. Februar, vormittags 7 Uhr, zum
Kampf gegen die russische Kriegsflotte von Sasebo aufgebrochen. Da
die Feindseligkeiten somit schon vor der zur Verhandlung stehenden
Beschlagnahme ihren öffentlichen Anfang genommen hätten, so sei die
Behauptung, daß die Beschlagnahme mit Rücksicht auf^ die Zeit, zu der
sie vorgenommen, wirkungslos sei, unzutreffend.
Ferner sei es, ohne viel Worte zu machen, klar, daß Korea nach
dem Zweck des Krieges und mit Rücksicht auf den Mangel der Fähig-
keit, sich selbst zu schützen, tatsächlich nicht neutral sei. Auch habe
es dadurch, daß es nach der Kriegseröffnung eine Neutralitätserklärung
nicht abgegeben habe, bewiesen, daß es keinen vollständig neutralen
Stand besitze. Daher seien auch in diesem Punkte die Behauptungen
des Prozeßvertreters unhaltbar.
Was die Landeszugehörigkeit des Dampfers „Mukden" angehe, so
gehe aus den Schiffspapieren klar hervor, daß er der ostchinesischen
Eisenbahngesellschaft gehöre, und es bestehe daher kein Raum für
Zweifel darüber, daß es ein feindliches Schiff sei.
Nach der allgemeinen völkerrechtlichen Anschauung bestimme sich
die Landeszugehörigkeit von Gütern nach dem Wohnsitz des Eigen-
tümers und das Eigentum an Gütern müsse mangels Gegenbeweises
als dem Empfänger zustehend angesehen werden. Es sei daher un-
bestreitbar, daß die zur Verhandlung stehenden Güter, welche an eine
in Wladiwostok ansässige Person versandt worden seien, weil kein Beweis
vorliege, daß das Eigentum einem anderen als dem' Empfänger zustehe,
feindlichen Charakters seien.
Da so die Güter feindliche Güter auf einem feindlichen Schiff seien,
so entspreche es den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen, der
Pariser Seerechtsdeklaration und der japanischen Prisenordnung, daß
sie, gleichviel ob Konterbande oder nicht, gleichgültig auch ob in Vor-
aussicht des Krieges abgesandt oder nicht, eingezogen werden müßten.
Kurz, die Berufung sei in allen Punkten unbegründet, das Urteil
erster Instanz in allem zutreffend, und es werde daher Verwerfung
der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird wie folgt begründet:
M «r 8 tr«nd-MechIen bürg, Das japanische Prlsenreoht. Band I. (8) 113
Abschnitt VI>"*" Prisengerichtsentscheidungen: ,,lllukden".
Der russische Dampfer „Mukden'' ist zusammen mit den zur Ver-
handlung stehenden Gütern im Hafen von Fusan in Korea am 6. Fe-
bruar 1904, 2 Uhr 40 Minuten nachmittags, beschlagnahmt worden.
Die Kriegseröffnung fällt nicht unbedingt mit dem Moment des
ersten Austauschs von Kanonenfeuer zusammen, auch ist sie nicht unter
allen Umständen von einer Kriegserklärung oder einer dieser gleich-
kommenden Mitteilung abhängig. Wenn vielmehr auch nur eine weniger
drastische Ausführung der Kriegsabsicht oder sonst eine Manifestation
des Willens zu kämpfen vorliegt, so ist damit der Kriegszustand ein-
getreten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen Rußland
durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf Er-
haltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende Kriegs-
rüstungen seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen, klar
bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres 1904
eine Instruktion bezüglich Abbruchs der diplomatischen Beziehungen
an unseren Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegs-
geschwader seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, den
6. Februar, mit der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von dem
Kriegshafen Sasebo ab und nahm auf der Fahrt, also während der
Kriegszeit, das der russischen freiwilligen Flotte angehörige, wie bekannt,
für den Kriegsgebrauch der russischen Regierung bereitzustellende
Dampfschiff „Ekaterinoslav" in Beschlag. Dies war eben nichts anderes
als eine Ausführung der Kriegsabsicht, und die erst später erfolgte
Beschlagnahme des hier in Frage kommenden Dampfers kann daher
nicht als ungerechtfertigt bezeichnet werden; dies um so weniger, als
sie auch nach der am 6. Februar, um 2 Uhr nachmittags, erfolgten
Mitteilung unserer Regierung an den bei unserem Hofe akkreditierten
russischen Gesandten betreffend den Abbruch der diplomatischen Be-
ziehungen stattgefunden hat. Daher muß die Begründung des Rekla-
manten, daß am 6. Februar der Krieg zwischen Japan und Rußland
noch nicht eröffnet gewesen, die an diesem Tage vorgenommene Be-
schlagnahme daher nicht zu Recht geschehen sei, als unzutreffend be-
zeichnet werden.
Da ferner Korea für den Krieg zwischen Japan und Rußland von
Anfang an zu der Landung der japanischen Truppen in seinem Gebiet
und dem Passieren derselben seine Zustimmung gegeben hat, der Krieg
sich auch anfangs innerhalb seines Hoheitsgebiets abgespielt hat, kann
Korea nicht als ein neutraler Staat im gewöhnlichen Sinne des Worts
erachtet werden. Die Widerrechtlichkeit der zur Verhandlung stehen-
den Beschlagnahme kann daher mit der Tatsache, daß sie in koreanischem
Gebietsgewässer geschehen ist, nicht begründet werden.
Der Reklamant behauptet zwar, daß die zur Verhandlung stehenden
114
Prisengeiichtsentscheidungen : „Mukden". Abschnitt VI<"mi
Güter auf einem nicht feindlichen Schiff verladen worden seien, aber
au-s den Schiffspapieren geht hervor, daß der Dampfer „Mukden" der
russischen ostchinesischen Eisen bahngesellschaft gehört. Auch die von
dem Reklamanten herangezogenen Konnossemente beweisen das Gegen-
teil nicht im geringsten.
Die ostchinesische Eisenbahngesellschaft sieht zwar äußerlich wie
eine Privatgesellschaft aus. Aber in der von dem russischen Verkehrs-
ministerium veröffentlichten Schiffsstatistik für russisch Asien werden
alle der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft gehörigen Schiffe unter
die im Eigentum der Regierung stehenden Fahrzeuge gerechnet. Ferner
hat die russische Regierung den Ersatz der bei den nordchinesischen
Wirren vom Jahre 1900 von der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft'
erlittenen Schäden als vom Staat erlittener Schäden bei der chinesischen
Regierung reklamiert. Man muß also annehmen, daß die russische
Regierung selbst die ostchinesische Eisenbahngesellschaft in Wirklich-
keit als ein Regierungsunternehmen betrachtet. Auch wenn man den
Zweck dieser Gesellschaft und ihre Beamtenorganisation ansieht, so
kann man nicht zu dem Schluß kommen, daß sie ein Privatunternehmen
sei. Schon aus dieser einen Tatsache ergibt sich ohne jeden Raum
für Zweifel, daß die „Mukden" ein feindliches Schiff ist.
Der Reklamant behauptet, daß am 6. Februar Rußland noch nicht
als ein feindliches Land anzusehen gewesen sei. Wie aber schon oben
auseinandergesetzt, ist dieser Punkt der Berufung unbegründet.
Daß die Landeszugehörigkeit von Gütern sich nach dem Wohn-
sitz des Eigentümers bestimmen läßt, daß ferner, wenn Personen,
die außerhalb des Feindeslandes wohnen, zur Kriegszeit Güter auf feind-
lichem Schiff an einen Empfänger im Feindesgebiet schicken, diese
Gütei feindlichen Charakter haben und folglich eingezogen werden
können, ist von der völkerrechtlichen Praxis anerkannt und auch das
Überprisengericht erachtet dies für billig. Wenn auch der Reklamant
sagt, daß von dem modernen Völkerrecht zweifellos als das natürlichste
und vernünftigste das Nationalitätsprinzip und nicht das Domizilprinzip
angesehen werde, so ist das lediglich eigene Ansicht des Reklamanten
und kann nicht als ausreichende Grundlage für die Verwerfung der
erstinstanzlichen Entscheidung erachtet werden.
Ferner bringt der Reklamant vor, daß selbst, wenn das eng-
lische Prinzip für den vorliegenden Fall als zutreffend angenommen
«orden sei, doch das Eigentum nach wie vor bei dem Verkäufer bleibe
und die Landeszugehörigkeit der Güter neutral sei. Das Prisengericht
hat aber gar nicht von einem fremden Lande anerkannte Prinzipien
zur Anwendung zu bringen und, da die Landeszugehörigkeit von Gütern,
die auf feindlichem Schiff an einen Empfänger im Feindesland geschickt
(8») 115
Abschnitt VI<"» Prisengericbtsentscheidungen : „Nukäen'-.
werden, sich, wie oben ausgeführt, bestimmt, so ist auch dieser Be-
rufungspunkt hinfällig.
Schließlich macht der Reklamant geltend, daß die Güter ohne
Voraussicht des Krieges abgesandt worden und keine Konterbande seien.
Aber da feindliches Out auf feindlichem Schiff, gleichgültig ob Konter-
bande oder nicht, gleichviel auch ob in Voraussicht des Krieges ver-
schifft oder nicht, eingezogen werden kann, so bedarf dieser Punkt
keiner besonderen Erörterung.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 3. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Filiale der russisch-chinesischen Bank in Naga-
saki, Ouramachi Nr. 9, vertreten durch den Prokuristen, den franzö-
sischen Staatsangehörigen J. Carpentier.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Nagashima Washi-
taro, Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10, EnyaTsunetaro, Tokio
Kyobashiku, Motosukiyacho Ichome Nr. 1, Hidaka Naoji, Tokio
Kyobashiku Kagacho Nr. 10.
In der Prisensache betreffend Ladung des russischen Dampfers
„Mukden" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Mukden'' verladene 1 Kiste mit 10 000
Rubel wird eingezogen.
Tatbestand und Oründe:
Die zur Verhandlung stehende 1 Kiste mit 10000 Rubel ist von
dem Reklamanten am 5. Februar 1904 im Hafen von Nagasaki auf dem
Dampfer der russisch-ostchinesischen Eisenbahngesellschaft „Mukden"
verladen und an die Filiale der russisch-chinesischen Bank in Wladi-
wostok abgesandt worden. Am 6. Februar d. J. wurde sie im Hafen
von Fusan in Korea zusammen mit dem genannten Dampfer von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen'' beschlagnahmt.
Diese Tatsachen sind nicht nur von den Vertretern der Rekla-
mation anerkannt worden, sondern werden auch bewiesen durch die
eingereichten Beweisdokumente, die Aussageschrift und das Güter-
116
Prisengerichtsentschef düngen: „Mukden''. Abschnitt VI 2t
Verzeichnis des Stellvertreters des Kommandanten der „Heiyen", Kapitän-
leutnants Yoshimura Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des
I.Offiziers der „Mukden", Serge Wiszniowski und des 2. Offi-
ziers, Alexander Iwanowitsch Kanajeff, das Ladungs-
verzeichnis, die Konnossemente und das Schiffsjournal des genannten
Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
1. Der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland sei am
S. Februar 1904 mit der Seeschlacht bei Port Arthur eingetreten, nicht
aber mit der Absendung der Mitteilung der japanischen Regierung
an Rußland betreffend den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
am 6. Februar. Daher sei die Beschlagnahme des russischen Dampfers
„Mukden" unrechtmäßig gewesen und auch die auf demselben ver-
ladenen zur Verhandlung stehenden Güter müßten unfraglich freigegeben
«erden.
2. Selbst angenommen, der Kriegszustand sei zur Zeit der Über-
sendung der Mitteilung von dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen eingetreten, so habe doch der Gesandte K u r i n o die-
selbe erst am 6. Februar, nachmittags 4 Uhr, dem russischen Minister
der Auswärtigen Angelegenheiten übermittelt. Da die Beschlagnahme
aes Dampfers „Mukden" aber bereits um 2 Uhr 40 Minuten nach-
mittags desselben Tages erfolgt sei, so sei sie widerrechtlich und die
zur Verhandlung stehenden Güter müßten freigegeben werden.
3. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien freilich von der
Filiale der russisch-chinesischen Bank in Nagasaki an die Filiale der
genannten Bank in Wladiwostok versandt worden und die russisch-
chinesische Bank habe ihre Hauptniederlassung in Rußland, aber die
Filiale in Nagasaki, welche in dieser Sache reklamiere, sei nach japa-
nischem Handelsrecht als Filiale eingetragen und habe noch nach der
Kriegseröffnung zwischen Japan und Rußland ihre Geschäfte in Japan
tortgesetzt. Daher müßten die von ihr abgesandten zur Verhandlung
stehenden Güter .freigegeben werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts gehen dahin, daß
die Behauptungen der Vertreter der Reklamation völlig unbegründet
und die zur Verhandlung stehenden Güter als feindliche zu betrachten
und einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn man sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Japan
und Rußland zu der damaligen Zeit und die Bewegungen der beider-
>ntigen Kriegsflotten vergegenwärtigt, so muß man sagen, daß die Feind-
>eligkeiten zwischen den beiden Mächten schon vor der Beschlagnahme
des zur Verhandlung stehenden Schiffs ihren öffentlichen A-nfang ge»
117
Abschnitt VI>« Prisengerichtsentscheidungen: „Mukden''.
nommen hatten, und es ist daher klar, daß zu dieser Zeit der Kriegs-
zustand bereits eingetreten war.
Daher sind die von den Vertretern der Reklamation in den Punkten
1 und 2 gestellten Anträge auf Freigabe der Güter unbegründet.
Ferner wird vorgebracht, daß der Reklamant nach den japanischen
Gesetzesbestimmungen seine Eintragung als Filiale bewirkt und in Japan
Handelsgeschäfte betrieben habe. Die Frage, ob Güter feindlich sind
oder nicht, bestimmt sich jedoch nach dem Wohnsitz des Eigen-
tümers, a) und es muß angenommen werden, daß an einen im Feindes-
land ansässigen Empfänger versandte Güter mit der Absendung in das
Eigentum des Empfängers übergegangen sind, sofern nicht ausdrücklicher
Gegenbeweis vorliegt. Die Beweislast hierfür liegt dem Reklamanten ob.
Da aber die zur Verhandlung stehenden Güter auf dem russischen
Dampfer „Mukden'' an die in Wladiwostok befindliche Filiale der russisch-
chinesischen Bank versandt worden sind, und die Vertreter der Rekla-
mation über den erwähnten Punkt keinerlei Beweis erbracht haben, so
ist auch die Behauptung des Punktes 3 unbegründet.
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind daher, weil auf feind-
lichem Schiff befindlich, mit Recht beschlagnahmt worden, denn sie
haben, weil der Empfänger eine Person ist, die im Feindesland kauf-
männische Geschäfte betreibt, feindlichen Charakter. «)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Filiale der russisch-chinesischen Bank in Naga-
saki, Oura Nr. 9, vertreten durch den Prokuristen G. Carpentier.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Nagashima Washi-
taro, Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10, EnyaTsunetaro, Tokio,
Kyobashiku Motosukiyacho, Ichome Nr. 1, Hidaka Naoji, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend Ladung des am 6. Februar 1904 im Hafen von Fusan
in Korea von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Heiyen'' beschlagnahmten
russischen Dampfers „Mukden'* auf Einziehung der auf demselben ver-
ladenen einen Kiste mit 10 000 Rubel entschieden.
*) V. §§ 8, 3 und 4. — -) V. § 40.
118
PriMsgerichtsentschetdungen: „Mukden"« Abschnitt VI 2«
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der Prokurist der Filiale
der russisch-chinesischen Bank in Nagasaki, G. Carpentier, durch
die Rechtsanwälte Nagashima Washitaro, Enya Tsunetaro
und H i d a k a N a o j i als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr, jur.
Ishivatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte der Vertreter der Reklamation sind
folgende •
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe der
zur Verhandlung stehenden Güter beantragt, und zwar aus folgenden
Gründen :
1. Der Dampfer „Mukden'', auf welchem die zur Verhandlung
stehenden Güter verschifft worden seien, sei am 6. Februar 1904, nach-
mittags 2 Uhr 40 Minuten, im Hafen von Fusan in Korea beschlag-
nahmt worden. Der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland könne
erst als am 8. Februar mit der Seeschlacht vor Port Arthur eingetreten
angesehen werden. Vor diesem Zeitpunkt hätte die Beschlagnahme
der „Mukden" nicht stattfinden dürfen. Daher müßten auch die zur
Verhandlung stehenden Güter freigegeben werden.
2. Selbst, wenn man annehme, der Kriegszustand sei mit der
Übersendung der Mitteilung von dem Abbruch der diplomatischen Be-
ziehungen eingetreten, so habe doch der Gesandte Kurino diese Mit-
leilung dem russischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten erst
am 6. Februar, 4 Uhr nachmittags, übergeben und die Beschlagnahme,
welche am selben Tage um 2 Uhr 40 Minuten nachmittags erfolgt
sei, sei daher unrechtmäßig und auch die auf dem Dampfer verschifften
Güter müßten freigegeben werden.
3. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien von der Filiale
der russisch-chinesischen Bank in Nagasaki an die Filiale derselben
Firma in Wladiwostok versandt worden. Wenn auch die Hauptnieder-
lassung der russisch-chinesischen Bank in Rußland sei, so sei doch
die in dieser Sache .reklamierende Filiale nach den Bestimmungen des
japanischen Handelsrechts eingetragen und habe selbst noch nach der
Kriegseröffnung ihre Geschäfte in Japan fortgesetzt. Daher seien die
diesem Reklamanten gehörenden Güter, wenn auch das Schiff beschlag-
nahmt worden sei, trotzdem freizugeben.
Das Gericht erster Instanz behaupte, daß der Reklamant sein
Eigentum nicht bewiesen habe. Dasselbe werde aber durch das Kon-
nossement klar bewiesen. Denn da nur der Inhaber des Konnossements
die Auslieferung der Güter im Bestimmungshafen erlangen könne, die
Konnossemente aber nicht angekommen, sondern beschlagnahmt seien
so stünden die Güter noch unverändert im Eigentum des Absenders.
119
Abschnitt VI>« Prisengerichtsentscheidungen: „Mokden".
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo Hayashi Ei j uro sind folgende:
Was man völkerrechtlich als Kriegszeit bezeichne, nehme seinen
Anfang nicht unbedingt mit dem ersten Austausch von Kanonenfeuer;
schon mit weniger drastischem feindseligen Vorgehen, welches der Kriegs-
absicht entspringe, trete man in die Kriegszeit ein. Dies sei in der
völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis unbestritten.
Schon ehe Japan und Rußland über die mandschurisch-koreanische
Frage diplomatische Verhandlungen eröffnet gehabt hätten, habe Ruß-
land einerseits absichtlich seine Antwort immer hinausgeschoben, auf
der anderen Seite durch umfangreiche Kriegsvorbereitungen Japan gegen-
über seinen Entschluß zu kämpfen deutlich gezeigt. Daraufhin habe
Japan am 5. Februar 1904 seine an Rußland gerichtete Mitteilung über
den Abbruch der diplomatischen Beziehungen abgesandt und sein Ge-
schwader sei am 6. Februar, um 7 Uhr morgens vom Kriegshafen Sasebo
aufgebrochen, um die russische Flotte zu bekämpfen. Diese Handlung^
stelle sich als eine, mit der Absicht den Kampf zu beginnen, vor-
genommene Handlung dar.
Da es erwiesen sei, daß die zur Verhandlung stehende Beschlag-
nahme nach diesen Ereignissen geschehen sei, so sei die Entscheidung
der ersten Instanz durchaus nicht rechtswidrig.
Die Landeszugehörigkeit von Gütern bestimme sich nach dem
Wohnsitz des Eigentümers und das Eigentum an Gütern, welche an
einen Empfänger in Feindesland versandt würden, gehe mit dem Moment
der Absendung auf den Empfänger über.
Der Reklamant behaupte, daß
der Inhaber der Konnossemente die Auslieferung der Güter
erst im Ankunftshafen erlangen könne. Da nun die Güter
noch nicht im Bestimmungsort angekommen, vielmehr mit
Beschlag belegt seien, so stünden sie nach wie vor im Eigen-
tum des Absenders. Die Konnossemente bewiesen deutlich
das Eigentum des Reklamanten.
Da eine kriegführende Partei indessen in sämtliche Rechte des
feindlichen Staats eintrete, so müsse man Güter, welche zur Kriegs-
zeit für einen feindlichen Empfänger bestimmt seien, mit der Beschlag-
nahme als diesem abgeliefert ansehen. Daher könne auch dieser
Berufungspunkt nicht anerkannt werden.
Es werde, weil alle Berufungspunkte nicht stichhaltig seien, Ver-
werfung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant bringt in seinem ersten Berufungspunkt vor, daß
der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland am 8. Februar 1Q04
mit der Seeschlacht vor Port Arthur begonnen habe und daß eine
120
Pritengerichtsentscheidungen: „Mukden". Abschnitt VI<
vor dieser Zeit vollzogene Beschlagnahme nicht rechtmäßig sei. Im
zweiten Berufungspunkt behauptet er, daß die Beschlagnahme des in
Frage stehenden Dampfers vor der Abgabe der Erklärung über den
Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch den Gesandten K u r i n o
an den russischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten geschehen
und daß das Schiff daher freizugeben sei.
Die Kriegseröffnung fällt aber nicht unbedingt mit dem Moment
des ersten Austausches von Kanonenfeuer zusammen, auch ist sie nicht
unter allen Umständen von einer Kriegserklärung oder einer dieser
gleichkommenden Mitteilung abhängig. Sobald nur eine, wenngleich
veniger drastische, Ausführung der Kriegsabsicht oder sonst eine Mani-
festation des Willens zu kämpfen vorliegt, so ist damit der Kriegs-
zustand eingetreten.
Da nun während der japanisch-russischen Verhandlungen Ruß-
land durch sein unangemessenes Verhalten, welches die Hoffnung auf
Erhaltung des Friedens unmöglich machte, und durch fortwährende
Kriegsrüstungen seine Absicht, uns mit Waffengewalt zu unterwerfen,
klar bewies, so sandte unsere Regierung am 5. Februar des Jahres 1904
eine Instruktion bezüglich Abbruchs der diplomatischen Beziehungen
an unseren Gesandten in Rußland, und gleichzeitig traf unser Kriegs-
geschwader seine Vorbereitungen und fuhr am folgenden Tage, dem
6. Februar, mit der Bestimmung, den Kampf aufzunehmen, von dem
Kriegshafen Sasebo ab und nahm auf der Fahrt, also während der
Kriegszeit, das der russischen freiwilligen Flotte angehörige, wie be-
kannt für den Kriegsgebrauch der russischen Regierung bereitzustellende
Dampfschiff „Ekaterinoslav" in Beschlag. Dies war eben nichts anderes,
als eine Ausführung der Kriegsabsicht, und die erst später erfolgte
Beschlagnahme des hier in Frage kommenden Dampfers kann daher
nicht als ungerechtfertigt bezeichnet werden; dies umsoweniger, als
sie auch nach der am 6. Februar, um 2 Uhr nachmittags erfolgten
Mitteilung unserer Regierung an den bei unserem Hofe akkreditierten
russischen Gesandten betreffend den Abbruch der diplomatischen Be-
ziehungen stattgefunden hat. Daher sind Punkt 1 und 2 der Berufung
beide unbegründet.
Im dritten Punkt der Berufung heißt es, daß die Güter bis zur
Ankunft im Bestimmungsort im Eigentum des Reklamanten stünden
und daher freizugeben seien. Es ist aber von der völkerrechtlichen
Praxis anerkannt, daß Güter, welche von einem Absender außerhalb
des feindlichen Gebiets zur Kriegszeit auf feindlichem Schiff an einen
feindlichen Empfänger versandt werden, feindlichen Charakter haben
und demgemäß der Einziehung unterliegen. Auch das Oberprisengericht
hält diesen Standpunkt für billig und so ist auch dieser Punkt der
Berufung unbegründet.
121
Abschnitt VI3i Prisengerichtsentscheidungen: „Rossia'*
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 3. JuU 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Firma Rouß & Co. in St. Petersburg, ver-
treten durch ihren Prokuristen Seestrand.
Prozeßvertreter: Der Rechtsanwalt Gorai Kinzo, Tokio,
Kyobashiku Maruyacho Nr. 4.
Unterbevollmächtigter: Rechtsanwalt Hidaka Naoji, ebenda-
selbst Kagacho Nr. 10.
In der Prisensache betreffend den russischen Dampfer „Rossia"
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Rossia'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der Dampfer „Rossia'' steht im Eigentum der russischen Firma
R o u ß & C o. in St. Petersburg, sein Heimatshafen ist St. Petersburg,
er führt die russische Handelsflagge und dient zum Güter- und Per-
sonentransport.
Am 14. Dezember 1903 wurde der Dampfer von der Firma Kunst
& Albers in Wladiwostok durch Vermittlung der Agenten der Reeder,
der Firma Bryner, Kousnetzoff & Co. gechartert und transpor-
tierte wiederholt Kohlen von Karatsu nach Dalni.
Am 28. Januar 1904 trat der Dampfer seine dritte Reise von
Karatsu an, fuhr am 5. Februar d. J. wieder von Dalni ab, erhielt
auf der Rückreise nach Karatsu am 7. d. M., 6 Uhr 30 Minuten vor-
mittags, bei Kuchinbahoi in Korea von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Tatsuta" den Befehl zu stoppen und wurde des weiteren von dem
Kriegsschiff „Taichu Maru" beschlagnahmt.
Zu der Zeit befand sich keine Ladung an Bord.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift uhd
die Bescheinigung über die Ladung des Stellvertreters des Kommandanten
der „Taichu Maru", Kapitänleutnants Yoshimura Shinsei, die Ver-
nehmungsprotokolle des Kapitäns Peter Orünberg und des 2, Offi-
ziers A. Timoratt, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das Tage-
buch des genannten Dampfers und die Ausklarierungspapiere des Hafen-
amts in Dalni.
122
PriMngerichtsentscheidungen: „Rossia". Abschnitt VI^i
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
1. Da die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Dampfers am 7. Februar, d. h. einen Tag vor der Eröffnung des Krieges
zixischen Japan und Rußland, dem 8. Februar, stattgefunden habe,
so sei sie, weil vor der Kriegszeit geschehen, völkerrechtlich ungerecht-
fertigt.
2. Das zur Verhandlung stehende Schiff müsse unter Anwendung
der Gnadenbestimmung des § 3 der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20
lom 9. Februar 1904 1) von der Beschlagnahme ausgenommen werden.
Da die Befreiung von der Beschlagnahme natürlich die Befreiung von
der Einziehung in sich schließe, so stehe dem Schiff, wenn es auch vor
dem 9. Februar beschlagnahmt worden sei, da die Einziehung bis jetzt
noch nicht verfügt sei, dem Zweck der Kaiserlichen Verordnung ent-
sprechend, die Befreiung von der Einziehung zu. Ferner sei der Gedanke,
aus dem die Befreiung von der Beschlagnahme verordnet worden sei,
der, Privateigentum zur See zu schützen. Daher müsse das Prisen-
gericht diesen völkerrechtlichen Grundsatz auch auf eine vor Ver-
öffentlichung der Kaiserlichen Verordnung ausgeübte Beschlagnahme
anwenden.
3. Es gehe aus den Aussagen des Kapitäns hervor, daß die Be-
schlagnahme in Entfernung von 5 bis 6 Seemeilen von Ku-chin-bahoi
in Korea erfolgt sei. Die moderne Völkerrechtswissenschaft stehe auf
dem Standpunkt, daß das Hoheitsgewässer eines Staats bis 6 Seemeilen
von der Küste reiche. Daher sei die zur Verhandlung stehende Be-
schlagnahme in einem neutralen Hoheitsgewässer erfolgt und demgemäß
unrechtmäßig.
Aus diesen Gründen werde die Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffes beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme sei nach dem Ab-
bruch der Beziehungen zwischen Japan und Rußland, also nach Ein-
treten des Kriegszustands vorgenommen und sei daher rechtmäßig.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 könne nicht auf vor ihr liegende
Fälle von Beschlagnahmen rückwirkend angewandt werden. Zur Rück-
wirkung auf die Vergangenheit bedürfe es einer ausdrücklichen Be-
stimmung.
Da ferner die Theorie, welche das Hoheitsgewässer mit 6 See-
meilen annehme, nicht allgemein anerkannter völkerrechtlicher Grund-
satz und da es außerdem unbegründet sei, Korea als neutrales Land
zu betrachten, so sei die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme,
123
Abschnitt VI«« Prisengerichtsentscheidungen: „Rossia".
selbst wenn man annehme, sie sei in koreanischem Oebietsgewässer
erfolgt, nicht widerrechtlicJi.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
1. Aus den Tatsachen, daß Rußland während der Verhandlungen
mit Japan über die mandschurisch-koreanische Frage auf der einen Seite
seine Antwort grundlos hinzögerte, während es auf der anderen seine
Armee in der Mandschurei und in Korea aufmarschieren ließ, und seine
Kriegsflotte nach Port Arthur zusammenzog, geht deutlich hervor, daß
es seinerseits bereits entschlossen war, den Kampf gegen Japan zu
eröffnen. Japan übersandte daraufhin am 5. Februar 1904 an Ruß-
land eine Mitteilung über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen
und machte gleichzeitig seine Kriegsmacht mobil, so daß die japanische
Flotte am 6. Februar 1904, 7 Uhr vormittags, von Sasebo zum Angriff
des russischen Geschwaders aufbrach. Wenn man die damalige all-
gemeine Situation und die Bewegungen der beiderseitigen Kriegsflotten
sich vergegenwärtigt, so muß man sagen, daß die Feindseligkeiten schon
vor der zur Verhandlung stehenden Beschlagnahme ihren öffentlichen
Anfang genommen hatten. Da hiermit zugleich der Kriegszustand ein-
getreten ist, so ist die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Schiffs, weil sie in Ausübung der Rechtsbefugnisse einer kriegführenden
Partei vorgenommen worden ist, rechtmäßig.
2. Es ist unbestreitbar, daß die Kaiserliche Verordnung Nr. 20
vom Jahre 1904 mit Befreiung von der Beschlagnahme die Befreiung
von der Einziehung meint. Aber die Verordnung findet nur Anwendung
auf die nach dem Tage ihres Inkrafttretens, also nach dem 9. Fe-
bruar, fallenden Beschlagnahmen. Die Annahme, daß sie auch auf
eine Beschlagnahme vor dem 9. Februar anzuwenden sei, ist in An-
betracht dessen, daß sie eine ausdrückliche Bestimmung, die ihr rück-
wirkende Kraft beilegt, nicht enthält, eine falsche Auslegung. Noch
weniger kann aber die Verordnung, wie aus ihrem Wortlaut klar hervor-
geht, auf Schiffe angewandt werden, die, wie das zur Verhandlung
stehende, keine Ladung zum Löschen an Bord führen.
Der Reklamant behauptet, daß für Fälle, die vor dem Inkraft-
treten der Kaiserlichen Verordnung liegen, die Befreiung auch vom
völkerrechtlichen Standpunkt aus erfolgen müsse. Da aber die Beschlag-
nahme feindlicher Schiffe zur Kriegszeit ein allgemeiner Grundsatz des
Völkerrechts ist, *) so kann es nicht mit dem Völkerrecht begründet ^
werden, wenn man die Vergünstigung der Befreiung für einen außer-
halb der landesgesetzlichen Ausnahmebestimmung liegenden Fall in An-
spruch nehmen will.
3. Da nach allgemeiner völkerrechtlicher Anschauung das Hoheits-
') V. § 1.
124
Priseiifparichtsentscheidungen: „Rossia''. Abschnitt VI««
gewisser sich über einen Bereich von 3 Seemeilen von der Küste
erstreckt, so ist die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Schiffs, welche in einer Entfernung von 5 bis 6 Seemeilen von
Ku-chin-bahoi in Korea, also auf offener See erfolgt ist, durchaus nicht
rechtswidrig und die Behauptungen des Prozeßvertreters über diesen
Punkt sind unhaltbar.
Aus den obigen Gründen ist die Beschlagnahme des zur Ver-
handlung stehenden Schiffs rechtmäßig und das Schiff muß eingezogen
werden. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Compagnie Rouß in St. Petersburg, vertreten
durch den Prokuristen Seestrand.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Qorai Kinzo, Tokio, Koji-
machiku Fujimicho Shichome Nr. 4 bei Kawamoto Jujiro.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sacht betreffend den russischen Dampfer „Rossia'', welcher am 7. Fe-
bruar 1904 bei Ku-chin-bahoi in Korea von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Taichu Maru'' aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Einziehung des Dampfers „Rossia'' erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der Prokurist der Compagnie
Rouß in Rußland, durch den Rechtsanwalt Gorai Kinzo alsProzeß-
\ertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
beim Oberprisengericht, Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishi-
Tatashi Binichd geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation, des
Rechtsanwalt Gorai Kinzo, und die Hauptpunkte ihrer Begründung
sind folgende:
1. Das Urteil erster Instanz habe bei der Festlegung des Anfangs
des japanisch-russischen Krieges falsche Tatsachen angenommen und
das Völkerrecht falsch angewandt.
Es sei zutreffend, wenn das Urteil den Beginn des Krieges auf den
Beginn der Feindseligkeiten lege, es sei aber verkehrt, daß es diese Felnd-
») V. § 40.
125
Abschnitt VI«« Prisengerichtsentscheidungen : „Rossia"'.
Seligkeiten nach der damaligen Situation und den Bewegungen der beiden
Geschwader beurteile und annehme, daß sie bereits vor dem 7. Fe-
bruar bestanden hätten. Die vor der Seeschlacht bei Chemulpo anr
8. Februar, 5 Uhr nachmittags, liegenden Bewegungen der beiden Ge-
schwader und die damalige Situation seien nicht derart, daß sie als
Anfang der Feindseligkeiten anzusehen seien. Daher sei die Aufbringung
des zur Verhandlung stehenden Schiffes vor der Kriegseröffnung vor-
genommen und das Schiff sei unfraglich freizugeben.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom 9. Februar in Er-
mangelung einer ausdrücklichen Bestimmung auf Handels-
schiffe, die vor dem 9. Februar beschlagnahmt worden seien,
keine Anwendung finde. Ferner gehe aus ihrem Wortlaut
klar hervor, daß sie nicht zutreffe auf Handelsschiffe, welche
wie das zur Verhandlung stehende keinerlei zu löschende
Ladung an Bord hätten.
Der wahre Sinn dieser Kaiserlichen Verordnung lasse eine der-
artige, allzu einseitige und enge Auslegung nicht zu. Sie finde daher
mit Recht Anwendung auf das zur Verhandlung stehende Schiff.
3. Das Urteil erster Instanz führe aus, daß
der Bereich des Gebietsgewässers nach allgemeiner Ansicht
nach dem jetzt geltenden Völkerrecht 3 Seemeilen von
der Küste messe, daß daher die Beschlagnahme des zur
Verhandlung stehenden Schiffes, welche 5 bis 6 Seemeilen
von Ku-chin-bahoi in Korea geschehen sei, als eine Be-
schlagnahme auf offener See rechtmäßig gewesen sei.
Reklamant sei der Ansicht, daß es vielmehr der allgemein jetzt
geltenden völkerrechtlichen Anschauung entspreche, daß der Bereich
des Hoheitsgewässers 6 Seemeilen von der Küste betrage und das zur
Verhandlung stehende Schiff, weil die Beschlagnahme in dem Hoheits-
gewässer eines neutralen Staats geschehen sei, freigegeben werden müsse.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht in Sasebo sind folgende:
Die Prüfung der von dem Reklamanten eingereichten Berufungs-
schrift habe ergeben, daß ihre drei Punkte schon bei der mündlichen
Verhandlung über die vorliegende Reklamation beantwortet worden
:jelen, so daß, wenn man auf die vorliegende Berufung erwidern wolle,
das nur auf eine Wiederholung der von dem Staatsanwalt im Prisen-
gericht vorgebrachten Erwiderung hinauslaufen würde. Da die Be-
rufung keinerlei neue Gründe vorbringe, so sei eine Entgegnung über-
flüssig.
Der Staatsanwalt beantrage daher, seine in den Verhandlungs-
protokollen niedergelegte Ansicht als Erwiderung auf diese Berufung
126
PriseDgerichtsentscheidungen: „Rossia". Abschnitt VI*»
anzunehmen und die in allen Punkten unbegründete Berufung ab-
zuweisen.
Das vorliegende Urteil wird wie folgt begründet:
Die von dem Oberprisengericht kraft seines Amtes als erstes vor-
genommene Prüfung der Rechtmäßigkeit der Berufung hat ergeben,
daß der Reklamant, der Prokurist Seestrand der Compagnie Rouß
in St. Petersburg, das zur Verhandlung stehende Schiff „Rossia'' als
im Eigentum der Firma Compagnie Rouß in St. Petersburg stehend
bezeichnet und seine Freigabe bei dem Prisengericht in Sasebo betrieben
und in der Folge gegen das Urteil desselben bei dem unterzeichneten
Oberprisengericht die Berufung erhoben hat. Was das Eigentum eines
aufgebrachten Schiffs angeht, so muß in Ermangelung eines klaren
Gegenbeweises den an Bord des Schiffes vorgefundenen Schiffspapieren
Glauben geschenkt werden. Wenn man aber nach dem zur Zeit der
Beschlagnahme auf dem zur Verhandlung stehenden Dampfer vorhanden
gewesenen Schiffszertifikat geht, so steht das Schiff im Eigentum der
russischen Oroßkaufleute Sarato witsch und Morduco witsch in
Kronstadt, Rußland, und es kann nicht angenommen werden, daß es
Eigentum der oben genannten Compagnie Rouß ist. Daher ist die
Berufung, gleichgültig, ob die Berufungsgründe zutreffen oder nicht,
zu verwerfen.
Es wird daher wie folgt entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. Mai 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: William Harrison Oill, von der englischen
Firma W. H. Oill & Co., Regierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kyomachi
Nr. 74.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, eben-
daselbst, Kitanagadori Shichome Nr. 54.
In Sachen der Reklamation einer Forderung gegen die Eigentümer
des russischen Dampfers „Rossia" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Der Prozeßvertreter macht folgende Hauptpunkte geltend: Der
Dampfer sei am 14. November 1903 in Kobe eingelaufen und der
127
Abschnitt VI3f Prisengerichtsentscheidungen: ,,Rossia'\
Reklamant habe während der Zeit bis zur Abfahrt desselben am 31.
Dezember desselben Jahres im Auftrage der Agentur der Eigentümer
des Dampfers „Rossia" in Wladiwostok verschiedene, für die Fort-
setzung der Reise notwendige Ausgaben bestritten. Im ganzen habe
sich seine Forderung auf 18116.91 Yen belaufen. Davon habe er
von den Ladungseigentümern für Fracht 3043.51 Yen eingenommen und
es stehe ihm somit gegen die Eigentümer des Dampfers noch eine
Forderung von 15 073.40 Yen zu. Während diese Forderung noch
nicht beglichen gewesen sei, wäre der Dampfer am 7. Februar 1904
von einem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff beschlagnahmt worden.
Um die Begleichung dieser Forderung zu erlangen, werde folgendes
geltend gemacht:
1. Schon mit Rücksicht auf die Ansprüche, die ein Neutraler an
der Prise habe, sei die „Rossia" freizugeben. Wenn diese Behauptung
nicht anerkannt werden könne, so sei zu berücksichtigen, daß das Schiff
am 7. Februar 1904, um 7 Uhr vormittags, mit Beschlag belegt worden
sei; daß die Mitteilung der Erklärung betreffend den Abbruch der
Beziehungen, welche von Japan am 6. Februar an die russische Re-
gierung abgegeben worden sei, wenn auch die Zeit der Übermittlung
nicht genau bekannt sei, nach aller Wahrscheinlichkeit mittags um 12
Uhr erfolgt sei. Dem entspreche in Japan und Korea ein Zeitpunkt nach
8 Uhr vormittags des 7. Februar. Demnach sei die Aufbringung des
genannten Schiffes vor der Kriegszeit erfolgt, sie sei daher unrechtmäßig,
und der Dampfer müsse freigegeben werden.
2. Wenn die Freilassung des Dampfers „Rossia'' nicht bewilligt
werde, so werde in Ansehung des Anspruchs des Reklamanten an
das Schiff um Zuerkennung eines Vorzugsrechts an der Prise gebeten.
3. Wenn den in Punkt 1 und 2 dargelegten Reklamationsgründen
nicht stattgegeben werden sollte, so werde um Entscheidung in dem
Sinne gebeten, daß die Staatskasse zur Befriedigung des Anspruchs des
Reklamanten verpflichtet würde.
Zum Beweise der Existenz seines Anspruchs überreiche der Rekla-
mant die mit Nr. 1 bis 20 bezeichneten Beweisstücke.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die Ausführungen des Prozeßvertreters bezüglich der Freigabe des
Dampfers „Rossia" seien grundlos.
Was den Anspruch des Reklamanten angehe, so hafte derselbe,
wenn die gemachten Ausgaben zur Erhaltung des Schiffes oder Fort-
setzung der Reise notwendig gewesen wären, allerdings der Theorie nach,
wenn das Schiff eingezogen würde, dieser Prise weiter an. Aber nach
dem Wortlaut der japanischen Prisengerichtsordnung sei es zweifelhaft,
ob eine Entscheidung über einen derartigen Anspruch gegeben werden
könne oder nicht.
128
Prisengerichtsentscheidungen: „Argun^'. Abschnitt VI^«
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Existenz des zur Verhandlung stehenden Anspruchs des Rekla-
manten vird als durch die von dem Prozeßvertreter beigebrachten
Beweismittel und das von dem unterzeichneten Gerichtshof abgelegte
Zeugnis des Kapitäns des Dampfers ,,Rossia", Peter Grünberg,
bewiesen erachtet.
Zu Punkt 1 : Da es aber klar erwiesen ist, daß die Beschlagnahme
nach dem am 6. Februar 1904 erfolgten Kriegsausbruch vorgenommen
worden ist, so ist die Behauptung des Prozeßvertreters des Reklamanten,
da> Schiff sei vor der Kriegszeit beschlagnahmt worden, hinfällig. Daher
bt das zur Verhandlung stehende Schiff eine gute Prise. Wenn es aber
eine gute Prise ist, so kann damit, daß es in Rechtsansprüchen neutraler
Peßonen befangen ist, ein Anspruch auf Freigabe nicht begründet
werden.
Zu Punkt 2: Wenn auch die Ansprüche des Reklamanten aus
Ausgaben entspringen, die für die Fortsetzung der Reise des Schiffes
notwendig gewesen sind, so steht ihm doch nicht nur nach den Ge-
MTtzen Japans ein Vorzugsrecht an der Prise nicht zu, sondern auch
nach dem Völkerrecht wird das Recht des Captors an einer ein-
zuziehenden Prise, welche im Eigentum des Feindes steht, als absolut
erachtet, und ein Dritter kann gegen dieselbe keinerlei Forderungen
Geltend machen. Daher ist auch Punkt 2 des Prozeßvertreters des
Reklamanten unbegründet.
Zu Punkt 3 : Daß der Reklamant keine Ersatzforderung gegen die
Staatskasse geltend machen kann, geht schon aus dem Vorhergesagten
\ün selbst hervor; im übrigen ist aber auch das Prisengericht zur Ent-
^cheidung über eine Ersatzpflicht der Staatskasse nicht zuständig.
Aus diesen Gründen wird daher wie in der Urteilsformel ent-
schieden.
Verkündet im Prisengericht zu Sasebo am 26. Mai 1904 im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
In Sachen des am 7. Februar 1904 um etwa 4 Uhr nachmittags
an der Südwestküste von Korea in der Nähe von Laimpo von dem
Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Azuma'' aufgebrachten russischen
Handelsschiffs „Argun'' und seiner Ladung wird bezüglich der in dem
besonders beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter nach Einsicht
des Schriftsatzes des Staatsanwalts, wie folgt, entschieden.
Sfarstrand-Meclilenbareri Das japanische Prisenrocht. Band I. (9) 129
Abschnitt VI**
Prisengerichtsentscheidungen : ,,Arguii"»
Bezüglich der in dem besonders beigefügten Verzeichnis auf-
geführten, am 6. Februar 1904 in Dalni in der Mandschurei mit Be-
stimmung für Nagasaki verschifften Güter muß nach den Angaben
des Ladungsverzeichnisses, der Natur der Güter und der Zeit der Ver-
schiffung angenommen werden, daß sie im Eigentum von Personen
stehen, die in Japan ihren Wohnsitz haben, i)
Daher werden diese Güter alle, unbeschadet der Rechtmäßigkeit
ihrer Beschlagnahme, in Ermangelung sonstiger Gründe für ihre Ein-
ziehung sofort freigegeben.
Gegeben am 24. Februar 1904.
(Unterschriften der Richter.)
VIUICI 1
irci ACiciiiii^a
Gegenstand
Stückzahl
Absender
Empfänger
Möbel
Shoyu
Leere Fässer ....
Bier
Möbel
Hüte
Bettzeug
Kleidungsstücke . . .
Shoyu
9
45
6
4
1
1
1
3
35
Umeda
Oishi
Hirose
do.
Nissei Yoko
j Agentur der ostchin.
\ Eisenbahn-Gesell-
[ Schaft
Kobayashi
Oishi
Tsutsui
do.
Nissei Yoko
Agentur der ost-
chin. Eisenbahn-
1 Gesellschaft
Reklamant: Die ostchinesische Eisenbahngesellschaft in St.
Petersburg, Rußland, vertreten durch den Vizepräsidenten Wenzel.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10.
In der Prisensache betreffend den russischen Dampfer „Argun"
wird, wie folgt, entschieden:
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Der Dampfer „Argun" und die an Bord befindlichen 311 Rubel
russischen Geldes werden eingezogen.
*) V. §§ 8, 3 und 4.
130
Prisengerichtsentscheidungen : nArgun". Abschnitt VI^^
Tatbestand und Oründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Argun'' steht im Eigen-
tum der russischen ostchinesischen Eisenbahngesellschaft, sein Heimats-
hafen ist der russische Pachthafen Dalni in China und er dient zum
Personen-, Güter- und Postverkehr. Am 6. Februar 1904 ist er von
Dalni abgefahren und auf der Reise nach Nagasaki in Japan am 7. des-
ielben Monats, nachmittags 4 Uhr, an der Südwestküste Koreas in
der Gegend von Phal-ku-kai von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Azuma'*
aufgebracht worden. Später wurde er an das Kriegsschiff „Tainan
Maru" überliefert.
An Bord befanden sich zu der Zeit 311 Rubel russischen Geldes.
Diese Tatsachen sind von dem Vertreter der Reklamation an-
erkannt und werden außerdem bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters der „Tainan Maru", Kapitänleutnants Yoshimura
Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Argun'', Carl
Gärtner, und des 1. Offiziers Alexander Schtscherbinin, das
Schiffszertifikat, den Meßbrief, ein Schiffsbesichtigungszertifikat und das
Tagebuch des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
>ind folgende:
1. Es sei völkerrechtlich bestimmt, daß der Zeitpunkt, mit welchem
der Kriegszustand beginne, der gleiche sei wie der, an welchem der
tatsächliche Kampf seinen Anfang nehme. Da aber die Aufbringung
des vorliegenden Falls am Tage vor der Seeschlacht bei Port Arthur,
also vor Anfang des tatsächlichen Kampfes, stattgefunden habe, so sei
das Schiff freizugeben.
2. Da das zur Verhandlung stehende Schiff ein Handelsschiff sei,
iO stehe ihm die Vergünstigung der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 zu. ^)
3. Da der zur Verhandlung stehende Dampfer Postsachen an Bord
Ijehabt habe, so sei er nach dem Standpunkt der Kriegsvölkerrechts-
ui<vsenschaft freizugeben.
4. Wenn so der Dampfer freizugeben sei, müsse auch das ihm
zugehörige Geld freigegeben werden.
5. Da die Aufbringung in koreanischen Hoheitsgewässern aus-
geführt sei, so müsse die Frage, ob Korea neutral sei oder nicht, klar-
v'cstellt werden.
Da außerdem die feindlichen Staatsangehörigen erst nach Ver-
öffentlichung der Kriegserklärung von dem Kriegszustand Kenntnis er-
hielten, so müsse das zur Verhandlung stehende Schiff, weil es vor der
\eröffentlichung des Kaiserlichen Erlasses, welcher die Kriegserklärung
enthalte, aufgebracht sei, freigegeben werden.
(9*) • 131
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: ,^rgun".
Die Ansicht des Staatsanwalts geht in den Hauptpunkten dahin,
daß die vorliegende Reklamation völlig unbegründet sei und daß der
zur Verhandlung stehende Dampfer und das ihm zugehörige Geld ein-
gezogen werden müsse.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Aus den Tatsachen, daß Rußland während der diplomatischen Ver-
handlungen mit Japan über die mandschurisch-koreanische Frage auf
der einen Seite seine Antwort grundlos hinzögerte, während es auf
der anderen seine Armee in der Mandschurei und in Korea auf-
marschieren ließ und seine Kriegsflotte nach Port Arthur zusammen-
zog» geht deutlich hervor, daß es seinerseits bereits entschlossen war,
den Kampf gegen Japan zu eröffnen. Japan übersandte daraufhin am
5. Februar 1904 an Rußland die Mitteilung über den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen und machte gleichzeitig seine Kriegsmacht
mobil, so daß die japanische Flotte am 6. Februar 1904, 7 Uhr morgens,
von Sasebo zum Angriff des russischen Geschwaders aufbrach. Wenn
man die Bewegungen der beiderseitigen Kriegsflotten und die damalige
allgemeine Situation sich vergegenwärtigt, so muß man sagen, daß die
kriegerische Tätigkeit schon vor der zur Verhandlung stehenden Be-
schlagnahme ihren öffentlichen Anfang genommen hatte. Damit ist
es erwiesen, daß der Kriegszustand zur Zeit der hier verhandelten
Beschlagnahme bereits eingetreten war, und es ist belanglos, ob die
Aufbringung vor oder nach der Kriegserklärung stattgefunden hat.
Da ferner die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904
vom Tage des Erlasses, d. i. vom 9. Februar des Jahres, in Kraft ge-
treten ist, so kann sie auf die Zeit davor nicht rückwirkend angewandt
werden. Sie kann aber auch aus dem Grunde nicht zur Anwendung
kommen, weil nach den Reglements der Schiffahrtsabteilung der ost-
chinesischen Eisenbahngesellschaft das zur Verhandlung stehende Schiff
im Kriegsfall gänzlich zum Gebrauch für die russische Regierung und
die russische Kriegsmacht zur Verfügung zu stellen sein würde. Denn
unter diesen Verhältnissen würde die Freigabe des Schiffes eine Ver-
mehrung der feindlichen Kriegsstärke bedeuten. Die genannte Kaiser-
liche Verordnung will ihre Vergünstigung nur unverfänglichen Handels-
schiffen zukommen lassen und darf nicht so ausgelegt werden, daß
sie auch auf Schiffe wie das zur Verhandlung stehende Anwendung
findet.
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß feindliche Postschiffe mangels
eines besonderen Abkommens unter den kriegsführenden Staaten ebenso
wie die anderen feindlichen Schiffe zur Kriegszeit der Aufbringung
unterliegen, 2) und die Ausführungen des Vertreters der Reklamation
2) V. § 34.
132
Prisengerichtsentscheidungen: „Argun''. Abschnitt VI^^
sind nur die Wiedergabe von Vorschlägen Gelehrter, welche nicht ohne
)xeiteres angenommen werden können.
Da es ferner klar am Tage liegt, daß Korea tatsächlich kein neu-
traler Staat ist, so kann gegen die Berechtigung zur Ausführung einer
Beschlagnahme in seinen Hoheitsgewässern nichts eingewendet werden.
Aus diesen Gründen ist die zur Verhandlung stehende Rekla-
mation nicht begründet und der Dampfer „Argun'' muß eingezogen
«erden. *)
Danach ist es selbstverständlich, daß auch das dem Dampfer zu-
gehörige russische Geld einzuziehen ist.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die ostchinesische Eisenbahngesellschaft in St.
Petersburg, vertreten durch den Vizepräsidenten Wenzel.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den am 7. Februar 1904 an der Südwestküste Koreas
in der Gegend von Phal-ku-kai von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
..Azuma" beschlagnahmten, der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft
m St. Petersburg gehörigen Dampfer „Argun'' und die ihm zugehörigen
311 Rubel russischen Geldes ein Urteil gefällt, in welchem auf Ein-
ziehung des Dampfers „Argun'' und der ihm zugehörigen 311 Rubel
russischen Geldes erkannt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der
Reklamant, der Vizepräsident der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft
in St. Petersburg, Rußland, durch den Rechtsanwalt Nagashima
Tashitaro als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche im
Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Nagashima Washitaro sind folgende:
Am 26. Mai 1904 habe das Prisengericht zu Sasebo ein Urteil
verkündet, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Argun" und der
ihm zugehörigen 311 Rubel russischen Geldes erkannt worden sei.
») V. § 40.
133
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidunyen : ,Arguii'\
Es werde aus folgenden Gründen Verwerfung dieses Urteils und Frei-
gabe des genannten Dampfers und seiner Güter beantragt.
1. Das Gericht erster Instanz habe behauptet, der Kriegszustand
sei am 6. Februar 1904, 7 Uhr morgens, eingetreten, als nämlich die
japanische Flotte zum Angriff des russischen Geschwaders von Sasebo
aufgebrochen sei. Reklamant sei indes der Ansicht, daß der Kriegs-
zustand erst mit dem tatsächlichen Kampf beginne. Da aber der tat-
sächliche Kampf seinen Anfang erst am 8. Februar vorigen Jahres ge-
nommen habe, so hätte der Dampfer nicht beschlagnahmt werden dürfen.
2. Da das zur Verhandlung stehende Schiff am 6. Februar 1904
von Dalni abgefahren und auf der Reise nach Nagasaki begriffen ge-
wesen sei, als man es am 7. Februar, nachmittags 4 Uhr, an der Süd-
westküste Koreas in der Nähe von Phal-ku-kai mit Beschlag belegt
habe, so stehe ihm die Vergünstigung der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20 vom Jahre 1904 zu. Das Gericht erster Instanz habe indes
die dem Sinn der Kaiserlichen Verordnung zuwiderlaufende Ansicht
vertreten, daß dieselbe, weil sie vom Tage ihrer Veröffentlichung an
in Kraft getreten sei, keine rückwirkende Kraft habe. Auch könne sie
auf das zur Verhandlung stehende Schiff keine Anwendung finden,
weil dasselbe nach den Reglements der Schiffahrtsabteilung der ost-
chinesischen Eisenbahngesellschaft im Krieg zum Gebrauch für die rus-
sische Regierung oder die russische Kriegsmacht bereitzustellen sei.
Denn die Freigabe des Schiffes würde eine Vermehrung der Kriegs-
stärke des Feindes bedeuten, und die Kaiserliche Verordnung, welche
ihre Vergünstigung nur unverfänglichen Handelsschiffen zuerkenne,
könne nicht so ausgelegt werden, daß sie auch auf Schiffe wie das vor-
liegende Anwendung finde.
Reklamant mache demgegenüber geltend, daß der Brauch, nach
dem zu Zeiten starken Bedarfs Eisenbahnen und Dampfschiffe dem
Staat zur Verfügung gestellt würden, in allen Ländern bestehe, ohne
daß jedoch selbstverständlich die Schiffe, solange .kein Gebrauch hier-
von gemacht werde, etvcas anderes als reine Handelsschiffe seien. Es
möge ja anderweitig Grund vorliegen können, ein solches Handels-
schiff nicht freizugeben, wie man aber für ein noch nicht requiriertes
Schiff aus dem möglichen Eintreten der Requisition ein Schuldmoment
konstruieren könne, sei dem Reklamanten unverständlich.
3. Da das genannte Schiff Postsachen an Bord führe, so müsse
es nach dem Standpunkt der völkerrechtlichen Wissenschaft freigegeben *
werden. Dies sei nicht nur ein Vorschlag von Völkerrechtsgelehrten,
sondern müsse als ein anerkannter Grundsatz des fortgeschrittenen
Völkerrechts erachtet werden.
4. Wenn das Schiff freizugeben sei, so müsse auch das ihm
134
Piisengeiichtsentscheidungen: „Argun". Abschnitt VI^^
zugehörige Geld, welches das Schicksal des Schiffes zu teilen habe,
freigegeben werden.
5. Da die Aufbringung des genannten Schiffes in koreanischem
Gebietsgewässer erfolgt sei, so sei es einer der wichtigsten Punkte für
die prisengerichtliche Entscheidung, die völkerrechtliche Stellung Koreas
dahin klarzustellen, ob es ein neutraler oder ein verbündeter Staat sei.
Es se' bedauerlich, daß das Gericht erster Instanz lediglich die Be-
hauptung aufgestellt habe, Korea sei den tatsächlichen Umständen nach
offenbar kein neutraler Staat, daß es aber unterlassen habe, die Stellung
Koreas näher zu bezeichnen.
6. Wenn auch der Kriegszustand zwischen den Staaten als solchen
mit der Eröffnung des tatsächlichen Kampfes seinen Anfang nehme,
so könnten doch die feindlichen Untertanen erst durch die Veröffent-
lichung der Kriegserklärung von dem Kriegszustand Kenntnis erlangen,
und, da das zur Verhandlung stehende Schiff vor der Veröffentlichung
der Kriegserklärung von Dalni abgefahren sei, so habe es keine Mög-
lichkeit gehabt, von dem Kriegszustand Kenntnis zu erhalten. Daher
könne es nicht beschlagnahmt werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo Yamamoto Tatsurokuro sind folgende :
Die Berufung sei in allen Punkten unzutreffend begründet und
müsse abgewiesen werden. Sie stütze sich auf folgende Punkte:
.1. Die Entscheidung des Gerichts erster Instanz, daß der Kriegs-
zustand eingetreten sei, als das japanische Geschwader am 6. Februar
1904 von Sasebo aufgebrochen sei, um die russische Flotte anzugreifen,
sei unzutreffend.
Nach ciem Abbruch der friedlichen Beziehungen trete indes der
Kriegszustand sofort ein, ohne daß die kleinste Zeit dazwischen ver-
fließe. Wenn die meisten modernen Völkerrechtslehrer behaupteten,
daß der tatsächliche Kampf den Kriegszustand ins Leben rufe, so be-
deute das nur, daß es dazu der Veröffentlichung einer Kriegserklärung
nicht bedürfe; es solle jedoch nicht heißen, daß vor dem eigentlichen
Kampf kein Kriegszustand bestehe. Zu dem Kriege zwischen Japan
und Rußland sei es in der Weise gekommen, daß Rußland während der
diplomatischen Verhandlungen mit Japan über die mandschurisch-korea-
nische Frage absichtlich seine Antwort hingezögert, dabei unaufhörlich
Kriegsrüstungen getroffen und nach deren Vollendung seine Streitmacht
zu Wasser und zu Lande vorgeschoben habe, um Japan mit Gewalt
zu unterdrücken. Das Geschwader in Port Arthur sei bereits in Kriegs-
öereitschaft aus dem Hafen ausgelaufen. So sei es schließlich Japan
to geworden, daß Rußland nicht beabsichtige, friedlich zu verhandeln,
und so habe es am 5. Februar endlich die Beziehungen abgebrochen,
^inen Gesandten aus Rußland zurückgezogen und dem Geschwader
135
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: »Argun"*
zugleich Befehl gegeben, die feindliche Flotte aufzusuchen und anzu-
greifen. Dieser zur Selbsterhaltung nötige Schritt sei die Antwort auf
die russische Forderung gewesen, und man könne wohl behaupten,
daß mit diesem einen Befehl die Feindseligkeiten in die Existenz ge-
treten seien, spätestens sei dies aber der Fall, als am nächsten Tage,
am 6. Februar, morgens 7 Uhr, das japanische Geschwader von Sasebo
aufgebrochen sei. Damit, daß so die beiden Flotten sich in Gefechts-
bereitschaft gegenübergestanden hätten, hätten die Feindseligkeiten be-
reits offen begonnen, wenn die Flotten auch noch nicht miteinander
sogleich in Berührung gekommen seien und noch kein Kanonenfeuer
ausgetauscht hätten. Deshalb sei auch der Kriegszustand bereits zu
dieser Zeit eingetreten gewesen, und die Beschlagnahme eines feind-
lichen Schiffes sei eine rechtmäßige Ausübung kriegsrechtlicher Befug-
nisse gewesen.
2. Der Reklamant führe an, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff, welches am 7. Februar 1904 in koreanischem Hoheitsgewässer
beschlagnahmt worden sei, Anspruch auf die Anwendung der Kaiser-
lichen Verordnung Nr. 20 vom selben Jahre habe.
Es sei indes ein allgemeiner juristischer Grundsatz, daß Gesetze
keine rückwirkende Kraft hätten, und ebenso sei es völkerrechtliches
Grundprinzip, daß feindliche Schiffe zur Kriegszeit beschlagnahmt
werden könnten. Die Kaiserliche Verordnung, welche eine Ausnahme
von der Aufbringung nur für eine gewisse Frist und nur für eine be-
stimmte Art von Schiffen aufstelle, müsse auf das strengste ausgelegt
werden, und es sei unzulässig, sie analog anzuwenden. Daher sei es
unhaltbar, diese Verordnung, welche mit dem Tage der Veröffent-
lichung, dem 9. Februar, in Kraft zu treten bestimmt sei, für einen
Fall anzuziehen, der zwei Tage vor diesem Zeitpunkt liege.
Nach dem Gesagten seien die weiteren Erörterungen darüber, daß
das Schiff der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft unterstehe usw.,
die darauf hinausgingen, daß das Schiff ein Regierungsschiff sei und als
solches die Vergünstigung eines gewöhnlichen Handelsschiffs nicht be-
anspruchen könne, für die Reklamation unwesentlich, und es erübrige
sich, darauf einzugehen.
3. Der Reklamant mache geltend, daß das zur Verhandlung
siehende Schiff Postsachen an Bord gehabt habe, und daher nach An-
sicht der völkerrechtlichen Wissenschaft freizugeben sei. Dem sei je-
doch entgegenzuhalten, daß verschieden von Fällen neutraler Schiffe,
für welche besondere Verträge vorlägen, bei feindlichen Schiffen, welche
Post an Bord hätten, nur diese Postsachen nicht beschlagnahmt würden.
Für Freigabe der feindlichen Schiffe selbst und der übrigen Ladung
bestehe indes nicht der geringste Grund.
136
PriseDgericIitsentscheidungen: ,,Argun". Abschnitt VI ^b
4. Mit diesem Punkte stimme der Staatsanwalt überein, so daß
derselbe keiner Beantwortung bedürfe.
5. Dieser Punkt erörtere nur etwas, was der Reklamant für be-
dauerlich, nicht aber für rechtswidrig halte, und bedürfe daher gleich-
falls keiner Erwiderung.
6. Der Reklamant bringe vor, weil die Angehörigen des feind-
lichen Staats erst durch die Veröffentlichung der Kriegserklärung von
dem Kriegszustand erführen, sei eine Beschlagnahme vor Veröffent-
lichung dieser Erklärung unzulässig.
Dies sei indes nicht zutreffend, da bei Beschlagnahme feindlicher
Schiffe die Unkenntnis der feindlichen Staatsangehörigen von dem Kriegs-
zustand für die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme unerheblich sei.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Punkt 1 der Berufung besagt, der Kriegszustand beginne erst
mit dem tatsächlichen Kampf. Da der tatsächliche Kampf zwischen
Japan und Rußland seinen Anfang erst am 8. Februar 1904 genommen
habe, so hätte der zur Verhandlung stehende Dampfer nicht beschlag-
nahmt werden dürfen.
Es wird indes allgemein angenommen, daß der Kriegszustand nicht
mit dem Augenblick, wo die feindlichen Mächte das erste Kanonenfeuer
auswechseln, beginnt, sondern mit dem Zeitpunkt, wo die Absicht,
Krieg zu eröffnen, in irgend einer Weise manifestiert wird. Es steht
daher außer Zweifel, daß mit dem Zeitpunkt, wo die Kriegsabsicht in die
Verwirklichung tritt, eine Erklärung über die Kriegseröffnung erlassen
oder übersandt wird, oder dergl., der Kriegszustand seinen Anfang
nimmt. Weil nun die Kriegsabsicht bereits, ehe Japan und Rußland
am 8. Februar 1904 bei Port Arthur Kanonenfeuer auswechselten, schon
am 6. Februar manifestiert wurde, so fällt der 7. Februar bereits in die
Zeit nach Beginn des Kriegszustands. Daher ist die Behauptung des
Reklamanten, daß der Zeitpunkt des Beginns des Kriegsz-ustands der
S. Februar sei, unbegründet.
In Punkt 2 der Berufung wird gesagt, es sei vom Reklamanten
geltend gemacht worden, daß dem zur Verhandlung stehenden Schiff
auf Grund der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 Be-
freiung von der Beschlagnahme zukomme. Das Gericht erster Instanz
habe aber die Ansicht aufgestellt, daß diese Kaiserliche Verordnung
erst vom Tage der Veröffentlichung in Kraft getreten sei und keine
rückwirkende Kraft besitze. Auch könne sie nur für unverfängliche
Handelsschiffe in Betracht kommen und auf das zur Verhandlung
stehende Schiff nicht angewandt werden, da dasselbe der ostchinesischen
Eisenbahngesellschaft gehöre und im Kriegsfall für den Gebrauch der
russischen Regierung und der russischen Kriegsmacht zur Verfügung
137
Abschnitt Vl^k Prisengerichtsentscheidungen: „Argun".
zu stellen sei. Die daraufhin ergangene Entscheidung, daß die Beschlag-
nahme rechtmäßig sei, sei unzutreffend.
Wenn man aber den Charakter der^ Schiffe, welche der ostchinesi-
scher. Eisen bah ngesellschaft gehören, einer Untersuchung unterwirft, so
kann man nur zu der Ansicht kommen, daß sie Staatsdampfer sind, welche
der russischen Regierung gehören. Denn die leitenden Personen in der
Schiffahrtsabteilung dieser Gesellschaft sind Marineoffiziere und andere
Beamte; die zurzeit in Wladiwostok befindlichen Leiter sind ein Kor-
vettenkapitän und ein Spezialbeamter des Finanzministeriums. Wenn
man ferner in der vom russischen Verkehrsministerium im Jahre 1902
herausgegebenen Statistik über die Flußschiffe im asiatischen Rußland
den TeU betreffend die das Amurwassergebiet befahrenden Schiffe prüft,
so findet man als Gesamtzahl für Dampfer: 163, für andere Schiffe: 198.
Darunter sind 45 Dampfer und 66 andere Schiffe als Regierungsfahr-
zeuge bezeichnet. Wenn man daneben aber die einzelnen Eigentümer
der Dampfer und anderen Schiffe betrachtet, so findet man, daß, wenn
man nicht die der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft gehörigen 19
Dampfer und 60 anderen Schiffe mit unter die Regierungsschiffe rechnet,
die oben für diese genannte Gesamtzahl nicht erreicht werden kann.
Wenn man des weiteren die Tatsache mit in Erwägung zieht, daß der
bei den nordchinesischen Wirren im Jahre 1900 von der ostchinesischen
Eisenbahngesellschaft erlittene Schaden nicht für russische Staats-
angehörige, sondern für den Staat reklamiert wurde, so kann man nur
zu der Überzeugung kommen, daß die Schiffe, welche, wie das zur Ver-
handlung stehende, der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft unter-
stehen, tatsächlich der russischen Regierung gehörige Schiffe sind.
Oberflächlich betrachtet, bezieht sich die von der Kaiserlichen
Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 bestimmte Befreiung von der Be-
schlagnahme auf russische Handelsschiffe schlechthin. Wenn man aber
auf den letz.ten Grund für den Erlaß dieser Verordnung zurückgeht, so
will sie solche Handelsschiffe russischer privater Individuen vor der
Härte der Beschlagnahme schützen, welche zu Anfang des Krieges
von demselben keine Kenntnis hatten, und in einem japanischen Hafen
lagen oder vor Inkrafttreten der genannten Kaiserlichen Verordnung
von einem ausländischen Hafen nach einem japanischen Hafen ab-
gefahren waren. Unfraglich ist aber die Vergünstigung der Verordnung
auf Schiffe, die im Eigentum der Regierung stehen, nicht auszudehnen.
Wenn man daher auch, wie der Reklamant geltend macht, die Ansicht
des Gerichts erster Instanz, daß die Kaiserliche Verordnung keine Rück-
wirkung auf die Zeit vor ihrem Inkrafttreten habe, als unrichtig bezeichnen
will, so trifft doch andererseits aus den oben ausgeführten Gründen die
Berufungsbegründung gleichfalls nicht zu.
Punkt 3 der Berufung macht geltend, daß nach den fort-
138
PriMaaerichtsentscheidungen: ,,Argan". Abschnitt VI^n
geschrittenen Prinzipien der Wissenschaft und des Völkerrechts das
zur Verhandlung stehende Schiff freizugeben sei, weil es zur Zeit der
Aufbringung Post an Bord geführt habe. Diese Behauptung ist jedoch
nicht zutreffend, da weder das bestehende Völkerrecht noch auch die
japanischen Bestimmungen die Befreiung eines feindlichen Schiffes aus
dem Grunde, daß es Post an Bord führt, anerkennt.
Im Punkt 5 behauptet der Reklamant, da die Aufbringung des
genannten Schiffes in koreanischem Qebietsgewässer erfolgt sei, so sei
CS ein für die Entscheidung wichtiger Punkt, festzustellen, ob Korea
ein neutraler oder verbündeter Staat sei. Es sei bedauerlich, daß das
Gericht erster Instanz darüber nicht entschieden habe.
Da aber Korea von Anfang an für den Krieg zwischen Rußland
und Japan zu der Landung der japanischen Truppen in koreanischem
Gebiet und dem Passieren derselben seine Zustimmung gegeben hat,
sich der Krieg auch anfänglich innerhalb des Hoheitsgebiets von Korea
abgespielt hat, so kann Korea nicht als neutral im gewöhnlichen Sinne
des Worts erachtet werden. Daher ist dieser Punkt der Berufung un-
begründet.
Im Punkt 6 macht der Reklamant geltend, daß die feindlichen
Staatsangehörigen erst durch die Bekanntmachung der Kriegserklärung
von der Kriegseröffnung Kenntnis erhielten und daß daher das zur
Verhandlung stehende Schiff, welches vor der Bekanntmachung der
Kriegserklärung aufgebracht worden sei, nicht für gute Prise erklärt
Terden könne.
Wenn aber einmal der Krieg eröffnet ist, so kann jede Partei,
gleichgültig ob die Angehörigen der Gegenpartei von der Kriegseröffnung
^rissen oder nicht, nach Ansicht des geltenden Völkerrechts sein Be-
schlagnahmerecht ausüben. Daher ist auch dieser Punkt der Berufung
unhaltbar.
In Punkt 4 der Berufung äußert' der Reklamant, daß das dem
Schiff gehörige Geld das Schicksal des Schiffes teile und daher,
*enn dieses freigegeben werde, gleichfalls freizugeben sei. Da aber
die Aufbringung des Schiffes, wie oben an den einzelnen Berufungs-
punkten dargetan, rechtmäßig ist, so ist auch kein Grund vorhanden,
das von der Aufbringung betroffene Geld freizugeben.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. April 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
139
Abschnitt Vl^a Prisengerichtsentscheidungen: „Mancburia".
Reklamant: Die russisch-ostasiatische Dampfergesellschaft in St.
Petersburg, Rußland, vertreten durch den Generaldirektor B e n i s -
lawski.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku Kagacho Nr. 10.
In Sachen der Beschlagnahme des russischen Dampfers „Man-
churia" und seiner Ladung wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Manchuria" und die in dem beigefügten Verzeichnis
unter Nr. 1 bis 6, 8 bis Q4, 96, 98 bis 207, 210 bis 246 aufgeführten
Güter werden eingezogen. Die unter Nr. 7, 95, 97, 208 und 209 auf-
geführten Güter werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Manchuria" steht im
Eigentum der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft, sein Heimats-
hafen ist St. Petersburg in Rußland, er führt die russische Handelsflagge
und dient zum Passagier- und Gütertransport. Auf der im November
1903 von St. Petersburg aus angetretenen Reise nach Port Arthur wurde
er am 9. Februar 1904, 9 Uhr vormittags, 18 Seemeilen südöstlich
von Port Arthur von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta"
mit seiner Ladung aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
Bescheinigung des Vertreters des Kommandanten der „Tatsuta'', Kapitän-
leutnants Kihara Seiske, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
K. Prahl und des 1. Offiziers O. Tampio, das Schiffszertifikat, das
Logbuch, das Ladungsverzeichnis und das Privatschiffsjournal des ge-
nannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters des Rekla-.
manten sind folgende:
1. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei zwar russischer
Nationalität und stehe im Eigentum der russisch-ostasiatischen Dampfer-
gesellschaft, aber die meisten Teilhaber seien Dänen. Daher sei der
Dampfer freizugeben.
2. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei am 9. Februar,
also vor Veröffentlichung der japanischen Kriegserklärung, aufgebracht
worden. Da eine vor Veröffentlichung der Kriegserklärung vor-
genommene Beschlagnahme unrechtmäßig sei, so müsse der Dampfer
freigegeben werden.
3. Nach dem Sinne der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom
Jahre 1904 müsse der zur Verhandlung stehende Dampfer freigegeben
werden.
140
Prisengerichtsentscheidungen: „Manchuria". Abschnitt VI^«
4. Da der Dampfer freizugeben sei, so müsse auch seine Ladung
treigegeben werden. Auch wenn der Dampfer nicht freigegeben werden
sollte, so seien doch die in dem Verzeichnis unter Nr. 2, 212 bis 225 auf-
geführten Güter bei neutralen Staatsangehörigen versichert und müßten
«egen der Rechte dieser freigegeben werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da die Behauptungen des Prozeßvertreters sämtlich unbegründet
Miien, so müsse das zur Verhandlung stehende Schiff eingezogen werden.
Da die unter Nr. 7, 95 und 97 des Verzeichnisses aufgeführten
Güter nicht feindlich seien, so seien sie freizugeben.
Die unfer Nr. 208 und 209 verzeichneten Güter stünden im
Eigentum von Missionen, seien keine feindlichen Güter und müßten
deshalb freigegeben werden.
Das Gericht ist der folgenden Ansicht:
Nach dem Völkerrecht kann ein feindliches Schiff, weil der größte
Teil des Eigentumsrechts an demselben neutralen Staatsangehörigen zu-
steht, der Beschlagnahme nicht entgehen. ^) Wenn daher auch der
i^Tößte Teil der Aktien der Gesellschaft, welcher das zur Verhandlung
>tehende Schiff gehört, in Händen dänischer Staatsangehöriger ist, so
kann damit die Freigabe des Schiffes nicht begründet werden.
Nachdem am 6. Februar zwischen Japan und Rußland der Kriegs-
zustand eingetreten war, konnten die beiden Staaten, obwohl keine
Kriegserklärung veröffentlicht war, ihre Kriegsrechte ausüben. 2) Die
arr. 9. Februar vorgenommene Beschlagnahme ist daher rechtmäßig.
Aus diesen Gründen müssen die Behauptungen des Vertreters
der Reklamation in Punkt 1, 2 und eingangs 4 für unbegründet erachtet
Verden.
Es bedarf keiner Erörterung, daß die Kaiserliche Verordnung Nr. 20
\<)rn Jahre 1904 3) auf Schiffe, welche von feindlichem Gebiet nach
temdlichem Gebiet fahren, keine Anwendung finden kann. Daher ist
juch Punkt 3 der Berufung unhaltbar.
Da ferner das Recht an einer Prise nach dem Völkerrecht ein
absolutes ist, welches keinerlei andere Rechtsansprüche neben sich an-
erkennt, so entbehrt auch die zweite Hälfte des Punktes 4 der Be-
kundung.
Die unter Nr. 7, 95 und 97 des Verzeichnisses aufgeführten Güter
können indessen nicht als feindliche Güter angesehen werden und sind
rreizugeben.
Die Güter unter Nr. 208 und 209 können nach dem völkerrechtlich
anerkannten Prinzip der Unverletzlichkeit religiöser Institute, weil sie
rür eint im feindlichen Gebiet tätige dänische Missionsgesellschaft und
') V. Ziffer 3 und § 35. — •^) V. § 1. — ') I.
141
Abschnitt VI**
Prisengeiichtsentscheidungen : nManchuria".
für den täglichen Gebrauch ihrer Missionare bestimmt sind, nicht ein-
gezogen werden.
Außerdem sind die unter Nr. 209 verzeichneten Güter auch aus
dem Grunde freizugeben, weil sie für eine nur vorübergehend*) im
Feindesland aufenthältliche neutrale Person bestimmt sind.
Die übrigen Güter sind erwiesenermaßen feindliche s) und müssen
demnach eingezogen werden. ®)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Ladungsverzeichnis des Dampfers t,Manchuria''.
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St Petersburg:
Wladiwostok:
1
Lampen und Gläser
26 Kisten
J. J. Abolink
Ussurische Bahn-
verwaltung
Order
2
Papier
286 Ballen
Paul Forostowski
3
Thermometer . . .
1 Kiste
Wassidlo & Co.
Haf. V.Wladiwostok
4
Kontor-Formulare .
3 Kisten
Ko. Singer
Ko. Singer
5
Nähmaschinenöl . .
1 Faß
»>
»
6
Ölkannen u. Gummi-
ringe
1 Kiste
}»
})
7
Eisenbahnkarten . .
1 Kiste
A. A. Hin
G. Li, Kais. Chin.
Handelsagent
8
Nahrungs-Konserven
für Truppen . .
314 Kisten
I. Ismailowskisch.
Bezirks-Intend. d.
9
Nahrungs-Konserven
Proviantamt
Amur. Armee-Bez.
für Truppen . .
314 Kisten
2.
})
10
Feuerpumpen mit
St. Petersburger
Artillerie-Depot
Zubehör . . .
3 Kolli
Artillerie-Depot
11
Eisen- u. Gasröhren
5 Kolli
»
>»
12
Telegraphen-Mate-
Elektr. Abt. des
Chef-Ingenieur der
rialien ....
4 Kisten
Ing.-Departements
Wladiwostok-Fest.
13
Streichhölzer . . .
50 „
W. A. Lapschin
Order
14
))
200 „
i>
j>
15
1»
150 „
ii
»
16
i>
50 „
»>
»1
17
Seife
150 „
A. M. Dschukoff
>»
4) V. — ») V. §§ 8, 3 und 4. — •) V.
142
Priseogerichtsentscheldungen: MManchuiia".
Abschnitt VI»«
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
1 =
Verlader
Empfänger
St. Petersburg:
Wladiwostok:
18
Kosmetische Waren
6 Kisten
St. Petersburger
Chem. Laborator.
E. Sawarsinoi
19
Apotheker-Waren .
30 n
Schtol & Schmidt
See-Hospital
20
Grüne Seife . . .
5 Faß
n n
n
21
Elektr. Batterien für
Elektr. Abteilung
Chef-Ingenieur der
Minen ....
12 Kolli
d.Ing.-Departmts.
Fest. Wladiwostok
22
Telegr. Artikel . .
135 ,
Haupt-Ing.-Depot
Ingen.- Verwalt. der
FestWladiwostok
23
Sprengstoffe . . .
14 ,
n
ff
24
Telegr. Materialien .
1»
n
ff-
•25
Eisendraht ....
23 .
n
ff
26
Frachtbriefe . . .
24 Kisten
Haupt-Verwaltung
d.Ussurisch.Bahn
Ussurische Bahn-
Verwaltung
27
Kettenteile. . . .
1 Kiste
n
ff
28
Brückenbogen . .
3 Kolli
n
ff
29
Brückenbaumaterial .
12 ,
n
ff
30
Papier
10 Ballen
42 ,
P. S. Andruff
n
Order
31
n
32
»
14 ,
n
•33
Roste
464 Kolli
A. E. Stelp
n
34
Eisen und Stahl . .
842 ,
35
Eiserne Klammern .
3 ,
n
36
Eisen und Stahl . .
584 ,
n
37
Eiserne Röhren . .
520 ,
n
38
Werg
16 »
39
10 ,
40
n • •
Ziegelsteine
\ ! !
76 ,
n
41
Werg . .
31 .
42
Packungen u.
tuch . .
Segel-
6 ,
ft
43
Ziegelsteine
• ■ •
2600 Stück
n
44
Segeltuch .
, .
14 Kolli
n
45
Leder . .
2 .
1 ,
n
46
Zement . .
47
Schiffstau .
.
6 .
n
48
Instrumente
3 .
n
49
Thermometer
, ,
3 ,
n
50
Leitungsdraht
.
1 ,
n
51
Granaten .
, ,
145 Stück
n
52
Gerät . .
2 Kolli
53
1 .
54
1» • •
Granatenhülsei
n aus
* Tt
n
Messing .
. ,
269 ,
n
ff
55
Granatenhülsei
1 aus
Messing . ,
.
40 „
n
ff
56
Gerät . . .
2 ,
1 .
ff
57
Springfedem .
• •
ff
ff
143
Abschnitt V »•
Prisengerichtsentscheidungen: „Mancburia*'
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St. Petersburg:
Wladiwostok:
58
Gerät
3 Kolli
A. E. Stelp
Order
59
Messing-Granat-
hülsen ....
200
1»
n
n
60
Hülsen u. Zinkkasten
141
n
1)
n
61
Eiserne Kasten . .
28
n
n
p
62
Messing-Hülsen . .
100
n
n
n
63
Soda
26
yt
»
n
64
n
17
n
V
fi
65
» . . t . . .
101
n
n
n
66
n ......
25
n
it
n
67
Salzgehaltmesser .
1
n
n
n
68
Webwaren usw. . .
3
n
n
n
69
Kabel
2
1»
n
y>
70
Springfedem . . .
1
n
n
n
71
Telegraphendraht u.
'
Elemente . . .
6
n
rt
n
72
Elemente, Gläser u.
Gummiringe für
Minen ....
2
n
n
n •
73
Granaten u. Spreng-
stoff
1308
n
»
n
74
Granaten, Schieß-
pulver und anderes
2
rt
n
n
75
Kitt
1
n
n
n
76
Soda
23
n
n
n
77
Spiritus
53
n
rt
rt
78
Pulver
129
n
n
n
79
Patronenhülsen,
Zünder und Pulver
218
n
n
n
80
DestiUierapparate
4
n
St. Petersburg:
Dalni:
81
Papier
135
n
Verwaltung der
chin. Eisenbahn
Verwaltung der
chin. Eisenbahn
82
Pappe . . . . .
20
n
n
83
Krankenkleider . .
6-
fi
n
84
Seife
15
n
»
85
n
15
y>
„
86
n
15
n
»
87
n
20
rt
„
88
Zündhölzer . . .
200
it
W. A. Lapschin
Port Arthur:
89
Glühlampen mit Zu-
behör ....
84
n
E. Tilmans & Co.
Order
90
Billards u.zugehörige
Schiefertafeln . .
6
rt
n
»
91
Blechmaschinen und
Gronmeyer &
Meyer
Zubehör. . . .
1
f>
Trautscholt
144
PrtoM
gerichtsentscheidiingen
: .Mukden*.
Abschnitt VI»«
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St. Petersburg:
Port Arthuf:
92
Klosetts . ; . .
14 Kolli
F. San Galli
Suworoff
93
Gufieiseme Säulen .
1 .
n
ft
94
Offiziers-Säbel . .
2 ,
P. E. Setnenoff
Magazin der Offi-
ziers-Vereinigung
95
Geogr. Karten . .
2 .
A. Hin
Tue Jin Fan,
Hankow
96
Eisenbahnkarten . .
1 .
n
Lin, Dolmetscher,
Ing. der chin.
Bahn Charbin
97
»
2 .
n
H. Si, Shanghai
98
Thermometer . . .
1 .
Wossidlo & Co.
Haf. V.Port Arthur
99
Billards u.zugehOrige
Schiefertafeln . .
3 ,
A. Freiberg
Order
100
Kosmetische Waren
23 „
St. Petersburger
ehem. Laborato-
rium
Magazin der Offi-
ziers-Vereinigung,
Kwantung
101
BQcher
3 .
Co. M. O. Wolf
K. A. Smoloff
102
n
1 .
»
1»
103
Seife
50 .
A. M. Dschukoff
Order
104
Ji
100 „
» »
1»
106
p
25 .
»
n
106
Zigarettenhülsen . .
256 ,
J. D. Dunajewsky
J. D. Dunajeswky
107
Nautisch.Instrumente
Hauptverwalt. der
Direkt, d. Leucht-
und Kompasse .
6 «
Hydogr. Abteiig.-
türme u.Hafenamt
108
Zubehörf. Geschütze
1 .
St. Petersburger
Artillerie-Depot
Kwantunger
Festungsartillerie
109
Konserven ....
4167 ,
1. Ismail. Verpro-
viantier.-Magazin
Intendant d.Kwan-
tung-Gebiets
110
B ....
4167 ,
» .
j»
111
Petroleummotore
6 Stück
A. A. Elisejeff
A. A. Elisejeff
112
Zündhölzer . . .
30 Kolli
W. A. Lapschin
Order
113
m ...
50 ,
n
n
114
M ...
50 .
n
n
115
• • •
50 ,
»
n
116
n ...
50 ,
n
n
117
n ...
100 ,
fi
n
118
Gufieiseme Wasser-
leitungsröhren . .
693 Stück
E. Tilmans
E. Tümans
119
Rund-Messing . .
4 Kolli
A. E. Stelp
Order
120
Eisenroste ....
60 Stück
n
121
9 • • ■ •
51 .
n
122
» . . • .
213 ,
n
123
Ankerlcetten . . .
2 n
n
124
Röhren
100 ,
fi
125
Stahl
5 Kolli
»
126
Kohlenbehälter . .
278 Stück
n
127
Eiserne Ketten . .
2 n
»
»
Hai
strand-Heehlenbnrg,
Dm Japanische ]
Prisenreoht. Band I.
(10) 145
Abschnitt VI»«
Prisengerichtsentscheidungen i »Mukden '
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St Petersburg:
Port Arthur:
128
Scheiben und Klam-
mem
3 Kolli
A. E. Stelp
Order
129
Webwaren ....
9 ,
»
1»
130
Soda
4 ,
n
fi
131
Draht
9 ,
rt
n
132
Ballon und Zubehör
54 .
n
»
133
Eiserne Klammern u.
Haken ....
1 ,
n
»
134
Eisenstäbe fürSchiffe
5 .
n
»
135
Schläuche ....
2 .
n
n
136
Geschirr usw. . , .
17 ,
n
n
137
Röhren
6 ,
n
n
138
Lumpen ....
206 »
n
»
139
Senkbleie ....
1 ,
n
n
140
Kleider
1 ,
n
n
141
Bindfaden ....
3 ,
n
$t
142
Schaufeln ....
15 ,
n
n •
143
Kirchengeräte . .
1 .
»
n
144
Bolzen .....
1 .
n
ji
145
Werg
33 ,
n
r>
146
Papier
1 .
n
y>
147
Leder
1 ,
n
r»
148
Geschirr ....
3 .
n
rt
149
Kalk ......
1 «
n
ft
150
Röhren
4 .
n
ft
151
Wasserdichte Mäntel
4 ,
n
n
152
Schrauben ....
2 ,
n
n
153
Springfedem . . .
1 „
n
n
154
Spiegel
1 ,
n
1»
155
Kragen und Man-
schetten ....
1 .
r>
n
156
Elekt. Zubehör . .
1. ,
n
n
157
Maschinenpackungen
1 ,
»
n
158
Zylinder ....
1 ,
rt
n
159
Talg
3 „
n
n
160
Dampfpumpen . .
4 ,
ti
jt
161
Bilderrahmen . . .
6 .
f»
n
162
Papier, Schrauben
usw .•
8 ,
rt
n
163
Trossen
1 „
n
n
164
Platten für Röhren .
1 ,
n
n
165
Matrosen-Anzüge .
7 ,
r>
n
166
Trossen
11 ,
n
n
167
Maschinenöl . . .
278 Faß
n
n
168
Leder für Kragen .
1 Kolli
n
n
169
Schiffs-Laternen und
anderes ....
34 .
n
n
146
Prisengerichtsentscheidungen: .Mukden".
Abschnitt VI 8«
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St Petersburg:
Port Arthur:
170
Kupferröhren . . .
65 Kolli
A. E. Stelp
Order
171
Gelenkschafte . .
4 .
n
n
172
Maschinenöl . . .
151 Faß
n
n
173
Spuckn3pfe . . .
1 Kolli
n
»
174
Wagen
7 ,
n
i>
175
Lichte
34 ,
n
n
176
Seife
37 ,
n
n
177
Schläuche ....
6 .
1»
n
178
Soda
5 ,
n
n
179
Schrauben ....
1 n
n
n
180
Maschinenöl . . .
46 „
»
n
181
Talg
66 .
1»
n
182
M •
76 ,
n
n
183
Diverses Geschirr ,
10 ,
n
n
184
Kupferröhren . . .
21 .
f»
n
185
Zylinder- und Ventil-
klappen ....
1 ,
n
1»
186
Schotten-Verschlüsse
2 „
n
II
187
Raketen-Bojen . .
8 ,
»
»
188
Kupferne Kessel
6 ,
f»
»
189
Webwaren ....
2 ,
n
n
190
Asbest
39 .
n
n
191
Wagen.Thermometer
usw
5 .
n
n
192
Spiritus
52 ,
n
n
193
Kautschukringe . .
1 .
n
n
194
Schiffebetten . . .
3 ,
,
n
195
Elektr. Zubehör . .
19 .
n
n
196
Schießbaumwolle
1 -
»
n
197
Kautschukringe . .
1 .
n
n
198
Kautschukringe und
anderes ....
1 ,
n
rt
199
Schlüssel u. anderes
4 ,
n
•
200
Verschlussklappen
für Schiffstoren, aus
Messing und Guß-
eisen
4 .
n
n
201
Elektr. Leitungsdraht
6 .
n
n
202
Raketen ....
21 ,
„
»
203
Zinkblech ....
3 .
n
it
204
Ruderschrauben . .
1 »
n
n
205
Rumkorff sehe Spi-
ralen
7 ,
n
j»
206
Schiffsmaschinenöl .
21 Faß
Akt. Sels.DetOst-
asiatiske Komp.,
Kopenhagen
The East Asiatic
Company Ltd.
207
Maschinenteile . .
21 Kolli
Mekaniske Verk-
stad, Stockholm
Kunst & Albers
(10*)
147
Abschnitt VI»«
Prisengeiichtsentscheidungen: .Mukden*.
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
St Petersburg:
Port Arthur:
208
Verschiedenes . .
1 Kiste
J. Olesen, Kopen-
hagen
Danish Lutheran
Mission
209
Betten und verschie-
The Danish Missior
1 Kathrine Nielsen
denes ....
2 Kolli
Society, Kopen-
hagen
210
Muster
1 .
Akt.-Sels.DetOst-
asiatiske Komp.,
Kopenhagen
AktieselskabetDet
OstasiatiskeKom-
pagni
211
Reis
8 Sack
Colombo:
Dalni:
212
Schwarzer Tee . .
1042 Kolli
A. Koosenetzoff &
Co.
A. Koosenetzoff &
Co.
213
n » • •
520 ,
n
n
214
1» 11 . .
99 ,('/«)
Finlay Muir & Co.
Colombo:
Order
Moskau: via
Dalni,
215
n n • •
58 ,
PeekBros.&Winch
Ltd. D. D. Gro-
reebnikoff
216
n » • •
75 ,
Theodor & Rawlin
Order
217
Tee ;
79 ,
Stcherbatchoff,
Tschokoff & Co.
n
218
f, ......
202 ,
n
Colombo:
Tschelgabinsk
via Dalni:
219
rt
559 „
Molchanoff,
Pechatnoff & Co.
Order
220
Ceylon-Tee . . .
336 ,
Stcherbatchoff,
Tschokoff & Co.
n
221
n » . . .
375 .
Colombo:
n
Moskau via
Dalni:
222
Tee
596 ,
Rodewald &Heath
Order
223
Ceylon-Tee . . .
613 „ .
Stcherbatchoff,
Tschokoff & Co.
n
224
Tee
513 ,
Rodewald ÄHeath
»
225
Ceylon-Tee . . .
299 ,
Stcherbatchoff,
Tschokoff & Co.
n
226
Bolzen und Platten
F. L. Smidt & Co.,
n
aus Eisen . . .
303 ,
Kopenhagen
Honkong:
Dalni für Order
Wladiwostok:
227
Zünder . . . , .
1 ,
Butterfield&Swire
Clarkson & Co.
228
Reis
200 Sack
On Wo Tai
Yee Tai
229
n •'«...
307 ,
Yue We Loong
• Honkong:
Hu Young Sang
Dalni:
230
Seidenwaren . . .
8 ,
Tsun Tai
Wing Kee
231
n
Silberwaren . . .
Wollendecken , .
1 Kollo
1 ,
Wo Cheong Loong
n
Kwong Lee Yuen
1»
148
Priseigerichtseiitschefdungen : •Manchuria*.
Abschnitt VI »•
Nr.
Art und Inhalt
Anzahl
Verlader
Empfänger
Honkong:
Dalni:
232
Kleider
1 Kollo
On Wo Tai
Honkong:
Tak Wo & Co.
Port Arthur:
233
Rum
30 Faß
China SugarRefin-
ing Cy. Ltd.
Ginsburg & Co.
234
Spirituosen . . .
6 Krüge
Lee Yuen Cheung
Yun Cheung Chun
235
Gesalzene Fische .
1 Kollo
n
n
236
Biskuits
1 .
yt
»
•237
Papier, getrocknete
Waren, Tabak usw.
4 Kolli
n
n
238
Räucherkerzen . .
5 ,
n
n
239
Räucherblumen . .
1 ,
n
»
240
Gesalzene Gemüse .
2 .
»
»
241
Essig
2 Krüge
n
»
242
Feuerwerk ....
1 Kollo
M
n
243
Papierwaren . . .
1 ,
11
n
244
Taschentflcher, Ziga-
retten usw. . . .
1 ,
n
n
245
Brauner Zucker . .
2 Kolli
n
Singapore:
ff
Wladiwostok:
246
Schwarzer Pfeffer ,
5 Sack
Stcherbatchoff,
Tschokoff & Co.
Order
Reklamant: Russisch-ostasiatische Dampfergesellschaft in St.
Petersburg, vertreten durch den Generaldirektor Benislawski.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio. Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
Am 26. Mai 1Q04 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen des
am 9. Februar 1904, 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur von dem
Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmten russischen
Dampfers „Manchuria" und dessen Ladung auf Einziehung des Dampfers
und der in dem, dem Urteil beigefügten, Ladungsverzeichnis unter
Nr. 1 bis 6, 8 bis 94, 98 bis 207, 210 bis 246, aufgeführten Güter und
auf Freilassung der unter Nr. 7, 95, 97, 208 und 209 aufgeführten
üQter entschieden.
Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Nagashima Washi-
taro als Prozeßvertreter der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft,
vertr'eten durch den Generaldirektor Benislawski, die Berufung ein-
gelegt, welche von dem Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Prozeßvertreters des Rekla-
manten, Nagashima Washitaro, sind folgende:
1. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei zwar russischer
Nationalität und stehe im Eigentum der russisch-ostasiatischen Dampfer-
149
Abschnitt VIS« Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*.
gesellschaft, aber die meisten Teilhaber dieser Gesellschaft seien Dänen.
Daher sei der Dampfer freizugeben.
2. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei am 9. Februar 1904,
also vor Veröffentlichung der japanischen Kriegserklärung, aufgebracht
worden. Zwar träten die Staaten als solche mit dem Moment der
tatsächlichen Eröffnung des Kampfes zueinander in das Verhältnis
kriegführender Parteien, aber, da die privaten Angehörigen der feind-
lichen Staaten von dem Kriegszustand erst durch Veröffentlichung der
Kriegserklärung erführen, so sei eine Beschlagnahme vor Veröffentlichung
der Kriegserklärung unrechtmäßig.
3. Es sei auch im Sinne der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom
Jahre 1904, das Schiff freizugeben; denn, da das Schiff im November
1Q03 von St. Petersburg abgefahren und auf der Fahrt nach Port Artjiur
begriffen, am 9. Februar 1904, vormittags 9 Uhr, also zu einer Zeit,
wo es noch keine Gelegenheit gehabt habe, von dem Kriegszustand
Kenntnis zu erhalten, 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur auf-
gebracht worden sei, so finde die genannte Kaiserliche Verordnung
auf diesen Fall Anwendung.
4. Die Ladung des Dampfers müsse, soweit keine besonderen
Gründe für das Gegenteil vorlägen, mit dem Dampfer freigegeben
werden.
Zusatz zu Nr. 1 der Beruf ungsgründe :
Es sei nicht zu bestreiten, daß der zur Verhandlung stehende
Dampfer Eigentum der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft sei;
wenn aber auch der Dampfer vom zivilrechtlichen Standpunkte aus
als im Eigentum einer russischen juristischen Person stehend zu be-
trachten sei, so entscheide sich doch die Frage der Beschlagnahme
nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten, und da handele es sich darum
zu untersuchen, welche Individuen in ihren Rechten verletzt seien.
Da aber erwiesenermaßen der größte Teil der Aktien der russisch-
ostasiatischen Dampfergesellschaft in dänischen, also neutralen Händen
sei, so müsse das Schiff rechtmäßigerweise freigegeben werden.
Zusatz zu Nr. 2 der Berufungsgründe:
Die von der Reklamation Nr. 5') betroffenen, in dem, dem Urteil
beigefügten, Ladungsverzeichnis unter Nr. 89, 90 und 118 aufgeführten
Güter seien von der in St. Petersburg ansässigen deutschen Firma
Ewald Tillmanns & Co. auf dem zur Verhandlung stehenden
Dampfer nach Port Arthur verschifft und auf der Reise dorthin be-
schlagnahmt worden. Dies gehe aus den mit dem Schiff zusammen
beschlagnahmten Dokumenten hervor. Da nun Güter Angehöriger neu-
traler Staaten, die ihren Bestimmungsort gar nicht erreicht hätten, nicht
') VI. 5 f.
150
Prisengerichtsentschef düngen: .Manchuriä*. Abschnitt Vl^a
aU feindliche betrachtet werden könnten, so müßten die bezeichneten
Güter freigelassen werden.
Zusatz zu Nr. 3 der Berufungsgründe :
Da die Güter, welche unter Nr. 2 und Nr. 212 bis 222 des dem
Urteil beigefügten Ladungsverzeichnisses aufgeführt seien, bei Ange-
hörigen neutraler Staaten versichert seien, so bedeute die Nichtfreigabe
derselben eine Verletzung der Rechte Neutraler. Da nun schließlich
der Grad dieser Verletzung ein sehr großer sei, so müßten die Güter
freigegeben werden, und es sei widerrechtlich, die Freigabe kurzerhand
mit dei Begründung, das Recht der Beschlagnahme sei ein absolutes,
abzulehnen.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Y^mamoto
Tatsurokuro vom Prisengericht in.Sasebo sind folgende:
Der Reklamant behaupte in Punkt 1, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff, wenn es auch russische Nationalität habe, dennoch
freigegeben werden müsse, weil der größte Teil der Aktien der russisch-
ostasiatischen Dampfergesellschaft in dänischen Händen sei.
Es sei aber Kriegsvölkerrecht, daß ein Schiff, welches die Nationalität
des feindlichen Staates besitze und unter feindlicher Flagge führe, gleich-
viel ob die Aktionäre zum größten Teil, ja ob sie alle Angehörige
neutraler Staaten seien, als feindliches Schiff anzusehen sei. Als solches
unterliege daher das zur Verhandlung stehende Schiff mit Recht der
Beschlagnahme und der Einziehung.
In Punkt 2 sage der Reklamant, das zur Verhandlung stehende
Schiff sei am 9. Februar 1904, also vor der Kriegserklärung, beschlag-
nahmt worden. Diese Beschlagnahme sei nicht zu rechtfertigen, da
die privaten Individuen, wenn auch die Staaten als solche schon mit
dem tatsächlichen Beginn des Kampfes in den Kriegszustand einge-
treten seien, von dem Bestehen des Kriegszustandes erst durch die
Veröffentlichung der Kriegserklärung erführen.
Derartige Gründe fänden aber weder in den zwischen den zivi-
lisierten Staaten bestehenden völkerrechtlichen Gebräuchen, noch in
der Wissenschaft Anerkennung. Es erübrige sich daher zu erörtern,
daß ein feindliches Schiff, welches von dem Kriegszustande nichts wisse,
deshalb der Aufbringung nicht entgehen könne.
In Punkt 3 mache der Reklamant geltend, daß der zur Verhand-
lung stehende Dampfer nach dem Sinne der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20 vom Jahre 1904 freizugeben sei, weil er zur Zeit der Beschlag-
nahme von dem Kriegszustand keine Kenntnis gehabt habe.
Da indes diese Kaiserliche Verordnung eine Ausnahme von dem
allgemeinen kriegsvölkerrechtlichen Grundsatz darstelle, demzufolge ein
kriegführender Staat die Handelsschiffe des Feindes auf offener See
und in den beiderseitigen Hoheitsgewässern beschlagnahmen könne,
151
Abschnitt VI*« Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'.
so müsse diese Verordnung eher eng ausgelegt werden, als auf Fälle,
die der klarbestimmte Wortlaut nicht vorsehe, in Anwendung gesetzt
werden. Deshalb könne der fragliche Dampfer, wenn er auch die
Reise gemacht habe, ohne von dem Kriegszustand etwas zu wissen,
da er nach dem als Feindesgebiet zu betrachtenden Port Arthur be-
stimmt gewesen sei, also zweifellos nicht unter die §§ 1 und 3 der ge-
nannten Kaiserlichen Verordnung falle, die Vergünstigung derselben
nicht genießen.
In Punkt 4 erkläre der Reklamant, die Ladung des zur Verhand-
lung stehenden Dampfers müsse, soweit nicht besondere Gründe vor-
lägen, mit dem Schiffe freigegeben werden.
Die Frfige, ob die Güter Kriegskonterbande seien oder nicht,
komme indes, da sie als feindliche Güter auf feindlichem Schiff be-
findlich anzusehen seien, gar nicht in Betracht, und ihre Einziehung
sei rechtmäßig.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es unterliegt keinem Zweifel, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff als Feindesschiff anzusehen ist. Denn es führte zur Zeit der Be-
schlagnahme die feindliche Flagge, hatte ein feindliches Schiffszertifikat
und stand im Eigentum der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft
in St. Petersburg. Der Reklamant macht zwa^ geltend, der Dampfer
sei freizulassen, weil die meisten Aktien der genannten Gesellschaft
in dänischen Händen seien und somit das Recht neutraler Staats-
angehöriger verletzt werden würde. Aber wenn auch der größte Teif
der Aktien der Gesellschaft, welcher der fragliche Dampfer gehört,
in Händen von Neutralen ist, so hat das auf die Eigenschaft des
Schiffes als eines feindlichen keinen Einfluß, und Punkt 1 der Berufungs-
gründe nebst Zusatz können nicht anerkannt werden.
Da, wie oben ausgeführt, die Eigenschaft des Schiffes als eines
feindlichen durchaus unbestreitbar ist, so konnte dasselbe mit dem
Entstehen des Kriegszustands auch vor der Kriegserklärung zu Recht
beschlagnahmt werden, und damit fällt Punkt 2 der Berufung hin.
Die Fahrt des zur Verhandlung stehenden Dampfers deckt sich
unzweifelhaft nicht mit irgend einem Falle der §§ 1 bis 3 der Kaiser-
lichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904, und die Anwendung dieser
Verordnung auf Schiffe, welche, wie das in Frage stehende, ton feind-
lichem Gebiet nach feindlichem Gebiet fahren, ist durchaus unzulässig.
Deshalb ist auch der dritte Punkt der Berufungsgründe hinfällig.
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß, soweit das Beschlagnahme-
recht in Betracht kommt, die Landeszugehörigkeit von Gütern nach
dem Domizilprinzip bestimmt werden kann, und das Oberprisengericht
ist der Ansicht, daß diese Theorie der Logik der tatsächlichen Verhält-
nisse entspricht. Zugegeben, wie der Reklamant behauptet, daß die
152
Prisengerichtsentscheidungen : .Manchuria". Abschnitt Vis»
in dem, dem Urteil des Sasebo-Prisengerichts beigefügten Ladungs-
verzeichnis unter Nr. 89, 90 und 118 aufgeführten Güter im Eigentum
des Verschiffers, der Firma Ewald Tillmanns & Co. in St. Peters-
burg stehen, so sind sie, weil diese Firma völkerrechtlich als feindlich
anzusehen ist, feindliche Güter; und auf feindlichem Schiff befindlich,
unterliegen sie deshalb mit Recht der Aufbringung; so ist der Zusatz
*zum Punkt 2 der Berufungsgründe haltlos.
Was ferner die oben erwähnten, unter Nr. 2, 212 bis 222 des Ver-
zeichnisses aufgeführten Güter angeht, so unterliegen auch sie, weil
sie auf feindlichem Schiff nach feindlichem Gebiet verschifft waren,
der Aufbringung. Denn wenn sie auch, wie vom Reklamanten geltend
gemacht, bei neutralen Staatsangehörigen versichert sind, so entsteht
doch mit einem solchen Versicherungsvertrag kein Grund für Heraus-
gabe feindlichen Gutes und auch der Zusatz zu Punkt 3 der Berufung
muß als unbegründet abgelehnt werden.
Was alle übrigen, nach dem Urteil des Sasebo-Prisengerichts ein-
zuziehenden Güter anbetrifft, so ist, da sie auf dem zur Verhandlung
stehenden feindlichen Schiff nach feindlichem Gebiet verschifft waren,
die Entscheidung des genannten Urteils zu Recht bestehend und Punkt 4
der Berufungsbegründung ist zu verwerfen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 17. Januar 1905.
(Unterschriften.)
Reklamant: Frederic Ringer, dänischer Konsul in Naga-
saki, wohnhaft in Nagasaki, Gura Nr. 7.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die zur Verhandlung stehende Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, nämlich 3 Kisten mit Bett-
zeug, Büchern und verschiedenen anderen Gegenständen, sind von der
christlichen Missionsgesellschaft in Kopenhagen, Dänemark, an die
dänische Missionsgesellschaft in Port Arthur abgesandt und auf dem
der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer „Man-
churia" verschifft worden. Am 30. Januar 1904 verließen sie Hongkong
und wurden auf der Reise nach Port Arthur am 9. Februar desselben
153
Abschnitt Vis» Prisengerichtsentscheidungen : .Manchuria**
Jahres, vormittags, auf der See bei Port Arthur von dem Kaiserlich
japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" zusammen mit dem genannten
Dampfer beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Reklamationsschrift,
die schriftliche Aussage des Stellvertreters des Kommandanten der
„Tatsuta'', Kapitänleutnants Kihara Seiske, die Vernehmungsproto-
kolle des Kapitäns K. Prahl und des 1. Offiziers ,0. Tampio, das
Ladungsverzeichnis und das Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Der Reklamant bringt vor, er erhebe die Reklamation in ::einer
Eigenschaft als Konsul Seiner Majestät des Königs von Dänemark. Die
zur Verhandlung stehenden Güter seien bestimmt für dänische Staats-
angehörige in Port Arthur, seien weder Kriegskonterbande noch Ver-
mögensstücke feindlicher Staatsangehöriger und könnten deshalb nicht
eingezogen werden.
Der Reklamant ist bei dem Termin zur mündlichen Verhandlung,
trotzdem ihm derselbe bekannt gegeben war, nicht erschienen.
Der Staatsanwalt sagt in den Hauptpunkten, die Reklamation sei
nicht gesetzmäßig, da die Eigenschaft als Konsul nicht ohne weiteres
die eines Interessenten im Sinne de» Prisenordnung nach sich zöge.
Was die zur Verhandlung stehenden Güter angehe, so seien sie
alle für die dänische Missionsgesellschaft bestimmte Bücher und Gegen-
stände des täglichen Gebrauchs, die keine Kriegskonterbande darstellten,
sondern lediglich als Gegenstände, die religiösen Zwecken zugute kämen,
anzusehen seien. Ihre Freigabe entspreche daher dem Gedanken des
Schutzes religiöser Bestrebungen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach § 16, Abs. 2 der Prisengerichtsordnung i) ist eine wesent-
liche Bedingung für die Erhebung einer Reklamation, das Vorhanden-
sein rechtlichen Interesses. Der Reklamant hat jedoch mit Bezug auf
die zur Verhandlung stehenden Güter keinerlei Interesse nachgewiesen.
Wenn er lediglich auf Grund seiner Eigenschaft als dänischer Konsul
im Interesse seiner Schutzgenossen reklamiert, so kann ihm weder die
Eigenschaft eines Reklamanten noch auch die des Stellvertreters eines
solchen zuerkannt werden. Der Reklamant hat aber nicht bewiesen,
daß er von den Interessenten irgendwelche Reklamationsvollmachten
erhalten hat, und es ist daher anzunehmen, daß er nicht imstande
gewesen ist, die nach § 17, Abs. 2 der Prisengerichtsordnung vor-
geschriebene Vollmacht beizubringen. Daher ist die zur Verhandlung
stehende Reklamation nicht gesetzmäßig.
Da die Reklamation schon an und für sich den gesetzlichen Vor-
schriften nicht entspricht, so muß sie abgewiesen werden, ohne daß
») IV.
154
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'. Abschnitt Vis«
über die weiteren Anführungen des Reklamanten Entscheidung ge-
troffen werden kann.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Filiale der Firma JardineMatheson&Co.,
Hauptagentur der China Sugar Refining Company, vertreten durch ihren
Prokuristen, den englischen Staatsangehörigen Reginald Walter
HcyshamWood.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria" verladenen 30 Fässer Rum
xi erder eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 30 Fässer Rum wurden auf Be-
stellung der russischen Firma Ginsburg & Co. in Port Arthur von
der engl, offenen Handelsgesellschaft Jardine, Matheson &Co. in
Hongkong am 30. Januar 1904 auf dem der russisch-ostasiatischen
Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer „Manchuria'' verschifft und auf
demselben an die Firma Ginsburg&Co. abgeschickt. Am 9. Februar
desselben Jahres, vormittags, wurden dieselben auf der Reise nach Port
Arthur in den dortigen Gewässern zusammen mit dem genannten
Dampfer von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" be-
schlagnahmt.
Diese Tatsachen sind nicht nur von dem Reklamanten anerkannt,
sondern sie werden auch bewiesen durch die schriftliche Aussage des
Vertreters des Kommandanten der „Tatsuta", des Kapitänleutnants
Kihara Seiske, die Verhandlungsprotokolle des Kapitäns K. Prahl
und des 1. Offiziers O. Tampio, das Ladungsverzeichnis und das
Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Der Reklamant bringt in der Hauptsache vor, daß die zur Ver-
handlung stehenden Fässer Rum freilich auf Bestellung des Empfängers
G i n s b u r g abgesandt worden seien, daß aber vermöge der getroffenen
') Ober die reklamierten Gegenstände ist entschieden in VI 5 a.
155
Abschnitt VIS« Prisengerichtsentscheidungen: .IHanchuria*.
Vereinbarung, daß der Kaufpreis für dieselben erst nach ihrer Landung
In Port Arthur gezahlt werden solle, die Waren, solange sie nicht in die
Hände des Empfängers gelangt seien, noch im Eigentum der Absender,
der China Sugar Refining Company stünden und deshalb freizugeben
seien.
Der Staatsanwalt macht dagegen geltend, daß das Eigentum an
den zur Verhandlung stehenden Gütern nicht als dem Reklamanten
zustehend erachtet werden könne, daß dieselben daher als Eigentum
des dem feindlichen Staat angehörigen Empfängers für gute Prise zu
erklären seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, daß das Eigen-
tum an Handelswaren, welche auf Bestellung versandt werden, gleich-
viel ob der Kaufpreis zur Zeit der Versendung schon bezahlt ist oder
nicht, mangels einer besonderen Abmachung mit der Zeit der Ab-
sendung auf den Empfänger übergeht. Da aber die zur Verhandlung
stehenden 30 Fässer Rum auf Bestellung an die russische Firma 0 i n s -
b u r g & C o. in Port Arthur versandt worden sind, und da der Rekla-
mant bezüglich des Zeitpunkts des Eigentumsübergangs keinerlei gegen-
teilige Beweise hat beibringen können, so ist es billig anzunehmen,
daß das Eigentumsrecht an den genannten Gütern zur Zeit der Beschlag-
nahme auf die russische Firma übergegangen war.
Da nun diese der russischen Firma gehörigen Güter auf einem
russischen Schiff verladen worden sind, so sind sie als feindliche Güter
auf feindlichem Schiff für gute Prise zu erklären ^) und einzuziehen. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige A. Gese-, Proku-
rist der Firma Kunst & Albers in Nagasaki, Oura Nr. 9.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria" verladenen 14 Kisten
Maschinenteile werden eingezogen.
') V. §§ 8, 3 und 4. — 2) § 40.
156
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'. Abschnitt Vis^
Die Reklamation bezüglich der Fracht für die genannten Güter
vird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 14 Kisten Maschinenteile sind von
der Mekaniska Verkstad in Stockholm, Schweden, mrt Bestimmung für
die deutsche Kommanditgesellschaft Kunst & Albers in Port Arthur
auf dem der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen
Dampfer ,,Manchuria" verschifft und abgesandt worden. Auf dieser
Reise wurden sie am 7. Februar vormittags von dem Kaiserlich japa-
nischen Kriegsschiff „Tatsuta" zusammen mit dem genannten Dampfer
auf der Höhe von Port Arthur mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Reklamationsschrift,
die Aussageschrift des Vertreters des Kommandanten des beschlag-
nehmenden Kriegsschiffs, Kapitänleutnants Kihara Seiske, die Ver-
nehmungsprotokolle des Kapitäns K. Prahl, des 1. Offiziers O. Tam-
pio, das Ladungsverzeichnis und das Schiffsjournal des genannten
Dampfers.
Die Hauptpunkte des Reklamanten sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter stünden im Eigentum der
Fmpfänger Kunst & Albers, einer deutschen Firma. Die Güter
seien vor Eröffnung des Kriegs verschifft. Sie müßten daher als neu-
trale Güter behandelt und freigegeben werden. Ferner beantrage der
Reklamant Ersatz von 311.80 Yen Frachtkosten für die genannten Güter.
Zur mündlichen Verhandlung ist der Reklamant trotz erhaltener
Ladung nicht erschienen.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da die Anführungen des Reklamanten sämtlich unbegründet seien,
so müßten die zur Verhandlung stehenden Güter als feindliche Güter
auf feindlichem Schiff eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist ein allgemeiner Grundsatz, daß die Frage, ob Güter feindlich
sind oder nicht, sich ungeachtet der Nationalität des Eigentümers nach
dessen gegenwärtigem Wohnsitz entscheidet, i) Obwohl demnach der
Empfänger, die Firma Kunst & Albers, eine deutsche Kommandit-
gesellschaft ist, müssen doch die ihr gehörigen, zur Verhandlung ste-
henden Güter, weil sie ein Handelsgeschäft in dem feindlichen Port
.\rthur hat, für feindliche Güter erachtet werden.
Dem weiteren Vorbringen des Reklamanten, daß die zur Ver-
handlung stehenden Güter vor der Kriegszeit verschifft worden seien,
ist entgegenzuhalten, daß es ein allgemein anerkannter Grundsatz des
Xölkerrechts ist, daß feindliche Güter auf feindlichem Schiff zur Kriegs-
') V. §§ 8, 3 und 4.
157
Abschnitt VI>' Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'.
zeit unbekümmert um die Zeit ihrer Verschiffung beschlagnahmt werden
können.
Daher sind die zur Verhandlung stehenden 14 Kisten Maschinen-
teile für gute Prise zu erklären und einzuziehen.*)
Was den Antrag bezüglich der Frachtkosten angeht, so liegt die
Entscheidung hierüber nicht im Bereich des Prisengerichts, und die
Reklamation über diesen Punkt muß abgewiesen werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: A. Qese, deutscher Reichsangehöriger, Prokurist
der Firma Kunst & Albers, Kommanditgesellschaft, Nagasaki Oura
Nr. 8.
Prozeßvertreter: Ishibashi Tomokichi., Nagasaki, Togi-
yamachi Nr. 41.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen
der am 9. Februar 1904 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur von
dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta'' beschlagnahmten, an
Bord des russischen Dampfers „Manchuria" verschifften 14 Kisten
Maschinenteile auf Einziehung derselben erkannt und die Reklamation
bezüglich der Fracht der genannten Güter abgewiesen. Gegen dieses
Urteil hat der Prozeßvertreter des Reklamanten A. G e s e , der Rechts-
anwalt Ishibashi Tomokichi, die Berufung eingelegt, welche im
Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte und Gründe der Berufung des Prozeßvertreters
Ishibashi Tomokichi sind folgende:
1. Der Verschiffer der zur Verhandlung stehenden Güter sei eine
in Stockholm, Schweden, niederlässige, also neutrale Maschinenbau-
gesellschaft. Die Empfängerin der Güter sei die deutsche Firma Kunst
& Albers in Port Arthur, also eine im Feindesland ansässige, neutrale
Gesellschaft.
Das Urteil erster Instanz nehme an, daß das Eigentum an den
Gütern dem Empfänger zustehe, dieselben daher feindlichen Charakter
trügen. Reklamant sei der Ansicht, daß das Eigentumsrecht erst nach
Ankunft im Bestimmungshafen und Ablieferung an den Empfänger
^) V. § 40.
158
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria". Abschnitt VI 6'
auf diesen übergehe und daß der Absender dasselbe nicht mit dem
Zeitpunkt der Verschiffung verliere. Berechtigung und VerpfHchtung
mit Bezug auf die Güter trage bis zum Zeitpunkt ihrer Ankunft im
Bei^tiinmungshafen und Ablieferung an den Empfänger selbstverständlich
der Absender. So bestimme zum Beispiel das japanische Handels-
gesetzbuch im 8. Abschnitt des 3. Buches und im 3. Abschnitt des
5. Buches, daß im Falle des Unterganges der Güter der Absender
gegen den Reeder Anspruch auf Schadensersatz habe und daß der
Empfänger erst nach Empfang der Güter zur Leistung von Fracht-
und sonstigen Kosten verpflichtet sei. Es sei nicht begründet, lediglich
weil die vorliegende Sache dem Völkerrecht unterstehe, derartige Rechts-
bestimmungen umzudrehen. Da nun die zur Verhandlung stehenden
Güter während der Reise und ehe sie an den Empfänger abgeliefert ge-
wesen, mit Beschlag belegt worden seien, so stehe zweifellos das Eigen-
tum an denselben noch dem Absender zu und der Reklamant habe die
Reklamation nur in der Eigenschaft eines Interessenten ^) erhoben. Wenn
aber so die Güter als im Eigentum des neutralen Absenders stehend
anzusehen seien, so erwürben sie damit die Eigenschaft neutraler Güter
und seien, weil nicTht Kriegskonterbande, gemäß Artikel 3 der Pariser
Seerechtsdeklaration unzweifelhaft freizugeben.
2. Selbst aber wenn man den einen Punkt zugebe und die Güter
als im Eigentum des Empfängers stehend betrachte, so müsse man sie
doch für neutrale Güter erklären.
Das Urteil erster Instanz habe die Frage nach der Neutralität
der Güter nach dem Wohnsitz des Eigentümers entschieden und die
Nationalität desselben nicht berücksichtigt. Es habe das Domizilprinzip
anerkannt und das Nationalitätsprinzip abgelehnt. Reklamant sei aber
der Ansicht, daß das Nationalitätsprinzip der Billigkeit entspreche. Denn
aus dem Domizilprinzip würde sich die wunderliche Argumentation er^
geben, daß ein in Rußland lebender Japaner als Feind anzusehen sei.
Wenn auch ein derartig seltsames Prinzip in Europa Kurs habe, so sei
es doch mit der nationalen Idee Japans nicht in Einklang zu bringen.
Es sei daher rechtmäßig, die zur Verhandlung stehenden Güter als
neutrale zu betrachten und freizugeben.
3. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien Ende 1903 von der
Maschinenbaugesellschaft in Schweden verladen worden. Diese habe
veder damals noch zur Zeit der Aufbringung der Güter irgendwelche
Kenntnis von dem möglichen Entstehen bzw. Bestehen des Kriegs-
zustandes zwischen Rußland und Japan gehabt, so daß ihr der Vorwurf,
diesen Transport zur Schädigung der Interessen Japans oder Unter-
stutzung des Feindes vorgenommen zu haben, nicht gemacht werden
■) Also nicht als Eigentümer.
159
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: .IHanchuria"«
könne. Daher könnten die zur Verhandlung stehenden Güter nach
Artikel 6, 23 und 30 der von dem Kongreß' für internationale Rechts-
wissenschaft im Jahre 1882 den Mächten unterbreiteten Seeprisenordnung
nicht eingezogen werden. Freilich sei Japan diesen Bestimmungen nicht
ausdrücklich beigetreten, aber, da das Völkerrecht überhaupt keine be-
stimmte gesetzliche Formulierung besitze, vielmehr die von einer Anzahl
Gelehrten aufgestellten und von einer Anzahl von Staaten anerkannten
Rechtsregeln die völkerrechtlichen Grundsätze bildeten, so verdienten
die erwähnten Bestimmungen alle Beachtung.
4. Da der Krieg ein Verhältnis zwischen den Staaten als solchen
begründe, zu dem die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden,
so müsse für Güter zur See wie für die zu Lande der Grundsatz der
Unverletzlich keit des Privatvermögens gelten, woraus sich als logische
Folge ergebe, daß auch das Privatvermögen feindlicher Staatsangehöriger,
soweit es nicht Konterbande sei, nicht zum Objekt einer Beschlagnahme
gemacht werden dürfe. Reklamant hoffe daher, daß Japan sich nicht
nach dem schlechten Vorgange und den eigenmächtig aufgestellten
Grundsätzen von Mächten richten werde, welche um Vorteils willen
die Rechtslogik verdrehten und verwirrten, sondern daß es zu einer
Zeit, wo es gegen den Feind der Humanität und des Weltfriedens kämpfe,
neben seiner nationalen Machtentwicklung auch die Förderung von Recht
und Vernunft im Auge behalten werde. Daher müsse es jetzt seine
Größe beweisen, indem es auch für das Privatvermögen zur See den
Grundsatz der Unverletzlichkeit zur Ausführung bringe.
5. Der durch unrechtmäßiges Vorgehen des Staates von dem Rekla-
manten erlittene Schaden an Fracht müsse billigerweise vom Staate
wieder ersetzt werden. Die erste Instanz habe die Entscheidung über
diese Schadensersatzfrage als außer ihrer Kompetenz liegend abgewiesen.
Reklamant sei indes der Ansicht, daß der Ausdruck „Prisenangelegen-
heiten'' des § 1 der Prisengerichtsördnung auch diesen Punkt, welcher
mit dei Hauptreklamation in rechtlichem Zusammenhang stehe, in sich
schließe.
Der Staatsanwalt Hayashi Ei j uro vom Sasebo Prisengericht
macht hiergegen folgende Hauptpunkte geltend:
Punkt 1 und 2 der Berufungsschrift gehe dahin, daß ganz all-
gemein Frachtgüter bis zum Zeitpunkt der Ankunft im Bestimmungs-
ort und der Ablieferung an den Empfänger im Eigentum des Ab-
senders stünden und daß daher die zur Verhandlung stehenden Güter,
weil ihr Absender eine in Stockholm in Schweden niederlässige, neu-
trale Maschinenbaugesellschaft sei, nicht eingezogen werden könnten;
ferner daß, selbst wenn man annähme, die Güter stünden im Eigentum
des Empfängers, sich ihre Nationalität nicht nach dem Wohnsitz, sondern
nach der Nationalität des Eigentümers richtete.
160
Prisengerichtsentscheidungen: »Manchuria*. Abschnitt VIS'
Es sei jedoch die verbreitete völkerrechtliche Anschauung, daß die
Frage, ob Güter feindlich seien oder nicht, sich nach dem Wohnort
des Eigentümers entscheide, und daß Güter, welche an einen im Feindes-
land wohnenden Empfänger abgesandt seien, mangels besonderen gegen-
teiligen Beweises mit dem Zeitpunkt der Absendung als in das Eigen-
tum des Empfängers übergegangen anzusehen seien. Daher seien die
zur Verhandlung stehenden Güter, weil sie für einen im feindlichen
Port Arthur ansässigen Empfänger bestimmt gewesen seien und weil
kein klarer Beweis dafür vorliege, daß das Eigentumsrecht an denselben
zur Zeit der Beschlagnahme noch dem Absender zugestanden habe,
in dem erstinstanzlichen Urteil zu Recht als feindliche erkannt, und
das Urteil auf Einziehung sei gerechtfertigt.
Im 3. Punkte behaupte der Reklamant, die zur Verhandlung
stehenden Güter seien Ende 1903 in Schweden von der Maschinenbau-
gesellschaft verladen,^ welche weder damals noch zur Zeit der Auf-
bringung der Güter von dem eventuellen Entstehen des Kriegszustands
zTischen Japan und Rußland irgendwelche Kenntnis gehabt habe, so
daß ihr der Vorwurf der Schädigung der Interessen Japans nicht ge-
macht werden könne. Daher könnten die zur Verhandlung stehenden
Güter nach den in Artikel 6, 23 und 30 der von dem Kongreß für
internationale Rechtswissenschaft im Jahre 1882 beschlossenen Seeprisen-
ordnung enthaltenen Prinzipien nicht beschlagnahmt werden.
Diese Bestimmungen gingen jedoch über die Bedeutung von Privat-
ansichten Gelehrter nicht hinaus und könnten zurzeit noch nicht als
Grundsatze des Völkerrechts betrachtet werden. Eine Pflicht, sie an-
zunehmen, bestehe daher nicht.
Im Punkte 4 sage der Reklamant, da der Krieg ein Verhältnis
zwischen den Staaten als solchen begründe, zu dem die Individuen in
keiner direkten Beziehung stünden, so müsse für Güter zur See in
gleicher Weise wie für solche zu Lande der Grundsatz der Unverletzlich-
keit des Privatvermögens gelten. Selbst feindliches Privateigentum dürfe
daher, soweit es sich nicht um Kriegskonterbande handele, nicht zum
Objekt einer Beschlagnahme gemacht werden.
Bezüglich von Gütern zur See erkenne jedoch sowohl die Pariser
Seerechtsdeklaration von 1856 wie auch die japanische Prisengerichts-
ordnung den fundamentalen Grundsatz an, daß feindliche Güter auf
feindlichem Schiff, auch wenn sie Privateigentum seien, eingezogen
Verden könnten. Es sei daher selbstverständlich, daß dieser Grundsatz
in dem vorliegenden Falle angewendet werde.
Im Punkt 5 führe der Reklamant an, daß das Prisengericht erster
Instanz über seinen Antrag auf Schadenersatz Entscheidung hätte treffen
müssen.
Die Prisengerichtsordnung bestimme jedoch, daß die Prisengerichte
Mtrstr»nd-Meohlenbarg, Dm japaniflohe Priaenreoht. Band 1. (11) 161
Abschnitt VIS' Prisengerichtsentscheidiuigen : .Manchuria*-
nur über Prisenangelegenheiten zu entscheiden hätten, und, da demnach
Schadenersatzforderungen nicht in ihren Amtsbereich gehörten, so sei
dieser Antrag des Reklamanten von dem Gericht erster Instanz zu
Recht abgewiesen worden.
Aus diesen Gründen werde die Abweisung der Berufung be-
antragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind von der „Mekaniska
Verkstad'' in Stockholm, Schweden, auf dem der russisch-ostasiatischen
Dampfschiffahrtsgesellschaft gehörigen Dampfer „Manchuria" an die
Kommanditgesellschaft Kunst & Albers in dem russischen Pacht-
gebiet Port Arthur abgesandt worden. Auf der Reise dorthin wurden
sie am 9. Februar 1904, also nach Eröffnung des Krieges zwischen
Japan und Rußland, 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur, zusammen
mit dem genannten Schiff von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff
„Tatsuta'' mit Beschlag belegt.
Es ist völkerrechtliche Praxis, Gütern, welche zu Kriegszeiten von
Personen, die in neutralem Lande wohnen, an einen im feindüchen
Gebiet wohnhaften Empfänger auf feindlichem Schiff versandt werden^
feindlichen Charakter beizulegen und ihre Einziehung zu gestatten.
Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den tatsächlichen Ver-
hältnissen gerecht wird.
Der Prozeßvertreter der Berufung sagt in seinem ersten Punkt, die
zur Verhandlung stehenden Güter stünden im Eigentum des Absenders,,
der in Stockholm, Schweden, niederlässigen „Mekaniska Verkstad"; da
dieser Absender eine neutrale Gesellschaft sei, so trügen die zur Ver-
handlung stehenden Güter neutralen Charakter und könnten nicht ein-
gezogen werden. Dieser erste Punkt der Berufung ist aber aus dem
oben angeführten Grunde nicht haltbar.
Im Punkt 2 sagt der Berufungsreklamant, wenn man die Güter
für Eigentum des Empfängers, der Kommanditgesellschaft Kunst &
A 1 b e r s in Port Arthur, ansehe, so seien sie trotzdem neutral, da diese
Gesellschaft deutscher Nationalität sei. Denn es sei ungerechtfertigt,
wenn das Prisengericht zu Sasebo als Norm für die Bestimmung der
Nationalität der Güter das Nationalitätsprinzip verwürfe und das
Domizilprinzip anerkenne. Nach völkerrechtlicher Praxis kann jedoch
bei der Bestimmung der Landeszugehörigkeit von Gütern das Domizil-
prinzip zur Anwendung kommen, und das Oberprisengericht steht auf
dem Standpunkt, daß dieses den Verhältnissen am besten Rechnung
trägt. Daher ist Punkt 2 der Berufung unbegründet.
Punkt 3 der Berufung besagt, daß die Güter vor der Kriegs-
eröffnung verschifft worden seien; daß die Absenderin weder zur Zeit
der Verschiffung von dem möglichen Eintreten, noch zur Zeit der
162
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'. Abschnitt Vis«
Aufbringung von dem erfolgten Eintritt des Kriegszustands zwischen
Japan und Rußland Kenntnis gehabt habe; daß die Verschiffung weder
zum Nutzen des Feindes noch in der Absicht, Japan zu schädigen,
geschehen sei und daß die Güter deshalb der Einziehung nicht unter-
liegen könnten. Nach Völkerrechtsbrauch ist aber darin, daß die
Güter vor der Kriegseröffnung verladen worden sind, daß der Kapitän
oder der Absender von der Kriegseröffnung keine Kenntnis hatten, daß
die Verschiffung der Güter ohne Absicht der Unterstützung des Feindes
oder Schädigung des anderen Teiles geschehen ist, kein Grund zu
sehen, weshalb Güter mit feindlichem Charakter der Aufbringung ent-
gehen sollten. Daher ist auch Punkt 3 der Berufung grundlos.
Punkt 4 der Berufungsgründe trägt eine wissenschaftliche Theorie
vor, die indes bis jetzt keine Bestimmung des Völkerrechts ist, und damit
fällt auch dieser Punkt der , Berufung hin.
Im Punkt 5 erklärt der Reklamant es für unrechtmäßig, daß das
Sasebo-Prisengericht die Reklamation wegen der Fracht abgewiesen habe,
aber da unsere Prisengerichtsordnung die Prüfung von Schadenersatz-
ansprüchen nicht dem Tätigkeitsbereich der Prisengerichte unterstellt
hat so entbehrt auch dieser Beruf ungspunkt der Begründung.
Daher wird, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Januar 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der naturalisierte englische Staatsuntertan Y u H o i
Chou, wohnhaft in Hongkong Queens Road Central, Victoria Street
136—138.
ProzeBvertreter; Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Na-
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria" verschifften 8 Kisten Seiden-
tücher werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter wurden von dem Rekla-
manten am 1. Februar 1904 auf dem in Hongkong liegenden russischen
(11*) 163
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen; .Manchuria".
Dampfer „Manchuria'' verladen und an Wing Kee im russischen
Pachtgebiet Dalni abgesandt. Am 9. Februar desselben Jahres, vor-
mittags 9 Uhr, wurden sie auf der Höhe von Port Arthur zusammen
4nit dem genannten Dampfer von dem Kaiserlich japanischen Kriegs-
schiff „Tatsuta" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten des beschlagnehmenden Schiffs, des
Kapitänleutnants Kihara Seiske, die Vernehmungsprotokolle des
Kapitäns K. Prahl und des 2. Offiziers des genannten Dampfers
O. Tampio, das Schiffsjournal, das Ladungsverzeichnis und die
Konnossemente.
Die Hauptpunkte des Vertreters des Reklamanten sind folgende :
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien Eigentum des neutralen
Reklamanten und keine Kriegskon terbandt. Sie seien vor Eröffnung
des Krieges zwischen Japan und Rußland abgeschickt und könnten aus
diesen Gründen nicht beschlagnahmt werden.
Die Ansicht des Staatsanwalts ist im wesentlichen folgende:
Es sei keine Spur eines Beweises dafür vorhanden, daß die zur
Verhandlung stehenden Güter im Eigentum des neutralen Absenders
stünden. Sie seien feindliche Güter auf feindlichem Schiff. Daher
müsse das Urteil die Beschlagnahme gutheißen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist von den Bestimmungen und Gewohnheiten des jetzt gel-
tenden Völkerrechts anerkannt, daß feindliche Güter auf feindlichem
Schiff, gleichgültig ob sie Konterbande sind und ob sie vor dem Kriege
abgeschickt sind oder nicht, zu Kriegszeiten natürlich der Beschlagnahme
unterliegen.
Da ferner der Charakter von Gütern als feindlichen Gütern sich
nach dem Wohnsitz des Eigentümers bestimmt, i) so sind Güter, welche
von einem Absender in einem neutralen Lande an einen Empfänger
in feindlichem Gebiet abgeschickt werden, als im Eigentum des
Empfängers im Feindesgebiet stehend anzusehen und der Gegenbeweis
muß von den Interessenten geführt werden.
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind auf dem feindlichen
Dampfer „Manchuria'' verschifft und an ein in dem feindlichen Pacht-
gebiet Dalni niederlässiges Handelshaus abgeschickt worden. Es wird
nicht bestritten, daß die Aufbringung nach der Kriegseröffnung statt-
gefunden hat.
Da der Prozeßvertreter des Reklamanten lediglich die Behauptung
aufstellt, die Güter stünden im Eigentum des Absenders, welcher ein
neutraler Staatsangehöriger sei, ohne indes irgendwelchen Beweis hier-
0 V. §§ 8, 3 und 4.
164
Prisengerichtsentscheidungeii: .Manchurla'. Abschnitt Vis
für zu erbringen, so sind die zur Verhandlung stehenden Güter als
feindliche Güter auf feindlichem Schiff einzuziehen. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Vu Hoi Chou, naturalisierter englischer Staats-
angehöriger, wohnhaft in Hongkong, Queen's Road Central, Victoria-
Street Nr. 136—138.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi,
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
Beschlagnahme der auf dem russischen Dampfer „Manchuria" ver-
schifften 8 Kisten Seiden tücher, welche am 9. Februar 1904 18 Seemeilen
südöstlich von Port Arthur zusammen mit dem genannten Dampfer
von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmt
worden sind, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der genannten
Güter erkannt wird. Gegen dieses Urteil hat der Vertreter des Rekla-
manten Yu Hoi Chou, der Rechtsanwalt IshibashiTomokichi,
die Berufung eingelegt, welche im Oberprisengericht im Beisein der
Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi ge-
prüft worden ist.
Die Berufungspunkte des Prozeßvertreters Ishibashi Tomo-
kichi und deren Begründung sind folgende:
1. Der Verlader der zur Verhandlung stehenden Güter sei der in
Hongkong wohnhafte naturalisierte englische Staatsuntertan Yu Hoi
Chou, also ein neutraler Staatsangehöriger, der Empfänger Wing
Kee in Dalni, ein neutraler Staatsangehöriger in feindlichem Gebiet an-
sässig. Das Urteil erster Instanz habe dahin erkannt, daß die Güter im
Eigentum des Empfängers stünden und daher feindlichen Charakter
hätten. Frachtgüter gingen aber erst nach Ankunft im Bestimmungs-
hafen und Ablieferung an den Empfänger in das Eigentum dieses über,
und der Absender verliere keineswegs sein Eigentum mit dem Moment
der Verschiffung. Der Absender sei Träger der Rechte und Ver-
pflichtungen mit Bezug auf die Frachtgüter, solange dieselben noch
nicht im Bestimmungshafen eingetroffen und dem Empfänger abgeliefert
*) V. § 40.
165
Abschnitt VI < • Prisengerichtsentscheidungen : . Manchuria' .
seien. So bestimme zum Beispiel das japanische Handelsgesetzbuch
im 8. Abschnitt des 3. Buches und im 3. Abschnitt des 5. Buches,
daß im Falle des Untergangs der Güter der Ablader gegen den Reeder
Anspruch auf Schadenersatz habe und daß der Empfänger erst nach
Empfang der Güter zur Leistung von Fracht- und sonstigen Kosten
verpflichtet sei. Es sei nicht begründet, lediglich weil die vorliegende
Sache dem Völkerrecht unterstehe, die angeführten Rechtsbestimmungen
umzudrehen. Da nun die zur Verhandlung stehenden Güter während
der Reise und ehe sie dem Empfänger ausgeliefert gewesen, mit Be-
schlag belegt worden seien, so stehe zweifellos das Eigentum an denselben
noch dem Absender zu. Wenn aber so die Güter als im Eigentum des
Absenders stehend anzusehen seien, so erwürben sie damit die Eigen-
schaft neutralen Gutes und seien, weil nicht Kriegskonterbande gemäß
Artikel 3 der Pariser Seerechtsdeklaration, unzweifelhaft freizugeben.
2. Selbst aber wenn man den einen Punkt zugebe, daß die zur
Verhandlung stehenden Güter als im Eigentum des Empfängers stehend
zu betrachten seien, so müßten sie dennoch als neutrales Gut erachtet
werden. Das Urteil erster Instanz habe die Frage nach der Neutralität
der Güter nach dem Wohnsitz des Eigentümers entschieden und die
Nationalität desselben nicht berücksichtigt; es habe das Domizilprinzip
anerkannt und das Nationalitätsprinzip abgelehnt. Reklamant sei aber
der Ansicht, daß das Nationalitätsprinzip der Billigkeit entspreche. Denn
aus dem Domizilprinzip würde sich die wunderliche Argumentation
ergeben, daß ein in Rußland lebender Japaner als Feind anzusehen sei.
Wenn auch ein derartig seltsames Prinzip in Europa Kurs haben möge,
so sei es doch mit der nationalen Idee des Kaiserreichs Japan nicht in
Einklang zu bringen. Es sei daher rechtmäßig, die zur Verhandlung
stehenden Güter als neutrale zu betrachten und freizugeben.
3. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien am 1. Februar
1904 von dem Reklamanten in Hongkong verschifft worden. Derselbe
habe weder damals noch auch zur Zeit der Aufbringung der Güter
irgendwelche Kenntnis von dem möglichen Entstehen bzw. Bestehen
des Kriegszustandes zwischen Japan und Rußland gehabt, so daß ihm
der Vorwurf, diesen Transport zur Schädigung der Interessen Japans
oder Unterstützung des Feindes vorgenommen zu haben, nicht gemacht
werden könne. Daher könnten die zur Verhandlung stehenden Güter
nach Artikel 6, 23 und 30 der von dem Kongreß für internationale Rechts-
wissenschaft im Jahre 1882 den Mächten unterbreiteten Seeprisenordnung
nicht eingezogen werden. Freilich sei Japan diesen Bestimmungen nicht
ausdrücklich beigetreten, aber, da das Völkerrecht überhaupt keine be-
stimmte gesetzliche Formulierung besitze, vielmehr die von einer An-
zahl Gelehrter aufgestellten und einer Anzahl von Staaten anerkannten
166
PrMeB0ericht8entscheldungen: ,Manchuria'. Abschnitt VI&«
Rechtsregeln die völkerrechtlichen Grundsätze bildeten, so verdienten
die erwähnten Bestimmungen alle Beachtung.
4. Da der Krieg ein Verhältnis zwischen den Staaten als solchen
begründe, zu dem die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden,
so müsse für Güter zur See in gleicher Weise wie für die zu Lande der
Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privatvermögens gelten, woraus
sich als logische Folge ergäbe, daß auch das Privatvermögen feindlicher
Staatsangehöriger, soweit es nicht Konterbande sei, nicht zum Objekt
einer Beschlagnahme gemacht werden dürfe. Reklamant hoffe daher,
daß Japan sich nicht nach dem schlechten Vorgange und den eigen-
mächtig aufgestellten Grundsätzen von Mächten richten werde, welche
um Vorteils willen die Rechtslogik verdrehten und verwirrten, sondern
daß es zu einer Zeit, wo es gegen den Feind der Humanität und des Welt-
friedens kämpfe, neben seiner nationalen Machtentwicklung auch die
Förderung von Recht und Vernunft im Auge behalten werde. Daher
müsse es jetzt seine Größe beweisen, indem es auch für das Privat-
vermögen zur See den Grundsatz der Unverletzlichkeit zur Ausführung
bringe.
Die Erwiderung des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro
vom Prisengericht zu Sasebo besagt in den Hauptpunkten folgendes:
Der Reklamant sage in seinem ersten Berufungspunkte, das Urteil
erster Instanz habe dahin entschieden, dkß das Eigentumsrecht an den
Gütern dem Empfänger zustehe und daß dieselben daher feindliche
Güter seien. Es sei jedoch nicht der Fall, daß das Eigentumsrecht an
den Gütern, solange dieselben nicht am Bestimmungsort eingetroffen
und dem Empfänger ausgeliefert seien, auf diesen übergehe und der
Absender das Eigentum an ihnen verliere usw.
Demgegenüber macht der Staatsanwalt geltend: Nach dem zur-
zeit von den Mächten anerkannten öffentlichen Völkerrecht liege die
Gefahr des Transports von gewöhnlichen Handelswaren dem Empfänger
ob, und mit dem Zeitpunkt, wann die Waren in die Hände des See-
verfrachters ausgeliefert seien, würden sie Eigentum des Empfängers.
In Friedenszeiten beachte man mit Bezug auf Güter zur See wohl eine
Übereinkunft der Beteiligten, aber in Kriegszeiten erkenne man ihre be-
sonderen Abmachungen nicht an, sondern erkläre für einen feindlichen
Empfänger bestimmte Güter für feindlich. Ebenso würden im umge-
kehrten Fall, wo der Empfänger der Güter ein neutraler Staatsangehöriger
sei, wenn auch das Eigentum tatsächlich nicht dem feindlichen Absender
zustehe, die Güter doch für feindliche angesehen, sofern nicht der Beweis
geführt würde, daß bereits völliger Eigentumswechsel eingetreten sei
und daß dem Verkäufer mit Bezug auf die Waren keinerlei Bedingungen
und Rechte zustünden. Da bezüglich von Gütern auf feindlichem Schiff
vermutet würde, daß sie feindlich seien, so liege der Gegenbeweiß dem
167
Abschnitt Vis« Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*.
Eigentümer ob. Da der Empfänger im vorliegenden Fall, wo er ein im
Feindesgebiet ansässiger neutraler Staatsangehöriger sei, der dort ein
Handelsgewerbe betreibe, so sei es unter Zugrundelegung des von Japan
angenommenen Prinzips der dauernden Niederlassung 3) bei Bestimmung;
der Landeszugehörigkeit desselben klar, daß er als Feind zu betrachten
sei. Unbestreitbar seien daher auch die Güter feindlich.
In Punkt 2 erkläre der Reklamant, es vertrage sich nicht mit der
nationalen Idee des Kaiserreichs Japan, daß dasselbe das Domizilprinzip
bei der Bestimmung der Nationalität von Gütern angenommen habe.
Diese Argumentation des Reklamanten sei grundlos, denn angenommen,
ein Eigentümer von Gütern habe seinen dauernden Wohnsitz im Feindes-
land, so seien die Güter eine Vermögensquelle für den feindlichen Staat
und würden unter dem Schutz . und der Verwaltung der feindlichen
Regierung zu einem Teil der Einnahme derselben und somit zu Material
für den Kriegsgebrauch. Da auch solche Güter im Bedarfsfalle der
Requisition der feindlichen Regierung unterstünden, so müsse man sie
natürlich als feindliche ansehen.
Im Punkt 3 mache der Reklamant geltend, daß zur Zeit der Ver-
schiffung die Kriegseröffnung nicht habe vorausgesehen werden können
und daß selbst bei der Aufbringung die Tatsache des Bestehens des
Kriegszustandes nicht bekannt gewesen sei. Daher seien nach der von
dem Kongreß von Völkerrechtsgelehrten in Turin beschlossenen See-
prisenordnung die zur Verhandlung stehenden Güter freizugeben.
Die Bedeutung dieses Beschlusses des Gelehrtenkongresses gehe,,
so erwidert der Staatsanwalt, jedoch über die eines von demselben
geäußerten Wunsches nicht hinaus, und da derselbe nicht als allgemeine
Gewohnheit des jetzt geltenden Völkerrechts angesehen werden könne,,
so brauche er nicht befolgt zu werden. Vielmehr seien Güter, wie die
zur Verhandlung stehenden, nämlich feindliche Güter auf feindlichem
Schiff, entsprechend der Pariser Seerechtsdeklaration einzuziehen.
Was Punkt 4 der Berufung angehe, so behandele er eine Streitfrage,
die mit der vorliegenden Sache in keinem direkten Zusammenhang-
stehe und eine Erwiderung auf denselben sei daher nicht nötig.
Es werde daher die Abweisung der vorliegenden Berufung be-
antragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind von Yu Hoi Chou
in Hongkong auf dem der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft
gehörigen Dampfer „Manchuria" an Wing Kee im russischen Pacht-
gebiet Dalni verschifft und abgeschickt worden. Auf der Reise wurden
sie am 9. Februar 1904, also nach Eröffnung des Krieges zwischeit
') V. § 4.
168
Pritengerichtsentscheidungen: „Manchuria*. Abschnitt VI^»
Japan und Rußland, 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur, zusammen
mit dem genannten Schiff von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff
„Tatsuta" mit Beschlag belegt.
Es ist völkerrechtliche Praxis, Gütern, welche zu Kriegszeiten von
Personen, die in neutralem Lande wohnen, an einen im feindlichen
Gebiet ansässigen Empfänger auf feindlichem Schiff versandt werden,
feindlichen Charakter beizulegen und ihre Einziehung zu gestatten. Das
Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies der Logik der Verhältnisse
entspricht.
Der Prozeßvertreter der Berufung sagt in seinem ersten Punkt,
die zur Verhandlung stehenden Güter stünden im Eigentum des Ab-
senders Yu Hoi Chou in Hongkong. Da dieser Absender eine neu-
trale Person sei, so trügen die zur Verhandlung stehenden Güter neu-
tralen Charakter und könnten nicht eingezogen werden. Dieser Punkt
der Berufung ist aber aus den oben ausgeführten Gründen nicht haltbar.
Im Punkt 2 macht der Berufungsreklamant geltend, auch wenn
man die zur Verhandlung stehenden Güter als im Eigentum des
Empfängers Wing Kee in Dalni stehend erkläre, so seien sie doch
neutral, da der genannte Wing Kee ein neutraler Staatsuntertan sei.
Denn es sei ungerechtfertigt, wenn das Prisengericht zu Sasebo als Norm
für die Bestimmung der Landeszugehörigkeit der Güter das Nationalitäts-
prinzip verwerfe und das Domizilprinzip anerkenne.
Nach völkerrechtlicher Praxis kann jedoch bei der Bestimmung
der Landeszugehörigkeit von Gütern das Domizilprinzip zur Anwendung
kommen, und das Oberprisengericht steht auf dem Standpunkt, daß dies
den Verhältnissen in vernünftiger Weise Rechnung trägt Daher ist
Punkt 2 der Berufung unbegründet.
Punkt 3 der Berufung besagt, daß die Güter vor der Kriegs-
eröffnung verschifft worden seien, daß die Absender weder zur Zeit
der Verschiffung noch zur Zeit der Aufbringung von dem möglichen
beziehungsweise erfolgten Eintreten des Kriegszustandes zwischen Japan
und Rußland Kenntnis gehabt habe; daß die Verschiffung weder zum
Nutzen des Feindes noch in der Absicht, Japan zu schädigen, geschehen
sei und daß die Güter deshalb der Einziehung nicht unterliegen könnten.
Nach Völkerrechtsbrauch ist aber darin, daß die Güter vor der
Kriegseröffnung verladen worden sind, daß der Kapitän oder die Ab-
sender von der Kriegseröffnung keine Kenntnis haben, daß die Ver-
schiffung der Güter ohne Absicht der Unterstützung des Feindes und
der Schädigung des anderen Teils geschehen ist, kein Grund zu sehen,
deshalb Güter mit feindlichem Charakter der Aufbringung entgehen
sollten Daher ist auch Punkt 3 der Berufung grundlos.
Punkt 4 der Berufungsgrün de trägt eine wissenschaftliche Theorie
169
Abschnitt VI ' '^ Piisengerichtsentscheidungen : .Manchuria* .
vor, die indes bis jetzt keine Bestimmung des Völkerrechts ist, und damit
fällt auch dieser Punkt der Berufung hin.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Januar 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige E. T i 1 1 m a n n s ,
Chef der Firma E. T i 1 1 m a n n s & C o. in St. Petersburg.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Na-
gasaki. Togiyamachi Nr. 41.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria" verladenen 84 Kisten Lampen
und Zubehör, 6 Billards mit zugehörigen Schieferplatten und 693 eiserne
Wasserleitungsrohre werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die auf dem der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft ge-
hörigen Dampfer „Manchuria" verladenen, zur Verhandlung stehenden
Güter, nämlich Lampen und Zubehör, Billards und zugehörige Schiefer-
platten und eiserne Wasserleitungsrohre wurden auf der Reise nach dem
russischen Pachthafen Port Arthur am 9. Februar 1904 auf der Höhe
von Port Arthur zusammen mit dem genannten Dampfer von dem
Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Stellvertreters des Kommandanten des beschlagnehmenden Schiffs,
Kapitänleutnants KiharaSeiske, die Vernehmungsprotokolle des
Kapitäns K. P r a h 1 und des 1 . Offiziers O. T a m p i o , das Schiffsjournal,
das Ladeverzeichnis der „Manchuria" und die Aussagen des Prozeß-
vertreters.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters sind
folgende :
Die zur Verhandlung stehenden Güter stünden im Eigentum eines
Angehörigen des neutralen deutschen Reichs und könnten, da sie nicht
als Konterbande anzusehen seien, nach der Pariser Seerechtsdeklaration
170
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*. Abschnitt VI^^*
vom Jahre 1856 und nach der japanischen Prisenordnung nicht ein-
gezogen werden.
Selbst aber angenommen, die Güter seien nicht neutral, so müßten
sie doch, weil sie vor der Kriegseröffnung verschifft worden und in
Unkenntnis von der Kriegseröffnung nicht für Zwecke des Feindes be-
stimmt gewesen seien, auch nicht zum direkten Kriegsgebrauch des
Feindes hätten dienen können, nach Ansicht des internationalen Völker-
rechtskongresses vom Jahre 1882 freigegeben werden.
Auch stünden die modernen Völkerrechtsgelehrten auf dem Stand-
punkt, daß das Privatvermögen zur See in gleicher Weise wie das zu
Lande für unverletzlich erklärt werden müsse. Reklamant hoffe, daß
dieser Grundsatz in Anwendung gesetzt würde und daß die Freigabe
der zur Verhandlung stehenden Güter erfolge.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, daß die
Ausführungen des Prozeßvertreters sämtlich unbegründet und die zur
Verhandlung stehenden Güter einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es steht nach dem Völkerrecht außer Zweifel, daß die Frage, ob
Güter feindlich sind oder nicht, sich ungeachtet der Nationalität des
Eigentüniiers nach dessen Wohnsitz bestimmt, i) Es bedarf daher keiner
«eiteren Erörterungen über den feindlichen Charakter der zur Ver-
handlung stehenden Güter.
Von der Pariser Seerechtsdeklaration und der japanischen Prisen-
ordnung wird aber in gleicher Weise ausgesprochen, daß feindliche Güter
auf feindlichem Schiff, gleichgültig ob sie Konterbande sind oder nicht,
einzuziehen sind.
Die des weiteren von dem Reklamanten angezogenen Ansichten
eines internationalen Völkerrechtskongresses und der modernen Völker-
rechtsgelehrten haben lediglich den Wert von Privatmeinungen, die man
nicht als Grundsätze des Völkerrechts ansehen kann.
Da somit keinerlei Gründe für die Freigabe der zur Verhandlung
stehenden Güter vorliegen, wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts VamamotoTatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige E. T i 1 1 m a n n s , In-
haber der Firma E. T i 1 1 m a n n s & C o. in St. Petersburg, Admiralitäts-
quai Nr. 6.
') V. §§ 8. 3 und 4.
171
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen : .Manchuria'.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi,
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 28. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
an Bord des am 9. Februar 1904, 18 Seemeilen südöstlich von Port
Arthur, von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" beschlag-
nahmten russischen Dampfers „Manchuria" verschifften 84 Kisten
Lampen mit Zubehör, 6 Kisten Billards mit Schieferplatten und 693
Wasserleitungsrohre ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung dieser
Güter erkannt wird. Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Ishi-
bashi Tomokichi als Prozeßvertreter des Reklamanten E. T i 1 1 -
manns Berufung eingelegt. Diese Berufung ist im Oberprisengericht
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari
B i n i c h i geprüft worden.
Die Hauptberufungspunkte des Prozeßvertreters Ishibashi
Tomokichi sind folgende :
1. Der Verschiffer der zur Verhandlung stehenden Güter sei der
in Rußland ansässige deutsche Reichsangehörige E. Till manns, also
ein neutraler Staatsangehöriger. Der Empfänger sei die Filiale des Ver-
schiffers in Port Arthur, ebenfalls von neutraler Nationalität. Das Urteil
erster Instanz habe die Frage, ob die Güter feindlich oder neutral seien,
ohne die Nationalität des Eigentümers zu berücksichtigen, nach dem
Wohnsitz desselben entschieden. Reklamant sehe den Grund nicht ein,
weshalb man das Nationalitätsprinzip zugunsten des Domizilprinzips auf-
geben solle, er sei vielmehr der Ansicht, daß es billiger sei, die Frage der
Neutralität von Gütern nach dem Nationalitätsprinzip zu entscheiden.
Denn für die Handlungen von Angehörigen der feindlichen Nation sei die
Liebe zum Vaterland und der Haß gegen den Feind bestimmend ganz
anders wie bei einem Neutralen, für dessen Verhalten daher auch ein ganz
anderer Maßstab angelegt werden müsse. Wenn man die Domiziltheorie
anerkenne, so könne der wunderliche Fall eintreten, daß ein in Rußland
ansässiger Japaner als Angehöriger des feindlichen Staats behandelt
würde, was mit der nationalen Idee des Kaiserreichs Japan nicht in Ein-
klang gebracht werden könne. Da daher die fraglichen Güter, gleich-
viel ob sie Eigentum des Verschiffers oder des Empfängers seien, neutrale
Waren ^eien, so müßten sie, weil keine Kriegskonterbande, nach Artikel 3
der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 freigegeben werden.
2. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien Ende des Jahres
1903 verladen worden, und der Reklamant habe weder damals noch auch
zur Zeit der Aufbringung irgendwelche Kenntnis von dem möglichen
Entstehen beziehungsweise dem Bestehen des Kriegszustandes zwischen
Japan und Rußland gehabt, so daß ihm der Vorwurf, er habe diesen
Transport zur Schädigung der Interessen Japans und Unterstützung des
Feindes vorgenommen, unmöglich gemacht werden könne. Daher seien
172
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria". Abschnitt VI^^
die Güter nach Artikel 6, 23 und 30 der von dem Kongreß für inter-
nationale Rechtswissenschaft im Jahre 1882 den Mächten unterbreiteten
Prisenordnung freizugeben. Freilich sei Japan diesen Bestimmungen
nicht ausdrücklich beigetreten, aber, da das Völkerrecht überhaupt keine
bestimmte gesetzliche Formulierung besitze, vielmehr die von einer An-
zahl Gelehrter aufgestellten und von einer Anzahl von Staaten an-
erkannten Rechtsregeln die völkerrechtlichen Grundsätze bildeten, so
verdienten die erwähnten Bestimmungen alle Beachtung.
3. Da der Krieg ein Verhältnis zwischen den Staaten als solchen
begründe, zu dem die Individuen in keiner direkten Beziehung stünden,
so müsse für Güter zur See in gleicher Weise wie für die zu Lande
der Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privatvermögens gelten, woraus
>ich als logische Folge ergebe, daß auch das Privatvermögen feindlicher
Staatsangehöriger, soweit es sich nicht um Konterbande handele, nicht
zum Objekt einer Beschlagnahme gemacht werden dürfe. Reklamant
hoffe daher, daß Japan sich nicht nach dem schlechten Vorgange und
den eigenmächtig aufgestellten Grundsätzen von Mächten richten werde,
Teiche um Vorteils willen die Rechtslogik verdrehten und verwirrten,
sondern daß es zu einer Zeit, wo es gegen den Feind der Humanität
und des Weltfriedens kämpfe, neben seiner nationalen Machtentwicklung
auch die Förderung von Recht und Vernunft im Auge haben werde.
Daher müsse es jetzt seine Größe beweisen, indem es auch für das
Privatvermögen zur See den Grundsatz der Unverletzlichkeit zur Aus-
fuhrung bringe.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Y a m a m o t o
Tatsurokuro vom Sasebo-Prisengericht sind folgende:
Der Prozeßvertreter erkläre das Urteil erster Instanz für ungerecht-
fertigt, weil dasselbe das Nationalitätsprinzip verworfen und das Domizil-
prinzip angenommen habe. Zur Zeit der Verschiffung der Güter sei
der Krieg noch nicht eröffnet gewesen, und auch zur Zeit der Auf-
bringung habe der Verschiffer von dem Bestehen des Kriegszustands
noch nichts gewußt. Privatvermögen zur See sei in gleicher Weise
Tie solches zu Lande für unverletzlich zu erachten.
Wenn man indes die unter den zivilisierten Mächten bestehenden
völkerrechtlichen Bestimmungen und Gebräuche prüfe, so ergebe sich
die Haltlosigkeit dieser Ausführungen des Reklamanten.
Die weitere Behauptung des Reklamanten, daß, wenn man die
Landeszugehörigkeit von Gütern nach der Domiziltheorie bestimme,
der ^mnderHche, mit dem nationalen Gedanken des Kaiserreiches Japan
unvereinbare Fall eintreten könne, daß ein in Rußland ansässiger Japaner
als Angehöriger des feindlichen Staates behandelt werden würde, sei
lediglich eine Privatansicht des Vertreters des Reklamanten, die kaum
anderweitig Anhänger finden dürfte. So sei es völlig unhaltbar, in
173
Abschnitt VI^^^ Prisengerichtsentscheidungen : »Manchuria*.
einem Falle, wo die Güter unzweifelhaft feindlich seien, ihnen die
Neutralität zusprechen und auf Grund der Pariser Deklaration vom
Jahre 1856 ihre Freilassung fordern zu wollen. In Fällen, wo
feindliche Güter auf feindlichem Schiff verladen seien, sei es durch-
aus nur die Realisierung ihres Rechts als kriegsführender Staat, wenn
die eine oder andere der kämpfenden Parteien, gleichviel ob der Kriegs-
zustand bekannt sei, gleichviel auch, ob es sich um Kriegskonterbande
handele oder nicht, derartige Güter beschlagnahme.
Daher müsse die Berufung abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil ward folgendermaßen begründet:
Die zur Verhandlung stehenden Güter wurden von E. Till-
manns & Co. in St. Petersburg auf dem der russisch-ostasiatischen
Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer „Manchuria'' an die in dem
russischen Pachthafen Port Arthur bestehende Filiale des Verschiffers
geschickt und am 9. Februar 1904, also nach Eröffnung des Krieges
zwischen Japan und Rußland, auf der Reise 18 Seemeilen südöstlich
von Port Arthur auf offener See zusammen mit dem genannten Dampfer
von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmt-
Es ist völkerrechtliche Praxis, Gütern, welche zu Kriegszeiten von
Personen, die in neutralem Lande wohnen, an einen im feindlichen Gebiet
ansässigen Empfänger versandt werden, feindlichen Charakter beizulegen
und ihre Einziehung zu gestatten. Das Oberprisengericht ist der Ansicht,
daß dies den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird.
Im Punkt 1 seiner Berufung sagt der Prozeßvertreter, der Ver-
schiffer der zur Verhandlung stehenden Güter sei der in Rußland an-
sässige deutsche Reichsangehörige E. T i 1 1 m a n n s , also ein Angehöriger
eines neutralen Staats. Neutral sei gleichfalls der Empfänger der Güter
in Port Arthur, nämlich die Filiale des Verschiffers, und das Sasebo-
Prisengericht habe zu Unrecht geurteilt, indem es bei Bestimmung der
Landeszugehörigkeit der Güter nicht das Nationalitätsprinzip, sondern
das Domizilprinzip als Norm aufstelle.
Das Oberprisengericht ist. jedoch der Ansicht, daß die durch die
völkerrechtliche Praxis anerkannte Berechtigung, die Landeszugehörigkeit
von Gütern nach dem Domizilprinzip zu entscheiden, dem diesen Ver-
hältnissen zugrundeliegenden Gedanken am besten entspricht, und ver-
wirft daher den ersten Punkt der Berufung.
In Punkt 2 der Berufung sagt der Reklamant, die zur Verhandlung
stehenden Güter seien vor der Kriegszeit verladen worden und der Ver-
schiffer habe weder damals noch auch zur Zeit der Aufbringung derselben
irgendwelche Kenntnis von dem möglichen Entstehen, bezw. dem Be-
stehen des Kriegszustands zwischen Japan und Rußland gehabt, so daR
ihm der Vorwurf, er habe diesen Transport zur Schädigung der Interessen
Japans und zur Unterstützung des Feindes vorgenommen, unmöglich ge-
174
PriMBgerichtsentscheidungen: .Manchuria". Abschnitt VI^^i
macht werden könne. Daher könnten die Güter nicht eingezogen werden.
Die Völkerrechtspraxis erkennt aber in der Tatsache, daß die Ver-
schiffung von Gütern vor der Kriegszeit erfolgt ist, daß weder der
Kapitän noch der Verschiffer von der Eröffnung des Kriegs Kenntnis
hatten, daß die Verschiffung nicht in der Absicht geschehen ist, dem
einen der kriegführenden Staaten zu schaden und dem anderen zu helfen,
keinen Grund, feindliche Güter von der Beschlagnahme auszunehmen.
Daher ist Punkt 2 der Berufung unbegründet.
Punkt 3 der Berufungsgründe trägt eine wissenschaftliche Theorie
vor, die bis jetzt nicht als Bestimmung des Völkerrechts angesehen werden
kann, und damit fällt Punkt 3 der Berufung hin.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 17. Januar 1905.
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige Henry Schmidt,
wohnhaft in Hamburg.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akao Hikosaku, Yokohama,
Motohamacho shichome Nr. 46.
In Sachen der Reklamation von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Der Vertreter der Reklamation behauptet, von dem Reklamanten
bevollmächtigt zu sein, die Freigabe der in Frage stehenden 375 Kisten
Ceylon Tee zu betreiben. Er hat jedoch keine formgerechte Vollmacht
eingereicht, sondern lediglich eine telegraphische Vollmacht beigebracht.
Das Prisengericht hat danach, weil diese telegraphische Vollmacht nicht
ausreichend ist, angeordnet, daß der Vertreter eine schriftliche form-
gerechte Vollmacht zur Ergänzung beschaffe. Der Vertreter zeigte sich
damit einverstanden, bat um eine angemessene Fristverlängerung und
diesem Antrag wurde: stattgegeben. Die festgesetzte Frist lief jedoch ab,
ohne daß der Vertreter der Reklamation die Vollmacht eingereicht hätte.
Dagegen stellte er die Behauptung auf, daß, weil die Prisengerichts-
ordnung bezüglich der Form der Prozeßvollmacht keinerlei Vorschriften
enthalte, die Bestimmungen des Zivilrechts anzuwenden seien und daß
nach diesen für die Vollmacht die einfache Willenserklärung ausreichend
175
Abschnitt Vl^g Prisengerichtsentscheidungen: .INanchuria*.
sei. Er beantrage daher, daß die bereits eingereichte telegraphische
Vollmacht für gesetzmäßig anerkannt werde.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, da der
Prozeßvertreter eine formgerechte Vollmacht nicht beigebracht habe, sei
er kein gesetzmäßiger Vertreter. Demnach sei seine Reklamation un-
wirksam und der vorliegende Fall bedürfe keiner weiteren Prüfung, denn
eine Reklamation sei überhaupt nicht entstanden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Da in § 20 der Prisengerichtsordnung i) bestimmt ist, daß das
Prisengericht über das Verfahren vor demselben Anordnungen treffen
kann, und das unterzeichnete Prisengericht bestimmt hat, daß die Be-
vollmächtigung für die Vertretung einer Reklamation vermittels einer
formgerechten schriftlichen Urkunde zu geschehen hat, widrigenfalls
sie kraftlos ist, so ist es unbestreitbar, daß diese Bestimmung zu be-
folgen war.
Der Vertreter der Reklamation behauptet, daß die Seegerichts-
ordnung bezüglich der Form der Vertretungsvollmacht keinerlei Be-
stimmungen treffe, und daß daher die einfache Willenserklärung, welche
das Zivilrecht anerkenne, ausreichend sei. Wenn sich aber auch die
Rechtsverhältnisse einer Vollmacht nach dem Zivilgesetzbuch entscheiden,
so kann man doch nicht behaupten, daß ein für allemal Formvorsjchriften
zur Verlautbarung der vollmachtlichen Rechtsverhältnisse überflüssig
seien.
Obwohl nun das Prisengericht nach Maßgabe der von ihm auf-
gestellten Bestimmungen eine formgerechte schriftliche Vollmacht für
unerläßlich erklärte und zur Nachlieferung einer solchen eine angemessene
Fristverlängerung bewilligte, hat der Vertreter der Reklamation die Voll-
macht während der festgesetzten Frist nicht beigebracht, und er kann
daher von dem Prisengericht nicht als zur Vertretung des Reklamanten
befugt anerkannt werden. Die vorgebrachte Reklamation ist daher, weil
von einer unbefugten Person erhoben, nicht dem Gesetz entsprechend.
Da so die Reklamation nicht dem Gesetze entspricht, so erübrigt
es sich, den von ihr betroffenen Fall weiter zu prüfen.
Die Reklamation ist daher abzuweisen und es wird wie in der
Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 31. Mai 1904 im S^sebo-Prisengericht im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
0 IV.
176
Prisengerichtsentscheidungen: «Manchuria". Abschnitt Vl^^fl
Reklamant: Henry Schmidt, deutscher Reichsangehöriger,
wohnhaft in Hamburg, Deutschland.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt AkaoHikosaku, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Motochamacho shichichome Nr. 46.
Am 31. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
Beschlagnahme der auf dem russischen Dampfer „Manchuria" ver-
schifften 375 Kisten Ceylon-Tee, welche am 9. Februar 1904 18 See-
meilen südöstlich von Port Arthur von dem Kaiserlich Japanischen Kriegs-
schiff „Tatsuta" beschlagnahmt worden sind, ein Urteil gefällt, in welchem
die betreffende Reklamation abgewiesen wurde. Gegen dieses Urteil hat
der Vertreter des Reklamanten Henry Schmidt, der Rechtsanwalt
AkacHikosaku,die Berufung eingelegt, welche im Oberprisengericht
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari
Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Prozeßvertreters des Reklamanten
Akao Hikosaku und deren Gründe sind folgende :
Der Prozeßvertreter habe als Beweisurkunde für seine Vertretungs-
befugnis ein von der japanischen Behörde beglaubigtes Telegramm an
das Prisengericht in Sasebo eingeschickt. Obwohl aber aus diesem seine
Vertretungsbefugnis klar hervorgehe, habe das genannte Prisengericht
es nicht für eine beweiskräftige Urkunde anerkannt und nach mehreren
Verhandlungsterminen das nicht zu rechtfertigende Urteil gefällt, daß
die Reklamation abzuweisen sei.
In dem Verhandlungstermin am 6. Mai 1904 habe das Prisengericht
erster Instanz dem Prozeßvertreter aufgelegt, bis zum 26. Mai seine
Prozeßvollmacht zu ergänzen. Da aber ein einmaliger Briefwechsel
zwischen dem Reklamanten und dem Prozeßvertreter mindestens 80 Tage
in Anspruch nehme, und selbst, ^x^enn er die Übersendung der Vollmacht
tclegraphisch erbeten hätte, hierzu über 40 Tage nötig wären, so habe
er. ^eil er nicht imstande gewesen wäre, während der verlängerten Frist
die Vollmacht beizubringen, aufs neue um Fristverlängerung gebeten.
OiN Prisengericht erster Instanz habe indessen diesem Antrag nicht
stattgegeben, und so sei es, dadurch daß das Prisengericht eine dem
ProzeBvertreter unmögliche Handlung angeordnet habe, zur Abweisung
der Reklamation gekommen.
Nach § 643 des japanischen Zivilgesetzbuchs bestehe ein Auf-
trag, wenn ein Teil einem anderen die Besorgung eines Rechtsgeschäfts
übertrage und der andere die Besorgung übernehme. Wenn also der
Reklamant den Vertreter telegraphisch beauftragt habe, die Freigabe
der 375 Kisten Tee zu beantragen, und der Vertreter die Besorgung
dieses Geschäfts übernehme und mit der Reklamation bereits begonnen
feabe, so müsse behauptet werden, daß die gesamten Vertretungs-
befugnisse nunmehr dem Vertreter zustünden.
MarBtrand-Meolileiibarir« Dm japanlsohe Prisenreoht. Band I. (12) 177
Abschnitt Vl^fl Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*.
Obwohl § 17 der Prisengerichtsordnung die Formalitäten der Rekla-
mation regele, sei doch nichts über die Beurkundung der Befugnisse eines
Prozeßvertreters gesagt. Es sei daher unfraglich, daß dieselbe ebensowohl
telegraphisch als durch sonstige Schriftstücke geschehen könne. Die
Art der Beurkundung der Vertretungsbefugnis habe mit dem Prisen-
verfahren nichts zu tun. Das Prisengericht zu Sasebo habe aber
erklärt, daß die Art der Beurkundung der Vollmacht mit dem
Prisenverfahren im Zusammenhang stehe, und habe, obwohl die be-
stehenden Gesetze Formvorschriften für die Vollmacht nicht ent-
hielten und daher eine nur telegraphische Vollmacht kein Hindernis
darstelle, dahin entschieden, daß es einer formgerechten Vollmacht
bedürfe. Da aber in der Entscheidung nicht klar gesagt sei, was diese
sogenannte formgerechte Vollmacht sei, könne er dies nicht mit Sicher-
heit wissen. Wenn man Unterschrift und Siegel des Reklamanten ver-
lange, so wäre das Resultat, daß der Vertreter, weil der Reklamant
ein Siegel nicht führe, überhaupt eine Reklamation nicht erheben könne,,
was doch wohl ein gar zu ungerechter Schluß sei.
Daher werde Aufhebung des Urteils des Prisengerichts von Sasebo
und Freigabe der dem Reklamanten gehörigen 375 Kisten Ceylon-Tee
beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Yamamoto
Tatsurokuro vom Prisengericht in Sasebo sind folgende:
Es sei zweifellos richtig, daß die Vollmacht sich in ihren recht-
lichen Beziehungen nach dem Zivilrecht richte. Daraus aber, daß das
Zivilgesetzbuch keine Formvorschriften für eine Prozeßvertretung wie
die vorliegende enthalte, könne man doch nicht ableiten, daß die ein-
fache Willenserklärung dafür genüge. Derartige Formvorschriften be-
zögen sich auf 'das Verfahren, und es sei unbestreitbar, daß in Zivilsachen
die Vorschriften der Zivilprozeßordnung zu befolgen seien. Gerade
wie daher eine dem Artikel 64 der Zivilprozeßordnung nicht ent-
sprechende Vollmacht ungültig sei, so sei die vorliegende Reklamation
ohne Gültigkeit, weil der Prozeß Vertreter das vorgeschriebene Prisen-
verfahren nicht beobachtet habe. Bezüglich von Prisensachen bestimme
§ 16, Absatz 2 der Prisengerichtsordnung, daß innerhalb einer Frist von
30 Tagen reklamiert werden könne; § 17, Absatz 2, daß Reklamanten
sich nur durch japanische Rechtsanwälte vertreten lassen könnten; § 20,
daß über weitere, das Verhandlungsverfahren betreffende Punkte, die
in dem vorstehenden Artikel nicht erwähnt seien, das Prisengericht Be-
stimmung treffe. Daraufhin habe das Prisengericht zu Sasebo, als der
Fall zuerst aufgetreten sei, bestimmt, daß in gleicher Weise, wie im
Zivilprozeß, schriftliche Vollmacht erforderlich sein solle. In Fällen,
wo sich die Reklamanten in einem fernen Orte befunden hätten, sei,
wenn die Beibringung der vorgeschriebenen schriftlichen Vollmacht inner-
178
Prisengerichtsentscheidungen: .INanchuria.*. Abschnitt Visg
halb der Frist nicht möglich gewesen sei, zunächst auf Grund einer
telegraphischen Vollmacht sowohl die Reklamation erhoben als auch
die mündliche Verhandlung vorgenommen. Es sei indes von den Rekla-
manten nachträgliche Ergänzung der Vollmacht durch eine formgerechte
schriftliche Urkunde verlangt worden, und alle Prozeßvertreter hätten
auf Grund dieses Verfahrens ihr Urteil erhalten. Nur der Vertreter
des vorliegenden Falls, AkaoHikosaku, behaupte, nachdem ihm eine
ausreichende Fristverlängerung gewährt worden sei und die schrift-
liche Vollmacht durch sein eigenes Verschulden nicht rechtzeitig ein-
getroffen sei, daß die Prisenvorschriften eine bestimmte Form für die
Vollmacht nicht vorschrieben und daß mit einem Telegramm dem Er-
forderlichen genügt sei. In gewissem Sinne sei freilich ein Telegramm
auch eine Urkunde und man könne sagen, daß eine telegraphische Voll-
macht auch eine schriftliche Vollmacht sei. Aber es sei eine allgemeine
Regel, daß derartige Urkunden eigenhändig gezeichnet oder gesiegelt
sein müßten. Daher sei es unbestreitbar, daß ein Telegramm, welches
alles dies entbehre, eine Urkunde in diesem Sinne nicht darstelle. Die
in dem Urteil erster Instanz ausgesprochene Abweisung der Reklamation,
weil ein Beweisdokument für die Vertretungsbefugnis nicht vorgebracht
worden sei, die Reklamation daher den gesetzlichen Vorschriften nicht
entspreche, sei daher zu Recht geschehen, und die dem Urteil ge-
machten Vorwürfe seien durchaus unbegründet.
Die Berufung müsse daher abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Prozeß Vertreter Akao Hikosaku hat, wie aus den Akten
hervorgeht, seine Vertretungsbefugnis lediglich durch eine von dem
Postamt in Yokohama beglaubigte Telegrammabschrift bewiesen, und,
da er der Anordnung des Prisengerichts erster Instanz, seine Vertretungs-
befugnis in schriftlicher Beglaubigung beizubringen, nicht nachgekommen
ist, so ist ein Urteil auf Abweisung der Reklamation ergangen. Hierbei
ist auf Grund von § 20 der Prisengerichtsordnung lediglich ein Grund-
satz angewandt worden, welcher eine charakteristische und für die be-
treffenden Behörden beim Verfahren unbedingt zu beobachtende Vor-
schrift aller Prozeßordnungen ist.
Das Prisengericht zu Sasebo hat vor Fällung des Urteils der
telegraphischen Vollmacht die Anerkennung verweigert und unter Zu-
grundelegung des obengenannten, für die Vollmacht maßgebenden Para-
graphen eine bestimmte Frist vorgeschrieben und die Ergänzung der
telegraphischen Vollmacht durch eine schriftliche Urkunde angeordnet.
Wenn der Prozeßvertreter behaupten wollte, daß seine Reklamation
den gesetzlichen Vorschriften entspreche, so hätte er innerhalb der vom
Prisengericht vorgeschriebenen Frist sich nach dem von demselben voi-
geschriebenen Verfahren richten, und die Vertretungsbefugnis durch eine
(12*) 179
Abschnitt VISh Prisengerichtsentscheldungen: .Manchuria*.
schriftliche Urkunde beweisen müssen. Da das Prisengericht bei Erlaß
dieser Anordnung durchaus befugt war, eine seiner Ansicht nach an-
gemessene Frist zu stellen, so durfte der Prozeßvertreter von dieser
Frist nicht abweichen. Es ist unmöglich zu bestreiten, daß die Vor-
■schriften über den Beweis der Vertretungsbefugnis einen Teil des Prozeß-
rechts in Prisensachen bilden müssen, da dieselben für die Frage, ob die
Reklamation zu Recht besteht, von entscheidender Wichtigkeit sind.
Aus diesen Gründen kann weder die Behauptung des Prozeß-
vertreters, daß das Gericht erster Instanz ihm durch Festsetzung der Frist
etwas Unmögliches auferlegt habe, noch auch die, daß durch das Tele-
gramm zwischen ihm und dem Reklamanten das Vollmachtsverhältnis
tatsächlich begründet sei, als stichhaltig anerkannt werden.
Die Entscheidung des Gerichts erster Instanz, daß der Reklamant
sich bei Erhebung der Reklamation nicht an die Prozeßvorschriften ge-
halten habe, und die damit begründete Abweisung der Reklamation ist
daher zu Recht getroffen, und es wird, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 7. Januar 1905 im Oberprisengericht.
Reklamant: Der chinesische Staatsuntertan An Wo Tai in
Hongkong.
Prozeß Vertreter: Rechtsanwalt Ikoma Takehiko, Nagasaki,
Higashifurukawamachi.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria'' verladenen 200 Säcke China-
reis und 1 Kiste Kleidungsstücke werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter wurden in Hongkong auf
dem russischen Dampfer „Manchuria" verladen, die 200 Säcke China-
reis mit Bestimmung nach Wladiwostok, die eine Kiste Kleidungsstücke
mit Bestimmung nach dem russischen Pachtgebiet Dalni. Am 9. Februar
1904 wurden sie auf der Höhe von Port Arthur zusammen mit dem
genannten Dampfer von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Tat-
suta'' beschlagnahmt.
Die Tatsachen sind von dem Vertreter des Reklamanten anerkannt
und werden außerdem bewiesen durch die Aussageschrift des Stell-
180
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*. Abschnitt Vl^h
Vertreters des Kommandanten des beschlagnehmenden Schiffs, Kapitän-
leutnants Kihara Seiske, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
K. P r a h 1 und des 1 . Offiziers O. T a m p i o , das Tagebuch, das Ladungs-
verzeichnis und die Konnossemente vom Dampfer „Manchuria".
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters sind
folgende :
1. Da die Wissenschaft auf dem Standpunkt stehe, daß das Privat-
vermögen zur See wie solches zu Lande unverletzlich sein müsse, so
müßten die zur Verhandlung stehenden Güter in Befolgung dieses
Grundsatzes freigegeben werden.
2. Nach der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 könnten
neutrale Güter auf feindlichem Schiff, sofern sie nicht Konterbande
seien, nicht beschlagnahmt werden. Die zur Verhandlung stehenden
Güter seien vor Eröffnung des Krieges von einem neutralen Absender
an einen neutralen Empfänger versandt worden und seien nicht Konter-
bande. Da der unter den Gütern befindliche Reis nur als Nahrung
für Chinesen diene, und auch die Kleidungsstücke lediglich für den Ge-
brauch des vorübergehend in Dalni aufenthältlichen chinesischen Eigen-
tümers bestimmt seien, so sei es klar, daß die zur Verhandlung stehenden
Güter nicht zum Kriegsgebrauch des Feindes verwandt werden könnten.
Ls werde daher die Freigabe der Güter beantragt.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht in der Hauptsache dahin, daß
die zur Verhandlung stehenden Güter, da sie für Empfänger, die im
Feindesland wohnhaft seien, bestimmt gewesen, als diesen gehörig und
daher als feindlich zu erachten seien.
Es werde daher ihre Einziehung beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach den Bestimmungen und der Praxis des gegenwärtigen Völker-
rechts kann feindliches Gut auf feindlichem Schiff, ob Konterbande
oder nicht, ob vor dem Kriege verschifft oder nicht, ob für den Kriegs-
^ebrauch des Feindes dienlich oder nicht, beschlagnahmt werden, und
die Frage, ob Güter feindlich sind oder nicht, bestimmt sich nach dem
Wohnsitz des Eigentümers, nicht nach dessen Nationalität.^^
Ferner wird bezüglich von Gütern, die von einem Absender in
neutralem Gebiet an einen Empfänger im feindlichen Gebiet abgeschickt
>ind, angenommen, daß dieselben in das Eigentum des Empfängers über-
gegangen sind. Wenn der Interessent das Gegenteil geltend machen
^ill, so liegt ihm der Gegenbeweis ob.
Da nun von den zur Verhandlung stehenden Gütern die 200
Säcke Reis an einen Empfänger in Wladiwostok, die 1 Kiste Kleidungs-
stücke an einen Empfänger in dem als Feindesland zu betrachtenden
0 V. §§ 8, 3 und 4.
181
Abschnitt VISb Prisengerichtsentscheidungen: .INanchuria*.
Pachtgebiet Dalni versandt worden sind und der Prozeßvertreter des
Reklamanten für seine Behauptung, die Güter stünden im Eigentum
des neutralen Absenders, nicht den geringsten Beweis erbracht hat, so
kann diese Behauptung nicht anerkannt werden, und die zur Verhand-
lung stehenden Güter unterliegen in Gemäßheit der Pariser Seerechts-
deklaration vom Jahre 1856 als feindliche Güter auf feindlichem Schiff
der Einziehung. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo Im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der in Hongkong wohnhafte chinesische Staats-
untertan An Wo Tai.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt IkomaTakehiko, Nagasaki,
Higashifurukawamachi.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
auf dem russischen Dampfer „Manchuria", welcher am 9. Februar 1904
18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur von dem Kaiserlich Japanischen
Kriegsschiff „Tatsuta'' beschlagnahmt worden ist, verschifften 200 Säcke
Reis und 1 Kiste Kleidungsstücke auf Einziehung derselben erkannt.
Gegen dieses Urteil hat der Prozeßvertreter des Reklamanten A n W o
1 a i , der Rechtsanwalt Ikoma Takehiko, die Berufung eingelegt,
welche im Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki
K e i r o k u und Is|iiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Prozeßvertreters Ikoma
Takehiko und ihre Begründung sind folgende:
Der Berufungsreklamant habe in Unkenntnis des Kriegszustandes
zwischen Japan und Rußland 200 Sack chinesischen Reis, um sie durch
den Leiter seiner Niederlassung in Wladiwostok als Nahrungsmittel an
dort lebende Chinesen verkaufen zu lassen, an diesen abgesandt.
Ferner habe sein Bekannter, der chinesische Staatsuntertan Kwon g
Chaw, Faktor der chinesischen Firma Tack Woo & Co. in Dalni,
wohnhaft in Hongkong, wo er die Geschäfte der Firma besorge, und
nur in • Angelegenheiten der Firma auf einige Monate je nach Ablauf
der Geschäfte in Dalni aufhältlich, ihn schriftlich gebeten, Kleidungs-
stücke, die er zum Wechseln brauche, von seiner Frau zu holen und ihm
zu schicken. Dies habe er dessen Frau erzählt, habe von ihr die
Kleider erhalten und sie an die genannte Firma adressiert
*) V. § 40.
182
PriseDgerichtsentscheidungen: «Manchuria*. Abschnitt Vis»
Diese Güter habe der Reklamant am 1. Februar auf den im Hafen
VOM Hongkong liegenden Dampfer der russisch-ostasiatischen Dampfer-
gesellschaft „Manchuria" verschifft und abgesandt.
Am 6. Februar 1904 habe Japan die diplomatischen Beziehungen mit
Rußland abgebrochen und eine Erklärung dahin abgegeben, daß es nach
eigenen Entschließungen verfahren werde. Schließlich sei, nachdem
cie beiden Geschwader Kanonenfeuer ausgetauscht hätten, der Krieg für
eröffnet angesehen, und am 9. Februar der Dampfer „Manchuria" auf der
Höht von Port Arthur von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „T^-
tsuta" aufgebracht worden. Mit dem Schiff zusammen sei der er-
vJhnte Reis und die Kleidungsstücke beschlagnahmt worden.
Aber diese Güter seien Eigentum eines neutralen Staatsangehörigen
und ihrem Charakter nach keine Kriegskonterbande. Auch seien sie
nicht für die russische Armee oder Marine verschifft worden und hätten
auch nicht an diese geliefert werden sollen.. Daher läge ein Grund für
ihre Beschlagnahme nicht vor. Das Sasebo-Prisengericht habe die Güter
für feindliche erklärt und auf ihre Einziehung entschieden. Diese Ent-
scheidung sei unrechtmäßig und es werde dagegen die Berufung er-
hoben.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Yamamoto
Tatsurokuro vom Prisengericht in Sasebo sind folgende:
Der Absender der zur Verhandlung stehenden Güter mache als
Berufungsreklamant geltend, daß er von dem Kriegszustand keine Kennt-
nis gehabt habe, daß die Güter neutral und keine Konterbande seien,
daß sie nicht an die russische Armee oder Marine verschifft worden
seien und nicht an diese hätten geliefert werden sollen, daß folglich kein
Grund für ihre Beschlagnahme vorliege.
Die genannten Güter seien indessen auf einem feindlichen Handels-
schiff verladen und nach dem feindlichen Dalni bestimmt gewesen. Es
sei erwiesen, daß sie im Eigentum eines in Dalni ansässigen und dort
Handel treibenden Chinesen stünden. Daher seien sie feindliche Güter
und könnten nicht für neutral erklärt werden. Was den Punkt anlange,
daß der Eigentümer der Kleider nicht mit der Absicht dauernden Wohn-
sitzes in Dalni ansässig gewesen, sondern nur auf einige Monate dort
aufenthältlich gewesen sei, so hätte der Reklamant, dem die Beweislast
hierfür obläge, dies beweisen müssen. Der Prozeßvertreter habe dies
jedoch nur einmal mündlich behauptet, ohne dafür Beweis zu führen,
daher seien die Güter füglich als feindlich zu erkennen. Die Tatsache,
daß der Kriegszustand nicht bekannt gewesen sei, könne feindliche Güter
auf feindlichem Schiff, wie im vorliegenden Falle, nicht der Beschlag-
nahme entziehen.
Es werde daher Verwerfung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird wie folgt begründet :
183
Abschnitt Vl'h Prisengerichtsentscheidungen: .Mancharia'.
Die von dem in Hongkong wohnhaften An Wo Tai auf dem
der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer
„Manchuria" verschifften und für den in Wladiwostok ansässigen Y e e
Tai bestimmten 200 Sack Reis und die für die in dem russischen
Pachtgebiet Dalni niederlässige Firma Tack Woo & Co. bestimmte
eine Kiste Kleidungsstücke sind auf der Reise am 9. Februar 1904, also
nach Eröffnung des japanisch-russischen Krieges, 18 Seemeilen süd-
östlich von Port Arthur zusammen mit dem genannten Dampfer von
dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Tatsuta'' beschlagnahmt worden.
Es ist von der völkerrechtlichen Praxis anerkannt, und das Ober-
prisengericht erachtet dies als den Verhältnissen gerecht werdend, daß
Güter, welche von Personen mit neutralem Wohnsitz zur Kriegszeit auf
feindlichem Schiff an einen Empfänger im Feindesgebiet abgesandt
werden, feindlichen Charakters sind und daher der Einziehung verfallen.
Der Prozeßvertreter behauptet freilich, die 200 Säcke Reis seien
neutrale Güter und könnten nicht beschlagnahmt werden. Das Ober-
prisengericht ist jedoch der Ansicht, daß die Anerkennung des Domizil-
prinzips der Logik der Verhältnisse entspricht, und daher ist die Be-
hauptung des Reklamanten, daß die zur Verhandlung stehenden Güter
neutralen Charakters seien, unbegründet.
Des weiteren behauptet der Prozeßvertreter, daß die an den vorüber-
gehend in Dalni aufenthältlichen Faktor der Firma Tack Woo & Co.,
den Chinesen Kwong Chaw versandte Kiste mit Kleidungsstücken
neutral sei und nicht beschlagnahmt werden könne. Das Ladungs-
verzeichnis und die Konnossemente aber w^eisen die Firma Tack Woo
& Co in Dalni als Empfänger aus, und demgegenüber ist das Eigen-
tum des Kwong Chaw an diesen Gütern sowie sein nur vorüber-
gehender Aufenthalt in Dalni nicht bewiesen worden. Daher sind die
Behauptungen des Prozeßvertreters bezüglich dieses Punktes als un-
begründet zu erachten.
Ferner führt der Reklamant an, daß die Verschiffung der zur Ver-
handlung stehenden Güter vor der Kriegseröffnung erfolgt sei und daß
er von der Kriegseröffnung zwischen Japan und Rußland keine Kenntnis
gehabt habe. Da aber nach Völkerrechtspraxis feindliche Güter deshalb
nicht der Aufbringung entgehen können, weil sie vor der Kriegseröffnung
verschifft sind oder der Verschiffer von der Kriegseröffnung keine Kennt-
nis gehabt hat, so ist auch dieser Punkt der Behauptungen des Prozeß-
vertreters hinfällig.
Es wird daher wie folgt entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Januar 1905 im Oberprisengericht.
184
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'. Abschnitt VI*^
Reklamant: Yue Wo Loong in Hongkong.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt IkomaTakehikO; Nagasaki,
Higashifurukawamachi.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer verladenen 307 Säcke Chinareis werden
eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 307 Säcke Chinareis wurden mit
Bestimmung für Wladiwostok in Hongkong auf dem russischen Dampfer
„Manchuria" verschifft und am 9. Februar 1904 auf der Höhe von
Port Arthur zusammen mit dem genannten Dampfer von dem Kaiserlich
Japanischen Kriegsschiff „Tatsuta'' beschlagnahmt.
Diese Tatsachen sind von dem Vertreter des Reklamanten anerkannt
und werden außerdem bewiesen durch die Aussageschrift des Stell-
vertreters des Kommandanten des beschlagnehmenden Schiffs, Kapitän-
leutnants Kihara Seiske, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
K. Prahl und des 1. Offiziers O. Tampio vom Dampfer „Manchuria'^
das Tagebuch und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters sind
folgende :
1. Da die Wissenschaft auf dem Standpunkt stehe, daß das Privat-
vermögen zur See, wie solches zu Lande unverletzlich sein müsse, so
müßten die zur Verhandlung stehenden Güter in Befolgung dieses
Grundsatzes freigegeben werden.
2. Nach der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 könnten
neutrale Güter auf feindlichem Schiff, sofern sie nicht Konterbande
seien, nicht beschlagnahmt werden. Die zur Verhandlung stehenden
Güter seien vor Eröffnung des Krieges von einem neutralen Absender
an einen neutralen Empfänger versandt worden und seien nicht Konter-
bande. Daher müßten sie freigegeben werden.
Die Ansicht des Staatsanwalts geh^ im wesentlichen dahin, daß die
Behauptungen des Prozeßvertreters des Reklamanten sämtlich grundlos
seien und daß die zur Verhandlung stehenden Güter als feindliche
einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach den Bestimmungen und der Praxis des gegenwärtigen Völker-
rechts können feindliche Güter auf feindlichem Schiff gleichviel ob
Konterbande oder nicht, beschlagnahmt werden, und die Frage, ob
185
Abschnitt VI*! Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*.
Güter feindliche sind oder nicht, bestimmt sich nach dem Wohnsitz
des Eigentümers. 1)
Ferner wird bezüglich von Gütern, die von einem Absender in
neutralem Gebiet an einen Empfänger im Feindesland versandt worden
sind, in Ermangelung gegenteiligen Beweises angenommen, daß dieselben
mit dem Zeitpunkt der Verschiffung in das Eigentum des Empfängers
übergehen. Der Beweis über diesen Punkt ist also von dem Reklamanten
zu erbringen.
Da nun die zur Verhandlung stehenden Güter auf dem der russisch-
ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer „Manchuria" mit
Bestimmung für einen in Wladiwostok wohnhaften Empfänger ver-
schifft worden sind und der Prozeßvertreter des Reklamanten für seine
Behauptung, die Güter stünden im Eigentum des neutralen Absenders,
nicht den geringsten Beweis erbracht hat, so kann diese Behauptung
nicht anerkannt werden, und die zur Verhandlung stehenden Güter
unterliegen in Gemäßheit der Pariser Seerechtsdeklaration vom lahre
1856 als feindliche Güter auf feindlichem Schiff der Einziehung. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant; Der chinesische Staatsuntertan Yue Wo Loong,
wohnhaft in Hongkong.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ikoma Takehiko, Naga-
saki, Higashifurukawamachi.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
Beschlagnahme von 307 Sack chinesischen Reis, welche auf dem russi-
schen Dampfer „Manchuria'' verschifft und mit diesem zusammen am
9. Februar 1904 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur von dem
Kaiserlich Japanischen Kriegsscliiff „Tatsuta" beschlagnahmt worden
waren, ein Urteil auf Einziehung dieser Güter erlassen. Gegen dieses
Urteil hat der Prozeßvertreter des Reklamanten Yue Wo Loong, der
Rechtsanwalt Ikoma Takehiko, die Berufung eingelegt, welche im
Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
*) V. §§ 8, 3 und 4. — 2) V. § 40.
186
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria". Abschnitt VI>i
Die Hauptpunkte der Berufung des Prozeßvertreters des Rekla-
manten Ikoma Takehiko und deren Begründung sind folgende:
Der Reklamant habe ohne Kenntnis von der Eröffnung des Krieges
zvcischen Japan und Rußland am 1. Februar 1904 307 Sack chinesischen
Reis für den Leiter seiner Filiale „Kwong Tai Seng'' in Wladiwostok,
den chinesischen Staatsuntertan Au Yong Pang, mit der Absicht
sie durch ihn an dort wohnende Chinesen verkaufen zu lassen, auf
dem in Hongkong liegenden Dampfer der russisch-ostasiatischen
Dampfergesellschaft „Manchuria" verschifft. Nach ihrer Abreise, am
0. Februar, habe Japan die diplomatischen Beziehungen mit Rußland
abgebrochen und eine Erklärung dahin abgegeben, daß es nach eigenen
tntschließungen verfahren werde. Schließlich sei, nachdem die beiden
Geschwader Kanonenfeuer ausgetauscht hätten, der Krieg für eröffnet
angesehen und am 9. Februar der Dampfer „Manchuria" auf der Höhe
von Port Arthur von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff ., Tatsuta"
aufgebracht worden. Hierbei sei auch der genannte Reis beschlag-
nahmt worden.
Diese Ladungsstücke seien aber Eigentum eines neutralen Staats-
angehörigen und ihrem Charakter nach keine Kriegskonterbande. Auch
seien sie nicht für die russische Armee oder Marine verschifft worden
und hätten auch nicht an diese geliefert werden sollen. Daher liege
ein Grund für ihre Beschlagnahme nicht vor. Das Sasebo-Prisengericht
habe die Güter für feindliche erklärt und auf ihre Einziehung ent-
schieden. Diese Entscheidung sei unrechtmäßig und es werde dagegen
die Berufung erhoben.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Yamamoto
Tatsurokuro vom Prisengericht in Sasebo sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien Handelswaren, welche
an einen im Handelsgewerbe in Wladiwostok ansässigen chinesischen
Staatsuntertan auf einem feindlichen Schiff versandt worden seien. Sie
seien daher feindliche Güter und unterlägen, wenn sie auch keine Konter-
bande seien, der Einziehung.
Da ferner nach den Gewohnheiten und Bestimmungen des gegen-
wärtigen Völkerrechts die Tatsache, daß der Absender von der Er-
öffnung des Krieges nichts gewußt habe, kein Grund sei, weshalb Güter,
«ie die im vorliegenden Falle, der Beschlagnahme entgehen sollten,
so sei das Urteil erster Instanz gerechtfertigt und die Berufung un-
begründet.
Es werde deshalb Abweisung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die von dem in Hongkong wohnenden Yue Wo Loong auf
dem der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer
„Manchuria" verschifften und für den in Wladiwostok wohnhaften
187
Abschnitt Vl^k Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'.
Kwong Tai Seng bestimmten zur Verhandlung stehenden Oüter
sind auf der Reise dorthin am 9. Februar 1904, also nach Eröffnung
des japanisch-russischen Krieges, 18 Seemeilen südöstlich von Port Arthur
zusammen mit dem genannten Dampfer von dem Kaiserlich Japanischen
Kriegsschiff „Tatsuta" beschlagnahmt worden.
Es ist von der völkerrechtlichen Praxis anerkannt, und das Ober-
prisengericht erachtet dies als den Verhältnissen gerecht werdend, daß
Güter, welche von Personen mit neutralem Wohnsitz zur Kriegszeit auf
feindlichem Schiff an einen Empfänger im Feindesgebiet abgesendet
werden, feindlichen Charakters sind und daher der Einziehung unter-
liegen.
Der Prozeß Vertreter behauptet freilich, die 200 Säcke Reis seien
neutrale Güter und könnten nicht beschlagnahmt werden. Das Über-
prisengericht ist jedoch der Ansicht, daß die Anerkennung des Domizil-
prinzips der Logik der Verhältnisse entspricht, und daher ist die Be-
hauptung des Reklamanten, daß die zur Verhandlung stehenden Güter
neutralen Charakters seien, unbegründet.
Ferner führt der Reklamant an, daß die Verschiffung der zur Ver-
handlung stehenden Güter vor der Kriegseröffnung erfolgt sei und
daß er von der Kriegseröffnung zwischen Japan und Rußland keine
Kenntnis gehabt habe. Da aber nach Völkerrechtspraxis feindliche Güter
deshalb nicht der Aufbringung entgehen können, weil sie vor der 'Kriegs-
eröffnung verschifft sind oder der Verschiffer von der Kriegseröffnung
keine Kenntnis gehabt hat, so ist auch dieser Punkt der Behauptungen
des Prozeßvertreters hinfällig.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Januar 1905 im Oberprisengericht.
Reklamant: Die in London niederlässige Bankfirma Fred er ic
Haß & Co., vertreten durch ihren Prokuristen, den englischen Staats-
angehörigen F. H. Hill, wohnhaft in Yokohama Yamashitacho Nr. 71.
Prozeßvertreter; Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
ebendaselbst Nr. 14.
In Sachen der Beschlagnahme von Ladungsstücken des russischen
Dampfers „Manchuria'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Manchuria'' verladenen 513 Kolli Tee
(gezeichnet v) ^"d 596 Kolli Tee (gezeichnet □) werden eingezogen.
188
Pri$engericht8ent8cheidungen: .Manchurta*. Abschnitt Vl^k
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung Tee ist in Colombo auf
dem der russisch-ostasiatischen Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer
„Manchuria" verschifft und mit Bestimmung nach Moskau abgesandt
worden. Auf der Reise nach Port Arthur wurde sie am 9. Februar 1904,
9 Uhr vormittags, zusammen mit dem genannten Dampfer von dem
Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff ,,Tatsuta" auf der Höhe von Port
Arthur beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Reklamationsschrift,
die Aussageschrift des Stellvertreters des Kommandanten des beschlag-
nehmenden Schiffs, Kapitän leutnants Kihara Seiske, die Ver-
nehmungsprotokolle des Kapitäns K. Prahl und des 1. Offiziers
0. Tampio, das Ladungsverzeichnis und das Schiffsjournal des ge-
nannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters des Rekla-
manten sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien von der Firma Rode-
Tald & Heath in Colombo am 11. Januar 1904 mit Konnossementen,
die für Order der genannten Firma ausgestellt waren, auf dem Dampfer
,,Manchuria" verschifft und mit der Bestimmung nach Moskau in Ruß-
land via Dalni abgeschickt worden, wo sie an die Order der Absender
abgeliefert werden sollten.
1- Da der Absender der zur Verhandlung stehenden Güter es in
seinem Belieben gehabt habe, mit denselben je nach Zahlung oder
Nichtzahlung des Betrags des von ihm gezogenen Wechsels zu verfahren,
so seien die Güter zur Zeit der Aufbringung noch Eigentum des neu-
tralen Absenders gewesen und könnten daher nicht als Feindesgut ein-
gezogen werden.
2. Da der Reklamant den erwähnten Warenwechsel acceptiert und
Zahlung dafür geleistet habe, so habe er bedeutendes Interesse an 'den zur
Verhandlung stehenden Gütern und beantrage ihre Freigabe.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, daß
die Ausführungen des Prozeßvertreters des Reklamanten unbegründet
und die Güter einzuziehen seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Reklamant macht geltend, daß die zur Verhandlung stehenden
Güter, weil sie an die Order des Absenders in Moskau abzuliefern
Taren, zur Zeit der Aufbringung noch im Eigentum der neutralen
Absender gestanden hätten und daher nicht für feindlich erklärt werden
könnten.
Aus den von dem Prozeßvertreter des Reklamanten vorgelegten
Beveisdokumenten Nr. II 1 und 2 geht jedoch hervor, daß der Ab-
sender die 596 Kolli Tee (gezeichnet Q) auf das Konto der Teehandlung
189
Abschnitt Vl^k Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria".
Medowjesew's Erben in Moskau gesetzt und einen Warenwechsel
darüber gezogen hat, dessen Prima er an diese Firma schickte.. Daher
ist die genannte Gesellschaft als die Empfängerin anzusehen. Die 513
Kolli Tee (gezeichnet v) waren an W. J. Popoff & Co. in Moskau
abgeschickt. Daß diese Firma die Empfängerin ist, muß nach den
Beweisstücken III 1 und 2 und nach der Obersetzung des von dem
Reklamanten an den Prozeßvertreter gerichteten Telegramms vom 25. Mai
dieses Jahres als erwiesen erachtet werden. Lediglich dadurch, daß
die Konnossemente auf Order lauten, kann die obige Annahme nicht
umgestoßen werden.
Nach dem Völkerrecht müssen feindliche Güter auf feindlichem
Schiff, gleichviel ob sie vor der Kriegseröffnung verschifft worden sind
oder nicht, eingezogen werden, und die Frage, ob Güter feindlich sind
oder nicht, bestimmt sich nach dem Wohnsitz des Eigentümers. ^) Ferner
wird bezüglich von Gütern, die von einem Absender in neutralem
Gebiet an einen Empfänger im Feindesland versandt werden. In Er-
mangelung gegenteiligen Beweises angenommen, daß dieselben mit dem
Zeitpunkt der Verschiffung in das Eigentum des Empfängers über-
gehen.
Da der Prozeßvertreter diesen Gegenbeweis nicht erbracht hat,
so muß angenommen werden, daß die zur Verhandlung stehenden
Güter zur Zeit der Aufbringung bereits in das Eigentum einer feindlichen
Person übergegangen waren. Da so die genannten Güter feindliche
sind, so kann Punkt 1 der Ausführungen des Reklamanten nicht an-
erkannt werden.
Da die Güter feindliche sind und nach Völkerrecht das Recht
des Captors an feindlichem Gut absolut ist, so können irgendwelche
anderen Rechtsansprüche an dieselben nicht anerkannt werden. So ist
auch Punkt 2 der Behauptungen des Prozeßvertreters des Reklamanten
hinfällig.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.*)
Verkündet am 27. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die in London niederlässige Bankfirma Fred er ic
Haß & Co., vertreten durch ihren Prokuristen, den englischen Staats-
angehörigen F. H. Hill, Yokohama, Yamashitacho 71.
') V. §§ 8, 3 und 4. — ^j y. § 40.
190
Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria". Abschnitt VI^i^
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
wohnhaft ebendaselbst, Yamashitacho 14.
Am 27. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in Sachen der
Beschlagnahme von 513 Kolli Tee, gezeichnet v» und 596 Kolli Tee,
gezeichnet □, welche auf dem russischen Dampfer „Manchuria" ver-
schifft und zusammen mit diesem am 9. Februar 1904 18 Seemeilen
südöstlich von Port Arthur von dem Kaiserlich Japanischen Kriegs-
schiff „Tatsuta" beschlagnahmt worden waren, auf Einziehung der-
selben erkannt. Gegen dieses Urteil hat der Prozeßvertreter des Rekla-
manten, des Prokuristen F. H. Hill der Londoner Bankfirma F r e d e r i c
Haß & Co., der Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro, die Be-
rufung eingelegt, welche im Oberprisengericht im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi geprüft
worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Prozeßvertreters Masushima
Rokuichiro und ihre Begründung sind folgende :
1. Das Urteil erster Instanz habe die von dem Reklamanten be-
haupteten Tatsachen falsch verstanden. Es werde dort als Vorbringen
des Reklamanten aufgeführt, daß die Güter nach den von der Firma
Rodew'aid & Heath in Colombo ausgestellten, auf Order lau-
tenden Konnossementen auf der „Manchuria" zu verschiffen und über
Dalni gehend an die Order des Absenders in Moskau abzuliefern waren,
Reklamant habe indes den Ausdruck „an die Order des Absenders in
Moskau" nicht gebraucht. Punkt II, 1 und Punkt III, 1 der Reklamation
uolle vielmehr mit den Worten „Ablieferung-Orderperson-Absender"
klar machen, daß das Verfügungsrecht über die genannten Güter der
neutralen Firma Rodewald & Heath zustehe. In dem in den
Punkten II, 1 und III, 1 der Reklamation sich findenden Passus „Ab-
lieferung-Orderperson-') Absender" sei, wie geschrieben, unter „Order-
person" der Absender in Colombo zu verstehen. Das bedeute, daß es
vollständig in der Hand des Absenders gelegen habe, den Empfänger
zu bestimmen. Wenn, wie im vo'Hiegenden Falle, der jeweilige Besteller
keine Barzahlung geleistet habe, sondern, wie es handelsüblich sei, die
Transaktion gegen Wechsel geschehe, so entstünden die obligatorischen
Rechtsbeziehungen zwischen Absender und Empfänger erst nach Akzep-
tation durch das darin liegende Zahlungs versprechen des Akzeptanten.
Bis zur Zahlung des Wechselbetrags stehe das Recht der Verfügung
über die Güter und somit der Bestimmung, an wen sie auszuliefern
*) Um das von dem Prozefivertreter behauptete Mifiverständtiis in der Ober-
setzung vetstilndlich zu machen, mufite das Wort .sashizunin' mit »Orderperson* wört-
lich übertragen werden. Das Ausdruck ist zweideutig. Der Prozefivertreter versteht
darunter die Person, welche die Order zu geben hat, und er sagt, das Gericht habe
fälschlich darunter die Person verstanden, auf welche die Order laute.
191
Abschnitt Vl^k Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria'.
seien, dem Absender zu. Dies sei vom Handelsrecht, welches einen
Teil des Völkerrechts bilde, anerkannt.
Da ferner die zur Verhandlung stehenden Güter während des See-
transports beschlagnahmt worden seien, so liege noch nicht einmal
ein Übergang des Besitzrechts auf einen Dritten vor. Das Eigentums-
recht stehe daher unverändert dem Absender zu. (S. die Ergänzung 2
der Beruf ungsgründe vom 26. September 1904).
Das Urteil erster Instanz habe diesen wichtigen Punkt falsch ver-
standen und sei daher unzutreffend.
2. Das Urteil erster Instanz habe angenommen, daß die Tee-
handlung Medowjesew's Erben in Moskau die Empfängerin der
unter den zur Verhandlung stehenden Gütern befindlichen mit H ge-
zeichneten 596 Kolli Tee sei, weil die Absender das Konto dieser
Firma dafür belastet und ihr ein Exemplar des dafür gezogenen Waren-
wechsels geschickt habe. Ebenso habe das erstinstanzliche Urteil, da
die A gezeichneten 513 Kolli Tee an die gleichfalls in Moskau nieder-
lässige Firma W. J. Popoff versandt worden seien, angenommen,
daß diese die Empfängerin sei. Die Annahme sei unrichtig, denn sie
berücksichtige nicht die in Punkt II, 1 und III, 1 der Reklamation
sich findenden Worte „Ablieferungs-Orderperson-Absender'' und lasse
so völlig außer acht, daß hier die in Punkt 1 dargelegte handelsübliche
Art der Transaktion vorliege. Die Trassierung des für diesen Tee aus-
gestellten Warenwechsels sei geschehen, um bis zum Akzept des
Wechsels, d. h. bis zur Zahlung seines Betrags das Eigentumsrecht
an den Gütern nicht auf den Empfänger übergehen zu lassen. Daher
seien auch die Konnossemente von dem Absender in der Weise aus-
gestellt, daß sie an seine Order auszuliefern gewesen wären. Sie seien
daher verschieden von gewöhnlichen Konnossementen, in welchen der
Absender den Empfänger der von ihm abgesandten Güter bestimmt
benenne. Da in dem vorliegenden Fall die Wechsel noch nicht von
den beiden genannten Firmen, vielmehr nur von dem Reklamanten
akzeptiert seien, so könnten die beiden Firmen, selbst wenn sie die
genannten Konnossemente empfangen haben würden, doch die Waren
nicht ausgehändigt erhalten. Tatsächlich hätten sie aber die Konnosse-
mente nicht empfangen, und man könne daher nicht behaupten, daß
sie das Eigentumsrecht erworben hätten.
Da demnach das Eigentumsrecht an den zur Verhandlung
stehenden Gütern dem neutralen Absender, einem englischen Staats-
angehörigen zustehe, so seien dieselben nicht feindlich. (Vgl. die
Ergänzung der Beruf ungsgründe vom 13. Juni 1904 und desgleichen
vom 7. Oktober desselben Jahres Nr. 3).
3. Das Urteil erster Instanz habe bezüglich der zur Verhandlung
stehenden Güter entschieden, daß nach dem Völkerrecht feindliche Güter
192
Priwngerichtsentscheidungen: «Manchuria*. Abschnitt Vl'k
auf feindlichem Schiff, gleichgültig ob sie vor der Kriegseröffnung ver-
schifft seien oder nicht, selbstverständlich der Beschlagnahme unter-
lägen; daß die Frage, ob Güter feindlich seien oder nicht, sich nach
dem Wohnort des Eigentümers bestimme; und daß Güter, welche von
einem in neutralem Gebiet ansässigen Absender an einen Empfänger
in Feindesgebiet entsandt würden, in Ermanglung ausdrücklichen
Gegenbeweises mit der Absendung in das Eigentum des Empfängers
übergingen. Diese Entscheidung widerlaufe dem Recht. Denn nach
der japanischen Prisenordnung bestimme sich die Landeszugehörigkeit
von Gütern nach der Landeszugehörigkeit des Eigentümers. Was aber
das Eigentum an den zur Verhandlung stehenden Gütern angehe, so
gehe bereits aus Punkt II, 1 und III, 1 der Reklamation klar hervor,
daß es der Firma Rodewald & Heath zustehe und daß das
Urteil erster Instanz die oben dargelegten Handelsgebräuche nicht ver-
standen und daher falsch entschieden habe.
4. Ebenso sei die Entscheidung des Urteils erster Instanz un-
zutreffend, daß, weil der Gegenbeweis nicht erbracht sei, angenommen
Verden müsse, daß das Eigentum an den zur Verhandlung stehenden
Gütern zur Zeit der Beschlagnahme bereits auf eine feindliche Person
übergegangen gewesen sei.
Wie nämlich aus Punkt 1 der Reklamation hervorgehe, so seien,
da sowohl der Absender wie auch der Reklamant neutrale englische
Staatsangehörige seien, die Güter neutral.
Ferner sei es eine Handelsgewohnheit, die einen Teil des Völker-
rechts bilde, daß ein Absender, solange der Besteller den dem Preis
der Güter entsprechenden Wechselbetrag noch nicht gezahlt habe, wenn
ein Krieg ausbreche, jederzeit die Ablieferung der Waren zu verhindern
berechtigt sei. (Vgl. Ergänzung Nr. 1 der Berufungsgründe vom
7. Oktober 1904.)
5. Das Urteil erster Instanz habe das Recht der Beschlagnahme
für absolut erklärt und entschieden, daß die Rechtsansprüche des Rekla-
manten an den zur Verhandlung stehenden Gütern nicht zu beachten
seien.
Der Reklamant sei, wie bereits erwähnt, neutraler Nationalität und
sei der Akzeptant der für die zur Verhandlung stehenden Güter ge-
zogenen Wechsel und sei dadurch verpflichtet, die Transaktionssumme
darzuleihen. Er sei im Besitz der richtig indossierten Konnossemente,
«eiche die Herleitung des Eigentumsrechts an den zur Verhandlung
:>tehenden Gütern bewiesen, daher habe er rechtliches Interesse an
denselben. (Vgl. die Ergänzung Nr. 1 der Berufungsgründe vom
-t). September 1904, desgleichen Nr. 2 vom 7. Oktober desselben Jahres, .
desgleichen vom 25. Oktober desselben Jahres.)
6. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien etwa einen Monat
Varstrand-Mochlenburff, Das japanische Prisenrocht. Band I. (13) lad
Abschnitt Vl^k Prisengerichtsentscheidungen: .Manchuria*.
vor Ausbruch des Krieges verschifft worden. Weder die Reederei noch
die Absender hätten von der Kriegseröffnung etwas gewußt. Ferner
sei die Beschlagnahme vor der Veröffentlichung der Kriegserklärung
geschehen, und daher sei die Beschlagnahme unrechtmäßig.
7. Nach der im Jahre 1882 von dem Kongreß für internationale
Rechtswissenschaft in Turin beschlossenen Seeprisenordnung könne
feindliches Privatvermögen erst nach Eröffnung des Krieges beschlag-
nahmt werden. Auch beschränke sich die Beschlagnahme von feind-
lichen Schiffen und deren Ladung auf solche Fälle, wo der Kapitän
von dem Kriege Kenntnis gehabt habe und wo erwiesenermaßen ein
den Zwecken des Feindes dienender oder nach einem feindlichen Platz
bestimmter verbotener Transport vorliege. Diese Bestimmungen seien
von der öffentlichen Meinung der ganzen Welt anerkannt, und es sei
außer Zweifel, daß auch Japan nicht zögern werde, die Billigkeit der-
selben anzuerkennen. Es werde daher um eine Entscheidung im Sinne
dieser Bestimmungen gebeten.
8. Absatz 3 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 ver-
werfe es, daß Güter, welche, wie die zur Verhandlung stehenden, er-
wiesenermaßen im Eigentum neutraler Personen stünden, als gute Prise
verurteilt werden dürften.
9. Ein Prisengericht sei verschieden von den gewöhnlichen Landes-
gerichten. Während diese sich genau an die Gesetze ihres Landes
zu halten hätten, sei ein Prisengericht an keine völkerrechtlichen Qesetzes-
normen gebunden. Es müsse bei Erlaß einer Entscheidung nach den
besonderen Verhältnissen des Falles urteilen. Eine Prisengerichts-
entscheidung sei daher verschieden von einem richterlichen Urteil. Die
Bestimmungen und Gewohnheiten des Völkerrechts kämen dafür ledig-
lich höchstens als Material in Betracht. Reklamant hoffe daher, daß
die neueren Normen des Völkerrechts anerkannt und mit ihrer An-
wendung in der Praxis hier ein Anfang gemacht werde.
Der Staatsanwalt beim Sasebo-Prisengericht, Yamamoto Tat-
surokuro, hat hierauf im wesentlichen folgendes erwidert:
Der Berufungsreklamant behaupte in Punkt 1, das Urteil erster
Instanz habe die von dem Reklamanten aufgeführten Tatsachen falsch
verstanden. Es werde dort von „Gütern, welche an die Order des
Absenders in Moskau abzuliefern seien" gesprochen. Der Reklamant
habe aber einen derartigen Ausdruck nicht gebraucht. Der Sinn
des Ausdrucks „Ablieferung -Orderperson -Absender" sei, wie ge-
schrieben, dahin zu verstehen, daß die Firma Rodewald & Heath
das Verfügungsrecht über die Güter hätte. Das Urteil erster Instanz
gründe sich daher auf einer irrtümlichen Annahme und sei unzutreffend.
Demgegenüber sei zu bemerken, daß das Urteil die Behauptungen
des Reklamanten nur in den Hauptpunkten wiedergebe und daß die
194
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Manchuria'. Abschnitt VI'^
von dem Reklamanten eingereichten Dokumente und Erklärungen dort
nicht in voller Länge verzeichnet seien. Es bedürfe jedoch kaum einer
Erörterung, daß es genüge, den Sinn richtig wiederzugeben, wenn auch
der Wortlaut verschieden sein möge. Wenn der Reklamant sage, daß
die Güter an eine von dem Absender in Colombo benannte Person
in Moskau abzuliefern sei, so weiche dies von dem im Urteil Ge-
schriebenen, nämlich daß die Güter an die Order des Absenders in
Moskau abgeliefert werden sollten, dem Sinne nach nicht im geringsten
ab. Wenn der Berufungsreklamant diesen Satz so auslegen wolle, als
ob das Urteil habe sagen wollen, der Absender sei in Moskau ansässig, *)
so müsse im Gegenteil dem Berufungsreklamanten vorgeworfen werden,
daß er das Urteil mißverstanden habe, denn die in Moskau befindliche
Person sei dort nicht als Absender, sondern als Empfänger bezeichnet.
2. Der Reklamant erkläre, daß die Annahme des erstinstanzlichen
Urteils, die Empfänger der zur Verhandlung stehenden Güter seien
die Teehandlung Medowjesew's Erben und die Firma W. J. Popoff
in Moskau, unrichtig sei. Denn diese Annahme berücksichtige nicht
die in den Beweisdokumenten sich findenden Worte „ Ablieferung -
Orderperson - Absender" und lasse damit eine handelsübliche Gewohn-
heit völlig außer Acht.
Demgegenüber müsse gesagt werden, daß es freilich im allgemeinen
bei kaufmänm'schen Transaktionen üblich sei, Waren, welche auf Be-
stellung verschickt würden, nach Ankunft gegen Zahlung auszuhändigen
und daß ebenso üblicherweise bei großen Entfernungen die Zahlung
in der Weise erfolge, daß ein Konnossement als Sicherheit gegeben
und daraufhin ein Warenwechsel gezogen würde, dessen Inhaber als-
dann von dem Käufer der Waren Zahlung gegen den Wechsel erhalte.
Aber auch für derartige Güter gelte auf allen Meeren der Grundsatz,
daß das Eigentum an ihnen mit der Verschiffung sogleich auf den
Empfänger übergehe. Daher müßten Güter, welche auf die eben be-
schriebene Transaktionsweise von einem neutralen Lande nach feind-
lichem Gebiet transportiert würden, als feindliche Güter angesehen
Verden und der Beschlagnahme und Einziehung unterliegen können.
In Friedenszeiten freilich bestünden mit Bezug auf den Eigentums-
öbergang vom Verkäufer auf den Käufer auf Grund der Abmachungen
unter den Beteiligten oder besonderen Handelsgewohnheiten Ausnahmen,
und die tatsachlich bestehenden Umstände fänden dann, wie der Rekla-
mant es geltend mache, auch Berücksichtigung. In Kriegszeiten jedoch
Türden bei Seebeschlagnahmen derartige Ausnahmen nicht berücksich-
tigt, denn wenn man sie berücksichtige, so würde es dahin kommen,
daß überhaupt kein Gut zur See beschlagnahmt werden könne.
*) Der Staatsanwalt hat offenbar den Gedankengang des Prozefivertreters gar
nicht vefstanden.
(13*) 195
Abschnitt Vl^k Prisengeiichtsentscheidungen: •■anchuria*.
3. Reklamant sage: das Urteil erster Instanz habe bezüglich der
2ur Verhandlung stehenden Güter entschieden, daß nach Völkerrecht
feindliche Güter auf feindlichem Schiff, gleichgültig ob sie vor der
Kriegseröffnung verschifft seien oder nicht, selbstverständlich der Be-
schlagnahme unterlägen; daß die Frage, ob Güter feindliche seien oder
nicht, sich nach dem Wohnort des Eigentümers bestimme; und daß
Güter, welche von einem in neutralem Gebiet ansässigen Absender
an einen Empfänger im Feindesgebiet versandt würden, in Ermanglung
ausdrücklichen Gegenbeweises mit der Absendung in das Eigentum
des Empfängers übergingen. Diese Entscheidung widerliefe dem Recht.
Denn nach der japanischen Prisenordnung bestimme sich die Landes-
zugehörigkeit von Gütern nach der Landeszugehörigkeit des Eigen-
tümers usw.
Der Reklamant habe oft erörtert und behaupte dies auch jetzt
wieder in Punkt 9 der Berufungsschrift, daß die Entscheidung eines
Prisengerichts von einem richterlichen Urteil verschieden sei; daß es
keine Gesetze gäbe, welche angewandt werden müßten; daß weder
Präzedenzen noch Prisenordnungen irgendwie verbindlich seien. Trotz-
dem sage der 'Reklamant jetzt, die erstinstanzliche Entscheidung laufe
der japanischen Prisenordnung zuwider und sei ungesetzmäßig. Da-
mit setze sich der Reklamant mit seinen eigenen Argumenten in Wider-
spruch. Aus der japanischen Prisenordnung vom 15. März 1904 gehe
übrigens klar hervor, daß Japan das Domizilprinzip angenommen habe.
Es heiße dort:
§ 3. Die Landeszugehörigkeit von Personen wird ohne
Rücksicht auf ihre Nationalität nach dem Lande bestimmt,
in welchem sie zurzeit ihren Wohnsitz haben.
§ 4. Als Wohnsitz einer Person gilt der Ort, an welchem
sie für die Dauer ansässig ist. Doch gilt für Kaufleute der
Ort, wo sie ihr Hauptgeschäft, und für kaufmännische
Konsuln der Ort, an welchem sie ihr Handelsgewerbe be-
treiben, als Wohnsitz.
§ 8. Die Landeszugehörigkeit von Gütern bestimmt sich
nach der Landeszugehörigkeit des Eigentümers.
Da es entschieden sei, daß die zur Verhandlung stehenden Güter im
Eigentum des in Moskau wohnhaften Empfängers stünden, so müßten
sie nach der japanischen Prisenordnung als feindliche Güter angesehen
werden. Wenn sogar der Reklamant die japanische Prisenordnung an-
erkenne, so sei es doch \x'ohl nur richtig, daß auch der Staatsanwalt
diejenigen Bestimmungen dieser Prisenordnung, welche auf den vor-
liegenden Fall zuträfen, in Anwendung setze.
§ 9 am gleichen Orte heiße es:
Die folgenden Güter werden ohne Rücksicht auf die Be-
196
Priseaffericbtseiitscheldungeii: .Manchuria*. Abschnitt Vl^k
Stimmungen des vorigen Paragraphen sämtlich als feindliches
Out angesehen:
1. Güter, welche vor dem Krieg, aber in Erwartung des
Krieges oder während des Krieges von einem in Japan oder
in einem neutralen Staat seinen Wohnsitz habenden Eigen-
tümer oder von einer in seinem Auftrag handelnden Person
an den feindlichen Staat, eine feindliche Person oder an eine
in deren Auftrag handelnde Person verschifft sind.
Es sei mit Recht zu vermuten, daß die Absender, welche ihre Güter
an Bord eines Schiffes verlüden, welches bereits, wie die „Manchuria",
eine große Menge von Kriegskonterbande für die russische Armee und
Marine an Bord gehabt habe, den Krieg vorausgesehen hätten. Daher
sei auch nach dem oben zitierten Paragraphen das zur Verhandlung
stehende Urteil rechtmäßig.
4. Der Reklamant behaupte, daß die Entscheidung, das Eigentum
an den zur Verhandlung stehenden Gütern sei in Ermanglung eines von
dem Reklamanten gelieferten Beweises als zur Zeit der Beschlagnahme
bereits auf eine feindliche Person übergegangen zu erachten, wider-
rechtlich sei. Es erübrige sich, auf diese Behauptung, welche dieselben
Gründe wie Punkt 2 enthielte, hier nochmals einzugehen.
5. Der Reklamant bringe vor, daß das Urteil erster Instanz un-
rechtePK'eise das Bestehen rechtlichen Interesses des Reklamanten ab-
gestritten habe. Das Urteil habe jedoch die Ansicht, daß der Reklamant
kein Rechtsinteresse habe, nicht vertreten, sondern nur dargetan, daß
das Beschlagnahmerecht absolut sei und Pfandrechte und sonstige
Rechtsansprüche besiege. Es sei daher durchaus nicht rechtswidrig.
6. Der Reklamant mache geltend, daß die zur Verhandlung
>tehenden Güter bereits einen Monat vor der Kriegseröffnung verschifft
Torden seien und daß die Beschlagnahme vor Bekanntmachung der
Kiiegseröffnung geschehen und daher unrechtmäßig sei. Was indes
die Beschlagnahme feindlicher Schiffe angehe, so gehe auch aus Ar-
tikel 5 der von dem Reklamanten als das entwickeltste Völkerrechts-
dokument neuerer Zeit gutgeheißenen Beschlüsse der internationalen
Nölkerrechtskonferenz in Turin hervor, daß es einer Bekanntmachung
oder Mitteilung über die Kriegseröffnung nicht bedürfe. Noch viel
weniger sei dies durch die allgemeinen Grundsätze oder die Praxis
des gegenwärtigen Völkerrechts anerkannt.
Punkt 7, 8 und 9 der Berufung stünden zu dem vorliegenden Fall
in keiner direkten Beziehung und bedürften daher keiner Erwiderung.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind von der Firma Rode-
vald & Heath in Colombo auf dem der russisch-ostasiatischen
Dampfergesellschaft gehörigen Dampfer „Manchuria" mit Bestimmung
197
Abschnitt VI^i^ Prisengerichtsentschefdungen: „Manchuria".
nach Moskau in Rußland versandt und auf der Reise dorthin am 9. Fe-
bruar 1904, also nach Eröffnung des Krieges zwischen Japan und
Rußland, 18 Seemeilen südöstlich von Port* Arthur mit dem genannten
Schiffe zusammen von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Tat-
suta" beschlagnahmt worden.
Die Tatsache, daß der Reklamant die auf das Konto der Firma
W. J. Pop off und der Teehandlung Medowjesew's Erben in
Moskau gezogenen Wechsel akzeptiert hat, beweist nur, daß er die Ver-
pflichtung, den Preis für die zur Verhandlung stehenden Qüter für
diese beiden Firmen zu zahlen, übernommen hat. Dies zusammen mit
der Tatsache, daß die Qüter sich zurzeit auf der Reise nach Moskau
befunden haben, gibt genügend Anhalt für die Annahme, daß sie mit
Bestimmung für die im Lande des Feindes niederlässigen genannten
beiden Firmen abgeschickt worden sind.
Es ist von der völkerrechtlichen Praxis anerkannt, und das Ober-
prisengericht erachtet dies als den tatsächlichen Verhältnissen gerecht
werdend, daß Güter, welche von Personen mit neutralem Wohnsitz
zur Kriegszeit auf feindlichem Schiff an einen Empfänger im Feindesland
abgesandt werden, feindlichen Charakters sind und daher der Ein-
ziehung verfallen.
Die Tatsache, daß ein neutraler Staatsangehöriger einen sich auf
diese Güter beziehenden Wechsel akzeptiert hat, kann sie der Beschlag-
nahme nicht entziehen.
Daher kann den Punkten 1 bis 5 und 8 der Berufung, welche
mit den angeführten Rechtsgründen in Widerspruch stehen, nicht bei-
gepflichtet werden.
Da es ferner völkerrechtlich anerkannt ist, daß feindliche Güter
auf feindlichem Schiff ohne Rücksicht darauf, daß sie vor der Kriegs-
eröffnung verschifft sind und daß der Ablader von der Kriegseröffnung
keine Kenntnis gehabt hat, nach Eintritt des Kriegszustands der Auf-
bringung unterliegen, so ist auch Punkt 6 der Berufung unbegründet.
Im Punkt 7 uncl 9 äußert der Reklamant den Wunsch, daß unter
Zugrundelegung von Beschlüssen eines internationalen Völkerrechts-
kongresses, welche noch nicht Völkerrecht sind, und ohne Unterwerfung
unter die bestehenden völkerrechtlichen Regeln verfahren würde. Diesen
Wünschen kann der Wert von Berufungsbegründungen nicht bei-
gemessen werden.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Januar 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
198
Priaengerichtsentscheidungen: „Alexander". Abschnitt VI^^
Reklamant: Graf H. H. Keyserling & Co., St. Petersburg,
Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft, vertreten
durch den Direktor Frederic Groß.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
In der Prisensache betreffend den russischen Dampfer „Alexander"
und seine Ladung wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Alexander" und die auf ihm verladenen Güter,
nämlich 36 Tons Walfischtran, 36 Tons eingesalzenes Walfischfleisch, 15
Tons frisches Walfischfleisch, werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der Dampfer „Alexander" steht im Eigentum der russischen Paci-
fischen Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft, sein Heimats-
hafen ist Wladiwostok in Rußland, er führt die russische Handelsflagge
und ist ein Hochseefischereidampfer, der dazu dient, den anderen Schiffen
der Gesellschaft ihre Bedarfsartikel zuzuführen und den Ertrag der
Fänge zu befördern.
Am 10. Februar 1904, 2 Uhr morgens, wurde der Dampfer in
Izuhara in der Provinz Tsushima von der 17. Kaiserlichen Torpedoboots-
flottille mit Beschlag belegt. Zu der Zeit befanden sich die in der
Urteilsformel verzeichneten Güter, nämlich Walfischtran und 2 andere
Güterarten, an Bord.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
und das Verzeichnis der Güter, aufgesetzt von dem Stellvertreter des
Kommandanten Kihara Seiske, die Vernehmungsprotokolle des
Kapitäns S. Rußmann und des Offiziers Gustav Adolf Dseniß,
das Schiffszertifikat, den Kaufbrief und das Tagebuch des Dampfers
.^Alexander".
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters sind fol-
gende :
1. Der Dampfer „Alexander" sei weder mit Gefechtsrüstung ver-
sehen, noch habe er zum Konterbandetransport gedient, noch sei solche
an Bord gewesen. )
2. Dem Dampfer sei zur Zeit der Aufbringung das Bestehen des
Kriegszustands zwischen Japan und Rußland nicht bekannt gewesen.
3. Der Dampfer habe in Unkenntnis von dem Kriegsanfang in
einem japanischen Hafen gelegen. Daher trete für ihn die Befreiung
der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 v. J. 1904 1) ein.
Ol.
199
Abschnitt VI^ Prisengerlchtsentscheidungen: „Alexander''.
4. Wie auf dem Lande das Privatvermögen für unverletzlich gelte,
so müsse derselbe, Grundsatz auch für die See angewendet werden.
5. Das genannte Schiff sei freilich ein Hochseefischereischiff, aber
da es nicht zum Konterbandetransport gedient, auch keine Konterbande
an Bord gehabt habe und so ein harmloses Fahrzeug sei, so müsse
es nach dem Prinzip, welches Küstenfischereiboote von der Beschlag-
nahme ausnehme, freigegeben werden.
6. Da der Krieg lediglich die Staaten als solche berühre, so könnten,
bevor der Krieg bekannt sei, die Untertanen dadurch nicht direkt beein-
flußt werden. Die vorliegende Beschlagnahme sei aber vor Bekannt-
machung der Kriegseröffnung geschehen.
Aus diesen Gründen beantragt der Reklamant Freigabe des
Dampfers „Alexander" und seiner ganzen Ladung. Die in den
Punkten 1, 2 und 4 angeführten Argumente sind im wesentlichen der
Inhalt der von dem Kongreß für internationale Rechtswissenschaft in
Turin im Jahre 1882 beschlossenen Seeprisenordn4ing.
Der Staatsanwalt erwidert hierauf im wesentlichen, daß die Aus-
sagen des Prozeßvertreters sämtlich unbegründet seien und daß auf
Einziehung des Schiffs und seiner ganzen Ladung erkannt werden müsse,
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Vertreter der Reklamation zieht hauptsächlich die Beschlüsse
von Völkerrechtskongressen an und beantragt, daß unter Zugrunde-
legung derselben entschieden werde. Nach dem tatsächlich zurzeit
bestehenden Völkerrecht können jedoch unfragfich feindliche Schiffe
zur Kriegszeit beschlagnahmt werden,*) gleichviel ob sie mit Gefechts-
ausrüstung versehen sind ; zum Kriegskonterbandetransport dienen ; von
der Kriegseröffnung Kenntnis haben oder nicht und ob schließlich die
Beschlagnahme vor Veröffentlichung der Kriegserklärung erfolgt ist oder
nicht. Darüber, daß der Dampfer „Alexander" ein feindliches Schiff
ist und daß die Beschlagnahme nach Eröffnung des Krieges geschehen
ist, kann aber kein Streit aufkommen.
Ferner bringt der Vertreter der Reklamation vor, daß auf das zur
Verhandlung stehende Schiff, welches von der Kriegseröffnung keine
Kenntnis gehabt und in einem japanischen Hafen gelegen habe, die Be-
freiung der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 zutreffe. Der Gedanke
der genannten Verordnung ist indes der, Handelsschiffe, welche in Aus-
übung des Handelsverkehrs nach japanischen Häfen kamen, zu schützen.
Daher erstreckt sich ihre Vergünstigung nicht auf Fischereifahrzeuge
wie das zur Verhandlung stehende.
Der Reklamant bringt vor, daß nach demselben Gedanken, welcher
die Küstenfischereiboote») von der Beschlagnahme ausnehme, auch das
*) V. § 35. - ») V. § 35, 1.
200
Pritengerichtsentscheidungen: „Alexander'^ Abschnitt VI«
zur Verhandlung stehende Schiff freizugeben sei. Die völkerrechtliche
Praxis jedoch, vfelche die kleinen Fischereiboote von der Beschlagnahme
ausschließt, ist im wesentlichen aus dem Motiv entsprungen, die am
Kriege nicht beteiligte arme Bevölkerung vor Not zu bewahren, und
kann sich daher nicht auf ein im Eigentum einer Gesellschaft stehendes,
zur Hochseefischerei dienendes Schiff, wie den Dampfer „Alexander",
erstrecken.
Da demnach alle Behauptungen des Vertreters der Reklamation
unbegründet sind, so muß der zur Verhandlung stehende Dampfer
„Alexander'' eingezogen werden. Da ferner die auf demselben be-
findlichen Güter, nämlich Walfischtran und zwei andere Warensorten,
erwiesenermaßen feindliches Gut sind, so müssen sie gleichfalls ein-
gezogen werden.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Graf H. H. Keyserling & Co., St. Petersburg,
Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft, vertreten
durch den Direktor Frederic Groß.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rpkuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den am 10. Februar 1904 im Hafen von Izuhara in der
Provinz Tsushima von der 17. Torpedobootsflottille beschlagnahmten
russischen Dampfer „Alexander" und seine. Ladung bestehend aus 36
Tons Walfischtran, 36 Tons eingesalzenem Walfischfleisch und 15 Tons
frischem Walfischfleisch ein Urteil auf Einziehung gefällt.
Gegen dieses Urteil hat der Prozeßvertreter des Reklamanten,
Frederic Groß, Vertreters der Pacifischen Walfisch- und Fischerei-
Kommanditgesellschaft des Grafen H. H. Keyserling, der Rechts-
anwalt Masushima Rokuichiro die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und I s h i w a t a r i
Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation Masushima
Rokuichiro und deren Begründung sind folgende:
*) y. § 40.
201
Abschnitt VI 6 .Prisengerichtsentscheidungen: „Alexander".
Das Urteil des Sasebo-Prisengerichts sei gesetzwidrig, es werde
Verwerfung desselben und Freilassung des zur Verhandlung stehenden
Schiffs und seiner Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Das Völkerrecht sei kein Gesetz, ein Gesetzgeber wie bei den
einzelnen Staaten sei nicht vorhanden. Die Richtschnur für dasselbe
sei in den Erklärungen der Regierungen der verschiedenen Mächte und
den Beschlüssen von Gelehrten zu suchen. Daher sei die. von dem
internationalen Völkerrechtskongreß in Turin im Jahre 1882 beschlossene
Seeprisenordnung und der von dem Völkerrechtskongreß in Paris be-
schlossene Abänderungsentwurf als Richtschnur für das jetzt geltende
Völkerrecht anzunehmen. Nach dem letzten Teil des Artikels 4 der
genannten Seeprisenordnung könne Privatvermögen, wie das zur Ver-
handlung stehende Schiff und seine Ladung, wenn es auch feindlich
sei, nicht beschlagnahmt werden.
Da ferner das Prisengericht von einem gewöhnlichen Landesgericht
verschieden und nicht in der Weise, wie ein Landesgericht die Landes-
gesetze befolgen müsse, an die Bestimmungen des Völkerrechts gebunden
sei, so müsse es, von fortschrittlichen Prinzipien geleitet, welche über
die bestehenden Völkerrechtsregeln hinausragten, ein neues Beispiel
geben, indem es seine Entscheidung nach den Umständen des Falls
urteilend abgebe.
2. Der zur Verhandlung stehende Dampfer habe die Aufgabe ge-
habt, für den Reklamanten die Lieferungen für den Walfisch- und
sonstigen Fischfangbetrieb auszuführen und den Fangertrag zu ver-
treiben. Zu diesem Zwecke sei er, um die Order des Vertreters des
Reklamanten in Nagasaki in Empfang zu nehmen, nach Izuhara ge-
kommen. Der Dampfer sei demnach im Handelsbetrieb verwandt worden
und müsse als Handelsschiff betrachtet werden. Daher habe .er Anspruch
auf die Vergünstigung der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre
1904. Wenn man auch sagen müsse, daß das Schiff zum Handelsverkehr
im strengen Sinne nicht diene, so heiße es doch den inneren Sinn der
Kaiserlichen Verordnung außer acht lassen, wenn man die Anwendung
derselben auf das zur Verhandlung stehende Schiff ablehne.
Wenn ferner das Urteil erster Instanz ausführe, daß die Praxis.
Küstenfischereifahrzeuge nicht zu beschlagnahmen, in der Hauptsache
entstanden sei, um die arme Bevölkerung, welche an dem Kriege nicht
beteiligt sei, nicht in Not zu bringen, und daß diese Praxis sich auf
ein Hochseefischereischiff wie das zur Verhandlung stehende nicht er-
strecken könne, so habe das Urteil den Gedanken des Reklamanten
mißverstanden, der lediglich den Wunsch äußere, daß die japanischen
Prisengerichte die neueste Entwickelung des Völkerrechts zum Vorbild
nehmen und nicht an veralteten Gewohnheiten kleben, sondern neue
Präzedenzen schaffen würden.
202
Prisengerichtsentscheidungen: „Alexander''. Abschnitt VI^^
3. Aus den obigen Gründen könne ein Urteil auf Einziehung
des Schiffes und der Ladung nicht erlassen werden. Wenn daher die
Beschlagnahme für die Zeit gerechtfertigt sein möge, so sei es am
gerechtesten, wenn das Schiff während der Kriegsführung festgehalten
oder in Gebrauch genommen, nach Friedensschluß aber freigegeben
verde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Man könne nicht umhin zu sagen, daß die Argumente des Ver-
treters der Reklamation das Völkerrecht gänzlich außer acht ließen.
Aber gerade so wie sich die Pflicht eines Individuums nicht nach
seinen Vorstellungen von dem in der Körperschaft geltenden Recht be-
stimme, sondern nach den in derselben in Kraft stehenden Gesetzen,
so bestimmten sich auch die Pflichten der Staaten nach dem allgemein
von denselben anerkannten, wirklich in Ausführung befindlichen Recht.
Darüber hinaus bestünden anderen Staaten gegenüber keine Pflichten;
auch könne ein Staat einem anderen solche nicht auferlegen. Da Völker-
recht die Grundsätze und Rechtsbestimmungen seien, welche die Staaten
als in dem Verkehr unter sich zu beobachten anerkannt hätten, so liege
den Staaten die Pflicht ob, diese untereinander zu achten, doch müsse
die Befolgung von der Bedingung der Gegenseitigkeit abhängig gemacht
Verden Es liege daher keinerlei Grund vor, weshalb Japan in dem
gegenwärtigen Krieg mit Rußland, dessen Marine japanische Handels-
schiffe, ohne daß ies nachgewiesen sei, daß sie Konterbandetransport
betrieben oder von dem Kriege Kenntnis gehabt hätten, sobald sie die-
selben getroffen hätten, auf der Stelle in den Grund gebohrt habe,
die unter den Mächten, von Rußland nicht zu reden, nicht ausgeführten
Ansichten der Wissenschaft von sich aus allein unter Abweichung von
der bisherigen völkerrechtlichen Praxis anwenden und feindliche Schiffe
von der Beschlagnahme befreien und so dem Feinde Vorteil gewähren
solle.
Der Umfang der Rechte der Kriegsführung beschränke sich nicht
auf den Austausch von Kanonenfeuer mit dem Feind. Vielmehr sei
es von den zivilisierten Mächten als jetzt geltendes Kriegsvölkerrecht
allgemein anerkannt, daß ein Staat das Recht habe, wenn er ein feind-
liches Gebiet besetzt habe, der feindlichen Bevölkerung gegenüber Requi-
sitionen auszuführen und Geldkontributionen einzutreiben und auf der
See feindliche Schiffe, auch solche, die Privateigentum seien, mit Be-
schlag zu belegen. Mit Rücksicht auf diese Tatsachen sei oben gesagt
worden, daß der Reklamant das Völkerrecht in seinen Ausführungen
außer acht gelassen habe.
Bezüglich der anderen Berufungsgründe erübrige sich eine Er-
widerung mit Rücksicht auf das schon in den Protokollen der mündHchen
203
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Alexander^'.
Verhandlung ausfuhrlich Gesagte, und die Berufung müsse daher schließ-
lich als gänzlich unbegründet abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Der Reklamant behauptet in seinem ersten Berufungspunkt,
daß Bestimmungen, wie die von dem internationalen Völkerrechts-
kongreß in Turin im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung als
Richtschnur für das gegenwärtige Völkerrecht angesehen werden müßten
und daß danach das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung,
wenn sie auch feindliches Privatvermögen seien, nicht eingezogen werden
dürften.
Da das Prisengericht nicht wie ein Landesgericht, das die Gesetze
seines Landes zu beobachten habe, an die Bestimmungen des Völker-
rechts gebunden sei, so müsse es, von fortschrittlichen Prinzipien ge-
leitet, welche über die bestehenden Völkerrechtsregeln hinausragten,
ein neues Beispiel geben, indem es seine Entscheidung nach den Um-
ständen des Falls abgebe.
Da aber das zurzeit bestehende Völkerrecht die Beschlagnahme
von feindlichen Schiffen und feindlichem Gut auf feindlichem Schiff
zuläßt, so kann der Wunsch, daß die Beschlüsse eines internationalen
Völkerrechtskongresses, welche bis jetzt nicht als Völkerrecht gelten,
befolgt, das in Kraft stehende Völkerrecht außer acht gelassen und
dem Fall entsprechend entschieden werde, nicht als eine Berufungs-
begründung angesehen werden.
2. Im zweiten Punkt sagt der Vertreter der Reklamation, daß der
zur Verhandlung stehende Dampfer die Aufgabe gehabt habe, für den
Reklamanten die Lieferungen für den Walfisch- und sonstigen Fischfang-
betrieb auszuführen und den Fangertrag zu vertreiben. Er diene dem-
nach dem Handelsbetrieb und müsse als ein Handelsdampfer behandelt
werden. Daher stehe ihm die Vergünstigung der Kaiserlichen Verord-
nung Nr. 20 vom Jahre 1904 zu. Ferner erwarte er, daß die neuere
Entwicklung des Völkerrechts zum Vorbild genommen und eine neue
Präzedenz geschaffen werde, nach der auch Hochseefischereifahrzeuge,
wie das zur Verhandlung stehende, von der Beschlagnahme aus-
genommen würden.
Diese Kaiserliche Verordnung ist aber zum Schutze des Handels-
verkehrs geschaffen worden und findet auf ein Fischereifahrzeug, wie
das vorliegende, keine Anwendung. Da der Antrag, eine neue Präze-
denz zugunsten der Befreiung der Hochseefischereifahrzeuge von der
Beschlagnahme zu schaffen, lediglich ein Wunsch des Reklamanten ist,
so ist auch Punkt 2 der Berufung unbegründet.
3. Punkt 3 der Berufung behauptet, wenn auch die Beschlagnahme
des zur Verhandlung stehenden Dampfers und seiner Ladung für die
204
Pritragerichtseiitscheldungeii: „Michael". Abschnitt VI 7
Zeit gerechtfertigt sein möge, so sei es doch am gerechtesten, das Schiff
während der Kriegszeit festzuhalten oder in Gebrauch zu nehmen,
nach dem Friedensschluß aber freizugeben.
Dieses Vorbringen des Prozeßvertreters ist jedoch nur ein privater
Wunsch, der nicht als Begründung der Berufung angesehen werden
kann.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. Juni 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommandit-
gesellschaft des Grafen H. H. Keyserling in St. Petersburg, Rußland,
vertreten durch den Direktor Frederic Groß.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
Irii der Prisensache betreffend den russischen Dampfer .»Michael"
und seine Ladung wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Michael" und die an Bord befindlichen Güter,
nämlich 150 Tons Walfischtran, 500 Tons Salz, 110 Tons Fisenstangen,
1 Ton Walfischbarten, 200 Pikul Walfischfleisch und Knochenmehl, 100
Pikul Walfischknochen, 10000 leere Säcke, 4 Walfischnetze, werden
eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Michael'' steht im
Figentum der Pacifischen Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft,
sein Heimatshafen ist Wladiwostok in Rußland, er führt die russische
Flagge und ist eines der Hochseefischereifahrzeuge, welche die genannte
Gesellschaft für ihr Hauptgewerbe, die Herstellung von Walfisch-
produkten, gebraucht. Er ist am 8. Februar 1904 von Chyang-chyön-
dong in Korea abgefahren und auf der Fahrt nach Shanghai am 10. des-
^elben Monats, nachmittags 2 Uhr, auf 35« 10' n. Br. und 129 o 20'
ÖL, also an einem von der" koreanischen Küste 51/2 Seemeilen ent-
fernten Ort, von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Miyako" be-
>chlagnahmt worden. Zur Zeit der Aufbringung befanden sich an
205
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Michael".
Bord die in der Urteilsformel aufgeführten Güter, Walfischtran und
7 andere Warensorten.«
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und das
Güterverzeichnis des Kommandanten der „Miyako'^ T o j i n a i S o j i r o ,
die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns des Dampfers „Michael", Wil-
helm Lewerdowitsch und des Offiziers Richard Nipkin, das
Schiffszertifikat und das Schiffsjournal des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende :
1. Der Dampfer „Michael" sei weder mit Gefechtsausrüstung ver-
sehen, noch habe er zum Konterbandetransport gedient, auch sei keine
Konterbande an Bord.
2. Die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Dampfers
sei an einem von der Küste Koreas, welches gegenwärtig von Japan
als neutraler Staat angesehen würde, 4 Seemeilen entfernten Ort ge-
schehen, also innerhalb der 6 Seemeilen, welche der Völkerrechtskongreß
in Paris im Jahre 1895 für neutrales Hoheitsgewässer erklärt habe.
3. Zur Zeit der Aufbringung^ des genannten Dampfers sei der
zwischen Japan und Rußland bestehende Kriegszustand noch nicht be-
kannt gewesen.
4. Wie auf dem Lande das Privat vermögen für unverletzlich gelte,
so müsse derselbe Grundsatz auch für die See angewandt werden.
5. Das genannte Schiff sei freilich ein Hochseefischereischiff. Da
es aber nicht zum Konterbandetransport gedient, auch keine Konter-
bande an Bord gehabt habe und somit ein harmloses Fahrzeug sei,
so müsse es nach dem Prinzip, welches Küstenfischereiboote von der
Beschlagnahme ausnehme, freigegeben werden.
6. Da der Krieg lediglich die Staaten als solche berühre, so könnten,
bevor der Krieg bekannt sei, die Untertanen nicht direkt dadurch beein-
flußt werden. Die vorliegende Beschlagnahme sei aber vor Bekannt-
werden des Krieges geschehen.
7. Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 1) sei dem
Gedanken entsprungen, Schiffe, welche von der Kriegseröffnung keine
Kenntnis gehabt hätten, von der Beschlagnahme auszunehmen. In
gleicher Weise dürften daher auch Schiffe, welche, wie das zur Ver-
handlung stehende ohne Kenntnis vom Kriege, wenn auch nach einem
neutralen^) Hafen, abgefahren seien, nicht beschlagnahmt werden, und
der Dampfer „Michael" und seine ganze Ladung seien freizugeben.
Die von dem Prozeß Vertreter in den Punkten 1, 2, 3 und 4 an-
geführten Argumente sind im wesentlichen der Inhalt der von dem Kon-
greß für internationale Rechtswissenschaft in Turin im Jahre 1882 be-
schlossenen Prisenordnung.
1) I. — ^ § 3 der Verordnung bezieht sich nur auf solche Schiffe, welche nach
japanischen Häfen fahren.
206
Prteengerichtsentscheidungen : „Michael'*. Abschnitt VI^
Der Staatsanwalt erwidert hierauf im wesentlichen, daß die Aus-
sagen des Prozeßvertreters sämtlich unbegründet seien und daß auf
Einziehung des Schiffs und seiner ganzen Ladung erkannt werden müsse.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Prozeßvertreter zieht hauptsächlich die Beschlüsse von Völker-
rechtskongressen an und beantragt ein Urteil auf Grund derselben.
Nach dem tatsächlich zurzeit bestehenden Völkerrecht können jedoch
unfraglich feindliche Schiffe zur Kriegszeit beschlagnahmt werden, gleich-
viel ob sie mit Gefechtsrüstung versehen sind; zum Kriegskonterbande-
transport dienen; solche an Bord haben, von der Kriegseröffnung
Kenntnis gehabt haben oder nicht; gleichviel auch ob die Beschlagnahme
vor Veröffentlichung der Kriegserklärung erfolgt oder nicht. Darüber,
daß der Dampfer „Michael" ein feindliches Schiff ist und daß die Be-
schlagnahme nach Eröffnung des Krieges geschehen ist, kann aber kein
Streit aufkommen.
Da ferner die Beschlagnahme in 51/2 Seemeile Entfernung von der
koreanischen Küste erfolgt ist und die Völkerrechtspraxis einen Rayon
von 3 Seemeilen als Hoheitsgewässer betrachtet, so ist die Beschlag-
nahme des genannten Dampfers auf offener See geschehen. Selbst
Tenn man aber annehmen wollte, sie sei innerhalb der Hoheitsgewässer
Koreas vorgenommen, so ist es doch klar, daß Korea nach seiner
derzeitigen tatsächlichen Lage nicht als neutrales Land betrachtet werden
kann.
Der Reklamant bringt vor, daß nach demselben Gedanken, welcher
die Küstenfischereiboote *) von der Beschlagnahme ausnehme, auch das
zur Verhandlung stehende Schiff freizugeben sei. Die völkerrechtliche
Praxis jedoch, welche die kleinen Küstenfischereiboote von der Beschlag-
nahme ausschließt, ist im wesentlichen aus dem Motiv entsprungen^
die am Kriege nicht beteiligte arme Bevölkerung vor Not zu bewahren,
und kann sich daher nicht auf ein im Eigentum einer Gesellschaft
stehendes, zur Hochseefischerei dienendes Schiff, wie den Dampfer
.^Wchael", erstrecken. •
Ferner behauptet der Reklamant, das zur Verhandlung stehende
Schiff sei nach dem der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904
zugrunde liegenden Gedanken freizugeben. Es ist aber unbestreitbar,,
daß die genannte Kaiserliche Verordnung nur an den Schutz von Handels-
schiffen denkt, welche mit einem japanischen Hafen in Handelsverkehrs-
beziehungen begriffen sind. Auf einen Fischereidampfer, wie den zur
Verhandlung stehenden, welcher keitien Handelsverkehr betreibt und
außerdem von einem ausländischen nach einem ausländischen Hafen
fährt, kann die Vergünstigung der genannten Kaiserlichen Verordnung
nicht ausgedehnt werden.
*) V. § 35, 1.
207
Abschnitt VI 7 Prisengerichtsentscheidungen: „Wchael'*.
Da demnach alle Behauptungen des Vertreters der Reklamation
unbegründet sind, so muß der zur Verhandlung stehende Dampfer
„Michael" eingezogen werden.*)
Da ferner die auf demselben befindlichen Güter, nämlich Walfisch-
tran und sieben andere Güterarten, erwiesenermaßen feindliches Out
sind, so müssen sie gleichfalls eingezogen werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommandit-
gesellschaft des Grafen H. H. Keyserling in St. Petersburg, Rußland,
vertreten durch den Direktor Frederic Groß.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den am 10. Februar 1904 auf 35 ^^ 10' n. Br. und
1290 20' ö. L., also in einer Entfernung von 5 Seemeilen von der korea-
nischen Küste von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Miyako"
aufgebrachten russischen Dampfer „Michael" ein Urteil gefällt, in
welchem auf Einziehung desselben sowie seiner Ladung von 150 Tons
Walfischtran, 500 Tons Salz, 110 Tons Eisenstangen, 1 Tons Walfisch-
barten, 200 Pikul Walfischfleisch und Knochenmehl, 100 Pikul Wal-
fischknochen, 10000 leere Säcke und 4 Walfischnetze erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Masushima Rokui-
chiro als Prozeßvertreter des Reklamanten, der durch ihren Direktor
Frederic Groß vertretenen Pacifischen Walfisch- und Fischerei-Kom-
manditgesellschaft des Grafen H.H.Keyserling, die Berufung ein-
gelegt, welche im Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation
Masushima Rokuichiro und deren Begründung sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts zu Sasebo sei gesetzwidrig. Es
werde Verwerfung desselben und Freilassung des zur Verhandlung
stehenden Schiffes und seiner Ladung beantragt, und zwar aus fol-
genden Gründen:
*) V. § 40. . ,. .
208
Priaengerichtsentscheidungen: ,,Mlchael". Abschnitt VI^
1. Das Völkerrecht sei kein Gesetz, es fehle an einem Gesetz-
geber, wie er bei den einzelnen Staaten vorhanden sei. Die Richt-
schnur für dasselbe sei in den Erklärungen der Regierungen der ver-
schiedenen Mächte und den Beschlüssen von Gelehrten zu suchen.
Daher sei die von dem internationalen Völkerrechtskongreß in Turin im
Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung und der 1885 von dem
Völkerrechtskongreß in Paris beschlossene Abänderungsentwurf als
Richtschnur für das jetzt geltende Völkerrecht anzunehmen. Nach dem
letzten Teil des Artikel 4 der genannten Seeprisenordnung könne Privat-
vermögen, wie das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung,
obgleich feindliches Gut, nicht beschlagnahmt werden.
Da das Prisengericht von einem Landesgericht verschieden und
nicht, wie ein , an seine Landesgesetze gebundenes Landesgericht an
die Bestimmungen des Völkerrechts gebunden sei, so müsse es, von
fortschrittlichen Prinzipien geleitet, welche über die bestehenden Völker-
rechtsregeln hinausragten, ein neues Beispiel geben, indem es seine
Entscheidung nach den Umständen des Falls abgebe.
2. Da die Beschlagnahme vor der Bekanntmachung der Kriegs-
trklärung erfolgt, die Kriegseröffnung dahei; nicht bekannt gewesen
>ei. so müsse Freigabe erfolgen. Daß ein kriegführender Staat bei Er-
öffnung des Krieges eine Kriegserklärung nicht abzugeben brauche,
beziehe sich nämlich nur auf den gegnerischen Staat als solchen. Denn
es seien die Staaten als solche, welche zu einander in das Kriegsverhältnis
traten, die Individuen stünden hierzu in keiner direkten Beziehung.
3. Die Beschlagnahme sei in koreanischem Gebiet erfolgt und sei
unrechtmäßig, weil Korea ein neutraler Staat sei. Das Urteil erster
Instanz behaupte einfach, Korea sei tatsächlich kein neutraler Staat,
ohne jedoch diese Behauptung irgendwie zu begründen.
4. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß die Vergünstigung
vier Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 auf den vor-
iicjenden Fall keine Anwendung finden könne. Da jedoch der Gedanke,
JUS dem die genannte Verordnung hervorgegangen sei, der sei, feind-
liche Schiffe, die von dem Kriege keine Kenntnis gehabt hätten, zu
schützen, so müsse sie auch auf Schiffe, wie das zur Verhandlung
>tehende, welches von dem Kriege keine Kenntnis gehabt habe, zur
Anwendung gebracht werden.
5. Aus den obigen Gründen könne ein Urteil auf Einziehung
Ges Schiffes und der Ladung auf keinen Fall erlassen werden. Wenn
<laher die Beschlagnahme für die Zeit gerechtfertigt sein möge, so
mde man am billigsten verfahren, wenn man das Schiff während der
Kriegszeit festhalte oder in Gebrauch nehme, nach Friedensschluß aber
freigebe.
IfArstrAnd-Mechlenburff, Das Japanisoho Prisenrecht. Band I. (14) 209
Abschnitt VI 7 Prisengerichtsentscheidungen: ,,Michae1'^
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Der Reklamant stütze sich lediglich auf Beschlüsse von inter-
nationalen Völkerrechtskongressen und behaupte, daß feindliche Schiffe,
wenn sie keine Gefechtsrüstung trügen, nicht zum Konterbandetransport
dienten, keine Konterbande an Bord hätten und von der Kriegseröffnung
keine Kenntnis hätten, nicht beschlagnahmt werden könnten.
Es bedürfe jedoch keiner weiteren Erörterung, daß derartige Aus-
führungen in den zurzeit unter den zivilisierten Staaten zur Anwendung-
kommenden völkerrechtlichen Bestimmungen und Gewohnheiten keine
Unterstützung fänden. Daher sei die Berufung in allen Punkten un-
begründet und müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Michael'' steht im
Eigentum der Pacifischen Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft
in St. Petersburg, Rußland, sein Heimatshafen ist Wladiwostok, er führt
die russische Handelsflagge und wird im Betriebe eines Unternehmens
zur Herstellung von Walfisch produkten verwandt. Am 10. Februar 1904,.
also nach Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Rußland, wurde
er auf der Reise von Chyang-Chyön-dong nach Shanghai auf 35^ 10'
n. Br. und 129 <* 20' ö. L., also in einer Entfernung von mehr als 5 See-
meilen von der koreanischen Küste, von dem Kaiserlich Japanischen
Kriegsschiff „Miyako'' mit Beschlag belegt.
Es ist erwiesen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff feind-
lich und die darauf befindlichen Güter, Walfischtran und sieben andere
Güterarten, feindliche Güter auf feindlichem Schiff sind.
Der Reklamant behauptet in seinem ersten Berufungspunkt, daß
Bestimmungen, wie die von dem internationalen VölkerrechtskongreR
in Turin im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung als Richtschnur
für das gegenwärtige Völkerrecht anzusehen seien und daß danach
das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung, wenn sie auch
feindliches Privatvermögen seien, nicht eingezogen werden dürften.
Da das Prisengericht nicht wie ein Landesgericht, das die Gesetze
seines Landes zu befolgen habe, an die Bestimmungen des Völkerrechts
gebunden sei, so müsse es, von fortschrittlichen Prinzipien geleitet,,
welche über die bestehenden Völkerrechtsregeln hinausragten, ein neues
Beispiel geben, indem es seine Entscheidung nach den Umständen des
Falls abgebe.
Da aber das zurzeit bestehende Völkerrecht die Beschlagnahme
von feindlichen Schiffen und feindlichem Gut auf feindlichem Schiff
gutheißt, so kann der Vorschlag, daß den Beschlüssen eines inter-
nationalen Völkerkongresses, welche bis jetzt nicht als Völkerrecht gelten,
Folge geleistet und das in Anerkennung stehende Völkerrecht außer
210
Prisongerichtsentscheidungen : „Michael". Abschnitt VI^
acht gelassen und dem Fall entsprechend entschieden werde, nicht als
eine Berufungsbegründung anerkannt werden.
In Punkt 2 bringt der Reklamant vor, daß die Beschlagnahme
vor Bekanntmachung der Kriegserklärung erfolgt sei und daß daher
das Schiff, weil es von der Kriegseröffnung keine Kenntnis gehabt
habe, freizugeben sei.
Es ist aber völkerrechtlich anerkannt, daß es zur Kriegseröffnung
der Veröffentlichung einer Kriegserklärung nicht bedarf, daß vielmehr,
Tenn nur der Krieg eröffnet ist, gleichviel ob die feindlichen Staats-
angehörigen darum wissen oder nicht, der kriegführende Staat diesen
gegenüber sein Beschlagnahmerecht ausüben kann. Daher ist Punkt 2
der Berufung unbegründet.
Der Punkt 3 der Berufung macht geltend, daß die Beschlagnahme,
«ei! in den neutralen koreanischen Hoheitsgewässern ausgeführt, wider-
rechtlich sei. Korea hat aber für den Krieg zwischen Japan und Ruß-
land von Anfang an zu der Landung und dem Passieren der japanischen
Truppen in seinem Gebiet seine Zustimmung gegeben. Auch hat sich
der Krieg anfangs innerhalb des Hoheitsgebiets von Korea abgespielt.
Daher kann Korea nicht als neutraler Staat im gewöhnlichen Sinne
des Worts erachtet werden und Punkt 3 der Berufung ist unbegründet.
In Punkt 4 wird gesagt, daß der in der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20 vom Jahre 1904 zum Ausdruck gekommene Gedanke, feindliche
Schiffe, welche von der Kriegseröffnung keine Kenntnis hätten, zu
schützen, auf das zur Verhandlung stehende Schiff angewandt werden
müsse.
Die Fahrt des zur Verhandlung stehenden Schiffes deckt sich aber,
vie aus dem Wortlaut klar hervorgeht, nicht mit einem der Fälle der
§§ 1 bis 3 der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 und
eine Anwendung dieser Verordnung auf Schiffe, welche, wie das in
Frage stehende, von einem Platz außerhalb Japans nach einem solchen
fahren, ist unzulässig. Deshalb ist auch Punkt 4 der Berufung un-
begründet.
Punkt 5 der Berufung behauptet, daß man, wenn die Beschlag-
nahme für die Zeit gerechtfertigt sein möge, am billigsten verfahren
Türde, wenn man das Schiff während der Kriegszeit festhielte oder in
Gebrauch nehme, nach Friedensschluß aber freigebe.
Dieses Vorbringen des Prozeßvertreters ist jedoch lediglich ein
Privatwunsch, der nicht als Begründung der Berufung angesehen werden
bnn.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 16. Februar 1905.
(Unterschriften.)
(14*) 211
Abschnitt VI< Prisen gerichtsentscheidungen : „Nikolai".
Reklamant: Die Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommandit-
•gesellschaft des Grafen H. H. Keyserling in St. Petersburg, Ruß-
land, vertreten durch den Direktor Frederic Groß.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
In der Prisensache betreffend den russischen Dampfer „Nikolai"
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Nikolai" und die an Bord befindlichen 6500 Fun ^)
koreanischen Geldes werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Nikolai" steht im Eigen-
tum der Pacifischen Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft, sein
Heimatshafen ist Wladiwostok in Rußland, er führt die russische Flagge
und ist eines der Hochseefischereifahrzeuge, welche die genannte Ge-
sellschaft für ihr Hauptgewerbe, den Walfischfang gebraucht. Er ist
am 8. Februar 1904 von Chyang-chyön-dong in Korea abgefahren und
auf der Fahrt nach Shanghai arn 10. desselben Monats auf 35<^ 7' n. Br.
und 1290 15' ö. L., also an einem von der koreanischen Küste 4 See-
meilen entfernten Ort von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff
„Miyako" beschlagnahmt worden. Das Schiff war ohne Ladung, hatte
aber 6500 Fun koreanischen Geldes an Bord.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
das Güterverzeichnis des Kommandanten der „Miyako", T o j i n a i
Sojiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns des Dampfers „Niko-
lai", Gustav Beising und des Harpuniers Niels Nielsen, durch
das Schiffszertifikat und das Journal des genannten Dampfers sowie die
Geschäftsbücher über den Walfischfang.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
1. Der Dampfer „Nikolai" sei weder mit Gefechtsausrüstung ver-
sehen, noch habe er zum Konterbandetransport gedient; auch sei keine
Konterbande an Bord.
2. Die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Dampfers
sei an einem von der Küste Koreas, welches gegenwärtig von Japan
als neutraler Staat angesehen werde, 4 Seemeilen entfernten Ort, d. h.
nach den Beschlüssen des Völkerrechtskongresses in Paris im Jahre 1895
in den Hoheitsgewässern eines neutralen Staats geschehen.
3. Zur Zeit der Aufbringung des genannten Dampfers sei der
zwischen Japan und Rußland bestehende Kriegszustand noch nicht
bekannt gewesen.
1) 100 Fun = etwa 37 Pfennige.
212
Prisengeiichtsentscheidungen: „Nikolai". Abschnitt VI>
4. Wie auf dem Lande das Privatvermögen für unverletzlich gelte,
so müsse derselbe Grundsatz auch für die See angewandt werden.
5. Das genannte Schiff sei freilich ein Hochseefischereischiff. Da
es aber nicht zum Konterbandetransport gedient, auch keine Konterbande
an Bord gehabt habe und somit ein harmloses Fahrzeug sei, so müsse
es nach dem Prinzip, welches Küstenfischereiboote von der Beschlag-
nahme ausnehme, freigegeben werden.
6. Da der Krieg lediglich die Staaten als solche berühre, so könnten,
bevor der Krieg bekannt sei, die Untertanen nicht direkt dadurch beein-
flußt werden. Die vorliegende Beschlagnahme sei aber vor Bekannt-
werden des Krieges geschehen.
7. Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 sei dem
Gedanken entsprungen, Schiffe, welche von der Kriegseröffnung keine
Kenntnis gehabt hätten, von der Beschlagnahme auszunehmen. In
gleicher Weise dürften daher auch Schiffe, welche, wie das zur Ver-
handlung stehende, ohne Kenntnis vom Kriege, wenn auch nach einem
neutralen*) Hafen, abgefahren seien, nicht beschlagnahmt werden, und
Der Dampfer „Nikolai" und das auf ihm befindliche Geld seien frei-
zugeben
Die von dem Prozeß Vertreter in den Punkten 1, 2, 3 und 4 an-
c^eführten Argumente sind im wesentlichen der Inhalt der von dem
Kongreß für internationale Rechtswissenschaft in Turin im Jahre 1882
beschlossenen Seeprisenordnung.
Der Staatsanwalt erwidert hierauf im wesentlichen, daß die Aus-
sagen des Prozeßvertreters sämtlich unbegründet seien und daß auf
Einziehung des Schiffs und des an Bord befindlichen koreanischen
Geldes erkannt werden müsse.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Prozeßvertreter zieht hauptsächlich die Beschlüsse von Völker-
rechtskongressen an und beantragt ein sich darauf gründendes Urteil.
Nach dem tatsächlich zurzeit bestehenden Völkerrecht können jedoch
unfraglich feindliche Schiffe zur Kriegszeit beschlagnahmt werden,^)
gleichviel, ob sie mit Gefechtsausrüstung versehen sind; zum Kriegs-
konterbandetransport dienen; solche an Bord haben; von der Kriegs-
eröffnung Kenntnis gehabt haben oder nicht, gleichviel, auch ob die
Beschlagnahme vor der Veröffentlichung der Kriegserklärung erfolgt
'der nicht. Darüber, daß der Dampfer „Nikolai" ein feindliches Schiff
:^t und daß die Beschlagnahme nach Eröffnung des Krieges geschehen
i>t, icann aber kein Streit aufkommen.
Da ferner die Beschlagnahme in 4 Seemeilen Entfernung von
*) § 3 der Kaiserlichen Verordnung bezieht sich nur auf solche Schiffe, die nach
einem japanischen Hafen fahren.
') V. §§ 1 und 35.
213
Abschnitt vi * Prisengerichtsentspheidungen : „Nikolai".
der koreanischen Küste erfolgt ist und die Völkerrechtspraxis einen
Rayon von 3 Seemeilen als Hoheitsgewässer betrachtet, so ist die Be-
schlagnahme des genannten Dampfers auf offener See geschehen. Selbst
wenn man aber annehmen wollte, sie sei innerhalb der Hoheitsgewässer
Koreas vorgenommen, so ist es doch klar, daß Korea nach seiner
derzeitigen tatsächlichen Lage nicht als ein neutrales Land betrachtet
werden könne.
Der Reklamant bringt vor, daß nach demselben Gedanken, welcher
die FCüstenfischereiboote von der Beschlagnahme ausnehme, auch das
zur Verhandlung stehende Schiff freizugeben sei. Die völkerrechtliche
Praxis jedoch, welche die kleinen Küstenfischereiboote von der Beschlag-
nahme ausschließt, ist im wesentlichen aus dem Motiv entsprungen, die
am Kriege nicht beteiligte arme Bevölkerung vor Not zu bewahren,
und kann sifch daher nicht auf ein im Eigentum einer Gesellschaft
stehendes, zur Hochseefischerei dienendes Schiff, wie den Dampfer
„Nikolai'S erstrecken.
Ferner behauptet der Reklamant, das zur Verhandlung stehende
Schiff sei nach dem der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre
1904 zugrunde liegenden Gedanken freizugeben. Es ist aber un-
bestreitbar, daß die genannte Kaiserliche Verordnung nur an den Schutz
von Handelsschiffen denkt, welche mit einem japanischen Hafen in
Handelsverkehrsbeziehungen begriffen sind. Auf einen Fischereidampfer,
wie den zur Verhandlung stehenden, welcher keinen Handelsverkehr be-
treibt und außerdem von einem ausländischen Hafen nach einem aus-
ländischen Hafen fährt, kann die Vergünstigung der genannten Kaiser-
lichen Verordnung nicht ausgedehnt werden.
Da demnach alle Behauptungen des Vertreters der Reklamation
unbegründet sind, so muß der zur Verhandlung stehende Dampfer
„Nikolai" eingezogen werden.*)
Da ferner die auf demselben befindlichen 6500 Fun koreanischen
Geldes erwiesenermaßen feindliches Gut sind, so müssen sie gleich-
falls eingezogen werden.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
*) V. § 40.
214
PriseBgerichtsentscheidungen: „Nikolai''. Abschnitt VI «
Reklamant: Die Pacifische Walfisch- und Fischerei-Kommandit-
gesellschaft des Grafen Keyserling in St. Petersburg, Rußland, ver-
treten durch den Direktor Frederic Groß.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
Am 26. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den am 10. Februar 1904 auf 35 « 7 ' n. Br. und 129 » 15 '
ö. L, also in einer Entfernung von SVe Seemeilen von der koreanischen
Küste von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Miyako" auf-
gebrachten russischen Dampfer „Nikolai'' ein Urteil gefällt, in welchem
auf Einziehung des Dampfers sowie der ihm zugehörigen 6500 Fun
koreanischen Geldes erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Masushima Rokui-
chiro als Prozeß Vertreter des Reklamanten, der durch ihren Direktor
Fred er ic Groß vertretenen Pacifischen Walfisch- und Fischerei-
Kommanditgesellschaft des Grafen H. H. Keyserling, die Berufung
eingelegt, welche im Oberprisengericht im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation Masu-
shima Rokuichiro und deren Begründung sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts zu Sasebo sei gesetzwidrig. Es werde
VePKerfung desselben und Freilassung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes und seiner Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Das Völkerrecht sei kein Gesetz, denn es fehle an einem Gesetz-
geber, wie er bei den einzelnen Staaten vorhanden sei. Die Richt-
schnur für dasselbe sei in den Erklärungen der Regierungen der ver-
schiedenen Mächte und den Beschlüssen von Gelehrten zu suchen.
Daher sei die von dem internationalen Völkerrechtskongreß in Turin
im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung und der 1885 von dem
Völkerrechtskongreß in Paris beschlossene Abänderungsentwurf als Richt-
schnur für das jetzt geltende Völkerrecht anzunehmen. Nach dem
letzten Teil des Artikel 4 der genannten Seeprisenordnung könne Privat-
vermögen, wie das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung,
obgleich feindliches Gut, nicht beschlagnahmt werden.
Da das Prisengericht von einem Landesgericht verschieden und
nicht wie ein an seine Landesgesetze gebundenes Landesgericht an
die Bestimmungen des Völkerrechts gebunden sei, so müsse es, von fort-
schrittlichen Prinzipien geleitet, welche über die bestehenden Völker-
rechtsregeln hinausragten, ein neues Beispiel geben, indem es seine Ent-
scheidung nach den Umständen des Falls abgebe.
2. Da die Beschlagnahme vor der Bekanntmachung der Kriegs-
trklärung erfolgt, die Kriegseröffnung daher nicht bekannt gewesen sei,
so müsse Freigabe erfolgen. . Daß ein kriegführender Staat bei Eröffnung
215
Abschnitt VI* Prisengerichtsentscheidungen : „Nikolai'^
des Krieges eine Kriegserklärung nicht abzugeben brauche, beziehe sich
nämlich nur auf den gegnerischen Staat als solchen. Denn es seien
die Staaten als solche, welche zu einander in das Kriegsverhältnis träten,
die Individuen stünden hierzu in keiner direkten Beziehung.
3. Die Beschlagnahme sei in koreanischem Gebiet erfolgt und sei
unrechtmäßig, weil Korea ein neutraler Staat sei. Das Urteil erster
Instanz behaupte einfach, Korea sei tatsächlich kein neutraler Staat,
ohne jedoch diese Behauptung irgendwie zu begründen.
4. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß die Vergünstigung
der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 auf den vor-
liegenden Fall keine Anwendung finden könne. Da jedoch der Ge-
danke, aus dem die genannte Verordnung hervorgegangen sei, der sei,
feindliche Schiffe, die von dem Kriege keine Kenntnis gehabt hätten,
zu schützen, so müsse sie auch auf Schiffe, wie das zur Verhandlung;
stehende, welches von dem Kriege keine Kenntnis gehabt habe, zur
Anwendung gebracht werden.
5. Aus den obigen Gründen könne ein Urteil auf Einziehung des
Schiffes und der Ladung auf keinen Fall erlassen werden. Wenn daher
die Beschlagnahme für die Zeit gerechtfertigt sein möge, so würde man
am billigsten verfahren, wenn man das Schiff während der Kriegszeit
festhalte oder in Gebrauch nehme, nach Friedensschluß aber freigebe.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Vamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Der Berufungsreklamant stelle unter Zugrundelegung der von einem
internationalen Völkerrechtskongreß beschlossenen Seeprisen Ordnung fol-
gende Behauptungen auf:
1. Privat vermögen zur See dürfe wie solches zu Lande nicht be-
schlagnahmt werden.
2. Der Zeitpunkt der in Frage stehenden Aufbringung liege vor
der Veröffentlichung der Kriegserklärung, daher müsse, weil die Tat-
sache der Kriegseröffnung unbekannt gewesen, Freigabe erfolgen.
Da aber das Völkerrecht ein Gewohnheitsrecht sei, welches der
gemeinsamen Anerkennung durch die Mächte entspringe und von den
Staaten in ihren gegenseitigen Beziehungen nach freier Selbstbestimmung
befolgt werde, so könnten natürlich Beschlüsse von internationalen
Völkerrechtskongressen, welche lediglich der Ausdruck von Vorschlägen
Gelehrter seien, keinen Anspruch auf sofortige Anerkennung haben.
Außerdem würde aber kein Grund vorliegen, weshalb Japan allein
gewohnheitsrechtliche Bestimmungen, die von dem Gegner nicht be-
folgt würden, anwenden und durch prinziplose Gewährung von Ver-
günstigungen den Feind besser stellen sollte. Solche Bestimmungen
könnten daher nicht zur Begründung der Freigabe angeführt werden.
3. Der Reklamant behaupte, der Ort, an welchem die Beschlag-
216
Prisengerichtseiitscheidungen: „Nikolai''. Abschnitt VI^
nähme stattgefunden habe, sei innerhalb der koreanischen Hoheits-
gewässer, die Beschlagnahme daher widerrechtlich und es müsse Frei-
gabe erfolgen.
Die Streitfrage über die 3 oder 6 Seemeilen eine Weile beiseite
gelassen und angenommen, daß die Beschlagnahme des zur Verhandlung
stehenden Schiffes in koreanischem Oebietsgewässer erfolgt sei, so könne
man doch Korea nicht als einen neutralen Staat betrachten. Des wei-
teren aber angenommen, Korea sei neutral, so stehe doch das Recht
einer Beschwerde wegen Verletzung seiner Neutralität niemandem außer
dem neutralen Staat selber zu und könne nicht von dem Eigentümer
des feindlichen Schiffes zur Erlangung der Freigabe desselben oder
als Berufungsgrund gegen das Urteil erster Instanz geltend gemacht
werden. Dies um so weniger, als die Beschlagnahme tatsächlich außer-
halb der allgemein als Grenze des Oebietsgewässers anerkannten 3 See-
meilen erfolgt sei.
Punkt 4 der Berufung mache geltend, daß die Kaiserliche Ver-
ordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 auf Schiffe, welche von der Kriegs-
eröffnung keine Kenntnis hätten und nach einem neutralen Hafen zu
fahren im Begriff seien, Anwendung finden müsse. Der Gedanke in-
dessen, der der genannten Kaiserlichen Verordnung zugrunde liege,
sei nicht der, feindliche Schiffe, die von der Kriegseröffnung keine
Kenntnis hätten, zu schützen.
Demnach sei die Berufung in allen Punkten unbegründet und müsse
abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Nikolai" steht im Eigen-
tum der Pacifischen Walfisch- und Fischerei-Kommanditgesellschaft in
St. Petersburg, Rußland, sein Heimatshafen ist Wladiwostok, er führt
die russische Handelsflagge und dient zum Walfischfang. Am 10. Fe-
bruar 1904, also nach Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Ruß-
land, wurde er auf 35^ 7' n. Br. und 129° 15' ö. L, also in einer Ent-
fernung von 3V6 Seemeilen von der koreanischen Küste von dem
Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Miyako" beschlagnahmt.
Es ist erwiesen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff ein
feindliches Schiff und die ihm zugehörigen 6500 Fun feindliches Gut
auf feindlichem Schiff sind.
Der Reklamant behauptet in seinem ersten Berufungspunkt, daß
Bestimmungen, wie die von dem internationalen Völkerrechtskongreß
in Turin im Jahre 1882 beschlossene Seeprisenordnung als Richtschnur
für das gegenwärtige Völkerrecht anzusehen seien und daß danach
das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung, wenn sie auch
feindliches Privatvermögen seien, nicht eingezogen werden dürften.
Da das Prisengericht nicht wie ein Landesgericht, das die Gesetze
217
Abschnitt VI< Prisengerichtsentscheidungen: „Nikolai*^
seines Landes zu befolgen habe, an die Bestimmungen des Völkerrechts
gebunden sei, so müsse es, von fortschrittlichen Prinzipien geleitet,
welche über die bestehenden Völkerrechtsregeln hinausragten, ein neues
Beispiel geben, indem es seine Entscheidung nach den Umständen des
Falls abgebe.
Da aber das zurzeit bestehende Völkerrecht die Beschlagnahme
von feindlichen Schiffen und feindlichem Gut auf feindlichem Schiff
gutheißt, so kann der Vorschlag, daß den Beschlüssen eines internationalen
Völkerrechtskongresses, welche bis jetzt nicht als Völkerrecht gelten,
Folge geleistet und das in Anerkennung stehende Völkerrecht außer
acht gelassen und dem Fall entsprechend entschieden werde, nicht
als eine Berufungsbegründung anerkannt werden.
In Punkt 2 bringt der Reklam'iant vor, daß die Beschlagnahme vor
Bekanntmachung der Kriegserklärung erfolgt sei und daß daher das
Schiff, weil es von der Kriegseröffnung keine Kenntnis gehabt habe,
freizugeben sei.
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß es zur Kriegseröffnung der
Veiöffentlichung einer Kriegserklärung nicht bedarf, daß vielmehr, wenn
nur der Krieg eröffnet ist, gleichviel ob die feindlichen Staatsangehörigen
darum wissen oder nicht, der kriegführende Staat diesen gegenüber
sein Beschlagnahmerecht ausüben kann. Daher ist Punkt 2 der Be-
rufung unbegründet.
Der Punkt 3 der Berufung macht geltend, daß die Beschlagnahme,
weil in den neutralen koreanischen Hoheitsgewässern ausgeführt, wider-
rechtlich sei. Korea hat aber für den Krieg zwischen Japan und Ruß-
land von Anfang an zu der Landung und dem Passieren der japanischen
Truppen in seinem Gebiet seine Zustimmung gegeben. Auch hat sich
der Krieg anfangs innerhalb des Hoheitsgebiets von Korea abgespielt.
Daher kann Korea nicht als neutraler Staat im gewöhnlichen Sinne
des Worts erachtet werden und Punkt 3 der Berufung ist unbegründet.
In Punkt 4 wird gesagt, daß der in der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20 vom Jahre 1904 zum Ausdruck gekommene Gedanke, feindliche
Schiffe, welche von der Kriegseröffnung keine Kenntnis hätten, zu
schützen, auf das zur Verhandlung stehende Schiff angewandt werden
müsse.
Die Fahrt des zur Verhandlung stehenden Schiffs deckt sich aber,
wie aus dem Wortlaut klar hervorgeht, nicht mit einem der Fälle der
§§ 1 bis 3 der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904, und eine
Anwendung dieser Verordnung auf Schiffe, welche, wie das in Frage
stehende, von einem Platz außerhalb Japans nach einem solchen fahren,
ist unzulässig. Deshalb ist auch Punkt 4 der Berufung unbegründet.
Punkt 5 der Berufung behauptet, daß man, wenn die Beschlag-
nahme für die Zeit gerechtfertigt sein möge, am billigsten verfahren
218
Prisengerichtsentscheidungen: „Kotik''. Abschnitt VI*
«ürde, wenn man das Schiff während der Kriegszeit festhielte oder in
Gebrauch nehme, nach Friedensschluß aber freigebe.
Dieses Vorbringen des Prozeßvertreters ist jedoch lediglich ein
Privatwunsch, der nicht als Begründung der Berufung angesehen werden
kann.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 16. Februar 1905.
(Unterschriften.) -
In der Prisensache, betreffend den am 10. Februar 1904 im Hafen
von Yokohama von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „AmaW beschlag-
nahmten Dampfer „Kotik", wird nach Beendigung der Untersuchung
vie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des Dampfers „Kotik" entschieden.
Tatbestand und Gründe:
Dei Dampfer „Kotik" steht im Eigentum der im Fischereigewerbe
in Kamtschatka in Rußland tätigen Kamtschatka Handels- und Industrie-
gesellschaft in St. Petersburg. Sein Heimatshafen ist Wladiwostok, er
hat die Erlaubnis zur Führung der russischen Handelsflagge und dient
der genannten Gesellschaft zum Transportieren des Fischereiertrages,
der Bedarfsartikel der Fischereiplätze und der Fischer. Daneben hatte
er gewöhnlich behördliche Funktionen der russischen Regierung bei
der Kontrolle gegen unerlaubte Fischerei in der See bei Kamtschatka
auszuüben.
Seit dem 25. Dezember 1903 lag der Dampfer im Hafen von Yoko-
hama, wo er nach Eintritt des Kriegszustands zwischen Japan uhd
Rußland am 10. Februar 1904 von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Amaki" beschlagnahmt wurde.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Vernehmungsproto-
kolle des Stellvertreters des Kommandanten des Kaiserlichen Kriegs-
schiffs „Amaki", Kapitänleutnants Kamamura Giki, des früheren
Kommandanten der „Amaki", Fregattenkapitäns Minami Yoshi-
c h i k a , des Chefs der Wasserpolizei in Yokohama, YuasaHidetomi,
des Vertreters des Kapitäns der „Kotik'', 1. Offiziers Uff mann, des
Maschinisten Moji Sotaro, des 2. Oesandtschaftssekretärs, Kawa-
219
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Kotik".
kami Toshihiko, der Inspektoren des Zollamts in Yokohama, K u -
raoko Yoshizo, Fukai Shimpachiro, Shimizu Shokichi
und SaitoTorakichi; ferner durch die Aussageschrift des Fregatten-
kapitäns Minami Yoshichika, die von dem oben erwähnten Stell-
vertreter des Kapitäns übergebenen Schiffspapiere und schriftliche Aus-
sage sowie durch die Obersetzung des Urteils des Landgerichts in
Wladiwostok gegen das Segelschiff „Kiyomasa Maru''.
Die Hauptpunkte der Reklamation der Kamtschatka Handels- und
Industriegesellschaft sind folgende:
Da die „Kotik" ein Schiff sei, welches einem reinen Handels-
betriebe diene, so sei sie juristisch ein einfaches Handelsschiff. Obwohl
ihr daher habe freistehen müssen, auf Grund der Kaiserlichen Ver-
ordnung Nr. 20 vom Jahre 1904^) bis zum 16. Februar d. J. den japa-
nischen Hafen zu verlassen, sei sie rechtswidrigerweise vor Ablauf der
Frist beschlagnahmt worden.
Bei der Entscheidung über die Frage, ob die Beschlagnahme zu
Recht geschehen sei oder nicht, müsse festgestellt werden, ob die „Kotik"
ein reines Handelsscihff oder ein Staatsschiff sei, ferner, wenn sie kein
Staatsschiff sei, ob sie vom Staat die Befugnis zur Ausübung poli-
zeilicher Rechte erhalten habe oder nicht.
Es stehe außer allem Zweifel, daß ein Schiff, um ein Staatsschiff
zu sein, zwei Bedingungen erfüllen müsse, nämlich erstens müsse es
unter dem direkten Aufsichtsrecht der Regierung stehen, d. h. es müsse
ein aufsichtführender Regierungsbeamter an Bord sein; zweitens müsse
es für Zwecke des Staats, das heißt zur Ausübung öffentlicher Rechte,
verwandt werden.
Selbst zugegeben, die „Kotik'' habe polizeiliche Rechte ausgeübt,
so hätte sich dies doch, wie Moji Sotaro's Aussage bezeuge, auf
solche Zeiten beschränkt, zu welchen ein russischer Beamter an Bord
gewesen sei. Wenn das Schiff auch zu Staatszwecken benutzt worden
sei, so könne man es doch für die Zeit, wo kein aufsichtführender
Beamter an Bord sei, nicht als Staatsschiff ansehen, so daß es also mit
Aufhören der zeitweiligen öffentlichen Verwendung sogleich seine Eigen-
schaft als ein öffentliches Fahrzeug wieder verliere.
Als die „Kotik'' beschlagnahmt worden sei, habe sie lediglich
Meeresprodukte nach Japan gebracht gehabt und keinen öffentlichen
Charakter getragen.
Was ferner die Behauptung angehe, die „Kotik" habe Polizei-
befugnisse ausgeübt, so habe nicht der Kapitän, sondern ein russischer
Beamter solche im Auftrage der russischen Regierung ausgeübt,
wobei der Kapitän nur engagiert worden sei. Kurz, die „Kotik" sei von
Ol.
220
Prisengeiichtsentscheidungen : „Kotik". Abschnitt VI®
der russischen Regierung gechartert worden und sei während der Zeit
außer der Ausübung der Polizeirechte ein Handelsschiff, welches von
seinen Eigentümern, einer Erwerbsgesellschaft, für deren Zwecke ver-
wandt worden sei. Daher sei es billigerweise freizugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wie bereits oben gesagt, ist die „Kotik" ein Fischereifahrzeug,
welches zum Transport der Fischereierträge usw. dient. Da ferner
nach der Aussage von KuraokaYoshizo und KawakamiToshi-
hiko Grund zu der Annahme vorliegt, daß das genannte Schiff
auch, wenn kein Beamter an Bord war, behördliche Funktionen aus-
zuüben hatte, so kann das Zeugnis des Moji Sotaro allein nicht
genügen, um die Tatsache, daß das Schiff ganz allgemein die erwähnten
behördhchen Funktionen hatte, umzustoßen. Angesichts dieses
Charakters kann die „Kotik'' nicht aus dem Grunde, daß sie zur Zeit
der Beschlagnahme Meeresprodukte nach Japan geschafft, also zufällig
einmal keine öffentlichen Befugnisse ausgeübt hatte, als ein reines
Handelsschiff angesehen werden.
Aus diesen Gründen muß das Schiff als ein feindliches Schiff
betrachtet werden, 2) auf welches die Kaiserliche Verordnung Nr. 20
keine Anwendung findet. Die Beschlagnahme durch den Kommandanten
des Kaiserlichen Kriegsschiffs „Amaki" ist daher gerechtfertigt, und
da^ Schiff kann nicht freigegeben werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 18. Mai 1904 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
Y 0 s h i o.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Kamtschatka Handels- und Industriegesellschaft
in St. Petersburg, Rußland, vertreten durch die Prokuristen Alexis
Brosroff und Amor Mandl.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Oorai Kinzo, Tokio, Koji-
machiku Fujimicho Shichome Nr. 4, bei Kawamoto Jujiro.
Am 18. Mai 1904 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache betreffend den am 10. Februar 1904 im Hafen von Yokohama
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Amaki" beschlagnahmten russischen
•) V. § 40.
221
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Kotik".
Dampfer ,,Kotik" ein Urteil auf Wegnahme desselben gefällt. Gegen
dieses Urteil haben die Prokuristen der Kamtschatka Handels- und
Industriegesellschaft Alexis Brosroff und Amor Mandl durch
den Rechtsanwalt Gorai Kinzo als Prozeßvertreter die Berufung
eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Gorai Kinzo und deren Begründung sind folgende :
Die genannte Gesellschaft sei tätig im An- und Verkauf von Pelzen
von Seetieren, der Fabrikation von Dünger und von Konserven sowie
im Transportgeschäft; zugleich betreibe sie die Versorgung der Bewohner
von Kamtschatka mit allgemeinen Provisionen; aber der Fischfang sei
ihr Gewerbe nicht. So sei auch die im Eigentum der Gesellschaft
stehende „Kotik" ein Handelsschiff, welches zum Transport der von der
Gesellschaft eingekauften Tierpelze, ihrer Fabrikate sowie zum Passa-
gier- und Güterverkehr diene. Es sei daher eine falsche Auffassung
der Tatsachen, wenn das Gericht erster Instanz das Schiff als ein
Fischereifahrzeug angesehen habe.
Was die der Auffassung des Gerichts zugrunde liegende Tatsache
angehe, daß das Schiff ganz allgemein behördliche Funktionen aus-
geübt haben sollte, so könne das nur für die Zeit gelten, als das
Schiff im Eigentum der Sealskin Company gestanden habe, während
der späteren Zeit habe es diese Obliegenheiten nur ein einziges MaU
am 6. August 1902, ausgeübt, so daß man nicht sagen könne, daß
es dies gewöhnlich tue.
Was ferner die Behauptung betreffe, die „Kotik'' habe zur Kon-
trolle gegen unerlaubte Fischerei gedient, so sei das nur der Fall ge-
wesen, wenn ein Beamter an Bord gewesen sei, und der öffentliche
Charakter des Schiffs sei mit dem Absteigen dieses Beamten sogleich
wieder erloschen. Da das Schiff zur Zeit der Beschlagnahme ein ge-
wöhnliches Handelsschiff gewesen sei, so sei die Beschlagnahme, weil
innerhalb der in der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 für die Abreise
bestimmten Aufschubfrist geschehen, unrechtmäßig und die „Kotik"
müsse freigegeben werden.
Es werde daher Aufhebung des auf Wegnahme lautenden Urteils
des Prisengerichts von Vokosuka und Erlaß einer Entscheidung auf
Freigabe beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, Uchida Shigenari
und Vanagita Kunio sind folgende:
Es gehe aus dem Vernehmungsprotokoll des Stellvertreters des
Kapitäns der „Kotik" sowie aus dem Bericht des Konsuls Nomura
222
Prisengerichtsentscheidungen: „Kotik". Abschnitt VI^
Motonobu an den Minister der Auswärtigen Angelegenheiten hervor,
daß die Kamtschatka Handels- und Industriegesellschaft sich mit der
Ffecherei beschäftige. Die von dem Reklamanten vorgebrachte Be-
hauptung, daß die Kamtschatka Handels- und Industriegesellschaft sich
nie mit Hochseefischerei beschäftigt habe, habe nicht den Wert eines
Gegenbeweises.
Der Verdacht; daß die „Kotik" die Befugnisse gehabt habe, poli-
zeiliche Funktionen auszuüben, werde hinreichend bewiesen, wenn man
folgende Tatsachen nebeneinander halte: Obwohl sich unter dem
6. August 1902, zu welcher Zeit das Schiff an der Kontrolle gegen
unerlaubte Fischerei beteiligt gewesen sei, in dem Schiffsjournal nichts
zum Beweise dafür verzeichnet finde, daß das Schiff von dem Gouverne-
ment engagiert gewesen, sei dasselbe doch zu jener Zeit absichtlich bei
Schiffen, welche unter dem Verdacht unerlaubter Fischerei gestanden
hätten, vor Anker gelegt worden und die Besatzung habe von dem
Gouvernement Auftrag für Visitierungen und Beschlagnahmen gehabt.
Zur Zeit, als die „Kotik" im Eigentum der Sealskin Company gestanden
habe, sei sie oft bei Beschlagnahmen von Schiffen, die unerlaubte
Fischerei betrieben, beteiligt gewesen. Die Kamtschatka Handels- und
Industriegesellschaft betreibe dasselbe Gewerbe wie die Sealskin Com-
pany, insbesondere habe sie auch einen der Hauptangestellten derselben
zu ihrem Prokuristen gemacht. Die gewerbliche Tätigkeit von ganz
Kamtsciiatka werde von ihr monopolisiert und sie genieße einen herr-
schenden Einfluß in der ganzen Gegend.
Da der Reklamant, um diesen Verdacht zu entfernen, kein Beweis-
material beigebracht habe, so sei die Entscheidung erster Instanz zu-
treffend-
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Aus den Eintragungen in das Tagebuch der „Kotik" geht liervor,
daß dieselbe, während sie im Eigentum der Sealskin Company war,
häufig an der Kontrolle gegen Schiffe, welche unerlaubte Fischerei
ausübten, beteiligt gewesen ist und zur Verfolgung, Beschlagnahme und
Arretierung solcher Schiffe gedient hat. Der Reklamant behauptet, daß
solche Vorkommnisse zum größten Teil der Zeit angehörten, wo das
Schiff im Eigentum der Sealskin Company stand und daß das kein
Beweis für das jetzige Bestehen solcher Beziehungen sei. Da aber die
Kamtschatka Handels- und Industriegesellschaft die Nachfolgerschaft
in den Geschäften der Sealskin Company angetreten hat und einer der
nichtigsten Angestellten der letzteren jetzt Prokurist bei der Kamtschatka
Handels- und Industriegesellschaft ist, auch bei der Änderung des Namens
der Eigentümerin die Besatzung des Dampfers keine Änderung der
Verhältnisse bemerkt hat, so ist es schwer anzunehmen, daß die beiden
Gesellschaften zwei ganz verschiedene, nicht zu einander in Beziehung
22ä
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Kotik".
stehende Gesellschaften sein sollten. Zum mindesten kann nach den
Vernehmungsprotokollen der Besatzung nicht angenommen werden, daß
in den Beziehungen der „Kotik'' zu der Kontrolle der unerlaubten
Fischerei eine Änderung eingetreten sei.
Ferner sagt der Reklamant, daß die Verwendung der ,,Kotik"
als Kontrollschiff gegen die unerlaubte Fischerei sich auf die Zeit be-
schränkt habe, wenn ein Beamter an Bord gewesen sei, und daß sie
dann nur vorübergehend als ein im öffentlichen Dienst stehendes Fahr-
zeug gemietet worden sei, daß sie aber diesen öffentlichen Charakter,
sobald der betreffende Beamte das Schiff verlassen, wieder verloren
habe. Es muß aber nach den Eintragungen in dem Schiffsjournal der
„Kotik'' angenommen werden, daß sie, auch ohne von einem Beamten
abhängig gewesen zu sein, die Kontrolle über die unerlaubte Fischerei
ausgeübt hat. Auch findet sich in dem Tagebuch über die jeweilige
Charterung des Schiffes nichts verzeichnet. Auch sonst sind hierfür
keine Beweise vorhanden.
Aus der Tatsache, daß das Schiff am 6. August 1902 absichtlich
böi Schiffen, welche unter dem Verdacht unerlaubter Fischerei standen,
zu Anker gelassen wurde und die Besatzung im Auftrage des Gouverne-
ments an der Visitierung und Beschlagnahme teilnahm, geht es hin-
reichend klar hervor, daß das Schiff der russischen Regierung gegen-
über besondere Verpflichtungen hat.
Kurz, die „Kotik'' ist, weil sie bei auftretender Gelegenheit als
Fischereikontrollschiff verwandt wird und die Verpflichtung hat, für
den Gebrauch zur Ausübung behördlicher Funktionen zur Verfügung
zu stehen, kein gewöhnliches Handelsschiff.
Die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904 findet An-
wendung ausschließlich auf gewöhnliche Handelsschiffe, und ihre Ver-
günstigung kann solchen Schiffen, die der feindlichen Regierung gegen-
über besondere Pflichten haben, nicht zuteil werden.
Demnach ist die Entscheidung des Prisengerichts zu Yokosuka auf
Wegnahme des Dampfers ,;Kotik'' nicht widerrechtlich.
Der Reklamant sowohl wie die Staatsanwälte haben über den
weiteren Punkt, ob die „Kotik" als Fischereifahrzeug anzusehen sei
oder nicht, Erörterungen angestellt. Da aber die Kaiserliche Verordnung
Nr. 20 schon nach dem oben Ausgeführten keine Anwendung finden
kann, so erscheint es überflüssig, auf jenen Punkt einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufjung wird abgewiesen.
Am 1. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
224
Prisengerichtsentscheidungen: „Lesnik". Abschnitt VI^o*
In Sachen der Beschlagnahme des russischen Segelschiffs ,,Lesnik"
und seiner Ladung wird auf Grund des letzten Absatzes des § 16 der
Prisengerichtsordnung, 1) wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Das russische Segelschiff „Lesnik" wird mit seiner ganzen Ladung,
bestehend aus Salz, Säcken, aus Segelleinen und leeren Weinfässern, ein-
gezogen.
Gründe:
Das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung, bestehend
aus Salz und anderen Waren, wurden am 10. Februar 1904 im Hafen '
von Nagasaki von dem zur Besatzung des Kaiserlich Japanischen Kriegs-
schiffs „Ktsuragi'' gehörigen Marineleutnant Yoshi Masune auf Be-
fehl des Kommandanten des genannten Kriegsschiffs mit Beschlag belegt.
Es ist unbestreitbar, daß zur Zeit der Beschlagnahme zwischen
Japan und Rußland Krieg bestand. Eine Bescheinigung des russischen
Konsuls in Nagasaki tut die russische Nationalität des genannten Schiffes
dar. Ferner aber hat nach dem Vernehmungsprotokoll der mit der
Verwahrung des Schiffes betraute Chinese Chim Ming Kiu aus-
gesagt, daß dasselbe ein Walfischfänger sei, welcher im Eigentum des in
Wladiwostok in Rußland ansässigen russischen Staatsuntertanen
„Kasulin", d. i. Graf Keyserling, stehe und daß diesem auch
die Ladung des Schiffes gehöre, welche aus Salz und anderen zum
Einsalzen von Walfischfleisch dienenden Gütern bestünde. Es ist da-
mit reichlich bewiesen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff und
seine Ladung feindlich sind.
Da das genannte Schiff zur Hochseefischerei dient und kein
Handelsschiff ist, so findet die Bestimmung der Kaiserlichen Verord-
nung Nr. 20 vom 9. Februar 1904 2) betreffend die Vergünstigung der
Befreiung von der Beschlagnahme auf dasselbe keine Anwendung. Die
Beschlagnahme ist daher zu Recht erfolgt, und das Schiff und die ge-
samte Ladung sind einzuziehen.
Aus diesen Gründen wird wie in der Urteilsformel entschieden.^)
Bei der vorliegenden Sache haben die Staatsanwälte M i z u k a m i
Chojiro und Vamamoto Tatsurokuro mitgewirkt.
Am 18. April 1904.
(Unterschriften.)
*) IV. — «) I. — 8) V. §§ 35. 40.
)(«ritr»nd-Meohlenburff, Dm jAp»oi8ohe Prisenrecht. B*nd I. (15) 225
Abschnitt VI^^^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Lesnik"^
Reklamant: Serge Lenige, St. Petersburg.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro^
Tokio, Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
Der Reklamant hat in der Prisensache betreffend das russische
Segelschiff „Lesnik" und seine Ladung unter der Behauptung, der Eigen-^
tümer des Schiffes und der Ladung zu sein, am 8. April 1904 mittels-
eines Telegramms die Freigabe derselben beantra'gt.
Ein Telegramm ist keine formgerechte Reklamationsschrift. Frei-
lich hat der Reklamant eine solche am 11. April eingereicht, da dies
aber nach Ablauf der Reklamationsfrist i) fällt, so kann die Reklamations-
schrift nicht angenommen werden.
Daher wird die Reklamation abgewiesen.
Am 18. April 1904.
Der Präsident des Prisengerichts von Sasebo:
(Unterschrift.)«)
Reklamant: Serge Lenige, directeur d'agriculture, wohnhaft
in St. Petersburg.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
Am 18. April 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend das russische Segelschiff „Lesnik" und seine Ladung-
die Abweisung der Reklamation verkündet. Hiergegen hat der oben
genannte Vertreter der Reklamation eine Berufungsschrift unter der
Bezeichnung Beschwerdeschrift eingereicht, welche im Oberprisengericht
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und I s h i w a t a r i
B i n i c h i geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die Reklamation sei auf Grund der am 9. März 1904 im Staats-
anzeiger veröffentlichten Bekanntmachung betreffend die Beschlagnahme
des russischen Segelschiffs „Lesnik" und seiner Ladung innerhalb der
Reklamationsschrift erhoben worden. Da aber die Zeit für die Rekla-
mation gedrängt habe, so sei der Inhalt derselben telegraphisch über-
') IV. § 16. 2.
*) Die obige Abweisung der Reklamation ist kein Urteil, sondern eine Verfügung^
Trotzdem ist die Beschwerde des Reklamanten hiergegen als Berufung angenommen
worden.
Priaengerichtsentscheldungen: „Lesnik*^ Abschnitt VI^^^
mittelt worden, und obwohl dies durchaus eine formgerechte Reklamation
gewesen, sei dieselbe mit der Begründung, daß ein Telegramm keine form-
gerechte Reklamationsschrift sei, abgewiesen worden. Da aber die
Prisengerichtsordnung eine bestimmte Form für die Reklamationsschrift
nicht vorschreibe, genüge es, wenn die Reklamation innerhalb der gesetz-
lichen Frist erhoben sei. Reklamant sei der Ansicht, daß die Frage,
ob die Reklamation telegraphisch oder brieflich erhoben werde, völlig
belanglos sei. Da nun das Vollmachtstelegramm, in welchem der Rekla-
mant den Gegenstand der Reklamation darlege, erst am 6. April 1904,
um 4 Uhr 35 Minuten nachmittags, beim Postamt in Tokio eingetroffen
und darauf dem Vertreter abgeliefert worden sei, so habe es, da selbst
ein dem am selben Abend 9 Uhr 30 Minuten von Shimbashi ab-
gehenden Zug mitgegebener Brief erst am neunten des Monats nach-
mittags oder am 10. vormittags beim Prisengericht in Sasebo zur Be-
stellung gelangt sein würde, kein anderes Mittel für die Erhebung der
Reklamation gegeben als den Telegraphen. Es sei demgemäß zuerst
telegraphisch der Inhalt der Reklamation klar mitgeteilt worden und
^odann die übliche Reklamationsschrift zur Vervollständigung ein-
geschickt worden. Wenn man dies als einen Fall nicht fristgemäßer
Erhebung der Reklamation ansehe, so widerspreche das durchaus dem
Sinn des Gesetzes. Reklamant beantrage daher eine besondere Be-
handlung des Falls und Aufhebung der erstinstanzlichen Verfügung.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Nach § 17 der Prisengerichtsordnung 3) müssen in der Rekla-
mationsschrift die Reklamationspunkte dargelegt und derselben die
Beweisdokumente für dieselbe beigefügt werden. Außerdem muß aber
im Falle, daß die Reklamation von einem Vertreter erhoben wird, nicht
nur ein japanischer Rechtsanwalt bevollmächtigt werden, sondern dieser
muß auch seine Vollmacht mit der Reklamationsschrift zusammen ein-
reichen. Wie nun aus den Akten hervorgeht, so hat der Vertreter
der Reklamation freilich am 8. April 1904 telegraphisch reklamiert,
hat aber einen Beweis dafür, daß er vom Reklamanten bevollmächtigt
Tar, nicht beigebracht. Erst nach Ablauf der Reklamationsfrist, *) nämlich
am 11. desselben iVIonats, hat er eine Reklamationsschrift eingereicht,
welcher seine telegraphische Vollmacht beigefügt war. Die Erhebung
der Reklamation kann daher unzweifelhaft nicht als fristgemäß erachtet
werden. Demgemäß hat das Gericht erster Instanz zu Recht dahin ent-
schieden, daß die Reklamation nach Ablauf der Reklamationsfrist er-
hoben sei, und die vorliegende Berufung ist unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
*) IV. — *) IV. § 16.
(15*) 227
Abschnitt VI" Prisengerichtsentscheidungen : „Hermes'
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 17. Juni 1904.
(Unterschriften.)
in Sachen des beschlagnahmten norwegischen Dampfers „Hermes"
wird nach Einsicht des Schriftsatzes des Staatsanwalts, wie folgt, ent-
schieden.
Urteilsformel:
Der norwegische Dampfer „Hermes'' und seine gesamte Ladung
werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer steht im Eigentum der nor-
wegischen Firma Brunsgaard, Kjößterud & Co., führt die nor-
wegische Handelsflagge und dient vorzugsweise zum Kohlentransport.
Das Schiff ist von neutraler Nationalität, der Kapitän, die Maschinisten
und Offiziere sind alle Norweger. Das Schiff war von der Agentur
der russischen Firma Ginsburg, der Uriu Gesellschaft in .Moji, ge-
chartert worden, nahm am 4. und 5. Februar 1904 2100 tons Kohlen
ein und fuhr am 6. Februar, vormittags um 10 Uhr, ohne zu wissen,
daß an diesem Tage der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland
eingetreten war, von Moji ab. Es traf, auf direkter Fahrt nach Port
Arthur begriffen, am 9. Februar, um 2 Uhr nachmittags auf der Höhe
von Port Arthur 38 <> 24 ' n. Br. und 121 « 48 ' ö. L., mit einem japanischen
Kriegsschiff zusammen. Nachdem es auf Befragen über Ladung und
Bestimmungshafen im Einklang mit den Schiffspapieren Auskunft ge-
geben hatte, wurde ihm Befehl gegeben, direkt nach Nagasaki zu fahren. ^)
Nachdem es in Befolgung dieses Befehls am 13. Februar, um 8 Uhr
vormittags, in Nagasaki eingetroffen war, wurde es am selben Tage, um
8 Uhr 45 Minuten vormittags, von dem Zugführer der dortigen Minen-
legeabteilung, Kapitänleutnant Takamatsu Koshu, besichtigt und
endgültig mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch das Protokoll des Chefs
der Minenlegeabteilung in Nagasaki, Fregattenkapitäns Tsukiyama
S e i c h i , den Bericht des Zugführers der genannten Abteilung, Kapitän-
leutnants Takamatsu Koshu, an den Chef derselben, die
Vernehmungsprotokolle des Kapitäns und 1. Offiziers vom Dampfer
0 V. § 64.
228
Prisengerichtsentscheidungen : „Hermes". Abschnitt V1 1^
„Hermes", das Schiffszertifikat, die Ausklarierungspapiere vom 5. Februar
1904, das Ladungsverzeichnis, die Konnossemente und die Übersetzung
des Schiffsjournals.
Das Gericht ist der Ansicht, daß die* auf dem zur Verhandlung
stehenden Dampfer verschifften Steinkohlen, nach ihrer Menge und nach
dem Bestimmungshafen zu urteilen, unmöglich für den eigenen Gebrauch
des Schiffs bestimmt sein können. Da sie im Falle ihrer Ankunft in
Port Arthur zum Gebrauch für die feindliche russische Kriegsmarine
hätten geliefert werden können, so müssen sie als Kriegskonterbande
betrachtet werden.
Aber nach Ansicht des modernen Völkerrechts können neutrale
Schiffe, welche von der Eröffnung des Krieges nicht unterrichtet waren,
selbst wenn sie Konterbande führen, und ebensowenig auch ihre Ladung
von den kriegführenden Mächten eingezogen werden. ^) Dies ist
schließlich nur eine Anwendung des Grundsatzes, daß die Neutralitäts-
pflicht erst mit Kenntnis von der Kriegseröffnung entsteht. Es liegt
nicht der geringste Grund vor, anzunehmen, daß der zur Verhandlung
stehende Dampfer „Hermes" beim Verlassen Mojis am 6. Februar
1904 oder auch später von dem Eintreten des Kriegszustands zwischen
Japan und Rußland und der Eröffnung des Krieges unterrichtet ge-
wesen sei. Unerwarteterweise wurde ihm auf der Höhe von Port Arthur
von einem japanischen Kriegsschiff der Befehl erteilt, sich direkt nach
Nagasaki zu begeben. Da ihm erst bei dieser Gelegenheit die Kriegs-
eröffnung bekannt wurde, so kann weder der zur Verhandlung stehende
Dampfer noch seine Ladung eingezogen werden.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer ist jedoch von einem
japanischen Kriegsschiff in der See bei Port Arthur am 9. Februar 1904,
nachmittags 2 Uhr, nachdem gerade heftige Gefechte bei Chemulpo
und Port Arthur stattgefunden hatten, wahrgenommen worden. Er
«ar von einer russischen Firma gechartert, führte eine große, als Konter-
bande zu betrachtende Menge Kohlen an Bord, und war auf der Fahrt
nach Port Arthur, dem Hauptflottenstützpunkt Rußlands, begriffen. Die
unter derartigen Verhältnissen ausgeführte Aufbringung des Dampfers
muß für rechtmäßig erachtet werden. ^)
Mit Rücksicht auf diese Tatsachen und Gründe ist, unbeschadet
der Rechtmäßigkeit der erfolgten Beschlagnahme, das zur Verhandlung
stehende Schiff mitsamt seiner Ladung freizugeben.
Gegeben am 7. März 1904 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften der Richter.)
•) V. § 38. - 3) V. § 37. L
229
Abschnitt VIi> Prisengerichtsentscheidungen: „Nadeschda^^.
In Sachen des am 17. Februar 1904 im Hafen von Hakodate
von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Takao" beschlagnahmten
Segelschiffs „Nadeschda" wird nach Beendigung der Untersuchung,
wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Es wird auf Einziehung des Segelschiffs „Nadeschda" erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Das zur Verhandlung stehende Segelschiff steht im Eigentum der
russischen Staatsangehörigen Iphigenie Josephowitsch-Ni-
'kolski, dient vorzugsweise zum Gütertransport, sein Heimatshafen
ist Wladiwostok in Rußland, es hat die Erlaubnis zur Führung der
russischen Handelsflagge und zur Ozeanfahrt zu Handels- und Güter-
. transportzwecken .
Das Schiff ist am 28. November 1903 in Hakodate eingelaufen
und hat seitdem ununterbrochen dort vor Anker gelegen. Am 6. Fe-
bruar 1904 ist der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland ein-
getreten, und am 9. desselben Monats wurde die Kaiserliche Verordnung
betreffend die Befreiung russischer Handelsschiffe von der prisenrecht-
lichen Beschlagnahme^) veröffentlicht, auf Grund deren der Kommandant
des japanischen Kriegsschiffs „Takao" dem zur Verhandlung stehenden
Schiff den Befehl erteilte, die japanischen Hoheitsgewässer innerhalb
der in der Kaiserlichen Verordnung bestimmten Gnadenfrist, d. h. bis
zum 16. Februar, zu verlassen. Als aber das genannte Schiff nach Ab-
lauf der Gnadenfrist noch im Hafen von Hakodate lag, ließ der Kom-
mandant der „Takao'' dasselbe am 17. Februar, morgens 7 Uhr, von
dem zur Besatzung der „Takao" gehörigen Offizier Tajima Joji
auf Grund der japanischen Prisenordnung mit Beschlag belegen.
Diese Tatsachen gehen hervor aus den schriftlichen Berichten des
Kommandanten der „Takao" über die Einzelheiten der Beschlagnahme
und des zur Besatzung der ,,Takao'' gehörigen Offiziers Tajima Joji
über den Akt der Beschlagnahme, dem Schiffahrtserlaubnisschein und
den Vernehmungsprotokollen des Tajima Joji und des Stellvertreters
des Kapitäns der „Nadeschda".
Da nun zu Kriegszeiten, abgesehen von solchen Fällen, wo eine
kriegführende Macht nach eigenem Ermessen die Befreiung feindlicher
Schiffe von der prisenrechtlichen Beschlagnahme festgesetzt hat, die
Möglichkeit der Einziehung feindlicher Schiffe in der Kaiserlich Ja-
panischen Prisenordnung, den völkerrechtlichen Präzedenzfällen und
den Ansichten der Wissenschaft in gleicher Weise anerkannt ist, so
ist das zur Verhandlung stehende Segelschiff einzuziehen, weil es ein
Ol.
230
Prisengerichtsentscheidungen: „Bobrik". Abschnitt VIi3
feindliches Handelsschiffe) ist und die japanischen Hoheitsgewässer nicht
im Verlaufe der in der Kaiserlichen Verordnung vom Februar dieses
Jahres bezüglich der russischen Handelsschiffe von der Beschlagnahme
festgesetzten Gnadenfrist verlassen hat.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 12. Mai 1904 im Prisengericht zu Yokosuka nach Anhörung
der Ansicht des Staatsanwalts Yamakita Kunio.
(Unterschriften.)
In der Prisensache betreffend das am 17. Februar 1904 im Hafen
von Hakodate von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Takao'' beschlag-
nahmte Segelschiff „Bobrik'' wird nach Beendigung der Untersuchung,
wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Einziehung des Segelschiffs „Bobrik" erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Das Segelschiff „Bobrik'' steht im Eigentum der Kamtschatka
Handels- und Industriegesellschaft in St. Petersburg, dient zum
Fischereigewerbe in Kamtschatka, Rußland, sein Heimatshafen ist
Wladiwostok, es hat die Lizenz der russischen Regierung zur Führung
der russischen Handelsflagge und dient der genannten Gesellschaft aus-
schließlich zum Transport der gefangenen Fische, der Bedarfsartikel für
die Fischereiplätze und der Fischer.
Am 19. Oktober 1903 traf das genannte Segelschiff in Hakodate
ein. Seitdem hat es dort ununterbrochen gelegen. Nachdem am 6. Fe-
bruar dieses Jahres der Kriegszustand zwischen Japan und Rußland
eingetreten war, wurde am 9. Februar die Kaiserliche Verordnung i), be-
treffend die Befreiung russischer Handelsschiffe von der Beschlagnahme,
veröffentlicht. Der Kommandant der „Takao'' erteilte dem genannten
Segelschiff sogleich den Befehl, die japanischen Gewässer innerhalb
der in dieser Kaiserlichen Verordnung bestimmten Abfahrtsfrist, d. h.
bis zum 16. Februar, zu verlassen. Auf Grund einer Nachricht vom 12.
Februar, daß ein Teil der russischen Flotte bis in die Nähe des Hafens
von Hakodate vorgestoßen sei, erteilte der Kommandant der „Takao''
am selben Tage, 11 Uhr vormittags, als eine für die Kriegsführung
'^V. § 40. — 1) I.
231
Abschnitt Vif« Prisengerichtsentscheidungen: „Bobrfk".
notwendige Maßnahme durch die Wasserpolizei von Hakodate der
Agentur der „Bobrik" die Order, bis zum Erhalt weiterer Befehle die
Abfahrt nicht auszuführen. Als sich bald darauf herausstellte, daß.
ein Bedürfnis für den Befehl nicht vorlag, wurde derselbe am 13. Fe-
bruar, Q Ühr vormittags, durch Vermittlung der Wasserpolizei wieder
aufgehoben und die Abfahrt bis zum 16. Februar wieder angeordnet.
Am 9. Februar, sogleich nach Empfang der Abfahrtsorder seitens des
Kommandanten der „Takao", fragte die Agentur der „Bobrik" bei der
JFirma Smith, Baker & Co. in Yokohama telegraphisch an, ob sie
eine Mannschaft für die Reise der „Bobrik" anheuern könne oder nicht,
worauf sie eine bejahende Antwort erhielt. Als aber der Befehl kam,
vorläufig nicht abzureisen, stellte die Agentur die Beschaffung der Mann-
schaft wieder ein, und beantragte, sobald sie am 13. Februar den er-
neuten Abfahrtsbefehl erhalten hatte, eine Verlängerung der Abfahrts-
frist. Dies wurde indes von dem Kommandanten der „Takao" abgelehnt.
Als nach Ablauf der gesetzlichen Frist die „Bobrik" die japanischen Ge-
wässer n,icht verlassen hatte, ließ der Kommandant der „Takao" sie am
17. Februar, vormittags 9 Uhr 30 Minuten, durch den zur Besatzung
gehörigen Offizier Tajima Joji auf Grund der japanischen Prisen-
ordnung mit Beschlag belegen.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch den Bericht über die
Einzelheiten der Beschlagnahme des Kommandanten der „Takao", den
Bericht des Offiziers Tajima Joji über die von ihm ausgeführte
Beschlagnahme, das Vernehmungsprotokoll des Chefs der Firma Howell,
John Andrew Wilson, die Schiffahrtserlaubnis der „Bobrik", das-
Antwortschreiben des Kommandanten der „Takao" und die Schreiben
W i 1 s o n ' s an den mit dem Fall beauftragten Prisenrat.
Die Hauptpunkte der Reklamation der Kamtschatka Handels- und
Industriegesellschaft sind folgende:
Die „Bobrik'' sei ein Schiff, welches einer rein privaten Erwerbs-
gesellschaft zur Handelsschiffahrt diene. Daher könne sie nicht ein-
gezogen werden, denn, da die Feindseligkeiten im Kriege sich von einerri
Staat gegen den anderen richteten, so sei es ein Grundgedanke des Völker-
rechts, dieselben nicht auf die einzelnen Personen auszudehnen. Der
schon für Güter zu Lande bestehende Grundsatz der Unverletzlichkeit
des feindlichen Privateigentums übe endlich seinen Einfluß auch auf
das Seekriegsrecht aus, und ungeachtet der bisherigen Praxis, welche
die Aufbringung von feindlichem Privateigentum zur See gutheiße, mache
sich jetzt eine Tendenz bemerkbar, die dies verneine. Diese Tendenz
beschränke sich nicht auf Äußerungen zahlreicher hervorragender Ge-
lehrter und sonstiger Anhänger dieser Ansicht, sondern sei auch von
bedeutenden Staaten wie Deutschland, Österreich, Italien und Amerika
232
Prisengerichtsentscheidungen : „Bobrlk^'. Abschnitt V1 1>
anerkannt. So erhalte die Forderung, das vernunftwidrige und störende
Seeprisenwesen abgeschafft zu sehen, überall in der Welt große Unter-
stützung. Reklamant bitte daher, das Prisengericht wolle sich dem, was
die ganze Welt als vernünftig anerkenne, anschließen und auf Frei-
lassung der „Bobrik" erkennen. Auch verdiene dies Schiff angesichts
der Umstände, welche zu seiner Aufbringung führten, besondere Milde.
Das Schiff sei von jeher im allgemeinen zum Handelsverkehr verwandt
Verden. Am 9. Februar habe es auf Grund der Kaiserlichen Verordnung
Nr. 20 vom Jahre 1904 Befehl erhalten, innerhalb einer Woche die ja-
panischen Gewässer zu verlassen. Als es aber am 12. Februar eine-
Order erhalten habe, welche ihm die Abfahrt vorläufig verbot, sei die
inzwischen in Yokohama eingeleitete Anheuerung einer Besatzung ein-
gestellt worden, so daß, als der Arrest wieder aufgehoben wurde, nur
noch drei Tage bis zum Ablauf der Abfahrtsfrist übrig gewesen seien,
während welcher sich die Anheuerung der Mannschaft nicht mehr habe
bewerkstelligen lassen. Eine Bitte an die zuständigen Beamten um
Verlängerung der Frist sei abgeschlagen worden, und mit Ablauf der
in der Kaiserlichen Verordnung bestimmten Frist sei das Schiff beschlag-
nahmt worden. Dieses Vorgehen sei ungerecht, und das Schiff müsse
freigegeben werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die im ersten Teil der Reklamation besprochene Unverletzlichkeit
feindlichen Privatvermögens im Kriege ist allerdings für Güter auf dem
Lande ein Grundprinzip des geltenden Völkerrechts, Mit Bezug auf
Güter zur See wird dies jedoch von dem Völkerrecht, wie es in Theorie
und Praxis aller Staaten anerkannt ist, verneint, und auch die japanische
Prisenordnung steht auf keinem anderen Standpunkt.
Was die weiteren Ausführungen der Reklamation angeht, so hat
die Agentur äer „Bobrik", als der Kommandant der „Takao", wie die
Kriegsführung es erforderte, dem Segelschiff „Bobrik'' den Befehl er-
teilte, einstweilen nicht abzureisen, die Beschaffung einer Schiffsbesatzung
gänzlich aufzugeben und die Zeit von Erhalt dieses Befehls bis zum
Ablauf der Abfahrtsfrist, obwohl sie reichlich genügte, zur Rüstung und
Abreise des Schiffes nicht benutzt. Daher kann nicht behauptet werden,
daß die schließlich erfolgte Beschlagnahme auf das Vorgehen des Kom-
mandanten der „Takao" zurückzuführen und unrechtmäßig sei.
Ferner sagt der Reklamant, das zur Verhandlung stehende Segel-
schiff sei ein reines Handelsschiff. Nach Ansicht des Staatsanwalts
dient es jedoch als Mutterschiff bei der Hochseefischerei. Über diesen
Charakter des Schiffes ließe sich vielleicht streiten, da aber die Beschlag-
nahme desselben erst nach Ablauf der gesetzlichen Abfahrtsfrist statt-
gefunden hat, so ist eine Entscheidung darüber völlig belanglos.
233
Abschnitt VIi< Prisengerichtsentscheidungen: ,,Bobrik".
Aus diesen Gründen ist das Segelschiff „Bobrik" einzuziehen, »)
und es wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 18. Mai 1904 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts Uchida Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Kamtschatka Handels- und Industriegesell-
schaft in St. Petersburg, vertreten durch die Prokuristen Alexis Bros-
r o f f und Amor Mandl.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Gorai Kinzo, wohnhaft in
Tokio, Kojimachiku Fujimicho Shichichome Nr. 4 bei Kawamoto Jujiro.
Am 18. Mai 1Q04 hat das Prisengericht zu Yokosuka in Sachen
des am 17. Februar 1904 im Hafen von Hakodate von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Takao'' beschlagnahmten, der russischen Kamtschatka
Handels- und Industriegesellschaft in St. Petersburg gehörigen Segel-
schiffs „Bobrik'' ein Urteil erlassen, in welchem auf Einziehung desselben
erkannt wird. Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Gorai Kinzo
als Vertreter des Reklamanten die Berufung eingelegt, welche im Beisein
des Staatsanwalts Tsutsuki Keiroku beim Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation Gorai
Kinzo sind folgende :
Das Urteil erster Instanz sei unrechtmäßig. Es werde daher Auf-
hebung desselben und Entscheidung auf Freilassung des Segelschiffs
„Bobrik'' beantragt, und zwar aus folgenden Gründen: •
1. Das Urteil erster Instanz besage, daß die Unverletzlichkeit
feindlichen Privatvermögens im Kriege für Güter auf dem Lande aller-
dings ein Grundprinzip des geltenden Völkerrechts sei, daß indes mit
Bezug auf Güter zur See die von den Staaten anerkannte Theorie und
Praxis des Völkerrechts dieses Prinzip verneinten. Demgegenüber mache
der Reklamant folgendes geltend:
Italien habe in seinem im Jahre 1865 erlassenen Seehandels-
gesetzbuch unter Zugrundelegung des Prinzips der Gegenseitigkeit das
Recht zur Beschlagnahme feindlicher Handelsschiffe verneint. Im Jahre
1866 hätten Preußen, Österreich und Italien in dem zwischen ihnen ge-
führten Kriege alle das genannte Prinzip streng durchgeführt und
nicht ein einziges Handelsschiff sei beschlagnahmt worden. Während
') V. § 40.
234
Prisengerichtsentscheidungen: „Bobrik". Abschnitt VI^'
des Krieges zwischen Frankreich und Preußen im Jahre 1870 habe
Preußen diesen Grundsatz, ohne das Prinzip der Gegenseitigkeit zu-
grunde zu legen, anerkannt. Im Jahre 1870 hätten Italien und Amerika
sich vertragsmäßig verpflichtet, im Falle eines Krieges zwischen ihnen
sich nach diesem Grundsatz zu richten. Wenn man dies in Betracht
ziehe, so könne man freilich noch nicht behaupten, daß alle .Mächte
diesen Grundsatz anerkannt hätten, aber es stehe mit den Tatsachen
in Widerspruch, wenn man sage, derselbe sei nicht durch die Gewohnheit
anerkannt. Die Feindseligkeiten während eines Krieges beschränkten
sich auf die Staaten, und es sei völkerrechtlich anerkannt, daß sich die-
selben nicht auf private Individuen erstrecken dürften. Daß dieses
Prinzip auf dem Lande anerkannt sei, gebe das Urteil erster Instanz
unumwunden zu. Es bestehe aber kein Grund, weshalb ein Prinzip,
welches schon für das Land anerkannt wäre, nicht auch für die See
Anwendung finden solle. Wenn ein Grundsatz dem Recht und der
Billigkeit entspreche und nur ein Staat ihn in einem internationalen
Krieg annehme, so bedürfe er nicht weiter der Anerkennung seitens
sämtlicher anderen Staaten, es sei vielmehr deren natürliche Pflicht als
Zivilisationsträger, einen solchen Grundsatz von sich aus anzuwenden
und seine Entwicklung zu fördern. Die von dem Urteil erster Instanz
angeführten Bestimmungen der japanischen Prisenordnung seien daher
nicht würdig, von dem Oberprisengericht, dem kraft seines Amtes die
Pflicht obliege, das Völkerrecht der Welt in Anwendung zu setzen,
auch nur mit einem Gedanken berücksichtigt zu werden.
2. Das Segelschiff „Bobrik" habe am 9. Februar von dem Kom-
mandanten der „Takao" Order bekommen, bis zum 16. Februar Hako-
date zu verlassen. Darauf habe die Agentur des Schiffes, die Firma
H o w e 1 1 & Co. in Hakodate, hierfür Vorbereitung getroffen, indem
sie sofort der Agentur in Yokohama, der Firma S m i t h , B a k e r & C o.,
Auftrag zur Anheuerung eines Kapitäns und einer Mannschaft gegeben
habe. Das Antworttelegramm von Smith, Baker & Co., daß die
Anheuerung geschehen könne, sei am 11. Februar abends angekommen,
so daß die Rückantwort, welche den definitiven Auftrag zur Anheuerung
gegeben habe, wiegen der späten Tageszeit bis zum nächsten Tag habe
aufgeschoben werden müssen. An diesem Tage vormittags sei plötzlich
von dem Kommandanten der „Takao'' der Gegenbefehl gekommen, nicht
abzufahren, so daß an Smith, Baker & Co. telegraphiert worden
sei, von der Anheuerung abzustehen. Am 13. vormittags sei eine neue
Order gekommen, welche die Abfahrt wieder gestattete. Zu der Zeit
seien aber nur noch drei und ein halber Tag übrig gewesen, und über-
dies sei der 13. ein Sonnabend und der 14. ein Sonntag gewesen. Wie
Smith, Baker & Co. in ihrem Telegramm vom 10. gesagt hätten,
sei wegen der Kriegseröffnung die Anheuerung von Japanern aus-
235
Abschnitt VI^' Prisengerichtsentscheidungen : „Bobrik"»
geschlossen gewesen, und von den wenigen Ausländern hätten sich nur
mit Mühe ein Kapitän und fünf Leute zur Anmusterung bereitfinden
lassen. Selbst wenn aber am 13. von neuem Auftrag zur Anheuerung
dieser Leute gegeben worden und diese am 13. oder 14. bewirkt worden
wäre, so würden die Leute, am 14. von Yokohama abfahrend, erst am
16. morgens in Hakodate haben eintreffen können, da die Fahrt von
Yokohama nach Hakodate 48 Stunden dauere. Nach Ankunft der
Mannschaft würde alsdann die Anbringung des Segelwerks und die
Einnahme von Ballast, Proviant und Brennmaterial 36 bis 48 Stunden
in Anspruch genommen haben. Selbst ohne daß der Befehl vom 12.,
nicht abzufahren, gekommen wäre, hätte befürchtet werden müssen,
daß die Abreise vor Ablauf der Frist unmöglich gewesen sei; der Erlaß
dieses Befehls habe jedoch erst die Einstellung der Reisevorbereitungen
veranlaßt. Als dann am 13. Februar von neuem die Erlaubnis zur
Abfahrt erteilt worden sei, sei es vollends ausgeschlossen gewesen, die
Abfahrt bis zum 16. zu vollenden. Es sei daher, als der zweite Reise-
befehl gekommen sei, sofort ein Antrag auf Verlängerung der Abfahrts-
frist gestellt, der jedoch am 14. von dem Kommandanten der „Takao"
abschlägig beantwortet worden sei. Da zu dieser Zeit nur noch 2 Tage
von der Frist übrig gewesen seien, so seien die Vorbereitungen zur
Abreise endgültig aufgegeben worden. Der Kommandant der „Takao"
habe das Recht mit Füßen getreten, indem er dadurch, daß er ihr ab-
zufahren verboten habe, die „Bobrik" tatsächlich der Vergünstigung
der Abfahrtsfrist beraubt habe.
Die nach Ablehnung der erbetenen Fristverlängerung am 17. Fe-
bruar ausgeführte Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Schiffes sei daher zu Unrecht geschehen und das Schiff müsse frei-
gegeben werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Yokosuka-
Prisengericht Kobayashi Yoshio, Uchida Shigenari und
Yanagita Kunio besagen folgendes :
Die Berufung sei aus folgenden Gründen abzuweisen :
1. Für den Krieg zu Lande seien dem Recht zur Zerstörung oder
Wegnahme des Eigentums des Feindes sehr enge Schranken gezogen.
Der Grund, weshalb eine in Feindesland einfallende Armee das feind-
liche Privateigentum respektiere, sei in erster Linie der, daß man darin
eins der unentbehrlichsten und wirksamsten Mittel erblicke, um die
Bevölkerung der betreffenden Gegend in Ruhe zu halten und den
Kampf erfolgreich durchzuführen. Dagegen würden Beschlagnahmen
von Privateigentum zur See ausgeführt nicht nur, weil daraus ein großer
Gewinn für das betreffende Land entspränge, sondern auch, um das
dem Feinde für den Seekrieg unentbehrliche Material an Handelsschiffen
zu vermindern und den feindlichen Handel und Verkehr lahmzulegen,
236
Prisengerichtsentscheidungen: „Bobrfk". Abschnitt VIi<
vieil dies das wirksamste Mittel sei, um den Zweck des Krieges zu
erreichen. Daher erkläre das moderne Völkerrecht die Beschlagnahme
von feindhchem Privateigentum zur See für rechtmäßig.
Die Berufungsschrift führe das Seehandelsgesetzbuch Italiens, den
Krieg zwischen Preußen, Österreich und Italien, den Krieg zwischen
Preußen und Frankreich und den amerikanisch-italienischen Vertrag an.
Die Tatsache aber, daß die. Anerkennung der dort erscheinenden Rechts-
bestimmungen und Prinzipien nur für den Fall geschehe, daß durch
Vertrag oder Gesetz die Gegenseitigkeit gewährt würde, liefere im
Gegenteil den Beweis, daß die Seebeschlagnahme ein Recht krieg-
führender Staaten sei und von den Mächten als solches anerkannt
\ierde, und könne unmöglich zum Beweis für die Behauptung ange-
führt werden, daß die Praxis auch für Güter zur See die Unverletz-
lichkeit feindlichen Privateigentums anerkannt habe.
In dem Kriege zwischen Japan und Rußland habe letzteres oft
unter dem Vorwand einer Seeprise japanische Handelsschiffe in den
Grund geschossen, und die Kaiserlich Japanische Regierung habe ihrer-
seits, mit Ausnahme der in der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom
9. Februar 1Q04 für einen Teil der feindlichen Schiffe gewährten Ver-
günstigung der Befreiung von der Beschlagnahme, ihre Absicht, die
Beschlagnahme zur See nicht auszuüben, nicht ausgesprochen. Sie habe
vielmehr in der auf den bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen
und Gewohnheiten aufgebauten Seeprisenordnung die Seebeschlagnahme
ausdrücklich angeordnet. Daher sei es zutreffend, wenn das Urteil
erster Instanz sage, daß die japanische Prisenordnung übereinstimme
mit den gegenwärtig von den Mächten anerkannten Bestimmungen und
Gewohnheiten, die den Grundsatz der Unverletzlichkeit feindlichen
Privatvermögens zur See verneinten.
2. Da, wie die Verhandlungsprotokolle des vorliegenden Falls
zeigten, die „Bobrik" nicht als ein zum Handelsverkehr dienendes Fahr-
zeug, sondern als ein Hilfsfahrzeug bei der Hochseefischerei anzu-
sehen sei, so fänden die Bestimmungen der Kaiserlichen Verordnung
N'r. 20 vom Jahre 1904, welche ausschließlich den zum Handelsverkehr
dienenden Handelsschiffen die Vergünstigung der Befreiung von der
Beschlagnahme gewähre, auf das zur Verhandlung stehende Schiff keine
Anwendung. Daß der Kommandant der „Takao" dem genannten Schiff
den Aufschub der Abfahrt gewährt habe, sei daraus zu erklären, daß
zu der Zeit die Natur des Schiffes nicht bekannt gewesen sei. Sofortige
Beschlagnahme ohne Gewährung des Aufschubs wäre durchaus nicht
gesetzwidrig gewesen.
Aber einstweilen angenommen, das Schiff sei ein gewöhnliches
Kauffahrteischiff, so hätten doch die Verwalter des Schiffs, da sie nicht
hätten wissen können, wann das Verbot der Abreise aufgehoben werden
237
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentscheidungen: „Bobiik'^
würde, die Vorbereitungen für dieselbe fortsetzen müssen. Sie hätten
dieselben indes ohne Grund eingestellt und auch, als die Abreise wieder
freigestellt war, obwohl hinreichend Zeit vorhanden gewesen sei, nicht
wieder aufgenommen. Das Nichtvorhandensein einer Mannschaft, der
Ort der Ariheuerung einer solchen und dergleichen die Vollendung
der Reisevorbereitungen beeinflussenden Tatumstände seien bei der An-
Wendung der Verordnung nicht zu berücksichtigen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist von dem gegenwärtigen Völkerrecht anerkannt, daß einer
kriegführenden Macht einseitig das Recht zusteht, feindliche Handels-
schiffe aufzubringen, und zwischen Japan und Rußland besteht kein Ab-
kommen darüber, daß im Kriegsfalle zwischen ihnen gegenseitig See-
prisen nicht gemacht werden sollen. Daher hat jedes der beiden Länder
Seeprisenbestimmungen erlassen und in denselben die Regeln bei Auf-
bringung feindlicher Handelsschiffe und sonstigen Privateigentums klar
aufgestellt.
Auch die von dem Beruf ungsreklamanten zur Unterstützung seiner
Behauptungen angeführten Beispiele des italienischen Seehandelsgesetz-
buchs, des Vorgangs des preußisch-österreichisch-italienischen Krieges
und des amerikanisch-italienischen Vertrages tun nicht dar, daß diese
Gesetze oder Verträge die völkerrechtliche Gewohnheit, im Kriege feind-
liches Privateigentum zur See aufzubringen, gänzlich abschaffen wollten.
Alle diese Gesetzes- und Vertragsbestimmungen fordern vielmehr zur
Schonung feindlichen Privateigentums zur See seitens des einen Staats^
daß auch der andere das Privateigentum des einen zur See nicht mit
Beschlag belegen dürfe. Wenn auch in dem französisch-preußischen
Kriege Preußen, ohne diese Bedingung zu stellen, zuerst seine Absicht,
französisches Privateigentum zur See nicht zu verletzen, bekannt gegeben
hat, so ist doch Frankreich diesem Beispiel nicht gefolgt, sondern hat
sich unverändert an die bisherigen Völkerrechtsgebräuche gehalten, so
daß auch Preußen nach kurzem seine anfängliche Absicht aufgab und
wieder zu der Beschlagnahme feindlichen Privateigentums zur See zu-
rückkehrte. Die von dem Reklamanten für das Prinzip der Unverletz-
lichkeit feindlichen Privateigentums zur See angeführten Tatsachen
können daher nicht beweisen, daß dies Prinzip von den Mächten als
Gewohnheit des gegenwärtigen Völkerrechts respektiert wird. Ein Prisen-
gericht hat aber die Pflicht, bei Entscheidung über Rechtmäßigkeit
oder Unrechtmäßigkeit einer Seeprise den völkerrechtlichen Vorschriften
und Gewohnheiten sowie den gesetzlichen Bestimmungen seines eigenen
Landes zu folgen. Wenn daher auch die Befolgung des Prinzips der
Unverletzbarkeit des feindlichen Privatvermögens in gleicher Weise wie
auf dem Lande so auch für Güter zur See nach der öffentlichen
Meinung der Welt den Prinzipien der Hamunität entsprechen mag,
238
Prisengerichtsentscheidungen: „Bobrik'^ Abschnitt VI^'
so ist doch dieser Grundsatz zwischen den jetzt Krieg führenden
Mächten nicht vertragsmäßig festgelegt worden. Daher ist es selbst-
redend für das Prisengericht pflichtgemäß unmöglich, nach diesem
Grundsatz, der weder von den Mächten anerkannt ist, noch auch den
Bestimmungen und Gewohnheiten des Völkerrechts und den Gesetzen
des eigenen Landes entspricht, über die Frage der Rechtmäßigkeit dieser
Prise zu entscheiden. So hat auch das Prisengericht zu Yokosuka
zutreffend dargetan, daß der Grundsatz, feindliches Privatvermögen im
Kriege nicht zu verletzen, mit Bezug auf Güter zur See gegenwärtig
von den seitens der Mächte anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen
und Gewohnheiten verneint würde, und daß auch die japanische Prisen-
ordnung grundsätzlich auf demselben Standpunkt stehe. Daher ist
die Entscheidung, daß die ' Beschlagnahme des zur Verhandlung
stehenden Segelschiffs „Bobrik" rechtmäßig sei, zutreffend.
2. Was den Charakter des zur Verhandlung stehenden Schiffs
angeht, so kann derselbe Veranlassung zu Meinungsverschiedenheiten
geben. Aber selbst wenn man annimmt, daß es ein Handelsschiff
ist, auf w^elches die Kaiserliche Verordnung Nr. 20 vom 9. Februar
1904 Anwendung finden muß, so ist doch das Urteil erster Instanz
nicht unzutreffend. Denn wenn bei Anfang eines Krieges eine der
kriegführenden Parteien unter Festsetzung einer angemessenen Frist den
feindlichen Schiffen Befehl erteilt, vor Ablauf dieser Frist ihre Ge-
wässer zu verlassen, so steht es außer Zweifel, daß die Personen, welche
diesen Befehl erhalten, ohne Verzug die nötigen Vorbereitungen zur
Abfahrt treffen müssen und auch nicht die geringste Versäumnis begehen
dürfen. Wenn daher der Kommandant der „Takao" auch plötzlich
die Abreise verboten hatte, so war doch sicher kein Grund vorhanden,
die Reisevorbereitungen zu unterbrechen, weil man doch nicht wissen
konnte, wann dieses Verbot wieder aufgehoben werden würde. Auch
war, nachdem der Kommandant der „Takao" am 13. Februar, Q Uhr
vormittags, den Befehl, nicht abzureisen, wieder aufgehoben hatte, bis
zum Ablauf der Frist noch hinreichend Zeit vorhanden, um die nötigen
Vorbereitungen zu vollenden. Da aber die Agentur des Schiffseigen-
lümers diese Vorbereitungen zu treffen verabsäumte, so war schließ-
lich das Resultat, daß das zur Verhandlung stehende Schiff vor Ablauf
der Frist nicht abfahren konnte und am Ende beschlagnahmt wurde.
Da die Beschlagnahme nach Ablauf der Abfahrtsfrist am 17. Februar
erfolgt ist, so ist sie durchaus rechtmäßig, und auf ihren Rechtsbestand
kann die Tatsache, daß vor Ablauf der Frist die Abfahrt «einmal ver-
boten wurde, keinen Einfluß ausüben. Der dem Urteil erster Instanz
gemachte Vorwurf, welcher die obigen Tatsachen nicht in Rücksicht
zieht, ist daher nicht zutreffend, und es wird,, wie folgt, entschieden:
23^
Abschnitt VI^< Prlsengerichtsentscheidungen : „Juliade".
Die Berufung wird abgewiesen.
Am Q. Dezember 1904 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der russische Staatsangehörige M. Q i n s b u r g.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sawada Shunzo, wohnhaft
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 79.
In Sachen der Beschlagnahme des russischen Dampfers „Juliade"
wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Juliade" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Juliade" ist Eigentum
des russischen Staatsangehörigen G i n s b u r g , führt die russische
Handelsflagge und dient zum Verkehr im Hafen von Nagasaki. Der
Eigentümer G i n s b u r g ist Lieferant der russischen Armee und Marine
und hat in verschiedenen Plätzen Ostasiens Handelsniederlassungen.
Da im Dezember 1903 der Ausbruch des Krieges zwischen Japan und
Rußland bevorstand, verließ Qinsburg Nagasaki und zog sich nach
Dalni zurück. Seitdem befand sich der genannte Dampfer in Auf-
bewahrung des Prokuristen der Firma Ginsburg & Co., des eng-
lischen Untertanen Dow. Am 17. Februar 1904, vormittags 11 Uhr,
wurde er von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Katsuragi" mit
Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Katsuragi", Sakamoto Soshichi, das Proto-
koll und die Bescheinigung des Vertreters des Kommandanten, Marine-
leutnants YoshiMasune, über die Beschlagnahme, das Schiffsklassen-
zertifikat erster Klasse des beschlagnahmten Schiffes, ein Schreiben des
Chefs der Polizeistation Umegasaki in Nagasaki, Polizeihauptmanns
leguchi Minekichi, die Vernehmungsprotokolle des früheren
Führers des beschlagnahmten Schiffes, Uwotani Kanekichi und
des Marineleutnants Yoshi Masune.
Der Prozeßvertreter des Reklamanten macht dagegen hauptsäch-
lich folgendes geltend:
1. Das zur Verhandlung stehende Schiff sei von der Firma G i n s-
240
Prisengerichtsentscheidungen: „Juliade''. Abschnitt VI^^
bürg im Hafen von Nagasaki zum Verkehr auf den mit ihr in Ge-
schäftsverbindung stehenden ausländischen und inländischen Schiffen
und zur Vermittlung des Verkehrs der Passagiere derselben gebraucht
\iorden und diene nicht zu überseeischer Fahrt.
2. Es habe keine Kriegskonterbande an Bord gehabt and gegen
Japan keinerlei feindliche Handlungen begangen.
Daher werde die Freilassung des Schiffes beantragt.
Der Staatsanwalt erklärt dagegen, daß die Anführungen des Ver-
treters des Reklamanten sämtlich grundlos seien und daß er beantrage,
das zur Verhandlung stehende Schiff für gute Prise zu erklären und ein-
zuziehen.
Das Gericht ist der folgenden Ansicht:
Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffes, der
russische Staatsangehörige G i n s b u r g , hat freilich in Japan eine ge-
werbliche Niederlassung gehabt, er hat aber in Voraussicht des Aus-
bruchs des Krieges zwischen Japan und Rußland sich im Dezember
1W3 von Japan nach Dalni zurückgezogen. Nach dem Völkerrecht
ist er eine feindliche Person, ^) und sein Schiff ein feindliches Schiff.
Auch die Tatsache, daß das genannte Schiff die russische Handels-
flagge führt, beweist seinen unzweifelhaft feindlichen Charakter.
Gleichviel, ob es zum Hafenverkehr oder zum Überseeverkehr
dient, ob es Konterbande an Bord hat und ob es zu feindseligen
Handlungen gebraucht worden ist oder nicht: ein feindliches Schiff
kann zu Kriegszeiten an jedem, nicht neutralen Ort mit Recht beschlag-
nahmt werden. 2) Daher ist die nach Fintritt des Kriegszustands zwi-
schen Japan und Rußland ausgeführte Beschlagnahme des zur Ver-
handlung, stehenden Dampfers gesetzmäßig geschehen und derselbe
ist einzuziehen. 8)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 26. Mai 1904 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein des
Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
*) Dies erscheint im Hinbliclc auf § 4 der Seeprisenordnung (V) schief. Das
Schiff ist feindlich nach § 6, 2» d. h., weil es die feindliche Flagge führt. Der Eigen-
tümer hatte auch zur Zeit der Aufbringung, obwohl er persönlich verzogen wacy offen-
bar seine geschäftliche Niederlassung nicht aufgegeben. Denn das Boot war, wie der
Tatbestand oben angibt, in Verwahrung seines Prokuristen. Er mußte also bezüglich
des Charakters seines Schiffs als eine Person von neutraler Landeszugehörigkeit an-
geschen werden.
2; V. § 35. — 3) V. § 40.
Marstrand-Mcchlenburg:, Das japanische Priaenrecbt. Band I. (16) --'^'
Abschnitt VI ^5 Prisengerichtsentscheidungen: „Manchurla''.
Reklamant: Die ostchinesische Kisenbahngesellschaft in St.
Petersburg, Rußland, vertreten durch den Vizepräsidenten Wenzel.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro,
Tokio, Kyobashiku, Kagacho Nr. 10.
Am 26. Mai 1Q04 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den am 17. Februar 1904 im Hafen von Nagasaki
von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Katsuragi" beschlagnahmten
russischen Dampfer „Manchuria'' ein Urteil gefällt, in welchem auf
Einziehung desselben und der ihm zugehörigen Spirituosen und
Nahrungsmittel erkannt wird.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der Vizepräsident der
ostchinesischen Eisenbahngesellschaft, Wenzel, durch den Rechts-
anwalt Nagashima Washitaro als Prozeßvertreter die Berufung
eingelegt, welche im Oberprisengericht im Beisein des Staatsanwalts
Tsutsuki Keiroku geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation Naga-
shima Washitaro und deren Begründung sind folgende :
Das Urteil erster Instanz habe zugegeben, daß die Beschlagnahme
des zur Verhandlung stehenden Dampfers während seiner Reparatur
bei der Mitsu Bishi Dockgesellschaft in Nagasaki geschehen sei. Wenn
dem aber so sei, so sei der Fall anders wie bei Schiffen, die sich
schlechthin in Gebietsgewässern oder auf hoher See befänden. Denn
das Schiff habe sich im Besitz eines japanischen Staatsangehörigen
befunden und verliere damit die Eigenschaften, welche die Aufbringung
rechtfertigen würden.
Da ferner das zur Verhandlung stehende Schiff zur Zeit der
Veröffentlichung der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904
in jeder Beziehung nicht reisefähig gewesen sei, so hätte es nicht,
weil die Frist abgelaufen gewesen sei, beschlagnahmt werden dürfen.
Es werde daher Verwerfung des Urteils erster Instanz und Frei-
gabe des zur Verhandlung stehenden Schiffes und seiner Ladung be-
antragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts heim Prisen-
gericht zu Sasebo, Hayashi Ei j uro, sind folgende:
Die Berufung sei in allen Punkten unhaltbar. Die Beschlagnahme
des zur Verhandlung stehenden Dampfers und seiner Ladung erfülle
alle Bedingungen, die zur rechtlichen Gültigkeit einer Beschlagnahme zur
See erforderlich seien. Demnach sei das Urteil erster Instanz, welches
dieselbe gutheiße und auf Einziehung der Prise erkenne, unanfechtbar.
Die Berufung müsse daher abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die Berufungsbegründung macht geltend, daß das zur Verhandlung
244
Prisengerichtsentscheidungen: ^Manchuria". Abschnitt VI^'
stehende Schiff zur Zeit der Beschlagnahme bei der Mitsu Bishi Dock-
ijeselkchaft in Reparatur gewesen sei. Damit, daß es sich so im Besitz
eines japanischen Staatsangehörigen befunden habe, gestalte sich der
hall ganz verschieden von solchen Fällen, wo Schiffe sich schlechthin
in Oebietsgewässern oder auf offener See befänden; denn das Schiff
\ ediere danvit die Eigenschaften, die seine Aufbringung rechtfertigen
\curden-
Da ferner das zur Verhandlung stehende Schiff zur Zeit der Ver-
öffentlichung der Kaiserlichen Verordnung Nr. 20 vom Jahre 1904
in jeder Beziehung nicht zur Reise fähig gewesen sei, so hätte es nicht,
^eil die Abfahrtsfrist abgelaufen gewesen sei, beschlagnahmt werden
dürfen.
Die Tatsache, daß ein Schiff sich in Reparatur befindet, ist aber
kein Grund, weshalb es die Eigenschaften verlieren sollte, gegen die
>icli die Beschlagnahme richtet. Auch hat bei Gütern mit feindlichem
Charakter die Erage, wer der Besitzer ist, keinerlei Einfluß auf die
Beschlagnahme.
Was ferner die Tatsache angeht, daß das Schiff zur Zeit der Auf-
bringung nicht reisefähig war, so kann diese kein Hindernis für die
Anxcendung der prisenrechtlichen Grundsätze bilden. Auf Grund be-
stehendei Praxis ist die erwähnte Kaiserliche Verordnung erlassen
ttorden, welche ausnahmsweise feindliche Handelsschiffe für ^ine be-
Ntimmte Erist von der Aufbringung befreit. Aber auch in dieser Kaiser-
lichen Verordnung findet sich keine Bestimmung, nach welcher zu-
^^unsten von reiseunfähigen Schiffen eine Ausnahme von der festgesetzten
(inadenfrist gemacht werden könne. Daher konnte dem zur Ver-
handlung stehenden Schiff die Vergünstigung der Befreiung über die
in der Kaiserlichen Verordnung festgesetzte Erist hinaus nicht gewährt
Mierden
Demnach hat das Gericht erster Instanz zu Recht auf Einziehung
des zur Verhandlung stehenden Dampfers und der ihm zugehörigen
>pirituosen und Nahrungsmittel erkannt und die Berufung ist un-
becrründet.
¥s wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 4. Eebruar 1905.
(Unterschriften.)
245
Abschnitt VII* Prisengerichtsentscheidungen: MThalia*'.
In der Prisensache betreffend den am 13. April 1904 in Hakodate
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Takao" beschlagnahmten Dampfer
,,Thalia'' wird nach Beendigung der Untersuchung, vc'ie folgt, ent-
schieden.
Urtei Isf or mel:
Ks wird auf Einziehung des Dampfers „Thalia" erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der Dampfer „Thalia" steht im Eigentum der Kamtschatka Handels-
ünd Industriegesellschaft in St. Petersburg, Rußland, und dient zur
Seeschiffahrt. Er wurde, als er gemäß Auftrags des Direktors der
genannten Gesellschaft, Barons M. Bruggen, bei der Hakodate Dock
Aktiengesellschaft im Hafen von Hakodate in der Nähe des in der An-
lage der Gesellschaft befindlichen Hellings auf Land gezogen und in
Reparatur begriffen war, am 13. April 1904 von dem zur Besatzung
der „Takao" gehörigen Kapitänleutnant Tajima Joji auf Befehl des
Kommandanten des genannten Kriegsschiffs mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch den Bericht des Kapitän-
leutnants Tajima Joji über die Beschlagnahme, ein Antwortschreiben
des Eachdirektors der Dockgesellschaft, Sonoda Sanenori, an den
Kommandanten der „Takao", Yashiro Yoshinori, ein Schreiben
des Chefs der Firma Howell, J. A. Wilson, und den Bericht des mit
dem Fall beauftragten Prisenrats.
Die Hauptpunkte der Reklamation der Prokuristen der Kamtschatka
Handels- und Industriegesellschaft Alexis Brogroff und Amor
M a n d 1 sind folgende :
Das zur Verhandlung stehende Schiff stehe im Eigentum der ge-
nannten Gesellschaft und sei auf dem Lande innerhalb der Anlage der
Hakodate Dock Aktiengesellschaft, in Reparatur befindlich, mit Beschlag
belegt worden. Das Recht der Beschlagnahme zur See beschränke sich
auf die offene See und die Hoheitsgewässer der kriegführenden Staaten.
Daß außerhalb dieser befindliches Gut unverletzlich sei, lehrten nicht
nur Gelehrte wie Hall, C a 1 v o und andere ; auch die japanische
Prisenordnung stehe offenbar auf diesem Standpunkt. Da nun das
Gebiet des Hoheitsgewässers in der Weise bestimmt werde, daß man
von der Küste aus nach dem offenen Meere zu eine gevcisse Entfernung
messe so könne man dasselbe nicht über das Wassergebiet hinaus
ausdehnen und nicht das Festland innerhalb eines Docks für Hoheits-
gewässer erklären. Und selbst einmal zugegeben, daß das Seeprisen-
recht auch auf Bächen, Flüssen, Sümpfen und Seen, d. h. Stellen, welche
außerhalb des Seegebiets lägen, ausgeübt vcerden könne, so müsse es
dennoch Schiffe geben, welche sich außerhalb dieser Wasserflächen be-
fänden und auf welche die Seegesetze keine Anwendung finden würden.
246
Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia". Abschnitt VI<*
Denn der Artikel 53, Absatz 2 des Haager Vertrages i) spreche aus,
daß es Schiffe gebe, welche außerhalb der Seegesetze stünden. Wenn
dem so sei, dann müsse der erwähnte Vertrag mit den von ihm ge-
nannten Schiffen solche bezeichnen wollen, welche, wie das hier ver-
handelte, auf dem Land lägen, so daß also diese, wie der angeführte Ar-
tikel sage, außerhalb der Anwendung des Seerechts stünden.
Die Frage ferner, ob Güter zur See oder zum Lande gehörten, be-
stimme sich nicht nach ihrer Natur und ihrer Verwendung, sondern
müsse nach dem Orte, an welchem sie sich zur Zeit der Aufbringung
befänden, entschieden werden. Wenn es im besonderen zweifelhaft
sei. ob ein Gut zur See oder zum Lande gehöre, müsse für dasselbe
billigerweise die Vermutung gelten, daß es zum Lande gehöre, da
der Grundsatz der Unverletzlichkeit feindlichen Privatvermögens nach
der Tendenz, welche das Völkerrecht beherrsche, nach und nach auch
für Gut zur See in Anwendung kommen würde.
Da der zur Verhandlung stehende Dampfer wegen Schadens nicht
selber reisefähig gewesen sei, sondern als Transportgut des Dampfers
„Progreß" gekommen sei, so sei er wie ein Ladungsstück zu betrachten.
Da also der Ort, wo der Dampfer beschlagnahmt worden sei, auf
dem Lande sei, so müsse der Dampfer seinem Charakter nach als ein
zum Lande gehöriges Gut betrachtet werden, und es werde um seine
schleunige Freilassung gebeten.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Um ein Schiff in tüchtigem Zustand zu erhalten, ist es bei den
modernen Fahrzeugen eine der unentbehrlichsten Bedingungen, daß das
Schiff zu bestimmten Zeiten in einem Dock oder an einem Ort, der
unter diesen Begriff fällt, einer Reparatur des Schiffskörpers und einem
Xeuanstrich unterzogen wird. Da demnach ein Schiff sich, wenn es
in einem Dock oder dergleichen liegt, in durchaus natürlichen Um-
ständen befindet, so ist es sowohl vom rechtslogischen als vom tat-
sächlichen Standpunkt widersinnig, behaupten zu wollen, daß es durch
die Dockung, wenn es auch damit für eine Zeit auf das feste Land
i^erät, in derselben Weise wie ein gewöhnliches Stück Gut bei der
Landung sogleich seinen Charakter als Seegut verliere.
Dementsprechend macht die Gesetzgebung und das Gewohnheits-
recht keines Staates noch auch das Völkerrecht einen Unterschied
zwischen Schiffen, die im Dock liegen, und solchen, die im Hafen
^chwimmen. Rechte und Pflichten mit Bezug auf die Schiffe sind in,
beiden Fällen völlig dieselben. Kurz der Fall, daß ein Schiff, wie
') Dort heißt es: Eisenbahnmaterial, Landteiegraphenlinien einschließlich der
Linien, weiche Land und See verbinden, Telephone, Dampfer und andere Schiffe^
welche nicht unter das Seerecht fallen, müssen für die Kriegsoperationen zur
Verfügung gestellt werden.
Abschnitt VI" Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia''.
üblich, im Dock oder auf dem Helling liegt, wird dem Fall gleich er-
achtet, daß es im Hafen liegt, und daraus ergibt sich natürlich, daß es
auch im ersteren Falle zur Kriegszeit ein Objekt der Beschlagnahme
ist. Derselbe Gesichtspunkt der Notwendigkeit, nach welchem das
Völkerrecht das Seeprisenwesen gutheißt, greift auch hier Platz.
Der Reklamant zieht für seine Behauptung, daß Schiffe auf dem
Lande nicht beschlagnahmt vcerden können, die Bestimmung des Ar-
tikels 53, Absatz 2, des Haager Vertrags an. Aber darin wird von
„Dampfern und anderen Schiffen, welche nicht unter der Herrschaft
der Seegesetze stehen", gesprochen. Diese Bestimmung handelt also
nicht von Schiffen, auf die die Seegesetze Anwendung finden. Daher
bezieht sie sich nicht auf ein Schiff wie das vorliegende, welches sich an
einem der See gleichzuerachtenden Ort befindet und daher den See-
gesetzen untersteht.
Der Reklamant behauptet, der zur Verhandlung stehende Dampfer
müsse, weil er einmal auf einem Schiff verladen worden sei, als Ladungs-
gut behandelt werden. Fs ist aber ganz selbstverständlich, daß man
ihn, nachdem er wieder abgeladen und in die ihm als Schiff eigen-
tümlichen Verhältnisse zurückgekehrt ist, nicht mehr als Ladungsgut
behandeln kann.
Man kann daher, wenn auch der zur Verhandlung stehende
Dampfer auf dem Lande bei dem Helling in der Anlage der Hakodate
Dock Aktiengesellschaft aufgebracht worden ist, nicht behaupten, daß
der Ort der Aufbringung nicht unter der Herrschaft des Seerechts
stehe, oder daß das Schiff ein zum Lande gehöriges Out sei.
Demnach ist die von dem Kommandanten der „Takao" aus-
geführte Beschlagnahme zu Recht geschehen -) und der Dampfer „Thalia"
ist einzuziehen. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 8. August 1904 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts Yanagita Kunio.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Kamtschatka Handels- und Industriegesellschaft
in St. Petersburg, vertreten durch die Prokuristen Alexis Brosroff
und Amor Mandl.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Qorai Kinzo, Tokio, Koji-
machiku, Fujimicho Shichome Nr. 4, bei Kawamoto Jujiro.
Am 8. August 1904 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sachc betreffend den am 13. Apnil 1904 im Hafen von Hakodate von
'') V. § 2 und 35. — '0 V. § 40.
248
Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia". Abschnitt Vl^f
dem Kaiserlichen Kriegsschiff ,,Takao" beschlagnahmten, der Kamt-
schatka Handels- und Industriegesellschaft in St. Petersburg gehörigen
Dampfer „Thalia" ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung des-
selben erkannt worden ist. Gegen dieses Urteil haben die Prokuristen
der genannten Firma, Alexis Brosroff und Amor Mandl, durch
den Rechtsanwalt Oorai Kinzo als Prozeßvertreter die Berufung ein-
<;elegt. welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und
Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation,
Oorai Kinzo, sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts in Yokosuka, welches auf Einziehung
des Dampfers „Thalia" erkenne, sei widerrechtlich, und es werde aus
folgenden Gründen Freilassung des genannten Dampfers beantragt.
Im Urteil erster Instanz heiße es:
Da ein Schiff sich, wenn es in einem Dock oder dergleichen
liege, in durchaus natürlichen Umständen befinde, so sei
es sowohl vom rechtslogischen als vom tatsächlichen Stand-
punkt widersinnig, behaupten zu wollen, daß es durch die
Dockung, wenn es auch damit für eine Zeit auf das Land
geriete, in derselben Weise wie ein gewöhnliches Stück
Ladung bei der Landung sogleich seinen Charakter als See-
gut verliere.
Diese Ausführungen stützten sich lediglich auf die Schiffsnatur
des Dampfers „Thalia", ohne zu berücksichtigen, daß die Beschlagnahme
an dem fraglichen Orte unzulässig gewesen sei. Sie stehe mit dem
fundamentalen Grundsatz, daß eine Seebeschlagnahme nur in Gebiets-
i^evässer oder auf offener See ausgeführt werden könne, in Widerspruch
und sei, wie nachstehend erörtert, unrechtmäßig.
1. Im § 2 der japanischen Seeprisenordnung heiße es,
daß die Visitierung, die Durchsuchung und die Beschlag-
nahme nicht stattfinden dürfe in einem neutralen Hoheits-
gewässer oder in Gewässern, welche durch Vertrag aus-
drücklich als außerhalb des Kriegsgebiets belegen bezeichnet
seien.
Daß hierin mit keinem Worte erwähnt sei, daß diese Handlungen
Mch nicht auch auf das feste Land ausdehnen dürften, sei lediglich darin
begründet, daß es selbstverständlich sei, daß das Beschlagnahmerecht
auf dem Lande nicht ausgeübt werden dürfe und daß demnach kein
Bedürfnis vorliege, dieses besonders auszunehmen. Weil daher nach
üeni Sinn der angeführten Bestimmung eine Beschlagnahme außerhalb
des Wassergebiets ausgeübt vierden dürfe, so sei die zur Verhandlung
249
Abschnitt VI^* Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia''.
stehende Beschlagnahme eine Verletzung des in der japanischen Prisen-
ordnung niedergelegten Landesrechts.
II. In dem Artikel 23, g und Artikel 46 des am 21. November
IQOO veröffentlichten Haager Vertrags sei bestimmt, daß feindliches
Privateigentum nicht willkürlich beschlagnahmt und eingezogen werden
könne. Damit sei der sogenannte Grundsatz der Unverletzlichkeit feind-
lichen Privatvermögens anerkannt. Da in diesen Bestimmungen keine
Beschränkungen nach Art des Vermögens aufgestellt seien, so wider-
spreche es ihrem Sinn, wenn man Schiffe davon ausnehme.
Ausdrücklich spreche auch Artikel 53, Absatz 2 des genannten
Vertrages von Schiffen, die außerhalb des Seerechts stünden. Nach
diesen Worten müsse daher der Grundsatz der Unverletzlichkeit auch
auf Schiffe, soweit sie sich außerhalb des Bereichs der Ausübung des
Seeprisenrechts befänden, zur Anwendung kommen.
Das weiter in dem genannten Artikel, Absatz 2 vorkommende
Wort „Landtelegraphen" schließe in seinen Sinn auch die über Land
gehenden Teile von Seekabeln ein. Das heiße also, daß auch See-
gut, sobald es ans Land komme, als Gut auf dem Lande betrachtet
und als solches geschützt werde.
Daher verstoße die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme i^egeii
den Haager Vertrag, welchem Japan beigetreten sei.
III. Die Beschlagnahme der „Thalia" auf dem festen Lande verletze
auch das Völkerrecht.
a) Das Urteil erster Instanz vertrete die Ansicht,
daß Schiffe, welche zwecks Reparaturen oder derart in Docks
oder dergleichen lägen, damit ihren Charakter als Seegut
nicht verlören und daher der Beschlagnahme nicht entgehen
könnten.
Aber Schiffe, welche in neutralem Hoheitsvcasser oder in vertrags-
mäßig außerhalb des Kriegsgebiets liegenden Gewässern befindlich seien,
behielten doch auch ihren Charakter als Schiffe, und der Grund, \i;es-
halb sie nicht beschlagnahmt werden dürften, sei der, daß diese Hoheits-
bzw, durch Vertrag ausgenommenen Gewässer völkerrechtlich un-
verletzlich seien.
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe zur Zeit der Beschlag-
nahme bei einem Dock auf Land gelegen, und Privateigentum zu Lande
sei unverletzlich. Man könne wohl nicht behaupten wollen, daß das
Land bei einem Dock noch Wassergebiet sei, und, weil demnach auf
dem Lande befindlich, könne das zur Verhandlung stehende Schiff ebenso
wenig wie Schiffe, die sich in den oben ervcähnten Hoheitsgewässern
bzvc*. vertraglich neutralisierten Gewässern befänden, zur Prise gemacht
werden. Das Urteil erster Instanz argumentiere aber lediglich damit,
daß ein Schiff seiner Natur nach Seegut sei, und gehe auf die Streit-
250
PriMugerichtMiitscbeidungen: „Thalia**. Abschnitt VI^*
frage nach dem Gebiet, in welchem Seeprisenrecht zur Anwendung
kommen könne, mit keinem Worte ein. Daher sei es rechtswidrig.
b) Eine große Anzahl von Völkerrechtsgelehrten halte die Beschlag-
nahme auf dem Lande für unzulässig. Hall sage:
Güter des Feindes, welcher ein kriegführender Staat in seinem
Gebiet vorfinde, dürften, sofern sie nicht nach Eröffnung
des Krieges in seine Gebietsgewässer kämen, nicht eingezogen
werden ;
iM a s s e sage :
Unter den zivilisierten Staaten schütze man auf dem Lande
die nichtkämpfenden Personen und das Privateigentum nach
Möglichkeit, aber auf der See sei man zu dem barbarischen
Zustand zurückgekehrt, feindliche Privatpersonen, Fahrzeuge
und Güter aufzubringen;
R i v i e r sage :
Die Kriegführenden hätten das Recht, feindliches Privat-
vermögen, welches auf der See schwimme, mit Beschlag zu
belegen ;
Charles de Boek sage :
Feindliches Privateigentum unter feindlicher Flagge könne
auf der offenen See und in den Gebietsgewässern der krieg-
führenden Staaten aufgebracht werden.
Das Gewicht dieser Ansicht lasse sich daraus erkennen, daß der
Artikel 8 der Beschlüsse des internationalen Völkerrechtskongresses vom
Jahre 1882 über das Seeprisenwesen der allgemeinen Ansicht der Ge-
lehrten aller Länder den einheitlichen Ausdruck gegeben habe, daß
die Seebeschlagnahme auf das Wasser zu beschränken sei.
Daß das Beschlagnahmerecht nicht bis auf das Land bei einem
Dock erstreckt werden dürfe, sei demnach die fast unbestrittene An-
sicht der Wissenschaft, und daher müsse die Beschlagnahme des zur
Verhandlung stehenden Schiffs schließlich auch vom wissenschaftlichen
Standpunkt aus verworfen werden.
c) Das Urteil erster Instanz behaupte, daß eine Beschlagnahme
auf dem Lande, wie die bei dem Dock an der „Thalia" vollzogene,
nach demselben Gesichtspunkt der Notwendigkeit, aus welchem das
Völkerrecht das Seeprisenrecht anerkenne, gerechtfertigt sei. Kine der-
artigt Geltendmachung des für Seeprisen geltenden Gesichtspunktes bei
einer Beschlagnahme eines Schiffes auf dem Lande sei indes nicht
nur an und für sich widersinnig; diese Beschlagnahme stehe vielmehr
auch direkt im Gegensatz zu dem grundsätzlichen Unterschied, der
in der Behandlung des Privateigentums im Landkrieg und im See-
krieg gemacht würde.
Die Gründe, weshalb man im Gegensatz zu dem Schutze des
251
Abschnitt VI^< Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia"«
Privateigentums zu Lande die Aufbringung des Privateigentums zur
See für notwendig halte, seien mannigfach, doch im wesentlichen fol-
gende:
1. Pradier-F ödere gebe als Grund für die Beschlagnahnae der
in den Häfen eines kriegführenden Staats befindlichen feindlichen
Schiffe an, daß
der Staat bezüglich solchen in seinen Häfen oder sonstigen
Gewässern schwimmenden Guts nicht wie bei Gut, das sich
auf dem Lande befinde, in der Lage sei, seine Gesetze un-
eingeschränkt in Anwendung zu setzen, es seiner Kontrolle zu
unterziehen oder ihm seinen Schutz zu gewähren.
Wenn dies der Grund sei, weshalb man Schiffe zu Prisen machen könne,
so entbehre die auf dem festen Land bei einem Dock ausgeführte Be-
schlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes der Begründung.
Denn dies feste Land sei von dem Wassergebiet eines Hafens ver-
schieden und dem Staat seien dort für die Anwendung seiner Ge-
setze und die Ausübung seiner Kontrollgewalt keinerlei Schranken ge-
setzt.
2. Hautefeuille erkläre die Gründe für die Unverletzlichkeit
des Privateigentums zu Lande einerseits und für das Prisenrecht an
Privateigentum zur See andrerseits, indem er sage, daß
im Landkrieg ein Staat den Feind hinreichend des Nutzens
des öffentlichen und privaten Figentums beraube, wenn er
sein Gebiet besetze. Auf der See indes gebe es, um den
Feind zu schädigen, nur das eine Mittel der Einziehung feind-
lichen Privatvermögens. Durch diese werde der Feind des
Nutzens, der ihm aus solchem Vermögen entspringe, beraubt,
während, wenn man Schiffe und deren Ladungen frei in
das Feindesland gelangen ließe, der feindliche Staat un-
verkürzt mittelbar oder unmittelbar Vorteil aus ihnen zu
ziehen imstande sei. Mache jedoch ein Staat solche Güter
zur Prise, so könne er den Nutzen, den der Feind von ihnen
gehabt haben würde, selbst für sich daraus ziehen.
Nach diesen Ausführungen könne das zur Verhandlung stehende
Schiff, welches Gut zu Lande sei, wenn es für die Kriegsop^rationen be-
nötigt werde, nach Artikel 53, Absatz 2 des Haager Vertrags als Gut
auf dem Lande requiriert und in Gebrauch genommen werden! Sobald
freilich der Feind es unternehme, dasselbe zur See nach dem Feindes-
land fortzuschaffen, könne es als Privateigentum zur See beschlag-
nahmt werden. Solange es aber als ein Stück Gut auf dem Lande in
Japan festgehalten werde, diene es >xeder zum Nutzen des Feindes
noch zum Schaden Japans.
252
Priaengerichtsentdcheidungen: „Thalia". Abschnitt VI i^
3. F u n k - B r e n t a n o und S o r e 1 führten aus, daß
wenn feindliche Staatsangehörige im Lande des Gegners Ver-
mögen besäßen, dies Vermögen dorthin gekommen sei im
Hinblick und im Vertrauen auf den Schutz, den die ge-
wöhnlichen Landesgesetze dem Eigentumsrecht gewährten,
und daß der Krieg an diesen Gesetzen nicht die geringste
Änderung bewirke. Solange demnach der Staat seine An-
schauungen über den Eigentumsschutz unverändert fort-
bestehen lasse, müsse er auch das Eigentum feindlicher
Privatpersonen schützen und respektieren. Wenn er es ver-
letze, so verletze er damit seine eigenen Gesetze.
Wenn aus diesem Grunde feindliches Privateigentum auf dem
Unde geschützt werden müsse, so bedeute die Einziehung des auf
dem Lande befindlichen, hier zur Verhandlung stehenden Schiffes einen
Bruch mit dem Geiste derjenigen Gesetze Japans, welche sich auf
den Schutz des Eigentumsrechts bezögen.
4. Rivier, Hautefeuille und andere Gelehrte hätten ge-
-sagt, daß
Schiffe, verschieden von Gut auf dem Lande, sofort armiert
und als Kriegsschiffe benutzt oder zum Truppentransport
oder zu anderen für die Kriegsführung wichtigen Zwecken
gebraucht werden könnten. Daher müsse ihre Beschlag-
nahme als von der Notwendigkeit geboten erachtet werden.
Auch wenn man das zur Verhandlung stehende Schiff unter diese
Argumentation stelle, so müsse es der Beschlagnahme entgehen. Denn
angenommen, man bedürfe seiner für den Krieg, so unterliege es doch
nur der Requisition, weil es ein Schiff sei, welches nach Artikel 53,
Absatz 2 des Haager Vertrags nicht dem Seerecht unterstehe.
5. Wheaton, Rivier und andere Gelehrte seien der An-
sicht, daß,
weil das Ziel des Landkriegs die Eroberung des feindlichen
Gebiets, das des Seekriegs aber die Vernichtung des feind-
lichen Handels und seiner Schiffahrt sei, bei ersterem ein
Bedürfnis für die Verletzung des Privatvermögens nicht vor-
liege, während letzterer dieser nicht entraten könne.
Der wahre Zweck des Seeprisenwesens sei danach, während des
Kriegs Handel und Schiffahrt des Feindes zu hemmen, um dadurch
schnell zum Ziel des Krieges zu gelangen. Deshalb sei es nicht unter
allen Umständen nötig, diese Härte noch bis nach Vollendung des
Krieges auszudehnen. Für ein Schiff wie das hier verhandelte be-
stehe einerseits die Möglichkeit hinreichender Kontrolle durch die Re-
gierung; auch könne es nur auf dem Wasserwege in die Heimat zurück-
kehren. Wenn man es daher, während es auf dem Lande liege, als
253
Abschnitt VII* Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia".
unverletzliches Out zu Lande behandele, so stehe das der Erreichung
des als notwendig erblickten Ziels, den feindlichen Handelsverkehr zu
brechen, in keiner Weise im Wege.
b) Die Ausdehnung der Seebeschlagnahme bis auf das feste Land
bei einem Dock sei eine Verletzung des fundamentalen Grundsatzes
des Völkerrechts über die Parteien im Kriege. Die Parteien eines Krieges
seien die Staaten, nicht die einzelnen Privatpersonen. R i v i e r sage :
das Recht der Kriegsführung stehe nur Staaten zu. Daher
bestehe Krieg nicht zwischen den Individuen. Auch zwischen
Staat und Individuum gebe es keinen Krieg.
Bis auf einen einzigen englischen Völkerrechtslehrer seien alle
Gelehrten Europas und Amerikas dieser Ansicht. Als natürlicher Aus-
fluß dieses Grundsatzes werde die Unverletzbarkeit des Privateigentums
von der ganzen Welt als ein grundlegendes Prinzip des Kriegsrechts
angesehen. Auch der Artikel 46 des Haager Vertrages spreche dieses
klar aus Diesem Grundsatz gegenüber nehme die Praxis des Seeprisen-
wesens nur die Stelle einer Ausnahme ein. Daher müsse in diesem
Falle, wo das zur Verhandlung stehende Schiff auf dem Lande bei
einem Dock gelegen habe und wo es zweifelhaft sei, ob es als Gut zur
See oder zu Lande aufzufassen und demnach einzuziehen oder nicht
einzuziehen sei, die Regel beobachtet werden, daß man Ausnahmen
möglichst eng auslegen solle. Danach müsse man das Schiff als Gut zu
Lande betrachten, auf welches der Grundsatz der Unverletzlichkeit des
Privatvermögens anzuwenden sei. So ergebe sich auch aus dem Grund-
satz, daß Parteien eines Kriegs nur die Staaten seien, weil das Schiff
als Gut auf dem Lande Anspruch auf Anwendung des Grundsatzes der
Unverletzlichkeit des Privatvermögens habe, die natürliche Konsequenz,
daß das Schiff nicht beschlagnahmt werden dürfe.
e) Das Urteil erster Instanz habe behauptet, ein Dock und das
bei demselben belegene Land sei der See gleich zuerachten. Wie im
folgenderr erörtert werden solle, sei es jedoch klar, daß solche Orte
ihrer juristischen Natur nach verschieden seien.
L Während ein Dock oder das bei demselben belegene Land vom
Staat oder von Privaten geeignet werden könne, sei ein Eigentum von
Privaten am Hoheitswassergebiet ausgeschlossen. Carnazza-Amari
sage:
wenn auch ein Eigentumsrecht an Grund und Boden,
welches einen Teil des Wassergebiets eines Hafens in sich
schließe, vorkomme, so gehe doch daraus, daß dem Eigen-
tümer bezüglich des Teils, welcher Wassergebiet sei, keine
absolute Verfügungsgewalt zuerkannt werde, klar hervor, daß
seine Rechte daran nicht dieselben seien, wie sein Eigentums-
recht an dem Teil, welcher Grund und Boden sei.
254
Priseagerichtsantscheidungen: „Thalia''. Abschnitt VIi*
Während also das higentunisrecht an dem Landgebiet des Docks
und des dabeiliegenden Grundes absolut sei, so daß ein Eindringen
in dasselbe gegen den Willen des Kigentümers von diesem abgewehrt
vierden könne, so sei derselbe doch nicht berechtigt, den Eintritt in das
von ihm geeignete Hafengebiet, z. B. wegen gefährlichen Wetters oder
um einer Verfolgung zu entgehen, abzuweisen. Während es des weiteren
dem Eigentümer des Bodens freistehe, den Gebrauch desselben zu ge-
vtatten oder zu verweigern, müsse der Staat, als Eigentümer des Hafen-
gebiets, die Benutzung desselben allen auswärtigen Staaten in gleichem
Maße gestatten.
2. Ein Staat könne das harmlose Passieren ausländischer Truppen
durch ein Dock oder das bei demselben belegene Land schlechthin ver-
weigern; er müsse aber, abgesehen von Fällen, wo dies seine eigene
Ruhe gefährde, das harmlose Passieren ausländischer Kriegsschiffe in
seinen Hafengewässern erlauben.
Da diesergestalt zvcischen Land und See zu unterscheiden sei, so
bestehe kein Grund, welcher die Ausübung des Seeprisenrechts auf dem
ürund bei einem Dock, dem man schlechterdings die Eigenschaft von
«irklichem festen Land nicht absprechen könne, zu rechtfertigen ge-
eignet sei. Die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs
sei daher ungerechtfertigt.
f) Das Urteil erster Instanz gebe zu, daß die Beschlagnahme auf
dem Land bei dem Helling geschehen sei, beschränke sich aber darauf,
diesen Ort einfach als einem Dock gleichstehend zu bezeichnen. Das
bnd in der Nähe eines Docks sei aber kein Dock, und wenn es auch
zur Aufnahme von Schiffen, die repariert würden, diene, so sei es doch
kein Ort, wo diese Schiffe sich ihrer Natur gemäß befänden.
Wenn man derartigen Grund und Boden als im Bereich der
Ausübung des Seeprisenrechts belegen betrachte, so müsse das auch
\on jedem anderen Ort, der kein Dock sei, gelten, sobald sich ein Schiff
dort zur Reparatur befinde, wenn er gleich 10 oder 100 Meilen von der
Küste entfernt auf dem Lande liege.
Selbst wenn man annehme, daß es für ein Schiff etwas Natürliches
sei, im Dock zu liegen, und daß dies dasselbe sei, als wenn es im
Hafen schwimme, so könne man doch nicht behaupten, daß es für ein
Schiff natürlich sei, außerhalb eines Docks auf dem Lande zu liegen.
*'enn auch die Entfernung zwischen dem Helling und dem hier in
frage kommenden Land nur einige wenige Schritte betrage, so komme
diese Entfernung, vom juristischen Standpunkte aus gesehen, einer Ent-
lernung von zehn Millionen Meilen durchaus gleich. Da so aber das
Schiff auf gewöhnlichem Lande, d. h. an einem außerhalb des Wirkungs-
bereichs des Seeprisenrechts liegenden Ort beschlagnahmt worden sei,
^ sei es nach dem Ausgeführten unfraglich freizugeben.
255
Abschnitt VI^* Prlsengerichtsentscheidungen: „Thalia'*.
B.
Es sei ein Mißverstehen der Tatsachen, wenn das Urteil erster
Instanz behaupte, das Schiff habe sich in einer für ein Schiff gewöhn-
lichen Lage befunden.
I. Das zur Verhandlung stehende Schiff sei zur Reparatur auf
dem Dampfer „Progreß" nach Hakodate gekommen. Das Urteil erster
Instanz gebe freilich zu, daß das Schiff, während es auf dem genannten
Dampfer verladen gewesen, als ein Stück Ladung desselben zu be-
trachten gewesen sei; es stelle aber die Ansicht auf, daß man es nicht
mehr als Ladungsgut betrachten könne, nachdem es wieder abgeladen
und in seine ihm als Schiff eigentümlichen Verhältnisse zurückgekehrt
sei. Es sei aber nicht einzusehen, weshalb das Schiff, nachdem es einmal
seine Schiffsnatur habe ablegen und die eines Ladungsstücks annehmen
können, nicht, wenn es auf dem Lande ebenfalls sei, seine reine Schiffs-
natur solle ablegen und die Eigenschaft eines Stücks Privateigentums
zu Lande annehmen können. Zum Zwecke einer Reparatur sei das
Schiff ein Ladungsstück des „Progreß" geworden. Aus dem gleichen
Grunde sei es auch auf das Land geschafft worden. Weshalb solle daher,
während der gleiche Zweck noch fortdauere, die Tatsache, daß es nun
auf dem Lande sei, ihm einen anderen Charakter geben? Wenn man
behaupte, der Umstand, daß das Schiff nach der Abladung einmal
ins Wasser gelassen sei, habe es wieder in die ihm eigentümlichen
Verhältnisse zurückgebracht, würde es dann, wenn man es, ohne es ins
Wasser zu lassen, direkt ans Land geschafft hätte, die Eigenschaft eines
Guts zu Lande erworben haben? Diese Art von Argumentation sei
doch wohl kaum zu rechtfertigen. Denn das Herablassen ins Wasser
sei gerade, wie wenn man ein Stück Bauholz beim Löschen aus einem
Schiff erst ins Wasser lasse, nichts weiter als eine besondere Transport-
methode.
II. Der Bericht des Offiziers, der die Beschlagnahme ausgeführt
habe, tue dar, daß das Schiff zur Zeit der Beschlagnahme sich im Zu-
stande unvollendeter Reparatur befunden habe und nicht selbständig
reisefähig gewesen sei. Reklamant sei der Ansicht, daß man ein der-
artiges, rpiseunfähiges Fahrzeug nicht als ein richtiges Schiff, sondern
nur als ein Stück Gut ansehen könne.
III. Das zur Verhandlung stehende Schiff habe zur Zeit der Auf-
bringung weder die für die Reise nötigen Ausrüstungsgeräte noch eine
Landesflagge, noch Schiffspapiere, noch Mannschaft besessen, kurz es
habe an allen Anforderungen gefehlt, die man an ein Schiff stellen
müsse. Auch hieraus ergebe sich, daß der Fall nicht als der eines
richtigen Schiffes, sondern vielmehr als der eines Stücks Gut zu be-
handeln sei. Man habe es mit einem richtigen Stück Gut auf dem Lande
Ö56
Prisengerichtsentscheidungen: »Jhalia^ Abschnitt VI^^
zu tun. auf welches der Haager Vertrag Anwendung finde und das
dahei unfraglich freizugeben sei.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
ijericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, Kobayashi Yoshio
und Vanagita Kunio, sind folgende:
Die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei
rechtmäßig und seiner Einziehung stehe nichts im Wege. Dies werde
folgendermaßen begründet :
1. Die vielen Ansichten der Gelehrten und praktischen Beispiele
bestimmten den Bereich, in welchem Beschlagnahmen vorgenommen
werden könnten, lediglich in negativer Weise, ohne ihn positiv zu be-
irrenzen. Auch wenn Lushington und Holland lehrten,
das Beschlagnahmerecht könne außer in dem Wassergebiet,
das unter der Herrschaft neutraler Staaten stehe, in jedem
Wassergebiet ausgeübt werden,
so entspringe das nur der Annahme, daß für gewöhnlich Seegut an
anderen Orten nicht angetroffen werden würde, habe aber nicht den
Sinn, daß Seegut, wenn es ausnahmsweise aus dem Wassergebiet entfernt
werde, dabei aber offenbar noch als Seegut anzusehen sei, frei ausgehen
und nicht vor Gericht gezogen werden solle.
Aber selbst zugegeben, der Seeprisenbereich sei in der Weise,
\(ie der Reklamant es annehme, positiv begrenzt, so sei trotzdem das
vSchiff innerhalb seiner Grenzen beschlagnahmt worden. Wenn es auch
nicht klar ersichtlich sei, worauf sich der sogenannte fundamentale
Grundsatz des Reklamanten beziehe, so sei wohl anzunehmen, daß
er in dem von Phillimore für die Ausübung der Visitierung und
Durchsuchung, und von Hall für die Beschlagnahme schlechthin auf-
gestellten Bereich positiv fixierte Grenzen erblicke und so annehme,
daß das Seeprisengebiet das Territorialwassergebiet der kriegführenden
Staaten und die offene See sei!
Das Wort „Wassergebiet" enthalte aber die Gesamtheit der Häfen,
Buchten, Baien, Flußmündungen und dergleichen mit dem Wasser in
Beziehung stehenden geographischen Einzelteile dessen, was man mit
einem Sammelwort der gewöhnlichen Sprache als „Meer" bezeichne.
Da demnach das Wassergebiet je nach den natürlichen Wirkungen
von Ebbe und Flut oder infolge künstlicher Vorrichtungen der Menschen
nicht notwendigerweise in allen Teilen und zu allen Zeiten von Wasser
bedeckt sei, so sei es ein Fehler, es mit dem Begriff „Wasserfläche" zu
identifizieren.
Ein Dock müsse daher einmal für sich allein als ein Wassergebiet
betrachtet werden; sodann bilde es aber auch vermöge seiner not-
wendigerweise vorhandenen Abhängigkeit von Liegeplätzen für Schiffe
Marstraad-Meohlenbur^, IMs japaoischo Priscarecht. Band I. (17) 'LO i
Abschnitt V1 1< Prisengerichtsentscheidungen: ,Jhalia'^
zusammen mit dem übrigen Hafen, Flußmündungsgebiet, oder was es
sei, ein gemeinschaftliches Wassergebiet. Wie man es auch ansehe,
immer ergebe sich, daß die in einem Dock vorgenommene Beschlagnahme
als in gewöhnlichem Wassergebiet vorgenommen gelten müsse.
Die Erklärung des Reklamanten von dem festen I^nd, auf dein
eine Beschlagnahme nicht ausgeübt werden dürfe: daß dies nämlich
die ganze Erdoberfläche umfasse, soxxeit sie nicht von Meerwasser be-
deckt sei, sei durchaus nur seine eigene, und selbst wenn die Wissen-
schaft das Gebiet erlaubter Beschlagnahme positiv bestimmen würde,
so würde sie doch nicht versuchen, diese Behauptung aufzustellen.
Wenn Schiffe zwecks Reparatur ins Dock zu gehen hätten, so sei es
aus technischen Gründen zuweilen erforderlich, sie daneben aufs Land
zu ziehen oder das Dockwasser abzulassen. Deshalb könne man aber
nicht sagen, daß sie außerhalb des Docks und auf dem Lande seien.
2, In dem von dem Reklamanten angeführten Artikel 8 der Be-
schlüsse des Völkerrechtskongresses in Turin im Jahre 1882 heiße es:
das Beschlagnahmerecht könne nur in dem innerhalb 3 See-
meilen von der Küste belegenen Wassergebiet der krieg-
führenden Staaten und auf dem Ozean ausgeübt werden.
Hier werde von Wassergebiet in dem Sinne, den der Reklamant
angebe, nicht gesprochen. Sonst würde man zu der merkwürdigen
Erscheinung kommen, daß ein feindliches Schiff, welches in unmittelbarer
Nähe der Küste liege, mit dem Wechsel der Elut eine Stunde vor der
Aufbringung sicher sei und in der anderen Stunde diesen Schutz wieder
verliere. Im übrigen sei der Beschluß des oben zitierten Artikels 8 in die
japanische Prisenordnung nicht aufgenommen, und zwar einmal, weil
eine derartige positive Begrenzung des Seeprisengebiets der allgemeinen
Ansicht der Welt nicht entspreche, sodann auch, weil man kein Bedürfnis
erblickt habe, eine derartige Begrenzung, welche die Interessen des
Staats so wesentlich berühre, ohne die Bedingung der Gegenseitigkeit
erfüllt zu sehen, von sich aus einseitig aufzustellen.
3. Der Reklamant behaupte,
die Tatsache, daß die japanische Prisenordnung im § 2 als
Gebiet, in welchem Prisen nicht gemacht werden dürften,
nur neutrales Territorialmeer und besonders durch Vertrag
ausbedungene Wassergebiete anführe und das neutrale feste
Land als selbstverständlich ausgeschlossen nicht erwähne,
beweise, daß sie eben die Beschlagnahme auf dem festen
Lande der kriegführenden Staaten für unzulässig erachte.
Es sei indes nicht nötig, daß eine Prisenordnung die Rechtsbestimmungen
sämtlich enthalte, und, wenn die Prisenordnutlg diesen Fall vorsehende
Bestimmungen nicht getroffen habe, so sei der Grund lediglich der,
daß sie ein Bedürfnis dafür nicht erblickt habe.
258
Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia''. Abschnitt VIi*
4. Wenn auch der Reklamant selbst anerkenne, daß die von ihm
angezogenen Bestimmungen des Haager Vertrages dem Landkrieg seine
Schranken vorschreibe, mit welcher Begründung wolle er dieselben dann
auf die Prisenmaßnahmen der Marine zur Anwendung bringen?
forderten die Worte „Schiffe, welche nicht unter der Herrschaft des
Seerechts stehen" nicht vielmehr zu der Argumentation auf, daß in
ihnen implicite gesagt sei, daß auch eine Landmacht gelegentlich mit
Schiffen' zu tun haben könne, die dem Seerecht unterstünden?
5. Zur Unterstützung seiner Ansicht, daß außerhalb des Wassers
Prisen nicht gemacht werden dürften, stelle der Reklamant vielfach
die Ansichten von Oelehrten falsch dar. Was zum Beispiel Hall
sage, sei weiter nichts als die Anerkennung einer Tendenz, Feindesgut,
welches seit der Zeit vor dem Kriege in dem Gebiet eines Staates sei,
von der Beschlagnahme zu befreien. Das Zitat von Masse sei ledig-
lich eine Wiedergabe allgemeiner Tatsachen. Damit den Bereich des Be--
schlagnahmerechts abzugrenzen, sei nicht beabsichtigt gewesen. Lben-
sowenig sei mit den Worten Riviers „das zur See schwimmende
(jut" etwas anderes gemeint als Seegut, ohne daß eine Unterscheidung
nach der Richtung, ob es zurzeit auf dem Wasser schwimme oder nicht,
ijemacht worden sei.
6. Der Reklamant führe betreffs der Gründe, weshalb nur Seegut
beschlagnahmt werden könne, eine große Anzahl wissenschaftlicher An-
sichten an und behaupte, daß die Beschlagnahme des zur Verhandlung
stehenden Schiffes mit keinem dieser Gründe im Linklang stehe. Aber
daß sie mit denselben in Widerspruch stehe, beweise, daß diese An-
sichten eben nicht zuträfen. Was man auch immer für Gründe dafür
angebe, das Prinzip, Privateigentum zur See wegzunehmen, stehe in
unserer Zeit noch als eine Maßnahme, die in Kriegszeiten unentbehrlich
sei, in Geltung, und es liege kein Grund vor, gerade dieses eine Schiff
davon auszunehmen.
7. Der Reklamant mache geltend,
es sei die allgemeine Ansicht unserer Zeit, daß der Krieg nur
zwischen Staaten geführt werde und das Seeprisenwesen,
welches den Privaten als Feind behandele, eine Ausnahme
sei. Daher sei in zweifelhaften Fällen die grundlegende Regel
anzuwenden.
Daß indes das Ziel des Krieges das sei, dem feindlichen Staat Schaden
iiuzufügen, treffe auch für die See zu, und andrerseits hätten die Privaten
auf dem Lande ebenfalls durch die Rückwirkungen des Krieges
Schädigungen zu ertragen. Wenn die Behandlung des Privateigentums
zu Lande und zur See verschieden sei, so liege der Grund hierfür, wie
viele Gelehrte annähmen, darin, daß das Recht für den Landkrieg und
das für den Seekrieg jedes seine besondere Fntwicklung erfahren habe,
(17*) 259
Abschnitt VI« Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia".
Wenn man aber vom geschichtlichen Standpunkte aus darüber ent-
scheiden wolle, was Regel und was Ausnahme sei, so müsse man
sagen, daß vielmehr die Einziehung des Privatvermögens die grund-
legende Regel darstelle. Im übrigen bestehe bezüglich des Thaliafalls
kein Zweifel darüber, ob das Objekt Gut zu Lande oder Out zur See sei.
8. Der Reklamant behaupte, daß das Land und das Wasser eine
verschiedene juristische Stellung einnähmen, führe aber nicht aus, inwie-
fern dies auf die Wirksamkeit einer Beschlagnahme Einfluß haben solle.
Selbst angenommen, es bestehe ein derartiger Unterschied, so liege doch
kein Grund vor, weshalb dem Prisenwesen, welches selbst auf der nur
recht schwach beherrschten See frei ausgeübt werden dürfe, auf dem
viel stärker beherrschten Land Fesseln angelegt werden sollten. Im
übrigen gebe es zahlreiche Fälle, wo Privaten ein gewisses Wasserareal
zum privaten Eigentum oder Gebrauch überlassen sei, so daß sie dritte
aus demselben ausweisen könnten, z. B. das Wasser bei Landungs-
brücken und Hafendämmen. Auch ein Dock gehöre unter diese Bei-
spiele, und es sei unmöglich, sich der Ansicht zu unterwerfen, welche
für die Rechtsverhältnisse desselben je nach Vorhandensein oder Nicht-
vorhandensein von Seewasser in demselben einen Unterschied aufstellen
wolle.
9. Der Reklamant wende, um die Verwerfung der Beschlagnahme
um jeden Preis durchzusetzen, den neuen Ausdruck „Beschlagnahme auf
dem Lande" an. Wenn man aber den Begriff „Land" so auffasse wie
der Reklamant, so sei eine Landprise durchaus nicht unter allen Um-
ständen ungerechtfertigt. Daß im allgemeinen auf dem Lande keine
Prisen gemacht würden, treffe für Ladungsgut unbedingt zu. Selbst für
Schiffe müsse man sagen, daß, wenn sie von der Küste entfernt im Lande
lägen, sie in vielen Fällen wohl ihren Charakter als Seegut verloren haben
und zu Vermögensstücken geworden sein würden, welche völkerrecht-
lich die Beschlagnahme nicht zuließen. 'Aber im Falle, daß ein Schiff
im Dock sei selbstverständlich, und auch im Falle, daß ein Eigentümer
sein Schiff, um es der Beschlagnahme zu entziehen, auf das Ufer
ziehen würde, verliere das Schiff dieserhalb keineswegs seinen Charakter
als Seegut und unterliege daher selbstverständlich der Beschlagnahme.
Wenn man an dem Wasserufer eine Linie ziehen und dann behaupten
wolle, daß, sobald diese Linie auch nur um einen Schritt überschritten
werde, ohne die Umstände des Falls zu erwägen, schlechthin auf die
Beschlagnahme verzichtet werden müsse, so müßten in Zukunft einem
Inselreich wie Japan, wenn es genötigt sei, sich mit seiner iMarine-
macht gegen einen kontinentalen Feind zu wenden, aus dieser Schranke
die größten Schwierigkeiten erwachsen.
Kurz und gut, die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden
Schiffes stimme mit dem Geist unserer Seeprisenordnung, welche die
260
Prisaogerichtsentscheidungen: „Thalia'^ Abschnitt VI i<
Grenzen der Beschlagnahme nicht positiv festgelegt habe, überein und,
daß das Prisengericht zu Yokosuka bei der Untersuchung der Frage,
ob das Out Seegut sei oder nicht, sich um den Ort, wo dasselbe
sich befunden habe, nicht gekümmert habe, sei durchaus richtig gewesen.
10. Der Reklamant mache geltend, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff, weil es als Ladung auf dem Dampfer „Progreß" ver-
schifft und in Hakodate ans Land geschafft worden sei, ein gewöhn-
liches Ladungsgut wäre. Aber in dem Vernehmungsprotokoll des da-
mals bei der Hakodate Dock Aktiengesellschaft angestellten M i z u n o
Yokei heiße es:
„Wie ist die „Thalia" nach Hakodate geschafft worden?"
„Wie sie dorthin gekommen ist, weiß ich nicht, als sie aber
nach der Dockgesellschaft kam, schwamm sie auf dem
Wasser."
Das sei ein deutlicher Beweis dafür, daß der Agent des Reeders in
Hakodate die „Thalia" als Schiff behandelt habe, und sie sei deshalb
nicht wie Bauholz, welches in das Wasser geworfen werde, anzusehen.
Selbst zugegeben, es habe einmal eine Zeit bestanden, wo das Schiff
ein zum Lande gehöriges Vermögensstück gewesen sei, so habe es doch
bereits, bevor es ins Dock aufgenommen worden sei, seine gewöhnliche
Natur wiedererlangt gehabt.
Das Fehlen der Schiffsflagge, der Schiffspapiere usw. stelle die
Natur des Schiffes als eines Stückes Seegut nicht in Frage, und in den
meisten Prisenfällen sei dies im üegenteil eine Anreizung zur Be-
schlagnahme.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant mache folgendes geltend.
A.
Das Gericht erster Instanz habe ausgeführt, daß
ein Schiff, welches in einem Dock oder dergleichen liege,
sich in durchaus natürlichen Umständen befinde und, wenn
es auch damit für eine Zeit auf das feste Land gerate, da-
durch doch nicht seinen Charakter als Seegut verliere usw.
Diese Ausführungen stützten sich lediglich auf die Schiffsnatur des
Dampfers „Thalia", ohne zu untersuchen, ob die Aufbringung an dem
Orte, wo sie geschehen sei, zulässig gewesen sei oder nicht. Die Fnt-
scheidung auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden Schiffs stehe
indes in Widerspruch mit dem fundamentalen Grundsatz, daß eine See-
beschlagnahme nur in Gebietsgewässer oder auf offener See ausgeführt
werden könne. Sie sei daher, wie nachstehend erörtert, unrechtmäßig:
I. Die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs
2G1
Abschnitt VI^* Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia''.
sei eint Verletzung der japanischen Seeprisenordnung. Die Bestimmung
des § 2 unserer Seeprisenordnung:
die Visitierung, Durchsuchung und Beschlagnahme dürfen
nicht stattfinden in neutralem Hoheitsgewässer oder in
Wassergebieten, welche durch Vertrag ausdrücklich als außer-
halb des Kriegsgebiets belegen bezeichnet sind
bedeutet nur, daß die Kaiserlichen Kriegsschiffe in neutralem Hoheits-
gevc'ässer und in Wassergebieten, welche ausdrücklich durch Vertrag
als außerhalb des Kriegsgebiets belegen bezeichnet sind, keine Visi-
tierung, Durchsuchung und Beschlagnahme ausführen dürfen. Es ist
aber tatsächlich unbestreitbar, daß die hier verhandelte Beschlagnahme
weder in einem neutralen Hoheitsgewässer noch in einem Wassergebiet,
vcelches durch Vertrag ausdrücklich als außerhalb des Kriegsgebiets
belegen bezeichnet worden ist, ausgeführt worden ist. Daher ist die
Beschlagnahme keine Verletzung unserer Seeprisenordnung.
II. Der Reklamant behauptet, die zur Verhandlung stehende Be-
schlagnahme sei in Widerspruch mit dem unter dem 21. November
190(1 veröffentlichten Haager Vertrag. Dieser Vertrag bezieht sich je-
doch auf die Rechtsbestimmungen und die Praxis des Landkriegs und
hat mit dem Recht und der Praxis des Seekriegs nichts zu schaffen.
Daher ist auch die Begründung des Reklamanten, daß die Beschlag-
nahme eine Handlung sei, die gegen den Haager Vertrag verstoße,
unbegründet.
III. Der Reklamant sagt, die zur Verhandlung stehende Beschlag-
nahme widerlaufe dem Völkerrecht und begründet dies folgendermaßen :
a) Von jeher sei das Privatvermögen zu Lande völkerrechtlich
als unverletzbar angesehen worden. Da aber das zur Verhandlung
stehende Schiff sich zurzeit bei einem Dock auf dem festen Land
befunden habe, so sei die Beschlagnahme desselben rechtswidrig.
b) Viele Gelehrte sagten mit Bezug auf den Ort, an welchem
Schiffe beschlagnahmt werden könnten, entweder, daß die Beschlagnahme
auf der See zu erfolgen, oder daß sie auf der offenen See oder im Ge-
bietsgewässer der kriegführenden Staaten stattzufinden habe, oder daß
das Objekt der Beschlagnahme das auf der See schwimmende Gut sei.
Auch habe der internationale Völkerrechtskongreß im Jahre 1882 be-
schlossen, daß Seeprisen nur auf dem Wasser gemacht werden dürften.
Die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme stehe daher mit der
Wissenschaft in Widerspruch.
c) Bei der zur Verhandlung stehenden Beschlagnahme habe es
an der das Seeprisenwesen rechtfertigenden Notwendigkeit gefehlt.
d) Daraus, daß die Parteien in einem Kriege die Staaten seien,
folge als Grundsatz, daß das Privatvermögen unverletzlich sei. Die
Beschlagnahme von Privatvermögen zur See bilde lediglich eine Aus-
262
Prisengerichtsentscheidungen: „Thalia'^' Abschnitt VI^^
nähme hiervon. Im Zweifel, ob ein Out zum Lande oder zur See
gehöre, müsse der Grundsatz, Ausnahmen eng auszulegen, befolgt und
das betreffende Out für Out zu Lande angesehen werden. Daher sei
auch das zur Verhandlung stehende Schiff als üut zu Lande zu be-
trachten und unter den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Privat-
vermögens zu stellen.
e) Da die rechtliche Natur eines Docks und des dasselbe um-
«.^ebenden Landes von der der See klar unterschieden sei, so sei die
Beschlagnahme an einem derartigen Ort unzulässig.
f) Selbst wenn man Schiffe in einem Dock mit solchen, die im
Hafen schwämmen, für gleich erachten wolle, so sei doch die Beschlag-
nahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes bei dem Dock auf
dem festen Land widerrechtlich.
Zu a) Daß ein Schiff sich vorübergehend wegen nötiger Repa-
raturen in einem Dock oder auf einem Bauplatz befindet, dient nur
dem Zweck, den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Schiffes in vollem
.Maße zu erreichen, und bedeutet daher weiter nichts, als daß es während
der Arbeiten vorübergehend aus dem Wasser entfernt worden ist. Wenn
auch in solchem Fall der Ort, wo das Schiff sich befindet, zufällig zu
der Zeit nicht vom Seewasser bedeckt ist, so muß man doch sagen,
daß gegen ein solches Schiff das Beschlagnahmerecht ausgeübt werden
kann. Es ist daher unbegründet, wenn der Reklamant sagt, daß die zur
Verhandlung stehende Beschlagnahme, weil sie auf dem Lande erfolgt
5.ei, ungesetzlich sei.
Zu b) In der Annahme, daß ein Schiff für gewöhnlich auf dem
Wasser schwimmt, haben die Gelehrten mit Bezug auf Orte, an welchen
Schiffe beschlagnahmt werden können, Worte wie „die See" oder „die
offene See und die Gebietsgewässer der kriegführenden Staaten'' oder
„Güter, welche auf der See schwimmen" gebraucht. Auch hat der
internationale Völkerrechtskongreß in Turin beschlossen, daß das Be-
schlagnahmerecht außer in den Gewässern der kriegführenden Staaten
una auf dem offenen Ozean nicht ausgeübt werden könne. Aber
alles dies hat nur die gewöhnlichen Fälle im Auge und es steht außer
Frage, daß der Fall, daß ein Schiff auf dem Bauplatz eines Docks liegt,
gerade wie ein solcher, wo ein Schiff zum Schutz oder zur Überwachung
für eine Zeit auf das Ufer gezogen worden ist, dem Fall gleich zu
achten ist, wo es im Wasser schwimmt. Daher steht die zur Verhandlung
stehende Beschlagnahme nicht im Widerspruch mit der Wissenschaft.
Zu c) Wenn auch das zur Verhandlung stehende Schiff auf dem
Arbeitsplatz eines Docks lag, so Mcar es doch ein feindliches Schiff,
welches noch wieder zu fahren fähig war, und seine Beschlagnahme
steht nicht im Widerspruch mit der Idee des Völkerrechts, die das
Seeprisenwesen gutheißt.
2G3
Abschnitt VI'^ Prisengerichtsentscheidungen : „Thalia'^
Zu d) Da die Tatsache unbestritten ist, daß das Objekt der zur
Verhandlung stehenden Beschlagnahme ein Schiff ist, weiches nur var-
übergehend zur Reparatur auf dem Bauplatz eines Docks lag, so ist
kein Raum für einen Zweifel darüber, ob dies Objekt Gut zu Lande oder
zur See sei, und eine Auslegungsfrage, wie der Reklamant sagt, entsteht
gar nicht.
Daß die Punkte e) und f) des Reklamanten unbegründet sind, geht
bereits aus dem zu a) Gesagten klar hervor. Diese Punkte bedürfen
daher keiner Erörterung.
In B. führt der Reklamant folgendes aus:
Das zur Verhandlung stehende Schiff sei, um in Hakodate repa-
riert zu werden, auf einem anderen Dampfer verladen und dorthin
geschafft worden. Da, während es auf dem Lande gelegen habe, dieser
Zweck noch fortgedauert habe, so sei das Schiff weiter nichts als ein
Ladungsstück, welches an Land geschafft sei. Auch seien zur Zeit der
Beschlagnahme des Schiffes die Reparaturen noch nicht vollendet und
das Schiff nicht in reisefähigem Zustand gewesen, und die zur Reise
erforderliche Ausrüstung und die Mannschaft habe gefehlt. Es müsse
daher als ein Out, welches auf dem Lande in der Nähe des Docks
lag, selbstverständlich freigegeben werden.
Da es aber aus der Vollmacht des Reklamanten, den Vernehmungs-
protokollen des Inspektors des Zollamts in Hakodate, Nakada Kura-
noske, und des bei der Hakodate Dock Aktiengesellschaft angestellten
Mizuno Yokei und den Untersuchungsakten des Prisenrats in Yoko-
suka, Sakakiwara Chusaburo, hervorgeht, daß das zur Verhand-
lung stehende Schiff russischer Nationalität ist, da es ferner unbestritten
ist, daß die Hakodate Dock Aktiengesellschaft Auftrag hatte, ein Schiff
zu reparieren, so kann man lediglich daraus, daß die „Thalia", um
nach Hakodate zu gelangen, einmal auf einem anderen Schiff verladen
gewesen ist, nicht schließen, daß sie kein Schiff sei.
Da des weiteren zur Zeit der Beschlagnahme das Schiff der Eorm
nach ein solches darstellte, so kann die Tatsache, daß die Reparatur
desselben teilweise noch unvollendet war, so daß es nicht sofort reise-
fähig war, auf die Wirksamkeit der Beschlagnahme keinen Einfluß haben.
Dies um so >x'eniger, als aus dem Bericht des Offiziers, der die Beschlag-
nahme ausführte, nicht zu entnehmen, ist, daß das Schiff nicht reise-
fähig gewesen sei, vielmehr aus dem Vernehmungsprotokoll des bei der
Hakodate Dock Aktiengesellschaft, welche' das Schiff in Gewahrsam hatte,
angestellten Mizuno Yokei sich hinreichend ersehen läßt, daß die
Reparatur bereits vollendet \xar und daß das Schiff reisefähig gewesen
sein würde.
Das Fehlen von wichtigen Schiffsgeräten, von Papieren und Mann-
264
Priiengerichtsentscheidungen: »Aggi*'. Abschnitt VI^'
schaft ist kein ürund, weshalb es seine Eigenschaft als solches ver-
lieren sollte.
Wenn also das Gericht erster Instanz das Schiff für ein richtiges
Schiff erklärte, so ist das eine zutreffende Entscheidung und durchaus
kein Mißverstehen der Tatsachen. Dieser Berufungspunkt ist demnach
ebenfalls verfehlt.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 9. Mai 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In Sachen der Beschlagnahme des norwegischen Dampfers „Aggi"
wird nach Einsichtnahme der Schriftsätze der Staatsanwälte Yama-
nioto Tatsurokuro und Hayashi Ei j uro wie folgt entschieden.
Urteilsform e 1:
Der norwegische Dampfer „Aggi" und seine gesamte Ladung
werden freigegeben.
Tatbestand und Grunde:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer gehört der norwegischen
Pinna Christian Michelsen & Co., sein Heimatshafen ist Bergen
in Norwegen und er fährt als Handelsschiff unter norwegischer Flagge.
hr hat in Bari in England 4021 Tons der Gesellschaft gehörige Stein-
kohlen geladen, ist am 1. April 1904 von Bari abgefahren und am
14. Mai in Singapore angekommen. Nach Order der Reederei ist er
am gleichen Tage von dort wieder abgefahren und am 25. Mai des-
>elben Jahres in Shanghai eingetroffen. Während er bei der Insel
(iutslaff vor Anker lag, erhielt er wieder Order der Reederei, auf
ürund deren er am 2. Juni von dort absegelte und am 4. desselben
Monats in Nagasaki eintraf. Am 7. des gleichen Monats wurde er,
weil seine Schiffspapiere nicht in Ordnung vcaren, von dem Kaiserlich
Japanischen Kriegsschiff „Katsuragi" im Hafen von Nagasaki beschlag-
nahmt.
Diese Tatsachen gehen hervor aus der schriftlichen Aussage des
Kommandanten der „Kätsuragi", Sakamoto Soshichi, den Ver-
nehmungsprotokolle des Marineleutnants Masume Yoshi,
des Kapitäns H. O h I s e n , des 1 . Offiziers Hans E d e , des 1 .
Maschinisten Christian O. Nielsen, dem Schiffszerlifikat, dem Meß-
265
Abschnitt VI^** Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping*^
brief, den Konnossementen und dem Chartervertrag des genannten
Dampfers.
Die Ansicht der Staatsanwälte ist in den Hauptpunkten folgende :
Die Beschlagnahme sei zwar, weil die Schiffspapiere nicht in
Ordnung gewesen seien, zu rechtfertigen, aber da es nicht klar er-
vc'iesen sei, daß die an Bord verschifften Kohlen für die russische Armee
oder Marine geliefert werden sollten, so könnten dieselben nicht für
Konterbande erklärt werden und müßten mit dem Schiff zusammen
freigegeben werden.
Die Ansicht des Qerichts ist folgende :
Die im Besitz des Kapitäns der „Aggi" befindlichen Konnossemente
sowie der Chartervertrag bezeichnen als Bestimmungsort „Singapore
und Order". Sie geben also den Bestimmungsort nicht klar an. Die
Schiffspapiere sind freilich beim Verhör durch den mit dem Fall be-
auftragten Prisengerichtsrat von dem Kapitän vorgelegt, dem beschlag-
nahmenden Offizier war jedoch die Vorlegung verweigert worden. Da
ferner unter den Schiffspapieren das Ladungsverzeichnis fehlte, so kam
der Kommandant der „Katsuragi" zu der Ansicht, daß die Schiffspapiere
nicht in Ordnung seien, und zu dem Verdacht, daß Kriegskonterbande-
transport vorliege. Die Beschlagnahme muß demnach für berechtigt
erklärt werden. ^)
Da aber der Dampfer am 4. Juni 1904, auf Order seiner Reederei
von Shanghai abgefahren, in Nagasaki eingetroffen ist, so kann nicht
angenommen werden, daß er auf der Fahrt nach dem feindlichen Ruß-
land begriffen gewesen sei. Es ist daher unbegründet, anzunehmen,
daß die Kohlenladung des Dampfers für die feindliche Armee oder
Marine geliefert werden sollte. Sie kann demnach nicht für Kriegs-
konterbande erklärt werden. 2)
Es ist daher recht, den zur Verhandlung stehenden Dampfer und
seine Ladung freizugeben, und es wird folglich wie in der Urteilsforniel
entschieden.
Im Prisengericht zu Sasebo am 25. Juni 1Q()4.
(Unterschriften.)
• in Sachen der Beschlagnahme des englischen Dampfers „Hsi-
Ping" und seiner Ladung wird nach Hinsicht des Schriftsatzes der
Staatsanwälte Mizukami Chojiro und Hayashi Kijuro, wie
folgt, entschieden.
i) V. § 39. 1. - ^) V. § 14.
2(JG
Pnsengerichtsentscheidungen: „H8i*Ping^'. Abschnitt VI^««
Urteilsformel:
Der Dampfer „Hsi-Ping" und die unter der Ladung befindlichen,
in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Hsi-Ping" steht im Kigen-
tiiin der englischen Kaiping-Minengesellschaft, G. m. b. H., sein Heimats-
haten ist Shanghai, er führt die englische Handelsflagge und ist ein
Handelsfahrzeug, vcelches zum Personen- und Gütertransport dient.
Vs ist beladen mit den in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten
(jütern und außerdem Blei, Eisen, Silbermünzen, Nahrungsmitteln und
(jetränken. Am 11. Juli 1904 ist er von Shanghai über Tschingwantao
nach dem von den Russen besetzten Niutschwang abgefahren und auf
der Reise dorthin am 14. desselben Monats, 8 Uhr vormittags, in der
See etwa 6^/2 Seemeilen nördlich von der Insel Kaiming bei dem
Shantung-Vorgebirge, weil er Kriegskonterbande führen sollte, von dem
Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Hongkong Maru" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden beviiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", Inouye Toshio, den Bericht
des Marineoberleutnants KamuraYasumasa über die Durchsuchung
diT „Hsi-Ping", die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns R. Mac-
farlan, des 1. Offiziers t. B. Hayes, der Kompradore N. Wai*
M eng und Pa>x' Meng Ching, das Schiffszertifikat, die Konnosse-
mente und das Ladungsverzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ansicht der Staatsanwälte sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei auf offener See be-
H'hlagnahmt worden, und da ein großer Teil der Ladung wie Blei,
Kken, Nahrungsmittel und Getränke vermöge ihrer Bestimmung nach
dem von dem Feinde besetzten Niutschwang Kriegskonterbande seien,
s(; sei die Beschlagnahme zu Recht ausgeführt worden. Aber das Schiff
und die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter seien frei-
zugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Ls steht fest, daß das Kriegsschiff „Hongkong Maru" die Beschlag-
nahme 61/2 Seemeilen nördlich von der Insel Kaiming bei dem Shantung-
V'orgebirge ausgeführt hat, daß dieselbe demnach auf offener See ge-
schehen ist.
Da ein großer Teil der Ladung aus Blei, Lisen, Silbergeld, Reis,
Vi'eizenmehl, Wein und Bauholz besteht, welche alle nach dem von
dem Feifide besetzten Niutschwang bestimmt waren, so hat der Kom-
mandant der „Hongkong Maru" in der Vermutung, daß, diese Waren
an die feindliche Armee oder Marine geliefert werden würden, und
267
Abschriitt VI«^
Prisengeiichtsentscheidungen : „Hsi-Ptng''.
daher Kriegskonterbande seien, i) das zur Verhandlung stehende Schiff
mit seiner Ladung zu Recht beschlagnahmt. 2)
^Da aber die Teile der Ladung, welche Konterbande sind, nicht
im Eigentum der Reederei,^) nämlich der Kaiping Minengesellschaft
stehen, sicher auch nicht angenommen werden kann, daß dieselben
unter Anwendung betrügerischer Mittel verschifft vi orden sind, *) so
wird es für billig erachtet, das zur Verhandlung stehende Schiff frei-
zugeben.
Was ferner die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten
Ladungsteile angeht, so sind sie der Natur der Waren nach alle nicht
als Konterbande anzusehen. Da sie auch nicht Eigentum des Eigen-
tümers der Konterbande sind, ^) so sind sie alle freizugeben.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 7. August 1904 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften.)
Verzeichnis der Qflter des
Dampfers
„Hsi-Ping'^
Nr.
Art der Güter
Zahl
Ablader
Ort der
Abladung
Empfänger
Bestimmung
3
Wollenzeug ") .
1
Weelcs&Co.
Shanghai
Mrs. Bush
Niutschwang
231
Muster . . .
1
Carlowitz
& Co.
Bush Bros
1)
253
Tee ... .
20
Meichers
Order
Tientsin
254
Engl, weiße
Unterhemden .
10
TuWooKun
Inhaber
I»
255
Schwarze
baumw. Tücher
5
»»
»>
»»
256
Graues Baum-
wollengam aus
Bombay . . .
10
>t
II
,,
294
Grüner Tee
15
TouSunWo
TouWaChin
II
295
Verschiedene
Waren und
Französisch.
Französisch.
Wagenräder
14
Armee
Armee
II
296
Weifies Baum-
wdllengam
25
C. Mac Ede
Inhaber
Chinwantao
297
Graues Baum-
wollengarn aus
Bombay . . .
25
*)
j>
II
364
Leinen . . .
1
Agentur der
P&O.S.N.Co
JardineMa-
theson&Co.
II
365
Gips ....
440
KaipingMin-
ingCo.Ltd.
Inhaber
II
0 V. §§ 5 u. 14. -
") Kleidungsstücke
klürt. Vgl. III.
- *) V. § 37. — •) V. 8 43,2. — *) V. §44. - '') V. §43,1*
und deren Materialien wurden erst später für Konterbande er-
208
Prfeengerichtsentscheidungen: ^^Hsi-Ping". Abschnitt VI^^i»
Reklamant: The Union Insurance Society of Canton Ltd., ver-
treten durch E. C. Lane, Shanghai, Jin-Kee Road Nr. 4;
The Yangtzse Insurance Association Ltd., vertreten durch W. S.
Jackson, Shanghai, Bund Nr. 26;
The World Marine Insurance Company, vertreten durch Ballard
^ Hunter, Shanghai, Canton Road Nr. 2;
The China Traders Insurance Company Ltd., vertreten durch
H. P, W od man, Shanghai, Nanking Road Nr. 7.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kvobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
In der Prisensache betreffend Ladung des englischen Dampfers
„Hsi-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die in dem beigefügten Verzeichnis A aufgeführten Güter der
Ladung des Dampfers „Hsi-Ping'' werden eingezogen.
Die Reklamation betreffend die unter der Ladung des genannten
Schiffes befindlichen, unter Nummer 4 bis 16, 229 und 244 bis 252
des beigefügten Verzeichnisses A und die in dem beigefügten Ver-
zeichnis B aufgeführten Güter wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter wurden in Shanghai, China,
auf dem englischen Dampfer „Hsi-Ping" verladen und verließen den
genannten Hafen den 11. Juli 1904 mit der Bestimmung nach Niut-
schwang, China. Auf der Reise dorthin wurden sie am 14. d. M.,
8 Uhr vormittags, auf der See etwa 6I/2 Seemeilen nördlich von der
Insel Kaiming bei dem Shantung-Vorgebirge, als der Dampfer
„Hsi-Ping", weil er Konterbande führe, von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Hongkong Maru" aufgebracht wurde, mit dem Dampfer zu-
sammen mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussage des Kom-
mandanten der „Hongkong Maru", Inouye Toshio, den Bericht
des Marineoberleutnants KamuraYasumasa über die Durchsuchung
der „Hsi-Ping", das Tagebuch, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
R. Mac Farlane, des 1. Offiziers K. B. Hayes, der Kompradore;
Paw Meng Chiung und N. Wai Meng, der Passagiere Tang
M i n g C h i e n , A. H a a s und A. Finkelstein, durch die Konnosse-
mente, das Ladungsverzeichnis und die Frachtbriefe, welche die Kompra-
dores bei sich hatten.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
269
Abschnitt VI^«* Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping".
1. Der Ort, an welchem der in Frage stehende Dampfer aufge-
bracht worden ist, liege nach Aussage des Kapitäns in einer Entfernung
von nicht ganz einer Seemeile von der chinesischen Küste. Die Be-
schlagnahme sei demnach in neutralem Hoheitsgewässer ausgeführt
worden und durchaus unrechtlich. Daher müßten die Güter mit Recht
freigegeben werden.
2. Unter den Gütern befänden sich Kisen und Getränke, welche
verschiedene einzelne Kaufleute einem Spediteur zur Beförderung über-
geben hätten und deren Empfänger sie selber seien, so daß die Güter
nicht für die feindliche Armee und Marine bestimmt gewesen seien.
Ferner hätten die Eadungseigentümer und der Reeder die gleiche
Art von Waren gewöhnlich nach Niutschwang verschickt. Auch hätten
sie bei der Versendung der zur Verhandlung stehenden Güter zunächst
bei dem chinesischen Zollamt angefragt und die Güter erst verschifft,
als sie die Antwort erhalten hätten, daß sie nur, wenn sie an die
kriegführenden Staaten geliefert werden sollten, Konterbande seien.
Daraus könne man entnehmen, daß die Absicht, sie an den Feind zürn
Kriegsgebrauch ziu liefern, nicht bestanden habe.
Überdies seien derartige Güter in Friedenszeiten sehr in Nach-
frage in Niutschwang, so daß sie regelmäßig von Shanghai eingeführt
würden. Auch in diesem Falle hätten die verschiedenen Ladungs-
eigentümer die Güter lediglich als gewöhnliche Handelswaren an ihre
Hauptgeschäfte in Niutschwang geschickt. Da die Güter luch der
Zahl nach als gering bezeichnet werden müßten, so sei es eine über-
trieben harte Annahme, daß sie besonders für den Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten.
Von den Reklamanten habe
die Union Insurance Society of Canton
für die Güter unter Nummer 1, 2, 4 bis 10 des Verzeich-
nisses A;
■die Yangtsze Insurance Association
für die Güter unter Nummer 11 bis 20, 201, 22Q, 243 bis
252 des Verzeichnisses A und unter Nummer 31, 32, 19Q
und 200 des Verzeichnisses B ;
die World Marine Insurance Company
für die Güter unter Nummer 21 und 22 des Verzeichnisses A
und unter Nummer 33, 37 bis 41, 44 bis 46, 50, 59, 103
und 108 des Verzeichnisses B;
die China Traders' Insurance Company
für die Güter unter Nummer 23 bis 27, 48, 49, 168 and 106
des Verzeichnisses B
Versicherungsverträge abgeschlossen. Da ihnen demnach rechtliches
Interesse zustehe, so beantragten sie Freigabe der Güter.
270
! Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping". Abschnitt Vl^^^
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme sei auf offener
See geschehen.
Die in den anliegenden Verzeichnissen aufgeführte Ladung be-
>lehe aus Konterbande und aus Gütern, welche den Eigentümern der-
selben gehörten. Daher müsse sie ganz eingezogen werden.
Da ferner die Reklamanten ihr Interesse an den in Frage stehenden
üfitern der Ladung nicht bewiesen hätten, so müsse die Reklamation
abgewiesen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
i. Daß die zur Verhandlung stehende Aufbringung in einer Ent-
fernung von mehr als 3 Seemeilen von der chinesischen Küste, das
heißt also auf offener See geschehen ist, geht aus der Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", dem Tagebuch der .,Hsi-Ping"
und dem Vernehmungsprotokolle des Kapitäns des genannten Dampfers
ohne jeden Zweifel hervor. Daher ist die Ausführung der Vertreter
der Reklamation im Punkte 1 unbegründet.
2. Da, wie bekannt, Niutschwang zu der fraglichen Zeit von den
russischen Truppen besetztes, also feindliches i) Gebiet war, sind die
zur Verhandlung stehenden Güter alle nach Feindesland bestimmt ge-
wesen.
Da das in dem beigefügten Verzeichnis A unter Nummer 249
b\b 251 aufgeführte Eisen, die Schrauben und Zwischen legeplatten der
Nummer 252 als Material zum Bau von Kriegs- oder anderen Schiffen
anzusehen sind, so fallen sie unter die Konterbande 2) und sind mit
Recht einzuziehen.
Die Güter unter Nummer 1, 2, 4 bis 9, 11 bis 15, 17 bis 22, 201
bis 219, 221 bis 229, 243 bis 247 des genannten Verzeichnisses sind
Nahrungsmittel und Getränke, wie sie vorzugsweise von Europäern
und Amerikanern verbraucht werden. Nach Aussage von Paw Meng
C h i u n g und E d m u n d H a y e s ist die Zahl der zurzeit in Niutschwang
ansässig gewesen gewöhnlichen Europäer und Amerikaner außerordent-
lich gering, wogegen russische Truppen in großer Zahl dort lagern.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit ein Hauptetappenort der russischen
Truppen. Wenn man alles dies in Erwägung zieht, erscheint es unbe-
streitbar, daß die große Menge von Lebensmitteln und Getränken zum
feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten. Da die Anführungen
der Prozeßvertreter und die von ihnen eingereichten Beweisstücke alle
nicht geeignet sind, um diese Annahme umzustürzen, so müssen auch
diese Güter als Konterbande^) angesehen und eingezogen werden.
Da ferner die unter Nummer 10 des Verzeichnisses A aufgeführte
1) V. § 5. — 2) II. Ziffer 1. - 3) II. Ziffer 2.
271
Abschnitt vi^^^i^ Prisengerichtsentscheidungen : „Hsi-Ping'*.
Tinte dem Eigentümer der Konterbande unter Nummer 9; die Schleif-
steine unter Nummer 16 dem Eigentümer der Konterbande unter
Nummer 15; das Parfüm unter Nummer 220 dem Eigentümer der
Konterbande unter Nummer 219 gehören und die Kerzen unter Nummer
248 nach dem auf der Rückseite des Ladescheins angegebenen Namen
und der diesbezüglichen Bescheinigung des Kompradore Paw Meng
Chiung vom Dampfer „Hsi-Ping" im gleichen Eigentum stehen x^i^
Konterbande unter Nummer 244 ff., so sind diese Güter jedenfalls ein-
zuziehen. *)
Die Vertreter der Reklamation behaupten, daß die Reklamanten
bezüglich von Gütern aus dem Verzeichnis A Versicherungsverträge
abgeschlossen und daher rechtliches Interesse an ihnen hätten. Bezüg-
lich der Güter unter Nummer 4 bis 16, 229, 244 bis 252 dieses Ver-
zeichnisses ist indes das Vorhandensein von Versicherungsverträgen nicht
bewiesen worden, und da keine Spur dafür vorliegt, daß sie sonst
ein rechtliches Interesse^) an ihnen haben, so ist die Reklamation mit
Bezug auf sie ungesetzlich und muß abgewiesen werden.
Die Vertreter der Reklamation haben am 14. September 1904 die
Reklamation bezüglich der im Verzeichnis A aufgeführten Güter er-
hoben. Später, am 14. Dezember, als die Reklamationsfrist«) schon
abgelaufen war, haben sie die Reklamation auf die in dem Verzeichnis B
aufgeführten Güter ausgedehnt. Da aber diese hinzugetretenen Güter
in der ursprünglichen Reklamationsschrift nicht enthalten gewesen sind,
so muß man die Reklamation bezüglich- ihrer für eine neue Reklamation
erklären. Da ferner diese Reklamation nach Ablauf der Reklamations-
frist erhoben ist, so muß sie als ungesetzlich abgewiesen werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. Dezember im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
4) V. § 43. - s) IV. § 16. -> 6) a. a. O.
2.72
PriMBgerichtsmtscheidungen : „Hsi'Ping".
Abschnitt VI i*k
Verzeichnisse der auf dem Dampfer „Hsl-Plng" versdiifften Güter.
Verzeichnis A.
.Nr. dM
Ltdong*-
T»r-
incbBisMt
Art der Güter
Zahl der
Stacke
Absender
Empfänger
1
2
• 4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
201
202
203
204
205
206
207
206
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
Bier ....
Konserven . .
Bier ....
Lachs . . .
Cherry Cordtal
Bier ....
Champagner .
Margarine . .
Tinte, . . .
Zucker . . .
Rotwein . . .
Zucker . . .
Gin ... .
Champagner .
Schleifsteine .
Bier ....
Rotwein . . .
Champagner .
Cognac . . .
Bier ....
Rotwein. . .
Bier ....
Wein. . . .
Bier ....
Ananas . . .
Früchte. . .
Käse. . . .
Pickles . . .
Tomaten . .
Whisky . . .
Oriental Water
Rum ....
Champagner .
Bier ....
Q^ac . . .
Champagner .
Bier ....
Cognac . . .
Champagner .
Parfümerien .
Milch . . .
Bier ....
Cognac . . .
Champagner .
50 Kisten
38 .
10 .
10 n
10 ,
20 ,
7 ,
2 .
1 Kiste
25 Kisten
2 .
1 Kiste
30 Kisten
20 ,
1 Kiste
200 Kisten
50 ,
20 .
40 ,
450 .
100 ,
1000 .
38 ,
18
29
10
15
8
8
10
10
100
10
105
10
15
10
10
15
10
1
11
10
15
10
Kiste
Kisten
Irvine,Edblad&Co.
Tun Chong Yu
A. Chazalon & Co.
A. Haas
Caldbeck, Mc.
Gregor & Co.
A. Finkelstein
Order
A. Haas
Hgkg. & Shgh.
Bank
A. Milkoff
Order
A. Danon
Marstrand-Meohlenburir, Dm Japuiisohe Prisenreolit. Buid I. (18)
273
AbschiHtt VlWk
PrismgerichtsentschetduBgen: „Hsi-Ping"
Nr. des
hadvcagi-
lelohnliseB
Art der Güter
Zahl der
Stacke
Absender
Empfänger
225
226
227
228
229
243
244
245
246
247
248
249
250
251
252
23
24
25
26
27
31
32
33
37
38
39
40
41
44
45
46
48
49
50
59
103
118
168
196
199
200
Bier
Cognac
Champagner . . .
Weizenmehl . . .
Europ. Lebensmittel
Lebensmittel . . .
Früchte
Lachs
Rahm
Bier
Lichte . . . . .
Eisen
10
15
10
1000
1
69
500
100
200
200
100
40
50
100
Kisten
Sack
Kiste
Kisten
A. Danon
Franju, Sorabju &
Co.
Christoph Decker
Unbekannt
Kolli
Schrauben und
Zwischenlegscheiben
Reis
Weizenmehl
Reis . . .
» • • •
Weizenmehl
Tee
Weizenmehl
Bier ....
Cognac . . .
Zucker . . .
Reis ....
Nanking-Stoffe
Tee ... .
13 Kisten
Verzeichnis B.
208
214
200
200
212
500
500
500
281
323
2000
1000
1000
50
50
100
1000
1000
1000
20
50
60
210
30
50
50
Sack
Kisten
Sack
Kisten
Sin Chong Yung
Yong Dong Wo
Tong Shin Yo
Teng Sang Shing
Yung Hsing Chong
Zui Chong
»
n
Sing Chong Yung
Yuen Tack Yu
m
Kai Fing Chang
Yuen Tack Yu
Tack Fa Ha
Chi Chi
Yung Shing Chang
Order
Christoph Decker
Unbekannt
Sin Chong Yung
Yong Dong Wo
Tong Shin Yo
Teng Sang Shing
Yung Hsing Chong
Yi Ching Tai
Yi Shun Hwa
Hing Mon Fuh
Sing Chong Yung
n
Yuen Tack Yu
Order
Yuen Tack Yu
Chang Loong Tai
Ming Ki Chow
Hing Moh Chang
274
PriMBgerichtseiitschelduiigen: „Hsl-Ping". Abschnitt VIi<k
Reklamanten: The Union Insurance Society of Canton Ltd., ver-
treten durch E. C Lane, Shanghai, Ying-kee Road Nr. 4;
The Yangtsze Insurance Association Ltd., vertreten durch W. S.
Jackson, Shanghai, Bund Nr. 26;
The »World Marine Insurance Company, vertreten durch B a 11 a r d
& Hunt er, Shanghai, Canton Road Nr. 2;
The China Traders' Insurance Company Ltd., vertreten durch
H. P. Wodman, Shanghai, Nanking Road Nr. 7.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und HatakeyamaShigeaki, Nagasaki,
Hiradomachi Nr. 18.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des englischen Dampfers „Hsi-Ping",
welcher am 14. Juli 1904 auf 37 <> 34 ' n. Br. und 122 » 29 ' ö. L. von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" beschlagnahmt worden ist,
auf Einziehung der in dem dem Urteil beigefügten Verzeichnis A auf-
geführten Güter und auf Abweisung der Reklamation betreffend die unter
der Ladung des genannten Schiffes befindlichen, unter Nummer 4 bis 16,
229 und 244 bis 252 des Verzeichnisses A und die in dem gleichfalls dem
Urteil beigefügten Verzeichnis B aufgeführten Güter entschieden.
Gegen dieses Urteil haben E. C. Lane, als Vertreter des Rekla-
manten Union Insurance Society of Canton Ltd.; W. S. Jackson als
Vertreter des Reklamanten Yangtsze Insurance Association Ltd. ; B a 1 -
lard&Hunterals Vertreter der Reklamanten World Marine Insurance
Company und H. B. Wodman als Vertreter des Reklamanten China
Traders' Insurance Company durch die Rechtsanwälte Suzuki Jubi
und Hatakeyama Shigeaki als Prozeß Vertreter die Berufung ein-
gelegt, welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur. Ishiwatari
Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte der Vertreter der Reklamation Suzuki
Jubi und HatakeyamaShigeaki und deren Gründe sind folgende :
Die Reklamanten hätten für die Güter von Irvin,Edblad&Co.,
A.Haas. Caldbeck, Macgregor & Co., A. Finkelstein,
Alfred Danon, Franju Sorabju & Co. und Christoph
Decker See- Versicherungsverträge abgeschlossen. Wenn diese Güter
eingezogen würden, so liege ihnen die Deckung des Schadens ob,
so daß sie an der Angelegenheit stark interessiert seien.
Die Zahl der von der Reklamation betroffenen Güter sei sehr groß.
Die wichtigsten unter ihnen seien aber Eisen, Weizenmehl und Zucker,
gewöhnliche Spirituosen und andere Getränke und Lebensmittel, welche
alle unter Ziffer 2 der Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 vom
Jahre 1904') fielen. Sie seien daher nur Konterbande, (1) wenn sie an die
(18*) 275
Abschnitt Vl^^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping"'.
feindliche Armee oder Marine bestimmt wären oder (2) wenn an-
genommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
oder Marine geliefert werden würden. Die genannten Güter seien indes
von verschiedenen einzelnen Kaufleuten einem Transportgeschäft zur
Beförderung übergeben und offenbar nicht für die feindliche Armee
oder Marine bestimmt. Das sei auch aus der Entscheidung betreffend
den Dampfer „Hsi-Ping", «) auf dem die Güter verladen seien, zu ent-
nehmen.
Was des weiteren die Frage angehe, ob sie für den Gebrauch der
feindlichen Armee oder Marine hätten geliefert werden sollen, so be-
förderten die Ladungseigentümer und Reeder gewöhnlich solche Güter
als Handelswaren nach Niutschwang und betrieben dieses Geschäft
schon seit lange. Da zu der fraglichen Zeit gerade Krieg bestanden
habe, so hätten die Reklamanten, um sicher zu sein, daß sie die nega-
tiven Pflichten neutraler Staatsangehöriger nicht verletzten, ausdrücklich
sich bei der chinesischen Zollbehörde erkundigt, und, wie sich aus dem
Beweisstück A 1 ergebe, die Antwort erhalten, daß Reis, Weizenmehl,
Zucker, Petroleum und Silbergeld keine Konterbande seien, wenn sie
nicht zum Gebrauch der kriegführenden Mächte geliefert werden sollten.
Erst danach seien die Güter versandt worden. Wenn die Eigentümer
den Zweck verfolgt hätten, sie zum Gebrauch einer der kriegführenden
Mächte zu liefern, so liege kein Grund vor, weshalb sie die Vorsicht
geübt haben sollten, sich diese Antwort zu verschaffen. Vielmehr müsse
man daraus schließen, daß sie nicht zum Gebrauch des Feindes hätten
geliefert werden sollen.
Daß in Niutschwang nach derartigen Waren starke Nachfrage
herrsche und daß dieselben stets von Shanghai und anderen Plätzen
dort eingeführt würden, gehe aus Beweisstück A 6 hervor.
Da ferner die verschiedenen Eigentümer alle in Niutschwang ihre
Hauptgeschäfte hätten, so hätten sie die Güter lediglich als Handels-
objekte bestellt. Wenn Kaufleute Güter als Handelsobjekte kommen
ließen, welche sie in gleicher Art schon mehrere Jahrzehnte lang hätten
kommen lassen, die Zahl der Güter auch gering sei, so sei es eine un-
billige Härte, anzunehmen, daß sie zum Gebrauch des Feindes geliefert
werden sollten. Wenn auch einige von den aufgebrachten Gütern sich
in der Zollstatistik ^) . nicht fänden, so sei der Grund der, daß gewisse
Lebensmittel zum Gebrauch in Speisewirtschaften oder zum gewöhnlichen
Bedarf dienten und nicht besonders in der Zollstatistik zur Eintragung
gelangten. Sie würden unter der Rubrik „Verschiedehe Waren" ein-
gestellt, seien aber bis jetzt tatsächlich eingeführt worden.
«) VI. 18a.
s) Eins der Beweisstücke ist eine Zollstatistik von Niutschwang, welche beweisen
soll, daß auch in Friedenszeiten Guter wie die in Frage stehenden einen Markt hatten«
276
Prisengerichtsentscheidungen; „Hsi-Ping". Abschnitt VI^**
Auch seien unter den von der Reklamation betroffenen Gütern
einige, welche zu den richtigen Nichtkonterbandegütern gehörten.
Wenn die japanische Seeprisenordnung ^o) im § 43 sage, daß Kriegs-
konterbandegüter und die dem Eigentümer derselben gehörigen Güter
eingezogen würden, so glaube der Reklamant, daß mit dem Eigentümer
von Kriegskonterbandegütern der Eigentümer absoluter Kriegskonter-
bande gemeint sei und daß der Eigentümer von Gütern, welche unter
gewissen Umstanden eingezogen werden könnten, darin nicht einbegriffen
sei. Denn die Einziehung von Nichtkonterbandegütern sei die Strafe für
den Transport von Konterbandegütern. Im Falle von Transport abso-
lut«' Konterbande müsse freilich der Eigentümer derselben, weil zu
vermuten sei, daß er einer der kriegführenden Parteien haben nützen
vollen, bestraft werden. Aber bezüglich der bedingten Konterbande
verde die Einziehung oder die Freigabe je nach den von dem be-
troffenen Staat angenommenen Tatsachen verfügt, so daß also eine
Vermutung wie im obigen Falle nicht bestehe und ein Grund zur
Bestrafung nicht vorliege.
Es werde daher Aufhebung des ganzen Urteils erster Instanz
und Freigabe der auf dem Dampfer „Hsi-Ping" verladenen, in dem der
Reklamationsschrift beigefügten Verzeichnis stehenden aufgebrachten
Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rokuro sind folgende:
1. Es sei bekannt, daß Niutschwang zur Zeit der Beförderung
der zur Verhandlung stehenden Güter von den russischen Truppen
besetzt, demnach feindliches Gebiet gewesen sei. Das bestreite auch
der Reklamant nicht.
Daß femer die unter den von der Reklamation betroffenen Gütern
befindlichen Eisenschrauben und Zwischenlegeplatten den von der
Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 1^) erwähnten Materialien zum
Bau und zur Ausrüstung von Kriegs- und anderen Schiffen entsprächen
und absolute Konterbande seien, stehe außer jedem Zweifel.
Die übrigen Güter seien Lebensmittel und Getränke, welche nach
Art und Verwendung alle für den Bedarf von Europäern und Amerikanern
geeignet seien. Zu der fraglichen Zeit hätten aber in Niutschwang viele
russische Truppen gelegen, wogegen gewöhnliche Europäer und Ame-
rikaner nur in geringer Zahl vorhanden gewesen seien. Außerdem müsse
daraus, daß, wie bekannt, Niutschwang zu jener Zeit einer der Haupt-
etappenorte gewesen sei, unzweifelhaft geschlossen werden, daß die
Güter, wenn sie nach Niutschwang gelangt wären, sofort zum Gebrauch
der feindlichen Truppen gedient haben würden. Güter, welche nach
*•) V. — ") II.
277
Abschnitt Vl^t^ Prisengerichtsentscheiduiigeii: „Hsi-Pfng".
feindlichem Gebiet bestimmt seien, und von denen angenommen werde,
daß sie zum Gebrauch der feindlichen Truppen geliefert werden würden,
müßten unter die Instruktion Nr. 1 des Marineministeriums fallen.
Es sei demnach zu Recht geschehen, wenn das Gericht erster
Instanz diese Güter für Kriegskonterbande angesehen und nach den
Regeln des Völkerrechts eingezogen habe. Daher sei die Berufung der
Reklamanten unbegründet
2. Es sei ein völkerrechtlicher Grundsatz und auch in der japa-
nischen Prisenordnung klar ausgesprochen, daß als Strafe für Kriegs-
konterbari dfetransport die Kriegskonterbandegüter selbstverständlich, aber
auch diejenigen Nichtkonterbandegüter, welche auf demselben Schiff
nach demselben Bestimmungsort verschifft worden seien und dem Eigen-
tümer der Kriegskonterbande gehörten, der Einziehung verfallen müßten.
Daher sei es belanglos, ob die Konterbandegüter absolute oder bedingte
seien. Es sei daher richtig, wenn das Gericht erster Instanz unter Zu-
grundelegung des oben dargelegten Sachverhalts und in Gemäßheit der
völkerrechtlichen Regeln und der Bestimmungen der japanischen See-
prisenordnung die Nichtkonterbande eingezogen habe, weil dieselbe im
gleichen Eigentum stehe wie die Konterbande.
Da wie oben ausgeführt, das Urteil erster Instanz in dieser Sache
zutreffend und die Berufung unbegründet sei, so müsse die Berufung
abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul Segawa in Niutschwang hat berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamtes geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge auf-
gezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Güter aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand, daß der Feind dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet hatte. Wenn daher
Güter dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden,
als ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien, i^) Es ist daher klar,
daß die Güter, wenn sie die Voraussetzungen von Kriegskonterbande
erfüllen, weggenommen werden müssen.
'') V. § 5.
278
Prisangerichtoentscheidangeii : „Hsi-Plng". Abschnitt VI » k
Die bei den Reklamanten versicherten Güter des Verzeichnisses A,
nämlich Eisen, Schrauben, Zwischenlegescheiben, sind Material zum Bau
von Kriegs- und anderen Schiffen und daher selbstverständlich Kriegs-
konterbande. 1*) Die übrigen Güter sind meistens Lebensmittel und Ge-
tränke, welche ihrer Art nach vorzugsweise dem Bedarf von Europäern
und Amerikanern dienen. Da zu der fraglichen Zeit in Niutschwang
friedliche Europäer und Amerikaner nur in geringer Zahl ansässig waren,
und, wie oben dargetan, der Platz ein russischer Hauptetappenort war,
so muß angenommen werden, daß die fraglichen Güter, wenn sie dort
eingetroffen wären, sofort zum Gebrauch der feindlichen Truppen ge-
liefert worden wären. Das gegenwärtige Völkerrecht erkennt aber an, daß
Lebensmittel und Getränke, welche nach feindlichem Gebiet gehen und
zum feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollen, bedingte Konter-
bande sind. **) Es muß daher als zutreffend anerkannt werden, wenn
das Urteil erster Instanz bezüglich dieser Güter die Einziehung erklärt
hat^*) Bei der Beförderung von Kriegskonterbande ist es nicht an-
gebracht, offen zu sagen, daß es sich um Konterbande handelt; vielmehr
sucht man das Unternehmen so zu bemänteln, daß es äußerlich den An-
schein eines einwandsfreien Transports hat. Wenn daher bei. der Ab-
reise eine ausdrückliche Anfrage beim Zollamt gemacht worden ist, ehe
der Transport ausgeführt wurde, so ist das durchaus nicht geeignet, die
obige Annahme umzustürzen.
Ferner ist es völkerrechtlich anerkannt, daß Güter, welche auf dem-
selben Schiffe wie Konterbandegüter, die nach Feindesland eingeführt
werden sollten und aufgebracht wurden, befindlich sind und dem Eigen-
tümer der Konterbande gehören, obwohl sie keine Konterbande sind, zu-
sammen mit der Konterbande eingezogen werden können, i«) Es ist
daher zu Recht geschehen, wenn das Urteil erster Instanz mit dieser
Begründung auch die Nichtkonterbandegüter eingezogen hat.
Die Reklamanten haben Freilassung der Güter beantragt, haben aber
bezüglich derjenigen Güter, welche in dem Verzeichnis A des Urteils
erster Instanz aufgeführt sind und bezüglich derer die Reklamation ab-
gewiesen ist, nicht bewiesen, daß sie für dieselben Versicherungsverträge
abgeschlossen haben. Auch sonst ist kein Beweis für das Vorhanden-
sein von rechtlichem Interesse erbracht worden.
Was weiter die Reklamation betreffend die in dem Verzeichnis B
des Urteils erster Instanz aufgeführten Güter angeht, so geht es, wie
das Urteil sagt, aus den Akten unzweifelhaft hervor, daß sie nach Ab-
lauf der Reklamationsfrist erhoben worden ist. Sie kann daher nicht
angenommen werden.
»») II Ziffer l. - ") II. Ziffer 2. - ««) V. § 43. - »«) V. §43.
279
Abschnitt VIi>« Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping*'.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: TängMingChien, Geschäftsführer der Firmen
Kai Fing Chiang und Shang Fa Yun in Shanghai, Kiangsi
Road Nr. 94 ; die chinesischen Staatsangehörigen Kwang Shun,.
Yuen Ching Dah, Tun Chong Yu, Yung Hsing Chong,
Tong FoungTai, Ku FoungTai, KongChangTong, Hon
Shan Ching, Wai Fah Hua, Yuen Chan Kung, Yu Chan
Wo, Fung Shun Yung, Yuen Fang, Hi Ta Cheong, Yuen
FahHoa,LoongHingYuen,SinChangYu,HaChfChing.
Am Cheong, TongFag Ha, HongFa Ha, Dah ShingTing^
Yue Fah Yuen, ZuiChong,Pow Yuen Ta,WanCheangTa,^
Whai Chong Loong,Loong Fa Ha, Tack Tai Hsing, Chi
Chi, Tack Wo Cheong, Chin Ta Foong, Tack Cheang^
Yuen, Fa Yuen Ho, Tong Shun Shing, Yuen Tack Yue,
Nan Shun Ta, Tack Cheong Yong, Yue Ta Shing, Tong;
Shing Yo, Yong Dong Wo und Teng Sang Shing sämtlich
wohnhaft in Shanghai, der griechische Staatsangehörige O. Rapanaki
und türkische Staatsangehörige A. Y. Levinson.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio^
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
In der Prisensache betreffend Ladung des englischen Dampfers
„Hsi-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Hsiping" verschifften, in dem beigefügten
Verzeichnis unter Nummer 23 bis 84, 88 bis 156, 168 bis 189, 190, '200, 230
232 bis 242, 257 bis 293, 298 bis 363 aufgeführten Güter werden ein-
gezogen; die unter Nummer 85 bis 87, 157 bis 167, 190 bis 198 werden
freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind in Shanghai auf dem
englischen Dampfer „Hsi-Ping'' verschifft und am 11. Juli 1904 von
280
Prisengerichtoentscheidunyen: „Hsi-Ping". Abschnitt VIi>»
dort, wie sich aus dem beigefügten Verzeichnis ergibt, nach Niutschwang,
Tientsin und Chinwantao in China abgeschickt worden. Auf der Reise
dorthin wurden sie am 14. d. M., 8 Uhr vormittags, auf der See etwa
61/2 Seemeile nördlich von der Insel Kaiming bei dem Shantung' Vor-
gebirge, als der Dampfer „Hsi-Ping", weil er Konterbande führe, von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht wurde,
mit dem Dampfer zusammen mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", InouyeYoshio, den Bericht
des Marineoberleutnants KamuraYasumasu über die Durchsuchung
der „Hsi-Ping'', die Abschrift des Tagebuchs, die Vernehmungsprotokolle
des Kapitäns R. Mac Farlane, des 1. Offiziers E. B. Hayes, der
Kompradores Paw Meng Chiung und N. Wai Meng, der Passa-
giere Tang Ming Chien, O. Rapanaki und Levinson, durch
die Konnossemente, das Ladungsverzeichnis und die Frachtbriefe, welche
die Kompradores bei sich hatten.
Die Hauptpunkte der Vertreter der Reklamation sind folgende:
1. Der Ort, an welchem der in Frage stehende Dampfer auf-
gebracht worden sei, liege nach Aussage des Kapitäns in einer Ent-
fernung von nicht ganz einer Seemeile von der chinesischen Küste.
Die Beschlagnahme sei demnach in neutralem Hoheitsgewässer aus-
geführt worden und durchaus unrechtlich. Daher müßten die Güter
mit Recht freigegeben werden.
2. Was das unter den nach Niutschwang bestimmten Gütern be-
findliche Blei angehe, so scheine es allerdings, als ob es durch Ziffer 1
der Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre 1904^) be-
troffen werde. In dieser Instruktion sei „Blei" indes nur in Klammer
hinter „Waffen, Munition, Explosivstoffe und deren Materialien" auf-
geführt, so daß es nicht absolut als Konterbande angesehen werden
könne. Vielmehr sei die richtige Auslegung die, daß es nur als Konter-
bande festgesetzt sei, wenn es als Material für Waffen und Munition
dienen solle. Da in Niutschwang kein Arsenal bestehe, so könne das
zur Verhandlung stehende Blei nicht als Material für Waffen angesehen
Verden. Daß es jährlich in sehr großer Menge zu Friedenszwecken
nach Niutschwang eingeführt werde, lasse sich aus Beweisstück A 6
entnehmen. Auch das hier in Frage stehende Blei sei nicht zum Kriegs-
gebrauch bestimmt und daher keine Kriegskonterbande.
Auch der Reis, das Weizenmehl, der Tee, der Zucker, das Bau-
holz und das Silbergeld, welche unter Ziffeär 2 der genannten Ministerial-
instruktion Nr. 1 fielen, würden erst Kriegskonterbande, wenn sie für
die feindliche Armee oder Marine bestimmt seien oder angenommen
281
Abschnitt VI»« Prisengerichteentschef düngen : „Hsi-Ping'*.
werden müsse, daß sie für den Gebrauch der feindlichen Armee oder
Marine dienen würden. Da aber die entsprechenden, zur Verhandlung
stehenden Güter von verschiedenen einzelnen Kaufleuten einem Spe-
diteur zur Beförderung übergeben worden und diese selber deren Emp-
fänger seien, so sei es klar, daß sie nicht für die feindliche Armee oder
Marine bestimmt gewesen seien.
Ferner hätten die Ladungseigentümer und der Reeder bei der
Verladung der zur Verhandlung stehenden Güter zunächst bei dem
chinesischen Zollamt angefragt und die Güter erst verschifft, als sie
die in Beweisstück A 1 niedergele^e Antwort der Zollbehörde erhalten
hätten, daß Reis, Weizenmehl und Silbergeld nur, wenn sie an die krieg-
führenden Staaten geliefert werden sollten, Konterbande seien. Daraus
könne man mehr als zur Genüge entnehmen, daß die Absicht, sie zum
Gebrauch des Feindes zu liefern, nicht bestanden habe.
Aus dem Beweisstück A 6 gehe hervor, d^ß derartige Güter in
Niutschwang zu Friedenszeiten sehr in Nachfrage stünden, so daß sie
regelmäßig von Shanghai eingeführt würden.
Des weiteren täten die Beweisstücke A 2 bis 4 dar, daß die
Ladungseigentümer, welche alle in Niutschwang ihre Hauptgeschäfte
oder Filialen hätten, die Güter als gewöhnliche Handelsobjekte dahin
versandt hätten. Es sei daher unbillig anzunehmen, daß sie zum Ge-
brauch des Feindes hätten dienen sollen.
3. Tientsin und Chinwantao seien neutrale Häfen, die zu diesem
Kriege nicht in der geringsten Beziehung stünden. Die dorthin be-
stimmten Güter seien daher keine Kriegskonterbande und müßten mit
Recht freigegeben werden.
4. Unter den Reklamanten betreibe Tang Ming Chien ein
Transportgeschäft und sei Inhaber der beiden Firmen Kai Ping
Chiang und Shang Fa Yun. Die übrigen 44 Reklamanten seien
alle Eigentümer der von der Reklamation betroffenen Güter. Die Güter
seien demnach freilich nicht Eigentum des Tang Ming Chien, da
er aber den Transport derselben übernommen habe und im Falle der
Einziehung derselben Schaden erleiden müsse, so habe er mit den
Eigentümern zusammen die Reklamation erhoben.
Die 41 Reklamanten außer Tang Ming Chien, Nan Shun
Ta, Yue Ta Shing, Rapanaki und L e v i n s o n beantragten Frei-
gabe der in dem beigefügten Verzeichnis bei ihren jeweiligen Firmen
angegebenen Güter; Nan Shun Ta das gleiche für die Güter unter
Nummer 232 bis 242; Yue Ta Shing für die unter Nummer 199 und
200 ; R a p a n a k i für die unter Nummer 51 bis 58, 60 bis 78, 140 bis 145 ;
Levinson für die unter Nummer 170 bis 183 des Verzeichnisses auf-
geführten Güter. Tang Ming Chien beantrage Freigabe sämtlicher
Güter.
282
PrtoMgericIltsentSGbeidangeii: ,,H8i*Ping<'. Abschnitt VIi<«
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme sei auf offener
See geschehen, und demnach rechtmäßig.
Von den nach Niutschwang gehenden Gütern seien die in dem
beigefügten Verzeichnis unter Nummer 19 bis 122 aufgeführten Güter
freizugeben, die übrigen alle einzuziehen.
Die nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter seien alle
freizugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
1. Die Vertreter der Reklamation machen geltend, daß die zur Ver-
handlung stehende Beschlagnahme in neutralem Hoheitsgewässer aus-
geführt und demnach unrechtmäßig sei. Aus der Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", dem Auszug aus dem Tagebuch
und dem Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Hsi-Ping" liegt der
Ort der Aufbringung ungefähr 6V2 Seemeile nördlich von der Insel
Kaiming, also mehr als 3 Seemeilen von der chinesischen Küste und
in offener See. Daher ist die zur Verhandlung stehende Beschlagnahme
rechtmäßig.
2. Es ist bekannt, daß Niutschwang zur fraglichen Zeit von den
Russen besetzt, also feindliches Gebiet war.*) Da das in dem bei-
gefügten Verzeichnis unter den nach Niutschwang gehenden Gütern
aufgeführte Blei, Zink, Kupferplatten, Argentanplatten, eiserne Wagen-
reifen (Nr. 116), Stücke von Eisenstäben, alte Eisenklumpen, Material
zur Herstellung von Waffen und Munition beziehungsweise Ausrüstung
von Kriegs- und anderen Schiffen sind,*) so müssen diese Güter, weil
nach dem feindlichen Niutschwang bestimmt, als Konterbande angesehen
Verden. Die unter Nummer 91 bis 93, 95, 97, 99, 116, 117, 121 und
132 aufgeführten Güter sind, daher einzuziehen.
Die Vertreter der Reklamation bringen vor, daß die Instruktion
des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre 1904*) Blei nicht absolut
als Konterbande ansehe. Die genannte Instruktion spricht aber in
Ziffer 1 von „Waffen, Munition, Explosivstoffe und deren Materialien
(einschließlich Blei, Salpeter, Schwefel usw.)" und zeigt damit, daß sie
Blei, Salpeter und Schwefel als Materialien für Waffen, Munition und
Explosivstoffe ansieht. Es ist daher außer Zweifel, daß sie Blei als
Kriegskonterbande erklärt hat.
Ferner bringen die Vertreter der Reklamation vor, daß, wie aus
dem Beweisstück A6 ersehen werden könne, in den Jahren 1902 und
1903 Blei in großer Menge nach Niutschwang eingeführt worden sei,
vas beweise, daß die Chinesen im Frieden viel Blei gebrauchten. Daraus
könne man ersehen, daß auch das zur Verhandlung stehende Blei nicht
zum Kriegsgebrauch habe geliefert werden sollen. Das Beweisstück
*) IV. § 5. — •) II Ziffer 1. *) II.
283
Abschnitt VI"»
Prisengerichtsentscheidungen : „Hsi-Ping"
A6 ist indes eine Ein- und Ausfuhrstatistik, welche die beiden Jahre
betrifft, in welchen die Russen Niutschwang besetzt gehabt haben. Sie
ist daher ungeeignet, um zu beweisen, daß die Chinesen viel Blei ge-
brauchten.
Was des weiteren die unter der für Niutschwang bestimmten
Ladung befindlichen Lebensmittel und Getränke, wie Weizenmehl,
Spirituosen, Ananas, angeht, so sind sie alle Artikel, wie sie bei Euro-
päern und Amerikanern in Nachfrage stehen. Nach Aussage von P a w
Meng Chiung und Edmund Hayes ist die Zahl der zur Zeit
in Niutschwang ansässig gewesenen gewöhnlichen Europäer und
Amerikaner außerordentlich gering, wogegen russische Truppen in großer
Zahl dort lagerten. Niutschwang war zur fraglichen Zeit ein Haupt-
etappenort der russischen Truppen. Wenn man alles dies in Erwägung
zieht, erscheint es unbestreitbar, daß die zahlreichen Lebensmittel und
Getränke zum feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten.
Ebenso ist es unzweifelhaft, da Geld, alte Eisenbahnnägel und Bauholz
von den russischen Truppen in der Mandschurei zum Krieg benötigt
wurden, daß auch diese Güter zum feindlichen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten. Es wird daher angenommen, daß die genannten Güter,
wenn sie auch nach dem beigefügten Verzeichnis an einen anderen Em-
pfänger gehen sollten, tatsächUch zum Kriegsgebrauch bestimmt und
daher Konterbande waren, s)
Demnach sind die unter Nummer 23 bis 46, 48 bis 84, 88 bis 90,
94, 96, 98, 101 bis 104, 106, 108 bis 115, 118, 124 bis 129, 131,
133 bis 151, 168 bis 180, 182 bis 189, 199 bis 200, 230, 232
bis 242 des beigefügten Verzeichnisses aufgeführten Güter einzuziehen. ^)
Die übrigen nach Niutschwang bestimmten Güter sind freilich keine
Konterbande, aber sie gehören Eigentümern von Konterbandegütern,
nämlich die unter Nummer
47 dem Eigentümer von 28, die unter
100 „ „ „
105 „
181 M n ff
119
'^^^^ ff ff ff
122
*^^ ff ff ff
123
*^^ II II ff
130
*^^ ff ff II
^■^^ ff ff ff
153-156 „ „ „
Daher sind sie alle einzuziehen.«)
Reklamation eingereichten Beweisdokumente sind nicht imstande zu be-
*) IL Ziffer 2. — «) V. § 43.
284
99,
ff ft
107,
ff II
103,
ff ft
120,
ff II
121,
ff ff
124,
ft II
131,
It ff
125,
II ff
151,
ft ft
Die
-von den Vertretern der
PriMBgerichtaentscheidungen: ^Hsf-Ping''
Abschnitt VI •••
weisen, daß die oben erwähnten üüter keine Kriegskonterbande sind.
Die unter Nummer 85 bis 87, 157 bis 167, 190 bis 198 des bei-
gefügten Verzeichnisses aufgeführten Güter sind weder Konterbande,
noch gehören sie Eigentümern von solcher. Daher sind sie freizugeben.
3. Tientsin und Chinwantao sind nicht feindliches Gebiet. Daher
können Güter wie diejenigen der zur Verhandlung stehenden, welche
dorthin bestimmt sind, weil kein Beweis vorliegt, daß sie zum feind-
lichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten, nicht als Kriegskonter-
bande aufgefaßt werden. Da aber der Absender aller nach dem bei-
gefügten Verzeichnis nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter
Tang Ming Chien und der Empfänger der Inhaber der Konnosse-
mente ist, so müssen die Güter alle als im Eigentum Tang Ming
Chien 's stehend betrachtet werden. Sie gehören dem Eigentümer
der unter Nummer 103 aufgeführten Kriegskonterbande. Es entspricht
aber dem Recht, daß Güter, welche einem Eigentümer von auf dem-
selben Schiff befindlicher Kriegskonterbande gehören, gleichgültig ob
sie nach Feindesland bestimmt sind oder nicht, eingezogen werden.
Daher sind die unter Nummer 257 bis 293, 298 bis 363 des bei-
gefügten Verzeichnisses aufgeführten Güter sämtlich einzuziehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht in Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Verzeichnis der auf dem Dampfer ,,Hsl-Plng^ verschifften Qfiten
Nr. der
Bakannt-
Art der Güter
Zahl
der
Stücke
(Kolli)
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort.
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
Reis
Weizenmehl
208
214
200
200
212
215
276
400
500
500
500
Tack Che-
ang Yuen
Shanghai
WaiFahHua
)»
Yuen Ching
Dah
Yong Dong
Wo
Tong Shin
Yo
Teng Sang
Shing
Tack Che-
ang Yuen
Niutschwang
WaiFahHua
»)
Yuen Ching
Dah
Yom
Tong Shin
Yo
Teng Sang
Shing
285
Nr. der
Bekanni-
maohunip
Art der Güter
Z»bl
der
Stttoke
(KoUi)
Absender
Lade-
. ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
34
Reis
350
Yuen Chan
Kung
Shanghai
Yuen Chan
Kung
Niutschwang
35
f»
225
Yuen Fang
>>
Yuen Fang
11
36
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172
f*
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II
37
j»
281
Yung Hsing
»
Yung Hsing
Chong
II
Chong
38
n .....
323
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11
11
39
Weizenmehl . .
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II
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n •
1000
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II
1»
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m
1000
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11
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Zui Chong
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Zui Chong
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43
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II
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n
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II
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45
n • . • . .
50
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11
11
46
n
100
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M
II
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47
Papier ....
200
WaiFahHua
11
WaiFahHua
j>
48
Weizenmehl . .
1000
Tack Che-
ang Yuen
1»
Tack Che-
ang Yuen
1»
49
n • •
1000
»
»
II
1»
50
m • •
1000
Yuen Tack
Yue
"
Yuen Tack
Yue
»•
51
Bier
15
Kai Ping
Chang
M
G.Rapanaki
1»
52
Spirituosen . .
10
»
11
»
53
Bier
10
n
II
II
54
Amer. Käse . .
2
n
II
II
55
Früchte . . .
10
n
II
»1
56
Sardinen . . .
8
n
II
II
57
Pickles ....
5
n
11
II
58
Marmelade . .
3
n
11
II
59
Bier
20
Yuen Tack
Yue
II
Yuen Tack
Yue
60
Champagner . .
6
Kai Ptng
Chang
II
G. Rapanaki
61
Rahm ....
10
II
II
62
Heringe . . .
5
n
II
II
63
Franz. Spargel .
3
»
1»
II
64
Cognac ....
15
>>
II
II
65
Ges. Rindfl. . .
7
>»
II
II
66
Liqueurs . . .
5
)>
II
11
67
Lachs ....
10
i>
II
II
68
Biskuits . . .
1
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11
II
69
Ananas ....
10
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II
i>
70
Schinken . . .
2
if
II
11
71
Rahm ....
10
)>
II
II
72
Tomaten . . .
5
)»
II
II
73
Getr. Obst . .
5
n
II
II
74
Amer. Spargel .
2
»
II
II
75
Rum
20
1»
II
II
286
Priwngerichtsentscheldungen: „Hsi-Ping''.
Abschnitt VI »•
Sr. der
BdUniit-
Art der GOter
Zahl
der
Stack.
(Kollo
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
76
Warfelzucker . .
2
Kai Ping
Chang
Shanghai
CRapanaki
Niutschwang
77
Sardinen . . .
2
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II
78
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5
u
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II
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Bauholz . . .
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II
Kong Chang
Tong
long
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Hon Chan
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Hon Chan
Ching
81
n ...
2000
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Kung
1»
Yuen Chan
Kung
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Yuen
»1
Yue Fah
Yuen
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Rotwein . . .
60
Kai Ping
Chang
II
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84
Tee
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II
II
85
Emaill. Becher .
5
Am Cheong
II
Am Cheong
86
» •
5
>»
II
II
87
Grüne Seife . .
10
11
II
1»
88
Weifier Zucker .
50
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II
Kong Chang
Tong
Tong
89
»
413
»
II
II
90
» •
258
»1
II
II
91
Zink
10
»»
II
II
92
Kupferplatten
2
»
II
II
93
Argentanplatten .
10
>»
II
II
94
Sweetmeats . .
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II
II
95
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II
II
96
Kandiszucker .. .
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II
II.
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Blei
50
Hon Chan
Ching
II
Hon Chan
Ching
98
Kandiszucker . .
50
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II
99
Blei
50
TongFoung
II
TongFoung
100
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15
»}
II
II
101
Weißer Zucker .
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Ching
II
Hon Shan
Ching
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n
121
Kong Chang
Tong
II
Kong Chang
Tong
103
Cognac ....
50
Kaiping
Chang
II
Order
»
104
Gin
5
»>
II
II
105
Eßgeschirr . .
5
»
II
II
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106
Wurst ....
1
1»
II
II
107
Zigaretten . . .
1
n
II
II
108
Schwarzer Tee .
20
Yuen Chan
Kung
II
Yuen Chan
Kung
109
Weißer Zucker .
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n
II
II
110
1*
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II
II
111
.
50
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1»
11
287
Abschnitt VI Mo
Prisengerichtsentscheidungen : „Hsi-Ping''
Nr. der
Bekannt-
machoDif
Art der Güter
Zahl
der
Stttoke
(KoIU)
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
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mungsort
112
Weifler Zucker .
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Yuen Chan
Kung
Shanghai
Yuen Chan
Kung
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Kandiszucker . .
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Yuen Tack
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Yue
Yue
116
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11
II
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II
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Cheong
II
Tack Wo
Cheong
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II
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II
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II
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II
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Chang
II
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Marmelade . .
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II
II
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Bier
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II
II
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»
If
II
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Champagner . .
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II
II
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10
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II
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Dah
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» •
5
II
99
Yun
Yun
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.
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II
II
288
Prisengerichtsentscheidungen : ,,H8i-Ping".
Abschnitt VI >••
Nr. der
BfkADllt-
BMcbang
Art der Güter
Zahl
der
Stttoke
(Kolli)
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
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Shanghai
Yue Yun
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Yuen
»
TackCheang
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»
Yu Sheng
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Chang
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Graues Japan.
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iCars tr and- Meohlenbur ff, Das japanische Prisenreclit. Band I. (19)
289
Abschnitt VI»»
Priaengerichtsentscheidungen : „Hsi-Ping '
Np. der
BekacDi-
xnaohong
Art der Güter
ZaU
der
SlUoke
rKoHi)
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Lade-
ort
Emp-
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Cheong
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11
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11
11
11
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11
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Ges. Rindfleisch.
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11
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Marmelade . .
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11
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Ching
11
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II
II
II
II
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II
11
II
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6
II
11
11
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11
11
11
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Chiang
II
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II
II
II
II
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II
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II
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11
11
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>>
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11
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11
264
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Yun
11
11
11
265
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II
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•
4
290
PriseiigeiiclitMiitscheldungeii: „Hsl-Plng^'
Abschnitt VI »•
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Zahl
der
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woUenzeug .
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1
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298
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Kai Ping
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»
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301
Chines. Bücher .
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Kerzen ....
1
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(19*)
291
Abschnitt VI ««•
Prisengerichtsentscheldungen : „Hsl-Ping*
Nr. der
Bekannt-
machung
Art der Güter
Zahl
der
Btttoke
(Kolli)
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
303
Federhalter . .
20
Kai Ping
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Shanghai
Kai Ping
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Chinwantao
304
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»
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Zeugschuhe . .
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Kerzen ....
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Graues Bombay-
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Japanisch. Baum-
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tt
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15
»» •
tt
317
Graue amer. Bett-
decken . . .
5
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Graues japanisch.
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Priiengerichtseiitscheldungeii : „Hsl-PIng".
Abschnitt VI l<«
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293
Abschnitt VI u • Prisengerichtsentscheidungen : , H^i-Ping ' *
Reklamanten: TängMingChien, Geschäftsführer der Firmen
Kai Fing Chiang und Shang Fa Yun in Shanghai, Kiangsi
Road Nr. 94; die chinesischen Staatsangehörigen Kwang Shun,
Yuen Ching Dah, Tun Chong Yu, Yung Hsing Chong,
Tong FoungTai, Ku FoungTai, KongChangTong, Hon
Shan Ching, Wai Fah Hua, Yuen Chan Kung, Yu Chan
Wo, Fung Shun Yung, Yuen Fang, Hi Ta Cheong, Yuen
FahHoa,LoongHingYuen,SinChangYu,HaChiChing,
Am Cheong, TongFagHa, HongFa Ha, Dah ShingTing,
Yue Fah Yuen, Zui Chong, Pow Yuen Ta,WanCheangTa,
Whai Chong Loong, Loong Fa Ha, Tack Tai Hsing, Chi
Chi, Tack Wao Cheong, Chin Ta Foong, Tack Cheang
Yuen, Fa Yuen Ho, Tong Shun Shing, Yuen Tack Yue,
Nan Shun Ta, Tack Cheong Yong, Yue Ta Shing, Tong
Shing Yo, Yong Dong Wo und Teng Sang Shing sämtlich
wohnhaft in Shanghai; der griechische Staatsangehörige G. Rapanaki
und türkische Staatsangehörige A. Y. Levinson.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Hsi-Ping", welcher am
14. Juli 1904 auf 370 34' n. Br. und 122^29' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des Dampfer
„Hsi-Ping" befindlichen, in dem dem Urteil beigefügten Verzeichnis unter
Nummer 23 bis 84, 88 bis 156, 168 bis 189, 199, 200, 230, 232 bis
242, 257 bis 293 und 298 bis 363 bezeichneten und auf Freigabe der
unter Nummer 85 bis 87, 157 bis 167, 190 bis 198 bezeichneten Güter
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Rechtsanwälte Suzuki Jubi und
Hatakeyama Shigeaki als Prozeßvertreter von Tang Ming
C h i e n und 44 anderer Reklamanten die Berufung eingelegt, welche
im Beisein des Staatsanwalts Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Vertreter der Reklamation
Suzukijubi und HatakeyamaShigeaki und deren Begründung
sind folgende:
Von den Reklamanten betreibe der chinesische Kaufmann Tang
Ming Chien mit den beiden ihm gehörigen Firmen Kai Ping
Chiang und Shang Fa Yun ein Transportgeschäft. Die übrigen
44 Reklamanten seien alle Eigentümer der zur Verhandlung stehenden
Güter. Wie aus Beweisstück A 4 hervorgehe, gehörten die aufgebrachten
294
Prisengerichtsentscheldungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VT^^
Güter freilich nicht dem Tang Ming Chien, sondern den anderen
Kaufleuten, und Tang Ming Chien habe lediglich ihren Transport
übernommen. Da er aber im Falle der Einziehung Schaden erleiden
müsse, so habe er zusammen mit den Eigentümern eine Reklamations-
schrift eingereicht und die Freigabe aller Güter beantragt.
Nun seien unter den zur Verhandlung stehenden Gütern zwei
ganz getrennte Arten vorhanden. Die einen seien nach Niutschwang
bestimmt, die anderen nach Tientsin und Chinwantao. Die ersteren
seien wieder in zwei Gruppen zu teilen: 1. Güter, welche der Ziffer 1
der Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre 1904, betreffend
die Kriegskonterbande im japanisch - russischen Kriege, entsprächen;
2. Güter^ welche unter Ziffer 2 dieser Instruktion fielen.
Unter Ziffer 1 falle nur eine einzige Ware, nämlich Blei. In
dieser Instruktion sei Blei indes nur in Klammer hinter „Waffen, Mu-
nition, Explosivstoffe und deren Materialien" aufgeführt, so daß es nicht
absolut als Konterbande angesehen werden könne. Vielmehr sei die
richtige Auslegung die, daß es nur als Konterbande gelte, wenn es als
Material für Waffen und Munition dienen solle. Als Waffe werde Blef
heutzutage außerordentlich wenig verwandt. Diese Eigenschaft trete
vielmehr erst hervor, wenn es mit anderen Metallen gemischt werde.
Dazu sei aber das Bestehen geeigneter Fabriken nötig, und in
Niutschwang seien solche nicht vorhanden, so daß das Blei nicht als
Material für Waffen gelten könne. Außerdem sei die Einfuhr von Blei
nach Niutschwang in Friedenszeiten groß und habe, wie aus Beweis-
stück A6, einer chinesischen Zollstatistik, hervorgehe, im Jahre 1903
42864 Taels, im Jahre 1903 20 758 Taels betragen. Daraus könne
man entnehmen, wie groß der Friedensbedarf der Chinesen für Blei
sei. Wenn aber das gegenwärtig zur Einfuhr bestimmt gewesene Blei
nicht zum Kriegsgebrauch der Truppen haben dienen sollen, so liege
kein Orund für seine Einziehung vor.
Die Arten der Güter, welche unter 2 fielen, seien freilich sehr
zahlreich; in der Hauptsache handele es sich aber um Reis, Weizen-
mehl, Tee, Zucker, Bauholz und Silbergeld, Diese seien Konterbande
nur, wenn sie für die Armee oder Marine bestimmt seien oder an-
genommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
oder Marine geliefert werden sollten. Da aber die Güter von ver-
schiedenen einzelnen Kaufleuten einem Transportgeschäft zur Be-
förderung übergeben und diese Kaufleute selbst die Empfänger seien,
so seien sie nicht für die feindliche Armee oder Marine bestimmt ge-
wesen.
Das lasse sich auch aus dem Urteil über den Dampfer „Hsi-Ping"
entnehmen. ^)
0 VI. 18a.
295
Abschnitt VI**« Prisengerichtsentscheidungen : .H^i-Ping'«.
Was des weiteren die Frage angehe, ob sie für den Gebrauch der
feindlichen Armee oder Marine hätten geliefert werden sollen, so be-
förderten die Ladungseigentümer und Reeder gewöhnlich solche Güter
als Handelswaren nach Niutschwang und betrieben dieses Geschäft schon
seit lange. Da zu der fraglichen Zeit gerade Krieg bestanden habe, so
hätten die Reklamanten, um sicher zu sein, daß sie die Pflichten neu-
traler Staatsangehöriger nicht verletzten, sich nachdrücklich bei der chine-
sichen Zollbehörde erkundigt und, wie aus dem Beweisstück A 1 hervor-
gehe, die Antwort erhalten, daß Reis, Weizenmehl, Zucker, Petroleum
und Silbergeld keine Konterbande seien, wenn sie nicht zum Gebrauch
der kriegführenden Mächte geliefert werden sollten. Erst danach seieir
die Güter versandt worden. Wenn die Eigentümer den Zwec* verfolgt
hätten, sie zum Gebrauch einer der kriegführenden Mächte zu liefern,,
so liege kein Grund vor, weshalb sie eine derartige Anfrage hätten
machen und sich eine derartige Auskunft hätten geben lassen sollen.
Wie aus Beweisstück A 6 ersichtlich, sei in Niutschwang gewöhnlich
sehr große Nachfrage nach solchen Gütern und die Einfuhr von Shang-
\\zi und anderen Plätzen entspreche einem allgemeinen Bedürfnis.
Da ferner die verschiedenen Ladungseigentümer in Niutschwang"
Haupt- und Zweiggeschäfte besäßen, so hätten sie die Güter, wie aus
den Beweisstücken A 2 bis 4 hervorgehe, als Handelsobjekte dorthin
befördern lassen. In Anbetracht dessen, daß sie Waren gleicher Art
.schon mehrere Jahrzehnte lang eingeführt hätten und die Zahl der
Güter auch gering sei, so sei es eine unbillige Härte, anzunehmen^
daß sie zum Gebrauch des Feindes geliefert werden sollten.
Nach den Ladescheinen zu urteilen, gehörten die meisten der
zur Verhandlung stehenden Güter Kai Ping Chiang und Shang
Fa Yun, und das könne zu dem Verdacht Anlaß geben, daß so viele
Güter, welche von derselben Firma befördert wurden, zum Gebrauch
der feindlichen Truppen geliefert werden sollten. Da aber der Chef
der genannten Firma, Tang Ming Chien, ein Transportgeschäft
betreibe, so seien die Güter nur unter seinem Namen verladen worden
und es werde durch die Beweisstücke A 2 bis 4 dargetan, daß sie Kauf-
leuten verschiedener Plätze gehörten. Nach alter kaufmännischer
Handelsusance in Shanghai übergäben Kaufleute, welche ihre Güter nach
einem anderen Hafen verschicken wollten, diese meistens gänzlich einem
Transportgeschäft. Leute wie Tang Ming Chien zahlten jährlich
mehrere hunderttausend Taels Fracht an die Reeder und in den letzten
zehn Jahren seien an Fracht über 4 Millionen Taels von ihm bezahlt
worden. Wenn man dies erwäge, so könne man daraufhin, daß die
meisten Güter auf den Namen Tang Ming Chiens stünden, nicht
schließen, daß sie Konterbande seien.
Wenn auch einige von den aufgebrachten Güterarten sich in der
296
Prisengorichtsentscheidungen: „Hsl-Ping". Abschnitt VI**«
Zollstatistik nicht fänden, so sei der Grund der, daß kleine Mengen
von Lebensmitteln zum Gebrauch in Speisewirtschaften oder von ge-
wöhnlichen Konsumenten nicht besonders in der Zollstatistik eingetragen,
sondern alle zusammen in die Rubrik „Verschiedene Waren" eingestellt
seien. Wenn auch femer einige der zur Verhandlung stehenden Güter
mit den bisherigen Einfuhrgütern der Statistik, was ihre Farbe oder
ihre Herkunft angehe, nicht übereinstimmten, so seien doch diejenigen,
welche bezüglich der Warengattung nicht übereinstimmten, nur sehr
venige.
Bezüglich der nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter
sei zu bemerken, daß diese Plätze absolut neutrale Häfen seien und zu
dem Krieg keine Beziehung hätten. Daher seien die dorthin bestimmten
Güter keine Konterbande, und die Verhängung der Konfiskation seitens
der ersten Instanz mit der Begründung, daß sie Konterbandeeigentümern
gehörten, sei falsch und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der Eigentümer, von dem der § 43 der Seeprisen Ordnung
in den Worten
„Kriegskonterbandegüter und die dem Eigentümer derselben
gehörigen Güter werden eingezogen"
spreche, bedeute den Eigentümer absoluter Kriegskonterbande und be-
zeichne nicht den Eigentümer sogenannter bedingter Konterbande. Denn
die Einziehung von Nichtkonterhandegütern, welche einem Eigentümer
von Konterbande gehörten, sei die Strafe für den Transport der Konter-
bandegüter. Im Falle eines Transports absoluter Konterbande könne
freilich vermutet werden, daß der Eigentümer derselben einer der krieg-
führenden Parteien habe nützen wollen. Aber bei bedingter Konterbande
ruhe die Entscheidung über die Frage, ob die Güter Konterbande seien
oder nicht, einzig bei dem betroffenen Staat, so daß also die gleiche
Vermutung hier nicht ohne weiteres Platz greife und ein Grund zur
Bestrafung nicht bestehe.
2. Wie schon oben ausgeführt, reklamiere TängMingChien,^
weil er den Transport übernommen gehabt habe. Daß in den Konnosse-
menten und anderen Papieren TängMingChiens Firma verzeichnet
sei, beruhe auf einem Handelsbrauch in Shanghai, und daß außer ihm
Eigentümer da seien, werde durch das Beweisstück A dargetan. Das
Gericht erster Instanz habe diesen Beweis aber außer Acht gelassen
und angenommen, daß die auf den Papieren erscheinenden Namen
der Firmen Kai Ping Chiang und Shang Fa Yun die Eigen-
tümer der Güter andeuteten. So sei es dahin gekommen, daß das
Gericht Nichtkonterbandegüter, welche Personen gehörten, die nicht
Eigentümer von Konterbande seien, mit in seine Strafe hineingezogen
habe.
Was Zink, Kupfer und Argentanplatten angehe, so möge es Fälle
297
Abschnitt VI^*« Prisengerichtsentscheidungen: ,,Hsi-Ping".
geben, wo sie in dem vorhandenen Zustand Material für Waffen, Mu-
nition, für den Bau und die Ausrüstung von Kriegs- und anderen Schiffen
abgäben. Aber es gebe auch Fälle, wo sie nach der Art ihrer Form
durchaus nicht zu derartigem Gebrauch dienen könnten; und man könne
nicht sagen, daß Güter, welche schließlich nach vielen Bearbeitungen
die Fähigkeit solcher Verwendung erreichen könnten, ihrer Natur nach
unbedingt Material für Waffen darstellten. Man müsse daher zur Recht-
fertigung der Annahme, daß solche Güter Material für Waffen seien,
nach ihrer Menge oder Form usw. klarstellen, daß sie ohne weiteres zu
diesem Zweck geliefert werden sollten. Die Reklamanten seien der
Ansicht, daß die genannten Güter freilich, wenn sie nach Menge und
Form sogleich zum Gebrauch für Waffen usw. dienen könnten, absolute
Kriegskonterbande seien; daß sie aber, wenn erst durch viele Bearbeitung
ihre Form und Natur geändert werden müsse, damit sie als Material für
Waffen usw. dienen könnten, keine Kriegskonterbande seien.
Wie schon dargetan, erführen die zur Verhandlung stehenden
Waren eine große Einfuhr, sie würden auf friedliche Nachfrage geliefert
und seien kein Material für Waffen. Auch seien sie nicht in dem Zustand,
um als solches Material dienen zu können und gehörten daher, wie er-
wähnt, unter die Nichtkonterbandegüter.
Um darzutun, daß die vorhandene Ware ohne weiteres als Material
für Waffen dienen solle, sei es nötig, ihre Menge und Form klarzustellen,
und, um ihre Einziehung zu verfügen, müßten die Gründe, weshalb
sie solches Material seien, dargestellt werden. Das Gericht erster Instanz
habe aber die genannten Güter, ohne irgendwelchen Unterschied zu
machen, als absolute Kriegskonterbande angesehen. Dem könnten sich
die Reklamanten nicht unterwerfen.
Die eisernen Wagenreifen, die Stücke von Eisenstäben, die alten
Eisenklumpen möchten wohl indirekt zur Herstellung von Waffen, Mu-
nition, Kriegs- und anderen Schiffen dienen können. Sie seien aber
noch nicht ohne weiteres Material dafür. Wenn man diese Güter als
indirekt für solche Zwecke dienlich ansehe, dann müsse auch Bauholz,
Öl, Papier, überhaupt alles als derartiges Material gelten. Daher sei
auch der Auffassung, daß derartiges indirektes Material absolute Konter-
bande sei, nicht beizupflichten.
In dem Urteil erster Instanz werde ausgeführt,
was die unter der für Niutschwang bestimmten Ladung be-
findlichen Lebensmittel und Getränke wie Weizenmehl,
Spirituosen und Ananas angehe, so seien sie alle Artikel,
wie sie bei Europäern und Amerikanern in Nachfrage stünden.
Zur fraglichen Zeit sei aber die Zahl der in Niutschwang
ansässigen gewöhnlichen Europäer und Amerikaner außer-
ordentlich gering gewesen. Es sei daher ganz klar, daß
298
Prisengerichtsentscheldungeii: .H8i-Ping'. Aschnitt VI»«
derartig große Mengen von Lebensmitteln und Getränken
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden sollten.
Wenn es auch nicht zu bejstreiten sei, daß die Zahl der dort
lebenden Europäer und Amerikaner nur gering und die der dort la-
gernden russischen Truppen sehr groß sei, so stünden doch Weizenmehl
und Spirituosen nicht nur bei Europäern und Amerikanern in Nach-
frage, sondern kämen auch bei den Chinesen zur Verwendung. Daß
Spirituosen und Weizenmehl, welches als Material zur Herstellung von
Kuchen diene, alljährlich in großer Menge eingeführt worden sei, sei
bereits nachgewiesen worden.
Reis ferner komme für Europäer und Amerikaner nicht in Frage,
sei vielmehr ein Lebensbedürfnis für dit Chinesen. Wenn daher der
Reis aus demselben Grunde wie Weizenmehl und Spirituosen als für
den Gebrauch des Feindes bestimmt zur Einziehung verurteilt worden
sei, so müsse man sagen, daß dies mit der ausgeführten Begründung
nicht zusammenpasse.
Daß Geld zum Krieg nötig sei, sei unzweifelhaft klar. Es sei
aber fraglich, wie der Eigentümer des Geldes dasselbe den russischen
Truppen habe liefern sollen; und man könne wohl sagen, daß er fast
kein Mittel habe, dasselbe zu liefern. Bei einem russischen Eigentümer
liege allenfalls die Möglichkeit, es zu liefern, vor; für einen Ausländer
sei es aber klar, daß er nicht besonders Geld einführen werde, um es
den russischen Truppen zu übergeben. Wenn es aber Leute gegeben
hätte, welche Geld für den Gebrauch der russischen Truppen hätten
liefern wollen, so würde es unsinnig sein, wenn sie dafür nicht einen
entsprechenden Gegenwert fordern sollten. Die russischen Truppen
hätten aber zur Zeit keine Güter besessen, durch deren Verkauf sie
sich Geld hätten verschaffen können.
Wenn ferner auch bei den russischen Truppen Bedarf für
chinesische Arbeit vorhanden sein möge, so sei doch kaum anzunehmen,
daß die Russen für die Chinesen arbeiten würden.
Es sei demnach klar, daß in keinem Falle das Geld zum Gebrauch
der russischen Truppen habe geliefert werden sollen, und es sei daher
unbillig, zu entscheiden, daß dasselbe zum Gebrauch des Feindes habe
dienen sollen.
Wozu die feindlichen Truppen alte Eisenbahnnägel und Bauholz
brauchten, sei nicht ersichtlich. Bauholz könne allenfalls zum Truppen-
gebrauch dienen. Alte Eisenbahnnägel würden dagegen niemals zum
Eisenbahnbau verwandt. Es sei daher kaum möglich, sich vorzustellen,
vozu diese im Krieg dienen sollten.
Einen Teil der Nichtkonterbandegüter habe das Urteil erster Instanz
mit der Begründung, daß sie Eigentümern von Konterbande gehörten,
eingezogen. Da aber, wie dargetan, der größte Teil dieser als Konter-
299
Abschnitt VI«*« Prisengerichtsentscheidungen: «Hsi-Ping*.
bände bezeichneten Güter keine Konterbande sei, so müsse die Ent-
scheidung anders ausfallen. Es scheine, als ob das Urteil erster Instanz
die nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter ungeachtet der
Warengattung als Nichtkonterbande ansehe. Trotzdem sei aber die
Einziehung der hierunter befindlichen, den Eigentümern von Konter-
bande gehörigen Güter verfügt worden. Die Worte des § 43 der
Seeprisenordnung 8) „und die dem Eigentümer derselben gehörigen
Güter bezögen sich auf Güter, die sich auf demselben Schiff befänden
und nach demselben Ort bestimmt seien. Daher dürften Güter, welche
nach anderen Häfen gingen, nicht eingezogen wer<len. Wenn man
auch solche Güter einzuziehen beabsichtige, so ergebe sich" das Resultat,
daß auch auf einem anderen Schiff verladene Güter eingezogen werden
müßten, wodurch den neutralen Staatsangehörigen schwerer Schaden
erwachsen müsse.
In dem Artikel 72 des Handbuchs des englischen Prisenrechts «)
heiße es, daß
auch in Fällen, wo man wissen könne, daß die Güter in
einem neutralen Hafen gelöscht würden, doch der Be-
stimmungsort der Güter als feindliches Gebiet angesehen
würde ;
ferner in der Straf bestimmung des Artikels 82:
Zur Strafe für den Transport von absoluten Konterbande-
gütern würden gewöhnlich diese Güter und das Interesse
ihres Eigentümers an der übrigen Ladung eingezogen.
Diesem scheine der Inhalt des Urteils erster Instanz zu ähneln.
Indes beziehe sich diese Bestimmung des englischen Rechts darauf,
daß auch neutrale Zwischenhäfen als Feindesgebiet anzusehen seien.
In der vorliegenden Sache sei aber eine solche Tatsache nicht nur nicht
angenommen, sondern es fehle auch an einer Bestimmung, welche eine
solche Annahme vorschreibe.
Ferner sehe das englische Recht die Strafe des Verlustes des
Interesses an dem übrigen Teil der Ladung für den Fall von absoluter
Konterbande vor. In dem vorliegenden Falle wolle man dagegen die
gleiche Strafe bei Einziehung von nicht absoluter Konterbande ein-
treten lassen.
Tang Ming Chien sei nicht Ladungseigentümer; es sei daher
8) V.
«) Artikel 72 des Manual of Naval Prize sagt: The destination of the vessel is
condusive as to the destination of the Goods on board. If, therefore, the destination
of the Vessel be Hostile, then the destination of the Goods on board should be con*
sidered Hostile also, notwithstanding it may appear from the papers or otherwise that
the Goods themselves are not intended for the Hostile port, but are intended either
to be forwarded beyond it to an ulterior Neutral destination, or to be deposited at
an intermediate Neutral port.
300
Prisengorichtsentscheidungen: .H8l-Ping\ Abschnitt VIi*^
schon ausgeführt worden, daß die nach Tientsin oder Chinwantao
gehenden Güter nicht als im Eigentum von Konterbandeeigentümern
stehend bezeichnet werden könnten. Selbst aber einmal angenommen,
er sei Eigentümer der unter Nr. 103 des Verzeichnisses aufgeführten
Güter, so sei doch Cognac weder absolute, noch auch, wie schon dar-
getan, bedingte Konterbande. Wie man es auch ansehe, könnten die
nach Tientsin und Chinwantao gehenden Güter nicht eingezogen werden.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz,
soweit es nicht auf Freisprechung von Ladungsstücken der „Hsi-Ping"
erkenne, und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe aller für eingezogen
erklärten Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
r 0 k u r o sind folgende :
1. Zur Zeit, als die zur Verhandlung stehende Ladung befördert
Torden sei, sei Niutschwang nicht nur von den russischen Truppen
besetzt, sondern auch ein wichtiger Etappenort für dieselben gewesen.
Die unter der Ladung befindlichen Lebensmittel und Getränke ent-
sprächen alle den Bedürfnissen von Europäern und Amerikanern. In
Niutschwang hätten nun russische Truppen in großer Zahl gelegen,
vogegen gewöhnliche Europäer und Amerikaner nur sehr wenige vor-
handen gewesen seien. Es sei daher ohne viel Worte klar, daß diese
Güter sofort nach ihrer Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch der
feindlichen Truppen gedient haben würden.
Infolge der andauernden Niederlagen der Russen zu Wasser und
zu Lande habe das in Niutschwang und in der Mandschurei verwandte
Kriegs-Papiergeld stark an Kredit verloren, so daß, um dem täglichen
Kriegsbedarf, zu entsprechen, kleines chinesisches Silbergeld auf das
dringendste benötigt worden sei. Daraufhin sei zweifellos auch das
zur Verhandlung stehende Geld nach dem Etappenort Niutschwang
geschickt worden, um dort nach Ankunft sogleich zum Gebrauch der
feindlichen Truppen zu dienen.
Auch Bauholz, alte Eisenbahnnägel usw. seien Artikel, deren die
russische Kriegsführung im höchsten Maße bedurft habe, so daß ver-
mutet werden müsse, daß auch diese Güter, wenn sie nach Niutschwang
gelangt wären, den feindlichen Truppen geliefert worden wären.
Es sei daher zutreffend, wenn" das Gericht erster Instanz auf
Grund der oben angegebenen Tatsachen und Gründe angenommen
habe, daß diese Güter der Ziffer 1 der Instruktion des Marineministeriums
Nr. 1 entsprächen, und auf Grund der völkerrechtlichen Prinzipien und
der Bestimmungen der japanischen Seeprisenordnung auf Einziehung
derselben entschieden habe.
2. Nach den Prinzipien des Völkerrechts und den Bestimmungen
301
Abschnitt VI *•• Prlsengeiichtsentschei düngen: nH$i-Ping%
der japanischen Seeprisenordnung könne zur Strafe des Transports von
Konterbandegütern dem Eigentümer solcher gehörige Nichtkonterbande
eingezogen werden:
a) Wenn sie mit der Konterbande auf demselben Schiff sei;
b) wenn sie nach demselben Bestimmungsort ginge, wie die
Konterbande.
Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt seien, so sei die Frage,
ob die Konterbande absolute sei oder nicht, belanglos. *°) Das Gericht
erster Instanz habe daher auf Grund der oben angegebenen Tatsachen
und Gründe zu Recht die Einziehung der, Konterbandeeigentümern
gehörigen, Nichtkonterbande verfügt.
3. Eine große Menge derjenigen zur Verhandlung stehenden Güter,
welche nach eigener Aussage von dem Reklamanten Tang M i n g
Chien zum Transport übernommen seien, sei unter anderen Nfamen
als denen der Firmen Kai Ping Chiang und Shang Fa Yun,
welche dem genannten Reklamanten gehörten,. versandt worden. Wenn
man annehme, daß nach den Gebräuchen in Shanghai Güter unter dem
Namen des Frachtunternehmers versandt würden, so hätten die Güter,
deren Transport Tang Ming Chien übernommen habe, alle in
gleicher Weise versandt werden müssen. Da dem aber nicht so sei,
so könne die Behauptung bezüglich der Gebräuche in Shanghai usw.
keinen Glauben finden, und es sei billig, anzunehmen, daß die unter
dem Namen Tang Ming Chien's versandten Güter, deren Emp-
fänger überdies „auf Order'' laute, alle in Tang Ming Chien's
Eigentum stünden.
4. Es gebe freilich völkerrechtliche Präcedenzen, wo Nichtkonter-
bande, welche einem Konterbandeeigentümer gehöre, mit dieser zu-
sammen eingezogen worden sei. Die Nichtkonterbande habe aber nicht
wie die Konterbande, dadurch, daß sie nach dem Feinde befördert werde,
einen besonderen Wert für die kriegerischen Operationen. Wenn sie
trotzdem zusammen mit der Konterbande eingezogen werde, so sei
das lediglich eine Art der Bestrafung des Konterbandetransports. Des-
halb bestehe der Grundsatz, daß für die Ausübung dieser Strafe sehr
strenge Voraussetzungen vorhanden sein müßten. Um Nichtkonter-
bandegüter mit Konterbande zusammen einziehen zu können, sei fol-
gendes erforderlich :
a) Sie müßten einem Eigentümer von Konterbande gehören;
b) sie müßten mit der Konterbande auf demselben Schiff ver-
laden sein;
^") So § 43 der japanischen Seeprisenordnung. Anders art. 82 des englischen
Manual of Naval Prize Law: The penalty for canying goods absolutely Contraband is,
in general, the confiscation of such Goods and also of any interest whlch the owner
of such Goods may have in the rest of the Cargo.
302
Prteengerichtsentscheidungen: „Hsl-Ping'. Abschnitt VIi*»
c) sie müßten denselben Bestimmungsort, d. h. denselben Ankunfts-
ort haben, wie die Konterbandegüter.
Wenn man den Tatbestand des gegenwärtigen Falles prüfe, so
gehörten die in Streit befangenen Nichtkonterbandegüter Eigentümern
von Konterbande und seien auch mit dieser zusammen auf der „Hsi-Ping"
verschifft worden, so daß freilich zwei der oben beschriebenen Be-
dingungen erfüllt seien. Der Bestimmungs- oder Ankunftsort der beiden
sei dagegen durchaus verschieden. Die Nichtkonterbandegüter seien
nach den neutralen Plätzen Tientsin und Chinwantao bestimmt. Der
Bestimmungsort der Konterbande sei dagegen Niutschwang. Da die
beiden also verschieden seien, so sei die dritte Voraussetzung nicht er-
füllt. Das Gericht erster Instanz habe offensichtlich die Verschiedenheit
der beiden Bestimmungsorte anerkannt, habe aber trotzdem die Nicht-
konterbande, welche nach einem anderen Bestimmungs- oder Ankunfts-
ort habe gehen sollen, wie die Konterbande, eingezogen.
Eine Prüfung der Frage, welche Präcedenz dabei zu Grunde gelegt
sei. oder ob es einen derartigen Rechtssatz oder eine derartige Theorie
gebe, welche befolgt werden müßten, ergebe folgendes. Es gebe freilich
Pracedenzen für die Einziehung von Nichtkonterbandegütern auf Grund
dessen, daß sie im selben Eigentum stünden wie Konterbandegüter.
Aber diese Pracedenzen nähmen als Bestimmungsort der Ladung den
Bestimmungsort des Schiffes an. So gebe es für den Fall, daß ein nach
feindlichem Gebiet bestimmtes Schiff Ladung an Bord habe, welche
nach einem auf seinem Kurs liegenden neutralen Zwischenhafen be-
stimmt sei, eine Präcedenz (Peterhoff. 1866. Oberster Gerichtshof von
Amerika), wo auf Einziehung der Nichtkonterbande zusammen mit der
Konterbande erkannt worden sei. Diese stütze sich auf die Theorie
(Handbuch des englischen Prisenrechts), daß als Bestimmung für solche
Ladung nicht der wirkliche neutrale Bestimmungsort, sondern der An-
kunftshafen des Schiffes, also feindliches Gebiet anzusehen sei. Von
einer Präcedenz, welche, wie das Gericht erster Instanz es tue, Nicht-
konterbandegüter einziehe, welche freilich mit der Konterbande auf
demselben Schiff sei, bezüglich derer aber das Gericht anerkenne, daß
ihr Bestimmungsort und der Bestimmungsort der Konterbande ver-
schieden sei, habe man bis jetzt noch nichts gehört.
Jemand möchte wohl behaupten, in der japanischen Seeprisen-
ordnung") heiße es im § 43:
Kriegskonterbandegüter und die dem Eigentümer derselben
gehörigen Güter werden eingezogen.
Der Fassung nach werde danach, ob der Bestimmungsort der Güter
derselbe oder ein anderer sei, nicht gefragt. Danach müßten also Güter,
Tenn sie nur auf demselben Schiff verladen seien, eingezogen werden
303
Abschnitt VIi*^ Prisengerichtsentscheidungen: »Hsi-Ping*'.
können. Demgegenüber sei indes zu sagen, daß die Bestimmung dieses
Paragraphen in Verbindung mit den Bestimmungen der §§ 13, 14 und
15 anzuwenden sei. In den §§13 und 14 sei aber bestimmt, welche
Güter Konterbande seien und in welchen Fällen. Daher könnten nur
Güter, welche unter diese beiden Artikel paßten, als Kriegskonterbande
bezeichnet werden. Was ferner den Bestimmungsort von Gütern wie
in §§ 13 und 14 angehe, so brauche, da im § 15 gesagt werde, daß in
der Regel der Bestimmungsort eines Schiffes als der Bestimmungsort
seiner Ladung gelten solle, der Bestimmungsort einer Ladung nicht
unbedingt der des Schiffes zu sein. Es kämen Fälle vor, wo der Be-
stimmungsort eines Schiffes in Feindesland, der seiner Ladung außer-
halb des feindlichen Gebiets liege. Güter, welche nach den §§ 13 und
14 Konterbande seien, brauchten demnach ihren Bestimmungsort nicht
unbedingt im Feindesland zu haben. In einem Falle, wo der Be-
stimmungsort der Ladung außerhalb des feindlichen Gebiets liege, könne
man. wenn auch das Schiff, auf dem sie verladen sei, nach feindlichem
Gebiet bestimmt sei, die Ladung nicht als Konterbande im Sinne der
§§ 13 und 14 bezeichnen. Die Konterbandeeigenschaft von Gütern
bestimme sich nach deren Art und den besonderen Verhältnissen ihres
Bestimmungsorts. Wenn also die Verhältnisse des Schiffes, auf dem
die Güter verladen seien, belanglos seien, so habe der § 43 offenbar
den Sinn, daß nur solche Nichtkonterbandegüter zusammen mit Konter-
bande eingezogen werden könnten, welche nach demselben Bestimmungs-
ort gingen. Wenn der Wortlaut des Paragraphen einen Unterschied
nach den Bestimmungsorten nicht mache, so müsse das damit erklärt
werden, daß der entsprechend dem § 15, wo es heiße, daß in der Regel
der Bestimmungsort eines Schiffes als der Bestimmungsort seiner Ladung
gelte, die hauptsächlich in Betracht kommende Anwendung auf den
gewöhnlichen Fall im Auge habe, d. h. auf den Fall, wo Schiff und
Ladung denselben Bestimmungsort hätten.
Kurz, es möge, wenn man wie das englische Prisenrecht den Be-
stimmungsort des Schiffes als den der Ladung ansehe, gerechtfertigt
sein, auch diejenigen Nichtkonterbandegüter einzuziehen, welche in Wirk-
lichkeit einen anderen Bestimmungsort hätten, wie die Konterbande-
güter. Doch könnten unter der Herrschaft der japanischen Seeprisen-
ordnung, welche einen Bestimmungsort der Ladung außerhalb des-
jenigen Schiffes anerkenne, Nichtkonterbandegüter, die auf demselben
Schiff mit Konterbande verladen seien, aber einen anderen Bestimmungs-
ort wie diese hätten, nicht eingezogen werden.
Das Gericht erster Instanz habe, ohne daß Präcedenzen vorlägen,
demnach in Verletzung des Sinnes unserer Seeprisenordnung mit der
Begründung, daß sie demselben Eigentümer gehörten wie die nach
Niutschwang bestimmten Konterbandegüter, auf Einziehung der in dem
304
?rlMngoricht88nt8cheidungen: .H9l-Plng*. Abschnitt VIi*«
Verzeichnis für Tientsin und Chinwantao unter den Nummern '257 bis
293, 298 bis 363 aufgeführten Güter erkannt. Dies sei unzutreffend,
und die Berufung sei begründet. Es werde daher Aufhebung des Ur-
teils in diesem Punkte und Freigabe der von der Reklamation be-
troffenen oben erwähnten Güter beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist von dem gegenwärtigen Völkerrecht anerkannt, daß Güter
neutraler Staatsangehöriger, wenn sie Kriegskonterbande seien, die nach
feindlichem Gebiet bestimmt ist, aufgebracht und eingezogen werden
können; ebenso daß auch Nichtkonterbandegüter, wenn sie mit Konter-
bandegütern auf demselben Schiff verladen sind und dem Eigentümer
der Konterbande gehören, zusammen mit dieser einzuziehen sind.
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul Segawa in Niutschwang hat berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamtes geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge auf-
gezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Güter aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand, daß der Feind dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet hatte. Wenn daher
Güter dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden,
als ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. Demnach müssen
die zur Verhandlung stehenden Güter, wenn sie die Voraussetzungen
von Konterbande erfüllen, eingezogen werden.
Blei ist unter dem Material' für Flintenkugeln das wichtigste. Es
ist daher selbstverständlich, daß es Konterbande ist, gleichviel ob in
Niutschwang ein Waffenarsenal besteht oder nicht. Wenn auch aus
der Ein- und Ausfuhrstatistik, welche das Beweisstück A6 bildet, er-
sehen werden kann, daß auch in den Jahren 1902 und 1903 die Ein-
fuhr von Blei bedeutend gewachsen ist, so Hegt doch diese Zeit nach
der Besetzung Niutschwangs durch die Russen so, daß sich daraus
nicht beweisen läßt, daß das Blei bei den gewöhnlichen Chinesen stark
in Nachfrage stehe und daß es daher keine Konterbande sei.
Was ferner das Zink, die Kupfer- und Argen tan platten angeht, so
können sie in ihrem gegenwärtigen Zustand zum Kriegsgebrauch dienen.
Daher ist das Urteil erster Instanz deshalb, weil es sich über die Form
Hftrttrand-Meohlenburg, Das JapaniBoh* PriBenreoht. Band I. (20) 305
Abschnitt VII*« Prisengerichtseiitscheidungen: .Hsl-Ping*.
und Menge nicht ausgelassen und diese Güter für Konterbandegüter
erklärt hat, nicht rechtswidrig.
Ebenso sind die Wagenreifen, Stücke von Eisenstäben, die alten
Eisenbarren und das Bauholz Stoffe, welche ohne weiteres zum Kriegs-
gebrauch dienen können. Es bedarf keiner Erörterung, daß sie nicht,
wie der Reklamant behauptet, mit Papier oder öl auf eine Stufe gestellt
werden können.
Die in dem Ladungsverzeichnis aufgeführten Lebensmittel und
Getränke, wie Weizenmehl, Spirituosen, Marmelade, Ananas, Käse und
andere, welche zur Einziehung verurteilt sind, stellen bei weitem in der
Mehrzahl für Europäer oder Amerikaner geeigneten Bedarf dar. Als
die „Hsi-Ping" aufgebracht wurde, war Niutschwang noch von den
russischen Truppen besetzt, und auch der Reklamant bestreitet es nicht,
daß die Europäer und Amerikaner, welche dort ein friedfertiges Leben
führten, zu der Zeit nur sehr wenige waren. Es kann daher durchaus
nicht als unbillig bezeichnet werden, wenn man annimmt, daß die ge-
nannten Güter nach ihrer Landung in erster Linie zum Gebrauch der
feindlichen Truppen geliefert worden wären.
Aus den Konnossementen ergibt sich, daß der größte Teil der
Ladung im Eigentum der dem TängMingChien gehörigen Firmen
steht. Da auch ihre Menge sehr groß ist, so muß angenommen werden,
daß sie in der Absicht, sie mit großem Verdienst den russischen Truppen
zu liefern, versandt worden sind. Freilich sind über diesen Punkt die
Beweisstücke A vorgelegt worden. Sie sind aber alle erst nach Ent-
stehen dieser Prisensache und Verhandlung unter den Interessenten
hergestellt und daher kaum glaubwürdig.
Da es nicht an Beispielen dafür fehlt, daß auch Leute, die ein
Handelsgeschäft haben und ihr Gewerbe ehrlich treiben, um großen
Gewinn zu machen, Risiken übernehmen und unregelmäßige Trans-
aktionen versuchen, muß dies zweifellos um so mehr von solchen Kauf-
leuten gelten, welche nur den einen Gedanken des Gewinns haben
und sonst keinerlei Rücksichten kennen. Wenn man daher auch einmal
annimmt, daß die ganze Ladung nicht dem Tang Ming Chien,
sondern den anderen chinesischen Kaufleuten gehöre, welche seit Jahr-
zehnten in Niutschwang gewohnt und dort Handel mit den gleichen
Waren betrieben haben, so steht das n^ich den obigen Ausführungen der
Einziehung nicht im Wege.
Wenn der Reklamant behauptet, daß Reis viel mehr, als er von
Europäern und Amerikanern gebraucht werde, das gewöhnliche Nah-
rungsmittel der Chinesen sei, so hat er in diesem einen Punkt nicht un-
recht. Aber Reis ist trotzdem auch ein Verkaufsartikel der Amerikaner
und Europäer, und es ist eine bekannte Tatsache, daß er in Ermangelung
von Weizenmehl auf dem russisch-japanischen Kriegsschauplatz zur Ver-
306
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-PIng*. Abschnitt VI««
pflegung der Russen gedient hat. Daher ist es zutreffend, wenn das
Urteil erster Instanz den Reis als Konterbande angesehen hat. Was .
ferner die Frage, ob auch das zur Verhandlung, stehende Silbergeld
als Konterbande anzusehen ist oder nicht, so heißt es in einem Bericht
des in Niutschwang ansässigen Kaiserlichen Konsuls Segawa, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der Mand-
schurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in Gold
geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie daneben
Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt, zwischen dem
Metall und dem Papier sei kein Unterschied. Dann habe
sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach und nach das
Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt. Im Jahre 1902
sei es dahin gekommen, daß man in der Mandschurei rus-
sisches Goldgeld nur sehr selten in Umlauf gesehen habe.
Damals habe aber die russisch-chinesische Bank schon an
verschiedenen wichtigen Punkten Niederlassungen errichtet.
In diesen Banken sei das Papier zum Tageskurse gegen
Silbergeld eingelöst worden und in der Mandschurei habe
dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs von 1 Dollar 30 Cents
bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld gehabt. Als indessen seit
Herbst 1903 die Gerüchte über einen Krieg zwischen Japan
und Rußland in Blüte gestanden hätten, habe es unter den
Chinesen geheißen, daß, wenn nach dem Ausbruch des
Krieges die Russen einmal unterliegen würden, die russischen
Papierrubel nicht mehr gewechselt werden könnten und nur
noch den Wert von altem Papier haben würden. Von No-
vember oder Dezember dieses Jahres bis zum Ausbruch des
Krieges im Februar 1904 sei der Wert des Papiergeldes oft
bis auf 1 Dollar 10 Cents gefallen und nur dank den Be-
strebungen der Niederlassungen der russisch-chinesischen
Bank in den verschiedenen Orten, den Kredit des Papier-
geldes aufrechtzuerhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß
ihr Umlauf ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nach-
richten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze
nach Kaiping und Yinkow kamen, hätten die Chinesen, welche
Papiergeld gehabt hätten, darin gewetteifert, dieses zu ver-
kaufen. Der Rubel sei damals bis auf 70 oder 80 Cents
gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai Papierrubel
immer zum Tageskurse gegen Silbertaels gewechselt werden
könnten, so hätten Geldwechsler in Yinkow, wenn das rus-
sische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses aufgekauft,
nach Shanghai geschickt und dort mit ungeheuerem Gewinn
wieder eingetauscht.
(20^ 307
Abschnitt VI«*« Prisengerichteentscheidungen: .Hsi-Ping*.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des russisch-japanischen Kriegs im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte
sich die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und Tehütze
nach Yinkow gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank
sorgfältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wieder herzustellen; es
kam aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr
Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen
kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden
ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seine Kursfähig-
keit verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation so war,
daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur Verhandlung
stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des Kriegsbedarfs
und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne weiteres ver-
wenden konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches Silbergeld zu
jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich geworden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine:
Seit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Ruß-
land seien Zweifel unter vielen Chinesen über die Einlösbar-
keit der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet,
daß sie Fälschungen seien und der Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und russischen Regierungs-
lieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in Verkehr
gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne, daß sie
absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die Banken
in Tientsin sie in die Hand bekommen hätten, so hätten sie
sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine Art Wert-
papier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehütze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
sturzes eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn erzielen
wollten. Daher hat der Rubelschein auch die Requisitionen der russi-
schen Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können. Aus
allem diesen geht klar hervor, daß die russischen Truppen chinesisches
Geld nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs, Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl verhandelt worden sind, so bestand daneben doch die Tat-
sache, daß auf der anderen Seite Kaufleute in Benutzung der Gelegen-
heit, daß die russischen Truppen chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten,
308
PriMiigerichteentscheidungen: .Hsi-PIng*.: Abschnitt VI»«
die vermehrten Rubelscheine billig von den russischen Truppen kaufen
und dadurch großen Gewinn erzielen konnten. Daher stimmt die Be-
hauptung des Reklamanten, daß das in Streit befangene Silbergeld,
weil jener Warenhandel im Betrieb gewesen sei, auf keinen Fall dem
Kriegsgebrauch des Feindes gedient haben würde, nicht mit den Tat-
sachen überein. Vielmehr ist es natürlich, anzunehmen, daß zu einer
solchen Zeit die geschäftlich scharfsinnigen chinesischen Kaufleute, vor
allem die Bankunternehmer, anstelle ihrer gewöhnlichen Geschäfte lieber
Rubelscheine billig von den Russen kaufen und, um einen außerordent-
lichen Profit zu erzielen, die Gefahr eines solchen Geldimports laufen
worden.
Das zur Verhandlung stehende Geld ist durch Vermittlung der See-
transportfirma Tang Ming Chien, welche eine volle Ladung von
Kriegskonterbande heimlich nach Niutschwang zu befördern beabsichtigt
hatte, und außerdem mit dieser Konterbande zugleich auf demselben
Schiff verladen und befördert worden. Dazu ist sein Bestimmungsort
ein russischer Etappenort und, wie oben dargetan, bedurften die russi-
schen Truppen solchen Geldes. Daraus muß geschlossen werden, daß der
Zveck der Einfuhr des Geldes wie der der übrigen Konterbandeladung
des fraglichen Schiffes der gleiche gewesen ist, nämlich es zum Gebrauch
der russischen Truppen zu liefern.
Die nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter, welche,
Tie die Konnossemente zeigen, dem TängMingChien zu beliebiger
Behandlung überlassen waren, werden als ihm gehörig betrachtet.
In der Wissenschaft des gegenwärtigen Völkerrechts wird die An-
sicht vertreten, daß bei einer Aufbringung von Kriegskonterbande auf
demselben Schiff befindliche, dem Eigentümer der Konterbande ge-
hörige Nichtkonterbandegüter, auch wenn ihr Landungsort von dem der
Konterbande verschieden ist, eingezogen werden können. Das Ober-
prisengericht erachtet dieses als den Verhältnissen gerecht werdend.
Denn da dies schließlich nichts anderes ist als eine Bestrafung des
Eigentümers der Konterbande für den Versuch, dieselbe in Feindesland
zu löschen, so liegt kein Grund vor, weshalb die Entscheidung je
nach dem Landungsort der Nichtkonterbandegüter verschieden ausfallen
sollte.
Tientsin und Chinwantao sind neutrales Gebiet, so daß die dorthin
bestimmten, zur Verhandlung stehenden Güter freilich keine Konter-
bande sind. Da sie aber dem Tang Ming Chien, welcher Kriegs-
konterbande verladen und in Niutschwang zu löschen versucht hat, ge-
hören, so müssen sie als Strafe für diese Handlung zusammen mit
der Konterbande eingezogen werden.
309
Abschnitt VI»' Prisengerichtsentscheldungen: .Hsi-Ping'.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen ChanYü Po
und Ching Po Saw, in Firma Yu Shing Yuen, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori, shichome Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des englischen Dampfers
„Hsi-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Hsi-Ping*' befindlichen, an die
Firma Yu Shing Yuen versandten 20 Kisten mexikanische Dollar
werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 20 Kisten mexikanische Dollar
sind alle kleines chinesisches Silbergeld. Sie sind von der Transport-
firma Kai Ping Chang in Shanghai, China, auf dem englischen
Dampfer „Hsi-Ping'' verladen und am 11. Juli 1904 an die Firma
Yu Shing Yuen in Niutschwang, China, abgesandt worden. Als
am 14. d. M., 8 Uhr vormittags, der Dampfer „Hsi-Ping*' ungefähr
6V2 Seemeilen nördlich von der Insel Kaiming bei dem Shantung-Vor-
gebirge in China von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru"
aufgebracht wurde, weil er Kriegskonterbande führe, wurden auch die
zur Verhandlung stehenden Gelder mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", Inouye Toshio, den Bericht
des Marineoberleutnants KamuraYasumasa über die Durchsuchung
der „Hsi-Ping", das Tagebuch, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
R. Mac Farlane, des 1. Offiziers E. B. Hayes, der Kompradores
Paw Meng Chiung und N. Wai Meng, des Passagiers Tang
Ming Chien, durch die Konnossemente, das Ladungsverzeichnis und
die Frachtbriefe.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende :
310
pri^engerichtsentscheidungen: .Hsi-Plng*. Abschnitt VI«*
Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Bankgeschäft. Sie
hätten das zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen
lassen wollen, weil zu der Zeit in Niutschwang die Handelsbeziehungen
zu einem einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil die Zeit
für den Einkauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen
gewesen, so daß Umlaufskapital vonnöten gewesen sei. Ferner sei der
Kurs für Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich gewesen,
so daß die Reklamanten durch Einfuhr von Metallgeld einen Vorteil
zu erzielen beabsichtigt gehabt hätten. Das zur Verhandlung stehende
Geld sei nicht für die russische Armee oder Marine bestimmt gewesen
und habe auch nicht für ihren Gebrauch geliefert werden sollen. Daher
sei es keine Konterbande und müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweis der vorstehenden Tatsachen ver-
schiedene Beweisdokumente eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Gelder würden nach ihrer An-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient
haben. Sie seien daher Kriegslconterbande und müßten eingezogen
Verden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen würden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das
russische Papiergeld durch die andauernden Niederlagen der russischen
Armee und Marine sehr an Kredit verloren und es ist bekannt, daß
chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld, wie das zur Ver-
handlung stehende Silbergeld stark benötigt wurde, um der täglichen
Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden, daß
das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang
sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Es wird demnach für Kriegskonterbande angesehen und weder
die Anführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten 1) verschiedenen Beweisdokumente sind imstande, diese
Annahme umzustoßen.
Es wird daher, wie in der Urteilsformel, entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
0 II. Ziffer 2. — 2) V. § 43.
311
Abschnitt VI*' Prisengerichtsentscheldungen : .Hsi-Plng^.
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und Shing Pu Saw, in Firma Yu Shing Yuen, aus der Provinz
Canton. Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio^
Kojimachiku, Uchisaiwaicho ichome Nr. 3 und Sakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori, shichome Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Hsi-Ping", welcher am
14. Juli 1904 auf 37 o 34' n. Br. und 122 o 29' ö.L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht worden ist, auf Ein-
ziehung der unter der Ladung des Dampfers „Hsi-Ping" befindlichen^
an die Firma Yu Shing Yuen versandten 20 Kisten mexikanische
Dollar erkannt.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen
Staatsangehörigen Chan Yü Po und Ching Pu Saw in Firma
Yu Shing Yuen durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und
Sakurai Ikkyu die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und *Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Prozeßvertreter Takagi
Toyozo und Sakurai Ikkyu sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht in Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem
englischen Dampfer „Hsi-Ping" verschifften 20 Kisten mexikanische
Dollar und Freigabe derselben beantragt und zwar aus folgenden
Gründen :
1. Die Reklamanten hätten ein Bankgeschäft und betrieben da-
neben ein Engrosgeschäft für Ein- und Verkauf.
Bei der Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl nach
Shanghai liehen die Kaufleute von Niutschwang den Wechselbetrag:
für die Güter dar, vereinnahmten in Shanghai den Wechselbetrag von
dem Wechselschuldner und bewerkstelligten die Übersendung dieses
Betrages entweder durch Ankauf eines in Niutschwang zahlbaren
.Wechsels oder in Form baren Geldes. Auch in Fällen, wo Waren
von Niutschwang nach anderen. Plätzen wie Shanghai ausgeführt würden
und der Wechsel dargeliehen werde, werde die Zahlung des Wechsel-
betrags bisweilen in Shanghai entgegengenommen. Denn da Shanghai
das Zentrum des chinesischen Handels sei, so sei es auch der Mittel-
punkt des Geldumlaufes. Auch in Fällen, wo die Reklamanten selber
Bohnen und Bohnenkuchen nach Shanghai ausführten, würde die
Zahlung des Preises in Shanghai entgegengenommen; und auch in
Fällen, wo die Ausfuhr nach anderen Plätzen wie Shanghai gehe, sei
dies bisweilen der Fall.
312
PriseBferichteeiitscIieiiliingen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VI»«
So sei das zur Verhandlung stehende Geld im Verlauf einer Trans-
aktion von dem Angestellten der Reklamanten in Shanghai dort ein-
genommenes Geld, welches er bei einem Wechsler eingewechselt und
an das Hauptgeschäft in Niutschwang gesandt habe. Daß bares Silber-
geld geschickt worden sei, habe seinen Grund darin, daß gerade in
Niutschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
gekommen gewesen sei. Denn da in der Regel die Ausfuhrfirmen
Zahlung für die Bohnen usw. in kleinem Silbergeld leisteten und die
Kunden des Bankdepartements der Reklamanten die Reklamanten um
Leistung in Silbergeld bäten, so hätten dieselben sich darauf vorbereiten
müssen. Dies sei einer der Grunde, weshalb das zur Verhandlung
stehende Geld in bar geschickt worden sei. [
Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und der Kurs für in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig gewesen wäre, so
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Angestellte der Rekla-
manten extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang habe es
aber an Silbergeld gefehlt und der Wechselkurs auf Niutschwang sei
in Shanghai hoch gewesen, so daß selbst nach Zahlung der Fracht
und Versicherung die Sendung von barem Geld immer noch geschäftlich
vorteilhaft und außerdem notwendig gewesen sei. Das sei der zweite
Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar uber-
sandt worden sei. Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweis-
stücken Nummer 2, 3, 5 bis 7 und 9 bis 11.
2. Daß der Angestellte der Reklamanten das zur Verhandlung
stehende Silbergeld an das Hauptgeschäft in Niutschwang geschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für ein Bankgeschäft natürliche Maßnahme,
die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe. Wenn
man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handelstransaktion
für unerlaubt zu erklären und die auf der Reise befindlichen Güter
einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts, Gewerbe zu
treiben. Von etwas dergleichen, wie insbesondere auch davon; daß
neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Gewerbe
in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man bislang in
der Praxis und der Wissenschaft des Kriegsvölkerrechts noch niemals
etvas gehört.
3. Der Dampfer „Hsi-Ping" habe seine Absicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai-Zeitungen bekannt gemacht,
und der englische Konsul habe die Abreise des Dampfers zwecks Güter-
transports nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shang-
hai habe die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren
lassen. Daher habe der Angestellte der Reklamanten ohne weitere
Überlegung ganz unbefangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende
Silbergeld zur Beförderung übergeben. Demnach sei die Beschlag-
313
Abschnitt VI^*' Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*.
nähme, von der Einziehung nicht zu reden, im höchsten Grade un-
erwartet gekommen.
Wenn man das Geld wirklich heimlich habe absenden wollen, um
es zum Gebrauch der russischen Truppen dienen zu lassen, so hätte
man ein so öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen. Daß
man doch ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere reichlichen
Grund für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht vorgelegen
habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen und habe als ein Hauptetappenort
gedient. Außerdem habe das russische Papiergeld durch
die andauernden Niederlagen der russischen Armee und Ma-
rine sehr an Kredit verloren, und es sei bekannt, daß chine-
siches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie das zur
Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden sei, um
der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse daher
angenommen werden, daß das zur Verhandlung stehende
Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort zum Ge-
brauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin ausgeführten
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng
und widerlaufe auch den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsächlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-Filiale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden sich diese Tatsachen bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld wie das
zur Verhandlung stehende nötig gehabt, so sei es doch unsinnig, ohne
zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an die
Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen nicht
dafür. Vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß, wenn
die Reklamanten, welche ein Bankgeschäft hätten, Geld, wie es zum
Betriebe dieses Gewerbes erforderlich sei, von Shanghai, woher sie ihre
Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres Ge-
schäfts befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Bankgeschäfts
der Reklamanten zur Verwendung kommen solle. Wenn man diese
314
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsl-Plng*. Abschnitt VI'*'
natürliche Vermutung umstürzen wolle, so bedürfe es dazu unter allen
Umständen sicherer Gründe und Beweise. Wenn daher das Urteil
erster Instanz auf die verzeichneten vagen Gründe hin eine Annahme
aufgestellt habe, welche dieser natürlichen Vermutung widerspreche,
so sei das auch vom Standpunkt des Beweisrechts unzutreffend.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es demnach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet
bestimmt sei und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine dienen würde, Kriegskonterbande
sei, 3) so sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei.
Beweise beizubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche 'Armee
oder Marine bestimmt gewesen sei, oder daß es zu ihrem Gebrauch
habe geliefert werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)" vorliege, einfach so folgere, daß die Güter, weil sie nach
einem von feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden, auch
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so schließe
man aus dem Vorhandensein der ersteh der beiden Bedingungen, welche
dieser Fall erfordere, ohne weiteres auf das Vorhandensein auch der
zveiten Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe, als wenn die zweite
Bedingung überflüssigerweise geschrieben sei, und laufe darauf liinaus,
daß die bedingte Kriegskonterbande des Falles „(2)'' keinen Unter-
schied von der absoluten Konterbande aufweise, so daß der Sinn, welcher
der Unterscheidung dieser beiden zu Grunde liege, völlig zunichte
gemacht werde.
Man werde aber vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche
hin das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld
als Konterbande angesehen habe, beschränke sich nicht nur darauf,
daß das Geld nach einem vom Feinde besetzten Platz bestimmt sei,
sondern es sei auch die weitere Begründung beigefügt, daß die feind-
liche Armee oder Marine es benutzen werde. Demgegenüber sei aber
folgendes zu bemerken: Jedermann könne in allen Umständen Geld
gebrauchen, und die Verwendbarkeit desselben beschränke sich nicht
auf die russische Armee und Marine. Wenn demnach dafür, daß nur
die russische Armee oder Marine das zur Verhandlung stehende Geld
gebrauchen werde, keine besonderen Gründe vorlägen, so gebe die
oben genannte weitere Begründung des Urteils der ersten Instanz auf
die Frage, inwiefern die Annahme berechtigt sei, daß das zur Ver-
handlung stehende Geld bei den russischen Truppen zur Verwendung
kommen werde, die Antwort, man müsse annehmen, daß es bei den
3) IL Ziffer 2.
315
Abschnitt VI>*' Prisengerichtsentscheldungen: ^iHsi-Ptng*»
russischen Truppen zur Verwendung gekommen sein würde, weil diese
es zu verwenden genötigt gewesen seien. Das sei Beantwortung einer
Frage mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptungen, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder
an die russischen Truppen bestimmt noch zu ihrem Gebrauch zu liefern
gewesen, daß es vielmehr zur Deckung des Bedarfs in dem Bank-
geschäft der Reklamanten versandt worden sei, mit verschiedenen beweis-
kräftigen Tatsachen und Gründen belegt. Der Staatsanwalt habe, ohne
dagegen einen einzigen Gegenbeweis vorzubringen, diese Erklärung der
Reklamanten verworfen, und die Entscheidung des Gerichts erster In-
stanz, welches der Ansicht des Staatsanwalts beipflichte, sei daher auch
vom Standpunkt der Beweisführung rechtswidrig;
6. Es sei freilich nicht zu leugnen, daß Niutschwang nicht nur
zur Zeit der Aufbringung, sondern schon seit der Zeit vor dem japanisch-
russischen Krieg unter russischer Gewalt gestanden habe. Aber man
müsse dieses besetzte Gebiet nicht einem gewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen, denn Niutschwang sei ein dem Handel der Mächte
offen stehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit nur während des Krieges besetzten Gebieten, wie zum Beispiel
der Song To Bucht, der Taubenbucht und der Sho Fing Insel bei
Port Arthur auf eine Stufe gestellt werden. Wenn relative Kont?er-
bandegüter, d. h. Güter, wie sie im § 14 der Seeprisenordnung*) auf-
gestellt seien, nach der Song To Bucht usw. bestimmt wären, so werde
jedermann dem zustimmen, wenn man annehme, daß sie direkt für
die russischen Truppen bestimmt seien und daher als Kriegskonterbande
eingezogen werden müßten. Wenn man aber einen solchen Fall und
den Fall, wo die Güter nach Niutschwang bestimmt seien, gleichstelle,
so entspreche das nicht dem wahren Sinne der japanischen Seeprisen-
ordnung und des Völkerrechts über die Behandlung neutralen Gutes.
Besonders seien auch die zur Verhandlung stehenden Silbermünzen
courantes Geld, wie es unter den Chinesen und den in- und aus-
ländischen Kaufleuten Kurs habe. Von anderen Konterbandegütern,
wie Lebensmitteln und dergleichen, sei es weit verschieden, und es
lägen Gründe vor, wonach man nicht auf Gebrauch seitens der Truppen
schließen müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebensmitteln, welche zum
Gebrauch für die Russen, und solchen, welche zum Gebrauch für die
Chinesen dienen sollten, ein großer Unterschied, so daß man, wenn
Lebensmittel, welche für Russen geeignet seien, in großer Menge nach
Niutschwang bestimmt würden, diese wohl als Konterbande ansehen
könne. Geld sei aber nicht nur bei Truppen verwendbar, und da auch
die Menge des hier versandten Geldes im Handel mit den großen
316
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsl-Plng*. Abschnitt VI»'
Mengen Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl keinen Überschuß lassen
würde, so könne man es nicht mit Lebensmitteln vergleichen und
als Truppenbedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall von bedingter Kriegskontert3ande wie Geld besonders sorgfältig
überlegen. Daher werde besonders die rechtliche Auffassung der Stellung
Niutschwangs der Beachtung empfohlen, welche mit der diplomati-
schen Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl eng verknüpft sei. Dieselbe sei folgende: Die Verhandlungen,
betreffend die Frage ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat ge-
führt, daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn garantiert werde, daß
die Oüter nicht beim Militär zur Ve^"wendung kommen würden. Dieses
sei der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China akkre-
ditierten Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt worden, und Japan
habe diese Tatsache, daß die Bohnen, Bohnenkuchen usw. nach japa-
nischen Häfen ausgeführt werden würden, mit Freuden begrüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Faktum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Japan, Rußland, China
und anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei; und darin liege ein
wichtiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin,
daß Rußland Niutschwang besetzt habe, entschieden werden könne.
Denn wenn die Mächte so den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen
usw. übereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat dieses
Handels, nämlich, daß die Kaufleute den Preis für die verkauften Waren
in Empfang nähmen, in den Bereich dieses übereinstimmend gestatteten
Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches als Preis für die
Bohnen, Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, vorausgesetzt, daß es
nicht an die russischen Truppen gehe, nicht eingezogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw.; sowie Kapital für den auch in
Zukunft erlaubten Einkauf derselben; und daß es kleines Geld sei,
wie es für solche Einkäufe nötig sei; kurz, daß es in jeder Beziehung
im Rahmen harmlosen Handelsverkehrs stehe, alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Absicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweise unge-
fälschter Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro sind folgende:
317
Abschnitt VI>' Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*.
1. Zur Einziehung von Gütern auf Grund der Annahme, daß
sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden
würden und daher Konterbande seien, sei es nicht unbedingt erforderlich
darzulegen, daß diese Annahme sich auf Beweise gründe. Im Falle,,
daß nach der Art der Güter, den Verhältnissen des Einfuhrorts und
anderen Umständen angenommen werden könnte, daß die Güter zum
Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würden,
habe das Prisengericht nach freier Überzeugung zu befinden.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei in China geprägt und
habe in Niutschwang sowie auch in den verschiedenen Gegenden der
Mandschurei Kurs. Es sei alles eine und dieselbe Art kleinen Silber-
geldes, wie es zum Lohn für Tagelöhner sowie zum Einkauf der zum
Haus- und persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände am geeig-
netsten, zur Zahlung bei großen geschäftlichen Transaktionen jedoch
am allerungeeignetsten sei. Es sei bequem für kleine, aber äußerst
unbequem für große Zahlungen.
Zur Zeit, als das Geld in Niutschwang habe eingeführt werden
sollen, sei, wie das Urteil erster Instanz sage, Niutschwang von den
russischen Truppen besetzt gewesen und die in Port Arthur und den
verschiedenen Teilen der Mandschurei liegenden russischen .\rmee- und
Marinetruppen seien von diesem Platz als Bezugsort für ihren Kriegs-
bedarf abhängig gewesen, und die meisten Lebensmittel und sonstigen
Gegenstände, die der Feind nötig gehabt habe, seien von dort ge-
liefert worden. Da aber infolge der andauernden Niederlagen der russi-
schen Armee und Marine das Kriegspapiergeld, welches in Niutschwang
und auch in verschiedenen Teilen der Mandschurei Kurs gehabt habe,
sehr im Kredit gesunken sei, so seien bei der Zahlung der Preise
für requirierte Gegenstände und der Löhne für Menschen- und Pferde-
arbeit, d. h. also bei den kleinen Zahlungen, plötzlich Schwierigkeiten
entstanden. Daher seien Klagen über das Bedürfnis nach kleinem Hart-
geld, insbesondere Geld wie dem zur Verhandlung stehenden, laut ge-
worden, und man sei auch bezüglich dieses auf Niutschwang als
Lieferungsort angewiesen gewesen.
Die Reklamanten hätten daraufhin unter Edeidung von allerhand
Schwierigkeiten und unter großem Risiko die Kommission und Ver-
sicherung gezahlt und viele Tausend Yen weit von Shanghai nacii
Niutschwang einführen wollen. Die Frage, wie das Bedürfnis hierfür
entstanden sei, beantworteten sie damit:
es sei die Folge einseitigen Wechselverkehrs; ferner diene
das Geld als Kapital zum Einkauf der von Niutschwang nach
Shanghai ausgeführten Bohnen, Bohnenkuchen und des
Bohnenöls, auch sei der Wertunterschied zwischen Silber
und Papier so groß geworden, daß der Kurs für Silber
318
Priwngerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping'. Abschnitt VI |S<
den für Papier bis um 20 und 30 Prozent überstiegen habe,
und es einträglich gewesen sei, bares Silbergeld von Shanghai
kommen zu lassen.
Niutschwang sei aber seit langer Zeit von den Russen okkupiert
gewesen, und die von dort zur Ausfuhr gelangenden Bohnen, Bohnen-
kuchen usw. seien von ihnen entweder als Nahrungsmittel oder Brenn-
mittel requiriert worden. Auch sei, um den Gegner in Verlegenheit
zu bringen, die Ausfuhr derselben streng verboten worden, so daß
eine Ausfuhr der Hauptexportartikel: Bohnen, Bohnenkuchen usw. nach
Shanghai fast gar nicht stattgefunden habe.
Dagegen seien die Kriegsbedürfnisse der russischen Truppen in
der Gegend von Niutschwang immer gi'ößer geworden und neben der
gewöhnlichen Einfuhr sei die Einfuhr von Lebensmitteln und sonstigen
Bedarfsgegenständen sehr gewachsen, so daß Ein- und Ausfuhr völlig
aus dem Gleichgewicht gekommen und demzufolge natürlich in Niu-
l«;chvang zahlbare Wechsel in Shanghai zahlreich, und in Shanghai
zahlbare Wechsel gering geworden seien. So seien in Niutschwang
zahlbare Wechsel in Shanghai leicht und billig käuflich gewesen. Wenn
daher die Reklamanten in ihrem Geschäftsbetrieb in Shanghai verein-
nahmte Gelder nach Niutschwang zu schicken gehabt hätten, so hätten
sie, anstatt das Risiko und die Kommission und die sonstigen Kosten
bei Übersendung von barem Geld zu tragen, lieber mit dem Gelde
in Niutschwang zahlbare Wechsel kaufen sollen, bei deren Übersendung
sie zugleich Bequemlichkeit und Vorteil gehabt haben würden. Daß
ein in Geschäften scharfsinniger chinesischer Kaufmann, besonders Bank-
firmeninhaber, wie die Reklamanten es seien, ein bequemes und vor-
teilhaftes Verfahren außer Acht lassen und ein unbequemes und un-
vorteilhaftes Verfahren wählen und vorsätzlich Schaden und Risiko
aufsuchen solle, sei kaum glaublich.
Zudem sei, wie oben dargetan, die Ausfuhr der Hauptexport-
artikel Bohnen, Bohnenkuchen usw. fast gänzlich ins Stocken geraten,
so daß ein Bedürfnis, Kapital zum Einkauf bereit zu halten, nicht vor-
gelegen habe.
Daß ferner zwischen Silber und Papier in der Gegend von Niu-
tschwang eine so außerordentlich große Wertdifferenz bestanden habe,
so daß eine Übersendung von barem Gelde von Vorteil gewesen wäre,
sei nur eine mündliche Behauptung der Reklamanten, welcher man
mangels anderer Grundlagen schwer Glauben schenken könne.
So könne man, wie dargetan, welchen Punkt der Reklamanten
man auch erwägen möge, aus keinem derselben ein Bedürfnis für die
Sendung des baren Geldes entnehmen.
Dagegen hätten die russischen Truppen zur Deckung ihres Kriegs-
bedarfs chinesisches Geld und insbesondere kleine Münze, wie die zur
319
Abschnitt Vix Prisengerichtsentscbeldungen: .Hsl-Ping".
Verhandlung stehende, dringend nötig gehabt. Wenn daher die Re-
klamanten, ohne Bedürfnis für ihr Geschäft, mit großer Mühe, ver-
schiedene Tausend Yen kleines Geld gesammelt, vorsätzlich die Gefahr
des Transports getragen, Kommission, Versicherungsprämie und Fracht
bezahlt hätten, um dieses Geld nach Niutschwang zu schaffen, so sei
es ohne viel Worte offenbar, daß sie darin dem plötzlichen Bedürfnis
der russischen Truppen hätten nachkommen wollen.
Selbst einmal zugegeben, das Geld habe nicht besonders einge-
führt werden sollen, um dem plötzlichen Bedarf der russischen Truppen
zu entsprechen, so müsse man doch vermuten, daß es, wenn es nach
Niutschwang gekommen wäre, jedenfalls zum Gebrauch der russischen
Truppen gedient haben würde. Daher sei es zutreffend, daß das Ur-
teil erster Instanz auf Grund dieser Tatsachen unter Berücksichtigung
der damaligen Umstände angenommen habe, daß das zur Verhandlung
stehende Geld sofort nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch der
russischen Truppen gedient haben würde, und die Berufung der Re-
klamanten sei unbegründet.
2. Die Reklamanten behaupteten:
Neben der Notwendigkeit des zur' Verhandlung stehenden
Geldes für die russischen Truppen in Niutschwang habe es
aber auch an Bedürfnis für dasselbe im Handelsbetriebe Niu-
tschwangs nicht gefehlt. Es sei aber unbillig, dies sonstige
Bedürfnis gar nicht zu berücksichtigen und, weil die russi-
schen Truppen Geld bedurft hätten, zu entscheiden, daß
es ihnen geliefert worden wäre.
Das Urteil erster Instanz habe aber nicht lediglich daraufhin, daß
die russischen Truppen das zur Verhandlung stehende Geld nötig ge-
habt hätten, so entschieden. Nach den Verhältnissen Niutschwangs
zur Zeit der Einfuhr; nach der Tatsache, daß eine Notwendigkeit, bares
Geld zu senden, nicht vorgelegen habe; und nach verschiedenen son-
stigen Tatsachen sei es schwer anzunehmen, daß die Reklamanten, wie
sie behaupten, das zur Verhandlung stehende Geld, weil es in ihrem
Handelsbetrieb benötigt worden sei, eingeführt hätten. Dagegen hätten
die russischen Truppen in ihrem Geldbedarf Mangel gelitten. Aus
diesen Gründen habe das Urteil erster Instanz geschlossen, daß das
Geld nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch für die russischen
Truppen geliefert worden wäre. Es habe also nicht, ohne das da-
malige Bedürfnis in Handelskreisen zu berücksichtigen, in willkürlicher
Weise lediglich daraufhin, daß die russischen Truppen Geld nötig ge-
habt hätten, entschieden, daß es zu ihrem Gebrauch dienen würde.
Nach dem Ausgeführten seien die Behauptungen der Reklamanten
alle unbegründet und das Urteil erster Instanz zutreffend. Daher sei
die Berufung abzuweisen.
320
Prisengerichtsentscheidungen: .Hai-Ping*. Abschnitt VI»'
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet :
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul in Niutschwang, Segawa, hat aber berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört,
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge auf-
gezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Gelder aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen
liegen, sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher
Güter dorthin befördert werden, so muß das ebenso angesehen werden,
als ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien, s) Da es demnach
offenbar ist, daß die Tatumstände zu der Annahme berechtigen, daß
auch das zur Verhandlung stehende, von den Reklamanten für die
Einfuhr nach Niutschwang bestimmte Silbergeld zum Kriegsgebrauch
des Feindes gedient haben würde, so muß man sagen, daß es die
Voraussetzungen, die es zur Konterbande machen, erfüllt.«)
In einem Bericht des oben genannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der mand-
schurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in Gold
geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie daneben
Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt, zwischen dem
Metall und dem Papier sei kein Unterschied. Dann habe
sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach und nach
das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt. Im Jahre
1902 sei es dahin gekommen, daß man in der Mandschurei
russisches Goldgeld nur sehr selten in Umlauf gesehen habe.
Damals habe aber die russisch-chinesische Bank schon an
verschiedenen wichtigen Plätzen Niederlassungen errichtet.
In diesen Banken sei das Papier zum Tageskurse gegen
Silbergeld eingelöst worden und in der Mandschurei habe
dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs von 1 Dollar 30 Cents
bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld gehabt. Als indessen seit
Herbst 1903 die Gerüchte über einen Krieg zwischen Japan
und Rußland in Blüte gestanden hätten, habe es unter den
Chinesen geheißen, daß, wenn nach dem Ausbruch des
») V. § 5. — •) II. Ziffer 2.
lCArstrft2id-M«ohl«iiburff, Das jApanlsohe PrlsMireoht. Band I. (21) o21
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*.
Krieges die Russen einmal unterliegen würden, die russischen
Papierrubel nicht mehr gewechselt werden könnten und nur
noch den Wert von altem Papier haben würden. Von
November oder Dezember dieses Jahres bis zum Ausbruch
des Krieges im Februar 1904 habe der Umlauf des Papier-
geldes eine starke Abnahme erfahren, und dasselbe sei von
1 Dollar 30—40 Cents häufig auf 1 Dollar 10 Cents gefallen,
und nur, dank den Bestrebungen der Niederlassungen der
russsich-chinesischen Bank in den verschiedenen Orten den
Kredit des Papiergeldes aufrecht zu erhalten, sei es nicht
dazu gekommen, daß sein Umlauf ganz ins StocJcen geraten
sei. Als aber die Nachrichten von den Niederlagen bei
Nanshan und Tehlitze nach Kaiping und Yingkow kamen,
hätten die Chinesen, welche Papierrubel gehabt hätten, darin
gewetteifert, diese zu verkaufen. Der Rubel sei Jamals bis
auf 70 oder 80 Cents gefallen. Aber da in Tientsin und
Shanghai Papierrubel immer zum Tageskurse gegen Silber-
taels gewechselt werden könnten, so hätten Geldwechsler
in Yingkow, wenn das russische Papiergeld gefallen gewesen
sei, dieses aufgekauft, nach Shanghai geschickt und mit
ungeheurem Gewinn wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Papierrubel
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte
sich die Tendenr, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren
würde. Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und
Tehlitze nach Yingkow gekommen war, traf freilich die russisch-
chinesische Bank sorgfältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wieder-
herzustellen ; es kam aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann
immer mehr Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der
japanischen Truppen kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine
Weise mehr vermeiden ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz
allgemein seinen Kurs verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß
die Situation so war, daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo
das zur Verhandlung stehende Silbergeld befördert wurde, zur Re-
quisition des Kriegsbedarfs und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel
nicht ohne weiteres verwenden konnten. Daher ist es offenbar, daß
chinesisches Silbergeld zu jener Zeit für die russischen Truppen unent-
behrlich geworden war.
ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine:
Mit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Rußland
seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlösbarkeit
•
322
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VI»'
der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet, daß
sie Fälschungen seien, und der Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und unter den russischen
Regierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in
Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne,
daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die
Banken in Tientsin sie in die Hand bekommen hätten, so
hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine Art
Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
^bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
gemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
>tuWs eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn er-
zielenSaollten. Daher hat der Rubelschein auch die Requisition der
russischeii Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können.
Aus allem ijksen geht klar hervor, daß die russischen Truppen chine-
Msches GeldN^ötig hatten.
Wenn es au^i offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptpro^ukte Niutschwangs, Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch di^^Reklamanten behaupten, verhandelt worden
sind, so bestand danebeirsdoch die Tatsache, daß auf der anderen
Seite Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen
Truppen chinesisches Umlaufsgelik nötig hatten, die vermehrten Rubel-
scheine billig von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen
Gewinn erzielen konnten. Daher stimmt die Behauptung der Rekla-
manten, daß das in Streit befangene Silbergeld, weil jener 'Waren-
handel in Betrieb gewesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch
des Feindes gedient haben würde, nicht mit den Tatsachen überein.
Vielmehr ist es natürlich, anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die
geschäftlich scharfsinnigen chinesischen Kaufleute, vor allem die Bank-
unlernehmer, anstelle ihrer gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine
billig von den Russen kaufen und, um einen außerordentlichen Profit
zu erzielen, die Gefahr eines solchen Geldimports laufen würden. Das
zur Verhandlung stehende Geld ist durch Vermittlung der Seetransport-
\ma Tang Ming Chien, welche eine volle Ladung von Kriegs-
konterbande heimlich nach Niutschwang zu befördern beabsichtigt hatte,
und außerdem zugleich mit dieser Konterbande auf demselben Schiff
verladen und befördert worden. Dazu ist sein Bestimmungsort ein
russischer Etappenort und, wie oben dargetan, bedurften die russischen
Truppen solphen Geldes. Daraus muß geschlossen werden, daß der
Z^eck der Einfuhr des Geldes der gleiche gewesen ist wie der der Einfuhr
der übrigen Konterbandeladung, nämlich Lieferung zum Gebrauch der
(21*) 323
Abschnitt VI»' Prisengerichtsentscheidungen: ,Hsi-Ping*.
russischen Truppen. Demnach ist es durchaus zutreffend, wenn das
Gericht erster Instanz die Einziehung des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu ver-
heimlichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt
öffentlich die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als ein Beweis er-
achtet werden, welcher geeignet ist, der obigen Annahme entgegen-
zustehen.
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in
jedem Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes nach Niutschwang
vorkommen. Für die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit,
großen Gewinn zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht
berücksichtigt worden sei und das Geld für die alljährlich wieder-
kehrenden Handelszwecke dienen sollte, ist keinerlei Beweis erbracht
worden.
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Verwendung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee
und Marine beschränke, sondern daß es allgemein im Verkehr unter
den Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den Reklamanten
einzuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus den Tat-
umständen die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russischen
Truppen gedient haben würde, offenbar gerechtfertigt. Dasselbe kann
daher, gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der gleichen An-
nahme bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts im Wege
steht, als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach feindlichem Gebiet gehen und zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man da-
gegen ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes
unterstützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen
oder Blockadehafen ist, für die Entscheidung, ob ein Konterbande-
transport vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn
der Bestimmungsort ein Kriegshafen oder Blockadehafen ist, so liefert
das nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin be-
stimmten Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser
Punkt der Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
324
Prisengerichtsentscbeidungen: „Hai-Ping*. Abschnitt VI»«
Reklamant: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und ChingPuSaw,in Firma YuShangChang, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu; Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori, shichome Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des enghschen Dampfers
„Hsi-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Hsi-Ping" befindlichen, an
die Firma Yu Shang Chang versandten 17 Kisten mit kleinem
Silbergeld werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 17 Kisten kleines Silbergeld sind
von der Transportfirma Shang Fa Yun in Shanghai, China, auf
dem englischen Dampfer „Hsi-Ping'' verladen und am 11. Juli 1904
an die Firma Yu Shang Chang in Niutschwang, China, abgesandt
worden. Als am 14. d. M., 8 Uhr vormittags, der Dampfer „Hsi-
Ping" ungefähr 61/2 Seemeilen nördlich von der Insel Kaiming bei
dem Shantung-Vorgebirge in China von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Hongkong Maru" aufgebracht wurde, weil er Kriegskonterbande führe,
vurden auch die zur Verhandlung stehenden Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru'', Inouye Toshio, den
Bericht des Marineoberleutnants KamuraYasumasa über die Durch-
suchung des Dampfers „Hsi-Ping", das Tagebuch, die Vernehmungs-
protokolle des Kapitäns R. Mac Farlane, des 1. Offiziers E. B.
Hayes, der Kompradores PawMengChiung und N. Wai Meng,
des Passagiers Tang Ming Chien, durch die Konnossemente, das
Ladungsverzeichnis und die Frachtbriefe.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant betreibe in Niutschwang ein Bankgeschäft. Er
habe das hier zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen
lassen wollen, weil zu der Zeit in Niutschwang die Handelsbeziehungen
zu einem einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil die Zeit
für den Einkauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen
gewesen sei, so daß Umlaufskapital nötig gewesen sei. Ferner sei der
Kurs für Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich gewesen,
so daß er durch Einfuhr von Metallgeld einen Vorteil zu erzielen be-
absichtigt habe. Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht für
die russische Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch
325
Abschnitt VIi«» Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-PiiigV
« ^^
nicht zu ihrem Gebrauch geliefert werden sollen. Daher sei es k^ane
Konterbande und müsse freigegeben werden. /
Der Reklamant hat zum Beweis der vorstehenden Tatsadiren ver-
schiedene Beweisdokumente eingereicht. /
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts siafl folgende :
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nirch ihrer An-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Iruppen gedient
haben. Sie seien daher Kriegskonterbande und nimßten eingezogen
werden. /
Das Gericht ist folgender Ansicht: /
Wenn Lebensmittel oder Geld nach eurem von den. feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden/sind, so kann je nach den
Umständen angenommen werden, daß sie^^m Gebrauch dieser Truppen
dienen würden. Niutschwang war zupö^it von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hau^tappenort. Außerdem hatte das
russische Papiergeld durch die andauernden Niederlagen der russischen
Armee und Marine verloren, uffu es ist bekannt, daß chinesisches Metall-
geld, insbesondere kleine^'ueld wie das zur Verhandlung stehende
Silbergeld, stark benötigf wurde, um der täglichen Nachfrage zu ent-
sprechen. Es muß daher angenommen werden, daß das zur Ver-
handlung stehende Silbergeld sofort zum Gebrauch der genannten
Truppen geliefert worden wäre.
Es wird demnach für Kriegskonterbande angesehen i) und weder
die Anführungen des Vertreters der Reklamation noch die verschiedenen
von ihm eingereichten Beweisdokumente sind imstande, diese Annahme
umzustoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und ChingPuSaw,in Firma Yu Shang Chang, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho shichome Nr. 3 und Sakurai Ikkyu,
Regierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori shichome Nr. 54.
0 II. Ziffer 2. - «) V. § 43.
326
Prlsengerichtsentscheidungen: .Hai-Ping*. Abschnitt Vln«
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend Ladung des Dampfers „Hsi-Ping", welcher am
14. Juli 1901 auf 37« 34' n. Br. un;d 122 « 29' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist, auf Ein-
ziehung der unter der Ladung des genannten Dampfers befindlichen,
an die Firma Yu Shang Chang versandten 17 Kisten kleines Silber-
geld erkannt.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen Staats-
angehörigen Chan Yü Po und Ching Pu Saw, in Firma Yu
Shang Chang, durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und
Sakurai Ikkyu die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden sind.
Die Hauptpunkte der Berufung der Prozeßvertreter Takagi To-
yozo und Sakurai Ikkyu sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht in Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem eng-
lischen Dampfer „Hsi-Ping'' verschifften 17 Kisten kleines Silbergeld
und Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die Reklamanten hätten eine Bankfirma und betrieben da-
neben ein Engrosgeschäft für Ein- und Verkauf.
Bei der Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl nach
Shanghai liehen die Kaufleute von Niutschwang den Wechselbetrag
für die Güter dar, vereinnahmten in Shanghai den Wechselbetrag von
dem Wechselschuldner und bewerkstelligten die Übersendung dieses
Betrages entweder durch Ankauf eines in Niutschwang zahlbaren
Wechsels oder in Form baren Geldes. Auch in Fällen, wo Waren
von Niutschwang nach anderen Plätzen wie Shanghai ausgeführt würden
und der Wechsel dargeliehen werde, werde die Zahlung des Wechsel-
betrags bisweilen in Shanghai entgegengenommen. Denn da Shanghai
das Zentrum des chinesischen Handels sei, so sei es auch der Mittel-
punkt des Geldumlaufs. Auch in Fällen, wo die Reklamanten selber
Bohnen und Bohnenkuchen nach Shanghai ausführten, werde die Zah-
lung des Preises in Shanghai entgegengenommen; und auch in Fällen,
wo die Ausfuhr nach anderen Plätzen wie Shanghai gehe, sei dies bis-
weilen der Fall.
So sei das zur Verhandlung stehende Geld im Verlauf einer Trans-
aktion von dem Angestellten der Reklamanten in Shanghai dort ein-
genommenes Geld, welches er bei einem Wechsler eingewechselt und
an das Hauptgeschäft in Niutschwang gesandt habe. Daß bares Silber-
geld geschickt worden sei, habe seinen Grund darin, daß gerade in
Niutschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen und Bohnenkuchen
usw. gekommen gewesen sei. Denn da in der Regel die Ausfuhrfirmen
327
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscbeidungen: .Hsi-Ping'.
Zahlung für die Bohnen usw. in kleinem Silbergeld leisteten und die
Kunden des Bankdepartements die Reklamanten um Leistung in Silber-
geld bäten, so hätten dieselben sich darauf vorbereiten müssen. Dies
sei einer der Gründe, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld
in bar geschickt worden sei.
Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und der Kurs für in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig gewesen wäre, sa
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Angestellte der Rekla-
manten extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang habe
es aber an Silbergeld gefehlt und der Wiechselkurs auf Niutschwang-
sei in Shanghai hoch gewesen, so daß selbst nach Zahlung der Fracht
und Versicherung die Sendung von barem Geld immer noch geschäftlich
vorteilhaft und außerdem notwendig gewesen sei. Das sei der zweite
Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar übersandt
worden sei. Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweisstücken
Nummer 2, 3, 5 bis 7 und 9 bis 11.
2. Daß der Angestellte der Reklamanten das zur Verhandlung
stehende Silbergeld an das Hauptgeschäft in Niutschwang geschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für ein Bankgeschäft natürliche Maß-
nahme, die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe.
Wenn man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handels-
transaktion für unerlaubt zu erklären und die auf der Reise befindlichen
Güter einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts, Ge-
werbe zu treiben. Von etwas dergleichen, wie insbesondere auch davon,,
daß neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Ge-
werbe in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man
bislang in der Praxis und der Wissenschaft des Kriegsvölkerrechts noch
niemals etwas gehört.
3. Der Dampfer „Hsi-Ping" habe seine Absicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai-Zeitungen bekannt gemacht,
und der englische Konsul habe die Abreise des Dampfers zwecks Güter-
transports nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shang-
hai habe die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren
lassen. Daher habe der Angestellte der Reklamanten ohne weitere
Überlegung ganz unbefangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende
Silbergeld zur Beförderung übergeben. Demnach sei die Beschlag-
nahme, von der Einziehung nicht zu reden, im höchsten Grade un-
erwartet gekommen.
Wenn man das Geld wirklich heimlich habe absenden wollen, um
es zum Gebrauch der russischen Truppen dienen zu lassen, so hätte
man ein so öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen. Daß
man doch ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere reichlichen
328
Priseng^richtsentscheidungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VI»«
Grund für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht vorgelegen
habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen und habe als ein Hauptetappen-
ort gedient. Außerdem habe das russische Papiergeld
durch die andauernden Niederlagen der russischen Armee
und Marine sehr an Kredit verloren, und es sei bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld, wie
das zur Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden
sei, um der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse
daher angenommen werden, daß das zur Verhandlung
stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort
zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin ausgeführten
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng
und widerlaufe auch den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsächlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-Filiale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden sich diese Tatsachen bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld wie das
zur Verhandlung stehende nötig gehabt, so sei es doch unsinnig, ohne
zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an die
Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen nicht
dafür. Vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß, wenn
die Reklamanten, welche ein Bankgeschäft hätten, Geld, wie es zum
Betriebe dieses Gewerbes erforderlich sei, von Shanghai, woher sie ihre
Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres Ge-
schäftSp befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Bankgeschäfts
der Reklamanten zur Verwendung kommen solle. Wenn man diese
natürliche Vermutung umstürzen wolle, so bedürfe es dazu unter allen
Umständen sicherer Gründe und Beweise. Wenn daher das Urteil
erster Instanz auf die verzeichneten vagen Gründe hin eine Annahme
aufgestellt habe, welche dieser natürlichen Vermutung widerspreche,
so sei das auch vom Standpunkt des Beweisrechts unzutreffend.
329
Abschnitt VI»« Priaenfl^richt rtwlMMMmii - •IM-IHa0*.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es demnach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet
bestimmt sei und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine diene, Kriegskonterbande sei, 3) so
sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei, Beweise bei-
zubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche Armee oder Marine
bestimmt gewesen sei oder daß es zu ihrem Gebrauch habe geliefert
werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)'' vorliege, einfach so folgere, daß die Güter, weil sie nach
einem von feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden, auch
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so schließe
man aus dem Vorhandensein der ersten der beiden Bedingungen, welche
dieser Fall erfordere, ohne weiteres auf das Vorhandensein auch der
zweiten Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe als wenn die zweite
Bedingung überflüssigerweise geschrieben sei, und laufe darauf hinaus,
daß die bedingte Kriegskonterbande des Falles „(2)'' keinen Unterschied
von der absoluten Konterbande aufweise, so daß der Sinn, welcher der
Unterscheidung dieser beiden zugrunde liege, völlig zu nichte gemacht
werde.
Man werde aber vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche
hin das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld
als Konterbande angesehen habe, beschränke sich nicht nur darauf,
daß das Geld nach einem vom Feinde besetzten Platz bestimmt sei,
sondern es sei auch die weitere Begründung beigefügt, daß die feind-
liche Armee oder Marine es benutzen werde. Demgegenüber sei aber
folgendes zu bemerken: Jedermann könne in allen Umständen Geld
gebrauchen, und die Verwendbarkeit desselben beschränke sich nicht
auf die russische Armee und Marine. Wenn demnach dafür, daß nur
die russische Armee oder Marine das zur Verhandlung stehende Geld
gebrauchen werde, keine besonderen Gründe vorlägen, so gebe die
oben genannte weitere Begründung des Urteils der ersten Instanz auf
die Frage, inwiefern die Annahme berechtigt sei, daß das zur Ver-
handlung stehende Geld bei den russischen Truppen zur Verwendung
kommen werde, die Antwort, man müsse annehmen, daß es bei den
russischen Truppen zur Verwendung gekommen sein würde, weil diese
es zu verwenden genötigt gewesen seien. Das sei Beantwortung einer
Frage mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptungen, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder
an die russischen Truppen noch zu ihrem Gebrauch zu liefern gewesen,
') IL Ziffer 2.
330
Prisengerichtsentscheidungin: .Hsi-Ping'. Abschnitt VIi<^*
daß es vielmehr zur Dec^ng des Bedarfs in dem Bankgeschäft der
Reklamanten versandt wora^n sei, mit verschiedenen beweiskräftigen
Tatsachen und Gründen belegt Der Staatsanwalt habe, ohne dagegen
einen einzigen Gegenbeweis vö^ubringen, diese Erklärung der Rekla-
manten verworfen und die Entsöheidung des Gerichts erster Instanz,
welches der Ansicht des Staatsan\x\lts beipflichte, sei daher auch vom
Standpunkt der Beweisführung rechWidrig.
6 Es sei freilich nicht zu leugnenv daß Niutschwang nicht nur zur
Zeit der Aufbringung, sondern schon sejl der Zeit vor dem. japanisch-
russischen Krieg unter russischer Gewal^^estanden habe. Aber man
müsse dieses besetzte Gebiet nicht einem Vewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen. Denn Niutschwang sei etn dem Handel der Mächte
offenstehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit nur während des Krieges besetzten Sebieten, wie zum Bei-
spiel der Song To Bucht, der Taubenbucht unX der Sho Ping Insel
bei Port Arthur auf eine Stufe gestellt werden. wSenn relative Konter-
bandegüter, d. h. Güter, wie sie im § 14 der ^eprisenordnung*)
aufgestellt seien, nach der Song To Bucht usw. benimmt wären, so
werde jedermann dem zustimmen, wenn man annehnV daß sie direkt
für die russischen Truppen bestimmt seien und daher ark Kriegskonter-
bandt eingezogen werden müßten. Wenn man aber Wnen solchen
Fall und den Fall, wo die Güter nach Niutschwang be^mmt seien,
gleichstelle, so entspreche das nicht dem wahren Sinne der japanischen
Seeprisenordnung und des Völkerrechts über die BehandlunAneutralen
Gutes Besonders seien auch die zur Verhandlung stehendeVi Silber-
münzen kurantes Geld, wie es unter den Chinesen und den in- und
ausländischen Kaufleuten Kurs habe. Von anderen Konterbandeffütern,
wie Lebensmitteln und dergleichen, sei es weit verschieden und es
lägen Gründe vor, nach denen man nicht auf Gebrauch seitens\der
Truppen schließen müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebensmitt^n,
welche zum Gebrauch für die Russen, und solchen, welche zum
brauch für die Chinesen dienen sollten, ein großer Unterschied, s^
daß man, wenn Lebensmittel, welche für Russen geeignet seien, in\
großer Menge nach Niutschwang bestimmt würden, diese wohl als\
Konterbande ansehen könne. Geld sei aber nicht nur bei Truppen
verw^endbar, und da auch die Menge des hier versandten Geldes im
Handel mit den großen Mengen Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl
keinen Überschuß lassen würde, so könne man es nicht mit Lebens-
mitteln vergleichen und als Truppenbedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall Von bedingter Kriegskonterbande wie Geld besonders sorgfältig
überlegen. Deshalb werde besonders die rechtliche Auffassung der
VvT
331
Abschnitt VIi>« Prisengerlchtsentscheidungen: .Hsi-Ping*.
Stellung Niutschwangs der Beachtung empfohlen, welche mit der diplo-
matischen Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl eng verknüpft sei. Dieselbe sei folgende : Die Verhandlungen
betreffend die Frage, ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat geführt^
daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn garantiert werde, daß die
Güter nicht beim Militär zur Verwendung kommen würden. Dieses sei
der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China akkreditierten
Kaiserlichea Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt worden, und Japan
habe diese Tatsache, daß die Bohnen, Bohnenkuchen usw. nach japa-
nischen Häfen ausgeführt werden würden, mit Freuden begrüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Faktum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Japan, Rußland, China
und anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei; und darin liege ein
wichtiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin,
daß Rußland Niutschwang besetzt habe, entschieden werden könne.
Denn wenn die Mächte so den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen
usw. übereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat dieses
Handels, nämlich daß die Kaufleute den Preis für die verkauften Waren
in Empfang nähmen, in den Bereich dieses übereinstimmend gestatteten
Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches als Preis für die Bohnen,
Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, vorausgesetzt, daß es nicht an die
russischen Truppen gehe, nicht eingezogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw.; sowie Kapital für den auch in
Zukunft erlaubten Einkauf derselben; und daß es kleines Geld sei,
wie es für solche Einkäufe nötig sei; kurz, daß es in jeder Beziehung
im Rahmen harmlosen Handelsverkehrs stehe, alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Absicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweise ungefälschter
Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro sind folgende :
Zur Einziehung von Gütern auf Grund der Annahme, daß sie
zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden
würden und daher Konterbande seien, sei es nicht unbedingt erforderlich
darzulegen, daß diese Annahme sich auf Beweise gründe. Im Falle,
daß nach der Art der Güter, den Verhältnissen des Einfuhrortes und
anderen Umständen angenommen werden könne, daß die Güter zum
332
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VI*««
Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würden,
habe das Prisengericht nach freier Überzeugung zu befinden.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei in China geprägt und habe
in Niutschwang sowie auch in den verschiedenen Gegenden der Mand-
schurei Kurs. Es sei alles eine und dieselbe Art kleinen Silbergeldes,
wie es zum Lohn für Tagelöhner sowie zum Einkauf der zum Haus-
und persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände am geeignetsten,
zur Zahlung bei großen geschäftlichen Transaktionen jedoch am alier-
ungeeignetsten sei. Es sei bequem für kleine, aber äußerst unbequem
für große Zahlungen.
Zur Zeit, als das Geld in Niutschwang habe eingeführt werden
sollen, sei, wie das Urteil erster Instanz sage, Niutschwang von den
russischen Truppen besetzt gewesen und die in Port Arthur und den
verschiedenen Teilen der Mandschurei liegenden russischen Armee- und
Marinetruppen seien von diesem Platz als Bezugsort für ihren Kriegs-
bedarf abhängig gewesen, und die meisten Lebensmittel und sonstigen
Gegenstände, die der Feind nötig gehabt habe, seien von dort ge-
liefert worden. Da aber infolge der andauernden Niederlagen der russi-
schen Armee und Marine das Kriegspapiergeld, welches in Niutschwang
und auch in verschiedenen Teilen der Mandschurei Kurs gehabt habe,
sehr im Kredit gesunken sei, so seien bei der Zahlung der Preise
für requirierte Gegenstände und der Löhne für Menschen- und Pferde-
arbeit, d. h. also bei den kleinen Zahlungen plötzlich Schwierigkeiten
entstanden. Daher seien Klagen über das Bedürfnis nach kleinem Hart-
geld, insbesondere Geld wie dem zur Verhandlung stehenden, laut ge-
worden, und man sei auch bezüglich dieses auf Niutschwang als
Lieferungsort angewiesen gewesen.
Die Reklamanten hätten daraufhin unter Erleidung von allerhand
Schwierigkeiten und unter großem Risiko die Kommission und Ver-
sicherung gezahlt und viele Tausend Yen weit von Shanghai nach
Niutschwang einführen wollen. Die Frage, wie das Bedürfnis hier-
für entstanden sei, beantworteten sie damit,
es sei die Folge einseitigen Wechselverkehrs ; ferner diene das
Geld als Kapital zum Einkauf der von Niutschwang nach
Shanghai ausgeführten Bohnen, Bohnenkuchen und des
Bohnenöls, auch sei der Wertunterschied zwischen Silber
und Papier in Niutschwang so groß geworden, daß der Kurs
für Silber den für Papier bis um 20 und 30 o/o überstiegen
habe und es einträglich gewesen sei, bares Silbergeld von
Shanghai kommen zu lassen.
Niutschwang sei aber seit langer Zeit von den Russen okkupiert ge-
wesen und die von dort zur Ausfuhr gelangenden Bohnen, Bohnen-
kuchen usw. seien von ihnen entweder als Nahrungsmittel oder Brenn-
333
Abschnitt VI Mo Prisengerichtsentscheidungen: .M-Ping'»
mittel requiriert worden. Auch sei, um den Gegner in Verlegenheit
zu bringen, die Ausfuhr derselben streng verboten worden, so daft/eiK^
Ausfuhr der Hauptexportartikel Bohnen, Bohnenkuchen usw. *(st gai^
nicht stattgefunden habe. /
Dagegen seien die Kriegsbedürfnisse der russischen Truppen in der
Gegend von Niutschwang immer größer geworden uncr neben der ge-
wöhnlichen Einfuhr sei die Einfuhr von LebensmiUirfn und ionstigen
Bedarfsgegenständen sehr gewachsen, so daß Einv^nd Ausfuhr völlig"
aus dem Gleichgewicht gekommen und demzufolge natürlich in Niu-
tschwang zahlbare Wechsel in Shanghai za)ifreich und in Shanghai
zahlbare Wechsel gering geworden seieny^So seien in Niutschwang-
zahlbare Wechsel in Shanghai leicht und/Oillig käuflich gewesen. Wenn
daher die Reklamanten in ihrem Gesj?näftsbetrieb in Shanghai verein-
nahmte Gelder nach Niutschwang z/ schicken gehabt hätten, so hätten
sie, anstatt das Risiko des Tranä(K)rts und die Kommission und die
sonstigen Kosten bei Übersenchmg von barem Gelde zu tragen, lieber
mit dem Gelde in Niutschwarrg zahlbare Wechsel kaufen sollen, bei deren.
Cbersendu'ng sie zugleich/Bequemlichkeit und Vorteil gehabt haben
würden. Daß ein in GesAäften scharfsinniger chinesischer Kaufmann,
besonders ein Bankfirmehinhaber, wie die Reklamanten es seien, ein be-
quemes und vorteilhaftes Verfahren außer Acht lassen und ein un-
bequemes und unvorteilhaftes Verfahren wählen und vorsätzlich Schaden
und Risiko aufsuchen solle, sei kaum glaublich.
Zudem sei, wie oben dargetan, die Ausfuhr der Hauptexportartikel
Bohnen, Bohnenkuchen usw. fast gänzlich ins Stocken geraten, so daß
ein Bedürfnis, Kapital zum Einkauf bereit zu halten, nicht vorgelegen
habe.
Daß ferner zwischen Silber und Papier in der Gegend von
Niutschwang eine so außerordentlich große Wertdifferenz bestanden habe,
so daß eine Übersendung von barem Gelde von Vorteil gewesen wäre,
sei nur eine mündliche Behauptung der Reklamanten, welcher man
mangels anderer Grundlagen schwer Glauben schenken könne.
So könne man, wie dargetan, welchen Punkt der Reklamation
man auch erwägen möge, aus keinem derselben ein Bedürfnis für die
Sendung des baren Geldes entnehmen.
Dagegen hätten die russischen Truppen zur Deckung ihres Kriegs-
bedarfs chinesisches Geld und insbesondere kleine Münze, wie die zur
Verhandlung stehende, dringend nötig gehabt. Wenn daher die Re-
klamanten, ohne Bedürfnis für ihr Geschäft, mühsam viele Tausend
Yen kleines Geld gesammelt, vorsätzlich die Gefahr des Transports
getragen, Kommission, Versicherungsprämie und Fracht bezahlt hätten,
um diesesGeld nach Niutschwang zu schaffen, so sei es ohne viel Worte
334
PriSMBsrichteentscheidungen : .Hai-Plng*. Abschnitt VIi««
offenbar, daß sie darin dem plötzlichen Bedürfnis der russischen Truppen
hätten nachkommen wollen.
Selbst einmal zugegeben, das Geld habe nicht besonders ein-
geführt werden sollen, um dem plötzlichen Bedarf der russischen Truppen
zu entsprechen, so müsse man doch vermuten, daß es, wenn
es nach Niutschwang gekommen wäre, jedenfalls zum Gebrauch
fter russischen Truppen gedient haben würde. Daher sei es
zutreffend, daß das Urteil erster Instanz auf Grund dieser Tatsachen
unter Berücksichtigung der damaligen Umstände angenommen habe,
daß das zur Verhandlung stehende Geld sofort nach Ankunft in
Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient haben
würde, und die Berufung der Reklamanten sei unbegründet.
2. Die Reklamanten behaupteten :
Neben der Notwendigkeit des zur Verhandlung stehenden
Geldes für die russischen Truppen in Niutschwang habe es
aber auch an Bedürfnis für dasselbe im Handelsbetriebe
Niutschwangs nicht gefehlt. Es sei aber unbillig, dies sonstige
Bedürfnis gar nicht zu berücksichtigen und, weil die russi-
schen Truppen Geld bedurft hätten, zu entscheiden, daß
es ihnen geliefert worden wäre.
Das Urteil erster Instanz habe aber nicht lediglich daraufhin, daß
die russischen Truppen das zur Verhandlung stehende Geld nötig ge-
habt hätten, so entschieden. Nach den Verhältnissen Niutschwangs zur
Zeit der Einfuhr; nach der Tatsache, daß eine Notwendigkeit, bares
Geld zu senden, nicht vorgelegen habe; und nach verschiedenen sonstigen
Tatsachen sei es schwer anzunehmen, daß die Reklamanten, wie sie
behaupteten, das zur Verhandlung stehende Geld, weil sie es in ihrem
Handelsbetrieb gebraucht hätten, eingeführt hätten. Dagegen hätten
die russischen Truppen in ihrem Geldbedarf Mangel gelitten. Aus
diesen Gründen habe das Urteil erster Instanz geschlossen, daß das
Geld nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch für die russischen
Truppen geliefert worden wäre. Es habe also nicht, ohne das damalige
Bedürfnis in Handelskreisen zu berücksichtigen, in willkürlicher Weise
lediglich daraufhin, daß die russischen Truppen Geld nötig gehabt
hätten, entschieden, daß es zu ihrem Gebrauch dienen würde.
Nach dem Ausgeführten seien die Behauptungen der Reklamanten
alle unbegründet und das Urteil erster Instanz zutreffend. Daher sei die
Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul in Niutschwang, Segawa, hat berichtet, daß
335
Abschnitt VI>At Prisengerichtsentschefdungen: ,H8i-Ping'.
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamtes geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische rlagge auf-
gezogen worden. *
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Gelder aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden, als ob
sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. *) Da es demnach offenbar
ist, daß die Tatumstände zu der Annahme berechtigen, daß auch das zur
Verhandlung stehende, von dem Reklamanten für die Einfuhr nach
Niutschwang bestimmte Silbergeld zum Kriegsgebrauch des Feindes
gedient haben würde, so muß man sagen, daß es die Voraussetzungen,
welche es zu Konterbande machen, erfüllt. «)
In einem Berichte des obengenannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baus der
mandschurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in
Gold geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie
daneben Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt, zwi-
schen dem Metall und dem Papier sei kein Unterschied. Dann
habe sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach and
nach das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt. Im
Jahre 1902 sei es dahin gekommen, daß man in der
Mandschurei russisches Goldgeld nur sehr selten in Umlauf
gesehen habe. Damals habe aber die russisch-chinesische
Bank schon an verschiedenen wichtigen Plätzen Nieder-
lassungen errichtet. In diesen Banken sei das Papier zum
Tageskurse gegen Silbergeld eingelöst worden und in der
Mandschurei habe dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs
von 1 Dollar 30 Cents bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld ge-
habt. Als indessen seit Herbst 1903 die Gerüchte über einen
Krieg zwischen Japan und Rußland in Blüte gestanden hätten,
habe es unter den Chinesen geheißen, daß, wenn nach dem
Ausbruch des Krieges die Russen einmal unterliegen würden,
die russischen Papierrubel nicht mehr gewechselt werden
könnten und nur noch den Wert von altem Papier haben
würden. Von November oder Dezember dieses Jahres bis
») V. § 5. — «) II. Ziffer 2.
336
Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping". Abschnitt VIi^*
zum Ausbruch des Krieges im Februar 1904 habe der Um-
lauf des Papiergeldes eine starke Abnahme erfahren und
dasselbe sei von 1 Dollar 30 — 40 Cents häufig auf 1 Dollar
10 Cents gefallen, und nur, dank den Bestrebungen der
Niederlassungen der russisch-chinesischen Bank in den ver-
schiedenen Orten, den Kredit des Papiergeldes aufrecht zu
erhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß sein Umlauf
ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nachrichten von
den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach Kaiping und
Yingkow kamen, hätten die Chinesen, welche Papierrubel
gehabt hätten, darin gewetteifert, diese zu verkaufen. Der
Rubel sei damals bis auf 70 oder 80 Cents gefallen. Aber da
in Tientsin und Shanghai Papierrubel immer zum Tageskurs
gegen Silbergeld gewechselt werden könnten, so hätten Geld-
wechsler in Yingkow, wenn das russische Papiergeld gefallen
gewesen sei, dieses aufgekauft, nach Shanghai geschickt und
mit ungeheurem Gewinn wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte
sich die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze
nach Yingkow gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank
sorgfältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wiederherzustellen, es
kam aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr
Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen
kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden
ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seinen Kurs
verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation so war,
daß die russischen Truppen, zu der Zeit, wo das zur Verhandlung
stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des Kriegsbedarfs
und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne weiteres ver-
wenden konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches Silbergeld zu
jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich geworden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine :
Mit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Ruß-
land seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlösbar-
keit der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet,
daß sie Fälschungen seien, und der Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und unter den russischen
Regierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in
Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne, daß
Karstrand-Meohlenburg, Das japftnisohe Prisenrecht. Band I. (22) öS7
Abschnitt VI^A* Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping*'*
sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die Banken
in Tientsin sie in die Hand bekommen hätten, so hätten
sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine Art Wert-
papier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
sturzes eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn er-
zielen wollten. Daher hat der Rubelschein auch die Requisitionen der
russischen Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können. Aus-
allem diesen geht klar hervor, daß die russischen Truppen chinesisches
Geld nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch - russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch die Reklamanten behaupten, verhandelt worden sind,,
so bestand daneben doch die Tatsache, daß auf der anderen Seite
Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen Truppen
chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die vermehrten Rubelscheine billig"
von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen Gewinn er-
zielen konnten. Daher stimmt die Behauptung der Reklamanten, daR
das in Streit befangene Silbergeld, weil jener Warenhandel in Betrieb
gewesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch des Feindes gedient
haben würde, nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr ist es natürlich
anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die geschäftlich scharfsinnigen
chinesischen Kaufleute, vor allem die Bankunternehmer, anstelle ihrer
gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine billig von den Russen kaufen
und, um einen außerordentlichen Profit zu erzielen, die Gefahr eines
solchen Geldimports laufen würden. Das zur Verhandlung stehende
Geld ist durch Vermittlung der Seetransportfirma TängMingChien,.
welche eine volle Ladung von Kriegskonterbande heimlich nach
Niutschwang zu befördern beabsichtigt hatte, zugleich mit dieser
Konterbande auf demselben Schiff verladen und befördert worden.
Dazu ist' sein Bestimmungsort ein russischer Etappenort und, wie
oben dargetan, bedurften die russischen Truppen solchen Geldes.
Daraus muß geschlossen werden, daß der Zweck der Einfuhr des Geldes
der gleiche gewesen ist wie der der Einfuhr der übrigen Konterbande-
ladung, nämlich Lieferung zum Gebrauch der russischen Truppen.
Demnach ist es durchaus zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz
die Einziehung des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu verheim-
lichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt öffentlich
338
Prisengerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping". Abschnitt VI»««
die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als ein Beweis erachtet werden,
vielcher geeignet sei, der obigen Annahme entgegenzustehen.
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in
jedem Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes nach Niutschwang
vorkommen. Für die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit,
großen Gewinn zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht
berücksichtigt worden sei und das Geld für die alljährlich wieder-
kehrenden Handelszwecke dienen sollte, ist keinerlei Beweis erbracht
worden.
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Venx'endung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee und
.Marine beschränke, sondern daß es allgemein im kaufmännischen Ver-
kehr unter den Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den
Reklamanten einzuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus
den Tatumständen die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russi-
schen Truppen gedient haben würde, ganz offenbar berechtigt. Das-
selbe kann daher, gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der
gleichen Annahme bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts
im Wege steht, als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach feindlichem Gebiet gehen oder zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man da-
gegen ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes
unterstützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen
oder Blockadehafen ist, für die Bestimmung, ob ein Konterbandetransport
vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn der Be-
stimmungsort ein Kriegshafen oder ein Blockadehafen ist, so liefert das
nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin bestimmten
Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser Punkt der
Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
(22*) 339
Abschnitt VI»«^ Prisengerichtsentscheidungen : .Hsi-Ping'.
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen ChanYü Po
und Shing Pu.Saw, in Firma Ying Yu Hao, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori, sichome Nr. 54.
In der Prisensache, betreffend Ladung des englischen Dampfers
,;Hsi-Ping'', wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Hsi-Ping" befindlichen,
an die Firma YingYuHao versandten 5 Kisten mexikanische Dollar
werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 5 Kisten mexikanische Dollar
sind alle kleines chinesisches Silbergeld. Sie sind von der Transport-
firma Kai Ping Chiang in Shanghai, China, auf dem englischen
Dampfer „Hsi-Ping'' verladen und am 11. Juli 1904 an die Firma
Ying Yu Hao in Niutschwang, China, abgesandt worden. Als am
14. d. M., 8 Uhr vormittags, der Dampfer „Hsi-Ping'' ungefähr 61/2
Seemeilen nördlich von der Insel Kaiming bei dem Shantung-Vorgebirge
in China von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" auf-
gebracht wurde, weil er Kriegskonterbande führe, wurden auch die zur
Verhandlung stehenden Gelder mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Hongkong Maru", Inouye Tshio, den Bericht
des Marineoberleutnants KamuraYasumasa über die Durchsuchung
der „Hsi-Ping", das Tagebuch, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
R. Mac Farlane, des 1. Offiziers E. B. Hayes, der Kompradores
Paw Meng Ching und N. Wai Meng, des Passagiers Tang
M i n g C h i e n , durch die Konnossemente, das Ladungsverzeichnis und
die Frachtbriefe.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant betreibe in Niutschwang ein Geschäft, in welchem
er Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl einkaufe, welche er nach
Shanghai und anderen Häfen ausführe. Er habe das zur Verhandlung
stehende Silbergeld von Shanghai kommen lassen, weil die Zeit zum
Einkauf seiner Handelswaren gekommen gewesen sei und als Resultat
der Neigung der Handelsbeziehungen zu einem einseitigen Wechsel-
■ verkehr Kapital nötig gewesen sei.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht für die russische
Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch nicht zu ihrem
Gebrauch geliefert werden sollen.
340
Prisengerichtsentscheidungen : . Hsi-Ping " . Abschnitt VI ia f
Daher sei es keine Konterbande und müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweis der obigen Tatsachen verschiedene
Dokumente eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer Ankunft
in Xiutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient haben.
Sie seien daher Kriegskonterbande und müßten eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen werden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das
russische Papiergeld durch die andauernden Niederlagen der russischen
Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt, daß
chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld, wie das zur Ver-
handlung stehende Silbergeld, stark benötigt wurde, um der täglichen
Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden, daß
das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang
zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Es wird demnach für Kriegskonterbande angesehen^) und weder
die Ausführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten verschiedenen Beweisdokumente sind imstande, diese An-
nahme umzustoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und S h i n g P u S a w , in Firma Ying Yu Hao, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk, Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho sichome Nr. 3. und Sakurai Ikkyu^
Regierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori sichome Nr. 54.
1) IL Ziffer 2. — ^j y. § 43.
341
Abschnitt VIi3f Prisengerichtsentscheidungen : .Hsi-Ping*.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend Ladung des Dampfers „Hsi-Ping'S welcher am
14. Juli 1904 auf 37^ 34' n. Br. und 122 o 29' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht worden ist, auf Ein-
ziehung der unter der Ladung des Dampfers „Hsi-Ping" befindlichen,
an die Firma Y.i n g Y u H a o versandten 5 Kisten mexikanischer Dollars
erkannt.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen
Staatsangehörigen Chan Yü Po und Ching Pu Saw in Firma
Ying Yu Hao durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und
Sakurai Ikkyu die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Prozeßvertreter Takagi
Toyozo und Sakurai Ikkyu sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht in Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem
englischen Dampfer „Hsi-Ping'' verschifften 5 Kisten mexikanischer
Dollars und Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden
Gründen :
1. Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Ausfuhrgeschäft
in Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl. Bei der Ausfuhr dieser
Güter nach Shanghai nähmen sie den Preis dafür in Shanghai ein und
die Übersendung dieses Geldes nach Niutschwang werde entweder durch
Ankauf in Niutschwang zahlbarer Wechsel oder in Form baren Geldes
bewerkstelligt. Auch in Fällen, wo Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnen-
öl nach anderen Plätzen wie Shanghai ausgeführt würden, werde der
Preis bisweilen in Shanghai bezahlt. Denn als Zentrum des chinesischen
Handels sei Shanghai auch der Mittelpunkt des Geldumlaufs. So habe
der Agent des Reklamanten in Shanghai das zur Verhandlung stehende
Geld in der beschriebenen Weise im Betriebe des Geschäfts vereinnahmt,
bei einem Wechsler gewechselt und an die Firma Ying Yu Hao in
Niutschwang geschickt.
Daß bares Silbergeld geschickt worden sei, habe seinen Grund
darin, daß gerade in Niutschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen,
Bohnenkuchen usw. gekommen gewesen sei. Denn da die Exportfirma
Ying Yu Hao in der Regel Zahlung für die Bohnen in kleinem
Silbergeld leiste, sei es nötig gewesen, bares Geld zu schicken. Dieses
sei einer der Gründe, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar
geschickt worden sei. Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und
der Kurs für in Niutschw^ang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig
gewesen wäre, so wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Agent
der Reklamanten extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang
342
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping'. Abschnitt Vl^^f
habe es aber an Silbergeld gefehlt, und der Wechselkurs auf Niutschwang
sei in Shanghai hoch gewesen, so daß selbst nach Zahlung der Fracht
und Versicherung die Sendung von barem Geld immer noch geschäftlich
vorteilhaft und außerdem notwendig gewesen sei. Das sei der zweite
Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar versandt
worden sei. Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweisstücken
Nummer 2, 3, 5 bis 7 und' 9 bis 11.
2. Daß der Agent der Reklamanten das zur Verhandlung stehende
Silbergeld an die Firma Ying Yu Mao in Niutschwang geschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für eine Exportfirma natürliche Maßnahme,
die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe. Wenn
man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handelstransaktion
für unerlaubt zu erklären und die auf der Reise befindlichen Güter
einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts, Gewerbe zu
treiben. Von etwas dergleichen, wie insbesondere auch davon, daß
neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Gewerbe
in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man bislang
in der Praxis und Wissenschaft des Kriegsvölkerrechts noch niemals
etwas gehört.
3. Der Dampfer „Hsi-Ping" habe seine Absicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai Zeitungen bekannt ge-
macht, und der englische Konsul habe die Abreise zwecks Gütertransports
nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shanghai habe
die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren lassen. Daher
habe der Agent der Reklamanten ohne weitere Überlegung ganz un-
befangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende Silbergeld zur
Beförderung übergeben. Danach sei die Beschlagnahme, von der Ein-
ziehung nicht zu reden, im höchsten Grade unerwartet gekommen.
Wenn man das Geld wirklich heimlich habe absenden wollen, um
es zum Gebrauch der russischen Truppen dienen zu lassen, so hätte
man ein so öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen. Daß
man doch ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere reichlichen
Grund für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht vorgelegen
habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen und habe als ein Hauptetappenort
gedient. Außerdem habe das russische Kriegspapiergeld
durch die andauernden Niederlagen der russischen Armee
und Marine sehr an Kredit verloren, und es sei bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie
das zur Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden sei,
343
Abschnitt VI 18 f Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*.
um der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse daher
angenommen werden, daß das zur Verhandlung stehende
Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort zum Ge-
brauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin eingeführten
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng"
und widerlaufe auch den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsächlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-Filiale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden sich diese Tatsachen bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld, wie
das zur Verhandlung stehende, nötig gehabt, so sei es doch ansinnig,
ohne zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an die
Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen iiicht
dafür. Vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß, wenn
die Reklamanten, welche ein Exportgeschäft hätten, von Shanghai, woher
sie ihre Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres
Geschäfts, Geld, welches zum Betriebe des Geschäfts erforderlich sei,
befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Geschäfts der Reklamanten
zur Verwendung kommen solle. Wenn man diese natürliche Vermutung
umstürzen wolle, so bedürfe es dazu unter allen Umständen sicherer
Gründe und Beweise. Wenn daher das Urteil erster Instanz auf die
verzeichneten vagen Gründe eine Annahme aufgestellt habe, welche dieser
natürlichen Vermutung widerspreche, so sei das auch vom Standpunkt
des Beweisrechts unzutreffend.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es demnach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche Armee
oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet bestimmt
sei, und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch der feind-
lichen Armee oder Marine dienen würde, Kriegskonterbande sei, 3) so
sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei. Beweise bei-
zubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche Armee oder Marine
bestimmt gewesen sei oder daß es zu ihrem Gebrauch habe geliefert
werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)'' vorliege, einfach so folgere, daß die Güter, weil sie nach
~~ ») iT. Ziffer 2.
344
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VIi^^
einem von den feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden,
auch zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so
schließe man aus dem Vorhandensein der ersten der beiden Bedingungen,
welche dieser Fall erfordere, ohne weiteres auf das Vorhandensein auch
der zweiten Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe, als wenn die
zweite Bedingung überflüssigerweise geschrieben worden sei, und laufe
darauf hinaus, daß die bedingte Kriegskonterbande des Falles „(2)''
keinen Unterschied von der absoluten Konterbande aufweise, so daß
der Sinn, welcher der Unterscheidung dieser beiden zugrunde liege,
völlig zunichte gemacht werde.
Man werde aber vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche
hin das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld
als Konterbande angesehen habe, beschränke sich nicht nur darauf,
daß das Geld nach einem vom Feinde besetzten Platz bestimmt sei,
sondern es sei auch die weitere Begründung beigefügt, daß die feindliche
Armee oder Marine es benutzen werde. Demgegenüber sei aber fol-
gendes zu bemerken: Jedermann könne in allen Umständen Geld ge-
brauchen, und die Verwendbarkeit desselben beschränke sich nicht auf
die russische Armee oder Marine. Wenn demnach dafür, daß nur die
russische Armee oder Marine das zur Verhandlung stehende Geld ge-
brauchen werde, keine besonderen Gründe vorlägen, so gebe die oben-
genannte weitere Begründung des Urteils der ersten Instanz auf die
Frage, inwiefern die Annahme berechtigt sei, daß das zur Verhandlung
stehende Geld bei den russischen Truppen zur Verwendung kommen
verde, die Antwort, man müsse annehmen, daß es bei den russischen
Truppen zur Verwendung gekommen sein würde, weil diese es zu
venÄ'enden genötigt gewesen seien. Das sei Beantwortung einer Frage
mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptungen, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder für
die russischen Truppen bestimmt, noch zu ihrem Gebrauch zu liefern
gewesen, daß es vielmehr zur Deckung des Bedarfs in dem Geschäft
der Reklamanten versandt worden sei, mit verschiedenen beweiskräftigen
Tatsachen und Gründen belegt. Der Staatsanwalt habe, ohne dagegen
einen einzigen Gegenbeweis vorzubringen, diese Erklärung der Rekla-
manten verworfen, und die Entscheidung des Gerichts erster Instanz,,
welches der Ansicht des Staatsanwalt beipflichte, sei daher auch vom
Standpunkt der Beweisführung rechtswidrig.
6. Es sei freilich nicht zu leugnen, daß Niutschwang nicht nur
zur Zeit der Aufbringung, sondern schon seit der Zeit vor dem japanisch-
russischen Krieg unter russischer Gewalt gestanden habe. Aber nian
müsse dieses besetzte Gebiet nicht einem gewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen. Denn Niutschwang sei ein dem Handel der Mächte
345
Abschnitt Jfl^f Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-PIng-.
offenstehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit nur während des Krieges besetzten Gebieten wie zum Beispiel
der Song To-Bucht, der Taubenbucht und der Sho Ping-Insel bei
Port Arthur auf eine Stufe gestellt werden. Wenn relative Konterbande-
güter, das heißt Güter, wie sie im § 14 der Seeprisenordnung*) auf-
gestellt seien, nach der Song To-Bucht usw. bestimmt wären, so werde
jedermann dem zustimmen, wenn man annehme, daß sie direkt für
die russischen Truppen bestimmt seien und daher als Kriegskonterbande
eingezogen werden müßten. Wenn man aber einen solchen Fall und
den Fall, wo die Güter nach Niutschwang bestimmt seien, gleichstelle,
so entspreche das nicht dem wahren Sinne der japanischen .Seeprisen-
ordnung und des Völkerrechts über die Behandlung neutralen Gutes.
Besonders seien auch die zur Verhandlung stehenden Silbermünzen
kurantes Geld, wie es unter den Chinesen und den in- und aus-
ländischen Kaufleuten Kurs habe. Von anderen Konterbandegütern,
wie Lebensmitteln und dergleichen sei es weit verschieden, und es lägen
Gründe vor, wonach man nicht auf Gebrauch seitens der Truppen
schließen müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebensmitteln, welche zum
Gebrauch für die Russen, und solchen, welche zum Gebrauch für die
Chinesen dienen sollten, ein großer Unterschied, so daß man, wenn
Lebensmittel, welche für Russen geeignet seien, in großer Menge nach
Niutschwang bestimmt würden, diese wohl als Konterbande ansehen
könne. Geld sei aber nicht nur bei Truppen verwendbar, und da auch
die Menge des hier versandten Geldes im Handel mit den großen Mengen
Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl keinen Überschuß lassen würde,
so könne man es nicht mit Lebensmitteln vergleichen und als Truppen-
bedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall von bedingter Kriegskonterbande wie Geld besonders sorgfältig über-
legen. Daher werde besonders die rechtliche Auffassung der Stellung
Niutschwangs der Beachtung empfohlen, welche mit der diplomatischen
Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl
eng verknüpft sei. Dieselbe sei folgende: Die Verhandlungen be-
treffend die Frage, ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat ge-
führt, daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn es garantiert werde,
daß die Güter nicht beim Militär zur Verwendung kommen würden.
Dieses sei der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China
akkreditierten Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt worden, und
Japan habe diese Tatsache, daß die Bohnen, Bohnenkuchen usw. nach
japanischen Häfen ausgeführt werden würden, mit Freuden begrüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
346
Prisengerichtsentscheidungen: .Hsi-Ping". Abschnitt Vli^f
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Falctum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenlcuchen usw. von Japan, Rußland, China
iin(J anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei. Darin liege ein wich-
tiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin, daß
Rußland Niutschwang besetzt habe, entschieden werden könne. Denn
wenn die Mächte so den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw.
fibereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat dieses
Handels, nämlich, daß die Kaufleute den Preis für die verkauften Waren .
in Empfang nähmen, in den Bereich dieses übereinstimmend gestatteten
Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches als Preis für die
Bohnen, Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, vorausgesetzt, daß es
nicht an die russischen Truppen gehe, nicht eingezogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw.; sowie Kapital für den auch in
Zukunft erlaubten Einkauf derselben; und daß es kleines Geld sei,
wie es für solche Einkäufe nötig sei; kurz, daß es in jeder Beziehung
im Rahmen harmlosen Handelsverfahrens stehe, alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Absicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweise ungefälschter
Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rokuro, sind folgende:
Zur Einziehung von Gütern auf Grund der Annahme, daß sie zum
Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würden
und daher Konterbande seien, sei es nicht unbedingt erforderlich, dar-
zulegen, daß diese Annahme sich auf Beweise gründe. Im Falle, daß
nach der Art der Güter, den Verhältnissen des Einfuhrorts und anderen
Umständen angenommen werden könne, daß die Güter zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würden, habe das
Prisengericht nach freier Überzeugung zu befinden.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei in China geprägt und
habe in Niutschwang sowie auch in den verschiedenen Gegenden der
Mandschurei Kurs. Es sei alles eine und dieselbe Art kleines Silber-
geld, wie es zum Lohn für Tagelöhner sowie zum Einkauf der zum
Haus- und persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände am geeig-
netsten, zur Zahlung bei großen geschäftlichen Transaktionen jedoch
am allerungeeignetsten sei. Es sei bequem für kleine, aber äußerst
unbequem für große Zahlungen. Zur Zeit, als das Geld in Niutschwang
Jiabe eingeführt werden sollen, sei, wie das Urteil erster Instanz sage,
Niutschwang von den russischen Truppen besetzt gewesen, und die
347
Abschnitt VIi^' Prisengerichtsentscheidungen: ,Hsi-Ping'.
in Port Arthur und den verschiedenen Teilen der Mandschurei liegenden
russischen Armee- und Marinetruppen seien von diesem Platz als Bezugs-
ort für ihren Kriegsbedarf abhängig gewesen, und die meisten Lebens-
mittel und sonstigen Gegenstände, die der Feind nötig gehabt habe,
seien von dort geliefert worden. Da aber infolge der andauernden
Niederlagen der russischen Armee und Marine das Kriegspapiergeld,
welches in Nuitschwang und auch in verschiedenen Teilen der Man-
dschurei Kurs gehabt habe, sehr im Kredit gesunken sei, so seien bei
der Zahlung der Preise für requirierte Gegenstände und der Löhne für
Menschen- und Pferdearbeit, d. h. also bei den kleinen Zahlungen,
plötzlich Schwierigkeiten entstanden. Daher seien Klagen über das
Bedürfnis nach kleinem Hartgeld, besonders Geld wie dem zur Ver-
handlung stehenden, laut geworden, und man sei auch bezüglich dieses
auf Niutschwang angewiesen gewesen.
Die Reklamanten hätten daraufhin unter Erleidung von allerhand
Schwierigkeiten und unter großem Risiko die Kommission und Ver-
sicherung gezahlt und viele Tausend Yen weit, von Shanghai nach
Niutschwang, einführen wollen. Die Frage, wie das Bedürfnis hierfür,
entstanden sei, beantworteten sie damit,
es sei die Folge einseitigen Wechselverkehrs; ferner diene
das Geld als Kapital zum Einkauf der von Niutschwang
nach Shanghai ausgeführten Bohnen, Bohnenkuchen und des
Bohnenöls; auch sei der Wertunterschied zwischen Silber
und Papier so groß geworden, daß der Kurs für Silber gegen
Papier bis zu 20 und 30 o/o betragen habe und es einträglich
gewesen sei, bares Silbergeld von Shanghai kommen zu
lassen.
Niutschwang sei aber seit langer Zeit Von den Russen okkupiert gewesen,
und die von dort zur Ausfuhr gelangenden Bohnen, Bohnenkuchen
usw. seien von ihnen entweder als Nahrungs- oder Brennmittel requiriert
worden. Auch sei, um den Gegner in Verlegenheit zu bringen, die Aus-
fuhr derselben streng verboten worden, so daß eine Ausfuhr der Haupt-
exportartikel: Bohnen, Bohnenkuchen usw. fast gar nicht stattgefunden
habe.
Dagegen seien die Kriegsbedürfnisse der russischen Truppen in
der Gegend von Niutschwang immer größer geworden, und neben der
gewöhnlichen Einfuhr sei die Einfuhr von Lebensmitteln und sonstigen
Bedarfsgegenständen sehr gewachsen, so daß Ein- und Ausfuhr völlig
aus dem Gleichgewicht gekommen und demzufolge natürlich in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai zahlreich, und in Shanghai
zahlbare Wechsel gering geworden seien. So seien in Niutschwang zahl-
bare Wechsel in Shanghai leicht und billig käuflich gewesen. Wenn
daher die Reklamanten in ihrem Geschäftsbetrieb in Shanghai ver-
348
Prisengerichtsentscheidungen: »Hsi-Ping*. Abschnitt Vli^f
einnahmte Gelder nach Niutschwang zu schicken gehabt hätten, so
hätten sie, anstatt das Risiko und die Kommission und die sonstigen
Kosten bei Übersendung von barem Geld zu tragen, lieber mit dem
Gelde in Niutschwang zahlbare Wechsel kaufen sollen, bei deren Über-
sendung sie zugleich Bequemlichkeit und Vorteil gehabt haben würden.
Daß ein in Geschäften scharfsinniger chinesischer Kaufmann, besonders
Bankfirmeninhaber, wie die Reklamanten es seien, ein bequemes und
vorteilhaftes Verfahren außer acht lassen und ein unbequemes und
unvorteilhaftes Verfahren wählen und vorsätzlich Schaden und Risiko
aufsuchen solle, sei kaum glaublich.
Zudem sei, wie oben dargetan, die Ausfuhr der Hauptexport-
artikel Bohnen, Bohnenkuchen usw. fast gänzlich ins Stocken geraten,
so daß ein Bedürfnis, Kapital zum Einkauf bereit zu halten, nicht vor-
gelegen habe.
Daß ferner zwischen Silber und Papier in der Gegend von Niu-
tschwang eine so außerordentlich große Wertdifferenz bestanden habe,
so daß eine Übersendung von barem Gelde von Vorteil gewesen wäre,
sei nur eine mündliche Behauptung der Reklamanten, welcher man
mangels anderer Grundlagen schwer Glauben schenken könne.
So könne man, wie dargetan, welchen Punkt der Reklamanten man
auch erwägen möge, aus keinem derselben ein Bedürfnis für die Sendung
des baren Geldes entnehmen.
Dagegen hätten die russischen Truppen zur Deckung ihres Kriegs-
bedarfs chinesisches Geld und insbesondere kleine Münze, wie die zur
Verhandlung stehende, dringend nötig gehabt. Wenn daher die Rekla-
manten, ohne Bedürfnis für ihr Geschäft, mit vieler Mühe viele Tausend
Yen kleines Geld gesammelt, vorsätzlich die Gefahr des Transports
getragen, Kommission, Versicherungsprämie und Fracht bezahlt hätten,
um dieses Geld nach Niutschwang zu schaffen, so sei es ohne viel Worte
offenbar, daß sie darin dem plötzlichen Bedürfnis der russischen Truppen
hätten nachkommen wollen.
Selbst einmal zugegeben, das Geld habe nicht besonders ein-
geführt werden sollen, um dem Bedarf der russischen Truppen zu
entsprechen, so müsse man doch vermuten, daß es, wenn es nach
Niutschwang gekommen wäre, jedenfalls zum Gebrauch der russischen
Truppen gedient haben würde. Daher sei es zutreffend, daß das Urteil
erster Instanz auf Grund dieser Tatsachen unter Berücksichtigung der
damaKgen Umstände angenommen habe, daß das zur Verhandlung
stehende Geld sofort nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch der
russischen Truppen gedient haben würde. Daher sei die Berufung
der Reklamanten unbegründet.
Die Reklamanten behaupteten :
Neben der Notwendigkeit des zur Verhandlung stehenden
349
Abschnitt Vli^f Prisengericht^entscheidungen: ,Hsi-Ping**
Geldes für die russischen Truppen in Niutschwang habe
es aber auch an Bedürfnis für dasselbe im Handelsbetriebe
Niutschwangs nicht gefehlt. Es sei aber unbillig, dies sonstige
Bedürfnis gar nicht zu berücksichtigen und, weil die russi-
schen Truppen Geld bedürften, zu entscheiden, daß es ihnert
geliefert worden sein würde.
Das Urteil erster Instanz habe aber nicht lediglich daraufhin, daß.
die russischen Truppen das zur Verhandlung stehende Geld nötig ge-
habt hätten, so entschieden. Nach den Verhältnissen Niutschwangs zur
Zeit der Einfuhr; nach der Tatsache, daß eine Notwendigkeit, bares
Geld zu senden, nicht vorgelegen habe; und nach verschiedenen anderen
Tatsachen sei es schwer anzunehmen, daß die Reklamanten, wie sie
behaupteten, das zur Verhandlung stehende Geld, weil sie es in ihrem
Handelsbetrieb benötigt hatten, eingeführt hätten. Dagegen hätten die
russischen Truppen in ihrem Geldbedarf Mangel gelitten. Aus diesen
Gründen habe das Urteil erster Instanz geschlossen, daß das Geld
nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch für die russischen Truppen
geliefert worden wäre. Es habe also nicht, ohne das damalige Be-
dürfnis in Handelskreisen zu berücksichtigen, in willkürlicher Weise
lediglich daraufhin, daß die russischen Truppen Geld nötig gehabt
hätten, entschieden, daß es zu ihrem Gebrauch dienen würde.
Nach dem Ausgeführten seien die Behauptungen der Reklamanten
alle unbegründet und das Urteil erster Instanz zutreffend. Daher sei
die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesi-
schen Hoheitsgewässer gehört und kein russisches Territorium ist. Der
Kaiserliche Konsul in Niutschwang, Segawa, hat aber berichtet, daft
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt habe^
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört^
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge ge-
heißt worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Gelder aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand, daß der Feind dort nicht nur viele Truppen
liegen, sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet hatte. Wenn
daher Güter dorthin befördert werden, so muß das ebenso angesehen
werden, als ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. 5) Da es
demnach' offenbar ist, daß die Tatumstände zu der Annahme be-
') V. § 5.
850
Prisengerlchtsentscheidungen: .Hsi-Ping*. Abschnitt VIi^^
rechtigen, daß auch das zur Verhandlung stehende, von den Rekla-
manten für die Einfuhr nach Niutschwang bestimmte Silbergeld zum
Kriegsgebrauch des Feindes gedient haben würde, so muß man sagen,
daß es die Voraussetzungen, welche es zur Konterbande machen, er-
füllt, «)
In einem Bericht des oben genannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der man-
dschurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in Gold
geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie daneben
Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt, zwischen dem
Metall und dem Papier sei kein Unterschied. Dann habe sie,
um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach und nach das
Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt. Im Jahre
1902 sei es dahin gekommen, daß man in der iMandschurei
russisches Goldgeld nur sehr selten in Umlauf gesehen habe.
Damals habe aber die russisch-chinesische Bank schon an ver-
schiedenen wichtigen Plätzen Niederlassungen errichtet. In
diesen Banken sei das Papier zum Tageskurse gegen Silber-
geld eingelöst worden und in der Mandschurei habe dabei
der Papierrubel einen Tauschkurs von 1 Dollar 30 Cents bis
1 Dollar 40 Cents Silbergeld gehabt. Als indessen seit Herbst
1903 die Gerüchte über einen Krieg zwischen Japan und
Rußland in Blüte gestanden hätten, habe es unter den Chi-
nesen geheißen, daß, wenn nach dem Ausbruch des Krieges
die Russen einmal unterliegen würden, die russischen Papier-
rubel nicht mehr gewechselt werden könnten und nur noch
den Wert von altem Papier haben würden. Von November
oder Dezember dieses Jahres bis zum Ausbruch des Krieges
im Februar 1904 habe der Umlauf des Papiergeldes eine
starke Abnahme erfahren, und dasselbe sei von 1 Dollar
30 bis 40 Cents häufig auf 1 Dollar 10 Cents gefallen, und
nur, dank den Bestrebungen der Niederlassungen der russisch-
chinesischen Bank in den verschiedenen Orten den Kredit
des Papiergeldes aufrecht zu erhalten, sei es nicht dazu ge-
kommen, daß sein Umlauf ganz ins Stocken geraten sei.
Als aber die Nachrichten von den Niederlagen bei Nanshan
und Tehlitze nach Kaiping und Yingkow kamen, hätten die
Chinesen, welche Papierrubel gehabt hätten, darin gewett-
eifert, diese zu verkaufen. Der Rubel sei damals bis auf
70 oder 80 Cents gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai
Papierrubel immer zum Tageskurs gegen Silbertaels ge-
•) II. Ziffer 2.
351
Abschnitt Vli^f Prisengerfchtsentscheidungen : .Hsi-Ping".
wechselt werden könnten, so hätten Geldwechsler in Yingkow,
wenn das russische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses
aufgekauft, nach Shanghai geschickt und mit ungeheurem
Gewinn wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte der Papierrubel also schon
bei Beginn des japanisch-russischen Krieges unter den Chinesen ganz
allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte sich die Tendenz,
daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde. Als die Nach-
richt von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach Yingkow
gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank sorgfältige
Maßnahmen, um das alte Verhältnis wiederherzustellen; es kam aber
trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr Nachrichten
von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen kamen,
war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden ließ,
daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seinen Kurs ver-
lieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation so war, daß die
russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur Verhandlung stehende
Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des Kriegsbedarfs und Be-
zahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne weiteres verwenden
konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches Silbergeld zu jener
Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich geworden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine:
Mit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Ruß-
land seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlös-
barkeit der Rubelscheine aufgekommen. Man habe ge-
fürchtet, daß sie Fälschungen seien, und der Kredit sei be-
einträchtigt worden. Auch unter den Russen und den
russischen Regierungslieferanten seien nur wenig Rubel-
scheine im Verkehr gewesen, wenn man auch nicht be-
haupten könne, daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten.
Wenn die Banken in Tientsin sie in die Hand bekommen
hätten, so hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern
als eine Art Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die Russen bei Nanshan
und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen allgemein
keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurssturzes eine Art
Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn erzielen wollten. Da-
her hat der Rubelschein auch die Requisitionen der russischen Truppen
und die Löhne der Kulis nicht zahlen können. Aus allem diesen
geht klar hervor, daß die russischen Truppen chinesisches Geld nötig
hatten.
352
PrisaDgerichtsentscheidungen: „Hsi-Ping". Abschnitt VI»«
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch die Reklamanten behaupten, verhandelt worden
sind, so bestand daneben doch die Tatsache, daß auf der anderen Seite
Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen Truppen
chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die vermehrten Rubelscheine
billig von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen Gewinn
erzielen konnten. Daher stimmt die Behauptung der Reklamanten, daß
das in Streit befangene Silbergeld, weil jeder Warenhandel in Betrieb
gewesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch des Feindes gedient
haben würde, nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr ist es
natürlich anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die geschäftlich
scharfsinnigen chinesischen Kaufleute, vor allem die Bankunternehmer,
anstelle ihrer gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine billig von
den Russen kaufen und, um einen außerordentlichen Profit zu erzielen,
die Gefahr eines solchen Geldimports laufen würden. Das zur Ver-
handlung stehende Geld ist durch Vermittlung der Seetransportfirma
Tang Ming Chien, welche eine volle Ladung Kriegskonterbande
heimlich nach Niutschwang zu befördern beabsichtigt hatte, und
zugleich mit dieser Konterbande auf demselben Schiff verladen
und befördert worden. Dazu ist sein Bestimmungsort ein russischer
Etappenort und, wie oben dargetan, bedurften die russischen Truppen
solchen Geldes. Daraus muß geschlossen werden, daß der Zweck der
Einfuhr des Geldes der gleiche gewesen ist wie der der Einfuhr der
übrigen Konterbandeladung, nämlich Lieferung zum Gebrauch der russi-
schen Truppen. Demnach ist es durchaus zutreffend, wenn das Ge-
richt erster Instanz die Einziehung des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu ver-
heimlichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt
öffentlich die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als Beweis erachtet
Verden, der geeignet sei, der obigen Tatsache entgegenzustehen.
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in
jedem Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes vorkommen. Für
die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit großen Gewinn
zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht berücksichtigt worden
sei und das Geld für die alljährlich wiederkehrenden Handelszwecke
dienen sollte, ist keinerlei Beweis erbracht worden.
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Verblendung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee und
Marine beschränke, sondern daß es allgemein im Verkehr unter den
Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den Reklamanten ein-
MarstrAnd-MeohlenburfiT» r>afl japanische Prisenrecht. Band I. (23) OOS
Abschnitt VI 18« Prisengerichtsentscheidungen : „Hsi-Ping*".
zuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus den Tatumständen
die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russischen Truppen
gedient haben würde, offenbar gerechtfertigt. Dasselbe kann daher,
gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der gleichen Annahme
bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts im Wege steht^
als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach feindlichem Gebiet gehen oder zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man da-
gegen ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes
unterstützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen
oder Blockadehafen ist, für die Entscheidung ob ein Konterbande-
transport vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn
der Bestimmungsort ein Kriegshafen oder Blockadehafen ist, so liefert
das nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin be-
stimmten Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser
Punkt der Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In Sachen der Beschlagnahme des chinesischen Dampfers „Pei-
Ping" und seiner Ladung wird nach Einsicht des Schriftsatzes der
Staatsanwälte Mizukami Chojiro, Yamamoto Tatsurokurc^
und Hayashi Ei j uro, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Pei-Ping" und die in dem beigefügten Verzeichnis
aufgeführten Stücke seiner Ladung werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer steht im Eigentum der
englischen Kaiping Minengesellschaft in Tientsin, führt die chinesische
Handelsflagge, hat seinen Heimatshafen in Shanghai und dient zum
Personen- und Gütertransport. Er ist beladen mit den in dem bei-
gefügten Verzeichnis aufgeführten Gütern und außerdem mit Eisen,
Silbergeld, Nahrungsmitteln und Getränken. Am 15. JuH 1904 ist er
354
Prisengerlchtsentscheldungen: ,,Pel-Ping". Abschnitt VI»«
von Shanghai abgefahren und auf der Reise nach dem von den Russen
besetzten Niutschwang am 17. desselben Monats 10 Uhr vormittags auf
370 35' n. B. und 122 0 23' ö. L. unter dem Verdacht, Kriegskonter-
bande zu führen, von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff .,Hongkong
Maru" beschlagnahmt worden.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru'', Kapitän-
leutnants lwamuraTetsujiro,die Vernehmungsprotokolle des Kapi-
täns A. Mactaggart, des Kompradors Cheong Sou Wing, des
I.Offiziers H. C. Atkinson, den Kaufvertrag, das Schiffszertifikat,
die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei auf offener See be-
^chlagnahmt worden und, da ein großer Teil der Ladung, wie hisen,
Nahrungsmittel und Getränke vermöge ihrer Bestimmung nach dem
von den Feinden besetzten Niutschwang Kriegskonterbande sei, so sei
die Beschlagnahme zu Recht ausgeführt worden. Aber das Schiff und
die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter seien freizugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es steht fest, daß das Kaiserliche Kriegsschiff „Hongkong Maru"
die Beschlagnahme auf dem Punkte 37» 35' n. Br. und 122 0 23' ö.L.,
also auf offener See etwa 10 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwei
in China ausgeführt hat.
Da ein großer Teil der Ladung aus Eisen, Silbergeld, Reis, Weizen-
mehl und alkoholischen Getränken bestand, welche nach dem von dem
Feinde besetzten Niutschwang bestimmt waren, so ist die Beschlag-
nahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes und seiner Ladung
rechtmäßig erfolgt, 1) da anzunehmen war, daß die genannten Güter
für den Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert würden
und somit Kriegskonterbande seien. »)
Da aber nicht nur das Schiff ein neutrales ist, sondern auch die
Reeder nicht die Verlader der Konterbande sind, ») auch bezüglich der
Verladung der Konterbande die Anwendung betrügerischer Mittel nicht
zu ersehen ist,*) so ist es nötig, das Schiff freizugeben. .
Was ferner die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Stücke
der Ladung angeht, so sind sie weder Kriegskonterbande, noch gehören
sie dem Eigentümer der Kriegskonterbandegüter. ^) Daher sind auch
sie freizugeben.
Im Prisengericht zu Sasebo am 11. August 1904.
(Unterschriften.)
J) V. § 37, 1. - 2) II. — ») V. § 43. - ^) V. § 44. - ») V. § 43, 1.
(23*) 855
Abschnitt VI»fc
Verzeichnis
Prisengerichtsentscheidungen : MPei-Pillg'^
der Ofiter des Dampfers ,,Pei-Ping''.
Nr.
Art der Güter
Zahl
Ablader
Verschif-
fungsort
Empfänger
Bestim-
mungsort
1
Verschiedenes
17
Dunning
& Co.
W. H. Boyd
Co.
H.Robertson
Shanghai
E. Gilchrist
Niutschwan^
2
Kalender . . .
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Whisky. . . .
1
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Holland. Gin . .
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II
108
Hutzucker . . .
1
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II
109
Kleidungsstücke,
Hüte, Bücher .
2
Schiller
& Co.
»)
KaipingMin-
ingCo.Ltd.
Tientsin
110
Kriegsmaterial,
Baumwollen-
zeug, Hüte .
3
>i
)l
it
II
Reklamant: Canton Insurance Office Ltd., vertreten durch J a r -
dine, Matheson & Co.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
In der Prisensache betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von
der Firma Getz Bros versandten 45 Kolli Lebensmittel werden ein-
gezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 45 Kolli Lebensmittel, bestehend
aus konserviertem Obst, Schokolade, Makkaroni und anderem, sind von
der Firma Getz Bros in Shanghai, China, auf dem chinesischen
Dampfer „Pei-Ping'' verladen und am 15. Juli 1904 nach Niutschwang
abgesandt worden. Als am 17. d. M. das Kaiserliche Kriegsschiff ,. Hong-
kong Maru" den Dampfer „Pei-Ping" wegen Konterbandetransports etwa
356
Prisengerichtsentscheidiuigen: „Pei-Ping". Abschnitt VI>*<b
18 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwei in China aufbrachte, wurden
auch die zur Verhandlung stehenden Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen^ werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru'', Leutnants zur
See I w a m u r o T e t s u j i r o , die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
A. Mactaggart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des
1. Offiziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien von dem Eigentümer
zum Verkauf in seinem Geschäft an seine Hauptniederlassung in
Niutschwang versandt worden und hätten daher nicht an die feindliche
Armee oder Marine geliefert werden sollen. Der Eigentümer schicke
schon seit langen Jahrzehnten derartige Güter nach Niutschwang, um
mit ihnen ein Geschäft zu betreiben.
Bezüglich der zur Verhandlung stehenden Güter habe der Rekla-
mant zunächst bei dem chinesischen Zollamt angefragt und die Güter
erst verschifft, als er die Antwort erhalten habe, daß sie nur, wenn sie
an die kriegführenden Staaten geliefert werden sollten, Konterbande
seien. Daraus könne man entnehmen, daß die Absicht, sie an den
Feind zum Kriegsgebrauch zu liefern, nicht bestanden habe. Über-
dies würden derartige Güter in Friedenszeiten immer von Shanghai und
anderen Plätzen viel nach Niutschwang eingeführt. Da die zur Ver-
handlung stehenden Güter auch der Zahl nach als gering bezeichnet
Verden müßten, so sei es eine übertrieben harte Annahme, daß sie
besonders für den Kriegsgebrauch hätten geliefert werden sollen.
Der Reklamant habe bezüglich der zur Verhandlung stehenden
Güter einen Seeversicherungsvertrag abgeschlossen. Da ihm demnach
rechtliches Interesse zustehe, so beantrage er Freigabe der Güter,
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da die zur Verhandlung stehenden Güter nach Ankunft in
Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient haben
bürden, seien sie Konterbande und demgemäß einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind vorzugsweise von
der Art, wie sie von Europäern und Amerikanern ver^^andt werden. Die
Zahl der in Niutschwang ansässigen gewöhnlichen Europäer und
Amerikaner war aber zu der fraglichen Zeit sehr gering. Dagegen lagen
dort zahlreiche russische Truppen, und es ist auch bekannt, daß
Niutschwang zu jener Zeit von den russischen Truppen besetzt war
und als Hauptetappenort diente. Es ist daher unzweifelhaft, daß die
zur Verhandlung stehenden Güter, wenn sie dort angekommen wären,
357
Abschnitt VI*** Prisen gerfchtsentscheidungen: „Pel-Ping''.
sogleich an die russischen Truppen geliefert worden wären. Sie sind
daher Kriegskonterbande, i) Die Ausführungen der Vertreter der Rekla-
mation und die von ihnen eingereichten Beweisstücke sind alle nicht
geeignet, diese Annahme umzustoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Canton Insurance Office Ltd., vertreten durch J ar-
dine, Matheson & Co., Shanghai, China, Bund Nr. 27.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Peiping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37« 35' n. Br. und 122« 23' ö.L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist, ein Ur-
teil gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des
Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von der Firma Getz Brothers
abgesandten 45 Kolli Lebensmittel erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Vertreter des Canton Insurance
Office, Jardine, Matheson & Co., durch die Rechtsanwälte Su-
zuki Jubi und Hatakeyama Shigeaki als Prozeßvertreter die
Berufung eingelegt, welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur. I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte der Vertreter der Reklamation, Suzuki
Jubi und Hatakeyama Shigeaki und deren Gründe sind
folgende :
Die Reklamanten hätten für die in dem Urteil erster Instanz für
eingezogen erklärten Güter Seeversicherungsverträge abgeschlossen.
Wenn diese Güter eingezogen würden, so liege ihnen die Deckung
des Schadens ob, so daß sie an der Angelegenheit stark interessiert
seien.
Die zur Verhandlung stehenden Lebensmittel seien Güter, welche
unter Ziffer 2 der Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre
i) II. Ziffer 2.
358
PriMogerichtsentscheldungeii: „Pei-Ping". Abschnitt VI»k
1904 2) fielen. Sie seien daher nur Konterbande, (1) wenn sie an die
feindliche Armee oder Marine bestimmt wären oder (2) wenn an-
genommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
oder Marine dienen würden. Die genannten Güter seien indes von
einzelnen Kaufleuten einem Transportgeschäft zur Beförderung über-
leben und offenbar nicht für die feindliche Armee oder Marine be-
stimmt Das sei auch aus der Entscheidung betreffend den Dampfer
„Pei-Ping", auf dem die Güter verladen seien, zu entnehmen. Was
■des weiteren die Frage angehe, ob sie für den Gebrauch der feind-
lichen Armee oder Marine hätten geliefert werden sollen, so beförderten
die Ladungseigentümer gewöhnlich solche Güter als Handelswaren nach
Niutschwang und betrieben dies Geschäft schon seit lange.
Die Reklamanten hätten, um sicher zu sein, daß sie die negativen
Pflichten neutraler Staatsangehöriger nicht verletzten, sich ausdrück-
lich bei der chinesischen Zollbehörde erkundigt und, wie sich aus dem
Beweisstück A 1 ergebe, die Antwort erhalten, daß Reis, Weizenmehl,
Zucker, Petroleum und Silbergeld keine Konterbande seien, wenn sie
nicht zum Gebrauch der kriegführenden Mächte geliefert werden sollten.
Erst danach seien die Güter versandt worden. Wenn die Eigentümer
den Zweck verfolgt hätten, sie zum Gebrauch einer der kriegführenden
Mächte zu liefern, so liege kein Grund vor, weshalb sie diese Vorsicht
geühi haben sollten. Vielmehr müsse man daraus schließen, daß sie
nicht zum Gebrauch des Feindes hätten geliefert werden sollen.
Daß derartige Güter auch in Friedenszeiten von Shanghai oder
anderen Plätzen in Niutschwang eingeführt würden, gehe aus dem
Beweisstück A6 hervor.
Da ferner die Eigentümer der zur Verhandlung stehenden Güter
in Niutschwang ihre Hauptgeschäfte hätten, so hätten sie die Güter
lediglich als Handelsobjekte versandt. Wenn Kaufleute Güter als
Handelsobjekte kommen ließen, welche sie in gleicher Weise schon
mehrere Jahrzehnte lang hätten kommen lassen, die Zahl der Güter
auch gering sei, so könne man darin keinen ausreichenden Grund für
die Annahme erblicken, daß sie zum Gebrauch des Feindes geliefert
Verden sollten.
Es werde daher Aufhebung des Urteils erster Instanz und Frei-
gabe der zur Verhandlung stehenden Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo M'i?ukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro sind folgende:
Wenn auch der Handel mit Kriegskonterbande eine Handlung
sei, welche die Freiheiten des öffentlichen neutralen Handels genieße,
so würden doch, um der Gefahr der Wegnahme zu entgehen, ver-
359
Abschnitt VI*» Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-PIng'*»
schiedene Mittel ausgedacht und, wenn man Konterbande transportiere^
so gebe man sich allgemein den Anschein, als ob kein Konterbande-
transport vorliege. So sei es natürlich, daß man Güter nicht mit
Konnossementen, welche offen an die Truppen adressiert seien, ver-
sende, oder daß man bei einer Versicherung klar ausspreche, daß es-
sich um Lebensmittel, welche an die Truppen zu schicken seien, handele^
Daher sei es selbstverständlich, daß Beweisschriftstücke dafür, daß die
zur Verhandlung stehenden Lebensmittel an die russischen Truppen
in Niutschwang bestimmt seien, nicht vorhanden seien. Wenn man
aber die Verhältnisse des Bestimmungsorts Niutschwang, die Art und
Menge der Güter erwäge; wenn man ferner überlege, daß Niutschwang^
von russischen Truppen besetzt gewesen und ein Hauptetappenort ge-
wesen sei; daß die Lebensmittel ihrer Art nach ausschließlich für den
Bedarf von Europäern und Amerikanern geeignet und keine für
Chinesen gewöhnlichen Lebensmittel seien ; daß zur fraglichen Zeit außer
den russischen Truppen in Niutschwang gewöhnliche Europäer und
Amerikaner nur in sehr geringer Zahl vorhanden gewesen seien, so werde
es klar, daß die Güter nicht den Bedarf dieser gewöhnlichen Personen
zu decken bestimmt gewesen seien.
Auch daraus, daß der Reklamant unter Berücksichtigung der da-
maligen verschiedenen Umstände die Kriegsversicherung übernommen
habe, sei es nicht schwer zu schließen, daß die genannten Lebensmittel
den russischen Truppen hätten überliefert werden sollen.
Wenn dem so sei, erkenne das Völkerrecht es als Pflicht des
von dem Unglück der Beschlagnahme Betroffenen an, sich diesem zu
fügen.
Kurz, da hinreichend Tatsachen vorlägen, welche zu der Annahme
nötigten, daß die zur Verhandlung stehenden Güter nach Ankunft
in Niutschwang sogleich an die russischen Truppen überliefert worden
wären, so könnten sie der Einziehung nicht entgehen.
Da nach diesem die Ausführungen des Reklamanten nicht stich-
haltig seien, so sei das Urteil erster Instanz zutreffend, und die Berufung^
müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist nach der Aussage des Reklamanten und nach den Akten
nicht zu bezweifeln, daß die zur Verhandlung stehenden 45 Kolli vor-
zugsweise Lebensmittel enthalten, die dem Bedarf von Europäern und
Amerikanern entsprechen. Daher ist für die Untersuchung der Frage,,
ob die Zeitverhältnisse bei der Beschlagnahme des Dampfers „Pei-Ping'*
derart gewesen sind, die Güter als Konterbande erscheinen zu lassen
und ihre Einziehung nötig zu machen, der Bericht des Kaiserlichen
Konsuls Segawa in Niutschwang von Interesse, in welchem es heißt:
360
Prisengerichtsentscheldungen: „Pei-Ping^*. Abschnitt VI Mb
Seitdem Rußland Niutschwang besetzt halte, habe es dort
eine Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum
25. Juli 1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt.
Dies habe mit dem Margen jenes Tages plötzlich aufgehört,
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen in Vingkow sei die französische
Flagge aufgezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Güter aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden, als
ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. 3) Es ist daher klar,
daß die Güter, wenn sie die Voraussetzungen von Kriegskonterbande
erfüllen, weggenommen werden müssen.
Ihrer Art nach sind die genannten Güter, wie schon gesagt, Lebens-
mittel und Getränke, wie sie der Bedarf von Europäern und Amerikanern
erfordert. Zur fraglichen Zeit waren aber in Niutschwang friedliche
Europäer und Amerikaner nur in geringer Zahl ansässig, und da der
Platz ein russischer Etappenort war, so muß angenommen werden,
daß die fraglichen Güter, wenn sie dort eingetroffen wären, sofort
zum Gebrauch der feindlichen Truppen geliefert worden sein würden.
Das gegenwärtige Völkerrecht erkennt aber an, daß Lebensmittel und
Getränke, welche nach feindlichem Gebiet gehen und zum feindlichen
Kriegsgebrauch geliefert werden sollen, bedingte Konterbande sind. Es
muß daher als zutreffend anerkannt werden, wenn das Urteil erster
Instanz bezüglich dieser Güter die Einziehung erklärt hat. Bei der
Beförderung von Kriegskonterbande ist es nicht angebracht, offen zu
sagen, daß es sich um Konterbande handelt, vielmehr sucht man das
Unternehmen so zu bemänteln, daß es äußerlich den Anschein eines
einwandfreien Transports hat. Wenn daher bei der Abreise eine aus-
drückliche Anfrage beim Zollamt gemacht worden ist, so ist das durch-
aus nicht geeignet, die obige Annahme umzustürzen.
Die Einfuhr von Kriegskonterbande bezweckt die Erlangung hohen
Gewinns unter großem Risiko. Es fehlt nicht an Beispielen, wo recht-
schaffene Geschäftsleute aus Gewinnlust solche Importe betrieben haben.
Selbst wenn man daher, wie der Reklamant es ausführt, annimmt,
daß die Eigentümer der in Streit befangenen Güter rechtschaffene Kauf-
leute sind, so steht das der obigen Annahme nicht entgegen.
Danach ist das Urteil erster Instanz durchaus zutreffend, und
es liegt kein Grund für seine Aufhebung vor.
*) V. § 5.
361
Abschnitt VI*« Prlsengerichtsentscheidiingen: „PeihPliig".
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und Ching Pu Saw, in Firma Yu Shing Yuen, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori shichome- Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von
der Firma Kai Ping Chiang an die Firma Yu Shing Yuen ver-
sandten zwei Kisten mexikanischer Dollars werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden zwei Kisten mexikanischer Dollars
bestehen aus kleinem chinesischen Silbergeld. Sie sind von dem Fracht-
geschäft Kai Ping Chiang auf dem chinesischen Dampfer „Pei-
Ping" verschifft und am 15. Juli 1904 an Yu Shing Yuen ab-
gesandt worden. Als am 17. d. M. das Kaiserliche Kriegsschiff ,,Hong'-
kong Maru'' den Dampfer „Pei-Ping'' wegen Konterbandetransports etwa
10 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwai in China aufbrachte, wurden
auch die zur Verhandlung stehenden Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur
See Iwamuro Tetsujiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
A. Mactaggart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des 1. Offi-
ziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis
des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Bankgeschäft. Sie
hätten das zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen
lassen wollen, weil zu der Zeit die Handelsverhältnisse in Niutschwang
362
Prisengerichtsentscheidungen: „Pel-Ping". Abschnitt VI»«
zu einem einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil die Zeit
für den Einkauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen
gewesen sei, so daß Umlaufskapital nötig gewesen sei. Ferner sei
der Kurs für Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich ge-
wesen, so daß die Reklamanten durch Einfuhr von Metallgeld einen
Vorteil zu erzielen beabsicßtigt hätten. Das zur Verhandlung stehende
Geld sei nicht für die russische Armee oder Marine bestimmt gewesen
und habe auch nicht zu ihrem Gebrauch geliefert werden sollen. Daher
sei es keine Konterbande und müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweis der vorstehenden Tatsachen ver-
schiedene Beweisdokumente eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer An-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient
haben Sie seien daher Kriegskonterbande und müßten eingezogen
werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen werden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das- russi-
sche Kriegspapiergeld durch die andauernden Niederlagen der russi-
schen Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie das zur
Verhandlung stehende Silbergeld, stark benötigt wurde, um der täg-
lichen Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden,
daß das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niu-
tschwang sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre. Es wird demnach für Kriegskonterbande angesehen, i) und weder
die Anführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten verschiedenen Beweisdokumente sind imstande, diese An-
nahme umzustoßen.
Es wird daher, wie in der Urteilsformel, entschieden. *)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
») II. Ziffer 2. — *) V. § 43.
368
Abschnitt VIü« Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping'*.
Reklamanten: Chan Yü Po und Ching Pu Saw, chinesische
Staatsangehörige, in Firma Yu Shing Yuen, aus China, Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter : Die Rechtsanwälte TakygiToyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho sichome Nr. 3 und Sakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori 'Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37 » 35 ' n. Br. und 122 o 23' ö. L. von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist,
ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des
Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von der Firma Kai Ping Chiang
an die Firma Yu Shing Yuen versandten zwei Kisten mexikanischer
Dollars erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen Staats-
angehörigen Chang Yü Po und Ching Pu Saw, in Firma Y u
Shing Yuen durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und Sa-
kurai Ikkyu als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im
Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishi-
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Vertreter der Reklamation Takagi To-
yozo-und Sakurai Ikkyu sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils des Prisengerichts zu Sasebo vom
17. Dezember 1904, welches die Einziehung von zwei Kisten mexika-
nischer Dollars, die auf dem chinesischen Dampfer „Pei-Ping'' ver-
laden gewesen sind, ausspricht, und Freigabe der genannten zwei Kisten
mexikanischer Dollars beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Die Reklamanten hätten ein Bankgeschäft und betrieben da-
neben ein Engrosgeschäft für Ein- und Verkauf,
Bei der Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl nach
Shanghai liehen die Kaufleute von Niutschwang den Wechselbetrag
für die Güter dar, vereinnahmten in Shanghai den Wechselbetrag von
dem Wechselschuldner und bewerkstelligten die Übersendung dieses
Betrages entweder durch Ankauf eines in Niutschwang zahlbaren
Wechsels oder in Form baren Geldes. Auch in Fällen, wo Waren
von Niutschwang nach anderen Plätzen als Shanghai ausgeführt würden
und der Wechsel dargeliehen werde, werde die Zahlung des Wechsel-
betrags bisweilen in Shanghai entgegengenommen. Denn da Shanghai .
das Zentrum des chinesischen Handels sei, so sei es auch der Mittel-
punkt des Geldumlaufs. Auch in Fällen, wo die Reklamanten selber
Bohnen und Bohnenkuchen nach Shanghai ausführten, werde die
Zahlung des Preises in Shanghai entgegengenommen, und auch, wenn
364
Piisengerichtsentscheidungen: „Pel-Ping*^ Abschnitt VI'^«
die Ausfuhr nach anderen Plätzen wie Shanghai gehe, sei dies bisweilen
der Fall.
So sei das zur Verhandlung stehende Geld im Verlauf einer Trans-
aktion von dem Angestellten der Reklamanten in Shanghai dort ein-
genommenes Geld, welches er bei einem Wechsler eingewechselt und
an das Hauptgeschäft in Niutschwang gesandt habe.
Daß bares Silbergeld geschickt worden sei, habe seinen Grund
darin, daß gerade in Niutschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen,
Bohnenkuchen usw. gekommen gewesen sei. Denn da in der Regel
die Ausfuhrfirmen Zahlung für die Bohnen usw. in kleinem Silbergeld
leistesten und die Kunden des Bankdepartements die Reklamanten um
Leistung in Silbergeld bäten, so hätten dieselben sich darauf vorbereiten
müssen. Dies sei einer der Gründe, weshalb das zur Verhandlung
stehende Geld in bar geschickt worden sei.
Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und der Kurs für in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig gewesen wäre, so
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Angestellte der Rekla-
manten extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang habe
es aber an Silbergeld gefehlt und der Wechselkurs auf Niutschwang
sei in Shanghai so hoch gewesen, daß selbst nach Zahlung der Fracht
und Versicherung die Zahlung von barem Geld immer noch geschäftlich
vorteilhaft und außerdem notwendig gewesen sei. Das sei der zweite
Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar über-
sandt worden sei.
Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweisstücken
Nummer 2, 3, 5 bis 7 und 9 bis 11.
2. Daß. der Angestellte der Reklamanten das zur Verhandlung
stehende Silbergeld an das Hauptgeschäft in Niutschwang geschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für ein Bankgeschäft natürliche Maß-
nahme, die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe.
Wenn man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handels-
transaktion für unerlaubt zu erklären und die auf der Reise befindlichen
Güter einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts, Ge-
werbe zu treiben. Von etwas dergleichen, wie insbesondere auch davon,
daß neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Ge-
werbe in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man
bislang in der Praxis und der Wissenschaft des Kriegsvölkerrechts noch
niemals etwas gehört,
3. Der Dampfer „Pei-Ping" habe seine Ansicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai-Zeitungen bekannt gemacht,
und der englische Konsul habe die Abreise des Dampfers zwecks Güter-
transport nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shang-
hai habe die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren
365
Abschnitt VI»e Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping^'.
lassen. Daher habe der Angestellte der Reklamanten ohne weitere
Überlegung ganz unbefangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende
Silbergeld zur Beförderung übergeben. Danach* sei die Beschlagnahme,
von der Einziehung nicht zu reden, im höchsten Qrade unerwartet
gekommen.
Wenn man das Geld wirklich heimlich habe absenden wollen, um
es zum Gebrauch der russischen Truppen dienen zu lassen, so hätte
man ein so öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen. Daß
man doch ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere reichlichen
Grund für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht vorgelegen
habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen und habe als ein Hauptetappen-
ort gedient. Außerdem habe das russische Kriegspapiergeld
durch die andauernden Niederlagen der russischen Armee
und Marine sehr an Kredit verloren und es sei bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie
das zur Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden
sei, um der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse
daher angenommen werden, daß das zur Verhandlung
stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort
zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin eingeführten
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng
und widerlaufe auch den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsächlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-Filiale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden sich diese Tatsachen bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld, wie
das zur Verhandlung stehende, nötig gehabt, so sei es doch unsinnig,
ohne zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an
die Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen
nicht dafür. Vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß,
wenn die Reklamanten, welche ein Bankgeschäft hätten, Geld, wie es
zum Betriebe dieses Gewerbes erforderlich sei, von Shanghai, woher sie
366
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VI"«
ihre Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres
Geschäfts, befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Bankgeschäfts
der Reklamanten zur Verwendung kommen solle. Wenn man diese
natürliche Vermutung umstürzen wolle, so bedürfe es dazu unter allen
Umständen sicherer Gründe und Beweise. Wenn daher das Urteil
erster Instanz auf die dort verzeichneten vagen Gründe hin, eine An-
nahme aufgestellt habe, welche dieser natürlichen Vermutung wider-
spreche, so sei das vom Standpunkt des Beweisrechts unzutreffend.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es demnach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet
bestimmt sei und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine dienen werde, Kriegskonterbande
sei, so sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei, Be-
wtisc beizubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche Armee
oder Marine bestimmt gewesen sei oder daß es zu ihrem Gebrauch habe
geliefert werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)" vorliege, einfach so folgere, daß die Güter, weil sie nach
einem von feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden, auch
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so schließe
man aus dem Vorhandensein der ersten der beiden Bedingungen, welche
dieser Fall erfordere, ohne weiteres auf das Vorhandensein auch der
z^^eiten Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe, als wenn die zweite
Bedingung überflüssigerweise geschrieben sei, und laufe darauf hinaus,
daß die bedingte Kriegskonterbande des Falls „(2)" keinen Unterschied
von der absoluten Konterbande aufweise, so daß der Sinn, welcher
der Unterscheidung dieser beiden zugrunde liege, völlig zunichte ge-
macht werde.
Man werde aber vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche
hin das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld
als Konterbande angesehen habe, beschränke sich nicht nur darauf,
daß das Geld nach, einem vom Feinde besetzten Platz bestimmt sei,
sondern es sei auch die weitere Begründung beigefügt, daß die feind-
liche Armee oder Marine es benutzen werde. Demgegenüber sei aber
folgendes zu bemerken: Jedermann könne in allen Umständen Geld
gebrauchen, und die Verwendbarkeit desselben beschränke sich nicht
auf die russische Armee und Marine. Wenn demnach dafür, daß die
russische Armee oder Marine das zur Verhandlung stehende Geld ge-
brauchen werde, keine besonderen Gründe vorlägen, so gebe die oben-
genannte weitere Begründung des Urteils erster Instanz auf die Frage,
inwiefern die Annahme berechtigt sei, daß das zur Verhandlung stehende
Geld bei den russischen Truppen zur Verwendung kommen würde,
367
Abschnitt VI"« Prisengeiichtsentscheidungen: „Pei-Ping*'.
die Antwort, man müsse annehmen, daß es bei den russischen Truppen
zur Verwendung gekommen wäre, weil diese es zu verwenden genötigt
gewesen seien. Das sei Beantwortung einer Frage mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptungen, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder
für die russischen Truppen bestimrtit, noch zu ihrem Gebrauch zu
liefern gewesen, daß es vielmehr zur Deckung des Bedarfs in dem
Bankgeschäft der Reklamanten versandt worden sei, mit verschiedenen
beweiskräftigen Tatsachen belegt. Der Staatsanwalt habe, ohne dagegen
einen einzigen Gegenbeweis beizubringen, diese Erklärung der Rekla-
manten verworfen, und die Entscheidung des Gerichts erster Instanz,
welches der Ansicht des Staatsanwalts beipflichte, sei daher auch vom
Standpunkt der Beweisführung rechtswidrig.
6. Es sei freilich nicht zu leugnen, daß Niutschwang nicht nur
zur Zeit der Aufbringung, sondern schon seit der Zeit vor dem japanisch-
russischen Krieg unter russischer Gewalt gestanden habe. Aber man
müsse dieses besetzte Gebiet nicht einem gewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen. Denn Niutschwang sei ein dem Handel der Mächte
offenstehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit nur während des Kriegs besetzten Gebieten, wie zum Beispiel
der Song To-Bucht, der Taubenbucht oder der Sho Ping-Insel bei
Port Arthur, auf eine Stufe gestellt werden. Wenn relative Konter-
bande, d. h. Güter, wie sie im § 14 der Seeprisenordnung aufgestellt
worden seien, nach der Song To-Bucht usw. bestimmt wären, so werde
jedermann dem zustimmen, wenn man annehme, daß sie direkt für
die russischen Truppen bestimmt und daher als Konterbande einzuziehen
seien. Wenn man aber einen solchen Fall und den Fall, wo die Güter
nach Niutschwang bestimmt seien, gleichstelle, so entspreche das nicht
dem wahren Sinn der japanischen Seeprisenordnung und des Völker-
rechts über die Behandlung neutralen Guts. Besonders seien auch
die zur Verhandlung stehenden Silbermünzen kurantes Geld, wie es
unter den Chinesen und den in- und ausländischen Kaufleuten in
Niutschwang Kurs habe. Von anderen Konterbandegütern wie Lebens-
mitteln und dergleichen sei es weit verschieden, und es lägen Gründe
vor, nach denen man nicht auf Gebrauch seitens der Truppen schließen
müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebensmitteln, welche zum Gebrauch
für die Russen, und solchen, welche zum Gebrauch für Chinesen dienten,
ein großer Unterschied, so daß man, wenn Lebensmittel, welche für
Russen geeignet seien, in großer Quantität nach Niutschwang bestimmt
würden, diese wohl als Konterbande ansehen könne. Geld sei aber nicht
nur bei Truppen verwendbar, und da auch die Menge des hier ver-
sandten Geldes im Handel mit den großen Mengen Bohnen, Bohnen-
368
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping^'. Abschnitt VI»«
kuchen und Bohnenöl keinen Überschuß lassen würde, so könne man
es nicht mit Lebensmitteln vergleichen und als Truppenbedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall von bedingter Kriegskonterbande wie Geld besonders sorgfältig
überlegen. Deshalb werde besonders die rechtliche Auffassung der
Stellung Niutschwangs der Beachtung empfohlen, welche mit der diplo-
matischen Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl eng verknüpft sei. Dieselbe sei folgende: Die Verhandlungen
betreffend die Frage, ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat ge-
führt, daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn garantiert werde, daß
die Güter nicht beim Militär zur Verwendung kommen würden. Dieses
sei der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China akkreditierten
Kaiserlichen Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt worden und Japan
habe diese Tatsache, daß Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Niutschwang
nach japanischen Häfen ausgeführt werden würden, mit Freuden be-
grüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Faktum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Japan, Rußland, China
und anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei. Darin liege ein wich-
tiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin, daß
Rußland Niutschwang besetzt gehabt habe, entschieden werden könne.
Denn wenn die Mächte so den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen
usw. übereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat dieses
Handels nämlich, daß die Kaufleute den Preis für die verkauften Waren
in Empfang nähmen, in den Bereich dieses übereinstimmend gestatteten
Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches als Preis für die
Bohnen, Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, vorausgesetzt, daß es
nicht an die russischen Truppen gehe, nicht eingezogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw. sowie Kapital für den auch in
Zukunft erlaubten Einkauf derselben und daß es kleines Geld sei, wie
es für solche Einkäufe nötig sei, kurz, daß es in jeder Beziehung im
Rahmen harmlosen Handelsverkehrs stehe: alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Ansicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweis ungefälschter
Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Vamamoto Tatsu-
rukuro, sind folgende:
Mariirsad-Mechlenburg, Das jspanisohe Prisenrecht. Band 1. (24) SoJ
Abschnitt Vl'Se Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping"' i.
sei, welche die Freiheiten des öffentlichen neutralen Handels genieße^
so würden doch, um der Gefahr der Wegnahme zu entgehen, ver-
schiedene Mittel ausgedacht, und wenn man Kriegskonterbande trans-
portiere, so gebe man sich allgemein den Anschein, als ob kein Kriegs-
konterbandetransport vorliege. So sei es natürlich, daß man Oüter
nicht mit Konnossementen, welche offen an die Truppen adressiert
seien, versende. Gerade so wenig, wie es sich daraus, daß das
Konnossement besage, daß der Empfänger des zur Verhandlung stehen-
den Geldes ein chinesischer Bankinhaber in Niutschwang sei, beweisen
lasse, daß das Geld nicht zum Kriegsgebrauch Rußlands dienen werde,
gerade so wenig gebe es natürlich schriftliche Beweise dafür, daß es
den russischen Truppen habe übergeben werden sollen. Daher sei
es das Richtige, den Tatbestand auf den Umständen aufzubauen, welche
eine Betrachtung der Angelegenheit von den verschiedenen Seiten er-
gebe.
Sir William Scott sage in dem Urteil betreffend die „Jonge
Margaretha" :
Es müsse für die Entscheidung, ob Güter Konterbande
seien oder nicht, als die wichtigste Richtschnur bezeichnet
werden, ob sie auf der Reise nach einem Platz gewesen seien ^
nach dessen Verhältnissen man mit neunzig Prozent Sicher-
heit annehmen könne, daß sie zum Kriegsgebrauch geliefert
worden sein würden.
Der in Frage stehende Dampfer „Pei-Ping" habe in Shanghai Lebens-
mittel, Getränke und chinesisches Geld geladen, das heiße Güter, welche,,
wenn sie an die Armee oder Marine des Feindes bestimmt seien oder
wenn angenommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feind-
lichen Armee oder Marine dienen würden, als Kriegskonterbande gälten.
Der letzte Bestimmungsort sei Niutschwang gewesen; der Dampfer
sei aber auf der Fahrt nach dem Zwischenhafen Chinwantao in China
aufgebracht worden. Der Bestimmungsort Niutschwang sei von den
Russen dauernd besetzt gewesen. Das Zollamt habe die russische Flagge
geführt und der Platz habe unter russischer Militärverwaltung gestanden.
Zur fraglichen Zeit hätten dort russische Truppen gelegen und seit
dem Krieg mit Japan diene Niutschwang als Stapelplatz für den Kriegs-
bedarf der russischen Truppen. Da überdies zur Zeit, als die „Pei-
Ping" ihre Reise gemacht habe, Port Arthur von unserer Kriegsflotte
blockiert gewesen sei, so habe Rußland für seine Truppen auf Liaotung
und in der Mandschurei auf dem Seewege Kriegsbedarf nur über Niu-
tschwang erhalten können. So werde wohl jeder zugeben müssen^
daß Niutschwang ein Platz gewesen sei, nach dessen Verhältnissen
man, wie Sir William Scott es bezeichne, mit 90 o/o Sicherheit an-
nehmen könne, daß die Güter zum Kriegsgebrauch geliefert worden
370
Prisengerichtsentscheidungeii: „Pel-Ping''. Abschnift VI"«
Wenn auch der Handel mit Kriegskonterbande eine Handlung
wären ; besonders auch, da es nicht zu verbergen sei, daß die russischen
Truppen zur fraglichen Zeit infolge der Tatsache, daß wegen ihrer
andauernden Niederlagen das Kriegspapiergeld seinen Kredit eingebüßt
gehabt habe, zu den kleinen Zahlungen für Kriegsbedarfsartikel auf
dem Kriegsschauplatz chinesisches Geld verwandt hätten. Die zur Ver-
handlung stehenden mexikanischen Dollars seien kleines chinesisches
Umlaufsgeld. Da es von den amtlichen Münzen geprägt sei, so habe
es überall Kurs und sei bei den Chinesen als kleine Münze am be-
liebtesten. Es sei bekannt, daß die Truppen, deren Kriegspapiergeld
den Kredit verloren gehabt habe, bei der Zahlung der Preise für
requirierte Gegenstände und der Löhne für Menschen- und Pferdearbeit
über das dringende Bedürfnis nach solchem Geld geklagt hätten und
bezüglich der Lieferung desselben auf Niutschwang angewiesen ge-
wesen seien.
Wenn behauptet werde, daß der größte Teil der Ladung der
„Pei-Ping" Nichtkonter bände sei und daß die geringe Menge des darunter
befindlichen zur Verhandlung stehenden Geldes zu friedlichem Zwecke
befördert worden sei, so stünden die Tatsachen dieser Behauptung
direkt entgegen. Denn, wenn auch der Empfänger verschieden sei,
>o betrage doch das allein auf der „Pei-Ping'' in gleicher Weise nach
Niutschwang versandte Silbergeld 144 000 Dollar, und wenn man dazu
den Betrag des fast zur gleichen Zeit^auFder „Hsi-Ping'' verschifften
Geldes hinzuzähle, so ergäbe das einen Betrag von mehr als 440000
Dollars. Ferner betrügen die auf der „Pei-Ping" nach Niutschwang ver-
schifften Güter 90 Stück, von denen nur 13 Nichtkon terbande, die
übrigen 77 dagegen Konterbande seien. Wie könne man da wohl be-
haupten wollen, daß nur das SiJbergeld zu friedlichem Zweck transportiert
worden sei, weil der Wechselverkehr sich nur nach der einen Seite voll-
zogen habe? Man müsse vielmehr annehmen, daß es gerade wie die
Lebensmittel und Getränke auf Bestellung seitens der russischen Truppen
habe eingeführt werden sollen, um entweder direkt für die russischen
Truppen bzw. das Konsulat in Niutschwang gelandet oder, wenn dem
auch nicht so sei, durch die Reklamanten an die genannten Truppen
abgeliefert zu werden.
Die Reklamanten behaupteten:
Für die Behauptung, daß das zur Verhandlung stehende
Geld Kriegskonterbande sei, müsse derjenige, der die Be-
hauptung aufstelle, den Beweis erbringen, und es sei zu
Unrecht geschehen, daß man die durch Beweise belegte Be-
hauptung des Reklamanten, es handele sich im Gegenteil
um einen friedlichen Handelstransport, abgewiesen habe.
Es werde indes von der Wissenschaft und Praxis übereinstimmend
(24«) 371
Abschnitt VIM« Prisengerlchtsentscheidungen: „Pei-Ping^'-
anerkannt, daß Geld, wenn anzunehmen sei, daß es zum feindlichen
Kriegsgebrauch geliefert werden würde, Konterbande sei. Diese völker-
rechtliche Begründung und die Tatsache, daß das Geld bei Ankunft
in Niutschwang zum feindlichen Kriegsgebrauch habe geliefert werden
sollen, habe der Staatsanwalt nach dem, was in den Vernehmungs-
protokollen verzeichnet sei, und dem Beweismaterial der ganzen Akten
genau dargelegt. Wenn daher das Urteil erster Instanz diese Gründe
anerkannt und daraufhin auf Einziehung entschieden habe, so sei es
unnötig, daß der Staatsanwalt da^ür noch mehr Beweise vorbringe.
Was außerdem die Behauptung der Reklamanten, ihnen liege die Beweis-
pflicht nicht ob, angehe, so müsse man das als einen Irrtum bezeichnen,
der die zur Verhandlung stehende Sache mit einer gewöhnlichen Straf-
sache auf eine Stufe stelle. Der Staatsanwalt in Prisensachen sei kein
strafrechtlicher, d. h. kein klägerischer Staatsanwalt. Auch sei der Rekla-
mant nicht als Angeklagter anzusehen. Daher könne es nicht als ge-
nügend erachtet werden, wenn er mit Nichtwissen und Nichterinnern
antworte, vielmehr müsse der Reklamant nach völkerrechtlichen Grund-
sätzen Beweise vorbringen, weshalb ein Konterbandetransport nicht vor-
liege. Auf diesen Punkt brauche der Staatsanwalt daher nicht weiter
zu erwidern. Darauf jedoch, daß der Reklamant behaupte, er habe
die Tatsache, daß es sich um einen friedlichen Handelstransport handele,
bewiesen, müsse er noch etwas erwidern:
Die von den Reklamanten eingereichten Beweisstücke Nr. 1 bis 12
bewiesen nur, daß die Reklamanten als Bankfirma in Fällen, wo infolge
des friedlichen Handels der Wechselverkehr einseitig sei, bei einer Sen-
dung von Metallgeld von Shanghai nach Niutschwang nach .Abzug
von Kommissionen, Fracht und Versicherungsprämie noch einen Vor-
teil erzielen könnten. Weder dafür aber, daß die Handelsverhältnisse
in Niutschwang so gelegen hätten, noch auch dafür, daß das Silber-
geld, obwohl es zur Kriegszeit, wo noch dazu der Feind es zur Deckung
seines Mangels dringend nötig gehabt habe, zusammen mit Lebens-
mitteln und Getränken befördert worden sei, nicht zum Kriegsgebrauch
des Feindes habe geliefert werden sollen, sei der geringste Beweis
erbracht worden.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russische^ Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul Segawa in Niutschwang hat berichtet:
daß Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort
eine Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum
25. Juli 1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt
habe. Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich
872
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VI»t
aufgehört und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt
worden. Beim Eindringen unserer Truppen sei die fran-
zösische Flagge aufgezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Güter aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen «werden, als
ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. ^) Da es demnach
offenbar ist, daß die Tatumstände zu der Annahme berechtigen, daß auch
das zur Verhandlung stehende, von den Reklamanten für die Einfuhr
nach Niutschwang bestimmte Silbergeld zum Kriegsgebrauch des Feindes
gedient haben würde, so muß man sagen, daß es die Voraussetzungen,
welche es zur Konterbande machen, erfüllt.*)
In einem Bericht des oben genannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der
Mandschurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in
Gold geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie
daneben Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt,
zwischen dem Metall und dem Papier sei kein Unterschied.
Dann habe sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach
und nach das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt.
Im Jahre 1902 sei es dahin gekommen, daß man in der
Mandschurei russisches Goldgeld nur sehr selten in Umlauf
gesehen habe. Damals habe aber die russisch-chinesische
Bank schon an verschiedenen wichtigen Plätzen Nieder-
lassungen errichtet. In diesen Banken sei das Papier zum
Tageskurse gegen Silbergeld eingelöst worden, und in der
Mandschurei habe dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs
von 1 Dollar 30 Cents bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld ge-
habt. Als indessen seit Herbst 1903 die Gerüchte über
einen Krieg zwischen Japan und Rußland in Blüte gestanden
hätten, habe es unter den Chinesen geheißen, daß, wenn
nach dem Ausbruch des Krieges die Russen einmal unter-
liegen würden, die russischen Papierrubel nicht mehr ge-
wechselt werden könnten und nur noch den Wert von altem
Papier haben würden. Vom November oder Dezember d. J.
bis zum Ausbruch des Krieges im Februar 1904 habe der
Umlauf des Papiergeldes eine starke Abnahme erfahren und
von 1 Dollar 30 bis 40 Cents sei es häufig auf 1 Dollar
10 Cents gefallen, und nur, dank den Bestrebungen der
«) V. § 5. — *) II. Ziffer 2.
373
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentschei düngen: ,,Pei-Ping''.
Niederlassungen der russisch-chinesischen Bank in den ver-
schiedenen Orten, den Kredit des Papiergeld aufrecht-
zuerhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß der UmlauP
desselben ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nach-
richten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach
Kaiping und Yingkow kamen, hätten die Chinesen, welche
Papierrubel gehabt hätten, darin gewetteifert, diese zu ver-
kaufen. Der Rubel sei damals bis auf 70 oder 80 Cents
gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai Papierrubel
immer zum Tageskurse gegen Silbertaels gewechselt werden
könnten, so hätten die Geldwechsler in Yingkow, wenn das
russische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses aufgekauft,
nach Shanghai geschickt und dort mit ungeheurem Gewinn
wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte
sich die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze
nach Vinkow gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank
sorgfältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wiederherzustellen, es
kam aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr
Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen
kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden
ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seinen Kredit
verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation so war,
daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur Verhandlung
stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des Kriegsbedarfs
und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne weiteres ver-
wenden konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches Silbergeld
zu jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich geworden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls l j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine:
Seit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Rußland
seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlösbarkeit
der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet, daß
sie Fälschungen seien, und ihr Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und den russischen Re-
gierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in
Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne,
daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die
Banken in Tientsin sie in die Hände bekommen hätten, so
374
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Pfng". Abschnitt Viw«
hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine
Art Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
sturzes eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn er-
zielen wollten. Daher hat der Rubelschein auch die Requisitionen der
russischen Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können.
Aus allem diesem geht hervor, daß die russischen Truppen chinesisches
Geld nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs, Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch die Reklamanten behaupten, verhandelt worden
sind, so besteht daneben doch die Tatsache, daß auf der anderen Seite
Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen Truppen
chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die vermehrten Rubelscheine
billig von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen Gewinn
erzielen konnten. Daher stimmt die Behauptung der Reklamanten, daß
das in Streit befangene Silbergeld, weil jener Warenhandel in Betrieb
gewesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch des Feindes gedient
haben würde, nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr ist es natür-
lich anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die geschäftlich scharf-
sinnigen chinesischen Kaufleute, vor allem die Bankunternehmer, an-
stelle ihrer gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine billig von den
Russen kaufen und, um einen außerordentlichen Profit zu erzielen,
<iie Gefahr eines solchen Geldimports laufen würden.
Das zur Verhandlung stehende Geld ist durch Vermittlung der
Seetransportfirma Tang Ming Chien, welche eine volle Ladung
von Kriegskonterbande heimlich nach Niutschwang zu befördern beab-
sichtigt hatte, zugleich mit dieser Konterbande auf demselben Schiff
verladen und befördert worden. Dazu ist sein Bestimmungsort ein
russischer Etappenort und, wie oben dargetan, bedurften die russischen
Truppen solchen Geldes. Daraus muß geschlossen werden, daß
der Zweck der Einfuhr des Geldes der gleiche gewesen ist wie der
der Einfuhr der übrigen Konterbandeladung, nämlich Lieferung zum
Gebrauch der russischen Truppen.
Demnach ist es durchaus zutreffend, wenn das Gericht erster
Instanz die Einziehung des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu verheim-
lichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt öffent-
lich die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als ein Beweis erachtet
werden, welcher geeignet sei, der obigen Annahme entgegenzustehen.
375
Abschnitt VI"' Prisengerichtsentscheidunflen: „Pei-Ping"^
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in jedem
Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes nach Niutschwang vor-
kommen. Für die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit,
großen Gewinn zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht
berücksichtigt worden sei und das Geld für die alljährHch wieder-
. kehrenden Handelszwecken dienen sollte, ist keinerlei Beweis vorhanden.
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Verwendung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee und
Marine beschränke, sondern daß es allgemein im kaufmännischen Ver-
kehr unter den Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den Re-
klamanten einzuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus den
Tatumständen die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russischen
Truppen dienen würde, ganz offenbar berechtigt. Dasselbe kann daher,
gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der gleichen Annahme
bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts im Wege stellt^
als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach feindlichem Gebiet gehen oder zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man da-
gegen ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes
unterstützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen
oder Blockadehafen ist, für die Bestimmung, ob ein Konterbandetransport
vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn der Be-
stimmungsort ein Kriegshafen oder ein Blockadehafen ist, i>o liefert
das nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin be-
stimmten Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser
Punkt der Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po»
und Ching Pu Saw, in Firma Ying Yü Hao, aus der Provinz
Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori sichome Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
876
PriMngerichtsentscheidungen: ,,Pei-Ping". Abschnitt VI»'
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Pei-Ping'' befindlichen, von
der Firma Kai Ping Chiang an die Firma Ying Yü Hao ver-
sandten 8 Kisten mexikanischer Dollars werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 8 Kisten mexikanischer Dollers
bestehen aus Jdeinem chinesischen Silbergeld. Sie sind von dem Fracht-
geschäft Kai PingChiangauf dem chinesischen Dampfer .,Pei-Ping"
verschifft und am 5. Juli 1904 an Ying Yü Hao abgesandt v/orden.
Als am 17. d. M. das Kaiserliche Kriegsschiff „Hongkong iMaru'' den
Dampfer „Pei-Ping" wegen Konterbandetransports etwa 10 Seemeilen
nordöstlich von Weihaiwei in China aufbrachte, wurden auch die zur
Verhandlung stehenden Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur
See I w a m u r o T e t s u j i r o , die Vernehmungsprotokolle des Kapi-
täns A. Mactag gart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des
1. Offiziers H. C Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Rekla-
maüon sind folgende:
Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Geschäft, in
welchem sie Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl einkauften, welches
sie nach Shanghai und anderen Plätzen ausführten. Sie hätten das
zur Verhandlung stehende Silbergeld von Shanghai kommen lassen,
veii die Zeit zum Einkauf ihrer Handelswaren gekommen gewesen
sei und weil als Resultat der Neigung des Handels zu einem ein-
seitigen Wechselverkehr Kapital nötig gewesen sei.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht für die russische
Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch nicht zu ihrem
Gebrauch geliefert werden sollen. Daher sei es keine Konterbande
und müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweise dieser Tatsachen verschiedene
Beweisstücke eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer .\n-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient
haben. Sie seien daher Kriegskonterbande und müßten eingezogen
Verden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den
377
Abschnitt VI»' Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping''.
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen vt^erden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das russi-
sche Kriegspapiergeld durch die andauernden Niederlagen der russi-
schen Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie das zur
Verhandlung stehende Silbergeld, stark benötigt wurde, um der täg-
lichen Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden,
daß das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niu-
tschwang sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre. Es wird demnach für Kriegskonterbande angesehen, i) und weder
die Ausführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten Beweisdokumente sind imstande, diese Annahme umzu-
stoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Chan Yü Po und Ching Pu Saw, chinesische
Staatsangehörige, in Firma Ying Yü Hao, aus China, Provinz Can-
ton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho sichome Nr. 3 und Sakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kita agasadori Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping'', welcher am
17. Juli 1904 auf 37 « 35 ' n. Br. und 122 0 23 ' ö. L. von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des Dampfers
„Pei-Ping" befindlichen, von der Firma Kai Ping Chiang an die
Firma Ying Yü Hao versandten 8 Kisten mexikanischer Dollars er-
kannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen Staats-
angehörigen Chang Yü Po und Ching Pu Saw, in Firma Ying
V 0 II. Ziffer 2. — «) V. § 43.
378
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VI»*
Yü Hao, durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und Sakurai
Ikkyu als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein
der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte der Vertreter der Reklamation, Ta-
kagi Toyozo und Sakurai Ikkyu, sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht in Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem
chinesischen Dampfer „Pei-Ping" verschifften 8 Kisten mexikanischer
Dollars und Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden
Gründen :
1- Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Ausfuhrgeschäft
in Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl. Bei der Ausfuhr dieser
Güter nach Shanghai nähmen sie den Preis dafür in Shanghai ein und
die Übersendung dieses Geldes nach Niutschwang werde entweder durch
Ankauf in Niutschwang zahlbarer Wechsel oder in Form baren Geldes
bewerkstelligt. Auch in Fällen, wo Bohnen, Bohnenkuchen und Boh-
nenöl von Niutschwang nach anderen Plätzen wie Shanghai ausgeführt
würden, werde der Preis bisweilen in Shanghai gezahlt. Denn als
Zentrum des chinesischen Handels sei Shanghai auch der Mittelpunkt
des Geldumlaufs. So habe der Agent der Reklamanten in Shanghai das
zur Verhandlung stehende Geld in der beschriebenen Weise im Be-
triebe des Geschäfts vereinnahmt, bei einem Wechsler gewechselt und
an seine Firma Ying Yü Hao in Niutschwang geschickt.
Daß bares Silbergeld geschickt worden sei, habe seinen Grund
darin, daß gerade in Niutschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen,
Bohnenkuchen usw. gekommen gewesen sei. Denn da die Exportfirma
Ying Yü Hao in der Regel Zahlung für die Bohnen in kleinem
Silbergeld leiste, sei es nötig gewesen, bares Geld zu schicken. Das
sei einer der Gründe, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld
in bar geschickt worden sei.
Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und der Kurs für in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig gewesen wäre, so
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Agent der Reklamanten
extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang habe es aber
an Silbergeld gefehlt, und der Wechselkurs auf Niutschwang sei in
Shanghai so hoch gewesen, daß selbst nach Zahlung der Fracht und
Versicherung die Sendung von barem Geld immer noch geschäftlich
vorteilhaft, abgesehen davon, daß sie notwendig gewesen sei. Das
sei der zweite Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld
in bar übersandt worden sei.
Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweisstücken
Nummer 2, 3, 5 bis 7 und 9 bis 11.
379
Abschnitt VI.M' Prisengerichtsentscheidungeii: „Pei-Ping".
2. Daß der Agent der Reklamanten das zur Verhandlung stehende
Silbergeld an die Firma Ying Yü Hao in Niutschwang jjeschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für eine Exportfirma natürliche Maß-
nahme, die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe.
Wenn man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handels-
transaktion für unerlaubt zu erklären, und die auf der Reise befindlichen
Güter einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts Gewerbe
zu treiben. Von etwas dergleichen aber, wie insbesondere auch davon,
daß neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Ge-
werbe in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man
bislang in der Praxis und der Wissenschaft des Kriegsvölkerrechts noch
niemals etwas gehört.
3. Der Dampfer „Pei-Ping" habe seine Absicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai-Zeitungen bekannt gemacht,
und der englische Konsul habe die Abreise des Dampfers zwecks Güter-
transports nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shang-
hai habe die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren
lassen. Daher habe der Agent der Reklamanten ohne weitere Über-
legung ganz unbefangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende
Silbergeld zur Beförderung übergeben. Demnach sei die Beschlag-
nahme, von der Einziehung nicht zu reden, im höchsten Grade un-
erwartet gekommen. Wenn man das Geld wirklich heimlich habe ab-
senden wollen, um es zum Gebrauch der russischen Truppen zu liefern,
so hätte man ein so öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen.
Daß man aber doch ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere
reichlichen Grund für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht
vorgelegen habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen und habe als ein Hauptetappenort
gedient. Außerdem habe das russische Kriegspapiergeld
durch die andauernden Niederlagen der russischen Armee
und Marine sehr an Kredit gelitten, und es sei bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie
das zur Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden
sei, um der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse
daher angenommen werden, daß das zur Verhandlung
stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort
zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin eingeführten
380
Prisengerichtsentscbeidungen: „Pe^Ping". Abschnitt Vit*'
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng
und widerlaufe auch den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsachlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-Filiale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden diese Tatsachen sich bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld, wie
das zur Verhandlung stehende, nötig gehabt, so sei es doch unsinnig,
ohne zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an
die Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen nicht
dafür: vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß, wenn
die Reklamanten, welche ein Exportgeschäft hätten, von Shanghai, woher
sie ihre Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres
Geschäfts, Geld, welches zum Betrieb des Geschäfts erforderlich sei,
befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Geschäfts der Rekla-
manten zur Verwendung kommen solle.
Wenn man diese natürliche Vermutung umstürzen wolle, so be-
dürfe es dazu unter allen Umständen sicherer Gründe und Beweise.
Wenn daher das Urteil erster Instanz auf die dort verzeichneten vagen
Gründe hin eine Annahme aufgestellt habe, welche dieser natürlichen
Vermutung widerspreche, so sei das auch vom Standpunkt des Beweis-
rechts unzutreffend.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es danach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet
bestimmt sei und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine dienen würde, Kriegskonterbande
sei, so sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei, Be-
weise beizubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche Armee
oder Marine bestimmt gewesen sei oder daß es zu ihrem Gebrauch
habe geliefert werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)" vorliege, einfach folgere, daß die Güter, weil sie nach einem
von feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden, auch zum
Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so schließe man
aus dem Vorhandensein der ersten der beiden Bedingungen, welche
dieser Fall erfordere, ohne weiteres auf das Vorhandensein auch der
z^^eiten Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe, als wenn die zweite
Bedingung überflüssigerweise geschrieben sei, und laufe darauf hinaus,
381
Abschnitt VIM« Prisengerichtsentscheidungen : „Pei-Ping'^
daß die bedingte Kriegskonterbande des Falls ,,(2)" keinen Unterschied
von der absoluten Konterbande aufweise, so daß der Sinn, welcher der
Unterscheidung dieser beiden zugrunde liege, völlig zunichte gemacht
werde.
Man werde aber vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche
hin das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld
als Konterbande angesehen habe, beschränke sich nicht nur darauf,
daß das Geld nach einem vom Feinde besetzten Platz bestimmt sei,
sondern es sei auch noch die weitere Begründung beigefügt, daß die
feindliche Armee oder Marine es benutzen werde.
Demgegenüber sei aber folgendes zu bemerken: Jedermann könne
in allen Umständen Geld gebrauchen, und die Verwendbarkeit desselben
beschränke sich nicht auf die russische Armee und Marine. Wenn
demnach dafür, daß nur die russische Armee oder Marine das zur
Verhandlung stehende Geld gebrauchen werde, keine besonderen Gründe
vorlägen, so gebe die oben genannte weitere Begründung des Urteils
erster Instanz auf die Frage, inwiefern die Annahme berechtigt sei,
daß das zur Verhandlung stehende Geld bei den russischen Truppen
zur Verwendung kommen werde, die Antvc^ort, man müsse annehmen,
daß es bei den russischen Truppen zur Verwendung gekommen wäre,
weil diese es zu verwenden genötigt gewesen seien. Das sei Beant-
wortung einer Frage mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptung, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder an
die russischen Truppen bestimmt, noch zu ihrem Gebrauch zu liefern
gewesen, daß es vielmehr zur Deckung des Bedarfs in dem Geschäft
der Reklamanten versandt worden sei, mit verschiedenen beweiskräftigen
Tatsachen und Gründen belegt. Der Staatsanwalt habe, ohne dagegen
einen einzigen Gegenbeweis vorzubringen, diese Erklärung der Rekla-
manten verworfen, und die Entscheidung des Gerichts erster Instanz,,
welches der Ansicht des Staatsanwalts beipflichte, sei daher auch vom
Standpunkt der Beweisführung rechtswidrig.
6. Es sei freilich nicht zu leugnen, daß Niutschwang nicht nur
zur Zeit der Aufbringung, sondern schon seit der Zeit vor dem japanisch-
russischen Krieg unter russischer Gewalt gestanden habe. Aber man
müsse dies besetzte Gebiet nicht einem gewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen. Denn Niutschwang sei ein dem Handel der Mächte
offenstehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit nur während des Krieges besetzten Gebieten, wie zum Beispiel
der Song To-Bucht, der Taubenibucht und der Sho Ping-Insel bei
Port Arthur auf eine Stufe gestellt werden. Wenn relative Konter-
bandegüter, d. h. Güter, wie sie im § 14 der Seeprisenordnung 3) auf-
382
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VIi*<
gestellt seien, nach der Song To-Bucht usw. bestimmt wären, so werde
jedermann dem zustimmen, wenn man annehme, daß sie direkt für die
russischen Truppen bestimmt seien und daher als Kriegskonterbande
eingezogen werden müßten. Wenn man aber einen solchen Fall und
den Fall, wo die Güter nach Niutschwang bestimmt seien, gleichstelle,
so entspreche das nicht dem wahren Sinn der japanischen Seeprisen-
ordnung und des Völkerrechts über die Behandlung neutralen Gutes.
Besonders seien auch die zur Verhandlung stehenden Silbermünzen
kuraiites Geld, wie es unter den Chinesen und den in- und aus-
ländischen Kaufleuten Kurs habe. Von anderen Konterbandegütern,
^'ie Lebensmitteln und dergleichen, sei es weit verschieden, imd es
lägen Gründe vor, nach denen man nicht auf Gebrauch seitens der
Truppen schließen müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebensmitteln,
Vielehe zum Gebrauch für die Russen, und solchen, welche zum Ge-
brauch für die Chinesen dienen sollten, ein großer Unterschied, so
daß man, wenn Lebensmittel, welche für Russen geeignet seien, in
großer Menge nach Niutschwang bestimmt würden, diese wohl als
Konterbande ansehen könne. Geld sei aber nicht nur bei Truppen
verwendbar, und da auch die Menge des hier versandten Geldes im
Handel mit den großen Mengen Bohnen, Bohnenkuchen and Bohnen-
öl keinen Überschuß lassen würde, so könne man es nicht mit Lebens-
mitteln vergleichen und als Truppenbedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall von bedingter Kriegskonterbande, wie Geld, besonders sorgfältig
überlegen. Deshalb werde besonders die rechtliche Auffassung der
Stellung Niutschwangs der Beachtung empfohlen, welche mit der
diplomatischen Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl eng verknüpft sei. Dieselbe sei folgende: Die Verhandlungen
betreffend die Frage, ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat ge-
führt, daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn garantiert würde,
daß die Güter nicht beim Militär zur Verwendung kommen würden.
Dieses sei der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China
akkreditierten Kaiserlichen Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt
worden, und Japan habe diese Tatsache, daß die Bohnen, Bohnen-
kuchen usw. nach japanischen Häfen ausgeführt werden würden, mit
Freuden begrüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Faktum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Japan, Rußland, China
und anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei. Darin liege ein wich-
tiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin, daß
Rußland Niutschwang besetzt habe, entschieden werden könne.
ä83
Abschnitt VI 1*^ Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping''.
Denn wenn die Mächte so den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen
usw. übereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat dieses
Handels, nämlich daß die Kaufleute den Preis für die verkauften Waren
in Empfang nähmen, in den Bereich dieses übereinstimmend gestatteten
Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches als Preis für die
Bohnen, Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, vorausgesetzt, daß es
nicht an die russischen Truppen gehe, nicht eingezogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw., sowie Kapital für den auch in
Zukunft gestatteten Einkauf derselben; und. daß es kleines Oeld sei,
wie es für solche Einkäufe nötig sei; kurz, daß es in jeder Beziehung
im Rahmen harmlosen Handelsverkehrs stehe, alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Absicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweise ungefälschter
Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto
Tatsurokuro, sind folgende:
1. Die zur Verhandlung stehenden acht Kisten Silbergeld im
Betrage von 72 000 Dollar sollten nach Aussage der Reklamanten Kauf-
geld für Bohnen^ Bohnenkuchen und Bohnenöl sein. Wenn dem so
sei, so sei es für die zur Verhandlung stehende Sache von der aller-
größten Bedeutung zu wissen, wann und wo und an wen die Ware
verkauft sei, für welche das Geld der Preis sei. Ober diese wichtigen
Tatsachen hätten indes die Reklamanten keinerlei Beweis erbracht. Sie
hätten lediglich im allgemeinen auf den Charakter ihrer Firma hin-
gewiesen und dargetan, daß die Handelsgewohnheit bestehe, den Preis
für Exportgüter des friedlichen Handels in Shanghai, der Zentrale des
chinesischen Handels, einzunehmen, und daß die Übersendung des
Geldes nicht unbedingt durch Wechsel, sondern in Fällen, wo es vorteil-
haft sei, bares Geld zu schicken, auch in bar geschehe. Daß dies nicht
ausreiche, um zu begründen, daß das zur Verhandlung stehende Geld
nicht zum Gebrauch der russischen Truppen habe geliefert werden
sollen, sei selbstverständlich. Außerdem sei dies das erste Mal gewesen,
daß die Reklamanten bares Geld nach Niutschwang gesandt hätten.
Dies werde bewiesen durch das Zeugnis des Tang Ming Chien,
Chefs der Transportfirmen Kai Ping Chiang und Shang Fa Yun
in Shanghai, welches dieser am 26. September 1904 im Prisengerichts-
hof zu Sasebo auf die Frage des Staatsanwalts abgelegt habe und welches
besage
384
PriieBgerichtsentscheidungen: „Pei-Plng''. Abschnitt Vit*'
Er habe Ying Yü Hao, Yu Shing Yuen und
Yu Shing Yuen schon von früher gekannt; Transporte
habe er aber für diese Firmen erst jetzt zum ersten Male über-
nommen. Seit 50 Jahren betreibe er sein Transportgeschäft
in Shanghai, und außer durch seine Firmen gehe kein Stück
Ausfuhrgut nach Niutschwang. Der Transport der in den
Prisensachen „Pei-Ping" und „Hsi-Ping" befangenen Güter
Hege ausschließlich in seiner Hand.
Nach diesem Zeugnis hätten die Reklamanten früher kein bares Geld
nach Niutschwang gesandt. Außerdem könnten sie auch nicht beweisen,
daß nach dem damaligen Wechselkurs in Niutschwang, selbst nach Ab-
zug der Kommission, Fracht- und Versicherungskosten, noch ein Vorteil
bei der Barsendung vorhanden sei.
Dagegen sei Niutschwang von den Russen okkupiertes Gebiet und
ein Hauptetappenort gewesen; sodann sei es bekannt, daß infolge der
andauernden Niederlagen der russischen Truppen zu Wasser und zu
Lande der Kredit des Papiergeldes in Liaotung und in der Mandschurei
verloren gegangen sei, so daß die russischen Truppen für die laufenden
kleinen Zahlungen kleines Geld nötig gehabt hätten. Daher habe das
zur Verhandlung stehende Geld wohl in der Hoffnung auf großen Ver-
dienst an die russischen Truppen geliefert werden sollen, und man müsse
vermuten, daß der Transport des baren Geldes, welcher so große Kosten
und so großes Risiko bedingt habe, im Hinblick darauf unternommen
worden sei.
Wenn daher das Urteil erster Instanz in dem Transport des zur
Verhandlung stehenden Silbergeldes kein reines Handelsunternehmen
erblickt, sondern auf Grund der Annahme, daß das Geld nach An-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der feindlichen Truppen gedient
haben würde, die Einziehung verfügt habe, so sei das nicht unzutreffend.
Zur Einziehung von Gütern auf Grund der Annahme, daß sie zum
Gebrauch der feindlicher! Armee oder Marine geliefert werden würden
und daher Konterbande seien, sei es nicht unbedingt erforderlich dar-
zulegen, daß diese Annahme sich auf Beweise gründe. Im Falle, daß
nach der Art der Güter, den Verhältnissen des Einfuhrorts und anderen
Umständen angenommen werden könne, daß die Güter zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würden, habe das
Prisengericht hierüber nach freier Überzeugung zu befinden.
Wenn auch der Handel mit Kriegskonterbande eine Handlung
sei, welche die Freiheiten des öffentlichen neutralen Handels genieße,
so würden doch, um der Gefahr der Wegnahme zu entgehen, ver-
schiedene Mittel ausgedacht, und, wenn man Kriegskonterbande trans-
portiere, so gebe man sich ganz allgemein den Anschein, als ob kein
Kriegskonterbandetransport vorliege. So sei es natürlich, daß man Güter
Marstrand-Meolileiibnrff, Das japanische Prisenrecht. Band I. (25) OoD
Abschnitt Vl^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping'^
nicht mit Konnossementen, welche offen an die Truppen adressieit
seien, versende.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei kleines Silbergeld, welches
in den amtlichen chinesischen Münzen geprägt worden sei. Da es
überall in China Kurs habe, so könne man selbstredend aus der einen
Tatsache, daß es nach Niutschwang befördert worden sei, nicht ohne
weiteres schließen, daß es zum russischen Kriegsgebrauch habe dienen
sollen. Indes sei Niutschwang zu der fraglichen Zeit ein russischer
Hauptetappenort gewesen; die russischen Truppen seien dadurch, daR
ihr Kriegspapiergeld infolge der andauernden Niederlagen den Kredit
verloren gehabt habe, gezwungen gewesen, kleines chinesisches Silber-
geld zu verwenden; die „Pei-Ping", auf der das zur Verhandlung
stehende Silbergeld verschifft worden sei, sowie die zu gleicher Zeit
gereiste „Hsi-Ping"' seien mit einer großen Menge von Konterbande-
gütern vollbeladen gewesen und insbesondere bezüglich der Lebens-
mittel und Getränke könne ihrer Art wegen niemand bestreiten, daß
sie für den russischen Etappen bedarf hätten geliefert werden sollen.
Wenn man diese verschiedenen Tatumstände zusammenhalte, um daraus
den Tatbestand des vorliegenden Falles zu entnehmen, so könne man
freilich nicht behaupten, daß sie eine direkte Begründung für die Tat-
sache darstellten, daß das zur Verhandlung stehende Geld nur von
den russischen Truppen gebraucht worden wäre; es sei aber zum
mindesten nicht schwer, daraus zu entnehmen, daß es mit den Lebens-
mitteln zusammen zum Gebrauch der russischen Truppen habe dienen
sollen.
Es sei eine unbegründete Klage, wenn die Reklamanten sagten,
es sei vom Standpunkt der Beweisführung widerrechtlich,
daß das Gericht, obwohl die Reklamanten, ohne daß ihnen die
Beweispflicht obliege, ihren Argumenten verschiedene stich-
haltige Beweise und Fakta zugrunde gelegt hätten, sich der
Ansicht des Staatsanwalts angeschlossen habe, welcher auch
nicht den geringsten Gegenbeweis vorgebracht habe.
Die Reklamanten in Prisensachen seien verschieden von strafrecht-
lichen Angeklagten, und es sei keineswegs der Fall, daß ihnen keine
Beweispflicht obliege. Vielmehr müßten sie dafür, daß ihre Güter,
obwohl sie nach einem vom Feinde besetzten Platz gingen, nicht zum
Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden sollten, oder für die Be-
hauptung, daß es sich um einen friedlichen Transport handele, die
Gründe darlegen. Da nun, wie schon oben dargetan, die Reklamanten
weder Beweise noch auch Gründe, welche die von dem Staatsanwalt
präsumierten Tatsachen umstießen, vorgebfacht hätten, so sei es für den
Staatsanwalt nicht nötig, einen Gegenbeweis zu erbringen und daß
er ihn nicht erbracht habe, sei als ganz natürlich anzusehen.
386
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt Vin^
Daher sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul in Niutschwang, Segawa, hat berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. Juli
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört,,
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge auf-
gezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Gelder aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden, als
ob dieselben nach feindlichem Gebiet bestimmt seien.*) Da es dem-
nach offenbar ist, daß die Tatumstände zu der Annahme berechtigen,
daß auch das zur Verhandlung stehende, von den Reklamanten für
die Einfuhr nach Niutschwang bestimmte Silbergeld zum Kriegsgebrauch
gedient haben würde, so muß man sagen, daß es die Voraussetzungen,
welche es zur Konterbande machen, erfüllt.^)
In einem Bericht des obengenannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der
Mandschurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in
Gold geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie
daneben Papierrubel benutzt und den Chinesen gesagt,
zwischen dem Metall und dem Papier sei kein Unterschied.
Dann habe sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach
und nach das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt.
Im Jahre 1902 sei es dahin gekommen, daß man in der
Mandschurei russisches Goldgeld nur sehr selten in Um-
lauf gesehen habe. Damals habe aber die russisch-chinesische
Bank schon an verschiedenen wichtigen Plätzen Nieder-
lassungen errichtet. In diesen Banken sei das Papier zum
Tageskurse gegen Silbergeld eingelöst worden, und in der
Mandschurei habe dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs
von 1 Dollar 30 Cents bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld ge-
habt. Als indessen seit Herbst 1903 die Gerüchte über
*) V. § 5. — *) II. Ziffer 2.
(25*) 387
Abschnitt Vin^ Prisengerichtsentscheidungen : „Pei-Ping".
einen Krieg zwischen Japan und Rußland in Blüte gestanden
hätten, habe es unter den Chinesen geheißen, daß, wenn
nach dem Ausbruch des Krieges die Russen einmal unter-
liegen würden, die russischen Papierrubel nicht mehr ge-
wechselt werden könnten und nur noch den Wert von altem
Papier haben würden. Vom November oder Dezember d. J.
bis zum Ausbruch des Krieges im Februar 1904 habe der
Umlauf des Papiergeldes eine starke Abnahme erfahren, und
dasselbe sei von 1 Dollar 30 bis 40 Cents häufig auf 1 Dollar
10 Cents gefallen, und nur, dank den Bestrebungen der
Niederlassungen der russisch-chinesischen Bank in den ver-
schiedenen Orten den Kredit des Papiergeldes aufrecht-
zuerhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß sein Um-
lauf ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nach-
richten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach
Kaiping und Yingkow kamen, hätten die Chinesen, welche
Papierrubel gehabt hätten, darin gewetteifert, diese zu ver-
kaufen. Der Rubel sei damals bis auf 70 oder 80 Cents
gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai Papierrubel
immer zum Tageskurs gegen Silbertaels gewechselt werden
könnten, so hätten die Geldwechsler in Yingkow, wenn das
russische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses aufgekauft,
nach Shanghai geschickt und dort mit ungeheurem Gewinn
wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter den
Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte sich
die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze
nach Yingkow gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank
sorgfältige Maßnahmen, um das. alte Verhältnis wiederherzustellen; es
kam. aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr
Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen
kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden
ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seinen Kurs
verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation derartig
war, daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur Verhandlung
stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des Kriegsbedarfs
und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne weiteres ver-
wenden konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches Silbergeld
zu jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich geworden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine :
388
Prisengerichtsentscheidungen: ,Pei-Ping'. Abschnitt VI»'
Mit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Rußland
seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlösbarkeit
der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet, daß
sie Fälschungen seien, und der Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und den russischen Re-
gierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in
Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne,
daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die
Banken in Tientsin sie in die Hand bekommen hätten,
hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine
Art Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
sturzes eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn erzielen
^sollten. Daher hat der Rubelschein auch die Requisitionen der russi-
schen Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können. Aus allem
diesen geht klar hervor, daß die russischen Truppen chinesisches Geld
nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch die Reklamanten behaupten, verhandelt worden
sind, so bestand daneben doch die Tatsache, daß auf der anderen Seite
Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen Truppen
chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die vermehrten Rubelscheine
billig von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen Gewinn er-
zielen konnten. Daher stimmt die Behauptung der Reklamanten, daß das
in Streit befangene Silbergeld, weil jener Warenhandel in Betrieb ge-
wesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch des Feindes gedient
haben würde, nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr ist es natür-
lich anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die geschäftlich scharfsinnigen
chinesischen Kaufleute, vor allem die Bankunternehmer, anstelle ihrer
gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine billig von den Russen kaufen
und, um einen " außerordentlichen Profit zu erzielen, die Gefahr eines
solchen Qeldimports laufen würden. Das zur Verhandlung stehende
Geld ist durch Vermittlung der Seetransportfirma TängMingChien,
welche eine volle Ladung von Kriegskonterbande heimlich nach Niu-
tschwang zu befördern beabsichtigt hatte, zugleich mit dieser Konter-
bande auf demselben Schiff verladen und befördert worden. Dazu
ist sein Bestimmungsort ein russischer Etappenort und, wie oben
dargetan, bedurften die russischen Truppen solchen Geldes. Daraus muß
geschlossen werden, daß der Zweck der Einfuhr des Geldes der gleiche
gewesen ist wie der der Einfuhr der übrigen Konterbandeladung, näm-
389
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: .Pei*Ping*.
lieh Lieferung zum Gebrauch der russischen Truppen. Demnach ist es
durchaus zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz die Einziehung
des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu verheim-
lichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt öffent-
lich die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als ein Beweis erachtet
werden, welcher geeignet sei, der obigen Annahme entgegenzustehen.
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in jedem
Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes nach Niutschwang vor-
kommen. Für die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit,
großen Gewinn zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht
berücksichtigt worden sei und das Geld für die alljährlich wieder-
kehrenden Handelszwecke dienen sollte, ist keinerlei Beweis erbracht
worden.
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Verwendung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee und
Marine beschränke, sondern daß es allgemein im kaufmännischen Ver-
kehr unter den Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den
Reklamanten einzuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus
den Tatumständen die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russi-
schen Truppen gedient haben würde, ganz offenbar berechtigt. Das-
selbe kann daher, gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der
gleichen Annahme bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts
im Wege steht, als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach feindlichem Gebiet gehen oder zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man da-
gegen ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes
unterstützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen
oder Blockadehafen ist, für die Bestimmung, ob ein Konterbandetransport
vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn der Be-
stimmungsort ein Kriegshafen oder ein Blockadehafen ist, so liefert
das nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin be-
stimmten Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser
Punkt der Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
390
Prisengerichtsentscheidungen: .Pei-Ping% Abschnitt VIi*«
ReklamanteiiiDie chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und Ching Pu Saw, in Firma Yu Shang Chiang, aus der Pro-
vinz Canton, Regierungsbe^rk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori sichome Nr. 54.
In der Prisensache, betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping", wird, wie folgt, entschieden :
Urteiisf ormel:
Die unter der Ladung* des Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von
der Firma Shang Fa Yun an die Firma Yu Shang Chiang ver-
sandten 5 Kisten kleines Silbergeld werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 5 Kisten kleines Silbergeld sind
von dem Transportgeschäft Shang Fa Yun auf dem chinesischen
Dampfer „Pei-Ping" verladen und am 15. Juli 1904 nach Niutschwang
verschifft worden. Als am 17. d. M. das Kaiserliche Kriegsschiff „Hong-
kong Maru" den Dampfer „Pei-Ping'' wegen Konterbandetransports
etwa 10 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwei in China aufbrachte,
wurden auch die zur Verhandlung stehenden Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur
See Iwamuro Tetsujiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapi-
täns A. Mactag gart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des
1. Offiziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die Reklamanten betrieben in Niutschwang ein Bankgeschäft. Sie
hätten das zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen
lassen wollen, weil zu der Zeit in Niutschwang die Handelsverhältnisse
zu einem einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil che Zeit
für den Einkauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen
gewesen sei, so daß Umlaufskapital nötig gewesen sei. Ferner sei der
Kurs für Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich gewesen, so
daß die Reklamanten durch Einfuhr von Silbefgeld einen Gewinn zu
erzielen erwartet hätten. Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht
für die russische Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch
nicht zu ihrem Gebrauch geliefert Verden sollen. Daher sei es keine
Konterbande und müsse freigegeben werden.
Die Reklamanten haben zum Beweise der vorstehenden Tatsachen
verschiedene Beweisdokumente eingereicht.
391
Abschnitt VI >•• Pri8engericht9eiit8cheidung6ii: .Pei-Ping'»
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer Ankunft
in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient haben,
Sie seien daher Kriegskonterbande und müßten eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den.
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen werden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das
russische Kriegspapiergeld durch die andauernden Niederlagen der russi-^
sehen Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt,,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie das zur
Verhandlung stehende Silbergeld, stark benötigt wurde, um der täg-
lichen Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden,
daß das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niu-
tschwang sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre. Es wird demnach als Kriegskonterbande angesehen, i) und weder
die Ausführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten verschiedenen Beweisstücke sind imstande, diese Annahme
umzustoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.*)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamanteii : Die chinesischen Staatsangehörigen Chan Yü Po
und Ching Pu Saw, in Firma Yu Shang Chiang, aus China,
Provinz Canton, Regierungsbezirk Chowchow, Haiyang bzw. Chaoyang.
ProzeBvertreter : Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio,.
Kojimachiku, Uchisaiwaicho sichome Nr. 3. und Sakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori sichome Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37 o 35 ' n. Br. und 122 o 23 ' ö. L. von dem Kaiseriichen
Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des Dampfers
»)r¥.' Ziffer 2. — =^) V. § 43.
392
Priteiig6richt9ent8Ch6idunaen: .Pei-Ping'. Abschnitt VI»»
„Pei-Ping" befindlichen, von der Firma Shang Fa Yun versandten
5 Kisten kleines Silbergeld erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die chinesischen Staats-
angehörigen Chan Yü Po und Ching Pu Saw, in Firma Yu
S ha n g C h i a n g , die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation, Ta-
kagi Toyozo und Sakurai Ikkyu, sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht zu Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem
chinesischen Dampfer „Pei-Ping" verschifften 5 Kisten kleines Silber-
geld und Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Die Reklamanten hätten ein Bankgeschäft und betrieben daneben
ein Engrosgeschäft für Ein- und Verkauf.
Bei der Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl liehen
die Kaufleute von Niutschwang den Wechselbetrag für die Güter dar,
vereinnahmten in Shanghai den Wechselbetrag von dem Wechsel-
schuldner und bewerkstelligten die Übersendung dieses Betrages ent-
weder durch Ankauf eines in Niutschwang zahlbaren Wechsels oder
in Form baren Geldes. Auch in Fällen, wo Waren von Niutschwang
nach anderen Plätzen wie Shanghai ausgeführt würden und der Wechsel
dargeliehen werde, werde die Zahlung des Wechselbetrages bisweilen
in Shanghai entgegengenommen. Denn da Shanghai das Zentrum des
chinesischen Handels sei, so sei es auch der Mittelpunkt des Geld-
umlaufs. Auch in Fällen, wo die Reklamanten selber Bohnen und
Bohnenkuchen nach Shanghai ausführten, werde die Zahlung des Preises
in Shanghai entgegengenommen, und auch in Fällen, wo die Ausfuhr
nach anderen Plätzen gehe, wie Shanghai, sei dies bisweilen der Fall.
So sei das zur Verhandlung stehende Geld im Verlauf einer Trans-
aktion von dem Angestellten der Reklamanten in Shanghai dort ein-
genommenes Geld, welches er bei einem Wechsler eingewechselt und
an das Hauptgeschäft in Niutschwang gesandt habe. Daß bares Geld
geschickt worden sei, habe seinen Grund darin, daß gerade in Niu-
tschwang die Zeit für die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
gekommen gewesen sei. Denn da in der Regel die Exportfirmen Zahlung
für die Bohnen usw. in kleinem Silbergeld leisteten und die Kunden des
Bankdepartements die Reklamanten um Leistung in Silbergeld bäten,
so hätten dieselben sich darauf vorbereiten müssen. Dies sei einer der
Gründe, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in bar geschickt
worden sei.
Wenn in Niutschwang Silbergeld reichlich und der Kurs für in
Niutschwang zahlbare Wechsel in Shanghai niedrig gewesen wäre, so
393
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: .Pei-Ping'.
wäre es allerdings nicht nötig gewesen, daß der Angestellte der Rekla-
manten extra Silbergeld hätte schicken sollen. In Niutschwang habe
es aber an Silbergeld gefehlt, und der Wechselkurs auf Niutschwang
sei in Shanghai so hoch gewesen, daß selbst nach Zahlung der Fracht
und Versicherung die Sendung von barem Geld immer noch vorteilhaft,
abgesehen davon, daß sie geschäftlich notwendig gewesen sei. Das
sei der zweite Grund, weshalb das zur Verhandlung stehende Geld in
bar übersandt worden sei.
Die obigen Tatsachen gingen hervor aus den Beweisstücken
Nummer 2, 3, 5 bis 7 und 9 bis 11.
2. Daß der Angestellte der Reklamanten das zur Verhandlung
stehende Silbergeld an das Hauptgeschäft in Niutschwang geschickt
habe, sei, wie dargetan, eine für ein Bankgeschäft natürliche Maßnahme,
die mit den russischen Truppen in keinerlei Beziehung stehe. >X^enn
man annehme, daß es zulässig sei, eine derartige reine Handelstrans-
aktion für unerlaubt zu erklären und die auf der Reise befindlichen
Güter einzuziehen, so bedeute das eine Entziehung des Rechts, Gewerbe
zu treiben. Von etwas dergleichen, wie insbesondere auch davon, daß
neutralen Staatsangehörigen das Recht auf ihr gewöhnliches Gewerbe
in ihrem eigenen Lande entzogen werden könne, habe man bislang
in der Praxis und der Wissenschaft des Völkerrechts noch niemals
etwas gehört.
3. Der Dampfer „Pei-Ping" habe seine Absicht, nach Niutschwang
und anderen Häfen zu gehen, in Shanghai-Zeitungen bekannt gemacht,
und der englische Konsul habe die Abreise des Dampfers zwecks Güter-
transports nach Niutschwang gutgeheißen. Auch das Zollamt in Shanghai
habe die öffentlich nach Niutschwang gehende Ladung passieren lassen.
Daher habe der Angestellte der Reklamanten ohne weitere Überlegung
ganz unbefangen dem Schiffe das zur Verhandlung stehende Silbergeld
zur Beförderung übergeben. Danach sei die Beschlagnahme, von der
Einziehung nicht zu reden, im höchsten Grade unerwartet gekommen.
Wenn man das Geld wirklich heimlich habe absenden wollen, um es zum
Gebrauch der russischen Truppen zu liefern, so hätte man ein so
öffentliches Transportverfahren nicht wählen sollen. Daß man doch
ein solches Verfahren eingeschlagen habe, liefere reichlichen Grund
für die Vermutung, daß böser Glaube dabei nicht vorgelegen habe.
4. In dem Urteil erster Instanz werde zur Begründung folgendes
gesagt:
Niutschwang sei zur fraglichen Zeit von den russischen
Truppen besetzt gewesen- und habe als ein Hauptetappenort'
gedient. Außerdem habe das russische Kriegspapiergeld
durch die andauernden Niederlagen der russischen Armee
und Marine sehr an Kredit verloren, und es sei bekannt,
394
Prisengericbtsentscheidungen: .Pel-Ping*. Abschnitt VI»«
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie
das zur Verhandlung stehende Silbergeld, benötigt worden
sei, um der täglichen Nachfrage zu entsprechen. Es müsse
daher angenommen werden, daß das zur Verhandlung
stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang sofort
zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre.
Daraufhin aber, daß Niutschwang ein Hauptetappenort der russi-
schen Truppen sei, annehmen zu wollen, daß alle dorthin eingeführten
Güter zum Gebrauch der Truppen geliefert würden, sei unbillig streng
und widerlaufe auch /den Tatsachen. Daß, wenn auch Niutschwang
zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen besetzt gewesen sei,
deshalb der Handel Niutschwangs nicht in Stillstand geraten, sondern
tatsächlich ausgeübt worden sei, könne man aus den das Beweisstück
Nr. 15 bildenden telegraphischen Mitteilungen der Niutschwang-riliale
der offenen Handelsgesellschaft Mitsui Bussan über die Handels-
lage in Niutschwang bis zum Juli des vorigen Jahres entnehmen. Wenn
später die chinesische Zollstatistik für das Jahr 1904 erscheinen werde,
so würden sich diese Tatsachen bestätigen.
Selbst angenommen, die russischen Truppen hätten Geld wie das
zur Verhandlung stehende nötig gehabt, so sei es doch unsinnig, ohne
zu fragen, wem es gehöre, anzunehmen, daß es unbedingt an die
Truppen geliefert worden wäre. Auch sprächen die Tatsachen nicht
dafür. Vielmehr müsse grundsätzlich angenommen werden, daß, wenn
die Reklamanten, welche ein Bankgeschäft hätten, Geld, wie es zum
Betriebe dieses Gewerbes erforderlich sei, von Shanghai, woher sie
ihre Kapitalien geliefert bekämen, nach Niutschwang, dem Sitz ihres
Geschäfts, befördern ließen, dieses Geld im Betriebe des Bankgeschäfts
der Reklamanten zur Verwendung kommen solle.
Wenn man diese natürliche Vermutung umstürzen wolle, so bedürfe
es dazu unter allen Umständen sicherer Gründe und Beweise. Wenn
daher das Urteil erster Instanz auf die dort verzeichneten vagen Gründe
hin eine Annahme aufgestellt habe, welche dieser natürHchen Vermutung
widerspreche, so sei das auch vom Standpunkt des Beweisrechts un-
zutreffend.
5. Silbergeld sei sogenannte bedingungsweise Konterbande. Da
es danach nur in den beiden Fällen: (1) daß es für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei; (2) daß es nach feindlichem Gebiet
bestimmt sei und angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marine dienen würde, Kriegskonterbande
sei, 5) so sei es nötig, für die Behauptung, daß es Konterbande sei. Be-
weise beizubringen, welche dartäten, daß es für die feindliche Armee
•) II. Ziffer 2.
395
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheiduiigen: «Pei-Ping*,
oder Marine bestimmt gewesen sei öder daß es zu ihrem Gebrauch
habt! geliefert werden sollen.
Wenn man also bei der Annahme, daß Konterbande nach dem
Fall „(2)'' vorliege, einfach so folgere, daß die Güter, weil sie nach
einem von feindlichen Truppen besetzten Ort gesandt würden, auch
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden würden, so schließe
man aus dem Vorhandensein der ersten der beiden Bedingungen, welche
dieser Fall voraussetze, ohne weiteres auf das Vorliegen auch der zweiten
Bedingung. Das sei im Erfolg dasselbe, als wenn die zweite Bedingung
überflüssigerweise geschrieben sei, und laufe darauf hinaus, daß die
bedingte Kriegskonterbande des Falles „(2)" keinen Unterschied von
der absoluten Konterbande aufweise, so daß der Sinn, welcher dieser
Unterscheidung zugrunde liege, völlig zunichte gemacht werde.
Man werde vielleicht behaupten, die Grundlage, auf welche hin
das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Geld als
Konterbande angesehen • habe, beschränke sich nicht nur darauf, daß
das Geld nach einem vom Feinde besetzten Orte bestimmt sei, sondern
es sei auch die weitere Begründung beigefügt, daß die feindliche Armee
oder Marine es benutzen werde. Demgegenüber sei aber zu bemerken,
daß Geld von jedermann in allen Umständen gebraucht werde und
daß seine Verwendbarkeit sich nicht auf die russische Armee und
Marine beschränke. Wenn demnach dafür, daß nur die russische Armee
oder Marine das zur Verhandlung stehende Geld gebrauchen werde,
keine besonderen Gründe vorlägen, so gebe die oben genannte weitere
Begründung des Urteils erster Instanz auf die Frage, inwiefern die
Annahme berechtigt sei, daß das zur Verhandlung stehende Geld bei
den russischen Truppen zur Verwendung kommen werde, die Ant-
wort, man müsse annehmen, daß es bei den russischen Truppen zur
Verwendung gekommen wäre, weil diese es zu verwenden genötigt
gewesen seien. Das sei Beantwortung einer Frage mit derselben Frage.
Obwohl den Reklamanten die Beweislast nicht obliege, hätten sie
ihre Behauptungen, daß das zur Verhandlung stehende Geld weder
an die russischen Truppen bestimmt, noch zu ihrem Gebrauch zu
liefern gewesen, daß es vielmehr zur Deckung des Bedarfs in dem
Bankgeschäft der Reklamanten versandt worden sei, mit verschiedenen
beweiskräftigen Tatsachen und Gründen belegt. Der Staatsanwalt habe,
ohne dagegen einen einzigen Gegenbeweis beizubringen, diese Er-
klärung der Reklamanten verworfen, und die Entscheidung des Ge-
richts erster Jnstanz, welches der Ansicht des Staatsanwalts beipflichte,
sei daher auch von dem Standpunkt der Beweisführung rechtswidrig.
6. Es sei freilich nicht zu leugnen, daß Niutschwang nicht nur
zur Zeit der Aufbringung, sondern schon seit der Zeit vor dem russisch-
japanischen Krieg unter russischer Gewalt gestanden habe. Aber man
396
Prisengerichtsentscheldungen: .Pel-Plng'. Abschnitt VIi®«
müsse dieses besetzte Gebiet nicht einem gewöhnlichen Okkupations-
gebiet gleichstellen. Denn Niutschwang sei ein dem Handel der Mächte
offenstehender Hafen und kein Kriegs- oder Blockadehafen. Es könne
nicht mit ^ur während der Kriegszeit besetzten Gebieten, wie zum
Beispiel der Song To-Bucht, der Taubenbucht oder der Sho Ping-
Insel bei Port Arthur auf eine Stufe gestellt werden. Wenn relative
Konterbandegüter, d. h. Güter, wi^ sie im § 14 der Seeprisen Ordnung*)
aufgestellt worden seien, nach der Song To-Bucht usw. bestimmt wären,
so werde jedermann dem zustimmen, wenn man annehme, daß sie
direkt für die russischen Truppen bestimmt und daher als Kriegskonter-
bande einzuziehen seien. Wenn man aber einen solchen Fall und
den Fall, wo die Güter nach Niutschwang bestimmt seien, gleichstelle,
so entspreche das nicht dem wahren Sinn der japanischen Seeprisen-
ordnung und des Völkerrechts über die Behandlung neutralen Gutes.
Besonders seien auch die zur Verhandlung stehenden Silbermünzen
kurantes Geld, wie es unter den Chinesen und den in- und aus-
ländischen Kaufleuten in Niutschwang Kurs habe. Von anderen Konter-
bandegütern, wie Lebensmitteln und dergleichen, sei es weit verschieden,
und es lägen Gründe vor, nach denen auf Gebrauch seitens der Truppen
nicht geschlossen werden müsse. Beispielsweise sei zwischen Lebens-
mitteln, welche zum Gebrauch für die Russen, und solchen, welche
zum Gebrauch für die Chinesen dienen sollten, ein großer Unterschied,
so daß man, wenn Lebensmittel, welche für Russen geeignet seien, in
großer Quantität nach Niutschwang bestimmt würden, diese wohl als
Konterbande ansehen könne. Geld sei aber nicht nur bei Truppen
verwendbar, und da auch die Menge des hier versandten Geldes im
Handel mit den großen Mengen Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnen-
öl keinen Überschuß lassen würde, so könne man es nicht mit Lebens-
mitteln vergleichen und als Truppenbedarf ansehen.
7. Niutschwang sei ein Handelshafen. Daher müsse man einen
Fall von bedingter Kriegskonterbande wie Geld besonders sorgfältig
überlegen. Deshalb werde die rechtliche Auffassung der Stellung
Niutschwangs besonderer Beachtung empfohlen. Dieselbe sei mit der
diplomatischen Frage über den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen
und Bohnenöl eng verknüpft. Diese sei folgende: Die Verhandlungen
betreffend die Frage, ob die Ausfuhr von Bohnen, Bohnenkuchen usw.
aus Niutschwang verboten werden solle, hätten zu dem Resultat ge-
führt, daß die Ausfuhr gestattet sein solle, wenn garantiert werde, daß
die Güter nicht beim Militär zur Verwendung kommen würden. Dieses
sei der Kaiserlichen Regierung mittels Berichts des in China akkreditierten
Kaiserlichen Gesandten vom 18. April 1904 mitgeteilt worden, und Japan
habe diese Tatsache, daß Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Niutschwang
*) V.
397
Abschnitt VI^** Prisengerichtsentscheidungen: .Pei-Ping".
nach japanischen Häfen ausgeführt werden würden, mit Freuden
begrüßt.
Wenn daher auch Niutschwang von den russischen Truppen be-
setzt gewesen sei, so sei es doch ein diplomatisches Faktum, daß der
Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen usw. von Japan, Rußland, China
und anderen neutralen Staaten gutgeheißen sei. Darin liege ein wich-
tiger Grund, weshalb die vorliegende Sache nicht allein daraufhin,
daß Rußland Niutschwang besetzt habe, entschieden werden könne.
Denn wenn die Mächte den Handel mit Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl übereinstimmend gestattet hätten, so falle auch das Resultat
dieses Handels, nämlich daß die Kaufleute den Preis für die ver-
kauften Waren in Empfang nähmen, in den Bereich dieses überein-
stimmend gestatteten Handels. Demnach könne das Silbergeld, welches
als Preis für die Bohnen, Bohnenkuchen usw. eingenommen sei, voraus-
gesetzt, daß es nicht an die russischen Truppen gehe, nicht einge-
zogen werden.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Geld der Kaufpreis für
frühere Bohnen, Bohnenkuchen usw., sowie Kapital für den auch in
Zukunft erlaubten Einkauf derselben, und daß es kleines Geld sei,
wie es für solche Einkäufe nötig sei; kurz, daß es in jeder Beziehung
im Rahmen harmlosen Handelsverkehrs stehe: alles dies gehe aus den
eingereichten Beweisen klar hervor.
Da die Ansicht des Völkerrechts und der Seeprisenordnung dahin
gehe, die Rechte neutraler Staatsangehöriger zu achten, so werde um
äußerste Unparteilichkeit bei Beurteilung der zum Beweise ungefälschter
Tatsachen eingereichten Beweisdokumente gebeten.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro, sind folgende:
1. Zur Einziehung von Gütern auf Grund der Annahme, daß
sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden
würden und daher Konterbande seien, sei es nicht unbedingt erforder-
lich, darzulegen, daß diese Annahme sich auf Beweise gründe. Im
Falle, daß nach der Art der Güter, den Verhältnissen des Einfuhr-
orts und anderen Umständen angenommen werden könne, daß die
Güter zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden
würden, habe das Prisengericht nach freier Überzeugung zu befinden.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei in China geprägt und
habe in Niutschwang sowie den verschiedenen Gegenden der Mand-
schurei Kurs. Es sei alles eine und dieselbe Art kleinen Silbergeldes,
wie es zum Lohn für Tagelöhner sowie zum Einkauf der zum Haus-
und persönlichen Gebrauch dienenden Gegenstände am geeignetsten,
zur Zahlung bei großen geschäftlichen Transaktionen jedoch am aller-
398
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-PIng". Abschnitt VIi<*
ungeeignetsten sei. Es sei bequem für kleine, aber äußerst unbequem
für große Zahlungen.
Zur Zeit, als das Qeld in Niutschwang habe eingeführt v/erden
sollen, sei, wie das Urteil erster Instanz sage, Niutschwang von den
russischen Truppen besetzt gewesen, und die in Port Arthur und den
verschiedenen Gegenden der Mandschurei liegenden russischen Armee-
und Marinetruppen seien von diesem Platz als Bezugsort für ihren
Kriegsbedarf abhängig gewesen, und die meisten Lebensmittel und
sonstigen Gegenstände, die der Feind nötig gehabt habe, seien von dort
geliefert worden. Da aber infolge der andauernden Niederlagen der
russischen Armee und Marine das Kriegspapiergeld, welches in Niu-
tschwang und auch in verschiedenen Teilen der Mandschurei Kurs
gehabt habe, sehr im Kredit gesunken sei, so seien bei der Zahlung
der Preise für requirierte Gegenstände und der Löhne für Menschen-
und Pferdearbeit, d. h. also bei den kleinen Zahlungen plötzlich
Schwierigkeiten entstanden. Daher seien Klagen über das Bedürfnis
nach kleinem Hartgeld, insbesondere Geld wie dem zur Verhandlung
stehenden, laut geworden, und man sei auch bezüglich dieses auf
Niutschwang als Lieferungsort angewiesen gewesen.
Die Reklamanten hätten daraufhin unter Erleidung von allerhand
Schwierigkeiten und unter großem Risiko die Kommission und Ver-
sicherung gezahlt und viele Tausend Yen, weit von Shanghai, einzu-
führen versucht. Die Frage, wie das Bedürfnis hierfür entstanden sei,
beantworteten sie damit,
es sei die Folge einseitigen Wechselverkehrs; ferner diene
das Geld als Kapital zum Einkauf der von Niutschwang
nach Shanghai ausgeführten Bohnen, Bohnenkuchen und
des Bohnenöls; auch sei der Wertunterschied zwischen Silber
und Papier in Niutschwang so groß gewesen, daß der Kurs
für Silber den für Papier bis um 20 und 30 o/o überstiegen
habe und es einträglich gewesen sei, bares Silbergeld von
Shanghai kommen zu lassen.
Niutschwang sei aber seit langer Zeit von den Russen okkupiert ge-
wesen, und die sonst von dort zur Ausfuhr gelangenden Bohnen,
Bohnenkuchen usw. seien von ihnen entweder als Nahrungs- oder
Brennmittel requiriert; auch sei, um den Gegner in Verlegenheit zu
bringen, die Ausfuhr derselben streng verboten worden, so daß die
Ausfuhr der Hauptexportartikel, Bohnen, Bohnenkuchen usw. nach
Shanghai fast gar nicht stattgefunden habe.
Dagegen seien die Kriegsbedürfnisse der russischen Truppen in
der Gegend von Niutschwang immer größer geworden, und neben der
gewöhnlichen Einfuhr sei die Einfuhr von Lebensmitteln und sonstigen
Bedarfsgegenständen sehr gewachsen, so daß Ein- und Ausfuhr völlig
399
Abschnitt VI»* Prisengeiichtsentscheidungen: „Pei-Ping".
aus dem Gleichgewicht gekommen und demzufolge natürlich in Niu-
tschwang zahlbare Wechsel in Shanghai zahlreich und in Shanghai
zahlbare Wechsel gering geworden seien. In Shanghai seien daher
in Niutschwang zahlbare Wechsel leicht und billig, zu kaufen gewesen.
Wenn daher die Reklamanten in ihrem Geschäftsbetrieb in Shang-
hai vereinnahmte Gelder nach Niutschwang zu schicken gehabt hätten,
so hätten sie, anstatt das Risiko des Transports und die Kommission
und die sonstigen Kosten bei Übersendung von barem Geld zu tragen,
lieber mit dem Gelde in Niutschwang zahlbare Wechsel kaufen sollen,
bei deren Übersendung sie zugleich Bequemlichkeit und Vorteil gehabt
haben würden. Daß ein in Geschäften scharfsinniger chinesischer Kauf-
mann, besonders Bankinhaber, wie die Reklamanten es seien, ein be-
quemes und vorteilhaftes Verfahren außer acht lassen und ein un-
bequemes und unvorteilhaftes Verfahren wählen und vorsätzlich Schaden
und Risiko aufsuchen solle, sei kaum glaublich.
Zudem sei, wie oben dargetan, die Ausfuhr der Hauptexport-
artikel, Bohnen, Bohnenkuchen usw. fast gänzlich ins Stocken geraten,
so daß ein Bedürfnis, Kapital zum Einkauf bereitzuhalten, nicht vor-
gelegen habe.
Daß ferner zwischen Silber und Papier in der Gegend von Niu-
tschwang eine so außerordentlich große Wertdifferenz t)estanden habe,
so daß eine Übersendung von barem Gelde von Vorteil gewesen wäre,
sei nur eine mündliche Behauptung des Reklamanten, welcher man
mangels anderen Grundlagen schwer Glauben schenken könne.
So könne man, wie dargetan — welchen Punkt der Reklamation
man auch erwägen möge — aus keinem derselben ein Bedürfnis für
die Sendung des baren Geldes entnehmen.
Dagegen hätten die russischen Truppen zur Deckung ihres Kriegs-
bedarfs chinesisches Geld und insbesondere kleine Münze, wie die
zur Verhandlung stehende, dringend nötig gehabt. Wenn daher die
Reklamanten, ohne Bedürfnis für ihr Geschäft mühsam viele Tausend
Yen kleinen Geldes gesammelt, vorsätzlich die Gefahr des Transports
getragen, Kommission, Versicherungsprämie und Fracht bezahlt hätten,
um dieses Geld nach Niutschwang zu schaffen, so sei es ohne viel
Worte offenbar, daß sie darin dem plötzlichen Bedürfnis der russischen
Truppen hätten nachkommen wollen.
Selbst einmal zugegeben, das Geld habe nicht besonders ein-
geführt werden sollen, um dem plötzlichen Bedarf der russischen Truppen
zu entsprechen, so müsse man doch vermuten, daß es, wenn es nach
Niutschwang gekommen wäre, jedenfalls zum Gebrauch der russischen
Truppen gedient haben würde. Daher sei es zutreffend, daß das Urteil
erster Instanz auf Grund dieser Tatsachen unter Berücksichtigung der
damaligen Umstände angenommen habe, daß das zur Verhandlung
400
Prisengerichtsentscheldungen: «Pei-Ping*. Abschnitt VIi^«
stehende Geld sofort nach Ankunft in Niutschwang zum Gebrauch
der russischen Truppen gedient haben würde. Daher sei die Berufung
der Reklamanten unbegründet.
2. Die Reklamanten behaupteten:
Neben der Notwendigkeit des zur Verhandlung stehenden
Geldes für die russischen Truppen in Niutschwang habe
es aber auch an Bedürfnis für dasselbe im Handelsbetriebe
Niutschwangs nicht gefehlt. Es sei aber unbillig, dieses
sonstige Bedürfnis gar nicht zu berücksichtigen und, weil
die russischen Truppen Geld bedurft hätten, zu entscheiden,
daß es ihnen geliefert worden wäre.
Das Urteil erster Instanz habe aber nicht lediglich daraufhin,
daß die russischen Truppen das zur Verhandlung stehende Geld nötig
gehabt hätten, so entschieden. Nach den Verhältnissen Niutschwangs
zur Zeit der Einfuhr; nach der Tatsache, daß eine Notwendigkeit, bares
Geld zu senden, nicht vorgelegen habe; und nach verschiedenen son-
stigen Tatsachen sei es schwer anzunehmen, daß die Reklamanten, wie
sie behaupteten, das zur Verhandlung stehende Geld, weil sie es in
ihrem Handelsbetrieb gebraucht hätten, eingeführt hätten. Dagegen
hätten die russischen Truppen in ihrem Geldbedarf Mangel gelitten.
Aus diesen Gründen habe das Urteil erster Instanz geschlossen, daß
das Geld nach AnBunft in Niutschwang zum Gebrauch für die russischen
Truppen geliefert worden wäre. Es habe also nicht, ohne das da-
malige Bedürfnis in Handelskreisen zu berücksichtigen, in willkürlicher
Weise lediglich daraufhin, daß die russischen Truppen Geld nötig ge-
habt hätten, entschieden, daß es zu ihrem Gebrauch dienen würde.
Nach dem Ausgeführten seien die^Behauptungen der Reklamanten
alle unbegründet, und das Urteil erster Instanz zutreffend. Daher sei
die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul in Niutschwang, Segawa, hat berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort
eine Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum
25. Juli 1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamts geführt
habe. Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich
aufgehört und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt
worden. Beim Eindringen unserer Truppen sei die fran-
zösische Flagge aufgezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Gelder aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich anter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
MarBiraiid-Meohlenburg>, Das jApaniBohe Prisenreoht. Band I. (26) 4:U1
Abschnitt VIi>« Piisengerichtsentscheidungen: .Pei-Plng*.
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen «werden, als
ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt wären. 0) Da es demnach
offenbar ist, daß die Tatumstände zu der Annahme berechtigen, daß
auch das zur Verhandlung stehende, von den Reklamanten für die
Einfuhr nach Niutschwang bestimmte Silbergeld zum Kriegsgebrauch
des Feindes gedient haben würde, so muß man sagen, daß es die
Voraussetzungen, welche es zur Konterbande machen, erfüllt.®)
In einem Berichte des obengenannten Kaiserlichen Konsuls heißt
es, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der
Mandschurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in
Gold geleistet habe. Ein oder zwei Jähre später habe sie
daneben Papierrubel benutzt uncj den Chinesen gesagt,
zwischen dem Metall und dem Papier sei kein Unterschied.
Dann habe sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach
und nach das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt.
Im Jahre 1902 sei es dahin gekommen, daß man in der
Mandschurei russisches Goldgeld nur sehr selten in Um-
lauf gesehen habe. Damals habe aber die russisch-chinesische
Bank schon an verschiedenen wichtigen Plätzen Nieder-
lassungen errichtet. In diesen. Banken sei das Papier zum
Tageskurse gegen Silbergeld eingelöst worden, und in der
Mandschurei habe dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs
von 1 Dollar 30 Cents bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld ge-
habt. Als indessen seit Herbst 1903 die Gerüchte über
einen Krieg zwischen Japan und Rußland in Blüte gestanden
hätten, habe es unter den Chinesen geheißen, daß, wenn
nach dem Ausbruch des Krieges die russischen Truppen ein-
mal unterliegen würden, die Papierrubel nicht mehr ge-
wechselt werden könnten und nur noch den Wert von altem
Papier haben würden. Vom November oder Dezember d. J.
bis zum Ausbruch des Krieges im Februar 1904 habe der
Umlauf des Papiergeldes eine starke Abnahme erfahren, und
dasselbe sei von 1 Dollar 30 bis 40 Cents häufig auf 1 Dollar
* 10 Cents gefallen, und nur dank den Bestrebungen der
Niederlassungen der russisch-chinesischen Bank in den ver-
schiedenen Orten, den Kredit des Papiergeldes aufrecht-
zuerhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß sein Umlauf
ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nach-
richten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach
Kaiping und Yingkow kamen, hätten die Chinesen, welche
*) V. § 5. — ö) II. Ziffer 2.
402
Prisengerichtsentscheidungen: ,Pei-Ping'. Abschnitt VII9»
Papierrubel gehabt hätten, darin gewetteifert, diese zu ver-
kaufen. Der Rubel sei damals bis auf 70 oder 30 Cents
gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai Papierrubel
immer zum Tageskurs gegen Silbertaels gewechselt werden
könnten, so hätten die Geldwechsler in Yingkow, wenn das
russische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses aufgekauft,
nach Shanghai geschickt und dort mit ungeheurem Gewinn
wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte sich
die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachrichten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze
nach Yingkow gekommen waren, traf freilich die russisch-chinesische
Bank sorgfältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wiederherzustellen;
es kam aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer
mehr Nachrichten von dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen
Truppen kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr
vermeiden ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein
seinen Kurs verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation
derartig war, daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur Ver-
handlung stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des
Kriegsbedarfs und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne
weiteres verwenden konnten. Daher ist es offenbar, daß chinesisches
Silbergeld zu jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich ge-
worden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine :
Mit der Eröffnung des Krieges zwischen Japan und Rußland
seien unter vielen Chinesen Zweifel über die Einlösbarkeit
der Rubelscheine aufgekommen. Man habe gefürchtet, daß
sie Fälschungen seien, und ihr Kredit sei beeinträchtigt
worden. Auch unter den Russen und den russischen Re-
gierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubelscheine in
Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten könne,
daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn die
Banken in Tientsin sie in die Hände bekommen hätten, so
hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine
Art Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war gelegentlich des Kurssturzes
eine Art Handelsobjekt für Kaufleute, die großen Gewinn erzielen wollten.
(26*) 403
Abschnitt VIi^« Prisengerichtsentscheidungen: .Pel-Plng*.
Daher hat der Rubelschein auch die Requisitionen der russischen Truppen
und die Löhne der Kulis nicht bezahlen können. Aus allem diesen geht
klar hervor, daß die russischen Truppen chinesisches Geld nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Krieges die Hauptprodukte Niutschwangs, Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl, wie auch die Reklamanten behaupten, verhandelt worden
sind, so bestand daneben doch die Tatsache, daß auf der anderen
Seite Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß die russischen Truppen
chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die vermehrten Rubelscheine
billig von den russischen Truppen kaufen und dadurch großen Gewinn
erzielen konnten. Daher stimmt die Behauptung des Reklamanten, daß
das in Streit befangene Silbergeld, weil jener Waren handel in Betrieb
gewesen sei, auf keinem Fall dem Kriegsgebrauch des Feindes gedient
haben würde, nicht mit den Tatsachen überein. Vielmehr ist es natürlich
anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die geschäftlich scharfsinnigen
chinesischen . Kaufleute, vor allem die Bankunternehmer, anstelle ihrer
gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine billig von den Russen kaufen
und, um einen außerordentlichen Profit zu erzielen, die Gefahr eines
solchen Geldimports laufen würden. Das zur Verhandlung stehende
Geld ist durch Vermittlung der Seetransportfirma TängMingChien,
welche eine volle Ladung von Kriegskonterbande heimlich nach
Niutschwang zu befördern beabsichtigt hatte, zugleich mit dieser
Konterbande auf demselben Schiff verladen und befördert worden.
Dazu ist sein Bestimmungsort ein russischer Etappenort und, wie oben
dargetan, bedurften die russischen Truppen solchen Geldes. Daraus muß
geschlossen werden, daß der Zweck der Einfuhr des Geldes der gleiche
gewesen ist wie der der Einfuhr der übrigen Konterbandelad üng, näm-
lich Lieferung zum Gebrauch der russischen Truppen. Demnach ist
es durchaus zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz die Einziehung
des Geldes ausgesprochen hat.
Da Personen, welche Schleichimport treiben, immer genötigt sind,
mit allen Mitteln den Verdacht abzulenken und die Spuren zu verheim-
lichen, so kann die Tatsache, daß man in Shanghai beim Zollamt öffent-
lich die Ausfuhrformalitäten erfüllt hat, nicht als ein Beweis erachtet
werden, welcher geeignet sei, der obigen Annahme entgegenzustehen.
Wenn man die von den Reklamanten angeführten Beweise be-
trachtet, so können sie lediglich zu der Vermutung führen, daß in jedem
Jahre Fälle von Einfuhr kleinen Silbergeldes nach Niutschwang vor-
kommen. Für die Behauptung aber, daß, obgleich eine Gelegenheit,
großen Gewinn zu erzielen, vorhanden war, diese Gelegenheit nicht
berücksichtigt worden sei und das Geld für die alljährlich wieder-
kehrenden Handelszwecke dienen sollte, ist keinerlei Beweis erbracht
worden.
■404
PrissRgeriohtsdntscheidungeii: .Pef-Ping'. Abschnitt VI^^*
Die Reklamanten behaupten, daß es nicht zu bestreiten sei, daß
die Verwendung von Silbergeld sich nicht auf die russische Armee und
Marine beschränke, sondern daß es allgemein im kaufmännischen Ver-
kehr unter den Chinesen verwendbar sei. Was indes das von den
Reklamanten einzuführen beabsichtigte Silbergeld angeht, so ist aus
den Tatumständen die Annahme, daß dasselbe zum Gebrauch der russi-
schen Truppen gedient haben würde, ganz offenbar berechtigt. Das-
selbe kann daher, gerade wie auf Grund derselben Tatumstände der
gleichen Annahme bei Lebensmitteln wie Reis und Weizenmehl nichts
im Wege steht, als Konterbande angesehen werden.
Da ferner der Grund dafür, daß Lebensmittel, Geld usw., wenn
sie nach .feindlichem Gebiet gehen oder zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollen, als Konterbande gelten, der ist, daß man dagegen
ist, daß solche Güter im Ende die Kriegsfähigkeit des Feindes unter-
stützen, so ist die Frage, ob ihr Bestimmungsort ein Kriegshafen oder
Blockadehafen ist, für die Bestimmung, ob ein Konterbandetransport
vorliegt oder nicht, nicht von wesentlicher Bedeutung. Wenn der Be-
stimmungsort ein Kriegshafen oder ein Blockadehafen ist, so liefert das
nur einen Umstand, welcher die Vermutung, daß die dorthin bestimmten
Güter Konterbande sind, erleichtert. Daher ist auch dieser Punkt der
Berufung nicht anzuerkennen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: LiWooChwen,in Firma ShihChangTock,
Regierungsbezirk Päng Lai, Tengchowfu, China.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori shichome Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Pei-Ping'' befindlichen, von
der Firma Kai P i n g C h a n g an die Firma Shi Chiang Tock
versandten 6 Kisten mexikanischer Dollars werden eingezogen.
405
Abschnitt Vli^a Prisengerichtsentscheidungen : •Pei-Ping*«
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 6 Kisten mexikanische Dollars
sind kleines chinesisches Silbergeld. Sie wurden in Shanghai, China,
von dem Transportgeschäft Kai Fing Chang auf dem chinesischen
Dampfer „Pei-Ping" verladen und am 15. Juli 1904 an die Firma Shi
Chang Tock in Niutschwang abgesandt. Als am 17. d. M, das
Kaiserliche Kriegsschiff „Hongkong Maru" den Dampfer „Pei-Ping"
wegen Konterbandetransports etwa 10 Seemeilen nordöstlich von Wei-
haiwei in China aufbrachte, wurden auch die zur Verhandlung stehenden
Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur See
Iwamuro Tetsujiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
A. Mactaggart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des 1.
Offiziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant betreibe in Niutschwang ein Bankgeschäft. Er
habe das zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen lassen
wollen, weil zu der Zeit in Niutschwang die Handelsverhältnisse zu
einem einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil die Zeit zum
Einkauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen gewesen
sei, so daß Umlaufkapital nötig gewesen sei. Ferner sei der Kurs für
Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich gewesen, so daß
der Reklamant durch die Einfuhr von Metallgeld einen Gewinn zu er-
zielen erhofft habe.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht für die russische
Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch nicht zu ihrem
Gebrauch geliefert werden sollen. Daher sei es keine Konterbande und
müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweise der vorstehenden Tatsachen ver-
schiedene Beweisdokumente eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer Ankunft
in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient haben.
Sie seien daher Kriegskonterbande und müßten eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt worden sind, so kann je nach den
Umständen angenommen werden, daß sie zum Gebrauch dieser Truppen
dienen werden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
406
Prisengerichtsentscheidunyen : „Pei-Ping'S Abschnitt VI ^^ f
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das russische
Kriegspapiergeld durch die andauernden Niederlagen der russischen
Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt, daß
chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld wie das zur Ver-
handlung stehende Silbergeld stark benötigt wurde, um der täglichen
Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden, daß
das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in Niutschwang
sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden wäre.
Es wird demnach als Kriegskonterbande angesehen, i) und weder die
Ausführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm ein-
gereichten verschiedenen Beweisdokumente sind imstande, diese An-
nahme umzustürzen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1.904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der chinesische Staatsangehörige LiWooChwen,
in Firma ShiChangTock,aus China, Provinz Shantung, Regierungs-
bezirk Tengchow, Päng Lai.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Takagi Toyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho ichome Nr. 3 und Sakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori, shichome Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo In der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37o 35' n. Br. und 122 0 23' ö.L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des Dampfers
„Pei-Ping"' befindlichen, von der Firma Kai Ping Chiang an die
Firma Shi Chang Tock abgesandten 6 Kisten mexikanischer Dollars
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der chinesische Staats-
angehörige Li Woo Chwen, in Firma Shi Chang Tock, durch
die Rechtsanwälte Takagi Toyozo und Sakurai Ikkyu als Pro-
zeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. IshiwatariBinichi beim Ober-
prisengericht geprüft worden ist.
») II. Ziffer 2. — «) V. § 43.
407
Abschnitt VI*«! Piisengeiichtsentschaidungen: „Pei-Ping**.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation, Ta kagi
Toyözo und Sakurai Ikkyu, sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht zu Sasebo erlassenen Urteils auf Einziehung der auf dem chinesi-
schen Dampfer „Pei-Ping" verschifften 6 Kisten mexikanischer Dollars
und Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
(Das Folgende ist identisch mit dem korrespondierenden Teil
des Urteils des Oberprisengerichts in der Reklamation der
Firma Yu Shang Chiang. VI. 19e.)
Reklamant: Der chinesische Staatsangehörige WooWenTien^
in Firma Ching Tai Fung, aus der Provinz Shansi, Regierungs-
bezirk Tai Kuh, Tai Yuen, China.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sakurai Ikkyu, Regierungs-
bezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori Nr. 54.
In der Prisensache betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die unter der Ladung des Dampfers „Pei-Ping" befindlichen, von
der Firma Shang Fa Yun versandten 10 Kisten kleines Silbergeld
werden, eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 10 Kisten kleines Silbergeld wurden
in Shanghai, China, von dem Transportgeschäft Shang Fa Yun auf
den chinesischen Dampfer „Pei-Ping" verladen und am 15. Juli 1904
nach Niutschwang in China abgesandt. Als am 17. d. M. das Kaiser-
liche Kriegsschiff „Hongkong Maru" den Dampfer „Pei-Ping" wegen
Konterbandetransports etwa 10 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwei
in China aufbrachte, wurden auch die zur Verhandlung stehenden
Güter mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des-
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur
See, Iwamuro Tetsujiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapi-
täns A. Mactaggart, des Kompradors Cheong Sow Wing, des
1. Offiziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant betreibe in Niutschwang ein Bankgeschäft. Er habe
408
Prisengerichtsentscheidongen: „Pei-Ping". Abschnitt VIi^i
das zur Verhandlung stehende Geld von Shanghai kommen lassen,
weil zu der Zeit in Niutschwang die Handelsverhältnisse zu einem
einseitigen Wechselverkehr geneigt hätten und weil die Zeit zum Ein-
kauf von Bohnen, Bohnenkuchen und Bohnenöl gekommen gewesen
sei, so daß Umlaufskapital nötig gewesen sei. Ferner sei der Kurs
für Papiergeld und für kleines Silbergeld sehr ungleich gewesen, so
daß der Reklamant durch Einfuhr von Metallgeld einen Gewinn zu
erzielen erhofft habe.
Das zur Verhandlung stehende Geld sei nicht für die russische
Armee oder Marine bestimmt gewesen und habe auch nicht zu ihrem
Gebrauch geliefert werden sollen. Daher sei es keine Konterbande
und müsse freigegeben werden.
Der Reklamant hat zum Beweise der vorstehenden Tatsachen ver-
schiedene Beweisdokumente eingereicht.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter würden nach ihrer An-
kunft in Niutschwang zum Gebrauch der russischen Truppen gedient
haben. Daher seien sie Kriegskonterbande und müßten eingezogen
werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel oder Geld nach einem von den feindlichen
Truppen besetzten Hafen versandt werden, so kann je nach den Um-
ständen angenommen werden, daß dieselben zum Gebrauch dieser
Truppen dienen würden.
Niutschwang war zur fraglichen Zeit von den russischen Truppen
besetzt und diente als ein Hauptetappenort. Außerdem hatte das russi-
sche Kriegspapiergeld durch die andauernden Niederlagen der russi-
schen Armee und Marine sehr an Kredit verloren, und es ist bekannt,
daß chinesisches Metallgeld, insbesondere kleines Geld, wie das zur
Verhandlung stehende Silbergeld, stark benötigt wurde, um der täg-
lichen Nachfrage zu entsprechen. Es muß daher angenommen werden,
daß das zur Verhandlung stehende Silbergeld nach Ankunft in NiU'
tschwang sofort zum Gebrauch der genannten Truppen geliefert worden
wäre. Es wird demnach als Kriegskonterbande angesehen, ^) und weder
die Ausführungen des Vertreters der Reklamation noch die von ihm
eingereichten verschiedenen Beweisdokumente sind imstande, diese An*
nähme umzustoßen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. 2)
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
*) II Ziffer 2. — 2) y. § 43.
409
Abschnitt Hl^^ Prisengerichtsentspheidungen: „Pei-Ping".
Reklamant: Der chinesische Staatsangehörige Woo Wen
Tien, in Firma Ching Tai Fung, aus China. Provinz Shansi,
Regierungsbezirk Taiyuen, Tai Kuh.
ProzeBvertreter : Die Rechtsanwälte TakagiToyozo, Tokio,
Kojimachiku, Uchisaiwaicho shichome Nr. 3 undSakurai Ikkyu, Re-
gierungsbezirk Hiogo, Kobe, Kitanagasadori shichome Nr. 54.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37^ 35' n. Br. und 122« 35' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des Dampfers
„Pei-Ping'' befindlichen, von der Firma, Shan Fah Yun versandten
10 Kisten kleinen Silbergeldes erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant Woo Wen Tien, in
Firma Ching Tai Fung, durch die Rechtsanwälte Takagi Toyozo
und Sakurai Ikkyu als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation, Takagi
Toyozo und Sakurai Ikkyu, sind folgende:
Es werde Aufhebung des am 17. Dezember 1904 von dem Prisen-
gericht in Sasebo abgegebenen Urteils auf Einziehung der auf dem
chinesischen Dampfer „Pei-Ping'' verschifften 10 Kisten kleinen Silber-
geldes und Freigabe derselben beantragt und zwar aus folgenden
Gründen :
(Das Folgende ist identisch mit dem korrespondierenden Teil
des Urteils des Oberprisengerichts in der Reklamation der
Firma Yu S hang C hang. VL 19 e.)
Reklamanten:' Die chinesischen Staatsangehörigen Tang Ming
C h i e n , Chef der Firmen Kai PingChiang und ShangFaYun,
in Shanghai, China, Kiangsi Road Nr. 94, und Yue Foong Tack,
Yuen Ching Dah, Yuen Chang Kung, Yu Chang Wo,
Fung Shun Yung, Yuen Fang, Wai Fah Hua, Ching Ta
Foong, Shi Cheang Tack, Dong Shun Shing, Chi Chi,
San Shun Ta, Shing Chang Yüng, Teng Ha Tong, Shing
Woo Cheang, sämtlich wohnhaft in Shanghai, China.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Nagasaki, Hira-
domachi Nr. 18.
410
frisengeiichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VIi^»
In der Prisensache, betreffend Ladung des chinesischen Dampfers
„Pei-Ping", wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Pei-Ping" verladenen, in dem beigefügten
Verzeichnis aufgeführten Güter werden sämtlich eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind in Shanghai, China,
auf dem chinesischen Dampfer „Pei-Ping" verladen. Am 15. Juli 1904
wurden sie", wie in dem beigefügten Ladungsverzeichnis angegeben, nach
den chinesischen Häfen Niutschwang, Tientsin und Chinwantao ab-
gesandt. Als am 17. d. M., 10 Uhr vormittags, das Kaiserliche Kriegs-
schiff „Hongkong Maru" den Dampfer „Pei-Ping" wegen Konterbande-
transports etwa 10 Seemeilen nordöstlich von Weihaiwei in China auf-
brachte, wurden auch die zur Verhandlung stehenden Güter mit Be-
schlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru", Leutnants zur
See, IwamuroTetsujiro, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
A. Mac taggart., des Kompradors Cheong Sow Wing, des
L Offiziers H. C. Atkinson, die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Die nach Niutschwang bestimmten zur Verhandlung stehenden
Güter, welche, unter Ziffer 2 der Instruktion des Marineministeriums
Nr. 1 vom Jahre 1904^) fielen, wie Reis, Weizenmehl, Tee, Zucker und
Silbergeld, könnten erst als Konterbande gelten, wenn sie entweder an
die feindliche Armee oder Marine bestimmt seien oder angenommen
werden müsse, daß sie zu deren Gebrauch dienen würden. Was aber
die Art der zur Verhandlung stehenden Güter angehe, so hätten
verschiedene einzelne Kaufleute, die auch selbst die Empfänger seien,
sie einem Spediteur zur Beförderung übergeben. Es sei daher offenbar,
daß sie nicht an die feindliche Armee und Marine bestimmt gewesen
seien.
Ferner hätten die Ladungseigentümer und der Reeder zunächst bei
dem chinesischen Zollamt angefragt und die Güter erst verschifft, als
sie die das Beweisstück A 1 bildende Antwort erhalten hätten, daß
Reis, Weizenmehl, Zucker, Silbergeld usw. nur, wenn sie an die krieg-
führenden Staaten geliefert werden sollten, Konterbande seien. Das
sei mehr als ausreichend für die Vermutung, daß die Absicht, sie an
411
Abschnitt VII»*
Prisengeiichtsentscheidungen : „Pel-Ping^.
den Feind zum Kriegsgebrauch zu liefern, nicht bestanden habe. Über-
dies gehe es aus Beweisstück A 6 hervor, daß derartige Güter gewöhnlich
in Niutschwang sehr in Nachfrage stünden, so daß sie regelmäßig von
Shanghai eingeführt würden.
Des weiteren täten die Beweisstücke A 2 bis 4 dar, daß die Ladungs-
eigentümer, welche alle in Niutschwang ihr Hauptgeschäft oder Filialen
hätten, die Güter als gewöhnliche Handelsobjekte dorthin versandt hätten.
Es sei daher unbillig, anzunehmen, daß sie zum Gebrauch des Feindes
hätten dienen sollen.
Tientsin und Chinwantao seien neutrale Häfen, die zu diesem
Kriege nicht in der geringsten Beziehung stünden. Die cforthin be-
stimmten Güter seien daher keine Kriegskonterbande und müßten mit
Recht freigegeben werden.
Die Reklamanten seien die Eigentümer der in dem beigefügten
Verzeichnis unter folgenden Nummern aufgeführten Güter und be-
antragten deren Freigabe:
Yuen Shang Kun
Yuen Shing Dah
Yuen Fang
Shing Chang Ying
Yue Foong Tack
Fung Sh un Yung
Shi Cheang Tack
Yu Chan Wo
Ching Ta Foong
Dong Shun Shing
Teng Ha Tong
ShingWoo Cheang
Nan Sh un Ta
Chi Chi und Wai Fah
Tang Ming Chien sei freilich nicht Eigentümer irgendwelcher
der zur Verhandlung stehenden Güter. Er betreibe aber unter der Firma
KaiPingChang und ShangFayun Seetransportgeschäfte, und da
er den Transport der zur Verhandlung stehenden Güter übernommen,
habe und im Falle der Einziehung derselben Schaden erleiden müsse,
so habe er mit den anderen Reklamanten zusammen die Reklamation
erhoben und beantrage die Freigabe sämtlicher Güter.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Von den nach Niutschwang gehenden Gütern seien die in dem
beigefügten Verzeichnis unter den Nummern 9 bis 12, 15, 16, 18 bis
90 aufgeführten Güter einzuziehen und die unter den Nummern 13,
14 und 17 aufgeführten sowie die nach Chinwantao und Tientsin be-
stimmten Güter freizugeben.
412
Nummer
85,
n
89,
tt
90,
f
83,
iJ
84,
f
82,
t
f
f
88,
81,
16,
13,
18—24,
25 79,
80,
Hua
Nummer 14 und 17.
Prisengeiichtsentscheidungeii; „Pei-Ping''. Abschnitt VI»^
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Niutschwang zur Zeit der in Frage stehenden
Aufbringung von den russischen Truppen besetztes, daher feindliches
Gebiet war.«)
Da das in dem beigefügten Verzeichnis unter den nach Niutschwang
bestimmten Gütern aufgeführte Eisen und die Eisenwaren Güter sind,
welche als Material zum Bau und zur Ausrüstung von Kriegsschiffen
dienen können, so ist es unbestreitbar, daß sie, weil nach dem feind-
lichen Niutschwang bestimmt, Konterbande sind. *) Daher sind die Güter
unter Nummer 23 und 24 einzuziehen.^)
Was ferner die Lebensmittel, wie Weizenmehl und Getränke, an-
geht,^) so sind sie alle Artikel, wie sie bei Europäern und Amerikanern
in Nachfrage stehen. Zur fraglichen Zeit ist aber die Zahl der in
Niutschwang ansässigen gewöhnlichen Europäer und Amerikaner sehr
gering gewesen, wogegen russische Truppen dort in großer Zahl lagen.
Auch war Niutschwang zu der Zeit ein Hauptetappenort der russischen
Truppen. Wenn man alles dies in Erwägung zieht, ist es ganz klar,
daß die große Menge von Lebensmitteln und Getränken zum Kriegs-
gebrauch des Feindes gedient haben würde.
Auch bezüglich des Geldes, s) welches die russischen Truppen bei
der damaligen Lage für die Kriegsführung am allernötigsten hatten,
kann es nicht bezweifelt werden, daß auch dieses dem Feinde zum
Kriegsgebrauch geliefert worden sein würde.
Die mit Konnossementen, welche auf den Inhaber als Empfänger
lauten, ohne Zweifel, aber auch die an die im beiliegenden Verzeichnis
aufgeführten Empfänger bestimmten Güter sind daher tatsächlich alle
als für den Gebrauch der russischen Truppen zu liefern, d. h. als
Konterbande anzusehen.
Demnach sind die in dem beigefügten Verzeichnis unter Nummer
15, 16, 18 bis 22, 25 bis 33 und 35 bis 90 verzeichneten Güter ein-
zuziehen. *)
Die unter Nummer 9 bis 14 und 17 bis 34 verzeichneten Güter
sind freilich keine Konterbande, gehören aber dem Konterbandeeigen-
tümer Tang Ming Chien und können daher der Einziehung nicht
entgehen. *) Freilich behaupten die Vertreter der Reklamation auf Grund
des Beweisstückes A4, daß die Güter anderen Reklamanten wie Tang
Ming Chien gehören ; dieses Beweisstück hat aber Tang Ming
Chien erst nach Entstehen der vorliegenden Sache hergestellt, und
da sonst keine Beweise vorliegen, welche die dort verzeichneten Tat-
sachen bekräftigen könnten, so ist demselben nicht ohne weiteres Glauben
zu schenken.
Die übrigen von den Vertretern der Reklamation eingereichten
•) V. § 5. — •) II. Ziffer 1. — ♦) V. § 43. *) II. Ziffer 2.
413
Abschnitt VI 9»»
Prisengerichtsentscheidungen : „Pei-Ping^
Beweisdokumente sind alle nicht geeignet, um zu beweisen, daß die
oben genannten Güter keine Konterbande sind.
Tientsin und Chinwantao sind kein feindliches Gebiet, so daß
die dorthin bestimmten Güter, gegen welche in diesem Falle ein Beweis
dafür, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten,
nicht vorliegt, nicht als Konterbande bezeichnet werden können. Der
Absender der nach diesen beiden Plätzen bestimmten, in dem beigefügten
Verzeichnis aufgeführten Güter ist aber Tang Ming Chien und
die Konnossemente bezeichnen als Empfänger den Inhaber. Daher sind
die Güter alle als im Eigentum TängMingChien's stehend zu be-
trachten; d. h. sie gehören dem Eigentümer der oben genannten Kriegs-
konterbande. Es ist aber rechtens, daß Güter, welche einem Eigen-
tümer von Konterbande gehören, wenn sie auf demselben Schiff wie
diese sind, gleichviel ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt sind oder
nicht, eingezogen werden. Demnach sind die in dem beigefügten Ver-
zeichnis unter Nummer 91 bis 105 und 111 bis 123 aufgeführten
Güter alle einzuziehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. Dezember 1904 im Prisengericht zu Sasebo
im Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Verzeichnis der auf dem Dampfer „Pci-Plng" verschifften Qfiter.
Nr. des
Ladungs-
vor-
zeicbnisses
Art der Güter
Zahl
der
Kolli
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
9
Graues Bombay-
Baumwollen-
garn ....
25
Shang Fah
Yun
Shanghai
Inhaber
Niutschwang
10
n
47
n
>»
n
. 11
n
3
n
„
»
12
n
20
n
»
n
13
Nanking-Stoffe .
100
p
n
1»
14
n
50
ff
n
n
15
Kleines Silbergeld
5
n
»
n
16
f>
10
n
»
n
17
Zigaretten . . .
35
n
n
I»
18
Rotwein . . .
5
n
n
n
19
Lebensmittel . .
1
I»
n
n
20
Kohlensaures
«
Wasser . . .
20
»
»
n
n
21
Stärkemehl . .
1
n
n
„
n
22
Butter ....
10
n
»
„
n
23
Eisen ....
1
n
„
n
n
24
Eisenwaren . .
1
n
n
n
n
414
Prisengerichtsentscheidungen : „Pei-Ping".
Abschnitt VI '9»»
Nr. des
Ladnngs-
ver-
leicbnisaes
Art der Güter
Zahl
der
Kolli
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
25
Gin
50
Shang Fah
Yun
Shanghai
Inhaber
Niutschwang
26
Liköre . . . .
20
»
n
n
ff
27
Zuckv . . . .
10
»
n
»
ff
28
Gesalzenes Rind-
fleisch . . .
40
n
n
»
ff
29
Rotwein . . .
10
n
J»
n
fi
30
Lebensmittel . .
4
n
f»
n
»
31
Branntwein . .
170
n
n
n
ff
32
Vermouth . . .
10
n
n
n
ff
33
Geräucherte
Schinken .~ .
11
n
n
ff
ff
34
Spielkarten . .
1
n
n
n
f»
35
Bier
50
1»
it
fi
f»
36
Tomaten . . .
20
»
n
ff
t»
37
Marmeladen . .
2
f>
n
ff
ff
38
Lachs . . . .
10
n
n
»
ff
39
Rindszunge . .
1
n
n
ff
ff
40
Tomaten . . .
10
n
n
ff
f»
41
Kochsalz . . .
20
n
n
»
ff
42
Schokolade . .
1
n
n
n
f»
43
Butter . . . .
2
•
n
»
fi
fi
44
Milch . . . .
10
n
n
ff
ff
45
Schwarzer Tee .
35
n
n
fi
ff
46
Lebertran . . .
2
n
n
ff
if
47
Lebensmittel . .
2
n
n
ff
fi
48
1» • •
3
n
n
ff
ff
49
Sardinen . . .
10
n
»
ff
ff
50
Whisky. . . .
15
n
1»
ff
ff
51
Rotwein . . .
1
n
11
»
ff
52
Gin
10
1»
n
fi
ff
53
Old Tom Gin .
6
n
n
fi
ff
54
Likörs ....
8
ft
n
f».
ff
55
» ...
30
n
n
ff
ff
56
Rotwein . . .
10
»
n
ff
ff
57
Bier . . . . .
20
n
»
ff
ff
58
J»
60
n
n
ff
n
59
Gesalzenes Rind-
fleiscli . . .
3
n
»
ff
ff
60
Marmelade . .
2
1»
n
ff
ff
61
n • •
5
ft
n
fi
ff
62
Alkoholische Ge-
tränke . . .
1
»
n
ff
ff
63
Biskuits . . .
1
n
n
f»
ff
64
Stärkemehl . .
2
»
n
ff
ff
65
Käse . . . .
1
1»
n
fi
ff
66
Obst
5
»
»
ff
ff
67
Ananas ....
2
1»
n
ff
n
68
Zucker ....
10
n
it
ff
1
f»
415
Abschnitt VI»*
PrisennerichtsentschelduiHien :
„Pel-Ping**.
Nr. des
Ladungs-
ver-
zeichnisses
Art der Güter
Zitbl
der
Kolli
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
69
PfeffennOnz . .
6
Shang Fah
Yun
Shanghai
Inhaber
Niutschwang
70
Whisky ....
5
n
n
•
71
Rum
3
n
n
n
72
Likörs ....
4
n
n
n
73
Gin ......
15
n
»
m
74
Likörs ....
5
n
II
n
75
Ger. Schinken .
3
f»
n
n
76
Bier
50
y>
n
n
77
schwarzer Tee .
2
n
n
m
78
Lachs ....
3
n
n
m
79
Ess's ....
10
n
n
n
80
Reis
94
Nan Shun
Ta
n
Nan Shun
Ta
n
81
Weizenmehl . .
1000
Kai Fing
Chiang
n
Yu Chan
Wo
»
82
1» • •
500
M
n
Fun Shun
Yung
n
83
f» • •
100
n
•
f»
Shin Chang
Yün
»
84
n
2000
n
fi
Yue Foong
Tack
m
85
1» • •
1000
n
n
Yuen Chang
Kun
m
86
Mexikan. Dollars
2
n
1)
Yu Shung
Yuen
n
87
n
8
7f
m
Ching Yu
»
88
n
6
n
n
Shi Cheang
Tack
n
89
Reis
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1»
n
Yuen Ching
Dah
n
90
n
150
j*
n
Yuen Fang
1»
91
Amerikan. graue
Shang Fah
Inhaber
Chinwantao
Bettdecken . .
5
Yun
rt
yt
1»
92
Japanisches graues
Baumwollengarn
13
n
n
n
n
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10
n
V
»
*
94
n
10
n
n
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n
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»
15
n
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1»
n
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Bombay-Baum-
woUengam . .
30
n
n
9
n
97
Japan. Baum-
wollengam . .
20
n
1»
1»
ff
98
»
5
yt
n
»
m
99
»»
5
1»
n
f»
n
100
rt
2
m
n
n
n
101
Graues amerikan.
Baumwollenge-
webe ....
5
n
»
»
n
416
Prlaengertchtsentscheidungen: .Pei-Ping*.
Abschnitt VI»*
Nr. des
LadaDgs-
Ter-
zeiohnisses
Art der Güter
Zahl
der
Koni
Absender
Lade-
ort
Emp-
fänger
Bestim-
mungsort
102
Jap9n. graues
BaamwoUengam
25
Shang Fah
Yun
Shanghai
Inhaber
Chinwantao
103
Bombay-Baum-
woUengam . .
10
n
«
»
n
104
n
10
n
n
1»
»
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Reis
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n
n
n
f»
111
Englische graue
Bettdecken . .
3
n
n
fi
Tientsin
112
Graues Bombay-
Baumwollengarn
10
n
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n
113
»
10
n
n
n
n
114
n
14
n
ft
n
n
115
»
5
»
n
n
n
116
Amerikan. graue
Bettdecken . .
24
n
n
n
n
117
Englische graue
Bettdecken . .
3
n
n
n
n
118
Amerikan. graue
Bettdecken . .
50
f*
r»
n
n
119
n
10
n
n
n
n
120
n
10
»
1»
n
n
121
Italienisch. Baum-
wollenstoff . .
3
n
»
n
n
122
Seidenstoff . .
1
n
n
n
n
123
n •
1
n
n
n
n
Reklamanten: TängMingChien, Chef der Firmen K a i P i n g
Chang und Shang Fa Yun in Shanghai, China, Kiangsi Road
Nr. 94, und Yue FoongTack, Yuen ChingDah, Yuen Chan
Kung, Yu Chan Wo, Fung Shun Yung, Yuen Fang, Wai
Fah Hua,ChingTaFoong,ShiCheangTack, DongShun
Shing, Chi Chi, N an Shun Ta, ShingChangYüng, Teng
Ha Tong, Shing Woo Cheang, sämtlich wohnhaft in Shang-
hai, China.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Suzuki Jubi, Tokio,
Kyobashiku, Kagacho Nr. 8 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
Am 17. Dezember 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend Ladung des Dampfers „Pei-Ping", welcher am
17. Juli 1904 auf 37^ 35' n. Br. und 122 « 23' ö.L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht worden ist, ein Ur-
teil gefällt, in welchem auf Einziehung der unter der Ladung des
Dampfers „Pei-Ping'' befindlichen, in dem dem Urteil beigefügten Ver-
zeichnis aufgeführten Güter erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Tang MingChien und 13 andere Re-
Marstrand-Meohlenburg, Das japanische Prisenreoht. Band I. (27)
417
Abschnitt VI Mh Prisengeiichtsentscheidungen : .Pei-Ping*«
klamanten durch die Rechtsanwälte Suzuki Jubi und Hatakeyama
Shigeaki als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche im Bei-
sein des Staatsanwalts Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Ober-
prisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation, Suzuki
Jubi und Hatakeyama Shigeaki, sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils des Prisengerichts zu Sasebo und
Freigabe der in dem der Reklamationsschrift beigefügten Verzeichnis
aufgeführten Güter beantragt, und zwar aus folgenden Gründen: • f
Von den Reklamanten betreibe der chinesische Kaufmann Tang
M i n g C h i e n mit den beiden ihm gehörigen Firmen KaiPingChang
und Shang Fa Yun ein Transportgeschäft. Die übrigen 13 Rekla-
manten seien alle Eigentümer der zur Verhandlung stehenden Güter.
Wie aus Beweisstück A 4 hervorgehe, gehörten die aufgebrachten Güter
freilich nicht den Firmen Kai Ping Chiang und Shang Fa
Yun, sondern den anderen chinesischen und ausländischen Kauf-
leuten, und Tang Ming Chien habe lediglich ihren Transport über-
nommen. Da er aber im Falle der Einziehung Schaden erleiden müsse,
so habe er zusammen mit den Eigentümern eine Reklamationsschrift
eingereicht und die Freigabe aller Güter beantragt.
Nun seien unter den zur Verhandlung stehenden Gütern zwei ganz
getrennte Klassen vorhanden. Die einen seien nach Niutschwang be-
stimmt, die anderen nach Tientsin und Chinwantao.
Die Arten der ersten Klasse seien freilich sehr zahlreich, in der
Hauptsache handele es sich aber um Reis, Weizenmehl, Tee, Zucker,,
Bauholz und Silbergeld. Diese seien Konterbande nur, wenn sie für
die feindliche Armee oder Marine bestimmt seien oder angenommen
werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder
Marine geliefert werden sollten. Da aber die Güter von verschiedenen
einzelnen Kaufleuten einem Transportgeschäft zur Beförderung über-
geben und diese Kaufleute selbst die Empfänger seien, so seien sie nicht
an die feindliche Armee oder Marine bestimmt gewesen. Das lasse
sich auch aus dem Urteil über den Dampfer „Pei-Ping" entnehmen.«}
Was des weiteren die Frage angehe, ob die Güter für den Ge-
brauch der feindlichen Armee oder Marine hätten geliefert werden
sollen, so beförderten die Ladungseigentümer und Reeder gewöhnlich
solche Güter als Handelswaren nach Niutschwang und betrieben dieses-
Geschäft schon seit lange. Da zu der fraglichen Zeit gerade Krieg
bestanden habe, so hätten die Reklamanten, um sicher zu sein, daß
sie die Pflichten neutraler Staatsangehöriger nicht verletzten, ausdrück-
lich sich bei der chinesischen Zöllbehörde erkundigt und, wie sich aus
Beweisstück A 1 ergebe, die Antwort erhalten, daß Reis, Weizenmehl^
«} VI. 19 a.
418
Prisengerichtsentscheidungen: .Pei-Ping*. Abschnitt Vl^ii
Zucker, Petroleum und Silbergeld keine Konterbande seien, wenn sie
nicht zum Gebrauch der kriegführenden Mächte geliefert werden sollten.
Erst danach seien die Güter versandt worden. Wenn die Ladungs-
eigentümer von Anfang an den Zweck verfolgt hätten, sie zum Ge-
brauch einer der kriegführenden Mächte zu liefern, so liege. kein Grund
vor, weshalb sie eine solche Anfrage hätten machen sollen.
Wie aus Beweisstück A6 ersichtlich, sei in Niutschwang gewöhn-
lich sehr große und allgemeine Nachfrage nach solchen Gütern, und
sie würden daher von Shanghai und anderen Plätzen eingeführt.
Da ferner die verschiedenen Ladungseigentümer alle in Niu-
tschwang Haupt- oder Zweiggeschäfte besäßen, so hätten sie die Güter,
wie aus den Beweisstücken A2 bis 4 hervorgehe, als Handelsobjekte
dorthin befördern lassen. In Anbetracht dessen, daß sie Waren gleicher
Art schon mehrere Jahrzehnte lang eingeführt hätten und die Zahl
der Güter auch gering sei, so sei es eine unbillige Härte anzunehmen,
daß sie zum Gebrauch des Feindes geliefert werden sollten.
Nach den Ladescheinen zu urteilen, gehörten die meisten der zur
Verhandlung stehenden Güter Kai Ping Chang und Shang Fa
Y u n , und das könne zu dem Verdacht Anlaß geben, daß so viele Güter,
welche von derselben Firma befördert würden, zum Gebrauch der
feindlichen Truppen geliefert werden sollten. Da aber der Chef der
genannten Firma, Tang Ming Chien, ein Transportgeschäft be-
treibe, so seien die Güter nur unter seinem Namen verladen worden
und es werde durch die oben genannten Beweisstücke dargetan, daß
sie alle anderen Kaufleuten gehörten. Nach alter kaufmännischer
Handelsusance in Shanghai übergäben Kaufleute, welche ihre Güter
nach einem anderen Hafen verschicken wollten, diese meistens gänz-
lich einem Transportgeschäft. Leute wie Tang Ming Chien zahlten
jährlich mehrere hunderttausend Taels Fracht an die Reeder und in den
letzten zehn Jahren seien an Fracht über 4 Millionen Taels von ihm
bezahlt worden. Wenn man dies erwäge, so könne man daraufhin,
daß die meisten Güter auf dem Namen Tang Ming Chien stünden,
nicht schließen, daß sie Konterbande seien.
Wenn auch einige der aufgebrachten Güter sich in der Zoll-
statistik nicht fänden, so sei der Grund der, daß kleine Mengen von
Lebensmitteln zum Gebrauch von Speisewirtschaften oder gewöhnlichen
Konsumenten nicht besonders in der Zollstatistik eingetragen seien, son-
dern alle zusammen unter die Rubrik „Verschiedene Waren'' eingestellt
seien. Wenn auch in der Art der Güter bezüglich ihrer Farbe und
ihrer Herkunft einige wenige Verschiedenheiten vorhanden seien, so
seien doch die Warengattungen durchweg dieselben.
In dem Urteil erster Instanz heiße es:
(27*) 419
Abschnitt VI^ii Prisengeiichtsentscheidungen: .Pei-Ping*.
Da das unter den nach Niutschwang bestimmten Gütern
aufgeführte Eisen und die Eisenwaren Güter seien, welche
als Material zum Bau und zur Ausrüstung von Kriegs- oder
anderen Schiffen dienen könnten, so sei es unbestreitbar,
daß sie, weil nach dem feindlichen Niutschwang bestimmt,
Konterbande seien.
Man könne aber nicht behaupten, daß alles Eisen und alle Eisen-
waren als Material zum Bau usw. von Kriegs- oder anderen Schiffen
geliefert werden müßten. Außerdem seien die von dieser Entscheidung
betroffenen Güter nur ein einziges Kollo, so daß man sie kaum als
solches Material betrachten dürfe.
Ferner habe das Urteil angenommen, daß
es ganz offenbar sei, daß die Lebensmittel und Getränke,
wie Weizenmehl und Spirituosen alle zum Kriegs-
gebrauch des Feindes gedient haben würden.
Weizenmehl und Spirituosen dienten indessen nicht notwendiger-
weise ausschließlich zum Gebrauch von Europäern und Amerikanern,
sondern stünden auch bei Chinesen sehr in Nachfrage. Man könne
daher nicht mit der Begründung, daß in Niutschwang nur wenige
Europäer und Amerikaner lebten, entscheiden, daß diese Güter dem
Feinde zum Kriegsgebrauch hätten geliefert werden sollen.
Was ferner besonders den Reis angehe, so sei er das wesent-
lichste Lebensmittel der Chinesen, wogegen Europäer und Amerikaner
ihn zu ihrer Nahrung nicht verwendeten.
Was des weiteren das Geld angehe, so würde es, wie man sich
auch immer vorstellen möge, daß es an die Russen zu ihrem Be-
darf habe geliefert werden sollen, doch sicher nicht ohne Gegenvergütung
geliefert worden sein. Da aber die russischen Truppen keine Sachen
gehabt hätten, die sie als Vergütung hätten leisten können, so sei es
falsch anzunehmen, daß das Geld dem Feind zum Gebrauch habe ge-
liefert werden sollen.
Das Urteil habe bezüglich eines Teils der Ladung entschieden,
daß die Güter einzuziehen seien, weil sie einem Eigentümer von Konter-
bande gehörten. Da aber, wie dargetan, der größte Teil derselben keine
Kriegskonterbande sei, so müsse das Urteil in diesem Punkte natürlich
anders ausfallen.
Die nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter gingen nach
durchaus neutralen Bestimmungshäfen und seien daher keine Konter-
bande. Wenn trotzdem das Gericht erster Instanz sie für Konterbande
erklärt habe, so sei das vielleicht auf Grund der Vermutung geschehen,
daß die Güter der Firma Tang Ming Chien's den größten Teil
ausgemacht hätten und daß ihre Bestimmung nach Tientsin und Chin-
wantao nur ein Vorwand gewesen sei und sie in Wirklichkeit in Niu-
420
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping". Abschnitt VI*h
tschwang hätten gelöscht werden sollen. Es sei aber bereits erörtert
worden, daß dieser Verdacht die Eigentümer ohne Grund treffe. Da
femer die verschiedenen Ladungseigentümer in Tientsin und Chinwantao
ihre Hauptgeschäfte oder Filialen hätten, so müsse man nach Beweisstück
A 4 vermuten, daß sie nicht in anderen Häfen hätten gelandet werden
sollen. Sie für Konterbande zu erklären, sei falsch, und zwar aus fol-
genden Gründen :
1. Der „Eigentümer von Konterbandegütern'', von dem der § 43
der Seeprisenordnung') in den Worten
Kriegskonterbandegüter und die dem Eigentümer derselben
gehörigen Güter werden eingezogen
spreche, bedeute den Eigentümer absoluter Kriegskonterbande und
schließe nicht den Eigentümer von Gütern ein, die in gewissen Fällen
Konterbande seien. Denn die Einziehung von Nichtkonterbandegütern,
welche einem Eigentümer von Konterbande gehorten, sei die Strafe
für den Transport der Konterbandegüter. Im Falle eines Transports
absoluter Konterbande könne vermutet werden, daß der Eigentümer
derselben einer der kriegführenden Parteien habe nützen wollen; daher
bestehe ihm gegenüber Grund zur Bestrafung. Bei bedingter Konter-
bande aber richte sich die Entscheidung über Einziehung oder Frei-
gabe der Güter lediglich nach der Annahme des betreffenden Staates,
so daß die gleiche Vermutung, wie oben, nicht Platz greife und ein
Grund zur Bestrafung nicht vorliege. Außerdem gehörten die zur
Verhandlung stehenden Güter den Reklamanten außer Tang Ming
Chien und anderen Personen. Wie mit Beweisstück A bewiesen sei,
habe Tang Ming Chien nur, weil er als Transportunternehmer
interessiert sei, die Reklamation erhoben. Das Urteil erster Instanz
habe dagegen ohne Grund diese Beweise außer acht gelassen und
KaiPingChang und S h a n g Fa Y u n ®) als Eigentümer der Ladung
angesehen. Die Entscheidung, welche Nichtkonterbandegüter, die einen
ganz anderen Eigentümer hätten wie die Konterbandegüter, mit diesen
zusammen unter die Strafe der Einziehung gestellt habe, beruhe dem-
nach auf einer Annahme falscher Tatsachen.
2. Nach Ansicht der Reklamanten bezögen sich die Worte des
§ 43 der Seeprisenordnung „und die dem Eigentümer derselben gehörigen
Güter" auf solche Güter, die auf demselben Schiff verladen und nach
demselben Ort bestimmt seien; umfaßten dagegen nicht solche Güter,
welche nach anderen Häfen bestimmt seien. Wenn man auch Güter,
welche einem Konterbandeeigentümer gehörten, aber nach einem anderen
Hafen bestimmt seien, einziehen wolle, so ergebe sich die Folge, daß
auch Güter, die auf einem anderen Schiff verladen seien, wenn sie
einem Konterbandeeigentümer gehörten, eingezogen werden müßten. Da-
^) V. — ®) Dies sind Firmennamen, unter denen Tang Ming Chien Geschäfte
betreibt. . ^^
421
Abschnitt Vl^h Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping"«
durch würde den neutralen Staatsangehörigen schwerer Schaden ent-
stehen.
In dem Artikel 72 des Handbuchs des englischen Prisenrechts
heiße es, daß
auch in Fällen, wo man wissen könne, daß die Güter in
einem neutralen Hafen gelöscht würden, der Bestimm ungs*
ort der Güter als feindliches Gebiet angesehen werde; *)
ferner in der Strafbestimmung des Artikels 82:
Zur Strafe für den Transport von absoluten Konterbande-
gütern würden gewöhnlich diese Güter und das Interesse
ihres Eigentümers an der übrigen Ladung eingezogen.
Dieses scheine dem Inhalt des Urteils erster Instanz sehr ähnlich. In
der englischen Bestimmung sei nämlich ausgesprochen, daß der Be-
3timmungsort, wenn er auch ein neutraler Zwischenhafen sei, als feind-
liches Gebiet angesehen werde. Indessen sei im vorliegenden Falle
eine derartige Annahme nicht nur nicht aufgestellt worden, sondern
es fehle auch an einer entsprechenden Bestimmung, welche zur An-
wendung kommen könne. Auch habe das Urteil erster Instanz im
Gegenteil angenommen, daß die Güter nach einem rein neutralen Hafen
bestimmt gewesen seien. Was ferner die dem Eigentümer dieser Güter
gehörigen, für Konterbande erklärten Güter angehe, so seien sie keine
absolute Konterbande, so daß der Fall anders liege, wie der Fall, auf
welchen die obige englische Bestimmung zur Anwendung komme. Es
sei daher verfehlt, wenn man trotzdem die gleiche Strafe eintreten
lassen wolle. Wie man es auch ansehe, könnten daher die nach Tientsin
und Chinwantao gehenden Güter nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro sind folgende :
Bezüglich von Kriegskonterbandegütern habe man zwei Arten zu
unterscheiden: erstens Güter, welche zum Kriegsgebrauch zu dienen
bestimmt seien und nach Feindesland oder einem Platz, wo feindliche
Truppen seien, gesandt würden; zweitens Güter, welche sowohl zum
Kriegsgebrauch als zum friedlichen Gebrauch dienten und welche an
die feindlichen Truppen bestimmt seien oder welche nach einem feind-
lichen Platz bestimmt seien, nach dessen Verhältnissen angenommen
werden müsse, daß die Güter zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert
®) Der ganze Artikel lautet: The destination of the vessel is conclusive as to
the destination of the Goods on board. If, therefore, the destination of the Vessel be
Hostile, then the destination of the Goods oq, board should be considered Hostile
also, nothwithstandlng it may appear from tlfe Papefs or otherwise that the Good-
themselves are not intended for the Hostile port, but are intended either to be fors
warded beyondit to an ulterior Neutral destination, or to be deposited at an inter-
mediate Neutral port.
422
Ptisengerichtsentschdidungen: .Pei-Ping% Abschnitt Vl^h
werden würden. Die erste Art nenne man absolute, die zweite bedingte
Konterbande. Zwischen den beiden Arten sei indessen keinerlei Unter-
schied, sobald bei der einen und der anderen die Bedingungen für ihre
Konterbandeeigenschaft erfüllt seien; vielmehr gälten sie alsdann in
gleicher Weise als Konterbande. Der Reklamant behaupte, der § 43
unserer Seeprisen Ordnung wolle mit dem Ausdruck Konterbandeeigen-
tümer nur die Eigentümer von absoluter Konterbande, also der oben-
genannten ersten Art bezeichnen; die Eigentümer der zweiten Art von
Konterbandegütern seien jedoch nicht eingeschlossen. Diese Auslegung
möge vielleicht auf den Artikel 82 des englischen Handbuchs des Prisen-
rechts zutreffen ; für den § 43 unserer Seeprisenordnung sei eine solche
Interpretation indes völlig unbegründet. Denn einmal weiche sie von
dem klaren Wortlaut der Bestimmung ab. Wenn man ferner aber
annehme, daß der Konterbandetransport eine Handlung sei, durch die
■dem Feinde genützt werde, so sei der Verstoß gleich schwer bei Gütern
der ersten wie der zweiten Art, und es liege kein Grund vor, weshalb
bei der Strafe dafür ein Unterschied gemacht werden solle.
Im vorliegenden Falle fielen Eisen und Eisenwaren unter die erste
Art; Reis, Weizenmehl, Spirituosen und Zucker sowie Silbergeld unter
die zweite; sie seien daher in den Bedingungen, welche sie als Konter-
bande erscheinen ließen, verschieden. Der Reklamant sage in der Be-
rufungsschrift über Eisen und Eisenwaren gar nichts, so daß man an-
nehmen müsse, daß er gegen die Einziehung Einwendungen nicht zu
machen habe; und so sei eine Erwiderung nicht zu machen. Bezüglich
der unter die zweite Art fallenden Lebensmittel, Getränke und Silber-
münzen behaupte er, daß sie freilich nach Niutschwang gingen, aber
weder an die feindliche Armee oder Marine bestimmt gewesen seien,
noch auch zum Gebrauch derselben hätten geliefert werden sollen. Zur
Bekräftigung dieser Behauptung liege aber weder ein Beweis vor, noch
sprächen die Verhältnisse dafür.
Wenn auch der Handel mit Kriegskonterbande eine öffentliche
kaufmännische Handlung sei, welche unter den Freiheiten des neu-
tralen Handels stehe, so gebe man sich doch, um der Gefahr der Weg-
nahme zu entgehen, ganz allgemein den Anschein, als ob es sich um
einen friedlichen Transport handele. Dies gelte besonders von Gütern
der zweiten Art. So sei es natürlich, daß man Güter nicht mit Konnosse-
menten, welche offen. an die Truppen adressiert seien, versende. Man
könne daher freilich nicht durch Schriftstücke beweisen, daß die Güter
an die feindlichen Truppen bestimmt oder ihnen abzuliefern gewesen
seien. Aber aus der Art, der Menge und dem Bestimmungsort imd ver-
schiedenen anderen Tatumständen sei es nicht schwer zu entnehmen, daß
die zur Verhandlung stehenden Güter für die feindlichen Truppen be-
stimmt gewesen seien.
423
Abschnitt VI*» Prisengeiichtsentschoidungen: „Pei-Pino'^
Sir William Scott sagt :
Es müsse für die Entscheidung, ob Güter Konterbande seien
oder nicht, als die wichtigste Richtschnur bezeichnet werden^
ob sie auf der Reise nach einem Platz gewesen seien, nach
dessen Verhältnissen man mit 90 o/o Sicherheit annehmen
könne, daß sie zum Kriegsgebrauch geliefert worden sein
würden.
Der in Frage kommende Dampfer „Pei-Ping" habe in Shanghai
Lebensmittel, Getränke und chinesisches Geld geladen. Der letzte Be-
stimmungsort sei Niutschwang gewesen. Der Dampfer sei aber auf
der Fahrt nach dem Zwischenhafen Chinwantao am 17. Juli 1904, um
8 Uhr morgens, auf der Höhe von Tschifu aufgebracht worden. Niu-
tschwang sei zu der fraglichen Zeit von dem Feinde okkupiert und ein
Hauptetappenort desselben gewesen. Es sei daher klar, daß Niutschwang-
ein Platz gewesen sei, nach welchem man, wie Sir William Scott
es bezeichne, mit 90 o/o Sicherheit annehmen könne, daß die Güter zum
Kriegsgebrauch geliefert werden würden.
Was insbesondere die Lebensmittel und Getränke angehe, so ent-
sprächen sie dem Bedarf von Europäern und Amerikanern. Zur Zeit
seien aber, abgesehen von den russischen Truppen, in Niutschwang
nur etwas mehr als zehn solche Personen vorhanden gewesen. Auch
sei es nicht zu verbergen, daß infolge der andauernden Niederlagen
der feindlichen Truppen zu Wasser und Lande der Kredit ihres Papier-
geldes verloren gegangen und Klagen über das Bedürfnis nach chine-
sichem, besonders nach kleinem Geld wie dem zur Verhandlung stehen-
den, laut geworden seien und daß man für die Lieferung von solchem
auf Niutschwang angewiesen gewesen sei. Danach müsse man an-
nehmen, daß diese Güter sogleich nach Ankunft in Niutschwang in
die Hände der feindlichen Truppen übergegangen sein würden.
Die Nummern 13, 14 und 17 der Güter seien freilich nicht Kriegs-
konterbande. Aber das Beweisstück A 4, welches das Eigentumsrecht
an denselben beweisen solle, sei erst nach Entstehen dieser Sache an-
gefertigt worden, und es sei richtig, daß das Gericht erster Instanz
in Ermanglung anderer stichhaltiger Beweise jenen Beweis nicht an-
erkannt habe, sondern auf Grund der Annahme, daß Tang Ming
C h ie n der Eigentümer sei, die Güter also einem Konterbandeeigentümer
gehörten, auf Einziehung derselben entschieden ' habe.
Das Gericht erster Instanz habe auf Einziehung der nach Tientsin
und Chinwantao bestimmten Güter nicht entschieden, weil sie Konter-
bande seien. Daher sei der Berufungspunkt unbegründet, in welchem
gesagt werde, die Einziehung dieser Güter sei unbegründet, weil man
sie nicht als Konterbande ansehen könne. Der Staatsanwalt stimme
424
PrUeDgerichtseiitschelduiigen: „Pel-Ping*'. Abschnitt VIi^^
dagegen in dem Punkte, daß die Güter nicht einzuziehen seien,
überein.
Die Einziehung von Nichtkonterbandegütern, welche einem Eigen-
tümer von Konterbandegütern gehörten, sei nur eine Strafe für den
Transport der Konterbande und beschränke sich daher unbedingt auf
die fälle, wo beide auf demselben Schiff seien und nach demselben
Bestimmungsort gingen, wie solches auch in den Artikeln >82 und 72
des Handbuchs des englischen Prisenrechts bestimmt sei. Im Artikel 72
heiße es:
Der Bestimmungsort der Ladung bestimme sich nach dem
des Schiffes. Daher sei auch in Fällen, wo der Bestimmungs-
ort des Schiffes ein feindlicher Platz sei und man aus den
Schiffspapieren oder auf andere Weise wissen könne, daß die
Ladung nicht nach dem feindlichen Gebiet bestimmt sei,
sondern entweder über feindliches Gebiet nach einem end-
gültigen neutralen Bestimmungsort gehe oder in einem neu-
tralen Zwischenhafen gelöscht werden solle, der feindliche
Platz als Bestimmungsort der Ladung anzusehen.
Da hiernach ein Bestimmungsort der Ladung neben dem Be-
stimmungsort des Schiffes ausnahmslos nicht anerkannt werde, so sei so-
wohl für Konterbande als für Nichtkonterbande der Bestimmungsort
in keinem Falle ein anderer als der des Schiffes, und Nichtkonterbande,
welche im gleichen Eigentum mit Konterbande stehe, werde als Strafe
für den Konterbandetransport nach Artikel 82 eingezogen. Dies sei
von Präcedenzen und gesetzlichen Bestimmungen des Völkerrechts an-
erkannt. Aber wenn auch unsere Seeprisenordnung ihre Grundsätze
dem Handbuch des englischen Prisenrechts entlehnt haben möge, so
sei doch in ihrem § \5^^) bestimmt, daß in der Regel der Bestimmungs-
ort eines Schiffes als der Bestimmungsort seiner Ladung gelten solle.
Es werde also ein Bestimmungsort für Güter neben dem Bestimmungs-
ort des Schiffes anerkannt. Daher müsse, trotzdem der Bestimmungs-
ort des Schiffes Niutschwang sei, für die Güter, bezüglich deren aus den
Schiffspapieren und auch sonst auf sichere Weise bewiesen sei, daß sie
nach Chinwantao bzw. Tientsin bestimmt gewesen seien, Chinwantao
bzw. Tientsin auch als Bestimmungsort angesehen werden. Wenn man
dies aber annehme, so könne man, wenn die Güter auch mit der Konter-
bande, welche nach einem anderen, feindlichen Hafen bestimmt sei,
auf einem Schiff gewesen seien, sie doch nicht als im selben Eigentum
stehend erachten. Denn es sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, be-
züglich Eigentums von Gütern zu vermuten, daß es, wenn nicht ein
besonderer Vertrag vorliege, mit dem Zeitpunkt, wo die Güter in die
425
Abschnitt VIi*^ Prisengerichtsentschotdungen: „Pei-Ping".
Hände des Seetransporteurs übergingen, auf den Empfänger übertragen
werde. Wenn daher auch der Absender derselbe sei, so könne doch,
wenn der Empfänger verschieden sei, der Eigentümer nicht der gleiche
sein.
Wenn man aber bezüglich der Strafe für die Konterbande-
beförderung so überlegen wolle : der Absender sei der Beförderer, daher
müsse der Absender in diesen Fällen immer als Eigentümer angesehen
werden und nicht der Empfänger, so laufe das darauf hinaus, daß man
beim Konterbandetransport keinen Eigentumsübergang annehme, wofür
indes ein Grund nicht zu ersehen sei. Da, wie oben erwähnt, der Handel
mit Kriegskonterbande keine strafbare Handlung sei, so gebe es keinen
Grund, weshalb beim Kauf und Verkauf solcher Güter kein Eigentums-
wechsel eintreten solle. Wenn ajbjer das Eigentum übergehe, so sei
es selbstverständlich, daß auch bei demselben Verkäufer, d. h. Ab-
sender, wenn die Käufer, d. h. Empfänger, verschieden seien, das Eigen-
tum nicht in einer und derselben Hand liegen könne. Wenn man
in dem vorliegenden Fall angenommen habe, daß die Ladung bei An-
kunft in Niutschwang in die Hände der russischen Truppen über-
gehen und zu ihrem Gebrauch dienen werde, so habe man eben Kauf
und Verkauf angenommen. Wenn dem so sei, so werde es ohne
viel Worte offenbar, daß man die für Tientsin und Chinwantao be-
stimmten Güter und die nach Niutschwang gehende Konterbande nicht
als im selben Eigentum stehend betrachten könne.
Wenn man aber den § 15 unserer Seeprisenordnung nach dem
Artikel 72 des Handbuchs des englischen Prisenrechts auslege, so be-
stimme sich der Charakter einer Ladung nach dem Reiseziel des Schiffes;
d. ?i. also, die Ladung sei, im Falle, daß das Reiseziel des Schiffes Feindes-
gebiet sei, Konterbande; und a^ch, wenn nach den Schiffspapieren und
sonst bewiesen sei, daß der Bestimmungsort der Güter ein anderer wie
der des Schiffes sei, würden doch diese Beweise nicht berücksichtigt
werden, so daß also bezüglich der Ladung, gleichviel ob Konterbande
oder nicht, überhaupt keine Rede von verschiedenen Schiffen, Be-
stimmungsorten und Eigentümern sei. Ob man dann den Grund der
Einziehung auf ein Kontagionsprinzip zurückführe oder darin eine Be-
strafung für den Konterb^ndetransport erblicke, in jedem Falle sei,
weil die Güter nach Feindesland gingen und durch Vermehrung der
Macht des Feindes schädlich würden, der Grund für ihre Einziehung
ein klarer. Man müsse nach dem juristischen Sinn der §§15 und 43
unserer Seeprisenordnung gerade wie nach dem der Artikel 72 und
82 des englischen Handbuchs des Prisenrechts annehmen, daß sie nur
im Falle, daß sowohl der Bestimmungsort als auch der Eigentümer der-
selbe sei, zur Anwendung kämen. Das Urteil erster Instanz habe aber
diesen Sinn nicht beachtet. Es habe vielmehr angenommen, daß nach
426
PrisengerichtsentscheiduDgen: .Pei-Ping'. Abschnitt VImi>
§ 15 neben dem Bestimmungsort des Schiffes noch ein Bestimmungsort
der Ladung vorhanden sei, und nach § 43, daß, obwohl die Be-
stimmungsorte und demnach die Empfänger verschieden seien, die Güter,
welche denselben Absender hätten, alle einem und demselben Eigen-
tümer gehörten. Obwohl es ferner anerkannt habe, daß die Güter
in den neutralen Plätzen Chinwantao und Tientsin hätten gelöscht werden
sollen, habe es dieselben eingezogen. Da diese Entscheidung somit
weder das englische Handbuch des Prisenrechts, noch die Präcedenzen
des Völkerrechts, noch auch unsere Seeprisenordnung befolge, so müsse
es als unzutreffend bezeichnet werden.
Aus diesen Gründen seien die Ausführungen des Reklamanten
unbegründet und dementsprechend das Urteil erster Instanz zum größten
Teil zutreffend j es treffe indessen nicht zu in dem Teil, welcher die
Einziehung der nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter ver-
füge.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist von dem gegenwärtigen Völkerrecht anerkannt, daß Güter
neutraler Staatsangehöriger, wenn sie Kriegskonterbande sind, die nach
feindlichem Gebiet bestimmt ist, aufgebracht und eingezogen werden
können; ebenso, daß auch Nichtkonterbandegüter, wenn sie mit Konter-
bandegütern auf demselben Schiff verladen sind und dem Eigentümer
der Konterbande gehören, zusammen mit dieser einzuziehen sind.
Es bedarf keiner Erörterung, daß Niutschwang zu dem chinesischen
Hoheitsgebiet gehört und kein russisches Territorium ist. Der Kaiser-
liche Konsul Segawa in Niutsch^c'ang hat berichtet, daß
Rußland, seitdem es diesen Platz besetzt gehabt, dort eine
Zivilverwaltungsbehörde eingerichtet und bis zum 25. JuH
1904 die Flagge eines Zivilverwaltungsamtes geführt habe.
Dies habe mit dem Morgen jenes Tages plötzlich aufgehört
und es sei wieder die Konsulatsflagge geheißt worden. Beim
Eindringen unserer Truppen sei die französische Flagge
aufgezogen worden.
Es ist somit bekannt, daß zur Zeit, als die in Streit befangenen
Güter aufgebracht wurden, Niutschwang tatsächlich unter russischer
Verwaltung stand. Der Feind hatte dort nicht nur viele Truppen liegen,
sondern auch einen Hauptetappenort eingerichtet. Wenn daher Güter
dorthin befördert wurden, so muß das ebenso angesehen werden, als
ob sie nach feindlichem Gebiet bestimmt seien. Demnach müssen die
zur Verhandlung stehenden Güter, wenn sie die Voraussetzungen von
Konterbande erfüllen, eingezogen werden.
Das Eisen und die Eisenwaren sind Material zum Bau von Kriegs-
und anderen Schiffen, und zwar können sie unmittelbar als solches
427
Abschnitt Vli^h PriBengerichtsentscheidungon : „Pel-Ping".
verwandt werden. Daher müssen sie als Kriegskonterbande angesehen
werden. ^^)
Das Weizenmehl, die Spirituosen und die übrigen in dem Ladungs-
verzeichnis des Urteils erster Instanz aufgeführten Lebensmittel und
Getränke stellen bei weitem in der Mehrzahl für Europäer und Ameri-
kaner geeigneten Bedarf dar. Als der Dampfer „Pei-Ping" aufgebracht
wurde, war Niutschwang noch von den russischen Truppen besetzt,
und auch der Reklamant bestreitet es nicht, daß die Europäer und
Amerikaner, welche dort ein friedliches Leben führten, zu der Zeit
nur sehr wenige waren. Es kann daher durchaus nicht als unbillig
bezeichnet werden, wenn man annimmt, daß die genannten Güter nach
ihrer Landung zum Gebrauch der feindlichen Truppen geliefert worden
wären. ^^)
Aus den Konnossementen ergibt sich, daß der größte Teil der
Ladung im Eigentum der dem Tang Ming Chien gehörigen Firmen
steht. Da auch ihre Menge sehr groß ist, so muß angenommen werden,
daß sie in der Absicht, sie mit großem Verdienst den russischen Truppen
zu liefern, versandt worden sind. Freilich sind über diesen Punkt die
Beweisstücke A vorgelegt worden. Sie sind aber alle erst nach Ent-
stehen dieser Prisensache und nach Verhandlung unter den Inter-
essenten hergestellt und daher kaum glaubwürdig.
Da es nicht an Beispielen dafür fehlt, daß auch Leute, die ein
Handelsgeschäft haben und ihr Gewerbe ehrlich betreiben, um großen
Gewinn zu machen, Risiken übernehmen und unregelmäßige Trans-
aktionen versuchen, muß dies zweifellos um so mehr von solchen
Kaufleuten gelten, welche nur den einen Gedanken des Gewinns
haben und sonst keinerlei Rücksichten kennen. Wenn man daher auch
einmal annimmt, da die ganze Ladung nicht dem TängMingChien,
sondern den anderen chinesischen Kaufleuten gehöre, welche seit Jahr-
zehnten in Niutschwang gewohnt und dort Handel mit den gleichen
Waren betrieben haben, so steht das nach den obigen Ausführungen der
Einziehung nicht im Wege.
Wenn der Reklamant behauptet, daß Reis viel mehr, als er von
Europäern und Amerikanern gebraucht werde, das gewöhnliche Nah-
rungsmittel der Chinesen sei, so hat er in diesem einen Punkt nicht
unrecht, aber Reis ist trotzdem auch ein Verbrauchsartikel der Europäer
und Amerikaner, und es ist eine bekannte Tatsache, daß er, in Er-
manglung von Weizenmehl, auf dem japanisch-russischen Kriegsschau-
platz zur Verpflegung der Russen gedient hat. Daher ist es zutreffend,
wenn das Urteil erster Instanz den Reis als Konterbande angesehen hat.
Was ferner die Frage, ob auch das zur Verhandlung stehende
Silbergeld als Konterbande anzusehen ist oder nicht, angeht, so heißt
^i)li.~Ziffer 1. — ^«) II. Ziffer 2.
428
Prisengerichtsentschoidungen: .Pei-Ping'; Abschnitt Vl^h
es in einem Bericht des in Niutschwang ansässigen Kaiserlichen Konsuls
Segawa, daß
die russische Regierung beim Beginn des Baues der mand-
schurischen Eisenbahn anfänglich alle Zahlungen in Gold
geleistet habe. Ein oder zwei Jahre später habe sie daneben
Papiergeld benutzt und den Chinesen gesagt, zwischen dem
Metall und dem Papier sei kein Unterschied. Dann habe
sie, um dem Papier Kredit zu verschaffen, nach und nach
das Gold zurückgezogen und das Papier vermehrt. Im Jahre
1902 sei es dahin gekommen, daß man in der Mandschurei
russisches Ooldgeld nur sehr selten in Umlauf gesehen habe.
Damals habe aber die russisch-chinesische Bank schon an
verschiedenen wichtigen Plätzen Niederlassungen errichtet.
In diesen Banken sei das Papier zum Tageskurse gegen
Silbergeld eingelöst worden, und in der Mandschurei habe
dabei ein Papierrubel einen Tauschkurs von 1 Dollar 30 Cents
bis 1 Dollar 40 Cents Silbergeld gehabt. Als indessen seit
Herbst 1903 die Gerüchte über einen Krieg zwischen Japan
Rußland in Blüte gestanden hätten, habe es unter den
Chinesen geheißen, daß, wenn nach Ausbruch des Krieges
die Russen einmal unterliegen würden, die russischen Papier-
rubel nicht mehr gewechselt werden könnten und nur noch
den Wert von altem Papier haben würden. Vom November
oder Dezember dieses Jahres bis zum Ausbruch des Krieges
im Februar 1904 sei der Wert des Papierrubels oft bis auf
1 Dollar 10 Cents gefallen, und nur dank den Bestrebungen
der Niederlassungen der russisch-chinesischen Bank in den
verschiedenen Orten, den Kredit des Papiergeldes aufrecht-
zuerhalten, sei es nicht dazu gekommen, daß der Umlauf
demselben ganz ins Stocken geraten sei. Als aber die Nach-
richten von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach
Kaiping und Yingkow kamen, hätten die Chinesen, welche
Papierrubel gehabt hätten,^ darin gewetteifert, diese zu ver-
kaufen. Der Rubel sei damals bis auf 70 oder 80 Cents
gefallen. Aber da in Tientsin und Shanghai Papierrubel
immer zum Tageskurse gegen Silbertaels gewechselt werden
könnteh, so hätten die Geldwechsler in Yingkow, wenn das
russische Papiergeld gefallen gewesen sei, dieses aufgekauft,
nach Shanghai geschickt und dort mit ungeheurem Gewinn
wieder eingetauscht.
Nach diesem Bericht zu urteilen, erregte also der Rubelschein
schon beim Beginn des japanisch-russischen Krieges im Verkehr unter
den Chinesen ganz allgemein Verdacht und Mißtrauen, und es zeigte
429
Abschnitt VI».* Prisengerichtsentschei düngen : .Pei-PSng'.
sich die Tendenz, daß er schließlich gänzlich den Kredit verlieren würde.
Als die Nachricht von den Niederlagen bei Nanshan und Tehlitze nach
Yingkow gekommen war, traf freilich die russisch-chinesische Bank sorg-
fältige Maßnahmen, um das alte Verhältnis wieder herzustellen; es kam
aber trotzdem zu einem großen Sturz. Als sodann immer mehr Nach-
richten vort dem weiteren Kampf und Sieg der japanischen Truppen
kamen, war die Lage so, daß es sich auf keine Weise mehr vermeiden
ließ, daß der Rubel unter den Chinesen ganz allgemein seine Kurs-
fähigkeit verlieren würde. Es ist daher ganz klar, daß die Situation
derartig war, daß die russischen Truppen zu der Zeit, wo das zur
Verhandlung stehende Silbergeld befördert wurde, zur Requisition des
Kriegsbedarfs und zur Bezahlung der Kulis den Papierrubel nicht ohne
weiteres verwenden konnten. Daher ist es offenbar, daß das chinesische
Silbergeld zu jener Zeit für die russischen Truppen unentbehrlich ge-
worden war.
Ferner besagt der Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls I j u i n
in Tientsin über die russischen Papierrubelscheine:
Seit der Eröffnung des Krieges seien unter vielen Chinesen
Zweifel über die Einlösbarkeit der Rubelscheine aufgekommen.
Man habe gefürchtet, daß sie Fälschungen seien und ihr Kredit
sei beeinträchtigt worden. Auch unter den Russen und den
russischen Regierungslieferanten seien nur sehr wenig Rubel-
scheine in Verkehr gewesen, wenn man auch nicht behaupten
könne, daß sie absolut keinen Umlauf gehabt hätten. Wenn
die Banken in Tientsin sie in die Hand bekommen hätten,
so hätten sie sie nicht als Geld behandelt, sondern als eine
Art Wertpapier.
Danach hat der Rubelschein, nachdem die russischen Truppen
bei Nanshan und Tehlitze geschlagen worden waren, unter den Chinesen
allgemein keinen Umlauf gehabt. Er war nur gelegentlich des Kurs-
sturzes eine Art Handelsobjekt von Kaufleuten, die großen Gewinn
erzielen wollten. Daher hat der^ Rubelschein auch die Requisitionen
der russischen Truppen und die Löhne der Kulis nicht zahlen können.
Aus allem diesen geht klar hervor, daß die russischen Truppen chine-
sisches Geld nötig hatten.
Wenn es auch offenbar ist, daß trotz des japanisch-russischen
Kriegs die Hauptprodukte Niutschwangs, Bohnen, Bohnenkuchen und
Bohnenöl verhandelt worden sind, so bestand auf der anderen Seite
doch die Tatsache, daß Kaufleute in Benutzung der Gelegenheit, daß
die russischen Truppen chinesisches Umlaufsgeld nötig hatten, die ver-
mehrten Rub^lscheine billig von den russischen Truppen kaufen und
dadurch großen Gewinn erzielen konnten. Daher stimmt die Behauptung
der Reklamanten, daß das in Streit befangene Silbergeld, weil jener
430
Prisengerichtsentscheidungen: „Pei-Ping*. Abschnitt VI »i*
Warenhandel im Betrieb gewesen sei, auf keinen Fall dem Kriegsgebrauch
des Feindes gedient haben würde, nicht mit den Tatsachen überein.
Vielmehr ist es natürlich anzunehmen, daß zu einer solchen Zeit die in
Geschäften scharfsinnigen chinesischen Kaufleute, vor allem die Bank-
unternehmer, anstelle ihrer gewöhnlichen Geschäfte lieber Rubelscheine
billig von den Russen kaufen und, um einen außerordentlichen Profit
zu erzielen, die Gefahr eines solchen Geldimports laufen würden.
Das zur Verhandlung stehende Geld ist durch Vermittlung der
Seetransportfirma Tang Ming Chien, welche eine volle Ladung
von Kriegskonterbande nach Niutschwang zu befördern beabsichtigt
hatte, und außerdem zugleich mit dieser Konterbande auf demselben
Schiff verladen und befördert worden. Dazu ist sein Bestimmungsort
ein russischer Etappenort und, wie oben dargetan, bedurften die russi-
schen Truppen solchen Geldes. Daraus muß geschlossen werden, daß der
Zweck der Einfuhr des Geldes der gleiche gewesen ist wie der der
Einfuhr der übrigen Konterbandeladung des fraglichen Schiffes, nämlich
Lieferung zum Gebrauch der russischen Truppen.
Die nach Tientsin und Chinwantao bestimmten Güter, welche, wie
die Konnossemente zeigen, dem Tang Ming Chien zu beliebiger
Behandlung überlassen waren, werden als ihm gehörig betrachtet.
In der Wissenschaft des gegenwärtigen Völkerrechts wird die An-
sicht vertreten, daß bei einer Aufbringung von Kriegskonterbande auf
demselben Schiff befindliche, dem Eigentümer der Konterbande ge-
hörige Nichtkonterbandegüter, auch wenn ihr Landungsort von dem der
Konterbande verschieden ist, eingezogen werden können. Das Ober-
prisengericht erachtet dies als den Verhältnissen gerecht werdend. Denn
da dies schließlich nichts anderes ist wie eine Bestrafung des Eigen-
tümers der Konterbande für den Versuch, dieselbe im Feindesland zu
löschen, so liegt kein Grund vor, weshalb die Entscheidung je nach
dem Landungsort der Nichtkonterbandegüter verschieden ausfallen sollte.
Tientsin und Chinwantao sind neutrales Gebiet, so daß die dorthin
bestimmten, zur Verhandlung stehenden Güter freilich keine Konter-
bande sind. Da sie aber dem Tang Ming Chien gehören, welcher
Konterbande verladen und in Niutschwang zu landen versucht hat, so
müssen sie als Strafe für diese Handlung zusammen mit der Konterbande
eingezogen werden.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 25. Dezember 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
431
Abschnitt VI» Prisengerichtseiitschetdungeii: .George*.
Reklamant: Der französische Staatsangehörige AugusteVer-
n o n , wohnhaft in Tongku in China.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt S a i t o J i r o , wohnhaft in Tokio,
Shibaku Atagomachi Nichome Nr. 14.
In der Prisensache betreffend den französischen Dampfer „George"
wird, wie folgt, entschieden.
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Der Dampfer „George'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „George" steht im Eigen-
tum des Franzosen Auguste Vernon, sein Heimatshafen ist Tongku
in China, er führt die französische Handelsflagge und dient zum Per-
sonen- und Gütertransport in den nordchinesischen Gewässern.
Der Kapitän Scellos hat, obwohl ihm bekannt war, daß zurzeit
Port Arthur von der japanischen Kriegsflotte blockiert wurde, Lebens-
mittel und Getränke geladen, um sie dorthin zu transportieren. Er
ist am 16. August 1904 unter dem Vorgeben, nach Weihaiwei zu fahren,
von Tongku abgereist und am 18. desselben Monats vor Port Arthur
eingetroffen. Er warf dort unter einem Fort in einer Entfernung von
100 bis 120 Meter von der Küste Anker, lud während desselben und
des folgenden Tages seine gesamte Ladung auf einen russischen Dampfer
um und nahm einen aus Port Arthur gekommenen Türken an Bord.
Auf der Rückreise nach Tongku wurde er in der Nacht vom 19. des
Monats etwa 5 Seemeilen südöstlich von dem Liaotishanvorgebirge von
dem auf Blockadedienst befindlichen Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 65
aufgebracht. Zu dieser Zeit war keinerlei Ladung an Bord.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des Ver-
treters des Kommandanten des Torpedoboots Nr. 65, Kapitänleutnants
Fujimura Sokichi, dessen Bescheinigung über die an Bord befind-
lichen Güter, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „George"
Charles Gustave Scellos, des Vizekapitäns Ma Leong, des
Bootsmanns Ku Yaw Kat, des Maschinisten Wo ng Fok Ling,
des Passagiers Nicolai Vanvades, das Registrierungsattest des Zoll-
amts in Tientsin und das Flaggenattest.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Prozeßvertreters sind fol-
gende :
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „George" stehe im Eigen-
tum eines neutralen Staatsangehörigen, sei weder von der feindlichen
Regierung als Transportschiff gechartert, noch mit Erlaubnis der feind-
lichen Regierung oder unter dem Schutze feindlicher Kriegsschiffe ge-
432
Priaengorichtsentscheidungon: „George". Abschnitt VI*
fahren. Auch habe er zu der Zeit^) keine Konterbande für den Feind
geführt oder feindliche Handlungen gegen Japan begangen.
Das Schiff habe bis vor Port Arthur gelangen können. Daher könne
die Blockade nicht effektiv gewesen sein.
Ferner habe das Schiff seine Fahrt nach Port Arthur bereits voll-
endet gehabt und da es schon auf der Rückfahrt begriffen gewesen sei,
könne nicht behauptet werden, daß es die Blockade habe brechen wollen.
Der Vorwurf des Blockadebruchs könne ihm daher nicht gemacht werden,
und es sei freizugeben.
Die Ansicht des Staatsanwalts ist im wesentlichen folgende:
Es sei erwiesen, daß das Schiff die Blockadelinie durchbrochen habe
und daß zu dieser Zeit die Blockade in effektivem Zustand erhalten
worden sei. Daher müsse Einziehung erfolgen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Reklamant behauptet, die Blockade von Port Arthur sei zur
Zeit der Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Dampfers nicht
effektiv gewesen, das Schiff habe daher eine Blockade nicht gebrochen.
Es ist aber den tatsächlichen Umständen nach außer Zweifel, daß die
in der Erklärung des Kommandierenden der vereinigten japanischen
Kriegsflotte vom 26. Mai 1904 über die Südküste der Halbinsel Liaotung
verhängte Blockade, wie immer seit dieser Erklärung so auch natürlich
zur Zeit der Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Dampfers in
Kraft erhalten worden ist. 2) Der Dampfer hat daher, indem er ohne
Berechtigung dazu die oben beschriebene Fahrt bis vor Port Arthur
ausgeführt hat, die Blockade gebrochen. 3) Das Völkerrecht bestimmt,
daß Schiffe, welche eine Blockade brechen, lediglich auf diese Tat-
sache hin, ohne nach anderen Umständen zu fragen, eingezogen werden
können.*) Daher braucht über die anderen Punkte der Anführungen
des Vertreters der Reklamation nicht entschieden zu werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 21. Oktober 1904 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
^) d. h. als er von Port Arthur zurückkehrte.
») V. § 21. — 3) V. §§ 27 und 29. — *) V. § 45.
Kars tr»nd-Meohlenbur ff, Das Japanische Prisenrecht. Band I. (28) ^öö
Abschnitt VI» Prisengertchtsentscheidungen : „George'^
Reklamant: Der französische Staatsangehörige Auguste Ver-
n o n in Tongku, China.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Saito Jiro, Tokio, Shibaku
Atagomachi Nichome Nr. 14.
Am 21. Oktober 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache betreffend den dem französischen Staatsangehörigen Au-
guste Vernon in Tongku, China, gehörigen Dampfer „George",
welcher am 19. August 1904 auf der Höhe von Liaotishan auf der
Halbinsel Liaotung von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 65 auf-
gebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung des
genannten Dampfers erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Vertreter des genannten Auguste
Vernon, der Rechtsanwalt Saito J i r o die Berufung erhoben, welche
im Oberprisengericht im Beisein des Staatsanwalts Tsutsuki I<ei-
roku geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation Saito Jiro
und deren Begründung sind folgende:
Es sei völkerrechtlich bestimmt, daß die Einziehung von Schiffen
wegen verübten Blockadebruchs bedinge, daß die Blockade rechtmäßig
und effektiv sei. Eine effektive Blockade bestehe aber nur in dem
Falle, daß ein Kriegsschiff oder eine Anzahl derselben einen Hafen
so schlössen, daß Schiffe, um hinein- oder herauszukommen, eine Gefahr
zu überwinden hätten. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei
aber am 16. August 1904 von Tongku abgefahren und am 18. des-
selben Monats vor Port Arthur eingetroffen und habe unterhalb eines
Forts in einer Entfernung von 100 bis 120 Metern von der Küste
Anker geworfen. Am nächsten Tage, dem neunzehnten, habe er die
Rückfahrt angetreten und sei am selben Tage nachts etwa 5 Seemeilen
südöstlich von dem Liaotishanvorgebirge von dem Kaiserlichen Torpedo-
boot Nr. 65 aufgebracht worden. Da demnach der genannte Dampfer
bei seiner Einfahrt bis vor Port Arthur und seiner Ausfahrt von dort
keinerlei Hindernisse getroffen und keinerlei Gefahr zu bestehen gehabt
habe, sondern die Reise erwiesenermaßen unbehindert ausgeführt habe,
so könne nicht behauptet werden, daß eine effektive Blockade bestanden
und daß der Dampfer dieselbe gebrochen habe. Gerade wie ein Bonito-
fischnetz die Makrelen durchlasse, so kämen natürlich bei einer weiten
Blockadelinie Fälle vor, in denen die Blockade der Effektivität entbehre.
So habe sich im Falle des Dampfers „George", der ein winziges Fahr-
zeug von kaum mehr als 170 Tons sei, die am 26. Mai 1904 von dem
Kommandierenden der vereinigten japanischen Kriegsflotte bekannt-
gemachte Blockade über die Südküste der Liaotunghalbinsel, wenn sie
auch im allgemeinen in effektivem Zustand erhalten worden sein möge,
aus den oben angedeuteten Gründen nicht als effektiv erwiesen.
434
Prisengerichtsentschetdungen: „George". Abschnitt VI^
Das Prisengericht in Sasebo habe aber mit der Begründung, daß
Blockadebruch vorliege, zu Unrecht auf Einziehung des Dampfers ent-
schieden. Reklamant beantrage Verwerfung dieses Urteils und Erlaß
einer Entscheidung auf Freilassung desselben.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Die Effektivität einer Blockade bedinge keineswegs die Verwendung
einer Macht, die die Hafenzufahrt tatsächlich versperre. Es genüge viel-
mehr, daß eine Streitmacht aufgestellt werde, welche ausreiche, um An-
näherungen an die feindliche Küste erfolgreich abweisen zu können.
Das bedeute aber nur eine Streitmacht, welche ausreichend sei, um für
Schiffe, , die in den feindlichen Hafen ein- oder aus demselben aus-
fahren oder sich der Küste nähern wollten, eine Gefähr zu schaffen.
Daß es dabei auf die Anzahl der Geschwader oder Kriegsschiffe und
auf die Art der Aufstellung derselben nicht ankomme, bewiesen nicht
nur die völkerrechtlichen Präcedenzen und die Ansichten vieler Ge-
lehrten; dies sei vielmehr auch in § 21^) der japanischen Seeprisen-
ordnung klar anerkannt. Außerdem sei es eine erwiesene Tatsache,
daß zur Zeit der Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Schiffes
die vereinigte japanische Kriegsflotte in hinreichender Stärke die Blockade
ausgeübt habe, um für Schiffe, welche in Port Arthur ein- und von
dort ausgelaufen seien oder dies zu tun vorgehabt hätten, eine Gefahr
darzustellen. Daher sei die Blockade effektiv gewesen.
Es sei ferner durch die Vorgänge und die unbestrittene Ansicht
der völkerrechtlichen Wissenschaft anerkannt, daß, wenn auch hin und
wieder das eine oder andere Schiff der Gefahr trotze und unbehindert
in das Blockadegebiet hinein oder aus demselben herausgelange, dies
keinen Grund bilde, um die Blockade für nicht effektiv erklären zu
können. Daher könne aus dem einen Fall, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff der Kontrolle der Kriegsschiffe entgangen und un-
behindert in das Blockadegebiet eingedrungen sei, nicht geschlossen
werden, daß die Blockade nicht effektiv gewesen sei. Dies um so
weniger, als die Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
nicht weit von der Blockadelinie bei dem Vorgebirge von Liaotishan
erfolgt sei.
Da nach dem oben Ausgeführten feststehe, daß der zur Verhandlung
stehende Dampfer die Blockade gebrochen habe, so sei das Urteil
des Prisengerichts zu Sasebo zu Recht abgegeben und die Berufung
unbegründet.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Das zur Verhandlung stehende Schiff steht im Eigentum des fran-
zösischen Staatsangehörigen Auguste Vernon in Tongku, China.
*) V.
(28*) 435
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „George'^
Es ist unbestritten, daß der Kapitän am 18. August 1904, obwohl er
:genau von dem Bestehen der Blockade unterrichtet war, vor Port Arthur
•eingetroffen ist, am nächsten Tag seine Ladung auf einen russischen
Dampfer umgeladen hat und auf der Rückfahrt in einer Entfernung
von etwa 5 Seemeilen südöstlich von dem Liaotishanvorgebirge von dem
auf Blockadedienst befindlichen Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 65 auf-
gebracht worden ist.
Der Reklamant führt an, daß der zur Verhandlung stehende
Dampfer bis vor Port Arthur habe gelangen können, ohne auf Hinder-
nisse zu stoßen und Gefahr zu laufen. Es habe daher zur Zeit keine
wirksame Blockade bestanden. Selbst wenn man zugebe, daß im all-
gemeinen die Blockade in effektivem Zustand erhalten gewesen sein
möge, so sei sie doch mit Bezug auf das zur Verhandlung stehende
Schiff nicht effektiv gewesen.
Die am 26. Mai 1904 von dem Kommandierenden der vereinigten
japanischen Kriegsflotte bekanntgemachte Blockade ist seit der Zeit mit
hinreichender Streitmacht ausgeübt worden, um ihren Zweck zu er-
reichen. Vor und nach der Aufbringung des genannten Dampfers
sind zum direkten Blockadedienst bei Port Arthur in einer Ausdehnung
von ungefähr 20 Seemeilen entlang der Küste 60 Kriegsschiffe und
Torpedoboote 5 bis 10 Seemeilen von der Küste entfernt aufgestellt
gewesen. Außerdem kreuzten das Hauptgeschwader, bestehend aus im
ganzen sieben Schlachtschiffen und kleineren Schiffen, bei Yuentao,
sowie 4 Hülfskreuzer und 7 Kanonenboote in der Straße von Liaotishan
umher. Aus diesen Tatsachen ergibt sich klar, daß die Blockade wirklich
effektiv erhalten worden ist. Wenn das zur Verhandlung stehende
Schiff zufällig bis vor Port Arthur gelangt ist, so ist ihm dies gelungen,
indem es sich der Kontrolle des Blockadegeschwaders entzog und sich
heimlich hindurchschlich. Es kann aber nicht behauptet werden, daß
es dabei keine Gefahr gelaufen sei. Die Tatsache, daß das Schiff auf
der Rückreise, welche es nachts vornahm, um der Kontrolle des Blockade-
geschwaders zu entgehen, aufgebracht wurde, widerlegt auch die Be-
hauptung des Reklamanten, daß die über die Südküste von Liaotung
verhängte Blockade an einer Stelle nicht effektiv gewesen sei.
Das Urteil des Prisengerichts zu Säsebo, welches wegen Blockade-
bruchs auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden Dampfers er-
kennt, ist daher zutreffend, und es wird, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 17. Februar 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
436
Prisengerichtsentscheidungen: „Si-Shän". Abschnitt VI«
In Sachen der Beschlagnahme des englischen Dampfers „Si-Shan"
und seiner Ladung wird nach Einsicht des Schriftsatzes der Staatsanwälte
Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsurokuro, wie folgt,
entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Si-Shan" und seine gesamte Ladung werden frei-
gegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Si-Shan" steht im Eigen-
tum des englischen Staatsangehörigen SamuelSpitzel, sein Heimats-
hafen ist Hongkong, er führt die englische Handelsflagge und ist ein
Handelsschiff, das vorzugsweise zum Gütertransport dient. Mit einer
Ladung von Rindern, Hammeln und vielen sonstigen Nahrungsmitteln
fuhr er am 25. September 1904 mit Bestimmung für Niutschwang von
Hongkong ab. Nachdem er nachts die Gewässer von Port Arthur passiert
hatte, lief er am 2. Oktober desselben Jahres in Niutschwang ein. Er
bemühte sich sofort, seine Ladung zu verkaufen, landete die Rinder
und Hammel, mußte dieselben jedoch mangels Verkaufs wieder an
Bord zurücknehmen. Während er sich vergeblich bemühte, seine Aus-
klarierung nach Tschifu zu bewirken, wurde er von dem im dortigen
Hafen liegenden Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff „Chikushi'' in dem
Verdacht, daß er Kriegskonterbande führe, am 7. des Monats visitiert
und am selben Tag im dortigen Hafen beschlagnahmt. Die bei der
Visitierung vorhanden gewesenen Schiffspapiere wurden bei der Beschlag-
nahme unter der Angabe, daß sie in Verwahrung des englischen . Kon-
sulats in Niutschwang seien, nicht vorgelegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Stellvertreters des Kommandanten der „Chikushi'', Marineober-
leutnants Hara Kanjiro, das VemehmungsprotokoU des Kapitäns
JamesCartridge, des 1 . Maschinisten JohnBrady, des 2. Maschi-
nisten David Fotheringham, des 3. Maschinisten Robert But-
eher, des Passagiers H. K. S t r u v e und des Zeugen AdolfSpitzel.
Die Ansicht der Staatsanwälte ist im wesentlichen folgende :
Die Schiffspapiere seien in großer Unordnung, und in Ermanglung
anderer Gründe, welche dagegen hätten sprechen können, habe das
Schiff dem Verdacht verfallen müssen, daß die Fortsetzung der Reise
zum Kriegskonterbandetransport geschehen solle. Daher sei die Be-
schlagnahme zu Recht ausgeführt worden, aber, da die Untersuchung
des Falls in dem Prisengericht erwiesen habe, daß der Verdacht, es
handele sich um eine Fortsetzung der Reise zum Zwecke von Konter-
bandetransport, unbegründet gewesen sei, so müsse das zur Verhandlung
stehende Schiff mit seiner Ladung freigegeben werden.
437
Abschnitt VI« Prisengertchtsentscheidungen: „Si-Shan".
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der amerikanische Bürger A d o 1 f S p i t z e 1 hat als Vertreter seines
Neffen Samuel Spitze! den zur Verhandlung stehenden Dampfer
kürzlich angekauft und hatte volle Verfügungsgewalt über denselben.
Er kaufte mit der Absicht, sie nach dem bestbezahlenden — gleich-
gültig welchem — Platz zu schaffen und dort mit großem Verdienst
abzusetzen, Lebensmittel für den Bedarf von Kriegstruppen ein. So-
dann nahm er unter Zusicherung eines Anteils am Gewinn seinen Lands-
mann Struve als Siipercargo mit an Bord, .während er selbst die
Oberleitung und Aufsicht über das ganze Schiff ausübte. Er bestimmte
dann Niutschwang als Reiseziel und fuhr von Hongkong ab. Da aber
zu dieser Zeit gerade die russischen Truppen in Port Arthur wegen
der streng durchgeführten Belagerung und Blockade sehr stark an
Proviantmangel litten, so verbreitete sich in Hongkong und Shanghai
das Gerücht, der Dampfer beabsichtige, einen Schleichimport nach Port
Arthur auszuführen. Schließlich stand dies sogar in den Zeitungen.
Sobald der Dampfer in Niutschwang angekommen war, versuchte er
ohne Erfolg, die Ladung zu verkaufen. Er traf darauf Vorbereitungen
angeblich zur Reise nach Tschifu, wohin er nur durch die Gewässer
Port Arthurs gelangen konnte. Der Supercargo Struve, der mit dem
Ladungseigentümer zusammen völlig über das Schiff zu bestimmen hatte,
erzählte bei der Agentur Bush Brothers, daß er vorhabe, die
Ladung nach Port Arthur zu schaffen. Auch hatte der zur Besatzung
.gehörige l. Offizier Chambers im englischen Konsulat in Niutschwang
gesagt, der Dampfer habe auf der Reise von Hongkong nach Ying-
kow versucht, die Blockade von Port Arthur zu brechen. Da ihm dies
aber nicht gelungen sei, so wolle er unter der Vorgabe, nach Tschifu
zu gehen, einen erneuten Versuch machen, um nach Port Arthur hinein-
zukommen. Als aus diesem Grunde das Kaiserlich Japanische Kriegs-
schiff „Chikushi" eine Visitierung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers vornahm, waren die Schiffspapiere nicht in Ordnung; der
Bestimmungshafen war nicht festgesetzt; als Kapitän wurde t-ine tat-
sächlich nicht autorisierte Person angegeben, und über alles dieses konnte
keine zufriedenstellende Auskunft gegeben werden. Daher nahm die
„Chikushi" an, daß das seit der Abreise von Hongkong im geheimen
gehegte Vorhaben, einen Schleichimport nach Port Arthur auszuführen,
noch nicht aufgegeben sei und daß, um es nunmehr zur Ausführung
zu bringen, Tschifu als Reiseziel angegeben werde. Es war daher durch-
aus in der Ordnung, daß die „Chikushi", als es schien, daß der zur
Verhandlung stehende Dampfer im Begriff war, abzufahren, denselben
mit Beschlag belegte, i)
1) V. § 37, 1 und 2.
438
Priaengerichtsentscheidungen: „Fuping". Abschnitt Vis>*
Aber die genaue Untersuchung in dem unterzeichneten Prisen-
gericht hat ergeben, was folgt:
Es muß freilich angenommen werden, daß der Dampfer auf der
Reise von Hongkong nach Niutschwang vorgehabt hat, die Blockade
von Port Arthur zu brechen und einen Schleichimport auszuführen.
Als dies aber nicht gelang, hat der Dampfer die Reise, welche in den
Schiffspapieren angegeben ist, vollendet. In Niutschwang hat er ver-
sucht, seine Ladung zu verkaufen, und sich, als ihm dies nicht gelang,
entschlossen, nach Tschifu zu fahren. Es muß daher angenommen
werden, daß der Dampfer bereits zur Zeit seines Eintreffens in Niu-
tschwang seinen früheren Plan aufgegeben hatte. Die Kontinuität der
den Blockadebruch 2) oder Konterbandetransport bezweckenden Reise
kann daher nicht angenommen werden.
. Auch läßt sich nicht sagen, daß der für Tschifu bestimmte Dampfer
bei seiner Abfahrt von Niutschwang, selbst wenn er von neuem einen
Schleichimport nach Port Arthur ins Auge gefaßt hatte, die Ausführung
desselben bereits angefangen hatte. Daher kann auch in dieser Weise.
Blockadebruch oder Konterbandetransport nicht konstruiert werden.
Da ferner die Unordnung der Schiffspapiere sowie die mangelnde
Legitimation des Kapitäns usw. ausreichende Erklärung gefunden haben,
so ist das zur Verhandlung stehende Schiff und seine gesamte Ladung,
ungeachtet der Rechtmäßigkeit der erfolgten Beschlagnahme, freizugeben.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 26. Oktober 1904 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften.)
In Sachen der Beschlagnahme des deutschen Dampfers „Fuping"
und seiner Ladung wird nach Einsichtnahme des Schriftsatzes der Staats-
anwälte Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsurokuro,
wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Fuping'' und seine gesamte in beigefügtem I^dungs-
verzeichnis aufgeführte Ladung werden eingezogen.
^) Hier tritt der zu verwerfende Standpunkt zu Tage, daß schon die Absicht
des Blockadebruchs ohne tatsächlichen Versuch straffällig macht. Es hätte genügt.
nur von Konterbandetransport zu sprechen, wie dies der Staatsanwalt tut.
439
Abschnitt VI»« Prisengerichtoentscheidungen : „Fuping'*»
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Fuping" ist Eigentum
der deutschen Firma Teige, Schröter und Co. in Tientsin, führt die
deutsche Flagge und dient zum Personen- und Gütertransport. Dem
Kapitän des Schiffes, Frank Gray, ist bekannt gewesen, daß der
Hafen von Port Arthur zur Zeit von der japanischen Kriegsflotte blockiert
wird. Trotzdem hat er auf Anordnung der Reeder für Port Arthur
bestimmte Waren, nämlich Waffen, Munition und Proviant unter falschen
Angaben an Bord genommen und auch den aktiven russischen Haupt-
mann Wassili Juliewitsch Eckardt sich einschiffen lassen. Er
hat unter dem Vorwande, daß er für Tschifu bestimmt sei, am 8. Oktober
1904 den chinesischen Hafen Tongku mit dem Reiseziel Port Arthur
verlassen. Am 1 1 . desselben Monats hat er alsdann 5 Seemeilen südlich
von Rockpoint auf offener See in Rußland fabrizierte Stiefel und Lebens-
mittel, welche von seinem Reeder besonders für Port Arthur verschifft
waren, von zwei chinesischen Dschunken übergenommen und ist am
selben Tage, nachdem er die ganze in dem beigefügten Verzeichnis auf-
geführte Ladung verladen hatte, von dort abgefahren. Am folgenden
Tage, dem 12. Oktober, vormittags um etwa 9 Uhr wurde der Dampfer^
auf der Fahrt nach Port Arthur begriffen, etwa 10 Seemeilen nördlich
von der Hwangchang-Inselgruppe auf 120 ^ 55 ' ö. L. und 38 » 34 ' n. Br.
von dem auf Blockadegebiet befindlichen japanischen Torpedoboot
„Shirataka" aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Kapitänleutnants Kawasoye Masaharu, der die Beschlag-
nahme ausführte, die Bescheinigung über die Umschiffung der Mann-
schaft, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns Frank Gray, des
1 . Offiziers James Duncan, des 1 . Maschinisten Alexander
Robertson vom Dampfer „Fuping'' und des mitreisenden russischen
Hauptmanns Wassili Juliewitsch Eckardt, durch das Logbuch,,
das Flaggenattest, das Notizbuch des Kapitäns, den Ausklarierungs-
schein und eine Bescheinigung des russischen Obersten Ogorod-
n i k o f f .
Die Ansicht der Staatsanwälte geht im wesentlichen dahin, daß
es außer Zweifel stehe, daß zur Zeit der Aufbringung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes die Blockade wirklich effektiv gewesen
sei, und daß man das Schiff, welches in der Richtung auf die Blockade-
linie vorgerückt sei, als Blockadebrecher betrachten müsse. Daher sei
das Schiff mit der gesamten Ladung einzuziehen.
Das Gericht ist der Ansicht, daß es einem allgemeinen völker-
rechtlichen Grundsatz entspricht, daß im Falle effektiven Bestehens einer
Blockade Schiffe, welche in der Nähe der Blockadelinie offenbar in
der Richtung auf dieselbe zu fahren, als Blockadebrecher anzusehen
^0
Prisengerichtsentscheidttngen: „Fuping''. Abschnitt VI»*
und mitsamt ihrer Ladung einzuziehen sind mit Ausnahme von solchen
Gütern, die im Eigentum von Personen stehen, die von dem Blockade-
zustand keine Kenntnis hatten.
Da nun am 26. Mai 1904 der Oberstkommandierende der ver-
einigten japanischen Kriegsflotte die Verhängung des Blockadezustandes
über die Südküste von Liaotung bekannt gentiacht hat und 'es außer
Z^^ifel steht, daß diese Blockade ununterbrochen in effektivem Zustand
erhalten worden ist, so ist es klar, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff, welches in der oben geschilderten Weise auf dem Wege nach
Port Arthur begriffen war, als Blockadebrecher angesehen werden muß.
Da ferner die zur Verhandlung stehenden Güter Eigentum des
Schiffseigentümers sind und nach einem von dem Schiffseigentümer
den] Kapitän übergebenen Zertifikat des Kommandierenden der russi-
schen Gesandtschaftswache in Peking, des Obersten Ogorodnikoff,
z^teifellos sämtlich für Port Arthur bestimmt waren, auch der Schiffs-
eigentümer von dem Blockadezustand hat wissen müssen, so ist das
Schiff mit der gesamten Ladung einzuziehen, i)
Das Prisengericht hat, weil während der von ihm festgesetzten und
veröffentlichten Frist Reklamationen nicht erhoben worden sind, auf
Antrag der Staatsanwält6 in Gemäßheit des letzten Absatzes des § 16
der Prisengerichtsordnung 2) ohne mündliche Verhandlung wie in der
Urteilsformel entschieden.
Im Prisengericht zu Sasebo am 6. Dezember 1904.
Ladungsverzeichnis.
Art der Güter Anzahl der Stücke
/Gekochtes Rindfleisch 1026
Corned beef 1085
Hirse ' . 1043
Nudeln 720
Würste 25
Gesalzenes Rindfleisch 11
Medikamente 35
Stiefel 98
Seife 61
Schinken . . . . 34
Suppenkonserven 5
Gemüsekonserven 88
Schwefelsäure 38
Tee 1
Waffen 8
Munition und Feuerwerk 1091
1) V. § 45. - 2) IV.
441
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping''.
Reklamant: Wassili Juliewitsch Eckardt, Pionierhaupt-
mann bei dem russischen Ussuri-Eisenbahnbataillon, wohnhaft in Wladi-
wostok, Afanassieffskajauliza Nr. 21, zur Zeit in dem Kriegsgefangenen-
quartier in Matsuyama,!) Regierungsbezirk Ehime, im Versammlungs-
haus.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. .14.
In der Prisensache betreffend Ladungsgut des deutschen Dampfers
„Fuping'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Fuping" verschifften 67000 Rubel russischen
Papiergeldes werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 67 000 russischen Papierrubel sind
von dem Reklamanten Wassili Julie witsch Eckardt am 8. Ok-
tober 1904, als er sich am 8. Oktober 1904 in Tsingtau in China auf
dem Dampfer „Fuping" einschiffte, um nach dem damaligen russischen
Kriegshafen Port Arthur zu fahren, verschifft worden, um sie nach
Port Arthur zu schaffen. Sie wurden am 12. d. M., etwa 9 Uhr vor-
mittags auf 120 0 55' ö. L. und 38» 34' n. Br. ungefähr 10 Seemeilen
nördlich von der Hwangchang-Inselgruppe, als der genannte Dampfer,
weil er Konterbande geladen hatte, von dem Kaiserlichen Torpedoboot
„Shirataka" aufgebracht wurde, mit diesem zusammen beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kapitänleutnants Kawasoye Masaharu, der die Beschlagnahme
ausgeführt hat, die Bescheinigung über die Umschiffung der Besatzung,
die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Fuping" Frank Gray,
des 1 . Offiziers James Duncan, des 1. Maschinisten Alexander
Robertson und des Passagiers Wassili Juliewitsch Eckardt,
durch das Tagebuch, das Flaggen attest, das Notizbuch des Kapitäns,
einen Brief des Kapitäns an „George" und eine Bescheinigung des
russischen Kapitäns zur See 2) Ogorodnikoff.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Von den zur Verhandlung stehenden 67000 Rubeln habe der
Reklamant Mitte September 1904 russischen Stils 4000 Rubel aus einem
Deposit bei der russisch-chinesischen Bank in Tientsin, China, zurück-
gezogen. Die übrigen habe er Mitte desselben Jahres von seinem Ver-
') V. § 42. — 2) In dem Urteil über den Dampfer „Fuping" wird Ogorodnikoff
als Armeeoberst bezeichnet.
M2
Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping". Abschnitt VI»«
treter Pawlowitsch und der Post in Liaoyang empfangen. Der
ganze Betrag sei sein Privatgeld und sei keine Ladung.
Der Reklamant habe sich ferner in Tientsin auf der „Fuping"
eingeschifft, um nach Tschifu zu fahren und von dort in die Heimat
zurückzukehren; er habe nicht die Absicht gehabt, nach Port Arthur
zu gehen. Selbst wenn er aber diese Absicht gehabt hätte, so könne
doch das Geld, da es in dem Privatkoffer des Reklamanten gewesen
sei, nur, wenn Beweis vorhanden sei, daß es nicht sein Privateigentum
sei, eingezogen werden.
Es werde daher Freigabe des zur Verhandlung stehenden Geldes
beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Das zur Verhandlung stehende Papiergeld sei nicht Privateigentum
des Reklamanten, sondern öffentliches Geld und müsse, da es mit der
übrigen Ladung nach Port Arthur bestimmt gewesen sei, eingezogen
vcerden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Bestimmungen und die Praxis des Völkerrechts erkennen an,
daß die Ladung eines Schiffes, welches einen Blockadebruch begangen
hat, abgesehen von solchen Gütern, welche im Eigentum von Personen
stehen, die von dem Blockadezustand absolut keine Kenntnis hatten,
einzuziehen ist.
Der in Frage stehende Dampfer „Fuping" ist, wie dem Vertreter
der Reklamation bekannt ist, wegen Blockadebruchs bereits zur Ein-
ziehung verurteilt worden, 3) und es geht aus der Bescheinigung des
russischen Obersten Ogorodnikoff und dem Brief des Kapitäns
an „George'' unzweifelhaft hervor, daß das Schiff vorgehabt hat, die
Blockade zu brechen und die der russischen Regierung gehörige Ladung
nach Port Arthur zu schaffen, sowie daß der Reklamant für russische
Behörden Papiere und 400000 Rubel auf dem Schiffe bei sich gehabt
hat. Dies Geld hat der Reklamant bei der Beschlagnahme des genannten
Dampfers ins Wasser geworfen, und nur die zur Verhandlung stehenden
67 000 Papierrubel sind übrig geblieben. Diese sind als Gut anzusehen,
welches den russischen Behörden gehört und nach Port Arthur be-
fördert werden sollte.
Der Vertreter der Reklamation behauptet, daß der Reklamant, auf
der Rückreise nach der Heimat begriffen, sich bei der Abreise von
Tientsin auf der „Fuping" eingeschifft habe, um nach Tschifu zu gehen.
Die Absicht, nach Port Arthur zu fahren, habe nicht bestanden. Selbst
wenn er aber diese Absicht gehabt habe, so sei doch das Geld, da
es in dem Privatkoffer des Reklamanten gewesen sei, sein Privateigentum.
•) VI. 22 a.
443
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping**.
Es geht aber aus der oben erwähnten Bescheinigung Ogorod-
nikoffs und dem Brief des Kapitäns an „George" hervor, daß der
Reklamant auf Befehl seiner Behörde von Tongku nach Port Arthur
abgereist war. Auch besagt die Aussage des Reklamanten auf die
Frage des mit dem Fall beauftragten Rats, daß der Reklamant in Tientsin
von dem russischen Konsul zwei in Strohmatten verpackte Kolli an-
vertraut erhalten hat und beauftragt worden ist, sie im Falle, daß das
Schiff mit der japanischen Flotte zusammentreffe, mit der ganzen übrigen
• Ladung zu verbrennen. Als dann das Schiff im Begriff stand, von
einem Kaiserlichen Torpedoboot aufgebracht zu werden, hat der Rekla-
mant die beiden Stroh mattenkolli und noch eine Kiste ins Wasser ge-
worfen. Wenn man alle diese Tatsachen vergleicht, so ist es nicht
zu bezweifeln, daß der Reklamant sich auf der „Fuping" zur Ober-
aufsicht eingeschifft hat.
Wenn ferner auch das zur Verhandlung stehende Papiergeld im
Koffer des Reklamanten gewesen ist, so unterscheidet es sich dadurch
von gewöhnlicher Ladung in weiter nichts als der Art der Verpackung
und Verladung. Ein Beweis dafür, daß es Privateigentum sei, kann
darin aber nicht erkannt werden.
Des weiteren beruft sich der Reklamant zum Beweis dafür, daß
das zur Verhandlung stehende Geld ihm privatim gehöre, auf schrift-
liche Aussagen des russischen Obersten Ogorodnikoff und des
Oberleutnants de Reutlinger sowie eine Bescheinigung des russi-
schen Konsuls L a p t e w in Tientsin. Da aber L a p t e w und Ogorod-
nikoff die „Fuping'' ausgerüstet haben, um mit ihr einen Blockade-
bruch auszuführen, so kann ihren Aussagen und Bescheinigungen in
dieser Sache kein Glauben beigelegt werden.
Demnach ist das zur Verhandlung stehende Geld als Staatseigentum,
welches auf einem Schiff, das sich eines Blockadebruchs schuldig ge-
macht hat, nach Port Arthur geschafft werden sollte, einzuziehen.
Selbst aber angenommen, das Geld gehöre dem Reklamanten,
so ist es doch Ladung eines Blockadebrechers, und da es nach Port
Arthur gelangen sollte, so kann angenommen werden, daß es doch zum
feindlichen Kriegsgebrauch gedient haben würde. Demnach kann es
doch der Einziehung nicht entgehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 15. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts MizukamiChojiro.
(Unterschriften.)
444
Pri8engerichtseiit8cheidungen: „Fuping'^ Abschnitt VI^^
Reklamant: Wassili Juliewitsch Eckardt, russischer
Pionierhauptmann in Matsuyama, Kriegsgefangenenquartier, wohnhaft
in Wladiwostok, Afanas^ieffskajauliza Nr. 21.
Prozeßvertreterr Rechtsanwalt Masushima Rokuichiro,
Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 14.
Am 15. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend Ladung des deutschen Dampfers „Fuping", welcher
am 12. Oktober 1904 etwa 10 Seemeilen nördlich von der Hwang-
Chang-Inselgruppe von dem Kaiserlichen Torpedoboot „Shirataka" auf-
gebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der
auf dem Dampfer „Fuping" verladenen 67 000 russischen Papierrubel
erkannt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der Reklamant Wassili
Julie witsch Eckardt durch den Rechtsanwalt Masushima
Rokuichiro als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im
Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishi-
vtatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
und deren Begründung sind folgende :
Das Gericht erster Instanz habe ausgeführt:
es gehe aus der Bescheinigung Ogorodnikoff's und
einem an „George'' gerichteten Brief des Kapitäns hervor, daß
der Reklamant im amtlichen Auftrag von Tongku nach Port
Arthur abgereist sei.
Es sei jedoch nicht klar, von wem diese sogenannte Bescheinigung
Ogorodnikoff's dem Kapitän übergeben worden sei. In den ganzen
Akten dieses Falles sei die Herkunft dieser Bescheinigung nicht angegeben
und die Bescheinigung selber enthalte nichts über den Reklamanten.
Das Gericht erster Instanz habe demnach in unrechtmäßiger Weise
Tatsachen angenommen, für die kein Beweis vorhanden sei.
Was ferner den Brief des Kapitäns an „George" angehe, so sei
sein Inhalt überaus dunkel und, wenn man aus der Aussage des Kapitäns
Vermutungen aufstellen wolle, so habe er es doch nur von irgend je-
mandem gehört gehabt, daß der Reklamant eine große Menge Rubel
mit sich führe, und habe dies in dem Brief geschrieben. Dies sei aber
kein Beweis, daß die Gelder, die der Reklamant mit sich gehabt habe,
amtliche russische Gelder gewesen seien. Auch liege kein Beweis dafür
vor, daß die zur Verhandlung stehenden 67 000 Rubel ein Teil jener
größeren Summe gewesen seien.
Das Gericht erster Instanz habe daraufhin, daß der Reklamant von
dem russischen Konsul in Tientsin zwei in Strohmatten eingewickelte
Kolli empfangen und den Auftrag erhalten habe, die Ladung zu ver-
brennen, angenommen, daß er sich zur Beaufsichtigung auf der „Fuping''
eingeschifft. Da aber der Reklamant, wie er erklärt habe, erst nach
445
Abschnitt VI«b Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping''-
seiner Einschiffung von dem Konsul schriftlich ersucht worden
sei, so sei es eine nicht durch Gründe belegte Annahme, daß er sich
auf Grund der genannten Tatsache zur Beaufsichtigung auf der „Fuping"
eingeschifft habe. '"
Wenn man aber annehmen wolle, der Reklamant habe sich auf
amtlichen Befehl auf der „Fuping" eingeschifft, so liege kein Grund vor,
weshalb Ogorodnikoff die Bescheinigung dem Kapitän habe zu-
stellen sollen; aber auch dem Kapitän hätte er sie dann durch den
Reklamanten zustellen müssen; zum mindesten aber hätte der Kapitän
den Reklamanten kennen müssen. Der Reklamant habe aber die Be-
scheinigung Ogorodnikoff 's bis auf den heutigen Tag noch nicht
einmal gesehen, auch von dem Kapitän niemals etwas darüber gehört.
Zudem sei der Reklamant dem Kapitän Gray von der „Fuping" vor
seiner Einschiffung nicht bekannt gewesen. Daher sei das Urteil erster
Instanz, welches einen wichtigen Streitpunkt entschieden habe, ohne
einen Beweis zugrunde zu legen, ungesetzlich.
Das Urteil erster Instanz behaupte, die Tatsache, daß das zur Ver-
handlung stehende Geld sich in dem Privatkoffer des Reklamanten
befunden habe, sei kein ausreichender Beweis dafür, daß es ihm ge-
höre. Es werde aber aus dem Handelsrecht offenbar, daß die Ladung-
eines Schiffes und das Handgepäck der Passagiere gänzlich von ein-
ander verschiedene Dinge seien, und auch in dem auf der „Fuping''
vorhandenen Bescheinigung über die Ladung*) und dem Ladungs-
verzeichnis finde sich, da das Handgepäck des Reklamanten seiner Art
nach dort nicht eingetragen werden dürfe, eine solche Eintragung nicht.
Daß das zur Verhandlung stehende Papiergeld sich in dem Koffer eines
Passagiers befunden habe, sei daher ein Beweis dafür, daß es sein un-
zweifelhaftes Privateigentum sei. Wenn jemand das Gegenteil be-
haupten wolle, so habe er unbedingt den Beweis dafür zu liefern. Das
Urteil erster Instanz führe aber aus, wenn das Geld auch in dem Hand-
gepäck des Reklamanten gewesen sei, so liege darin nur eine Verschieden-
heit in der Art der Verpackung und der Verschiffung, es sei aber
darum nicht verschieden von der gewöhnlichen Ladung. Diese An-
nahme stehe nicht in logischem Zusammenhang mit den Tatsachen und
könne dem Vorwurf unzureichender Begründung nicht entgehen.
Das Urteil erster Instanz behaupte, daß die Aussage Ogorod-
nikoff' s nicht glaubwürdig sei, da er einen Blockadebruch vorgehabt
habe. Diese Beweisaussage stimme indes mit der des Leutnants Reut-
linger überein, der ausgesagt habe, der Reklamant habe in seiner
Gegenwart etwa 30000 Rubel von Pawlowitsch und ungefähr die-
selbe Summe von dem russischen Postamt erhalten. Wenn dessen un-
*) Vermutlich Konnossemente.
446
Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping"« Abschnitt Vl^b
geachtet die Aussage Ogorodnikoff's nicht anerkannt worden sei,
so sei das ungerecht.
Das Urteil erster Instanz habe entschieden, das zur Verhandlung
stehende Geld müsse eiiigezogen werden, weil es auf einem Blockade-
brecher verschifft worden und nach Port Arthur bestimmtes amtliches
Geld sei. Es widerlaufe dem Recht, daß dafür, daß das Geld nicht
privates, sondern amtliches Geld sei, kein Beweis erbracht worden sei.
Das Gericht erster Instanz stelle daraufhin, daß der Reklamant zwei
Kolli ins Wasser geworfen habe, die Ansicht auf, daß das zur Ver-
handlung stehende Geld ein Teil von 400000 Rubeln gewesen sei.
Diese von dem Reklamanten ins Wasser geworfenen Pakete seien dem
Reklamanten von dem russischen Konsul in Tientsin zur Beförderung
an den russischen Konsul in Tschifu anvertraut worden. Er habe sie
aber nicht von Ogorodnikoff bekommen. Auch hätten sie kein
russisches Papiergeld enthalten.
Daraus, daß der Reklamant nach dem Auftrag des Konsuls mit
Bezug auf die anvertrauten Pakete verfahren sei, dagegen die Order,
die ganze Ladung zu verbrennen, nicht befolgt habe, könne man er-
sehen, daß die ins Wasser geworfenen Pakete und die allgemeine Ladung
durchaus verschieden seien und daß der Reklamant zu der letzteren
in keiner Beziehung gestanden habe.
Wenn daher das Urteil annehme, daß die von dem Reklamanten
weggeworfenen Pakete russisches Papiergeld seien und daß das zui
Verhandlung stehende Geld der Rest davon gewesen sei, so sei das eine
sich nicht auf Beweise, sondern auf Vorurteil gründende Entscheidung.
Schließlich entscheide das Urteil erster Instanz, daß das zur Ver-
handlung stehende Geld, wenn es auch dem Reklamanten gehöre, doch
als Ladung eines Blockadebrechers, wenn es nach Port Arthur ge-
kommen wäre, zum feindlichen Kriegsgebrauch gedient haben würde
und daher einzuziehen sei.
Hierin setze sich das Urteil erster Instanz aber offenbar in Wider-
spruch mit einem Grundsatz, welcher als völkerrechtliche Bestimmung
und Gewohnheit anerkannt sei. Denn dieser Grundsatz besage klar,
daß Güter, welche Personen gehörten, die von der Tatsache des Blockade-
bruchs keine Kenntnis gehabt hätten, nicht eingezogen werden könnten.
Dies gelte um so mehr für Handgepäck eines Passagiers, weil dieses
nicht als Ladung angesehen werden könne.
Ferner gehe es aus dem Fahrschein des Reklamanten klar hervor,
daß er nach Tschifu habe fahren wollen, und der Kapitän habe dem
Steward des genannten Dampfers gesagt, daß der Reklamant ein Fahr-
gast sei, der nach Tschifu fahre. Auch habe der Reklamant sein Cheque-
buch bei sich gehabt, um in Tschifu seine Depositengelder bei der
russisch-chinesischen Bank zu ziehen.
447
Abschnitt Vl^b Pri8engericht8eiit8cheidungen: „Fuping''.
Trotz dieser Beweise habe das Urteil erster Instanz unter Zugrunde-
legung von Tatsachen, die keine direkten Beweise seien, entschieden,
daß der Reklamant auf amtlichen Befehl nach Port Arthur zu reisen
im Begriff gewesen sei. Das sei eine Entscheidung, die ausreichender
Begründung entbehre.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Freigabe der 67 000 russischen Papierrubel beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro, sind folgende:
In der Bescheinigung Ogorodnikoff's sei freilich der Name
des Reklamanten nicht erwähnt, aber man könne auf Grund dessen
nicht behaupten, daß der Inhalt sich nicht auf den Reklamanten beziehe
und daß das Dokument kein Beweis sei. Der in der genannten Be-
scheinigung erwähnte Überbringer derselben, nämlich der britische Staats-
angehörige Gray, sei als Kapitän des Dampfers „Fuping" freilich be-
auftragt worden, die Ladung an die russischen Behörden in Port Arthur
abzuliefern. Die geheimen militärischen Schriftstücke und das Papier-
geld aber hätten ihm nicht anvertraut werden können. Noch viel
weniger die Aufgabe, je nach den Umständen, falls man unterwegs
japanische Kriegsschiffe träfe, das Schiff zu versenken, um es der Auf-
bringung zu entziehen.
Daß in der Bescheinigung, die der Kapitän zu überbringen gehabt
habe, nichts über die Pflichten des mit einer geheimen Aufgabe be-
trauten und wohl zu der Zeit als Aufsichtführender auf der „Fuping"
zu betrachtenden Reklamanten Eckardt enthalten sei, sei durchaus
nicht seltsam. Wenn man daneben erwäge, was der Kapitän in seinem
an „George" gerichteten Brief geschrieben habe, so genüge das, um
zu beweisen, daß der Reklamant damals geheime Schriftstücke und
Papiergeld bei sich gehabt habe, und diese Annahme sei in keiner Weise
unrechtlich.
Das Gericht, habe freilich angenommen, daß der Reklamant sich
als Angehöriger der russischen Armee auf der „Fuping" eingeschifft
und die Pflicht gehabt habe, wenn das Schiff japanischen Kriegsschiffen
begegne und der Aufbringung nicht entgehen könne, nicht nur die Güter,
sondern auch das Schiff zu versenken. Diese Annahme habe es aber
nicht nur auf die Bescheinigung Ogorodnikoff's, sondern auf
verschiedene andere Beweise gegründet, und sie sei nicht unrechtmäßig.
Was die Behauptung angehe, daß der Reklamant erst nach seiner Ein-
schiffung schriftlich von dem russischen Konsul in Tientsin beauftragt
worden sei, so habe der Reklamant das nur mündlich kurz erwähnt.
Ein Brief des Konsuls, welcher diese Behauptung würde bekräftigen
können, sei indes nicht vorgelegt worden.
448
Priseiigericht86iit8Cheidungen: „Fuping". Abschnitt VI^^
Wenn man die verschiedenen Umstände in Betracht ziehe, so sei
der Blockadebruch und die Einfuhr von Kriegsbedarfsartikeln nach Port
Arthur eine Handlung, welche die größte Gefahr in sich trage und in
ihrem Resultat von der größten Bedeutung sei. Wenn daher im Falle
der Begegnung mit den feindlichen Kriegsschiffen die geheimen Schrift-
stücke und das Papiergeld verbrannt, und wenn noch Zeit vorhanden,
das Schiff habe durch Sprengen versenkt werden sollen, so sei das
ein Befehl, der so wichtige Aufgaben auferlege, daß ihn der Oberst
Ogorodnikoff vielleicht selber würde haben erteilen können; er
würde ihn aber schwerlich durch den Konsul erteilen lassen. Ganz
ausgeschlossen aber sei es, daß der Auftrag erst nach der Einschiffung
schriftlich erteilt sein solle, denn es liege doch auf der Hand, daß das
Versenken eines Schiffes durch Sprengen nur ausführbar sei^ wenn
die nötigen Vorbereitungen getroffen seien.
Es sei daher offenbar, daß der Reklamant sich sicher im Auftrage
des Obersten Ogorodnikoff als Aufsichtführender eingeschifft und
einige geheime Schriftstücke und eine große Menge Papiergeld mit-
genommen habe, die unabhängig von der allgemeinen Ladung von
Kriegsbedarfsartikeln gewesen seien; ein gewöhnlicher Passagier sei er
nicht gewesen.
Der Reklamant behaupte, daß die ins Wasser geworfenen Pakete
von dem russischen Konsul in Tientsin an den russischen Konsul in
Tschifu gerichtet und kein russisches Papiergeld gewesen seien. Da
aber die „Fuping" von Anfang an zum Blockadebruch und zur Einfuhr
von Munition und Lebensmitteln nach Port Arthur bestimmt gewesen
sei, nicht aber in Tschifu habe anlaufen sollen, wie aus der Aus-
sage des Kapitäns, der Bescheinigung Ogorodnikoff's und anderen
Beweismitteln hervorgehe, so sei es selbstverständlich, daß dem Schiff
Pakete für den Konsul in Tschifu nicht hätten mitgegeben werden
können. Was insbesondere die Behauptung, daß die Pakete kein russi-
sches Papiergeld enthalten hätten, angehe, so sei das nur von dem
Reklamanten mündlich ausgesagt worden und könne nicht anerkannt
werden.
Der Reklamant behaupte ferner bezüglich dessen, daß er dem
Auftrag, die ganze Ladung zu verbrennen, nicht nachgekommen sei,
daß er die Ausführung des Auftrags bezüglich der übrigen Ladung nicht
für nötig gehalten habe. Da aber die Pakete und die übrige Ladung in
gleicher Weise von russischen Behörden stammten und Auftrag er-
teilt gewesen sei, sie bei Begegnung mit japanischen Kriegsschiffen zu
verbrennen, so sei der Grund nicht einzusehen, weshalb, während ein
Teil ausgeführt worden sei, der andere unbefolgt habe bleiben sollen.
Eckardt habe auch bei der Vernehmung vor dem Prisengericht durch
Marstrand-Meohlenburgf, Das japanische Priseareoht. Band I. (29) x4:cr
Abschnitt VI«b Prlsengerichtsentscheidungen : „Fuping".
den mit dem Fall beauftragten Rat ausgesagt, daß, wenn auch die Pakete
ins Wasser geworfen worden seien, doch die Beschlagnahme zu plötzlich
gekommen sei, als daß die Sprengung des Schiffes sich habe ausführen
lassen. Daher könne die Berufungsbegründung, welche dieser Aus-
sage widerspreche, nicht anerkannt werden.
Es sei selbstredend richtig, daß zwischen der Ladung eines Schiffes
und dem Handgepäck der Passagiere ein Unterschied bestehe. Im vor-
liegenden Falle habe aber die russische Regierung das Schiff gechartert,
um Kriegsbedarfsgegenstände nach dem blockierten Port Arthur zu
schaffen, und der auf dem Schiff mitfahrende Offizier, der auf der Reise
nötigenfalls über die Ladung Entscheidung habe treffen sollen, habe
die wichtigsten Teile der zu Kriegszwecken dienenden Gegenstände,
nämlich Schriftstücke und Papiergeld, in Matten beziehungsweise in
seinem Koffer verpackt, mit sich geführt. Danach sei es eine ober-
flächliche Ansicht, welche behaupten wolle, daß diese Gegenstände, weil
sie nicht wie die andere Ladung im Ladungsverzeichnis aufgeführt seien,
keine Ladung darstellten. Handgepäck sei, was zum allzeitigen Gebrauch
der Passagiere vonnöten und seiner Art nach von der Ladung zu
unterscheiden sei; es bestimme sich aber nicht danach, ob es im I^dungs-
Verzeichnis stehe, noch danach, ob Fracht dafür bezahlt werde oder
nicht. Auch wenn man daher annehmen wolle, daß die 67 000 Papier-
rubel unabhängig von den 400 000 den Behörden gehörigen Rubeln
seien, so müsse man sie dann auch noch als Ladung ansehen. Denn
obwohl die gleichfalls von dem Reklamanten mitgeführten, zur Zeit der
Aufbringung ins Wasser geworfenen, zwei in Matten gepackten Pakete
nicht in dem Ladungsverzeichnis aufgeführt und daher mit dem Koffer
auf dieselbe Stufe zu stellen seien, habe doch der Reklamant diese nicht
als Handgepäck und als sein Privateigentum bezeichnet. Überdies habe
der Reklamant für seinen täglichen Gebrauch oder zur Deckung seiner
persönlichen Reisekosten noch besonderes Geld bei sich gehabt. Daher
sei es billig, den Koffer, welcher nur das Papiergeld enthalten habe,
sowie die in Matten gepackten Pakete als Ladung anzusehen. Aus
dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns und des Obermaschinisten er-
gebe sich, daß der Reklamant als Handgepäck 3 Koffer und 2 in
Matten gewickelte Pakete gehabt habe.
Wenn der Reklamant sich auf der „Fuping'' eingeschifft habe, so
sei das in der Absicht geschehen, sich seines Auftrags zu entledigen
und dann sogleich nach Tientsin zurückzukehren; daß er sich nicht,
auf der Reise nach der Heimat via Shanghai befindlich, eingeschifft habe,
gehe auch aus der Aussage des von ihm als boy engagierten Chinesen
hervor. Da demnach durchaus kein Bedürfnis vorgelegen habe, weshalb
er eine so große Menge privaten Geldes bei sich habe führen sollen,
so sei die Annahme, daß das Geld ein Teil der nach Port Arthur zu
450
Prisengerichtsentscheidungen: „Fuping'S Abschnitt VI«b
befördernden, dem Kriegsbedarf dienenden 400 000 Rubel gewesen sei,
gerechtfertigt.
Selbst wenn man aber dem Reklamanten darin nachgebe, daß das
Geld sein , Privateigentum sei, so sei es doch, wie oben dargetan, als
Ladung anzusehen und müsse als solche, weil es nicht bezweifelt
werden könne, daß der Reklamant von dem beabsichtigten Blockadebruch
Kenntnis gehabt habe, mit Recht eingezogen werden.
Der Reklamant bringe vor: daß er nach Tschifu habe gehen wollen,
gehe aus seinem Fahrschein hervor usw. Wenn man aber einmal
annehme, daß die „Fuping'' wirklich nach Tschifu habe reisen wollen,
so sei auch kein Stück der Ladung Konterbande. Das wisse jeder ge-
wöhnliche Mensch, von dem russischen Konsul und dem Reklamanten,
einem russischen Militär, nicht zu reden. Wenn demnach die Ladung
keine Konterbande sei und die Absicht des Blockadebruchs nicht vor-
gelegen habe, weshalb solle dann wohl der russische Konsul in Tientsin
Auftrag gegeben haben, daß die „Fuping'', wenn sie auf japanische
Kriegsschiffe stieße, mit ihrer Ladung verbrannt werden sollte, und
weshalb sollte der Reklamant diesem Auftrag Folge geleistet haben?
Deute nicht vielmehr das ganze Vorgehen des Reklamanten darauf hin,
daß er von seiner Einschiffung auf die „Fuping'' an sehr wohl gewußt
habe, daß das Schiff die Blockade habe brechen und nach Port Arthur
gehen sollen?
Wenn der Reklamant das Urteil des vorliegenden Falles, in dem
der Blockadebruch klar erwiesen sei, mit der bei Schiffen, welche zum
Blockadebruch oder zum Konterbandetransport verwendet würden, üb-
lichen Vorgabe angreife, daß das Schiff nach einem in der Nähe ge-
legenen neutralen Hafen bestimmt sei, so sei das eine ohne weitere
Worte haltlose Behauptung.
Da die Berufung nach dem oben Gesagten in allen Punkten un-
begründet sei, so müsse sie abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist unbestritten, daß der Dampfer „Fuping" die Blockade von
Port Arthur gebrochen hat, um Kriegsbedarfsartikel nach dort zu be-
fördern, und daß er auf dieser Reise aufgebracht worden ist.
Der Reklamant behauptet freilich, daß er sich, auf der Rückkehr
in die Heimat begriffen, als Fahrgast von Tientsin nach Tschifu auf dem
Dampfer eingeschifft und nicht die Absicht gehabt habe, nach Port
Arthur zu gehen. Während aber die „Fuping'' vorhatte, die Blockade
von Port Arthur zu brechen, konnte sie keine gewöhnlichen Fahrgäste
sich einschiffen lassen, noch konnte der Reklamant sich als solcher
einschiffen.
In einem an „George" gerichteten Brief des Kapitäns heißt es:
Auf meinem Schiff befindet sich ein russischer Offizier, der
(29*) 451
Abschnitt VIt2b Prtsengertchtsentschetdungen: ,,Fuptng".
Briefe für Port Arthur und 400 000 Rubel bei sich hat
Derselbe hat sich vorgenommen, damit das Schiff und die
auf ihm verladenen Kriegsbedarfsartikel nicht aufgebracht
werden, das Schiff zu sprengen, und er wird sich nicht be-
ruhigen, wenn er das nicht auch wirklich ausführt
Nach dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns hat derselbe gesagt, der
Offizier habe drei große Handkoffer als Handgepäck mitgebracht. Er
habe in Tongku gehört, daß derselbe eine große Menge Rubel bei sich
führe. Der Offizier heiße Eckard t. Auch der Obermaschinist hat
nach seinem Vernehmungsprotokoll zu urteilen, von jemandem gehört,
daß der Offizier eine große Menge Rubel bei sich habe. Auch der
Reklamant selber hat bei seiner Vernehmung durch den mit dem Fall
beauftragten Rat des Prisengerichts ausgesagt, der russische Konsul in
Tientsin habe ihm zwei in Matten verpackte Pakete anvertraut und ihm
Order gegeben, dieselben im Falle einer Begegnung mit japanischen
Kriegsschiffen irgendwie zu verbrennen und auch die ganze Ladung
zu verbrennen. Wenn die Aufbringung nicht so schnell vor sich ge-
gangen wäre, so habe er beabsichtigt gehabt, das Schiff ganz zu ver-
brennen.
Aus allem diesen geht hervor, daß der Reklamant eine große Menge
amtlichen russischen Geldes bei sich geführt und sich in besonderem
Auftrag auf der „Fuping" eingeschifft hat, um nach Port Arthur zu
fahren, nicht aber, um als gewöhnlicher Passagier nach Tschifu zu gehen.
Der Reklamant behauptet, er habe den Auftrag von dem russi-
schen Konsul in Tientsin erst nach seiner Einschiffung schriftlich er-
halten. Vor der Einschiffung habe er davon nichts gewußt. Das Ver-
brennen der ganzen Ladung eines Schiffes und das Sprengen sogar
auch des Schiffes selbst würde aber gehöriger Vorbereitung bedurft
haben und hätte sich nicht nach der Einschiffung plötzlich anordnen
lassen. Auch würde man dem Reklamanten, wenn er ein gewöhnlicher
Passagier wäre, eine solche Aufgabe nicht anvertrauen. Der Reklamant
würde auch nicht den Wunsch haben, einen solchen Auftrag auszuführen.
Wenn der Reklamant auch aus seinem Billet und seinem Gespräch
mit dem boy und dem Kapitän beweisen will, daß er, auf der Heim-
reise begriffen, nach Tschifu fahren wollte, so ist dies, wenn es nicht
überhaupt eins der gebräuchlichen Mittel, sein Ziel zu verheimlichen,
gewesen ist, nur eine Aussage des Reklamanten gewesen, die man nicht
als Beweis ansehen kann.
Der Reklamant hat demnach Schriftstücke und eine große Menge
russisches Papiergeld bei sich gehabt, um es nach Port Arthur zu be-
fördern. Es hatte sich eingeschifft mit der Aufgabe, wenn dieser mögliche
Fall eintreten sollte, dieselben zusammen mit der übrigen Ladung der
Aufbringung durch die japanische Marine zu entziehen, indem er je
452
Pri8engericht8ent8cheidungen: ,,Fuplng". Abschnitt VI»^
nach den Verhältnissen handelte. Es ist daher kein grundloses Vorurteil,
wenn man annimmt, daß die zur Verhandlung stehenden 67 000 Rubel
zusammen mit den beiden ins Wasser geworfenen Paketen die 400000
Rubel gewesen sind, von denen der Kapitän in seiner Aussage spricht.
Der Reklamant behauptet, daß die ihm von dem russischen Konsul
in Tientsin anvertrauten, in Matten gepackten Pakete für den russischen
Konsul in Tschifu bestimmt und kein Papiergeld gewesen seien. Wenn
diese Aussage richtig wäre, so würde keine Notwendigkeit vorgelegen
haben, dem Reklamanten aufzutragen, die Pakete im Falle, daß man auf
japanische Kriegsschiffe treffen solle, zu verbrennen.
Da es ferner daraus allein, daß der Auftrag gegeben wurde, die
Ladung zu verbrennen, offenbar ist, daß es bekannt war, daß die „Fuping"
die Blockade brechen sollte, so ist der Grund durchaus unverständlich,
weshalb einem Schiff, das einer solchen gefährlichen Reise entgegenging,
die in Matten verpackten Pakete für Tschifu hätten mitgegeben werden
sollen.
Selbst wenn man einmal annimmt, die zur Verhandlung stehenden
67 000 Rubel seien verschieden von den in der Aussage des Kapitäns
erwähnten 400000 Rubeln, so sind sie doch Ladung eines Blockade-
brechers gewesen, und daß sie in Kenntnis der Sachlage verschifft
worden sind, wird daraus klar, daß der Reklamant die Absicht gehabt
hat, die ganze Schiffsladung zu verbrennen, wenn, wie möglich, die
Notwendigkeit eintreten sollte. Daher muß das Geld, gleichviel ob es
Regierungsgeld oder Privatgeld war, mit Recht der Wegnahme ver-
fallen.
Der Reklamant wünscht mit der Begründung, daß das zur Ver-
handlung stehende Papiergeld in seinem eigenen Koffer gewesen sei,
zu beweisen, daß es zu dem in seinem Privateigentum stehenden Hand-
gepäck gehört habe. Da aber der Reklamant die Reise unternommen
hat, um nach einem blockierten Hafen eine große Menge amtlicher Gelder
zu schaffen, so kann lediglich die Tatsache, daß diese Gelder in dem
Koffer des Reklamanten verpackt gewesen sind, nicht beweisen, daß
das Geld keine Ladung und kein amtliches Geld ist.
Der Reklamant behauptet, die Zeugnisse Ogorodnikoff's und
des Leutnants Reutlinger betreffend die Herkunft des zur Ver-
handlung stehenden Geldes stimmten überein. Wenn trotzdem das
Urteil erster Instanz dieselben nicht anerkannt habe, so sei das un-
gerecht. Der Reklamant hat aber über die Herkunft der 67 000 Rubel
bei seiner Vernehmung durch den mit dem Fall beauftragten Rat des
Prisengerichts erster Instanz gesagt, daß 30 000 Rubel davon ihm von
dem Kaufmann Wassilieff in Wladiwostok geschickt worden seien;
daß er ungefähr 4000 Rubel von Liaoyang mitgebracht; und die übrigen
33000 Rubel für Eisenbahnlieferungen erhalten habe.
453
Abschnitt VI>>> Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia".
Ogorodnikoffhat aber dagegen gesagt, daß der Theaterbesitzer
G a 1 e t z k i in Wladiwostok die ganze Summe von 67 000 Rubeln im
Auftrag des Unternehmers des Theaterbaues Wassilieff durch Ver-
mittlung von dessen Stellvertreter Pawlowitsch an den Partner
Wassilieffs, den Reklamanten, geschickt habe. Während der Rekla-
mant behauptet, 33 000 Rubel von Ogorodnikoff erhalten zu haben,
sagen Ogorodnikoff und Leutnant R e u 1 1 i n g e r dagegen aus, daß
Pawlowitsch, der Vertreter des Theaterbesitzers in Wladiwostok,
das Geld selbst dem Reklamanten bezahlt habe. Alles dieses widerspricht
sich so, daß man nichts davon glauben kann. Vielmehr beweisen die Aus-
sagen des Reklamanten und der anderen dadurch, daß sie erdichtet
sind, daß das zur Verhandlung stehende Papiergeld in Wahrheit nicht
Privateigentum des Reklamanten ist.
Das Urteil erster Instanz ist daher nach dem oben Gesagten nicht,
wie der Reklamant behauptet, rechtswidrig, sondern durchaus zutreffend,
wenn es entschieden hat, daß das Geld als Eigentum der russischen
Behörden, welches mit Bestimmung nach Port Arthur auf einem
Blockadebrecher verschifft worden ist, eingezogen werden muß.
Der Reklamant bringt noch andere Punkte vor, es erscheint aber
nicht notwendig, darauf im einzelnen noch einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften).
Reklamant: SamuelHarrlson, Kapitän der „Nigretia", eng-
lischer Staatsangehöriger aus Westhartlepool in England.
Prozefivertreter: Die Rechtsanwälte: Shigefuji Tsuru-
taro, Nagasaki, Hikijimachi 33 und HatakeyamaShigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi 18.
In der Prisensache betreffend den englischen Dampfer „Nigretia"
wird, wie folgt, entschieden:
U rteilsf ormel:
Der Dampfer „Nigretia" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Nigretia'' steht im Eigen-
tum der Firma Allan & Co. in Newcastle-on-Tyne in England, er
454
Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia**. Abschnitt VI»«
führt die englische Flagge und ist ein Handelsschiff, welches ausschließlich
zum Gütertransport dient. Am 22. Oktober 1904 schloß der russische
Staatsangehörige AlexanderSerebrenikmitder Agentur der Firma
Allan & Co., der Firma Möller & Co., einen Chartervertrag über
das genannte Schiff ab und verlud 70000 Kisten Petroleum auf dem-
selben. Sodann veranlaßte er den Kommandanten des seiner Zeit von
Port Arthur nach Tschifu entwichenen russischen Torpedoboots „Rasto-
ropny", das sich selbst versenkte, Kapitän leutnant Paul Michaelo-
witsch Prehn, sich als einen Deutschen namens Friedrich
Pilsen er und den zur Besatzung dieses Torpedoboots gehörigen
Leutnant. zur See K. Valen tinowitsch Schweleff sich als einen
Deutschen namens Jean Gorschalky auszugeben. Diese beiden
sowie der russische Kaufmann Serge Politika bezeichnete er als
seine Faktoren bzw. Supercargos, gab jedem von ihnen einen Brief,
in dem er sie mit der Erledigung der kaufmännischen Obliegenheiten
betraute, und ließ sie sich auf der „Nigretia" einschiffen. Am 16. De-
zember fuhr der Dampfer von Shanghai ab und wurde, als er in der
Tsushima-Straße angelangt war, am 19. d. Mts., 2 Uhr nachmittags
auf 350 8' nördlicher Breite und 129 0 50' östlicher Länge von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Tsushima" unter dem Verdacht, Kriegskonter-
bandepersonen zu befördern, aufgebracht. ^)
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Tsushima", Sento Buo, die Vernehmungs-
protokolle des Kapitäns der „Nigretia", Samuel Harrison, des
Kapitänleutnants Paul Michaelowitsch Prehn und des Leut-
nants zur See K. Valentinowitsch Schweleff von der russischen
Marine, des russischen Kaufmanns Serge Politika, das Schiffs-
zertifikat des genannten Dampfers, den Chartervertrag, das Konnossement
und die Briefe, welche Alexander Serebrenik den drei Passa-
gieren gegeben hatte.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant habe Prehn, Schweleff und Politika an
Bord genommen, weil in dem Chartervertrag eine Bestimmung vor-
gesehen sei, nach welcher er verpflichtet sei, einen Supercargo und
zwei Passagiere sich einschiffen zu lassen. Der Reklamant habe den
Worten des Charterers durchaus Glauben geschenkt und Prehn und
Schweleff für Deutsche gehalten. Diese beiden russischen Offiziere
hätten keine Uniform angehabt, sich selbst als Deutsche ausgegeben
und sich auf Deutsch unterhalten. Infolge, dieser geschickten Verheim-
lichung ihres wahren Standes habe der Reklamant nicht geahnt, daß
sie russische Offiziere seien, und da keinerlei Anzeichen vorlägen, welche
Tvr§ 37,1.
455
Abschnitt VI»« Piisengerichtaentscheldungen: „NIgretIa"»
zu der Annahme nötigten, daß der Reklamant darum gewußt habe, so
könne ihm bezüglich der Einschiffung der beiden russischen Offiziere
keinerlei Verschulden zugemessen werden. 2)
Da ferner die beiden russischen Offiziere bereits auf Eid von
der chinesischen Regierung freigelassen seien, so hätten sie nicht mehr
die Eigenschaften von Kombattanten und seien daher keine Konterbande-
personen. »)
Aus diesen Gründen könnte das zur Verhandlung stehende Schiff
nicht unter der Anschuldigung, Konterbandepersonen befördert zu haben^
eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da Prehn und Schweleff russische Offiziere seien, so habe
der zur Verhandlung stehende Dampfer zum Transport von Konterbande-
personen gedient und sei daher einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die modernen völkerrechtlichen Bestimmungen und Gebräuche er-
kennen allgemein an, daß neutrale Schiffe, welche für einen krieg-
führenden Staat Kombattanten befördern, weil sie zur Beförderung von
Konterbandepersonen dienen, einzuziehen sind, sofern nicht Beweis vor-
liegt, daß der Kapitän ohne sein Verschulden die Umstände nicht ge-
kannt hat.
Es steht unzweifelhaft fest, daß der zur Verhandlung stehende
Dampfer „Nigretia'' zwei russische Marineoffiziere nach Wladiwostok
zu befördern versucht hat und demnach zum Transport von Konterbande-
personen gedient hat.
Mit Bezug auf die Einschiffung der russischen Marineoffiziere macht
der Reklamant geltend, daß er nicht die geringste Kenntnis davon gehabt
habe, daß dieselben Militärpersonen seien, auch treffe ihn bezüglich
dieser Unkenntnis kein Verschulden. Alles dieses sei der Handlung
des Charterers entsprungen, und das Schiff sei daher nicht einzuziehen.
Es liegt aber keinerlei Beweis dafür vor, daß der Kapitän hiervon nichts
gewußt hat. Selbst aber angenommen, er habe nicht darum gewußt,
so könne man doch nicht behaupten, daß ihn kein Verschulden treffe^
da er verantwortlicherweise den Worten des Charterers Glauben ge-
schenkt und die Leute danach für Deutsche gehalten und an Bord ge-
nommen habe.
Ferner bringt der Reklamant vor, daß die russischen Offiziere be-
reits auf Eid von der chinesischen Regierung freigelassen seien. Dem-
nach hätten sie nicht mehr die Eigenschaft von Kombattanten und seien
keine Konterbandepersonen. Die Tatsache, daß sie der chinesischen
Regierung Parole gegeben haben, hat aber auf ihren Stand als Kom-
battanten keinen Einfluß. Überdies geht daraus, daß sie ihren Stand
* 2) V. § 42,2. — 3) V. § 11.
456
Pri«engeiicht$8nt8cheldungen: „NIgretia". Abschnitt VI«»
verleugnet und heimlich nach Wladiwostok, dem Hauptflottenstutzpunkt
Rußlands, zu gelangen versucht haben, hervor, daß sie auch damals noch
mit militärischen Geschäften zu tun hatten und im militärischen Dienst
beschäftigt waren.
Da demnach das zur Verhandlung stehende Schiff zur Beförderung
von Konterbandepersonen gedient hat, so kann es der Strafe der Ein-
ziehung nicht entgehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften).
Reklamant: Samuel Harrison, Kapitän des Dampfers „Ni-
gretia", aus Westhartlepool, England.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Hatakeyama Shige-
aki, Nagasaki, Hiradomachi Nr. 18 und Shigefuji Tsurutaro,
Nagasaki, Hikijimachi Nr. 33.
Am 17. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den englischen Dampfer „Nigretia", welcher am 19.
Dezember 1904 auf 35 o 18' nördlicher Breite und 129 o 50' östlicher
Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tsushima'' aufgebracht worden
ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Ni-
gretia" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant SamuelHarrison durch
die Rechtsanwälte Hatakeyama Shigeaki und Shigefuji
Tsurutaro als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im
Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishi-
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Vertreter der Reklamation
Hatakeyama Shigeaki und Shigefuji Tsurutaro sind fol-
gende :
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe des
Dampfers „Nigretia" beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Nigretia" sei am
22. Oktober 1904 in Shanghai von dem russischen Staatsangehörigen
AlexanderSerebrenik gechartert und mit 70 000 Kisten Petroleum
befrachtet worden. Am 16. Dezember d. Js. sei es von Shanghai nach
Wladiwostok abgefahren.
457
Abschnitt VI<3a Prlsengeiichtsentscheidungen: „Nigretia'^
Es sei freilich wahr, daß der russische Kapitänleutnant Paul
Michaelowitsch Prehn und der russische Leutnant zur See
K. Valentinowitsch Schwele ff an Bord der „Nigretia" ge-
nommen seien, doch seien sie für Deutsche namens Friedrich Pil-
sener und Jean Gorschalky gehalten worden. Auf Grund der
in dem Chartervertrag enthaltenen Bestimmung, nach welcher ein Super-
cargo und zwei Passagiere mitzunehmen gewesen seien, sei am Tage
vor der Abreise ein Auftrag erhalten worden, nach welchem zwei Leute
als Supercargos an Bord zu nehmen gewesen seien. Am Tage der
Abreise hätten sich die beiden Supercargos eingeschifft, und der Charterer
Serebrenik habe dem Reklamanten gesagt, diese beiden seien zwei
in seinem Dienste stehende Deutsche. Der Reklamant habe nichts
bemerkt, was darauf hätte schließen lassen, daß die genannten beiden
Mitreisenden russische Kombattanten seien, oder was sonst irgendwie
zu Verdacht Anlaß hätte geben können. Di^se Tatsachen ergäben sich
klar aus den Vernehmungsprotokollen des russischen Kapitän leutnants
Paul Michaelowitsch Prehn und des Leutnants zur See
K. Valentinowitsch Schweleff, einer Aussageschrift des Char-
terers AlexanderSerebrenik, dem Chartervertrag und den Beweis-
dokumenten A 1 bis 3. Wenn demgegenüber das Gericht erster Instanz
entschieden habe, daß der Reklamant sich des Transports von Konter-
bandepersonen schuldig gemacht habe, so habe er dabei einen un-
zutreffenden Tatbestand angenommen.
Das Urteil erster Instanz führe aus, daß
kein Beweis dafür geliefert sei, daß der Kapitän nicht darum
gewußt habe, daß die Mitreisenden Kombattanten seien. Selbst
aber angenommen, er habe nicht davon gewußt, so könne man
doch nicht behaupten, daß ihn kein Verschulden treffe, da
er unverantwortlicherweise den Worten den Charterers
Glauben geschenkt und die Leute danach für Deutsche ge-
halten und an Bord genommen habe.
Es sei aber ein allgemeiner Grundsatz der Beweislehre, daß eine Beweis-
pflicht nur gegenüber positiven Behauptungen, nicht aber gegenüber
negativen Behauptungen bestehe. Das gelte selbstverständlich auch für
Fragen des öffentlichen Rechts. Selbst aber angenommen, daß es in
einem Fall wie dem vorliegenden völkerrechtlich notwendig sei, den
Beweis zu führen, so sei das mit dem oben Gesagten hinreichend ge-
schehen.
Wenn ferner die Behauptung aufgestellt werden solle, daß der
Reklamant um die fragliche Tatsache gewußt habe, so-müsse die Beweis-
last hierfür dem obliegen, der die Behauptung aufstelle. Es sei daher
durchaus im Widerspruch mit den Regeln des Beweisrechts, wenn ohne
Vorbringung irgendwelchen Beweises willkürlich angenommen worden
458
Prisengerichtsentscheidungeii: „NIgretia*'. Abschnitt VI<»
sei, daß der Reklamant bei dem Transport der Kombattanten Mittäter
gewesen sei.
2. P r e h n und Schweleff seien Offiziere, die zu der Besatzung
des russischen Torpedoboots „Rastoropny" gehört hätten. Danach
scheine es freilich auf den ersten Blick unzweifelhaft, daß sie Konterbande-
f)ersonen seien. Da sie aber, ehe sie sich auf dem zur Verhandlung
stehenden Schiff eingeschifft hätten, auf Grund des der chinesischen
Regierung geleisteten Eides, hinfort nicht am Kriege teilzunehmen, frei-
gelassen worden seien, so hätten sie selbstverständlich ihre Eigenschaft
als Kombattanten verloren. Die japanische Seeprisenordnung bezeichne
als Kriegskonterbandepersonen*) feindliche Soldaten und andere Per-
sonen, welche befördert würden, um beim Feinde Kriegsdienste zu
leisten. Wenn daher Personen in der Vergangenheit die Eigenschaft
von feindlichen Kombattanten gehabt hätten, so könne man sie, wenn
sie diese einmal vorhanden gewesene Eigenschaft verloren und ihre Ab-
sicht, an dem Kriege nicht teilzunehmen, durch einen Eid dargetan
hätten, nicht als Kriegskonterbandepersonen ansehen. Wenn dem aber
so sei. so könne es nicht bestritten werden, daß das Schiff, welches zu
ihrer Beförderung gedient hätte, nicht eingezogen werden könne.
3. Selbst aber einmal angenommen, die genannten beiden Personen
seien Kriegskonterbandepersonen, so könne doch das zur Verhandlung
stehende Schiff nicht eingezogen werden. Denn der Grund, aus welchem
Schiffe, die Konterbandepersonen beförderten, eingezogen würden, sei
der, daß der Transport seinem Charakter nach nicht eine kommerzielle
Handlung sei, sondern eine kriegerische Aktion, weil er eine Unter-
stützung einer der kriegführenden Parteien darstelle. Das Völkerrecht
sehe hierin Ausübung eines Teils der Feindseligkeiten. In diesem Sinne
«^tehe es daher vollkommen gleich, ob man von Kriegsdienst oder von
Konterbandefahrt spreche. Daher müßten folgende Tatsachen klargestellt
'«erden :
a) ob der Zweck der Reise des Schiffes der Transport der Konter-
bandepersonen gewesen sei;
b) ob der Reeder oder der Kapitän mit der feindlichen Regierung
einen Vertrag gemacht habe, bzw. ob der Transport dem Willen der
feindlichen Regierung entsprungen sei;
c) ob die fraglichen Personen in einer Eigenschaft eingeschifft
worden seien, in welcher sie Kriegsdienste zu leisten hätten.
Daß der Zweck der Reise des zur Verhandlung stehenden Schiffes
ein kaufmännischer gewesen sei, ergebe sich aus dem Chartervertrag,
und auch die Tatsache, daß es Petroleum befördert habe, welches, wie
bekannt, keine Konterbande sei, ^) müsse es über jeden Verdacht er-
*) V. § 11. — *) Petroleum wurde erst im folgenden Jahre für Konterbande
erklärt. Siehe III.
459
Abschnitt VI»a Piisengerlchtsentscheidongen: ,»Nlgretia"*
heben. Jedenfalls liege hierin keinerlei Beweis dafür, daß es den Feind
zu unterstützen vorgehabt habe, so daß die Bedingung unter a) nicht
erfüllt sei.
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe den Transport unter-
nommen lediglich im Auftrage einer einzigen Privatperson, der Firma
Serebrenik. Es habe nie einen Vertrag mit der feindlichen Regierung
abgeschlossen, und der Transport sei auch nicht dem Willen derselben
entsprungen. Somit liege auch die Bedingung unter b) nicht vor.
Ferner habe der Kapitän keinerlei Verpflichtung gehabt, zu unter-
suchen, ob die Mitreisenden, welche Zivilkleider getragen hätten, Militär-
personen seien oder nicht, und da Prehn und Schweleff sich
als Deutsche ausgegeben und in schlechter Kleidung an Bord gekommen
seien, so habe er auf den ersten Blick nicht sehen können, daß sie
Militärs seien. Demnach sei auch die Bedingung unter c) unerfüllt.
Da aus diesen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff
sich des Transports von Kriegskonterbandepersonen nicht schuldig ge-
macht habe, so könne es nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro, sind folgende:
1. Der Reklamant habe in keiner Weise bewiesen, daß er keine
Kenntnis davon gehabt habe, daß die beiden Mitreisenden russische
Marineoffiziere gewesen seien. Dagegen heiße es in dei\ von dem
Charterer an jeden der beiden Mitreisenden geschriebenen und von
diesen bei ihrer Einschiffung dem Reklamanten übergebenen Briefes:
„ jetzt nicht leicht zu erhaltenden Gelegenheit wünsche Ihnen
gute Rückkehr ". Das seien keine Worte, wie man sie gewöhnlich
seinen Handelsangestellten gegenüber gebrauche. Wenn trotzdem der
Reklamant einfach die Worte des Charterers für wahr genommen und
die beiden als deutsche Faktoren des Charterers an Bord genommen
habe, so könne man nicht sagen, daß ihn dabei kein Verschulden treffe.
2. Wenn auch Prehn und Schweleff der chinesischen Re-
gierung Parole gegeben hätten, nicht wieder an dem Kriege teilzunehmen,
und daraufhin freigelassen seien, so sei es doch selbstverständlich, daß
sie dadurch ihren militärischen Stand nicht verloren hätten. Auch
sei es unmöglich anzunehmen, daß sie ihrem Eide entsprechend nicht
wieder am Kriege teilgenommen haben würden, vielmehr müsse an-
genommen werden, daß sie unter Verletzung ihres Eides im Begriff
gewesen seien zu entweichen, um wieder in den Krieg zu gehen. Denn
sie hätten sich nach Wladiwostok begeben, welches zur Zeit der einzige
Stützpunkt der russischen Flotte im Osten sei. Dabei hätten sie ihre
Nationalität, ihren Namen und ihren Stand verleugnet und sich als
neutrale Handelspersonen ausgegeben. Das sei ausreichend, um ihre
460
Prisengeiichtsentscheidungen: „NIgretia". Abschnitt VI»>
böse Absicht darzutun. Hierzu komme auch noch, daß der Charterer
Serebrenik und der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffes
bei dem Betrug mitgewirkt hätten. Das sei eine Tatsache, die durch
die Bestimmung in dem Artikel 16 des Chartervertrags, durch die Briefe
Serebrenik'sandie beiden in Frage stehenden Personen, in welchen
er ihnen die Sorge für die Ladung anvertraute, und die Aussage des
Kapitäns im Prisengericht erster Instanz gegenüber dem mit dem Fall
beauftragten Rat klargestellt sei.
3. Ein Transport von Kriegskonterbandepersonen, d. h. ein
Neutralitätsbruch, sei nicht notwendigerweise von der Bedingung ab-
hängig, daß ein Vertrag mit der feindlichen Regierung abgeschlossen
sei oder daß dem Transport der Wille derselben zugrunde liege.
Es gebe viele Präcedenzen dafür, daß Reeder, Charterer und
Kapitäne sich dadurch, daß sie Kriegskonterbandepersonen oder Doku-
mente in bösem Glauben beförderten, schuldig machten. Der Reklamant
behaupte freilich, daß
den Kapitän kein Verschulden treffe, da P r e h n und der
andere in Zivilkleidung an Bord gekommen seien.
Das möge richtig sein für gewöhnliche Schiffe, welche als regel-
mäßige Schiffe zum Passagiertransport dienten, könne aber nicht zu-
treffen auf den vorliegenden Fall eines Frachtdampfers, der nach dem
Kriegshafen einer kriegführenden Macht gefahren sei.
Kurz, bezüglich Konterbandetransports könnten neutrale Staats-
angehörige, welche einen solchen unternähmen, unbekümmert, ob sie
darum gewußt oder ob sie die Handlung unter Bedrohung und gegen
ihren eigenen Willen ausgeführt hätten, der Verantwortung dafür nicht
entgehen. Um so weniger sei dies möglich in dem vorliegenden Falle,
wo der Charterer, der Kapitän und die entweichenden Kombattanten
in Gemeinschaft gehandelt hätten.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „'Negretia" hat die beiden
russischen Marineoffiziere, den Kapitänleutnant P r e h n und den Leut-
nant zur See Schweleffan Bord genommen, eine Ladung von 70000
Kisten Petroleum geladen und ist von Shanghai nach Wladiwostok
abgefahren.
Der Reklamant behauptet, daß die beiden genannten Personen
auf Grund eines der chinesischen Regierung geleisteten Eides, hinfort
keinen Kriegsdienst zu leisten, freigelassen worden seien. Dadurch hätten
sie selbstverständlich die Eigenschaft von Kombattanten verloren und
seien keine Kriegskonterbandepersonen. Dadurch, daß sie den Eid ge-
leistet und freigelassen sind, haben sie aber keineswegs ihre Eigenschaft
als Militärpersonen verloren. Auch steht es nicht unbedingt fest, daß
461
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen : „Nigretia".
sie, wenn sie auch den Eid geleistet haben, diesen nicht verletzen würden.
Die genannten beiden Personen haben nun ihre Nationalität und ihren
Namen verleugnet, ihren Stand als feindliche Militärs verheimlicht, und
versucht, heimlich nach einem feindlichen Kriegshafen zu gelangen.
Wenn man dieses Verhalten betrachtet, so wird es offenbar, daß sie noch
mit militärischen Geschäften zu tun hatten und beabsichtigten, wieder
militärischen Dienst zu leisten. Es steht daher über jedem Zweifel^
daß sie Konterbandepersonen sind.
Der Charterer des zur Verhandlung stehenden Dampfers, die Firma
Serebrenik, hat die genannten russischen Militärpersonen bei ihrer
Einschiffung sich als die Deutschen P i 1 s e n e r und Gorschalk y aus-
geben lassen und hat ihnen Briefe gegeben, nach welchen er sie mit
der Beaufsichtigung bei der Loschung der Ladung und der Begleichung
der Rechnung beauftragte. Er hat sie auf diese Weise als seine eigenen
Handelsangestellten vorgegeben und sie ihren Stand als feindliche Militär-
personen verheimlichen lassen. Diese Tatsachen werden hinreichend
klargestellt durch die erstinstanzlichen Vernehmungsprotokolle des auf
dem Schiff mitreisenden Politika, der obengenannten Prehn und
Schweleff sowie des Kapitäns des zur Verhandlung stehenden
Schiffes, durch die Briefe Serebrenik'san Prehn und Schweleff
und den Chartervertrag.
Nach allem diesen muß angenommen werden, daß der Zweck der
Reise des Schiffes der Transport von Kriegskonterbandepersonen war.
Es ist aber völkerrechtlich anerkannt, daß Schiffe, deren Reisezweck der
Transport von Konterbandepersonen ist, eingezogen werden können. ^)
Überdies läßt sich aus den obengenannten Beweisdokumenten ent-
nehmen, daß der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffes
gewußt hat, daß die beiden genannten Personen russische Militärs
waren.
Da hiernach das Schiff der Einziehung nicht entgehen kann, so
ist es zutreffend gewesen, daß das Gericht erster Instanz auf Einziehung
desselben erkannt hat.
Es erübrigt sich demnach, auf die einzelnen Berufungspunkte noch
besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 2. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften).
') V. § 42,2.
462
Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia". Abschnitt VI 23 b
Reklamant: Alexander Serebrenik, russischer Kauf-
mann, wohnhaft in Shanghai, Range Road Nr. 25.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Shigefuji.Tsurutaro,
Nagasaki, Hikijimachi Nr. 33 und Hatakeyama Shigeaki, Naga-
saki, Hiradomachi Nr. 18.
In der Prisensache betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Nigretia'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Nigretia'' verschifften 70000 Kisten Petro-
leum werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 70000 Kisten Petroleum sind
von dem Reklamanten Alexander Serebrenik in Shanghai,
China, auf dem Dampfer „Nigretia'' verschifft und am 16. Dezember
1904 nach Wladiwostok in Rußland abgesandt worden. Der Reklamant
veranlaßte den Kommandanten des seiner Zeit von Port Arthur nach
Tschifu entwichenen russischen Torpedoboots „Rastoropny", das sich
selbst versenkte, Kapitänleutnant Paul Michaelowitsch Prehn,
sich als einen Deutschen namens Friedrich Pilsener und den
zu der Besatzung dieses Torpedoboots gehörigen Leutnant zur See
K. ValentinowitschS chweleff sich als einen Deutschen namens
Jean Gorschalky auszugeben. Diese beiden sowie den russischen
Kaufmann Serge Politika bezeichnete er als seine Faktoren bzw.
Supercargos, gab jedem von ihnen einen Brief, in dem er sie mit der
Erledigung der kaufmännischen Obliegenheiten betraute und ließ sie
sich auf der „Nigretia" einschiffen.
Die genannte Ladung wurde am 19. Dezember 1904, 2 Uhr nach-
mittags auf 350 8' nördlicher Breite und 129° 50' östlicher Länge
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tsushima", als das genannte Schiff
unter dem Verdacht, Konterbandepersonen zu befördern, aufgebracht
wurde, gleichzeitig beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten der „Tsushima'', Sento Buo, die Vernehmungs-
prötokolle des Kapitäns der „Nigretia", Samuel Harrison, des
Kapitänleutnants Paul Michaelowitsch Prehn und des Leut-
nants zur See K. Valentinowitsch Schweleff von der russischen
Marine, des russischen Kaufmanns Serge Politika, das Schiffs-
zertifikat des genannten Dampfers, den Chartervertrag, das Konnossement
und die Briefe, welche Alexander Serebrenik den drei Passa-
gieren gegeben hatte.
463
Abschnitt Vl^sb Pri86ngeiicht8eiit8cheidungen: „Nigretia".
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von Petroleum sei keine
Kriegskonterbande 1) und könne, obwohl im Eigentum eines feindlichen
Staatsangehörigen stehend, weil auf neutralem Schiffe befindlich und
nicht nach einem blockierten Hafen bestimmt, nicht von einer krieg-
führenden Macht beschlagnahmt werden. Daher sei sie freizulassen.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Der Reklamant habe zwei russische Marineoffiziere fälschlich als
seinen Faktor und Supercargo ausgegeben und versucht, sie nach feind-
lichem Gebiet zu befördern. Da er sich daher einer Beförderung von
Konterbandepersonen schuldig gemacht habe, so sei die ihm gehörige
zur Verhandlung stehende Ladung einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist ein Grundsatz des modernen Völkerrechts, daß Schiffe, welche
zum Konterbandetransport 2) gedient haben, zur Strafe eingezogen
werden und daß die Ladungsgüter von Ladungseigentümern, welche bei
diesem Transport mit beteiligt gewesen sind, gleichfalls eingezogen
werden.
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist von dem Reklamanten
Alexander Serebrenik auf dem Dampfer „Nigretia" verschifft
worden. Der Reklamant hat ferner zwei russische Marineoffiziere als
seinen Faktor beziehungsweise Supercargo ausgegeben und versucht, sie
nach Wladiwostok in Rußland zu schaffen. Serebrenik hat diesen
Konterbandetransport tatsächlich selbst unternommen und ausgeführt.
Daher ist die ihm gehörige Ladung, gleichgültig, ob sie Konterbande
ist oder nicht, einzuziehen. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften).
^) Petroleum wurde erst im folgenden Jahre für Konterbande erklärt. Siehe III.
2) Gemeint ist hier ein Transport von uneigentlicher Konterbande, in diesem
Falle Militärpersonen.
3) Dieser Fall findet in der japanischen Seeprisenordnuog keine Deckung.
464
PriMngerichtsentscheidinigen: »Nigretia". Abschnitt VI2s%
Reklamant: Alexander Serebrenik, russischer Staats-
angehöriger, wohnhaft in Shanghai, China, Range Road Nr. 25.
Prozefivertreter: Die Rechtsanwälte Hatakeyama Shige-
aki, Nagasaki, Hiradomachi Nr. 18 und ShigefujiTsurotaro, Na-
gasaki, Hikijimachi Nr. 33.
Am 17. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Nigretia", welcher
am 19. Dezember 1904 auf 35° 18' nördlicher Breite und 129 o 50' öst-
licher Lange von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tsushima" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der auf dem
Dampfer „Nigretia" verschifften 70000 Kisten Petroleum erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant Alexander Sere-
brenik durch die Rechtsanwälte Hatakeyama Shigeaki und
Shigefuji Tsurutaro die Berufung eingelegt, welche im Beisein
der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation Hata-
keyama Shigeaki und Shigefuji Tsurutaro sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe der
Ladung des Dampfers „Nigretia" von 70000 Kisten Petroleum be-
antragt, und zwar aus folgenden Gründen:
Der Reklamant habe im November 1904 sein Hauptgeschäft in
Harbin und eine Filiale in Wladiwostok gehabt. Er habe mit dem Proku-
risten Heim an des russischen Kaufmanns A. L. Kivotovsky einen
Vertrag über Verkauf von 150000 Kisten Petroleum abgeschlossen.
Diese habe er in Shanghai eingekauft und Vorbereitungen getroffen,
sie auf dem Dampfer „Nordpol'' zu verschiffen. Da aber der Dampfer
eine Bescheinigung über Ladefähigkeit von mehr als 90000 Kisten
nicht gehabt hätte, so habe er diese Menge verschifft und die übrigen
60000 Kisten und weitere 10000 Kisten, die er zu verkaufen beabsichtigt
gehabt habe, zusammen auf dem Dampfer „Nigretia" verladen und
am 16. Dezember desselben Jahres abgesandt.
Er habe den russischen Kapitänleutnant PaulMichaelowitsch
Prehn für den Deutschen Friedrich Pilsener und den Leutnant
zurSeeK. ValentinowitschSchwelefffür den Deutschen Jean
Oorschalky gehalten, und es sei wahr, daß er sie zur Erledigung
kaufmännischer Obliegenheiten sich auf der „Nigretia" habe einschiffen
lassen. Daß sie Marineoffiziere seien, habe er nicht im geringsten
geahnt. Dies gehe auch hervor aus den Vernehmungsprotokollen des
Kapitäns der „Nigretia", Samuel Harrison, der genannten Prehn
und Schweleff, aus dem Chartervertrag und den Beweisstücken
A 1 bis 3.
M»rstrAn d-Meohlenbur ff, Das Japanische Prisenrecht. Band I. (30) 4:65
Abschnitt Vl^sb Prisengerichtsentscheluungen: „NIgretIa*'»
Wenn das Urteil erster Instanz daher entschieden habe, daß der
Reklamant die beiden russischen Marineoffiziere fälschlich als seinen
Faktor und Supercargo ausgegeben und versucht habe, sie nach Ruß-
land zu befördern, und daß er demnach einen Konterbandetransport
vorgehabt und in Ausführung gesetzt habe, so sei dies eine völlig
falsche Auffassung des Tatbestandes.
Außerdem sei die Entscheidung, daß, wenn der Ladungseigentümer
an dem Konterbandetransport Anteil gehabt habe, die Ladung ein-
zuziehen sei, eine unzutreffende Auslegung des Konterbandetransports,,
welche die Grenzen derselben erweitere. Denn in Fällen von Konter-
bandetransport und in solchen, wo Güter, d. h. Konterbandegüter,,
an Bord seien, sei der Rechtsgrund für die Einziehung ganz ver-
schieden. Im letzteren Falle herrschte der Grundsatz, daß die Ein-
ziehung sich vorzugsweise gegen die Ladung richte, nicht aber
sich auf das Schiff erstrecke; im ersteren Falle dagegen gelte die
Regel, daß sie das Schiff treffe, die Ladung dagegen verschone. Daß
ausnahmsweise Konterbandefahrt*) die Folge habe, daß ihr feindseliger
Charakter auch auf die Ladung übergehe und daß diese zusammen
mit dem Schiff eingezogen werde, beschränke sich auf die Fälle, wo
der Eigentümer des Schiffes und der Ladung ein und dieselbe Person
sei. Dies sei nicht nur allgemeine völkerrechtliche Praxis, auch die
japanische Seeprisenordnung*) scheine vielmehr in §§ 42, Absatz 2,
46 und 47 diesen Standpunkt einzunehmen. In einem Falle aber wie
dem vorliegenden, wo der Reeder und der Kapitän des Schiffes von
dem Eigentümer der Ladung verschieden seien, sei es ganz klar, daß
die obengenannte Erweiterung nicht platzgreifen könne.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts iVlizukami
Chojiro vom Prisengericht zu Sasebo sind folgende:
1. Der Reklamant behaupte, daß
er freilich zur Aufsicht über das auf dem Dampfer „Ni-
gretia" verladene Petroleum und zur Erledigung anderer Ob-
liegenheiten die beiden Deutschen Friedrich Pilsener
und Jean Gorschalky an Bord geschickt habe, daß er
aber nicht im geringsten geahnt habe, daß dieselben russische
Marineoffiziere gewesen seien.
Es sei aber selbstverständlich, daß jemand, der einen anderen mit
seinen kaufmännischen Angelegenheiten betraue, diesen gut kennen und
hinreichendes Vertrauen zu ihm haben müsse, und niemand würde so
unvernünftig sein, jemanden zu engagieren, von dem er nicht ein-
mal den Namen, die Nationalität und den Stand kenne. W^enn man
*) Der Ausdruck ist ungeschickt gewählt; es müßte heißen Quasikonterbande»
transport.
») V.
466
Prisengerichtsentscheldungen: „NIgretia". Abschnitt VI 23b
dagegen erwäge, daß der Reklamant jeder der genannten beiden Per-
sonen ausdrücklich einen Brief geschickt habe und daß es darin heiße:
M jetzt nicht leicht zu erhaltenden Gelegenheit wünsche
Ihnen gute Rückkehr ", so sei es offenbar, daß der Reklamant ge-
wußt habe, daß die beiden russische Marineoffiziere seien und daß er
sie unter der Vorgabe, sie seien sein Faktor und Supercargo, nach
Wladiwostok zu schaffen beabsichtigt habe.
2. Der Reklamant sage,
wenn auch im Falle von Konterbandetransport 6) die Strafe
der Einziehung sich für das Schiff nicht umgehen lasse, so
sei doch die Einziehung der Ladung eine Verletzung der
völkerrechtlichen Prinzipien.
Es sei aber völkerrechtlicher Grundsatz, daß Schiffe, welche zum Kriegs-
konterbandetransport gedient hätten, mit Einziehung bestraft würden
und daß, wenn Ladungseigentümer an diesem Transport beteiligt seien,
auch deren Ladung einzuziehen sei. Da aber, wie im vorigen Punkte
dargetan, der Reklamant zwei russische Marineoffiziere als gewöhnliche
Kaufleute ausgegeben, dieselben nach Wladiwostok zu schaffen unter-
nommen und dies in Ausführung gesetzt habe, so sei es klar, daß er
an dem Konterbandetransport teilgenommen habe, und es sei selbst-
verständlich, daß die ihm gehörige Ladting dem Schicksal der Ein-
ziehung verfallen müsse.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der in Frage stehende Dampfer „Nigretia" hat die beiden russi-
schen Marineoffiziere, den Kapitänleutnant Prehn und den Leutnant
zur See Schweleff an Bord genommen, eine Ladung von 70000
Kisten Petroleum geladen und ist von Shanghai nach Wladiwostok ab-
gefahren. Der Charter>er des Schiffes, die Firma Serebrenik, hat
die genannten russischen Militärpersonen bei ihrer Einschiffung sich
als die Deutschen Pilsen er und Gorschalky ausgeben lassen und
hat ihnen Briefe gegeben, nach welchen er sie mit der Beaufsichtigung
bei der Löschung der Ladung und der Begleichung der Rechnung be-
auftragte. Er hat sie auf diese Weise als seine eigenen Handelsangestellten
vorgegeben und sie ihren Stand als feindliche Militärpersonen verheim-
lichen lassen. Diese Tatsachen werden hinreichend klargestellt durch
die erstinstanzlichen Vernehmungsprotokolle des auf dem Schiff mit-
reisenden Politika, der oben genannten Prehn und Schweleff,
sowie des Kapitäns des Schiffes, durch die Briefe Serebrenik's an
Prehn und Schweleff und den Chartervertrag.
Nach allem diesen muß angenommen werden, daß der Zweck der
^) Der Reklamant meint mit dem gewählten Ausdnick den Quasikonterbande-
transport. Vgl. Anm. 4.
(30*) 467
Abschnitt VI »• Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia".
Reise des Schiffes der Transport von Kriegskonterbandepersonen war
Es ist aber völkerrechtlich anerkannt, daß Ladung, welche einer Person
gehört, die ein Schiff zum Transport von Kriegskonterbandepersonen
bereitstellt, ^) soweit sie sich an Bord dieses Schiffes befindet, eingezogen
werden kann. Es ist daher durchaus rechtmäßig, wenn im Urteil erster
Instanz auf Einziehung der. zur Verhandlung stehenden Ladung erkannt
worden ist, und die Berufung ist unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 2. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Mitsu Bishi-Kommanditgesellschaft Tokio, Koji-
machiku Yayesucho Ichome Nr. 1, Geschäftsführer und gesetzlicher Ver-
treter Iwasaki Hisaya.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Takaki Toyozo und
Nakamura To.kujuro, Tokio, Kojimachiku Uchisaiwaicho Ichome
Nr. 3.
In der Reklamation betreffend ein Vorzugsrecht an dem englischen
Dampfer „Nigretia" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Reklamant habe den englischen Dampfer „Nigretia" vom 14. April
bis zum 24. Oktober 1904 gechartert gehabt. Am 19. Oktober d. Js.
sei der Dampfer etwa 65 Seemeilen aufwärts in dem Unterlauf des
Kiu Kiang in China, bei Tonglin Pagoda auf eine Sandbank auf-
gelaufen. Reklamant habe die Hilfeleistung ausgeführt und darauf
Yen 4379,57 verwandt. Da dies allgemeine Havariekosten seien, so
stehe dem Reklamanten an dem Schiffe ein Vorzugsrecht für die ge-
nannte Summe zu. Das Schiff sei dann aber nach Ablauf der Charter-
frist des Reklamanten am 19. Dezember d. Js. auf 35 ^ 18' nördlicher
Breite und 129 ^ 50' östlicher Länge von dem Kaiserlichen Kriegs-
'') Analoge Erweitemng des .Eigentümers* des § 42,2 der Seeprisenordnung (V)
auf den Charterer.
468
PriseBgerichtsentscheldunaen: „Nigretla". Abschnitt VI»«
schiff „Tsushima" aufgebracht worden. Reklamant sei an den Um-
ständen, welche zu der Aufbringung geführt hätten, nicht interessiert,
es stehe ihm aber an dem Schiff ein dingliches Recht, nämlich, wie
oben dargetan, ein Vorzugsrecht zu, welches er jedem dritten ent-
gegensetzen könne. Daher müsse jemand, der später Rechte an dem
Schiffe erwürbe, unbedingt seine Rechte anerkennen. Das stehe nachr
privatrechtlichen Begriffen völlig außer Zweifel, aber es stehe nichts,
im Wege, auch eine öffentlich-rechtliche Beziehung, wie sie eine prisen-
rechtliche Wegnahme schaffe, in gleicher Weise zu beurteilen. D^s
moderne Völkerrecht entwickele sich dahin, die Rechte privater Per-
sonen in weitestem Maße zu respektieren. Wenn daher die jetzige
japanische Prisengerichtsordnung i) im § 16 Absatz 2 ganz allgemein
Personen, die an der Prise ein Interesse hätten, ein Reklamationsrecht
zuerkenne, und dies nicht nur auf Personen, denen Eigentumsrechte
zuständen, beschränke, so müsse auch das in dem vorliegenden Falle
geltend gemachte Vorzugsrecht nach Maßgabe der genannten Be-
stimmung geschützt werden.
Das genannte Vorzugsrecht sei ein dingliches Recht, welches von
Gesetzes wegen zufalle, nicht aber wie ein Pfandrecht willkürlich durch
Vertrag erteilt werde. Da also falsche Angaben hierüber nicht möglich
seien, so habe es ganz besonders Anspruch auf Schutz. Auch werde
durch diesen Scjiutz das Recht auf die Prise nicht im geringsten ver-
letzt.
Es werde daher ein Urteil erbeten, in welchem ausgesprochen
würde, daß der Reklamant an der „Nigretia" ein Vorzugsrecht für
Yen 4379,57 Hilfskosten habe.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Der Reklamant habe kein rechtliches Interesse an ' dem in Frage
stehenden Schiffe. Selbst aber angenommen, er habe dies Interesse,
so beziehe sich die Reklamation nicht auf Einziehung bzw. Freigabe
des Schiffes, und es stehe dem Prisengericht nicht zu, über einen
Antrag auf Festsetzung eines Vorzugsrechts wegen eines Anspruchs an
dem Schiffe eine Entscheidung zu treffen. Daher sei die Reklamation
abzuweisen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn auch der Reklamant für den Dampfer „Nigretia" Yen 4397,57
als Hilfskosten bezahlt hat, so erkennen doch unsere gesetzlichen Be-
stimmungen in ihrem Wortlaut Vorzugsrechte an Prisen nicht an. Auch
das Völkerrecht erachtet das Recht des Kaptors an einer Prise als ein
absolutes Recht, dem gegenüber dritte weder dingliche noch Forderungs-
rechte geltend machen können.
Die Vertreter der Reklamation behaupten, die Bestimmung des
469
Abschnitt VI<3« Prisengeiichtsentscheidungen: MNigretIa".
Absatzes 2, § 16 der Prisengerichtsordnung beschränke das Recht der
Reklamation nicht auf den Eigentümer, sondern auch ein Vorzugsrecht
müsse nach dieser Bestimmung Schutz erhalten.
Wenn aber auch die Befugnis, eine Reklamation zu erheben, sich
nicht nur auf den Eigentümer beschränkt, so kann doch der Reklamant
keinen Schutz für ein Vorzugsrecht an einer Prise erhalten. Daher
ist der Antrag der Vertreter der Reklamation auf Festsetzung eines
Vorzugsrechts an dem Schiffe unbegründet.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 17. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Mitsu Bishi-Konimanditgesellschaft, Tokio,
Kojimachiku Yayesucho Ichome Nr. 1, Geschäftsführer und gesetzlicher
Vertreter Iwasaki Hisaya.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Takaki Toyozo und
Nakamura Tokujuro, Tokio, Kojimachiku Uchisaiwaicho Ichome
Nr. 3.
Am 17. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo über eine
Reklamation betreffend Feststellung eines Vorzugsrechts an dem eng-
lischen Dampfer „Nigretia", welcher am 19. Dezember 1904 auf 35 « 18 '
nördlicher Breite und 129 ^ 50' östlicher Länge von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Tsushima'' aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Abweisung der Reklamation erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, der gesetzliche Vertreter
.der Mitsu Bishi-Kommanditgesellschaft, Iwasaki Hisaya, durch
die Rechtsanwälte Takaki Toyozo und Nakamura Tokujuro
als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation Takaki
Toyozo und Nakamura Tokujuro sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Festsetzung
des Vorzugsrechts für Yen 4375,57 Hilfskosten an dem Dampfer „Ni-
gretia" beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
In einem Falle, wo wie der Reklamant es vorbringe, ein Vorzugs-
recht an einem beschlagnahmten Schiff zuständig sei, sei der Haupt-
punkt der, ob er es geltend machen könne oder nicht.
470
Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia". Abschnitt VI ^*
Das Gericht erster Instanz habe entschieden, daß
unsere gesetzlichen Bestimmungen in ihrem Wortlaut Vor-
zugsrechte an Prisen nicht anerkennten. Auch das Völker-
recht erachte das Recht des Kaptors an einer Prise als ein
absolutes Recht, dem gegenüber dritte weder dingliche noch
Forderungsrechte geltend machen könnten.
In der Prisengerichtsordnung heiße es indes im § 16 -J)
Wenn der Staatsanwalt in seinem Schriftsatz geltend mache,
daß eine Entscheidung auf Einziehung abzugeben sei, oder
wenn das Prisengericht sich der Ansicht des Staatsanwalts,
daß die Prise sofort freizulassen sei> nicht anschließe, habe
das Prisengericht das Bekanntmachungsverfahren vorzu-
nehmen.
In der Bekanntmachung des vorigen Absatzes seien die
Interessenten darüber zu unterrichten, daß sie innerhalb einer
Frist von dreißig Tagen, vom Tage nach der Bekanntmachung
an gerechnet, schriftlich reklamieren könnten usw.
Darin sei also anerkannt, daß ganz allgemein Personen, welche bei einer
Entscheidung über Wegnahme einer Prise interessiert seien, das Recht
der Reklamation zustehe. Daß das, was als „Interesse" bezeichnet
sei, sich nicht auf das des Eigentümers beschränke, gehe aus der Fassung
der Bestimmung von selbst hervor. Auch ergebe sich daraus, daß
es nicht in Zweifel gezogen werden könne, daß eine Person, welcher
ein Vorzugsrecht zustehe, damit auch ein Interesse besitze, ganz klar,
daß der Reklamant unter die „Interessenten" des genannten Paragraphen
falle. Wenn dies der Sinn dieser Bestimmung sei und trotzdem in der
Weise argumentiert werde, daß dem Wortlaut nach ein Vorzugsrecht
nicht anerkannt, sei, so heiße das, die gesetzgeberische Idee zunichte
machen, welche mit dem Ausdruck „Interessenten" einen weiten Begriff
gewählt habe. Willkürlich diesen Ausdruck „Intereressenten" mit „Eigen-
tümer" identifizieren zu wollen, sei unbestreitbar verkehrt, und das
Urteil erster Instanz, welches der Prisengerichtsordnung diese Auslegung
gebe, sei unzutreffend. Auch passe dies nicht mit den Begriffen des
Völkerrechts zusammen.
Das Gericht erster Instanz entscheide, daß
völkerrechtlich das Recht des Kaptors an der Prise ein ab-
solutes sei, gegen welches dritte weder dingliche noch
Forderungsrechte geltend machen könnten.
Das Völkerrecht habe indes einen derartigen Grundsatz noch nicht
aufgestellt. Die Wissenschaft stehe aber auf dem Standpunkt, daß
Rechte wie das in dieser Berufung verfochtene, welche dem Schiffe
das Leben gerettet hätten, anzuerkennen seien. Wenn man nun diesem
«) IV.
471
Abschnitt VI 21c Prisengerichtsentscheidungen : „NIgretia".
Rechtssatz nachspüre, so finde man, daß er in dem Recht aller Länder
anerkannt sei, daß die Kosten einer allgemeinen Havarie ein Vorzugs-
recht an dem Schiff genössen und daß es keine Bestimmung gebe,
welche dies Prinzip verletze. Man müsse daher sagen, daß diese Rechts-
vorschrift ein völkerrechtliches Prinzip darstelle. Das Vorzugsrecht sei
ein dingliches Recht, welches an dem Schiff hafte und an ihm geltend
gemacht werden könne. Was die Gegenstände angehe, welchen dieses
Recht anhafte, so hätten sie nicht den Wert uneingeschränkten Eigen-
tums. Da dem so sei, so sei die Einziehung eines Schiffes, das sich
in dieser Rechtslage befinde, Einziehung eines belasteten Eigentums,
und diese Belastung habe Anspruch auf Anerkennung.
Nach den §§ 42 und 43 der Seeprisen Ordnung 3) sei ferner die
Einziehung von Konterbandegütern eine Strafe für die Personen, die
sich des rechtswidrigen Verhaltens schuldig gemacht hätten, und es
sei selbstverständlich, daß sie auf die Vermögensrechte dritter Personen,
welche an diesem Verhalten keinen Anteil hätten, keinen Einfluß aus-
üben könne.
Wenn dem so sei, so sei es im Völkerrecht begründet, wenn dritte,
welche an einer Prise dingliche Rechte besäßen wie der Reklamant,
in diesen geschützt würden. Es sei daher unzutreffend, wenn das
Gericht erster Instanz das Gesuch des Reklamanten als unbegründet
verworfen habe.
Der Staatsanwalt des Gerichts erster Instanz behaupte bezüglich
der Form*) der vorliegenden Reklamation, daß
sie nicht die Freigabe des Schiffes beantrage, sondern auf
Feststellung eines Vorzugsrechts an dem Schiff gerichtet
sei. Das sei eine formwidrige Reklamation.
Reklamant wünsche, da er glaube, daß eine Untersuchung der Amts-
befugnisse in diesem Punkte zu den Aufgaben des Oberprisengerichts
gehöre, im folgenden die Gründe, aus denen die Reklamation form-
gerecht sei, darzutun.
Da, wie im vorstehenden dargetan, eine Reklamation von Per-
sonen erhoben werde, welche sich als durch das Urteil auf Wegnahme
nach § 16 der Prisengerichtsordnung. 5) in ihren Interessen an einem
Schiff, einer Ladung oder dergleichen geschädigt erachteten, so müsse
natürlich jede Art und Weise, auf welche dem Schaden abgeholfen
werden könne, ohne die Form zu berücksichtigen, anerkannt werden.
In der Prisengerichtsordnung sei nicht bestimmt, daß die Rekla-
8) V.
*) Faktisch wird nicht die Form, sondern vielmehr der Inhalt der Reklamation
gerügt.
*) Müßte heißen: durch Einleitung der Verfahrens nach § 16 der Prisengerichts-
ordnung. (IV).
472
Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia". Abschnitt VI<>«
mation der Form nach ein Antrag auf Freigabe sein müsse. Wenn
das Gericht erster Instanz die Reklamation auf diesen einen Punkt
beschränke, so sei es nicht bis zum wahren Sinn des Gesetzes durch-
gedrungen. In einem Falle zum Beispiel, wo ein Schiff und seine
Ladung, welche zu einer verbotenen Handlung in keiner Beziehung
stünden, von einem japanischen Kriegsschiff in den Grund gebohrt
seien, würde die von den Eigentümern des Schiffes und der Ladung
einzureichende Reklamation sicherlich der Form nach einen Schadens-
ersatz beantragen. Wenn man in diesem Falle behaupten wolle, daß
die Reklamation nicht formgerecht sei, weil sie nicht eine Freigabe be-
antrage, so sei das nicht die Art und Weise, wie das Gesetz die Rechte
von Interessenten schütze.
In der Prisengerichtsordnung heiße es im § 13:
welche der beauftragte Rat zur Entscheidung darüber,
ob die ganze Prise oder ein Teil derselben zu nehmen oder
freizulassen sei
Es möge wohl Leute geben, welche diese Worte herausgriffen und
behaupteten, daß es sich nur um Wegnahme oder Freilassung handeln
könne. Erstens sehe diese Bestimmung aber nur den allergewöhnlichsten
Fall vor. Sodann werde die vorliegende Reklamation gegen den als
Prise weggenommenen Gegenstand geltend gemacht und sei somit in
der Prise mit einbegriffen. Überdies beschäftige sich die genannte
Bestimmung nicht mit der Form der Reklamationen, sondern sei lediglich
eine Vorschrift betreffend die Untersuchung des Tatbestandes. Daher
lasse sich diese Bestimmung nicht als Grundlage für eine Argumentation
betreffend die Form der Reklamationen verwenden. Wenn aber be-
hauptet werde, daß eine Reklamation eine Prise betreffen müsse, daß
aber die vorliegende Reklamation sich nicht auf eine Prise beziehe, so
sei dem entgegenzusetzen, daß diese Reklamation sich auf dem Vor-
handensein eines Vorzugsrechts an der Prise gründe, die Feststellung
des Bestehens dieses Rechts beantrage und behaupte, daß es unrecht-
mäßig sei, wenn die Wegnahme einfach so geschehe, als ob ein Vorzugs-
recht gar nicht bestehe. Da die Reklamation in dieser Weise die Recht-
mäßigkeit der Wegnahme in Frage stelle, so müsse man sagen, daß sie
eine sich auf das, was man Prise nenne, beziehende Reklamation sei.
Demnach sei die zur Verhandlung stehende Reklamation form-
gerecht, und die Abweisung derselben durch das Gericht erster Instanz
sei angesichts des wohlbegründeten Antrags unrechtmäßig.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Mizukami
Chojiro beim Prisengericht zu Sasebo sind folgende:
Die Kaiserlichen Prisengerichte hätten sich bezüglich der auf-
gebrachten Gegenstände mit der Untersuchung und Entscheidung da-
rüber zu befassen, ob diese Gegenstände einzuziehen oder freizulassen
473
Abschnitt Vl^^a Prisengerichtsentscheidungen: „Nigretia*'.
seien. Es stehe ihnen daher keine Befugnis zu, über das Bestehen
oder Nichtbestehen eines Vorzugsrechts, wie der Reklamant es geltend
mache, oder über das Zutreffen bzw. Nichtzutreffen seiner Ausführungen
zu entscheiden. Da ferner unsere Rechtsbestimmungen dem Wortlaut
nach ein Vorzugsrecht an Prisen nicht anerkennten, so sei der Antrag
des Reklamanten auf Feststellung seines Vorzugsrechts an dem in Frage
stehenden Schiff nicht berechtigt, und seine Ausführungen seien un-
begründet.
Der Reklamant bringe noch manches andere vor, was indes nur
eine Wiederholung der obigen Ausfülirung sei und daher gleichfalls
jeder Begründung entbehre.
Die Berufung sei daher abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant behauptet, die Verwerfung seiner Reklamation auf
Feststellung seines Vorzugsrechts an dem Dampfer „Nigretia" sei un-
rechtmäßig. Ein Prisengericht ist aber für die Untersuchung einer
Reklamation betreffend die Feststellung eines Vorzugsrechts nicht zu-
ständig, und die Abweisung derselben durch das Gericht erster Instanz
ist durchaus rechtmäßig.
Es ist demnach überflüssig, auf die Berufungsgründe, welche aus-
führen, daß der Reklamant ein Interessent sei und daß dritte, welche
an einer Prise ein dingliches Recht wie ein Vorzugsrecht besäßen,
völkerrechtlich geschützt werden müßten, noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 2. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige Eduard Eich-
wede, wohnhaft in Tschifu in China.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi in
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
In der Prisensache betreffend den deutschen Dampfer „Veteran"
wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Veteran" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Veteran" ist Eigentum
474
Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran''. Abschnitt Vl^*
des in-Tschifu ansässigen deutschen Reichsangehörigen Eduard Eich-
wede, er fuhrt die deutsche Flagge und dient hauptsächlich zum Güter-
transport. Am 6. November 1904 wurde der Dampfer von der aus
deutschen Handeltreibenden bestehenden Firma Diederichsen,
Jebsen&Co. in Tsingtau gechartert und von dieser Firma mit wollenen
Winterschutzdecken, Stiefeln, Seife, Tabak, Streichhölzern, Arzneien und
Nahrungsmitteln, die für Port Arthur bestimmt waren, beladen. Die
Schiffspapiere waren unvollständig, der chinesischen Mannschaft wurde
Tschifu als Bestimmungsort angegeben, tatsächlich aber verließ der
Dampfer mit der Absicht, nach Port Arthur zu fahren, am 17. No-
vember 1904 um Mitternacht Tsingtau. Unterwegs ließ der Kapitän,
um seine Reise unbemerkt vollenden zu können, die Schiffsglocke ab-
nehmen, und es wurde keine Zeit mehr geglast. Als der Dampfer am
folgenden Tage, dem 18. November, um Mitternacht auf der Höhe von
Wei-hai-wei ankam, änderte der Kapitän plötzlich den Kurs nach NO
und gab dem Bootsmann Wong Tack Sui und den anderen chine-
sischen Schiffsleuten, welche ahnten, daß der Dampfer nach Port Arthur
gehen sollte, auf ihre diesbezüglichen Fragen keine Antwort, sondern
schlug sie, so daß sie Verletzungen davontrugen. Auch schoß er als
Drohung seinen Revolver ab. Am 19. November 1904 um 4 Uhr
morgens wurde der Dampfer, mit Kurs W 1/2 NW, also in der Richtung
auf Port Arthur fahrend, 38 » 6 ' 30 '' nördlicher Breite und 122 0 40 ' 30 "
östlicher Länge von dem auf Blockadedienst befindlichen Kaiserlichen
Kriegsschiff „Tatsuta" als Blockadebrecher aufgebracht. 1)
Diese Tatsachen gehen klar aus dem Protokoll des Offiziers, der
die Beschlagnahme in Stellvertretung (des Kommandanten) ausführte,
Kapitänleutnants Ohara Shunji, aus den Vernehmungsprotokollen
des Kapitäns Karl Edler, des ersten Offiziers Anton Müller, des
ersten Maschinisten Max Hase, des zweiten Maschinisten Fritz
Bruns, des Bootsmanns Wong Tack Sui, der Steuerleute Wong
Sai Hock und Wong Kee Sang, der Heizer Ka Tack Loi und
Hong Hing Wing, aus dem Flaggenattest, dem Logbuch, dem
Original-Maschinenjournal, aus dem Teil der Untersuchungsakten be-
treffend die Abnahme der Schiffsglocke, dem Gutachten des Marine-
Maschinen-Ingenieurs Hirano Katsuhiko über den Maschinen-
schaden an der Führungsstange und aus dem Chartervertrag hervor.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Es werde Freigabe des zur Verhandlung stehenden Dampfers be-
antragt, und zwar aus folgenden Gründen :
Der Dampfer sei am 17. November 1904 von Tsingtau abgefahren
mit der Bestimmung, zuerst nach Niutschwang und dann über Tientsin
~~'yv7§ 37,3.
475
Abschnitt Vl^* Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran".
nach Tschifu zu fahren. Das ergebe sich aus dem zwischen- dem
Reklamanten und Diederichsen, Jebsen & Co. abgeschlossenen
Chartervertrag und den Ladescheinen. Ein Teil der Ladung sei für
die Firma B a n d i n e 1 & Co. in Niutschwang bestimmt gewesen und
habe durch diese verkauft werden sollen; die anderen Güter seien
für Teige, Schröter & Co. in Tientsin und Diederichsen,
Jebsen & Co. in Tschifu bestimmt gewesen. Ein Transport der
Güter nach Port Arthur sei nie beabsichtigt gewesen.
Für einen Dampfer mit dem Reiseziel Niutschwang habe es aller-
dings den Anschein, als ob der Dämpfer von der Höhe des Shantung-
Vorgebirges aus zu sehr nordöstlich in die offene See gesteuert habe;
aber zu der Zeit habe der Dampfer Maschinenschaden gehabt und wäre
bei seiner verminderten Fahrgeschwindigkeit und dem herrschenden
Nordwestwinde in Strandungsgefahr gewesen, wenn er nicht einen von
dem gewöhnlichen Kurs für Niutschwang nach NO abweichenden
Kurs angenommen hätte. Auf Port Arthur sei aber niemals Kurs
gehalten worden. Der Staatsanwalt führe in seinem Schriftsatz als
Beweis für die beabsichtigte heimliche Fahrt nach Port Arthur die
Tatsache an, daß Kisten, welche Milch und Seife enthielten, mit „Port
Arthur" gezeichnet seien. Es sei jedoch kaum anzunehmen, daß jemand
der eine Blockade zu brechen vorhabe, selbst das Beweismäterial für
dieses Vorgehen offenbaren würde. Deshalb sei jene Aufschrift auf
den Kisten vielmehr ein Beweis dafür, daß der Dampfer die ihm
vorgeworfene Absicht nicht gehabt habe. Daß ferner nach dem
Lichten des Ankers während der Fahrt der Kapitän die Schiffsglocke habe
abnehmen lassen, sei durchaus nicht mit einer Absicht, die Fahrt nach
Port Arthur unbemerkt ausführen zu können, in Verbindung zu bringen ;
die Entfernung der Glocke, welche noch den alten Namen des Schiffes
„Phalos" trug, habe vielmehr lediglich als ein gutes Omen für die
Fahrt dienen sollen. Es sei ferner nicht erwiesen, daß die aus den
Niutschwang als Bestimmungshafen bezeichnenden und durchaus in
Ordnung befindlichen Schiffspapieren sich als beabsichtigt ergebende
Reise mit dem tatsächlich genommenen Kurs nicht in Einklang zu
bringen sei. Des weiteren lieferte die Aufbringung des Dampfers auf
offener See in einer Entfernung von 60 bis 70 Seemeilen von Port
Arthur keine hinreichende Unterlage für die Behauptung, daß der
Dampfer geplant habe, die Blockadelinie zu überschreiten und somit
die Blockade zu brechen. Daher sei die Beschlagnahme unrechtmäßig.
Selbst aber angenommen, der Kapitän und der Charterer hätten unter
sich den Blockadebruch verabredet, so sei doch, da der in diesem Ver-
fahren als Reklamant auftretende Schiffsherr nicht die geringste Kenntnis
davon gehabt habe, wenn auch die Güter eingezogen würden, das
Schiff freizugeben.
476
Prisengerichtsentscheidiuigen: „ Veteran". Abschnitt VI 24«
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts sind folgende :
Der zur Verhandlung stehende Dampfer habe versucht, die
Blockade zu brechen, und sei deshalb, da zweifellos die Blockade
zu der Zeit effektiv gewesen sei, einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen und Gebräuche
kommen dahin überein, daß im Falle effektiven Bestehens einer Blockade
Schiffe, welche den Blockadezustand kennen und in der Absicht, in
das Blockadegebiet einzudringen, sich demselben nähern, als Blockade-
brecher anzusehen und, gleich>(ieV^ob der Reeder von der Sache wußte
oder nicht, einzuziehen sind. Es steht außer Zweifel, daß die am 26. Mai
1904 von dem Oberstkommandierenden der vereinigten Kaiserlichen
Kriegsflotte über die Südküste der Liaotung-Halbinsel verhängte Blockade
zur Zeit der Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
sich in effektivem Zustand befand. Wenn nun Schiffe eine Blockade zu
brechen vorhaben, so ist ein ganz gewöhnliches Mittel, um der Auf-
bringung zu entgehen, daß sie allerhand falsche Dokumente herstellen.
So waren unter den Schiffspapieren des fraglichen Dampfers nur für
einen Teil der Ladung Frachtscheine vorhanden, das Original-Maschinen-
journal und die Reinschrift stimmten nicht überein, und auch das von
dem Prozeßvertreter des Reklamanten beigebrachte Ladungsverzeichnis
deckt sich nicht mit der vorhandenen Ladung. Daher kann die Echt-
heit aller dieser Dokumente nicht anerkannt werden. Was den Kurs
des Dampfers angeht, so hat der Prozeßvertreter behauptet, daß der
Dampfer, als er die Höhe des Shantung-Vorgebirges passiert hatte,
Maschinenschaden erlitt, infolgedessen die Geschwindigkeit herabgesetzt
wurde und der Dampfer in Gefahr kam, auf Land getrieben zu werden.
Diese Behauptungen können jedoch in Anbetracht der Beweise, die
sich aus den Protokollen der im Maschinenraum zur fraglichen Zeit be-
schäftigt gewesenen Chinesen und aus dem Originalmaschinenjournal
ergeben, sowie der Beweise, die sich auf das Vorhandensein oder
Nichtvorhandensein des Maschinenschadens beziehen, nicht als richtig
anerkannt werden. Es ist vielmehr klar erwiesen, daß der Dampfer
auf der Höhe von Wei-hai-wei plötzlich den Kurs nach NO änderte
und von da ab in der Richtung nach Port Arthur fuhr, während welcher
Fahrt er aufgebracht wurde. Die Tatsache ferner, daß der Dampfer 60
bis 70 Seemeilen von Port Arthur auf der See aufgebracht wurde, steht
nicht dem Schlüsse entgegen, daß es beabsichtigt war, mit demselben
einen Blockadebruch auszuführen. Nach Aufführung aller der vor-
stehenden Tatsachen erübrigt es sich, auf die anderen Verteidigungs-
punkte des Prozeßvertreters einzugehen. Da dem Charterer sowohl
wie dem Kapitän des fraglichen Dampfers bekannt war, daß zur fraglichen
Zeit die Blockade seitens des Kaiserlichen Geschwaders bestand, und
477
Abschnitt Vl^^a Prisengerichtsentscheidungen: ,,Veteran".
es anerkannt werden muß, daß der Dampfer zwecks Schleichimports
die Blockade zu brechen beabsichtigte, so entscheidet das Gericht, wie
im Tenor, auf Einziehung des D^ampfers. 2)
Verkündet im Prisengericht zu Sasebo am 1. März 1905 im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige Eduard Eich-
wede, wohnhaft in Tsingtau, China.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Re-
gierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Togiyamachi 41.
Am 1. März 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den am 10. November 1904 38» 6' 36" nördlicher
Breite und 122° 40' 30" östlicher Länge von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Tatsuta" aufgebrachten deutschen Dampfer „Veteran" ein Urteil
gefällt, nach welchem der Dampfer einzuziehen ist. Gegen diese Ent-
scheidung hat der Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi als Prozeß-
vertreter des Reklamanten Eduard Eichwede Berufung eingelegt.
Diese Berufung ist von ciem Oberprisengericht im Beisein des Staats-
anwalts Dr. jur. Ishiwatari Binichi geprüft worden.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation Ishi-
bashi Tomokichi und deren Begründung sind folgende:
1. Das Urteil erster Instanz erblicke den Hauptbeweis dafür, daß
das zur Verhandlung stehende Schiff die Blockade zu brechen und
nach Port Arthur zu gelangen beabsichtigt habe, in der alleinigen Tat-
sache, daß das Schiff auf der Höhe von Wei-hai-wei plötzlich seinen
Kurs nach Nordost geändert habe. Diese Entscheidung entbehre jeder
Grundlage, denn, wenn das Schiff von Wei-hai-wei nach Port Arthur
zu gelangen vorgehabt habe, so wäre es besser gewesen, gleich von
Wei-hai-wei aus nördlich zu fahren. Um nach Port Arthur zu ge-
langen, hätte es nicht nötig gehabt, Kurs auf Nordost in die Bai von
Korea zu nehmen und so einen ungefähr viermal so langen Umweg zu
machen. Ferner wäre, um die Blockade zu brechen, die Nachtzeit am
geeignetsten gewesen und, wenn das zur Verhandlung stehende Schiff
ein derartiges Unternehmen vorgehabt hätte, so hätte es dazu von
Wei-hai-wei um Mitternacht aufbrechen und direkt nach Port Arthur
fahren müssen. Bei gesundem Menschenverstand könne man schwerlich
annehmen, daß jemand anstatt dessen seinen Kurs auf Nordost ändern
') V. § 45.
478
Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran". Abschnitt VI^*
und, gerade als ob er es darauf anlege, von unseren Kriegsschiffen
gesehen zu werden, bei Tagesanbruch an der Stelle, wo der Dampfer
aufgebracht worden sei, umherfahren werde. Daher beruhten die dem
erstinstanzlichen Urteil zugrunde gelegten und von demselben an-
erkannten Tatsachen auf Irrtum.
2. Da der Ort, an welchem das zur Verhandlung stehende Schiff
aufgebracht worden sei, von der Blockadelinie etwa 70 Seemeilen ent-
fernt sei, so könne man es nicht als Tatsache ansehen, daß das Schiff
die BlockadeHnie zu überschreiten und in den Hafen einzufahren be-
absichtigt habe. Wenn das Kriegsschiff die Aufbringung auf das so-
genannte Repressionsrecht stützen wolle, so erblicke der Reklamant darin
einen Mißbrauch dieses Rechts, denn eine, wie im vorliegenden Falle,
auf einem von der Blockadelinie 70 Seemeilen entfernten Punkte er-
folgte Aufbringung stehe nicht im Einklang mit Absatz 1 des § 29 un-
serer Seeprisenordnung, ») die von Schiffen spreche, „welche die Blockade-
linie überschreiten und in das Blockadegebiet eindringen oder ein-
zudringen beabsichtigen", Schiffe, wie das zur Verhandlung stehende,
könnten, selbst wenn sie nach dem blockierten Hafen bestimmt seien,
weil sie inzwischen noch reichlich Zeit hätten, diese Bestimmung
aufzugeben oder zu ändern, nach einem rechtmäßigen völkerrechtlichen
Grundsatz nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dies umsoweniger,
wenn es nicht einmal klar bewiesen sei, ob der blockierte Hafen der
Bestimmungshafen sei oder nicht. Deshalb müsse der Ort der Auf-
bringung in der Nähe der Blockadelinie liegen und, bevor ein solcher
Punkt erreicht sei, könne das Repressionsrecht nicht als bestehend an-
gesehen werden.
3. Unsere Seeprisenordnung sei lediglich eine vom Großen Haupt-
quartier erlassene Verordnung, welche weder die Japaner, geschweige
denn die Ausländer, allgemein zu kennen und zu befolgen verpflichtet
seien. Daher sei die Frage, welche Stellung Japan zu der Blockade
einnehme, nicht klar. Das Urteil erster Instanz besage in der Begründung
der Entscheidung, daß die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen
und Gebräuche dahin übereinkämen, daß Schiffe, welche den Blockade-
zustand kennten und in der Absicht, in das Blockadegebiet einzudringen,
sich demselben näherten, als Blockadebrecher anzusehen seien usw.
Der Reklamant müsse aber abweisen, daß es eine ganz allgemeine Be-
stimmung oder ein ausnahmslos anerkannter Brauch des Völkerrechts
sei, daß der noch unvollendete Akt schon als Blockadebruch anzusehen
sei. Der europäische Kontinent erkenne als Prinzip an, daß nur der
wirkliche Blockadebruch bestraft werden könne, daß aber, wenn das .
betreffende Schiff nicht auf frischer Tat oder wenn es vor Ausführung
des Blockadebruchs betroffen würde, nicht als Blockadebrecher an-
3) V.
479
Abschnitt VI 24a Prisengerlchtseiitschefdungen: „Veteran".
zusehen sei. Es sei daher klar, daß der in Frage stehende Dampfer, weil
er 70 Seemeilen von der Blockadelinie entfernt gewesen sei, nicht als
Blockadebrecher abgeurteilt werden könne. Daher fordere der Rekla-
mant Verwerfung des erstinstanzlichen Urteils und eine Entscheidung
auf Freilassung des Dampfers „Veteran".
Der Staatsanwalt beim Sasebo-Prisengericht, Yamamoto Tat-
surokuro, bringt hiergegen folgendes vor:
1. Der Reklamant habe behauptet, daß das Urteil erster Instanz
den Hauptbeweis dafür, daß das zur Verhandlung stehende Schiff die
Blockade zu brechen und nach Port Arthur zu gelangen beabsichtigt
habe, in der alleinigen Tatsache erblicke, daß das Schiff auf der Höhe
von Wei-hai-wei plötzlich seinen Kurs nach Nordost geändert habe,
und erkläre, daß diese Entscheidung jeder Grundlage entbehre. Die
Entscheidung des Gerichts, daß das Schiff nach Port Arthur bestimmt
gewesen sei, habe sich aber darauf begründet, daß der Kapitän nachts
in der Richtung nach Port Arthur abgefahren sei und, um die Reise
unbemerkt vollenden zu können, die Schiffsglocke abgenommen und
von dieser Zeit an keine Stunden mehr geglast habe; daß er ferner,
als er auf der Höhe von Wei-hai-wei angekommen sei, plötzlich den
Kurs auf Nordost geändert habe; daß er dem Bootsmann und den
andern chinesischen Schiffsleuten, welchen damals der Verdacht kam,
daß der Dampfer nach Port Arthur gehen solle, auf ihre diesbezüglichen
Fragen keine Antwort gegeben, sondern sie geschlagen habe, so daß
sie Verletzungen davontrugen, und als Drohung seinen Revolver ab-
geschossen habe ; daß er dann den oben angedeuteten Kurs auf W V2 NW,
d. i. auf Port Arthur, geändert habe. Freilich sei es wahr, daß die Kurs-
änderung des Dampfers zu der Zeit nicht nur einen Umweg, sondern
fast ein Zurückfahren bedeute, aber der Grund hierfür sei der ge-
wesen, daß der Dampfer vor sich Kriegsschiffe gesehen habe und,
um deren Gesichtsfeld zu entgehen, entflohen sei. Später sei er dann
nach Änderung des Kurses auf W 1/2 NW gerade auf Port Arthur zu-
gefahren.
Ferner behauptete der Reklamant, daß, um nach Port Arthur hinein-
zukommen, der Dampfer um Mitternacht von Wei-hai-wei hätte auf-
brechen und direkt nach Port Arthur fahren müssen; daß es daher
bei gesundem Menschenverstand schwer anzunehmen sei, daß jemand
dies anstatt dessen bei Tagesanbruch unternehmen würde, gerade als
ob er es darauf anlege, von unseren Kriegsschiffen gesehen zu werden.
Aber die Aussage des Kapitäns sowie die Notierung im Logbuch gäben
4 Uhr morgens, die Aussageschrift des beschlagnehmenden Offiziers
4*0 morgens als Zeit der Beschlagnahme an. Wie dem nun sei, am
19. November von 4 bis 5 Uhr morgens sei es noch nicht Tagesanbruch,
480
Pri«e«gerichUent8cheidiiiigen: „Veteran''. Abschnitt VI<4«
und man müsse daher mit Recht annehmen, daß die Reise heimlich
im Schutze der Nacht unternommen worden sei.
2. Der Reklamant habe behauptet, daß der Ort, wo der „Veteran"
aufgebracht worden sei, von der Blockadelinie ungefähr 70 Seemeilen
entfernt sei und daß die Beschlagnahme mit Artikel 29 Absatz 1 '.unserer
Seeprisenordnung*) nicht in Einklang zu bringen sei. Das sei aber
leeres Oerede, über welches man nicht zu disputieren brauche.
Daß der Ort der Aufbringung von dem Eingang des Hafens von
Port Arthur ungefähr 60 bis* 70 Seemeilen entfernt sei, möge wohl
wahr sein, daß er aber 70 Seemeilen von der Blockadelinie ent-
fernt sei, sei eine Behauptung, die jedes Beweises entbehre. Blockade-
linie sei das Fahrgebiet, in welchem die Kriegsschiffe, um die Blockade
affektiv zu erhalten, hin- und herführen und Aufsicht ausübten. Da
es nun erwiesen sei, daß der Feind in einer Entfernung von 10 See-
meilen von Liaotishan Minen gestreut hätte, so sei es nicht schwer aus-
ziu'echnen, daß dieses Fahrgebiet der Kriegsschiffe etwa 30 bis 40 See-
meilen weiter auf die Höhe des Meeres hinaus sich befunden habe.
Wenn nun auch, wie angenommen, der Ort der Aufbringung des frag-
lichen Dampfers vom Hafeneingang 60 bis 70 Seemeilen entfernt
^wesen sei, von der Blockadelinie sei er sicherlich nicht weit,
ja er sei vielleicht ganz in der Nähe derselben gewesen. Da »es demnach
unleugbar sei, daß die Aufbringung mit dem Absatz 2 *) des Artikels 29
unserer Prisenordnung durchaus im Einklang sei, so stelle sie sich keines-
-wegs als ein Mißbrauch des Repressionsrechts, vielmehr als die dem
Fall gerechtwerdende Handlung dar.
Da außerdem der Reklamant in seinen Behauptungen :
daß die Aufbringung sieb nicht mit Artikel 29, Absatz 1,
der Prisenbestimmungen vereinbaren lassej daß das Schiff
rechtmäßig nicht zur Verantwortung gezogen werden könne,
weil es noch Zeit gehabt hätte, sein Vorhaben aufzugeben,
oder zu ändern usw.
jfegen Sachen Vorwürfe erhöbe, welche dem erstinstanzlichen Urteil
gar nicht zugrunde gelegt seien, so erübrige es sich, dagegen zu dis-
putieren.
3. Der Reklamant behaupte, daß nach kontinentaler Theorie nur
der wirkliche Blockadebruch Bestraft werde, daß aber eine nicht frische
oder noch unvollendete Tat nicht als Blockadebruch gelte. Aus diesem
Grunde halte der Reklamant die Aufbringung des hier verhandelten
Schiffes für unrechtmäßig. Aber von den beiden Theorien, welche
fast allen Präcedenzen und Gebräuchen zugrunde lägen und von
allen zivilisierten Staaten als völkerrechtliche Prinzipien anerkannt seien,
♦) V. — *) soll heißen: „Absatz 1".
MArttrand-MdehlenbariTi Du jApanitoh» Prisenreoht. BhuI I. (31) wl
Abschnitt VI 24a Prisengerichtsentscheidungen: .Veteran*.
nämlich den englischen Prinzipien auf der einen und den kontinentalen
auf d^r andern Seite, seien die englischen Grundsätze am verbreitetsten^
und es sei ferner allgemein bekannt, daß der japanische Staat seit dem
Kriege im Jahre 1894 bis 95 die englischen Theorien angenommen habe.
Je nach dem Prinzip, welches man zugrunde lege, sei natürlich auch
das Resultat ein anderes. Es sei aber unmöglich, dem Urteil erster
Instanz einen Vorwurf daraus zu machen, daß es sich auf das englische
Prinzip stütze, anstatt das kontinentale anzunehmen.
Die Berufung sei daher, weil in all^en Punkten unbegründet, ab-
zuweisen.
Die vorliegende Entscheidung wird, wie folgt, begründet:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Veteran" ist Eigentum
des in Tsingtau ansässigen deutschen Reichsangehörigen Eduard
Eichwede.
Es ist unbestritten, daß der Kapitän des Dampfers am 17. November
1904 um Mitternacht Tsingtau verlassen hat und am 19. November um
4 Uhr morgens an einem Punkte 38° 6' 30" nördlicher Breite und
122 0 40' 30" östlicher Länge von dem auf Blockadedienst befindlichen
Kaiserlichen Kriegsschiff „Tatsuta" aufgebracht worden ist.
Punkt 1 der Berufung sagt, das Urteil erster Instanz erblicke den
Hauptbeweis dafür, daß das zur Verhandlung stehende Schiff die
Blockade zu brechen und nach Port Arthur zu gelangen beabsichtigt
habe, in der alleinigen Tatsache, daß das Schiff auf der Höhe von Wei-
hai-wei plötzlich seinen Kurs nach Nordost geändert habe, und erklärt
die Entscheidung für völlig grundlos. Dem steht jedoch ein Telegramm
des Oberstkommandierenden unserer vereinigten Kriegsflotte an den
Kommandanten des Kriegshafens Sasebo entgegen, des Inhalts, daß sein
Schiff am 19. November um 3 Uhr morgens in einer Entfernung von
32 Seemeilen S zu O 3/4 O von der Insel Yuentao bei nordwestlichem
Kurs auf Backbord einen fast in derselben Richtung fahrenden Dampfer
gesichtet, nach einiger Zeit die Schiffslichter außer Sicht verloren und
sofort die „Tatsuta'' auf die Suche geschickt habe, welche den Dampfer
um 5 Uhr morgens gefunden habe usw. Nach diesem Telegramm
kann die Vermutung, daß der fragliche Dampfer, als er auf der Höhe
von Wei-hai-wei unser Kriegsschiff sichtete, seinen Kurs änderte, um
aus dem Gesichtsfeld desselben zu gelangen und zu entweichen, nicht
bezweifelt werden. Dies wird noch klarer, wenn man damit die Aus-
sage des Steuermanns Wong Tak Sui und die Differenz der Zeit
des „Veteran" und des Kriegsschiffes von ungefähr einer Stunde zu-
sammenhält. Das Gericht ist demnach der Ansicht, daß der Dampfer
schon vor Änderung seines Kurses auf Schleichfahrt nach Port Arthur
begriffen war. Denn wenn der Dampfer nicht die Absicht des Blockade-
bruchs hatte, so lag keine Notwendigkeit vor, weshalb er seinen Kurs
482
Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran''. Abschnitt VI^'
fast bis zur entgegengesetzten Richtung hätte ändern und die Flucht
ergreifen sollen. Wenn er ferner nach Niutschwang zu fahren vorhatte,
so hätte er von dem Punkte, wo er das Leuchtfeuer des Shantung-Vor-
gebirges 4 Seemeilen westlich sichtete, direkt in die Mitte der Liaotishan-
Straße mit nordwestlichem Kurs steuern müssen. Wenn man nun die
Entfernung des von dem Kriegsschiff gesichteten Backbordlichts zu:
dem gewöhnlichen Oesichtshorizont von 2 Seemeilen ansetzt und an-'
nimmt, daß der Ort, wo unser Kriegsschiff dasselbe am 19. November
3 Uhr morgens gesichtet hat, ungefähr in einer nördlichen Breite von
38® 1 ' und einer östlichen Länge von 122 <> 26', d. h., daß er von dem
Punkte, wo man das Leuchtfeuer des Shantung-Vorgebirges westlich
4 Seemeilen ab sichtet, in der Richtung von N zu WV2W liegt, so
weicht dieser Punkt von der Fahrrichtung nach Niutschwang ungefähr
21/2 Strich nach Osten ab, und der Bug des zu der Zeit mit unserm
Kriegsschiff ziemlich in gleicher Richtung fahrenden Dampfers „Veteran"
vt'ies demnach gerade auf den Hafeneingang von Port Arthur.
Der Kapitän behauptet ferner, daß durch Maschinenschaden seine
Fahrgeschwindigkeit vermindert gewesen sei und daß er, um der Gefahr,
auf Land getrieben zu werden, zu entgehen, die von dem gewöhnlichen
Kurse abweichende Richtung einzuschlagen genötigt gewesen sei. Selbst
wenn man der Tatsache, daß weder die Eintragung im Schiffsjournal
mit der Wirklichkeit, noch auch die Kladde des Maschinenjournals mit
der Reinschrift übereinstimmen, kein entscheidendes Gewicht beilegt,
so muß doch demgegenüber gesagt werden, daß, da unbestrittenermaßen
nur ein leichter Nordwest wehte, weder die Windverhältnisse noch auch
die Position des Schiffes zum Lande, selbst bei etwas verminderter
Fahrmöglichkeit das Schiff nicht nötigten, einen besonderen Umweg
zu nehmen, um der Gefahr des Auftreibens zu entgehen. Denn das
Schiff hatte, wenn es nach Niutschwang fuhr, nur eine leichte Brise von
vorn; achtern lag kein Land zum Auflaufen, und im Weiterfahren
entfernte es sich von selbst allmählich von dem zu Backbord liegenden
Land.
Ferner hat der Kapitän am Tage nach der Abfahrt von Tsingtau
die Schiffsglocke abgenommen und von da ab keine Stunden mehr glasen
lassen; er hat weiter, als er auf die Höhe von Wei-hai-wei kam, plötzlich
den Kurs geändert und dem Bootsmann und den andern chinesischen
Schiffsleuten, welchen damals der Verdacht kam, daß der Dampfer nach
Port Arthur gehen solle, auf ihre diesbezüglichen Fragen keine Antwort
gegeben, sondern sie geschlagen, so daß sie Verletzungen davontrugen;
schließlich hat er als Drohung seinen Revolver abgeschossen; er hat
währenddessen den neuangenommenen Kurs beibehalten, um erst später
mit wiederum verändertem Kurs in die Richtung auf Port Arthur zu-,
zufahren; ferner war es festzustellen, daß er erst einige Tage zuvor
(31*) 48a
Abschnitt VI 24 a Prisengerichtsentscheidungen: »Veterftn*.
den Schiffskörper sowie die Boote schwarzgrau hat anstreichen lassen;
zur Zeit der Beschlagnahme brannten die Toplaterne und die Backbord-
laterne nur sehr schwach, und die Luken und alle sonstigen Stellen,
aus denen Licht hätte herausdringen können, waren verschlossen. Alle
diese Handlungen sind unzweifelhaft mit dem Zwecke vorgenommen,
unserer Kontrolle Auge und Ohr zu benehmen. Alles dieses, sowie die
Tatsache, daß das Schiff zur Zeit der Beschlagnahme mit dem Kurs
NWVäW, d. h. auf Port Arthur, fuhr, sind ausreichend, um zu dem
Schluß zu kommen, daß der Dampfer unter dem Schutze der Nacht
die Blockade zu brechen und heimlich nach Port Arthur zu fahren
vorhatte.
Daher ist Punkt 1 der Berufung unbegründet.
Im Punkte 2 der Berufung behauptet der Reklamant, der Ort,
an welchem das zur Verhandlung stehende Schiff aufgebracht worden
sei, sei von der Blockadelinie etwa 70 Seemeilen entfernt, und es könne
nicht als Tatsache angesehen werden, daß das Schiff die Blockadelinie
zu überschreiten und in den Hafen einzufahren beabsichtigt habe. Die
Aufbringung des hier zur Verhandlung stehenden Dampfers sei ein
gründlicher Mißbrauch des Repressionsrechts, denn sie sei mit dem
Absatz 1 des Artikels 29 unserer Seeprisenordnung, die von Schiffen
spreche, „welche die Blockadelinie überschreiten und in das Blockade-
gebiet eindringen oder einzudringen beabsichtigen", nicht in Einklang
zu bringen. Schiffe, welche so weit wie das vorliegende von der
Blockadelinie entfernt seien, könnten, selbst wenn sie nach dem blockierten
Hafen bestimmt seien, nicht zur Verantwortung gezogen werden, da
sie noch reichlich Zeit hätten, diese Bestimmung aufzugeben oder zu
ändern. Da aber unsere Blockadeschiffe, die in ungefähr 10 Seemeilen
Entfernung von der Küste aufrangiert waren, die darüber hinausliegende
Meeresfläche abzufahren hatten und bei dieser Ausübung des Wach-
dienstes bis zu 30 Seemeilen und mehr südlich von der 22 Seemeilen
von der Küste entfernt liegenden Insel Yuentao umherkreuzten, wo
erwiesenermaßen der zur Verhandlung stehende Dampfer von einem
der Blockadeschiffe entdeckt wurde, so muß der Ort der Aufbringung
als in der Nähe des Blockadegebiets befindlich erachtet werden. Es
ist demnach klar, daß das zur Verhandlung stehende Schiff den Blockade-
bruch bereits begonnen hatte, und auch Punkt 2 der Berufung ist
grundlos.
Da es ferner völkerrechtlich anerkannt ist, daß Schiffe, welche
einen Blockadebruch begonnen haben, aufgebracht werden können,«)
so ist auch Punkt 3 der Berufung hinfällig.
«) V. §§ 29.2 und 37,3
48i
Prisengerichtsentscheidungen: .Veteran*. Abschnitt VI 24b
. Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 6. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die in Tsingtau, China, ansässigen deutschen Reichs-
angehörigen, Prokuristen der Firma Diederichsen, Jebsen &Co. :
Emil Walikoff und Werner Qeim.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi in
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
In der Prisensache, betreffenid die auf dem deutschen Dampfer
„Veteran" verschifften Güter, wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die sämtlichen auf dem deutschen Dampfer „Veteran" verschifften,
in beigeheftetem Verzeichnis aufgeführten Güter werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind Eigentum der in
Tsingtau ansässigen, aus deutschen Handelstreibenden bestehenden Firma
Diederichsen, Jebsen & Co., wurden auf dem von dieser Firma
gecharterten Dampfer „Veteran" verschifft und verließen am 17. No-
vember 1904 um Mitternacht Tsingtau mit Bestimmung für Port Arthur.
Am 19. desselben Monats um 4 Uhr morgens wurde der „Veteran" von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tatsuta" 38 o 6' 30" nördlicher Breite
und 122 0 40' 30" östlicher Länge wegen Blockadebruchs zusammen
mit den zur Verhandlung stehenden Gütern beschlagnahmt, i)
Diese Tatsachen gehen klar hervor aus dem Protokoll des Offi-
ziers, der die Beschlagnahme in Stellvertretung (des Kommandanten)
ausführte, Kapitänleutnants Ohara Shunji, aus den Vernehmungs-
protokollen des Kapitäns Karl Edler, des ersten Offiziers Anton
Müller, des ersten Maschinisten M a x H a s e , des zweiten Maschinisten
Fritz Bruns, des Bootsmanns Wong Tack Sui, der Steuerleute
Wong Sai Hock und Wong Kee Sang, der Heizer Ka Tack
Loi ;und Hong Hing Wing, aus dem Flaggenatteste, dem Log-
buch, dem Original-Maschinenjournal, aus dem Teil der Untersuch ungs-
0 V. § 37,3.
tö5
Abschnitt VI 24k Prisengerichtsentscheidungen: .Veteran'.
akten des beaufsichtigten Rats, betreffend die Abnahme der Schiffs-
glocke, dem Gutachten des Marine-Maschinen-Ingenieurs Hirano
Katsuhiko über den Maschinenschaden an der Führungsstange und
aus dem Chartervertrag.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Rekla-
mation sind folgende:
Es werde Freigabe der zur Verhandlung stehenden Güter be-
antragt, und zwar aus folgenden Gründen:
Der Dampfer sei am 17. November 1904 von Tsingtau abgefahren
mit der Bestimmung, zuerst nach Niutschwang und dann über Tientsin
nach Tschifu zu fahren. Das ergebe sich aus dem zwischen den Rekla-
manten und dem Schiffseigentümer abgeschlossenen Chartervertrag und
den Ladescheinen. Ein Teil der Ladung sei für die Firma Bandinel
& Co. in Niutschwang bestimmt gewesen und habe durch diese ver-
kauft werden sollen; die anderen Güter seien für Teige, Schröter
& Co. in Tientsin und Diederichsen, Jebsen & Co. in Tschifu
bestimmt gewesen. Ein Transport der Güter nach Port Arthur sei
nie beabsichtigt gewesen.
Für einen Dampfer mit dem Reiseziel Niutschwang habe es aller-
dings den Anschein, als ob der Dampfer von der Höhe des Shantung-
Vorgebirges aus zu sehr nordöstlich in die offene See gesteuert habe;
aber zu der Zeit habe der Dampfer Maschinenschaden gehabt und
wäre bei seiner verminderten Fahrgeschwindigkeit und dem herrschenden
NW-Wind in Strandungsgefahr gewesen, wenn er nicht einen von
dem gewöhnlichen Kurs für Niutschwang nach NO abweichenden Kurs
angenommen hätte. Auf Port Arthur sei aber niemals Kurs gehalten
worden. Der Staatsanwalt führe in seinem Schriftsatz als Beweis für
die beabsichtigte heimliche Fahrt nach Port Arthur die Tatsache an,
daß Kisten, welche Milch und Seife enthielten, mit „Port Arthur" ge-
zeichnet seien. Es sei jedoch kaum anzunehmen, daß jemand, der
eine Blockade zu brechen vorhabe, selbst das Beweismaterial für dieses
Vorgehen offenbaren würde. Deshalb sei jene Aufschrift auf den Kisten
vielmehr ein Beweis dafür, daß der Dampfer die ihm vorgeworfene
Absicht nicht gehabt habe. Daß ferner nach dem Lichten des Ankers
während der Fahrt der Kapitän die Schiffsglocke habe abnehmen lassen,
sei durchaus nicht mit einer Absicht, die Fahrt nach Port Arthur un-
bemerkt ausführen zu können, in Verbindung zu bringen; die Ent-
fernung deu Glocke, welche noch den alten Namen des Schiffes „Phalos"
trug, habe vielmehr lediglich als ein gutes Omen für die Fahrt dienen
sollen. Es sei ferner nicht erwiesen, daß die, aus den Niutschwang als
Bestimmungshafen bezeichnenden und durchaus in Ordnung befind-
lichen Schiffspapieren sich als beabsichtigt ergebende Reise mit dem
tatsächlich genommenen Kurs nicht in Einklang zu bringen sei. Des
486
Priaengerichtsentscheidungen: «Veteran*. Abschnitt VI 24 h
weiteren liefere die Aufbringung des Dampfers auf offener See in
einer Entfernung von 60 bis 70 Seemeilen von Port Arthur keine
hinreichende Unterlage für die Behauptung, daß der Dampfer geplant
habe, die Blockadelinie zu überschreiten und somit die Blockade zu
brechen. Daher sei die Beschlagnahme unrechtmäßig.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staateariwalts sind folgende:
Der fragliche Dampfer habe versucht, die Blockade zu brechen, zu
einer Zeit, wo zweifellos die Blockade effektiv gewesen sei. Alle an
Bord des Dampfers befindlichen Güter seien daher, weil es beabsichtigt
gewesen sei, dieselben heimlich nach Port Arthur einzuführen, ein-
zuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen und Gebräuche
kommen dahin überein, daß die Ladung von Schiffen, welche als
Blockadebrecher handeln, einzuziehen sind, mit Ausnahme von solchen
Gütern, welche Personen gehören, die von der Sache absolut keine
Kenntnis hatten. Wenn nun Schiffe eine Blockade zu brechen vor-
haben., so ist ein ganz gewöhnliches Mittel, um der Aufbringung zu
entgehen, daß sie allerhand falsche Dokumente herstellen. So waren
unter den Schiffspapieren des fraglichen Dampfers nur für einen Teil
der Ladung Frachtscheine vorhanden, das Original-Maschinenjournal
und die Reinschrift stimmten nicht überein, und auch das von dem
Prozeßvertreter des Reklamanten beigebrachte Ladungsverzeichnis deckt
sich nicht mit der vorhandenen Ladung. Daher kann die Echtheit
aller dieser Dokumente nicht anerkannt werden. Was den Kurs des
Dampfers angeht, so hat der Prozeßvertreter behauptet, daß* der Dampfer,
als er die Höhe des Shantung- Vorgebirges passiert hatte, Maschinen-
schaden erlitt, infolge dessen die Geschwindigkeit herabgesetzt wurde
und der Dampfer in Gefahr kam, auf Land getrieben, zu werden. Diese
Behauptungen können jedoch in Anbetracht der Beweise, die sich aus
den Protokollen der im Maschinenraum zur fraglichen Zeit beschäftigt
gewesenen Chinesen und aus dem Original-Mäschinenjoiirnal ergeben,
sowie der Beweise, die sich auf das Vorhandensein oder das Nicht-
vorhandensein des Maschinenschadens beziehen, nicht als richtig an-
erkannt werden. Es ist vielmehr klar erwiesen, daß der Dampfer auf
der Höhe von Wei-hai-wei plötzlich den Kurs nach* NO änderte und
von da ab in der Richtung nach Port Arthur fuhr, während welcher
Fahrt er aufgebracht wurde. Die Tatsache ferner, daß der Dampfer
60 bis 70 Seemeilen vor Port Arthur auf der See aufgebracht wurde,
steht nicht dem Schlüsse entgegen, daß es beabsichtigt war, mit dem-
selben einen Blockadebruch auszuführen. Nach Aufführung aller der
vorstehenden Tatsachen erübrige es sich, auf die anderen Verteidigungs-
punkte des Prozeßvertreters einzugehen. Da dem Charterer sowohl
487
Abschnitt VI»»
Prisengetichtsentscheidungen: .Veteran*.
wie dem Kapitän des fraglichen Dampfers bekannt war, daß zur frag-
lichen Zeit die Blockade seitens des japanischen Geschwaders t)estand,
und es anerkannt werden muß, daß der Dampfer zwecks Schleichimports
die Blockade zu brechen beabsichtigte, so entscheidet das Gericht, da
die Güter auf einem Schiff verladen worden waren, welches als Blockade-
brecher anzusehen ist und da sie alle im Eigentum des Charterers dieses
Blockadebrechers stehen, wie in der Urteilsformel auf Einziehung der
gesamten Ladung.*)
Verkündet im Prisengericht zu Sasebo am 1. März 1905 im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Ladungsverzeichnis des Dampfers „Veteran".
Nr.
Art der Güter
Zahl der
Stocke
Absender
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Pelze
Pelzmantel . . .
Stiefel
Baumw. Beinkleider
Baumw. Hemden .
Gesalzenes Rindfleisch
Gesalzene Gemflse
Tee
Kartoffeln . . .
Kondensierte Milch
Fleischkonserven .
Tabak . . .
Zigaretten .
Streichhölzer
Seife . . .
Arzneimittel .
Schwefelsäure
Heilmittel .
89 Kolli
130
60
40
19
1859
339
300
379
335
1454
68
3
78
1600
12
1
96
74
Kisten
Kolli
Fässer
Kisten
Säcke
Kisten
Fässer
Kollo
i.Stroh
Kisten
Diederichsen, Jebsen & Co.
in Tsingtau
488
*) V. § 45.
Prisengerichtsentscheidungen: »Veteran*. Abschnitt VI 24 b
Reklamanten : Die Prokuristen der Firma Diederichsen, Jeb-
s e n & Co. in Tsingtau, China : E m i 1 Wa 1 i k o f f und WernerGleim.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt IshibashiTomokichi, Re-
gierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Togiyamachi 41.
Am 1. März 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des am 19. November 1904 38» 6' 36"
nördlicher Breite und 122 ^ 40' 30" östlicher Länge von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Tatsuta" aufgebrachten deutschen Dampfers
„Veteran", ein Urteil gefällt, nach welchem diese, in dem der Ent-
scheidung beigefügten Ladungsverzeichnis aufgeführte Ladung insgesamt
einzuziehen ist. Gegen diese Entscheidung hat der Rechtsanwalt
Ishibashi Tomokichi als Prozeß Vertreter der Reklamanten Emil
Walikoff und Werner Geim Berufung eingelegt. Diese Berufung
ist von dem Oberprisengericht im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur.
Ishiwatari Binichi geprüft worden.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der Reklamation Ishi-
bashi Tomokichi und deren Begründung sind folgende:
1. Das Urteil erster Instanz erblicke den Hauptbeweis dafür, daß
das fragliche Schiff die Blockade zu brechen und nach Port Arthur
zu gelangen beabsichtigt habe, in der alleinigen Tatsache, daß das Schiff
auf der Höhe von Wei-hai-wei plötzlich seinen Kurs nach Nordost
geändert habe. Diese Entscheidung entbehre jeder Grundlage, denn,
wenn das Schiff von Wei-hai-wei nach Port Arthur zu gelangen vor-
gehabt habe, so wäre es besser gewesen, gleich von Wei-hai-wei aus
nördlich zu fahren. Um nach Port Arthur zu gelangen, hätte es
nicht nötig gehabt, Kurs auf Nordost in die Bai von Korea zu nehmen
und so einen ungefähr viermal so langen Umweg zu machen. Ferner
wäre, um die Blockade zu brechen, die Nachtzeit am geeignetsten ge- .
wesen und, wenn das fragliche Schiff ein derartiges Unternehmen vor-
gehabt hätte, so hatte es dazu von ,Wei-hai-wei um Mitternacht auf-
brechen und direkt nach Port Arthur fahren müssen. Bei gesundem
Menschenverstand könne man schwerlich annehmen, daß jemand anstatt
dessen seinen Kurs auf Nordost ändern und, gerade als ob er es darauf
anlege, von unseren Kriegsschiffen gesehen zu werden, bei Tagesanbruch
an der Stelle, wo der Dampfer aufgebracht worden sei, um herfahren
werde. Daher beruhten die dem erstmstanzlichen Urteil zugrunde
gelegten und von demselben anerkannten Tatsachen auf Irrtum.
2. Da der Ort, an welchem das fragliche Schiff aufgebracht worden
sei, von der Blockadelinie etwa 70 S^meilen entfernt sei, so könne
man es nicht als Tatsache ansehen, daß das Schiff die Blockadelinie
zu überschreiten und in den Hafen einzufahren beabsichtigt habe. Wenn
das Kriegsschiff die Aufbringung auf das sogenannte Repressionsrecht
m
Abschnitt VI 24k Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran".
stützen wolle, so erblickten die Reklamanten darin einen Mißbrauch
dieses Rechts, denn eine, wie im vorliegenden Falle, auf einem von
der Blockadelinie 70 Seemeilen entfernten Punkte erfolgte Aufbringung
stehe nicht im Einklang mit Absatz 1 des Artikels 29 unserer See-
prisenordnung, 3) die von Schiffen spreche, „welche die Blockadelinie
überschreiten und in das Blockadegebiet eindringen oder einzudringen
beabsichtigen'*. Schiffe, wie das fragliche, könnten, selbst wenn sie
nach dem blockierten Hafen bestimmt seien, weil sie inzwischen noch
reichlich Zeit hätten, diese Bestimmung aufzugeben oder zu ändern,
nach einem rechtmäßigen völkerrechtlichen Grundsätze nicht zur Ver-
antwortung gezogen werden. Dies um so weniger, wenn es nicht ein-
mal klar bewiesen sei, ob der blockierte Hafen der Bestimmungshafen
sei oder nicht. Deshalb müsse der Ort der Aufbringung in der Nähe
der Blockadelinie liegen und, bevor ein solcher Punkt erreicht sei,
könne das Repressionsrecht nicht als bestehend angesehen werden.
3. Unsere Seeprisenordnung sei lediglich eine vom Hauptquartier
erlassene Verordnung, welche weder die Japaner, geschweige denn die
Ausländer, allgemein zu kennen und zu befolgen verpflichtet seien.
Daher sei die Frage, welche Stellung Japan zu der Blockade einnehme,
nicht klar. Das Urteil erster Instanz besage in der Begründung der
Entscheidung, daß die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen und
Gebräuche dahin übereinkämen, daß Schiffe, welche den Blockade-
zustand kennten und in der Absicht, in das Blockadegebiet einzudringen,
sich demselben näherten, als Blockadebrecher anzusehen seien usw.
Die Reklamanten müßten es aber abweisen, daß es eine ganz allgemeine
Bestimmung oder ein ausnahmslos anerkannter Brauch des Völkerrechts
sei, daß der noch unvollendete Akt schon als Blockadebruch anzusehen
sei. Der europäische Kontinent erkenne als Prinzip an, daß nur der
wirkliche Blockadebruch bestraft werden könne, daß aber, wenn das
betreffende Schiff nicht auf ifrischer Tat oder wenn es vor Aus-
führung des Blockadebruchs betroffen würde, nicht als Blockadebrecher
anzusehen sei. Es sei daher klar, daß der in Frage stehende Dampfer,
weil er 70 Seemeilen von der Blockadelinie entfernt gewesen sei, nicht
als Blockadebrecher abgeurteilt werden könne. Daher forderten die
Reklamanten Verwerfung des erstinstanzlichen Urteils und eine Ent-
scheidung auf Freilassung der Ladung des Dampfers „Veteran".
Der Staatsanwalt beim Sasebo-Prisengericht, Yamamoto Tat-
surokuro, bringt hiergegen folgendes vor:
Da die Berufungsgründe in der vorliegenden Sache Wort für Wort
mit den Berufungsgründen der Prisensache des Dampfers „Veteran"
übereinstimmten, so wünsche er seine dort vorgebrachte Replik auf den
vorliegenden Fall anzuwenden.
') V.
490
Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran'. Abschnitt VI 24 k
Die vorliegende Entscheidung wird, wie folgt, begründet:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist auf dem Dampfer
„Veteran" verschifft worden.
Es ist unbestritten, daß der Kapitän des Dampfers am 17. No-
vember 1904 um Mitternacht Tsingtau verlassen hat und am 19. No-
vember um 4 Uhr morgens an einem Punkte 38 » 6' 30'' nördlicher
Breite und 122^ 40' 30'' östlicher Länge von dem auf Blockadedienst
befindlichen Kaiserlichen Kriegsschiff „Tatsuta" aufgebracht worden ist.
Punkt 1 der Berufung sagt, das Urteil erster Instanz erblicke den
Hauptbeweis dafür, daß das in Frage stehende Schiff die Blockade zu
brechen und nach Port Arthur zu gelangen beabsichtigt habe, in der
alleinigen Tatsache, daß das Schiff auf der Höhe von Wei-hai-wei plötzlich
seinen Kurs nach Nordost geändert habe, und erklärt die Entscheidung
für völlig grundlos. Dem steht jedoch ein Telegramm des Oberst-
kommandierenden unserer vereinigten Kriegsflotte an den Kommandanten
des Kriegshafens Sasebo entgegen, des Inhalts, daß sein Schiff am 19.
November um 3 Uhr morgens in einer Entfernung von 32 Seemeilen
S zu O Vi O von der Insel Vuentao bei nordwestlichem Kurs auf
Backbord einen fast in derselben Richtung fahrenden Dampfer gesichtet,
nach einiger Zeit die Schiffslichter auße'r Sicht verloren und sofort
die „Tatsuta" auf die Suche geschickt habe, welche den Dampfer um
5 Uhr morgens gefunden habe usw. Nach diesem Telegramm kann die
Vermutung, daß der fragliche Dampfer, als er auf der Höhe von Wei-
hai-wei unser Kriegsschiff sichtete, seinen Kurs änderte, um aus dem
Gesichtsfeld desselben zu gelangen und zu entweichen, nicht bezweifelt
werden. Dies wird noch klarer, wenn man damit die Aussage des
Steuermanns WongTakSui und die Differenz der Zeit des „Veteran"
und des Kriegsschiffs von ungefähr einer Stunde zusammenhält. Das
Gericht ist demnach der Ansicht, daß der Dampfer schon vor Änderung
seines Kurses auf Schleichfahrt nach Port Arthur begriffen war. Denn
wenn der Dampfer nicht die Absicht des Blockadebruchs hatte, so lag
kf ine Notwendigkeit vor, weshalb er seinen Kurs fast bis zuj* entgegen-
gesetzten Richtung hätte ändern und die Flucht ergreifen sollen: Wenn
er ferner nach Niutschwang zu fahren vorhatte, so hätte er von dem
Punkte, wo er das Leuchtfeuer des Shantung-Vorgebirges 4 Seemeilen
westlich sichtete, direkt in die Mitte der Liaotishan-Straße mit nord-
westlichem Kurs siieuern müssen. Wenn man nun die Entfernung
des von dem Kriegsschiff gesichteten Backbordlichts zu dem gewöhn-
lichen Qesichtshorizont von 2 Seemeilen ansetzt und annimmt, da&
der Ort, wo unser Kriegsschiff dasselbe am 19. November 3 Uhr morgens
gesichtet hat, ungefähr in einer nördlichen Breite von 38 ^ 1 ' und
einer östlichen Länge von 122 ^ 26', d. h., daß er von dem Punkte,
wo man das Leuchtfeuer des Shantung-Vorgebirges westlich 4 See-
491
Abschnitt VI 24k Prisengerichtsentscheidungen: „Veteran".
meilen ab sichtet, in der Richtung von N zu W ^/g W liegt, so weicht
dieser Punkt von der Fahrrichtung nach Niutschwang ungefähr 2V?
Strich nach Osten ab, und der Bug des zu der Zeit mit unserm Kriegs-
schiff ziemlich in gleicher Richtung fahrenden Dampfers „Veteran''
wies demnach auf den Hafeneingang von Port Arthur.
Der Kapitän behauptet ferner, daß durch Maschinenschaden seine
Fahrgeschwindigkeit vermindert gewesen sei und daß er, um der Gefahr,
auf Land getrieben zu werden, zu entgehen, die von dem gewöhnlichen
Kurs abweichende Richtung einzuschlagen genötigt gewesen sei. Selbst
wenn man der Tatsache, daß weder die Eintragung, im Schiffsjournal
mit der Wirklichkeit, noch auch die Kladde des Maschinenjournals mit
der Reinschrift übereinstimmen, kein entscheidendes Gewicht beilegt,,
so muß doch demgegenüber gesagt werden, daß, da unbestrittener-
maßen nur ein leichter Nordwest wehte, weder die Windverhältnisse
noch auch die Position des Schiffes zum Lande, selbst bei etwas ver-
minderter Fahrmöglichkeit, das Schiff nicht nötigten, einen besonderen
Umweg zu nehmen, um der Gefahr des Auftreibens zu entgehen. Denn
das Schiff hatte, wenn es nach Niutschwang fuhr, nur eine leichte
Brise von vorn; achtern lag kein Land zum Auflaufen, und im Weiter-
fahren entfernte es sich von selbst allmählich von dem zu Backbord
liegenden Land.
Ferner hat der Kapitän am Tage nach der Abreise von Tsingtau
die Schiffsglocke abgenommen und von da ab keine Stunde mehr glasen
lassen ; er hat weiter, als er auf die Höhe von Wei-hai-wei kam, plötzlich
den Kurs geändert und dem Bootsmann und den andern chinesischen
Schiffsleuten, welchen damals der Verdacht kam, daß der Dampfer
nach Port Arthur gehen solle, auf ihre diesbezüglichen Fragen keine
Antwort gegeben, sondern sie geschlagen, so daß sie Verletzungen
davontrugen; schließlich hat er als Drohung seinen Revolver ab-
geschossen; er hat währenddessen den neuangenommenen Kurs bei-
behalten, um erst später mit wiederum verändertem Kurs in die Rich-
tung auf Port Arthur zuzufahren; ferner war es festzustellen, daß er
erst einige Tage zuvor den Schiffskörper sowie die Boote schwarz-
grau hat anstreichen lassen; zur Zeit der Beschlagnahme brannte die
Toplaterne und die Backbqrdlateme nur sehr schwach, und die Luken
und alle sonstigen Stellen, aus denen Licht hätte herausdringen können,,
waren verschlossen. Alle diese Handlungen sind unzweifelhaft mit dem
Zwecke vorgenommen, unserer Kontrolle Auge und Ohr zu benehmen.
Alles dieses, sowie die Tatsache, daß das Schiff zur Zeit der Beschlag-
nahme mit dem Kurs NW V2 W, d. h. auf Port Arthur, fuhr, sind
ausreichend, um zu dem Schluß zu kommen, daß der Dampfer unter
dem Schutze der Nacht die Blockade zu brechen und heimlich nach.
Port Arthur zu fahren vorhatte.
492
Prisengerichtsentscheidungen: ,, Veteran''. Abschnitt VI 24b
Daher ist Punkt 1 der Berufung unbegründet.
Im Punkt 2 der Berufung behaupten die Reklamanten, der Ort,
an welchem das in Frage stehende Schiff aufgebracht worden sei, sei
von der Blockadelinie etwa 70 Seemeilen entfernt, und es könne nicht
als Tatsache angesehen werden, daß das Schiff die Blockadelinie zu
überschreiten und in den Hafen einzufahren beabsichtigt habe. Die
Aufbringung des hier in Frage stehenden Dampfers sei ein gründlicher
Mißbrauch des Repressionsrechts, denn sie sei mit dem Absatz 1 des
Artikels 29 unserer Seeprisenordnung, die von Schiffen spreche, „welche
die Blockadelinie überschreiten und in das Blockadegebiet einbrechen
oder einzubrechen beabsichtigen", nicht in Einklang zu bringen. Schiffe,
welche so weit wie das vorliegende von der Blockadelinie entfernt
seien, könnten, selbst wenn sie nach dem blockierten Hafen bestimmt
seien, nicht zur Verantwortung gezogen werden, da sie noch reichlich
Zeit hätten, diese Bestimmung aufzugeben oder zu ändern. Da aber
unsere Blockadeschiffe, die in ungefähr 10 Seemeilen Entfernung von
der Küste aufrangiert waren, die darüber hinausliegende Meeresfläche
abzufahren hatten und bei dieser Ausübung des Wachdienstes bis zu
30 Seemeilen und mehr südlich von der 22 Seemeilen von der Küste
entfernt liegenden Insel Yuentao umherkreuzten, wo erwiesenermaßen
der fragliche Dampfer von einem der Blockadeschiffe entdeckt wurde,
so muß der Ort der Aufbringung als in der Nähe des Blockadegebiets
befindlich erachtet werden. Es ist demnach klar, daß das in Frage
stehende Schiff den Blockadebruch bereits begonnen hatte, und auch
Punkt 2 der Berufung ist grundlos.
Da es ferner völterrechtlich anerkannt ist, daß Schiffe, welche
einen Blockadebruch begonnen haben, aufgebracht werden können, so
ist auch Punkt 3 der Berufung hinfällig.
Da die zur Verhandlung stehenden Güter zur Zeit der Aufbringung
Artikel dringenden Bedarfs für die in Port Arthur befindlichen feind-
lichen Truppen waren; sie ferner alle dem Charterer des Dampfers
gehören; ferner der Charterer sowohl wie der Kapitän des Dampfers
genaue Kenntnis von dem Bestehen der Blockade hatten, und endlich
angenommen werden muß, daß diese einen Blockadebruch vorhatten,
so ist das Erkenntnis der ersten Instanz auf Einziehung der gesamten
Ladung gerechtfertigt.*)
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am IQ. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
*) V. §§ 29 Ziffer 2 und 45.
493
Abschnitt Vl^f Prisengerichtsentschef düngen: „King Arthur".
Reklamant: Alonzo Albert Cox, englischer Staats-
angehöriger, wohnhaft in London, England, New Gross, Waller Road
Nr. 135.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „King
Arthur", wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel :
Der Dampfer „King Arthur" wird eingezogen.
Die Reklamation betreffend Ersatz von Schaden und Kosten wird
abgewiesen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „King Arthur" steht im
Eigentum des Reklamanten, des englischen Staatsangehörigen Alonzo
Albert Gox, sein Heimatshafen ist Bombay in Britisch Indien, er
führt die englische Handelsflagge und dient zum Gütertransport. Ob-
wohl Gox, der selbst der Kapitän ist, gewußt hat, daß Port Arthui
zu der fraglichen Zeit von dem japanischen Kriegsgeschwader blockiert
wurde, hat er mit Absicht, sie nach dort einzuführen, ihm gehörige
50000 Sack Weizenmehl geladen und ist am 8. November 1904 unter
der Vorgabe, nach Niutschwang zu fahren, von Bombay abgedampft.
Am 12. Dezember desselben Jahres traf er 5 bis 6 Seemeilen auf der
Höhe von Liaotishan auf der Halbinsel Liaotung ein russisches Kriegs-
schiff, welches ihn nach Port Arthur hineinführte. Nach Löschung"
der Ladung nahm er den deutschen Kaufmann Pauli und drei andere
Personen an Bord, ließ sich aus eigenem Antriebe eine große Zahl
von Briefen anvertrauen und fuhr am 19. d. M. von dort wieder ab.
Auf der Reise nach Tschifu in Ghina wurde er von dem auf Blockade-
dienst befindlichen Kaiserlichen Kriegsschiff „Asakiri" gesichtet, erhielt
etwa um 11 Uhr abends desselben Tages etwa 12 Seemeilen auf der
Höhe von Tschifu Order zu stoppen und wurde nach Tsunglo, einer
Insel der EUiot-Gruppe, gebracht. Am 21. d. M., 8 Uhr morgens wurde
er dort von dem gleichfalls auf Blockadedienst befindlichen Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Otowa" mit Beschlag belegt.
Zu dieser Zeit war keine Ladung an Bord.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
die Bescheinigung über die an Bord befindlichen Güter des Stellvertreters
des Kommandanten der „Otowa", Marineoberleutnants K i t a m u r a
Masakichi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „King
Arthur" Gox, des 1. Offiziers Triplet, des 2. Offiziers Reck, des
3. Offiziers Turner, des 1 . Maschinisten Phillips, des 2. Ma-
schinisten Johnson, des 3. Maschinisten Gooper, des Oberkochs
Morris, der Passagiere Pauli, Liesecke, Oberbeck und
Waehner, durch das Schiffszertifikat, das Tagebuch, Maschinenjour-
494
Priaengerichtsentecheidungen: „King Arthur". Abschnitt VI^s.
nal, Ausklarierungsattest, Ladungsverzeichnis, eine Bescheinigung der
russischen Marinebehörden in Port Arthur über die Beschlagnahme
des Schiffs, die dem Kapitän von Einwohnern Port Arthurs anver-
trauten Briefe, ein Schreiben und einen Auftrag des russischen Offi-
ziers Maltschenko an den Kapitän.
Die Hauptpunkte der Ausführungen* des Prozeßvertreters sind
folgende .
Das zur Verhandlung stehende Schiff sei auf der Reise nach
Niutschwang von einem russischen Kriegsschiff beschlagnahmt und
nach Port Arthur geschafft worden. Es sei daher nicht in die
Blockade eingebrochen. i) Dies gehe auch aus der Bescheinigung der
russischen Marinebehörden über die Beschlagnahme hervor.
Ferner habe das Schiff sowohl bei der Einfahrt als bei der Aus-
fahrt von Port Arthur keinerlei Hinderung durch japanische Kriegs-
schiffe erfahren. Es habe seine Fahrt dorthin unbehindert ausgeführt
und habe erst nach der Ausfahrt auf der See bei Tschifu ein ja-
panisches Kriegsschiff getroffen. Danach zu urteilen, sei die Blockade
der Liaotung-Halbinsel nicht effektiv gewesen. Aber auch angenommen,
sie sei effektiv gewesen und das zur Verhandlung stehende Schiff habe
sie gebrochen, so sei sie doch jetzt noch vor Erlaß der Entscheidung
in dieser Sache schon aufgehoben. Daher sei es billig, entsprechend
der Entscheidung in dem Fall „Lisette", wo es heiße, daß nach Auf-
lösung der Blockade ein Bedürfnis für Bestrafung, um künftige Ober-
tretungen zu verhüten, nicht vorliege, das zur Verhandlung stehende
Schiff freizugeben.
Es werde beantragt, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
mit seiner gesamten Ausrüstung freigegeben werde und daß die in-
folge der Beschlagnahme erlittenen Verluste und Kosten ersetzt würden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe die Blockade ge-
brochen, welche erwiesenermaßen zu der Zeit effektiv gewesen sei.
Daher müsse auf Wegnahme des Schiffes entschieden werden. Der
Antrag auf Ersatz des Schadens sei abzuweisen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist allgemein bekannt, daß der Schiffsverkehr mit Niutschwang
jedes Jahr um Mitte Dezember unterbrochen wird. Daher ist es durch-
aus unglaubwürdig, daß das zur Verhandlung stehende Schiff zu dieser
Zeit, ohne einen bestimmten Besteller zu haben, es unternommen haben
sollte, eine große Menge Weizenmehl dorthin zu befördern. Wenn
man ferner, überlegt, daß das Schiff sich auf dem von der gewöhnlichen
Fahrroute nach Niutschwang ab gelegenen Punkte von 5 bis 6 See-
meilen von Liaotishan befunden hat, so muß man annehmen, daß der
0 V. § 29.
495
Abschnitt VI» Prisengorichtsentecheidttiigen: „King Arthur'.
Bestimmungsort des Schiffs nicht Niutschwang war. Der Kapitän be-
hauptet, daß er, bis er die Erlaubnis, Port Arthur zu verlassen, er-
halten habe, erwartet habe, daß die Russen sein Schiff einziehen
würden. Wenn man aber erwägt, daß er bereits vor Empfang der Ab-
fahrtserlaubnis vier deutsche Kaufleute, die Port Arthur zu verlassen
wünschten, an Bord genommen und auf eigenes Angebot sich viele
Briefe hat anvertrauen lassen, so muß man zu dem Schluß kommen,
daß es von vornherein bestimmt war, daß das Schiff Port Arthur nach
Löschen seiner Ladung verlassen sollte und daß dies nicht erst nach
Empfang der Erlaubnis der russischen Behörden abgemacht worden ist.
Es ist völkerrechtliches Prinzip, aufgebrachte Schiffe der Ent-
scheidung von Prisengerichten zu unterwerfen. Obwohl aber das zur
Verhandlung stehende Schiff in Port Arthur keinerlei Untersuchung
durch russische Beamte — von einem Prisengericht nicht zu reden —
unterworfen worden ist, hat doch der Kapitän dagegen keine Ein-
wendungen gemacht. Der von dem Reklamanten beigebrachten Be-
scheinigung der russischen Marinebehörden in Port Arthur, daß das
Schiff mit Beschlag belegt gewesen, sei, ist kein Glauben beizumessen.
Man muß im Gegenteil annehmen, daß diese Bescheinigung auf der
einen Seite geplant war, um die Ausfahrt zu sichern, auf der andereni
Seite als Beweismaterial dafür dienen sollte, daß der Import ausgeführt
worden sei. Es ist daher ersichtlich, daß das Schiff nicht von einem*
russischen Kriegsschiff beschlagnahmt worden, vielmehr nach Ausfuhr
eines Schleichimports wieder von Port Arthur ausgefahren ist.
Der Reklamant bringt vor, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff frei nach Port Arthur ein- und von dort wieder ausgefahren,
die Blockade also nicht effektiv gewesen sei. Es kann aber den Tat-
sachen nach nicht im geringsten bezweifelt werden, daß die Blockade
über die Südküste von Liaotung, welche der Oberstkommandierende
der vereinigten japanischen Kriegsflotte in seiner Erklärung vom 26.
Mai 1904 verhängt hat, immer in effektivem Zustand erhalten worden
ist. Außerdem ist es ein völkerrechtlich fest bestimmter Grundsatz, daß
die Tatsache, daß gelegentlich einige Schiffe der Kontrolle der Kriegs-
flotte entgehen und die Blockädelinie passieren, kein Präjudiz gegen
die Effektivität der Blockade bildet. 2)
Der Reklamant zieht die Entscheidung des Falls „Lisette" an und
sagt, daß die Blockade über Liaotung schon vor diesem Urteil auf-
gehoben worden sei,*) das zur Verhandlung stehende Schiff daher
freigegeben werden müsse. Da aber der von dem Reklamanten an-
gezogene Passus der erwähnten Präcedenzentscheidung lediglich die
Freigabe eines Schiffes begründet, welches nach Aufhebung der
Blockade beschlagnahmt wurde, so kann dieser Fall nicht als Präcedenz
«) V. § 21. — •) V. § 31.
496
Prisengerichtsentscheidungen: .King Arthur'. Abschnitt VI<s
für den vorliegenden angezogen werden, wo das Schiff beschlagnahmt
wurde, während die Blockade bestand. Ein genauer Vorgang des vor-
liegenden Falls ist vielmehr der der „Charlotte Sophia", welche gerade
wie die „Lisette" die Blockade gebrochen hatte, aber während des
Bestehens derselben aufgebracht und schließlich eingezogen wurde.
Das zur Verhandlung stehende Schiff ist, nach allem zu urteilen,
ohne einen rechtmäßigen Grund zu haben, nach Port Arthur ein-*)
und von dort wieder ausgefahren. ^) Es hat demnach die Blockade
des japanischen Geschwaders gebrochen und das Völkerrecht erkennt
es als recht und billig, daß es mitsamt der ihm zugehörigen Aus-
rüstung eingezogen werden kann, ß)
Des weiteren macht der Reklamant Anspruch auf Ersatz des
durch die Aufbringung des zur Verhandlung stehenden Schiffs er-
littenen Verlustes und der Kosten. Dies gehört aber nicht zur Ent-
scheidungskompetenz des Prisengerichts und die Reklamation über
diesen Punkt wird demnach abgewiesen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 9. März 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften).
Reklamant: Der englische Staatsangehörige Alonzo Albert
Cox, wohnhaft in London, England, New Groß Waller Road Nr. 135.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Hatakeyama Shigeakira,
Hiradomachi Nr. 18.
Am 9. März 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „King Arthur'*, welcher am
19. Dezember 1904 auf der See bei Tschifu in Ghina von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Asakiri" beschlagnahmt worden ist, ein Urteil er-
lassen, in welchem auf Einziehung des Dampfers und Abweisung des
Antrags auf Ersatz des Schadens und der Kosten erkannt worden ist.
Der Reklamant Alonzo Albert Cox hat gegen den Teil der Ent-
scheidung, welcher die Einziehung des Dampfers ausspricht, durch den
Rechtsanwalt Hatakeyama Shigeakira als Prozeßvertreter die
Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte T s u t s u k i
Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
*) V. § 29.1. - *) V. § 27,1. - •) V. § 45.
MftrBtrand-Meohleiibarg, Das JftpftnlBche Prisenrooht. Band I. (32) 4:«77
Abschnitt Vl^i Prisengerichtsentscheidungen : .King Arthur*.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Hatakeyama Shigeakira und deren Gründe sind folgende:
1. Da das zur Verhandlung stehende Schiff, auf der Reise nach
Niutschwang begriffen, von einem russischen Torpedoboot aufgebracht
und nach Port Arthur geführt worden sei, so habe es die Blockade
nicht gebrochen.
Das Urteil erster Instanz habe angenommen, daß
der Reklamant, obwohl er gewußt habe, daß Port Arthur
zu der fraglichen Zeit von dem japanischen Kriegsgeschwader
blockiert gewesen sei, mit der Absicht, sie nach dort
einzuführen, ihm gehörige 50000 Sack Weizenmehl ge-
laden habe und am 8. November 1904 unter der Vorgabe,
nach Niutschwang zu fahren, von Bombay abgedampft sei
und am 12. Dezember desselben Jahres 5 — 6 Seemeilen
auf der Höhe von Liaotishan auf der Halbinsel Liaotung
ein russisches Kriegsschiff getroffen habe. Dies habe ihn
nach Port Arthur hineingeführt, wo die Ladung gelöscht
worden sei.
Ferner habe das Urteil erster Instanz entschieden, daß
es von vornherein bestimmt gewesen sei, daß das Schiff
Port Arthur nach dem Löschen seiner Ladung habe ver-
lassen sollen, und daß dies nicht erst nach Empfang der
Erlaubnis der russischen Behörden abgemacht worden sei.
Dieser Annahme sei jedoch nur zugrunde gelegt, daß
der Kapitän behauptet habe, daß er bis zum Empfang der
Erlaubnis, Port Arthur zu verlassen, erwartet habe, daß die
Russen sein Schiff einziehen würden, während er doch be-
reits vor Empfang der Abfahrtserlaubnis vier deutsche Kauf-
leute, die Port Arthur zu verlassen gewünscht hätten, an Bord
genommen habe und auf eigenes Angebot sich viele Briefe
habe anvertrauen lassen.
Aus den von dem Gericht angezogenen Schriftstücken gehe jedoch
hierfür keinerlei Beweis hervor.
Nach der japanischen Seeprisenordnung 7) § 66 müsse bei Ent-
scheidung über die Frage, ob ein Schiff aufzubringen sei oder nicht,
die Art des Schiffes, seihe Ausrüstung, seine Ladung*^ seine Papiere,
der Kapitän, die Mannschaft und deren Aussagen berücksichtigt werden.
Auch sei es ein allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz, daß in Prisen-
angelegenheiten der Beweis sich beschränken solle auf die Schiffs-
papiere und die Aussagen des Kapitäns, der Offiziere und der sonst
zur Zeit der Beschlagnahme an Bord befindlichen Personen und daß
darüber nicht hinausgegangen werden dürfe; ferner daß die Beweis-
498
Prisengerichtsentscheidungen: „King Arthur". Abschnitt VI 21
last dafür, daß eine neutrale Person die Neutralität gebrochen habe,
dem obliege, der die Beschlagnahme ausführe. Das Urteil erster In-
stanz habe aber die Beweislast umgedreht, willkürlich angenommen,
daß die Schiffspapiere nicht die Wahrheit angäben und von vorn-
herein entschieden, daß der Reklamant die Blockade verletzt habe.
Diese Annahme von Tatsachen, die sich nicht auf dem Recht ent-
sprechende Beweise stützten, verstoße nicht nur gegen den Wortlaut
der Seeprisenordnung und die Doktrinen des Völkerrechts, sondern
kollidiere auch mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Sie sei da-
her widerrechtlich.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
es nicht glaubwürdig sei, daß das Schiff um die Mitte De-
zember, d. h. zu einer Zeit, wo jedes Jahr der Verkehr
nach Niutschwang gesperrt sei, den Import einer großen
Menge Weizenmehl vorgehabt haben solle.
Da aber das Schiff Bombay am 8. November verlassen habe, so
hätte es Niutschwang vor Mitte Dezember erreichen müssen, wenn
es nicht unterwegs Maschinenschaden gehabt hätte und wegen der
Reparaturen sich verspätet gehabt hätte. Wenn man sich überlege,,
daß trotz dieser Verspätung die Beschlagnahme durch das russische
Kriegsschiff am 12. Dezember erfolgt sei, so sei es unbegründet, wenn
das Urteil sage, daß es unglaubwürdig sei, daß das zur Verhand-
lung stehende Schiff, obwohl es gewußt habe, daß zu dieser Zeit
der Schiffsverkehr nach Niutschwang gesperrt sei, dennoch zu dieser
Zeit einen Import nach dort vorgehabt haben solle.
Da ferner die Weizenmehleinfuhr nach Nordchina jährlich stark
zunehme, so könne die Menge des Weizenmehls, welche auf dem zur
Verhandlung stehenden Schiff verladen gewesen sei, nicht als ein für
die Einfuhr nach Niutschwang zu großes Quantum angesehen werden.
3. Das Urteil erster Instanz erkläre,
man müsse daraus, daß das Schiff bis zu 5 oder 6 See-
meilen auf der Höhe von Liaotishan gelangt sei, da dieser
Ort nicht auf der gewöhnlichen Fahrlinie nach Niutschwang
liege, annehmen, daß der Bestimmungsort nicht Niutschwang
gewesen sei.
Wenn aber das zur Verhandlung stehende Schiff mehr oder weniger
von der üblichen Fahrroute abgewichen sei, so habe das seinen Grund
darin, daß es Maschinenschaden erlitten und einen Teil seiner Fahr-
geschwindigkeit eingebüßt gehabt habe. Wenn man überdies eine See-
karte ansehe, so finde man, daß die Route den direkten Weg von
Bombay nach Niutschwang darstelle, der für alle gewöhnlichen Handels-
schiffe die geeignetste Fahrlinie sei. Daher sei die Darlegung des
Urteils erster Instanz über diesen Punkt unhaltbar.
(32*) 499
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentschef düngen : .King Arthur'.
4. Das Urteil erster Instanz besage, daß
es völkerrechtliches Prinzip sei, aufgebrachte Schiffe der Ent-
scheidung von Prisengerichten zu unterwerfen ; daß aber der
Kapitän, obwohl das zur Verhandlung stehende Schiff in Port
Arthur keinerlei Untersuchung durch russische Beamte —
von einem Prisengericht nicht zu reden — unterworfen
worden sei, dagegen keinerlei Einwendungen gemacht
habe Es sei daher ersichtlich, daß das Schiff nicht von
einem russischen Kriegsschiff beschlagnahmt worden sei, viel-
mehr nach Ausführung eines Schleichimports wieder von
Port Arthur ausgefahren sei.
Daß aber das zur Verhandlung stehende Schiff in Port Arthur nicht
der Untersuchung durch ein russisches Prisengericht oder sonstige russi-
sche Beamte unterworfen worden sei, habe seinen Grund darin, daß
nach der damaligen militärischen Lage Port Arthurs die Einziehung
des Schiffes den Militärbehörden lediglich Verwicklungen und Un-
bequemlichkeiten bereitet haben würde, ohne für sie von irgendwelchem
Vorteil zu sein. Da es klar gewesen sei, daß zu der Zeit die Ver-
teidigung Port Arthurs nicht mehr lange habe fortgeführt werden können,
so sei es, anstatt ein kleines Fahrzeug wie das in Frage stehende ein-
zuziehen, vielmehr durchaus das zweckmäßigste Verfahren gewesen, die
auf demselben befindlichen Lebensmittel zu nehmen, das Schiff aber
selber sofort wieder aus dem Hafen fortzuschicken. Daraus, daß ander-
seits der Dampfer den Wunsch gehabt habe, möglichst schnell einen
so gefährlichen Hafen zu verlassen, und überstürzt auf die See ent-
wichen sei, dem Schiff den Vorwurf einer Verletzung des öffentlichen
Rechts zu konstruieren, sei doch ungeheuerlich.
5. Das Urteil erster Instanz behaupte, das zur. Verhandlung stehende
Schiff habe die Blockade gebrochen. Der Reklamant habe aber, wie
oben dargetan, niemals die Absicht des Blockadebruchs gehabt. Selbst
aber angenommen, eine solche Absicht habe vorgelegen, so sei doch
die Blockade von Port Arthur nicht effektiv gewesen. Um nämlich
eine nach dem Völkerrecht effektive Blockade herzustellen, müsse man
ständig Kriegsschiffe aufstellen und dieselben in hinreichend kleiner
Entfernung halten, um offenbar für das Einfahren in diesen Bereich
eine Gefahr zu schaffen. Die Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre
1856 schreibe vor, daß zur Effektivität einer Blockade eine Macht unter-
halten werden müsse, die ausreiche, um Annäherungen an die feindliche
Küste abzuwehren. Wenn daher die Kontrollschiffe zu anderen Zwecken
benutzt würden oder aus anderen Gründen die Kontrolle nicht aus-
reiche, so stünden den Neutralen, wenn dies auch nur eine kleine
Zeit andauere, mit Bezug auf das Blockadegebiet die gewöhnlichen
500
Prlsengerichtsentscheidungen: i,King Arthur". Abschnitt VI 29
Freiheiten des Handelsverkehrs zu^ Dies sei auch in dem § 21 der
japanischen Seeprisenordnung nicht anders geregelt.
Das Urteil erster Instanz sage mit Bezug auf den vorliegenden
Fall, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
in einer Entfernung von 5 bis 6 Seemeilen von Liaotishan
ein russisches Kriegsschiff getroffen habe und unter dessen
Führung nach Port Arthur hineingelangt sei usw.
Wenn aber ein feindliches Schiff bis zu 5 oder 6 Seemeilen von dem
blockierten Hafen in der offenen See umherkreuzen und nach Gefallen
ein Handelsschiff beschlagnahmen, dies in den Hafen ziehen, die Ladung
landen und das Schiff wieder aus dem Hafen fortschicken könne, so
sei von einem Blockadezustand nicht zu reden. Überdies habe das
zur Verhandlung stehende Schiff von seiner Abfahrt aus Port Arthur
an bis in die kleine Entfernung von zwölf Seemeilen von Tschifu,
wo es von dem japanischen Kriegsschiff gesichtet worden sei, auch
nicht den Schatten eines japanischen Kriegsschiffs gesehen.
Wenn man erwäge, daß ein feindliches Schiff so bis weit in die
offene See hinaus fahre und ein Handelsschiff nehme und daß dieses
Handelsschiff bei klarem Wetter ungehindert wieder ausfahren und
so weit als bis in die See von Tschifu habe gelangen können, so sei
die Blockade von Port Arthur zu dieser Zeit nicht effektiv gewesen.
6. Wenn auch ein Schiff, welches eine Blockade gebrochen habe,
bis zur Vollendung der Rückreise jederzeit der Aufbringung unter-
worfen sei, so könne doch ein Schiff, wenn die Blockade vor seiner
Wegnahme aufgehoben werde, nicht weggenommen oder bestraft werden.
Das gehe klar aus der Entscheidung in dem „Lisette"-Fall hervor, wo
es heiße, daß nach Auflösung der Blockade die zum Zwecke der Ver-
meidung künftiger Übertretungen geschaffene Straf bestimm ung nicht
angewandt werden dürfe. Freilich sei die „King Arthur" vor der Be-
kanntmachung der Aufhebung der Blockade aufgebracht worden, jedoch
sei noch bis nach Aufhebung der Straf bestimm ung das Prisenverfahren
nicht in Angriff genommen gewesen. Der Zweck, weshalb ein krieg-
führender Staat neutrale Schiffe, die eine Blockade gebrochen hätten,
wegnehme, sei nicht der, die Güter für sich anzusammeln oder den
neutralen Eigentümer zu bestrafen, sondern lediglich der, die Blockade
durchzuführen. Daher müsse die „King Arthur", obwohl vor der Auf-
hebung der Blockade aufgebracht, weil sie die Übertretung zu wieder-
holen nicht in der Lage sei, gerade wie ein Schiff, welches nach Auf-
hebung der Blockade aufgebracht worden sei, freigegeben werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
1. Der Reklamant habe eine Bescheinigung der russischen Marine-
behörden in Port Arthur über seine Beschlagnahme beigebracht und
501
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentscheidungen: „King Arthur'^
behaupte, da das Schiff von einem russischen Kriegsschiff beschlag-
nahmt und vorgeführt worden und. die Ladung von Weizenmehl ein-
gezogen sei, so habe es einen Blockadebruch nicht begangen. Aber
bei den Schiffen, welche die Blockade brächen, um Schleichimporte nach
Port Arthur auszuführen, sei es ganz gebräuchlich, bis Liaotishan zu
fahren, dort zu signalisieren und sich dann von einem aus dem Hafen
herauskommenden Torpedoboot hineinführen zu lassen. Auch bei dem
von diesem Prisengericht verurteilten Dampfer „George" 8) sei es so
gemacht worden. Aber selbst wenn man annehme, daß das Schiff wirklich
aufgebracht worden sei, so hätte nach völkerrechtlichem Brauch auf
jeden Fall ein prisengerichtliches Urteil ergehen müssen und auch die
Ladung hätte nicht willkürlich eingezogen werden können. Der Kapitän
und Reklamant habe jedoch ganz klar ausgesprochen, daß das Schiff
keinerlei Untersuchung durch irgendwelche russische Behörden — von
einem Prisengericht nicht zu reden — unterworfen worden sei. Da-
gegen habe er, ehe noch das Löschen beendet gewesen sei, vier deutsche
Kaufleute, welche Port Arthur zu verlassen gewünscht hätten, an Bord
genommen und sich aus eigenem Antrieb viele Briefe anvertrauen lassen.
Alles dies seien Spuren des Beweises, daß der Kapitän schon damals
im voraus gewußt habe, daß er nach Vollendung des Löschens seiner
Ladung würde abreisen müssen, und aus ihnen ergebe sich ganz klar,
daß die Bescheinigung über die Aufbringung nur ein Mittel sei, das
bezwecke, auf der einen Seite die Ausfahrt zu sichern, auf der anderen
dazu dienen solle, die Ausführung des Schleichimports nachzuweisen.
Ferner müsse es einem Seemann bekannt sein, daß zur Zeit, als
das Schiff die Reise gemacht habe, der Hafen von Niutschwang zu-
gefroren und daher der Schiffsverkehr gesperrt gewesen sei. Da dies
dem Kapitän auch bekannt sei, so könne man nur annehmen, daß Niu-
tschwang lediglich als Bestimmungsort vorgegeben worden sei, in
Wirklichkeit aber das Schiff einen Schleichimport nach Port Arthur
ausgeführt habe, wobei es nach der Ausfahrt von dort von einem
Kaiserlichen Kriegsschiff aufgebracht worden sei.
2. Der Reklamant vertrete die Ansicht, daß die Blockade von Port
Arthur nicht für effektiv angesehen werden könne, da das zur Ver-
handlung stehende Schiff dort frei ein- und ausgefahren sei. Die
Effektivität einer Blockade bedinge keineswegs die Verwendung einer
Macht, die die Hafenzufahrt absolut versperre. Es genüge vielmehr,
daß eine Streitmacht aufgestellt würde, welche ausreiche, um An-
näherungen an die feindliche Küste erfolgreich abwehren zu können.
Es sei aber klar erwiesen, daß die in der Erklärung des Kommandierenden
der japanischen Kriegsflotte über die Südküste von Liaotung verhängte
Blockade immer mit hinreichenden Mitteln effektiv erhalten worden sei.
«rvi,20.
502
Prisengeijlchtsentschef düngen: „King Arthur*'. Abschnitt VI^s
Ferner sei es von der Wissenschaft und den Präcedenzen in gleicher
Weise anerkannt, daß, wenn auch hin und wieder das eine oder andere
Schiff der Gefahr trotzend ungehindert in das Blockadegebiet habe ein-
fahren oder aus demselben ausfahren können, dies keinen Grund bilde,
um die Blockade für nicht effektiv erklären zu können. Daher sei es
unbestreitbar, daß man aus dem einen Fall, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff der Kontrolle der Kriegsschiffe und Torpedoboote habe
entgehen und unbehindert die Blockadelinie passieren und in das.
Blockadegebiet eindringen können, nicht schließen könne, daß die
Blockade nicht effektiv gewesen sei.
3. Das Urteilsbeispiel der „Lisette" beziehe sich auf eine Auf-
bringung nach Aufhebung der Blockade und könne nicht als Präcedenz-
fall für die vorliegende, während des Bestehens der Blockade ausgeführte
Beschlagnahme angezogen werden.
Die Berufung sei demnach nicht begründet, das Urteil der ersten
Instanz dagegen zutreffend und nicht zu beanstanden. Daher sei die
Berufung zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Im ersten Punkt der Berufung macht der Reklamant im wesent-
lichen geltend, daß das Urteil erster Instanz annehme, das zur Ver-
handlung stehende Schiff sei nicht von einem russischen Kriegsschiff
aufgebracht worden und habe die Blockade gebrochen. Als Grund-
lage hierfür diene ihm die Tatsache, daß der Dampfer vor Empfang der
Abfahrtserlaubnis deutsche Kaufleute, die Port Arthur zu verlassen
gewünscht hätten, an Bord genommen habe und sich auf eigenen An-
trieb viele Briefe habe mitgeben lassen. Weitere wichtige Beweise habe
es nicht festgestellt.
Aus den vielen, in dem Urteil erster Instanz aufgestellten Beweisen
geht jedoch klar hervor, daß es sich nur auf diese Tatsachen gestützt
hat, um zu der Entscheidung, daß Blockadebruch vorliege, zu gelangen.
Punkt 1 der Berufung ist daher unbegründet.
Der Verkehr mit Niutschwang hört in jedem Jahre in den Tagen
vom 27. November bis zum 6. Dezember auf. Das zur Verhandlung
stehende Schiff ist am 8. November von Bombay abgefahren. Nach
den Papieren zu urteilen, ist die höchste Geschwindigkeit desselben
ungefähr 77« Knoten. Der Dampfer würde also, ohne irgendwo an-
zulaufen, ohne Maschinenschaden zu haben, in ununterbrochener Fahrt,
wenn er den kürzesten Weg von etwa 5250 Seemeilen zwischen Bombay
und Niutschwang genommen hätte, etwa 29 Tage gebraucht haben. Die
Zeit seiner Ankunft in Niutschwang hätte afeo nach Eintritt der Sperre
des Schiffsverkehrs fallen müssen. Daher ist es durchaus unglaubwürdig,
daß das Schiff, ohne einen Besteller zu haben, unter solchen Umständen
eine so große Menge Weizenmehl nach Niutschwang einzuführen vor-
. 503
Abschnitt VI 28 Prf8engericht8ent8cheidungen: „King Arthur'^
gehabt haben sollte. Vielmehr ist es aus der Tatsache, daß das Schiff
aus dem gewöhnlichen Kurs nach Niutschwang heraus bis 5 oder 6
Seemeilen auf die Höhe von Liaotishan gefahren ist, zu vermuten, daß
Niutschwang nicht der Bestimmungsort gewesen ist.
Der Reklamant behauptet in seiner Beruf ungsschrift, daß das Schiff
mehr oder weniger von dem gewöhnlichen Fahrweg abgewichen sei,-
müsse auf einen von ihm erlittenen Maschinenschaden und die ver-
ringerte Fahrgeschwindigkeit zurückgeführt werden. Bei seiner Ver-
nehmung hat jedoch der Kapitän als Grund hierfür die Stromverhältnisse,
die Unfähigkeit des Steuerers und Ungenauigkeit des Kompasses an-
gegeben. Diese Widersprüche deuten darauf hin, daß es sich hier
um unglaubwürdige Ausreden handelt und daß die Annahme des Urteils
erster Instanz, der Bestimmungsort sei nicht Niutschwang gewesen,,
zutreffend ist. Daher sind die Punkte 2 und 3 der Berufung beide un-
begründet.
Es ist völkerrechtliche Regel, daß die Entscheidung über auf-
gebrachte Schiffe und Güter im Wege einer prisengerichtlichen Unter-
suchung zu geschehen hat und daß sie nicht willkürlich eingezogen
werden können. Wenn auch die militärische Lage Port Arthurs zur Zeit
der Ankunft des zur Verhandlung stehenden Schiffes so gewesen sein
mag, wie sie der Reklamant darstellt, so kann doch nicht angenommen
werden, daß die russische Marine neutrales Gut einziehen würde, ohne
mit Bezug auf .dasselbe eine prisengerichtliche Untersuchung vor-
zunehmen. Der Behauptung des Reklamanten, daß das Schiff von einem
russischen Kriegsschiff beschlagnahmt worden ist und keinen Transport
nach Port Arthur beabsichtigt und daher die Blockade nicht gebrochen
• hat, kann demnach kein Glauben geschenkt werden. Daher ist auch
Punkt 4 der Berufung unbegründet.
Die am 26. Mai 1904. voa dem Oberkommandierenden der ver-
einigten japanischen Kriegsflotte bekanntgemachte Blockade über die
Südküste von Liaotung ist seit der Zeit mit hinreichenden Mitteln aus-
geübt worden, um ihren Zweck zu erreichen. Es war zum unmittelbaren
Blockadedienst bei Port Arthur in einer Ausdehnung von ungefähr 20
Seemeilen entlang der Küste stets eine große Anzahl von Kriegsschiffen
aufgestellt. An dem Tage, an welchem das zur Verhandlung stehende
Schiff in Port Arthur einlief, waren 3 Schlachtschiffe, 10 Kreuzer, 9
Torpedozerstörer und Torpedoboote; am Tage, an welchem das Schiff
aufgebracht wurde, also am 19. Dezember, 9 Torpedozerstörer, 8 Kreuzer
und 1 Schlachtschiff in einer Entfernung von ungefähr 10 Seemeilen
aufgestellt, und außer diesen ließ man noch andere Schiffe zur Aus-
übung des Blockadedienstes umherkreuzen. Daraus wird es offenbar^
daß die Blockade in effektivem Zustand gehalten worden ist. Wenn
das zur Verhandlung stehende Schiff zufällig bis vor Port Arthur hat
504
Prlsengerichtsent8cheidungeii: •Roseley*. Abschnitt Vl^ta
gelangen können, so ist ihm das gelungen, indem es sich der Kon-
trolle des Blockadegeschwaders entzog und so durch die Blockadelinie
hindurchkam. Es kann aber nicht behauptet werden, daß es dabei
keine Gefahr gelaufen sei. Da demnach die Behauptung des Re-
klamanten, die Blockade über die Südküste von Liaotung sei nicht
effektiv gewesen, mit den Tatsachen in Widerspruch steht, so ist auch
Punkt 5 der Berufung unbegründet.
Ferner ist es völkerrechtlich anerkannt, daß, wenn ein vollendeter
Blockadebruch vorliegt, das Schiff, welches die Blockade verletzt hat,
wenn es während der Dauer der Blockade aufgebracht wird, gleich-
gültig, ob die Blockade zur Zeit der Untersuchung noch fortbesteht
oder nicht, eingezogen werden kann. Daher ist auch Punkt 6 der
Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 11. Juli 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschrift).
Reklamant: William Robert Rea, Reeder des Dampfers
„Roseley", wohnhaft in Belfast, Provinz Antrim in Irland, England,
Donegal Quay Nr. 19, vertreten durch David M. Robertson,
Kapitän des Dampfers „Roseley", wohnhaft in Tayport, England, Queens
Street.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt AkiyamaOenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Roseley",
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsform el:
Der Dampfer „Roseley" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der Dampfer „Roseley" steht im Eigentum des Reklamanten, des
englischen Staatsangehörigen William Robert Rea, er führt die
englische Flagge und dient zum Gütertransport. Der Kapitän David
M. Robertson lud Anfang November 1904 zur Beförderung nach
Wladiwostok in Rußland in Barry, England, 6462 Tons Cambrische
Kohle. In dem Chartervertrag wurde fälschlich als Reiseziel Hongkong,
Shanghai oder Kiautschou angegeben. Am 11. d. M. fuhr der Dampfer
505
Abschnitt Vl^ta Prisengeilchtseiitscheidungeii : „Roseley".
von Barry ab, lief Singapore und Hongkong an, wo er stets fälschlich
angab, er führe nach Shanghai, so daß ihm Ausklarierungspapiere für
Shanghai gegeben wurden. Am 5. Januar 1905 verließ er Hongkong
und fuhr, ohne Shanghai anzulaufen, direkt weiter nach Wladiwostok.
Er machte absichtlich einen Umweg, als ob er nach Shimonoseki führe,
passierte die östliche Straße von Shimonoseki, i) änderte dann plötzlich
seinen Kurs und wurde am 12. d. M., 12 Uhr 15 morgens, auf der
Fahrt nach Wladiwostok begriffen, auf 36 o 18' n. Br. und 130» 52'
ö. L., weil er Konterbande führte, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Tokiwa'' beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants Ando
Shokyo, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Roseley",
David M. Robertson, des 1. Offiziers Adam Harry Brown
und des 1. Maschinisten Robert James Thompson, das Schiffs-
zertifikat, Privatschiffsjournal, die Ausklarierungspapiere, den Charter-
vertrag und das Konnossement.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Re-
klamation sind folgende:
Der Reklamant habe als Eigentümer des Dampfers „Roseley'\am
1. November 1904 mit dem Vertreter des russischen Staatsahgehörigen
E. A. Qrabowski, der Aktiengesellschaft Pyman and Watson in
London einen Vertrag geschlössen, laut welchem das Schiff zum Trans-
port von Steinkohlen von Barry in England nach Hongkong, Shanghai
oder Kiautschou gechartert worden sei. Wenn das zur Verhandlung
stehende Schiff nach anderen als den in dem Chartervertrag benannten
Bestimmungshäfen gereist sei, so sei das auf Maßnahmen des Charterers
oder Absenders hin geschehen. Der Reklamant und Reeder habe daran
weder Anteil gehabt noch darum gewußt. Da die Güter nicht im
Eigentum das Reklamanten stünden, so könne das Schiff, wenn auch
die Ladung Konterbande sei, nicht mit dieser zusammen eingezogen
werden. Da ferner der Reklamant bei Abreise des Schiffs von Barry
keinerlei Kenntnis davon gehabt habe, daß das Schiff nach anderen
als den in dem Chartervertrag bestimmten Häfen fahren würde, so
könne man darin, daß die Schiffspapiere nicht Wladiwostok als Be-
stimmungshafen angäben, einen betrügerischen Plan, um der Auf-
bringung zu entgehen, nicht erblicken. Selbst aber einmal angenommen,
es sei als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes geschehen, so sei dies
eine Handlung des Charterers oder des Absenders, welchen der Be-
sitz des Schiffes und der Befehl und die Kontrolle der Besatzung zu-
stehe. Da der Reklamant hieran keinen Teil habe, so könne man nicht
0 Müßte heifien: östliche Straße des Tsushimakanals.
506
Prisengerichtsentscheidungen: „Roseley^^ Abschnitt Vl^ia
sagen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Kriegskonterbande geladen habe.
Aus diesen Gründen werde Freigabe des Schiffes beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff verladene
Steinkohle nach Wladiwostok, einem militärischen Stützpunkt Rußlands,
bestimmt sei und es offenbar sei, daß sie für den Kriegsgebrauch
des Feindes hätte geliefert werden sollen, so sei sie Konterbande. Da
ferner die Schiffspapiere des Dampfers, auf dem die Ladung verschifft
sei, gefälschte Angaben enthielten, so müsse das Schiff eingezogen
werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist in den Bestimmungen und in der Praxis des Völkerrechts
anerkannt, daß Schiffe, welche unter Anwendung betrügerischer
Mittel Konterbande führen, eingezogen werden können. ^)
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes ist aber
cambrische Kohle, wie sie gegenwärtig ausschließlich von Kriegsschiffen
gebraucht wird, und ihr Bestimmungsort ist Wladiwostok, ein Haupt-
stützpunkt der russischen Kriegsflotte. Daraus geht unzweifelhaft her-
vor, daß sie für den Kriegsgebrauch geliefert werden sollte. Sie wird
deshalb als Konterbande angesehen. 3)
Obwohl es schon von der Abreise von Barry an klar war, daß
das Schiff nach Wladiwostok reisen sollte, wurden doch, wie oben er-
wähnt, in dem Chartervertrag, dem Konnossement und dem Tagebuch
neutrale Häfen wie Hongkong und Shanghai als Bestimmungsorte ein-
getragen. Dies ist als Anwendung betrügerischer Mittel zum Zweck des
Konterbandetransports anzusehen.
Der Reklamant bringt vor, daß die Reise nach anderen als den
abgemachten Bestimmungsorten ein Unterfangen des Charterers oder
Absenders sei, welchen der Besitz und die Kontrolle des Schiffes zu-
stand, und daß der Reklamant hieran keinen Teil und auch keine
Kenntnis davon gehabt habe. Nach seinem Wortlaut hat indes offenbar
der in Frage kommende Chartervertrag nicht den Charakter einer Sach-
miete, und man kann nur zu der Ansicht kommen, daß der Besitz und
die Kontrolle des Dampfers nicht auf den Charterer übergegangen ist,
sondern, wie vorher, dem Reklamanten zusteht. Wenn daher der Kapitän
von seiner Abreise von Barry an die Absicht hatte, nach Wladiwostok
zu fahren und auch dorthin fuhr, so kann der Reklamant als Miets-
herr des Kapitäns die Verantwortung für diese Handlung desselben nicht
ablehnen. Daher kann er auch nicht geltend machen, daß, wenn der
Kapitän falsche Schiffspapiere herstellte, er an dieser Handlung keinen
Anteil hatte und nicht darum wußte.
2) V. § 44. — 3) n, Ziffer 2.
507
Abschnitt Vl^ia Prisengerichtsentscheidungen : „Roseley".
Ferner bringt der Reklamant vor, daß die Unterlassung der Ein-
tragung Wladiwostoks in die Schiffspapiere nicht geschehen sei, um der
Aufbringung zu entgehen und daß darin demnach ein betrügerisches
Mittel nicht erblickt werden könne. Der Dampfer hat aber, als er nach
Wladiwostok fuhr, nicht den üblichen Kurs durch die westliche Straße
des Tsushimakanals genommen, sondern sich dadurch, daß er die öst*
liehe Straße nahm, den Anschein gegeben, als ob er nach Shimonoseki
führe. Dann hat er, wie sich aus der Aussage des Kapitäns klar ergibt,
plötzlich den Kurs geändert, um nach Wladiwostok zu gehen, wobei er
schließlich aufgebracht wurde. Danach steht es über jedem Zweifel,
daß die falschen Eintragungen in den Schiffspapieren den Zweck hatten,
der Aufbringung zu entgehen.
Da nun das zur Verhandlung stehende Schiff dieser Art, unter
Anwendung betrügerischer Mittel, KonterJ^ande befördert hat, so ist
es durchaus unnötig zu untersuchen, in wessen Eigentum die auf ihm
verschifften Steinkohlen stehen und das Schiff ist einzuziehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften),
Reklamant: William Robert Rea, englischer Staatsan-
gehöriger, wohnhaft in England, Irland, County Antrim, Belfast Done-
gal Quay Nr. 19.
ProzeBveftreter : Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 10. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Roseley", welcher am 12.
Januar 1905 auf 36 o 18' n. Br. und 130 <> 52' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Tokiwa" beschlagnahmt worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Roseley" erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt Akiyama Genzo
die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki
Keiroki und Dr. jur. Ishiwatari Binichi geprüft worden ist.
Die Häuptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Genzo und deren Begründung sind folgende :
1. Der einzige Grund, aus dem die Einziehung verfügt sei, sei der,
daß unter Verwendung gefälschter Schiffspapiere und Angabe eines
508
Prisengerichtsentscheidungen: „Roseley". Abschnitt Vl^ta
falschen Bestimmungsortes Konterbande befördert worden sei. Da aber
die Konterbande nicht im Eigentum des Reeders stehe, so müsse sich
die Einziehung auf die Ladung beschränken. Das Schiff könne da-
gegen nicht konfisziert werden. Denn, um das Schiff zu konfiszieren,
sei es unbedingt nötig, daß neben der Annahme der Verwendung be-
trügerischer Mittel bei der Verschiffung der Konterbande auch feststehe,
daß der Reeder an diesem betrügerischen Verfahren beteiligt, d. h. im
Einverständnis sei. Wenn daher, ohne daß diese Beteiligung bei dem
in Frage kommenden Reeder vorliege, einfach der zivilrechtliche Stand-
punkt eingenommen werde, daß der Reeder Unkenntnis gegenüber den
Handlungen des Kapitäns nicht vorschützen könne und daraufhin so-
gleich die Einziehung verfügt werde, so sei das unrechtmäßig.
2. Der zur Einziehung des Schiffes erforderliche Tatbestand be-
trügerischer Maßnahmen könne lediglich damit, daß in den Schiffs-
papieren der Bestimmungsort nicht angegeben sei, nicht als vorliegend
erachtet werden. Es sei vielmehr nötig, daß die Papiere in der bösen
Absicht gefälscht seien, die kriegführende Marine bei der Visitierung
und Durchsuchung zu täuschen und dadurch der Aufbringung zu
entgehen; auch müßten die Mittel zu der Täuschung tauglich sein.
Da aber keine tatsächliche Spur dafür vorliege, daß die Papiere
des zur Verhandlung stehenden Schiffes in solcher Absicht hergestellt
worden seien, und es durchaus klar sei, daß die Papiere nicht ge-
eignet seien, um damit der Beschlagnahme zu entgehen, so sei die
Einziehung des Schiffes unrechtmäßig.
3. Der Reeder habe das Schiff zum Kohlentransport an den
Ladungseigentümer vermietet und einen Chartervertrag abgeschlossen,
in welchem Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungshäfen
festgesetzt gewesen seien. Daher habe der Reeder an der Bestimmung
des Schiffes nach einem anderen Hafen keinen Anteil gehabt. Wenn
man, wie das englische Recht, annehme, daß der Chartervertrag von
der Art einer Sachmiete sei, so stehe für die Zeit das Recht des Be-
sitzes und die Verfügungsgewalt dem Charterer zu. Selbst aber wenn
man den Fall nicht so auslege, sondern einen gewöhnlichen Frachtver-
trag annehme, so entspreche doch dem Willen des Reeders die in dem
Vertrag bezeichnete Refee und wenn der Kapitän den Willen des
Charterers ausgeführt habe, so könne man nicht sagen, daß der Reeder
als Mittäter bei dem Konterbandetransport gehandelt habe. Auch könne
mangels Beweises der Mittäterschaft die Verantwortung für eine das
Völkerrecht verletzende Handlung, wie den Konterbandetransport unter
Anwendung betrügerischer Mittel, dem Reeder nicht auferlegt werden,
weil eine solche Handlung außerhalb der Vertretungsbefugnisse des
Kapitäns als Vertreters des Reeders liege.
509
Abschnitt Vl^sa Prisengerichtsentscheidungen: „Roseley".
4. Der Charterer habe bei der Abreise des Schiffes dem Kapitän
für den Fall, daß er bei Ankunft in Hongkong keine andere Order er-
halte, Befehl gegeben, mit einem beliebigen Kurs nach Wladiwostok
weiter zu fahren. Danach zu urteilen, sei Wladiwostok damals noch nicht
fest als Bestimmungsort festgesetzt gewesen. Dies sei erst fest be-
stimmt worden, als der Dampfer bei Ankunft in Hongkong keine andere
Order erhalten habe. Daher könne darin, daß in dem im Abfahrts-
hafen ausgestellten Konnossement und Ausklarierungsschein Hongkong
als Bestimmungsort bezeichnet sei, ein Grund für Verdacht nicht liegen,
und man könne daraus nicht schließen, daß die Papiere auf einen falschen
Bestimmungsort ausgestellt worden seien in der bösen Absicht, dadurch
der Aufbringung durch die kriegführende Macht zu entgehen.
Wenn der Dampfer sich in Singapore und Hongkong Aus-
klarierung für Shanghai habe geben lassen, so sei das lediglich in der
Befürchtung geschehen, daß zur Zeit die englischen Behörden die Reise
nach Wladiwostok verweigern würden. Wenn er genötigt gewesen
wäre, um Ausklarierung nach Wladiwostok zu bitten, so würde er bei
der Abreise Schwierigkeiten erfahren haben, welche er gescheut habe.
So habe er lediglich, um seine Abfahrt zu erleichtern, den Behörden
gegenüber eine falsche Meldung gemacht, die, wie von selbst klar sei,
nicht den Zweck gehabt habe, dadurch der Aufbringung durch ja-
panische Kriegsschiffe zu entgehen.
Die Ausklarierungsbescheinigung sei eigentlich kein wichtiges
Schiffspapier. Daß die verschiedenen Staaten ihr kein Gewicht beilegten,
könne man daraus entnehmen, daß sie sich unter den in den Artikeln
177 bis 194 der englischen Prisenordnung aufgeführten Schiffspapieren
der einzelnen europäischen und amerikanischen Staaten nicht finde.
Wenn daher auch in den fraglichen Ausklarierungsbescheinigungen nicht
der richtige Bestimmungsort angegeben sei, so könne man doch nicht
sagen, daß es den Prinzipien des modernen Völkerrechts entspreche,
wenn man daraufhin dem Schiffe die schwere Strafe der Einziehung
auferlege.
5. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei keine Kriegskonter-
bande, denn, wenn sie auch nach Wladiwostok bestimmt sei, so ver-
einige dieser Platz doch in sich die Eigenschaften eines Kriegs- und
eines Handelshafens und es sei, wie das Beispiel* des „Neptun us"-Falls
im englisch-holländischen Krieg lehre, billig, in diesem Fall anzunehmen,
daß die Ladung nach dem Handelshafen Wladiwostok eingeführt
werden solle.
Ferner behaupte das Urteil erster Instanz, daß
es bekannt sei, daß zur Zeit als der zur Verhandlung, stehende
Dampfer von Barry abgefahren sei, die russische Regierung
einen Vertreter nach England geschickt gehabt habe, der
510
Prisengerichtsentscheidungen: „Roseley*'. Abschnitt Vl^t«
in Vorbereitung der Ausreise der baltischen Flotte nach dem
Osten viel Steinkohle nach Wladiwostok habe befördern
lassen usw.
Die daraus gefolgerte Entscheidung gründe sich nicht auf einem
richtigen Beweise und sei daher unrechtmäßig.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Erlaß einer Entscheidung auf Freilassung des zur Verhandlung
stehenden Dampfers beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Mizukami
Chojirg vom Prisengericht zu Sasebo sind folgende:
1. Da der Reeder der Mietsherr des Kapitäns sei, so sei er in Be-
zug auf die vort dem Kapitän in Ausübung seiner Pflichten begangenen
Handlungen, gleichgültig, ob er darum wisse oder daran beteiligt sei
oder nicht, verantwortlich. Daher könne er nicht mit der Begründung,
er habe keine Beziehung zu der Ausstellung der gefälschten Papiere
durch den Kapitän, seine Verantwortung ablehnen. Dies um so weniger,
als nach eigener Aussage des Kapitäns die Vertreter des Charterers und
des Reklamanten Pyman Watson A. G., dem Kapitän, als er B^rry
verlassen habe, die Konnossemente, welche auf Shanghai als Be-
stimmungsort lauteten, übergeben, ihn dabei aber mündlich beordert
hätten, nach Wladiwostok zu fahren.
2. Da die Frage, ob die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff
verladene Kohle Konterbande sei oder nicht, sich nach den Verhältnissen
des Bestimmungsorts entscheide, so müßten unstreitbar Schiffspapiere
als gefälscht gelten, wenn in ihnen kein oder ein falscher Bestimmungs-
ort angegeben sei, gleichviel aus welchem Grunde dies geschehen sei.
Denn dadurch könnten die im Kriege befindlichen Kriegsschiffe bei der
Visitierung und Durchsuchung getäuscht werden.
Aus den eigenen Aussagen des Kapitäns gehe es hervor, daß das
Schiff, als es nach Wladiwostok habe fahren wollen, nicht den übHchen
Kurs durch die westliche Straße des Tsushimakanals genommen, sondern
absichtlich, um sich den Anschein zu geben, daß es nach Shimonoseki
fahre, die östliche Straße passiert, dann aber plötzlich den Kurs geändert
habe, und schließlich auf der Fahrt nach Wladiwostok von einem Kaiser-
lichen Kriegsschiff aufgebracht worden sei. Daraus werde es klar,, daß
die Eintragung eines falschen Bestimmungsorts, bzw. die Unterlassung
der Eintragung in das Konnossement, das Tagebuch und die Aus-
klarierungsbescheinigungen nur den Zweck gehabt hätten, die Auf-
bringung durch die Kaiserlichen Kriegsschiffe zu verhüten.
3. Da es nach dem Wortlaut des Chartervertrages klar sei, daß
er seiner Natur nach kein Mietsvertrag über das Schiff, sondern ein
Transportvertrag sei, so müsse man annehmen, daß das Recht des Be-
sitzes und die Verfügungsgewalt über das Schiff nicht auf den Charterer
511
Abschnitt VI^« Prisengerichtsentscheidungen: „Roseley'*.
übergegangen sei, sondern nach wie vor dem Reklamanten zugestanden
habe.
Da der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffs schon bei
der Abreise von Barry den Willen gehabt habe, nach Wladiwostok zu
fahren, und versucht habe dorthin zu kommen, so könne der Reklamant
als Mietsherr des Kapitäns der Verantwortung hierfür nicht entgehen.
Dies um so weniger, als Pyman Watson A. Q.,' welche, wie oben
gesagt, die Vertretung des Reklamanten hätten, bei der Abreise des
Schiffs dem Kapitän Order gegeben hätten, nach Wladiwostok zu fahren.
Da, wie dargetan, das Urteil erster Instanz zutreffend und die Be-
rufung in allen Punkten unbegründet sei, so müsse dieselbe abgewiesen
werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und zum Hauptetappenort gemacht. Es hat dort
in ausgedehntem Maße Kriegsgeräte, Lebensmittel, Kohlen und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgestapelt. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
keine Nachfrage dafür vorhanden ist, so daß es ganz unzweifelhaft ist,
daß sie für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenz-
entscheidung, betreffend den „Neptunus", ajuch in diesem Falle an-
genommen werden, daß die in Frage stehende Ladung für friedliche
Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall
und die des vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus ver-
schieden, auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere.
Es ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den
vorliegenden angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können.*) Das Oberprisengericht ist der
Ansicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vor-
liegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und,
obwohl erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England Wladi-
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und Ihre Grandlage
das englische Manual of Naval Prize Law, art 82 bis 85.
612
PrisengerichtseBt8cbeidnBgen: •Roseley. Abschnitt VIttfc
wostok das Reiseziel war, der Chartervertrag und die anderen Schiffs-
papiere einen falschen Bestimmungsort angeben und das Schiff demnach
zur Beförderung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer
Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in Punkt l! urjd 2 Qesagten die Entscheidung
der ersten Instanz, auf Einziehung des Schiffs unfraglich gerechtfertigt
ist, so liegt kein Bedürfnis vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung
besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: PymanWatson A. O., Absender der Ladung des
Dampfers „Roseley", England, Wales, Cardiff, vertreten durch David
M. Robertson, Kapitän des Dampfers „Roseley", wohnhaft in Eng-
land, Tayport, Queens Street.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Roseley", wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Roseley" verladenen 6462 Tons Stein-
kohlen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung wurde Anfang November
1904 in Barry, England, auf dem von der Aktiengesellschaft Pyman
Watson gecharterten englischen Dampfer „Roseley" verladen. Am
n. d. M. ging sie mit Bestimmung nach Wladiwostok von dort ab
und wurde am 12. Januar 1905 morgens 12 Uhr 15 Minuten auf der
See in 36 M8' n. Br. und 130 o 52' ö. L., als der Dampfer „Roseley",
auf dem sie verschifft war, weil er Konterbande führte, von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht wurde, zugleich mit diesem
beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants Ando
Mftrstrftnd-Meohlenbariri !>*> Japanlsohe Priaenreoht. Band I. (33) ölo
Abschnitt VI Mb Prisengerichtsentscheidungen: .Roseley*.
ShokyO; die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Roseley",
David M. Robertson, des 1. Offiziers Adam Harry Brown
und des 1 . Maschinisten Robert James Thompson, das Schiffs-
zertifikat, das Privatschiffsjournal, die Ausklarierungspapiere, den Charter-
vertrag und das Konnossement
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant habe im November 1904 für den russischen Staats-
angehörigen E. A. Qrabowski in Glasgow, England, den dem
William Robert Rea gehörigen Dampfer „Roseley'' gechartert und
die zur Verhandlung stehende Ladung mit Bestimmung nach Wladi-
wostok auf demselben verschifft.
Nach der japanischen Seeprisenordnung i) gelte die Kohlenladung
nur dann als Kriegskonterbande, wenn sie zum Gebrauch der feind-
lichen Armee oder Marine oder nach einem feindlichen Ort bestimmt
sei, nach dessen Verhältnissen angenommen werden müsse, daß sie zum
Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würde.
In dem vorliegenden Falle aber, wo die Kohle nach Wlodiwostok gehe,
einem Hafen, der die Eigenschaften eines Kriegshafens und eines Handels-
hafens vereinige, sei es billig, daß man annehme, sie sei nach dem Handels-
hafen Wladiwostok befördert worden. Das tue auch die Präcedenz-
entscheidung des Prisenfalls „Neptun us" dar. Dies gelte auch um
so mehr, als die Verwendbarkeit der zur Verhandlung stehenden Ladung
sich nicht ausschließlich auf den Krieg beschränke, dieselbe vielmehr
auch für gewerbliche Zwecke gebraucht werden könne.
Selbst einmal angenommen, die Ladung sei feindliches Gut, so
könne doch nach Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre
1856 Beschlagnahme nicht erfolgen.
Es werde daher Freigabe der zur Verhandlung stehenden Ladung
beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach dem Hauptstütz-
punkt der russischen Marine, Wladiwostok, bestimmt und hätte offenbar
zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden sollen. Sie sei daher
Konterbande und müsse eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist cambrische Kohle, wie
sie gegenwärtig ausschließlich von Kriegsschiffen gebraucht wird. Ihr
Bestimmungsort ist Wladiwostok, ein Hauptstützpunkt der russischen
Kriegsflotte.
Es ist bekannt, daß zur Zeit, als der Dampfer „Roseley" von Barry
abfuhr, die russische Regierung einen Vertreter nach England geschickt
^) § 14 der japanischen Seeprisenordnung (V).
514
PrisengerichtsentscheMungen: .Roseley". Abschnitt VI»k
halte, der in Vorbereitung der Ausreise der baltischen Flotte nach dem
Osten viel Steinkohle nach Wladiwostok befördern ließ. Es ist daher
unzweifelhaft, daß die zur Verhandlung stehende Kohle für den Kriegs-
gebrauch des Feindes nach Wladiwostok geliefert werden sollte. Sie
ist demnach Konterbaride, und man kann der Behauptung des Rekla-
manten nicht beipflichten, welcher sagt, daß es in dem vorliegenden
Falle, wo die Ladung nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die
Eigenschaft eines Kriegs- und eines Handelshafens vereinige, billig sei,
anzunehmen, sie sei nach einem Handelshafen befördert worden, und
daß die zur Verhandlung stehende Kohle daher keine Konterbande sei.
Da die übrigen Ausführungen des Reklamanten zu dem vorliegen-
den Urteil keine direkte Beziehung haben, so ist es unnötig, sie einzeln
zu erörtern.
Die Ladung ist daher als Konterbande nach den Grundsätzen des
Völkerrechts mit Recht einzuziehen*), und es wird wie in der Urteils-
formel entschieden.
Verkündet am 10. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson A. G., England, Wales, Cardiff,
vertreten durch David M. Robertson, Kapitän des Dampfers „Rose-
ley", wohnhaft in Tayport, Queens Street.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 10. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des Dampfers „Roseley", welcher am 12.
Januar 1905 auf 36 o 18' n. Br. und 130 » 52' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Tokiwa" beschlagnahmt worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung der an Bord des genannten Dampfers
verschifften 6462 Tons Steinkohlen erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat David M. Robertson als Vertreter
der Reklamanten Pyman Watson A. G. durch den Rechtsanwalt
Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishi-
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Genzo sind folgende:
*) V. § 43.
(33*) 515
Abschnitt Jfink Prisengerichtsentscheidungen: «Roseley*.
Das Urteil der ersten Instanz sei unzutreffend. Es werde Ab-
gabe einer Entscheidung auf Freilassung der auf dem Dampfer „Roseley"
verladenen 6462 Tons Steinkohlen beantragt, und zwar aus folgenden
Gründen :
1. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle
Konterbande sei. In der japanischen Seeprisenordnung 3) sei aber als
Prinzip anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesener-
maßen zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden solle. Aber
wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit dem Grundsatz des
Völkerrechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der
zur Verhandlung stehenden Ladung Wladiwostok sowohl Rußlands ein-
ziger Kriegshafen wie auch sein einziger Handelshafen im Osten. Da
an diesem Platz verschiedene Arten von kaufmännischen und gewerb-
lichen Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen dort
Niederlassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle,
welche nicht absolute Konterbande sei, dorthin transportiert werde, nicht
ohne weiteres schließen, daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht
bestimmt sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend den
„Neptunus" im Kriege zwischen England und Holland im Jahre 1798,
sei es billig, daß die zur Verhandlung stehende Ladung als zur Ein-
fuhr nach dem Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch
bestimmt angesehen werde.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
es bekannt sei, daß zur Zeit, als der in Frage stehende Dampfer
„Roseley" von Barry abgefahren sei, die russische Regierung
einen Vertreter nach England geschickt gehabt habe, der in
Vorbereitung der Ausreise der baltischen Flotte nach dem
Osten viel Steinkohle nach Wladiwostok habe befördern
lassen usw.
Auf was für einem Beweis gründe sich aber diese Annahme? Das
Prisengericht habe sich nicht an die für die Beweisaufnahme geltenden
Normen gehalten, sondern nach freier Überzeugung geurteilt. Es sei
aber ein völkerrechtlicher Grundsatz für das Prisenverfahren, daß man
als Material für die Entscheidung nur die Papiere des aufgebrachten
Schiffs und die Aussagen der Besatzung benutzen solle.*) Es sei daher
unfraglich, daß das Urteil unzutreffend sei, weil es gegen diese völker-
rechtliche Grundregel verstoßen habe.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in
etwas ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach
»rv7§ 14.
*) Art. 240, 326 Manual of Naval Prize Law, doch die japanische Seeprisen-
ordnung nur § 66 (V).
516
Prisengoiichtsentscheldungen: i^Roseley". Abschnitt VI**^
der englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen
Kriegsschiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen
seien, unter Zahlung einer Vergütung eingezogen.*) Nach dem kon-
tinentalen Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse be-
schlossen hätten, für Güter, welche sowohl friedlichen als auch
kriegerischen Zwecken dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach
einem feindlichen Hafen begriffen seien, bestimmt, daß dem krieg-
führenden Staat ihnen gegenüber unter der Bedingung der Vergütung
das Beschlagnahmerecht und außerdem das Vorkaufsrecht zustehe.
Während so die moderne Rechtspraxis mit Bezug auf relative Konter-
bande eine immer weitherziger werdende Tendenz zeige, sei- nur Japan
unbillig streng, indem es im Gegensatz zu den erwähnten Rechts-
prinzipien und Gewohnheiten Kohle, die sowohl friedlichen als auch
kriegerischen Zwecken diene, wenn sie nach einem Platz, der Handels-
und Kriegshafen sei, bestimmt wäre, bedingungslos einziehe. Besonders
weil die japaniSthe Prisenordnung sich auf den englischen Prinzipien
aufbaue, sei es wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative
Konterbandegüter handele, eine billigere Haltung eingenommen würde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro, sind folgende:
1. Cardiffkohle, wie die zur Verhandlung stehende, werde in der
gegenwärtigen Zeit ausschließlich auf Kriegsschiffen gebraucht. Die
Ladung sei nach Wladiwostok bestimmt, welches als Handelshafen seit
dem japanischen Kriege nur dem Namen nach existiere, tatsächlich aber
ein wirklicher Kriegshafen und der Hauptstützpunkt für die russische
Kriegsflotte sei. Es sei bekannt, daß diese Flotte bezüglich der von ihr
benötigten Kohle fast gänzlich auf Import von Cardiff angewiesen sei.
Daher sei es klar, daß die zur. Verhandlung stehende Kohle, welche
nach Wladiwostok bestimmt gewesen sei, unmittelbar zum Kriegs-
gebrauch des Feindes hätte geliefert werden sollen und daher un-
zweifelhaft Kriegskonterbande sei.
Da man den holländischen Hafen Amsterdam, welcher weder dem
Namen noch den tatsächlichen Verhältnissen nach zugleich die Eigen-
schaften eines Kriegs- und eines Handelshafens habe, nicht auf gleiche
Stufe mit Wladiwostok stellen könne, so könne die Präcedenzent-
scheidung des „Neptun us"-Falls nicht für den vorliegenden Fall an-
gezogen werden.
2. Da besondere Regeln für die Beweisaufnahme, an welche das
Prisengericht gebunden wäre, nicht existierten, so könne das Gericht
unter Zugrundelegung der Schiffspapiere, der Aussagen der Besatzung
und jedes anderen Umstandes nach freier Überzeugung den Tatbestand
^) Manual of N. P. L. Art. 84. Anders die japanische Seeprisenordnung
§43(V).
617
Abschnitt VI 28b Prisengerichtsentscheidungen: •Roseley".
feststellen. Daher lasse sich nicht sagen, daß es unrechtmäßig sei,
bei Feststellung des Tatbestands über die Schiffspapiere und Aussagen
der Besatzung hinauszugehen, ß) besonders auch da die von dem Ur-
teil erster Instanz angenommenen Tatsachen allgemein bekannt seien.
3. Daß Kohle, welche für feindliches Gebiet bestimmt sei, wenn
anzunehmen sei, daß sie für den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert
werden solle, als Konterbande angesehen und eingezogen werden müsse,
sei nicht nur von der völkerrechtlichen Praxis anerkannt, sondern auch
in der japanischen Seeprisenordnung klar ausgesprochen. Es sei daher
zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz, weil es diesen Tatbestand
annahm, auf Einziehung der zur Verhandlung stehenden Kohle erkannt
habe. Auch sei es als zutreffend zu bezeichnen, wenn das Prisen-
gericht den Ausführungen des Reklamanten bezüglich Einziehung unter
Leistung einer Vergütung, bedingter Beschlagnahme und Vorkauf nicht
gefolgt sei, denn diese seien nur die Praxis vereinzelter Staaten bzw.
Gelehrtenansichten, könnten aber nicht als Bestimmungen oder Praxis
des geltenden Völkerrechts anerkannt werden.
Da demnach, wie ausgeführt, das Urteil erster Instanz zutreffend
sei und die Berufungspunkte sämtlich unbegründet seien, so sei die Be-
rufung zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland es zum Hauptstütz-
punkt für seine Kriegsflotte und zum Hauptetappenort gemacht. Es hat
dort in ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohlen und
sonstige Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handels-
verkehr nach dorthin hat fast gänzlich aufgehört. Es ist daher durch-
aus begründet, wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß
die nach diesem Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen
Kriegsgebrauch geliefert werden sollten und daher Kriegskonterbande
seien. Dies um so mehr, als die zur Verhandlung stehende Ladung aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden ist, so daß es ganz
.unzweifelhaft ist, daß sie für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
.werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptun us'', auch in diesem Falle angenommen, werden,
daß die Ladung für friedliche Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die
Ladung im „Neptunus''-Fall und die des vorliegenden Falls sind ihrer
Art nach von Grund aus verschieden, und auch die Verhältnisse der
^) Anders derselbe Staatsanwalt in Vi, 29 b.
518
Prisengerichtsentscheidungeit: .Lethington*. Abschnitt V1<t*
Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist daher unfraglich, daß jener
Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden angewandt werden kann.
Daher ist Punkt 1 der Berufung unbegründet.
2. Da ein Prisengericht bei Feststellung des Tatbestands die Schiffs-
papiere, die Aussagen des Kapitäns und der Besatzung und alle anderen
Tatsachen und Umstände berücksichtigen und nach freier Über-
zeugung urteilen kann, so ist der zweite Berufungspunkt, welcher das
Urteil erster Instanz für unzutreffend erklärt, weil es die Tatsachen, die
außerhalb der Schiffspapiere und der Aussagen der Besatzung liegen,
als Material für die Entscheidung verwandt habe, unbegründet.
3. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
eingezogen werden kann. Wünsche bezüglich Vorkauf, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,
wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere ver-
tragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge leistete.
Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: William Robert Rea, Reeder des Dampfers
„Lethington", wohnhaft in Belfast, Provinz Antrim in Irland, England,
Donegal Quay Nr. 19, vertreten durch Thomas Täte, Kapitän des
Dampfers „Lethington", wohnhaft North Field Newcastle Street Nr. 3.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaQenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Lething-
ton", wird, wie folgt^ entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Lethington" wird eingezogen.
619
Abschnitt VI<T* Prisengerichtsentscheldungen: .Leihlngton'.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Lethington" steht im
Eigentum des Reklamanten Robert Rea, führt die englische Flagge,
sein Heimatshafen ist Belfast in Irland, England, und er ist ein Handels-
schiff, das ausschließlich zum Gütertransport dient. Der Reklamant
hat am 1. November 1904 mit den Vertretern des in England wohn-
haften russischen Staatsangehörigen E. A. Grabowski, der Aktien-
gesellschaft Pyman Watson, einen Chartervertrag abgeschlossen,
laut welchem der Dampfer Kohle von Cardiff nach Hongkong, Shanghai
oder Kiautschou befördern sollte. Der Dampfer nahm in Cardiff 6495
Tons Kohlen ein. Die Konnossemente besagen, daß der Empfänger sich
nach Order richten solle. Als Bestimmungsort sollte nach Ankunft in
Hongkong einer der Häfen Hongkong, Shanghai oder Kiautschou fest-
gesetzt werden. Ferner war gesagt, daß, wenn der Kapitän bei An-
kunft in Hongkong keine andere Weisung erhalte, er nach Wladiwostok
fahren solle.
Am 11. November d. J. fuhr der Dampfer demgemäß von Car-
diff unter Angabe von Hongkong als Bestimmungsort ab. In Hong-
kong erhielt er auf Grund seiner Angaben eine Ausklarierungs-
bescheinigung für Shanghai, fuhr jedoch direkt nach Wladiwostok und
wurde auf dieser Reise etwa 10 Seemeilen westlich von Okinoshima
im Regierungsbezirk Fukuoka von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 72
aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten des genannten Torpedoboots Nr. 72, Yamaguchi
Denichi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Lethington"
Thomas Täte, des 1. Offiziers George Bergwitz, des 1.
Maschinisten W. Moffit, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das
Konnossement, das Privatschiffsjournal und die Ausklarierungspapiere
des Hafenamts in Hongkong.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Re-
klamation sind folgende:
Da der Reklamant und Reeder das zur Verhandlung stehende
Schiff auf Grund eines Chartervertrages vermietet habe, so habe er weder
Anteil daran gehabt noch darum gewußt, daß das Schiff nach Wladi-
wostok, welches im Chartervertrag nicht verzeichnet sei, gereist w^re.
Das Schiff könne daher, wenn auch seine Ladung Konterbande sei^
da der Reklamant nicht der Eigentümer dieser Ladung sei, i) nicht das
Schicksal derselben teilen und der Einziehung verfallen. Wenn ferner
auch das Schiff schon zur Zeit seiner Abfahrt von Cardiff mit der
Absicht, es nach Wladiwostok fahren zu lassen, gechartert gewesen sei,
') V. § 43,2.
520
PriMngerichtsentscheldiingeii: i^Lethlngton*. Abschnitt VI^^*
so sei das lediglich ein Plan des Charterers oder des Absenders ge-
wesen, an dem der Reeder in keiner Weise beteiligt gewesen sei.
Auch die Unterlassung der Eintragung Wladiwostoks als eines
der Bestimmungsorte sei lediglich eine Handlung des Charterers oder
Befrachters, zu der der Reeder in keiner Beziehung stehe. Da das
Schiffsjournal übrigens klar Wladiwostok als Bestimmungsort angebe,
so sei die Unterlassung der Eintragung dieses Hafens in die übrigen
Schiffspapiere nicht geschehen, um der Aufbringung durch die ja-
panische Marine zu entgehen. Da das Schiff lediglich sich in Hong-
kong eine Ausklarierung nach Shanghai anstatt nach Wladiwostok habe
geben lassen, so sei die Tatsache, daß, außer in dem Journal, in den
Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort eingetragen sei,
einfach als Unvollständigkeit der Schiffspapiere anzusehen. Man könne
dagegen nicht daraus schließen,, daß das Schiff für den Kohlentrans-
port betrügerische Mittel habe anwenden wollen. Dies um so weniger,
als die Ladung nicht als absolute Konterbande gelten könne.
Das Schiff unterliege daher nicht der Strafe der Einziehung.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da es erwiesen sei, daß das zur Verhandlung stehende Schiff,
um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen, sich mit
gefälschten Schiffspapieren versehen und unter Angabe eines falschen
Bestimmungshafens Konterbande nach Wladiwostok habe befördern
wollen, so müsse es mitsamt seiner Ladung eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
In gewöhnlichen Fällen beschränkt sich die Strafe für Konter-
bandetransport auf die Einziehung der Konterbandeartikel. Wenn aber
gefälschte Schiffspapiere verwandt werden und ein falscher Be-
stimmungsort angegeben wird, so ist es die Regel, auch das Schiff
einzuziehen. Das ist im modernen Völkerrecht von Wissenschaft und
Praxis allgemein anerkannt.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Lethington" hat Car-
diffkohle, wie sie ausschließlich für Kriegsschiffe verwandt wird, ge-
laden, um sie nach dem Hauptflottenstützpunkt Rußlands, Wladiwostok,
zu befördern. Darüber, daß es sich um einen Transport von Konter-
bande handelt, besteht nicht der geringste Zweifel. Obwohl es schon
von der Zeit der Abreise von Cardiff in England an bestimmt war,
daß Wladiwostok das Ziel der Reise sein sollte, war im Charterver-
trag, dem Konnossement usw. vorgegeben, daß die Kohle in Hongkong,
Shanghai oder Kiautschou verkauft werden solle. In Hongkong hat
der Dampfer sich eine Ausklarierung für Shanghai verschafft und ist
dann nach Wladiwostok gefahren. Alle diese Maßnahmen hat der
Dampfer durchaus in der Absicht, dadurch der Aufbringung durch die
Kaiserliche Marine zu entgehen, getroffen. Er hat demnach dazu ge-
521
Abschnitt VI^Ta Prisengerichtsentschei düngen: .Lethington*.
dient, unter Anwendung betrügerischer Mittel Konterbande zu beför-
dern. Wenn auch im Tagebuch sich Wladiwostok verzeichnet findet,
so reicht das doch nicht aus, um zu der Annahme zu gelangen, es habe
keine betrügerischen Mittel für den Transport benutzt.
Da derartige betrügerische Handlungen vorliegen, so muß die
Einziehung des Schiffs erfolgen, gleichviel ob die Handlungen aus
dem Willen des Reeders oder des Charterers entsprungen sind. 2)
Weil daher alle Ausführungen des Vertreters der Reklamation
unbegründet sind, wird w^e in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im
Beisein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriflen.)
Reklamant: William Robert Rea, englischer Staatsange-
höriger, Belfast, Donegal Quay Nr. 19, England, Irland, County Antrim.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaQenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 10. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
-oache, betreffend den englischen Dampfer „Lethington'', welcher am
12. Januar 1905 auf der See in einer Entfernung von etwa 18 See-
meilen westlich von Okinoshima von dem Kaiserlichen Torpedoboot
Nr. 72 aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Ein-
ziehung des Dampfers „Lethington" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant William Robert Rea
durch den Rechtsanwalt Akiyama Qenzo als Prozeßvertreter die
Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte T s u t s u k i
Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Qenzo und deren Begründung sind folgende:
1. Der einzige Grund, aus welchem die Einziehung verfügt sei,
sei der, daß unter Verwendung gefälschter Schiffspapiere und Angabe
eines falschen Bestimmungsorts Konterbande befördert worden sei. Da
aber die Konterbande nicht im Eigentum des Reeders stehe, so müsse
sich die Einziehung auf die Ladung beschränken. Das Schiff dagegen
könne nicht konfisziert werden. Denn um das Schiff zu konfiszieren,
sei es unbedingt nötig, daß neben der Annahme der Verwendung
2) V. § 44.
522
Prisengerichtsentscheidungen: ,Lethington'. Abschnitt VI 27 a
betrügerischer Mittel bei der Verschiffung der Konterbande auch fest-
stehe; daß der Reeder an diesem betrügerischen Verfahren beteiligt,
d. h, im Einverständnis sei. Wenn man daher, ohne daß diese Be-
teiligung bei dem in Frage kommenden Reeder vorliege, einfach den
zivilrechtlichen Standpunkt einnehme, daß der Reeder Unkenntnis gegen-
über den Handlungen des Kapitäns nicht vorschützen könne, und darauf-
hin ohne weiteres die Einziehung verfüge, so sei das unrechtmäßig.
2. Der zur Einrichtung des Schiffes erforderliche Tatbestand be-
trügerischer Maßnahmen könne damit, daß lediglich in den Schiffs-
papieren der Bestimmungsort nicht angegeben sei, nicht als vorliegend
erachtet werden. Es sei nötig, daß die Papiere gefälscht seien in der
bösen Absicht, die Visitierung und Durchsuchung der kriegführenden
Marine zu täuschen und dadurch der Aufbringung zu entgehen; auch
müßten die Mittel zu der Täuschung tauglich sein.
Da aber keine tatsächliche Spur dafür vorliege, daß die Papiere
des zur Verhandlung stehenden Schiffes in solcher Absicht ausgestellt
w^orden seien, und es durchaus klar sei, daß die Papiere nicht geeignet
seien, um damit der Beschlagnahme zu entgehen, so sei die Einziehung
des Schiffs unrechtmäßig.
3. Der Reeder habe das Schiff zum Kohlentransport an den
Ladungseigentümer vermietet und einen Chartervertrag abgeschlossen,
in welchem Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungs-
häfen angegeben gewesen seien. Daher habe der Reeder an der Be-
stimmung des Schiffs nach einem anderen Hafen keinen Anteil gehabt.
Wenn man mit dem englischen Recht annehme, daß der Chartervertrag
von der Art einer Sachmiete sei, so stünden für die Zeit die Rechte
des Besitzes und der Verfügung dem Charterer zu. Selbst wenn man
aber einmal den Fall nicht so auslege, sondern einen gewöhnlichen Fracht-
vertrag annehme, so entspreche doch dem Willen des Reeders die in
dem Vertrag bezeichnete Reise, und wenn der Kapitän den Willen des
Charterers ausgeführt habe, so könne man nicht sagen, daß der Reeder
Mittäter an dem Konterbandetransport gewesen sei. Dies um so weniger,
als mangels Beweises der Mittäterschaft die Verantwortung für eine das
Völkerrecht verletzende Handlung wie den Konterbandetransport unter
Anwendung betrügerischer Mittel, dem Reeder nicht auferlegt werden
könne, weil eine solche Handlung außerhalb der Vertretungsbefugnisse
des Kapitäns als Stellvertreters des Reeders liege.
4. Der Charterer habe bei Abreise des Schiffes dem Kapitän für
den Fall, daß er bei Ankunft in Hongkong keine andere Order erhalte,
Befehl gegeben, mit einem beliebigen Kurs nach Wladiwostok weiter-
zufahren. Danach zu urteilen, sei damals Wladiwostok noch nicht fest
als Bestimmungsort abgemacht gewesen. Dies sei erst fest bestimmt
worden, als der Dampfer bei Ankunft in Hongkong keine andere Order
523
Abschnitt VI<T* Prisengerichtsentscheldungen: .Leihington*.
erhalten habe. Daher könne Harin, daß in dem im Abfahrtshafen aus-
gestellten Konnossement und Ausklarierungsschein Hongkong als Be-
stimmungsort bezeichnet sei, ein Grund für Verdacht nicht liegen, und
man könne daraus nicht schließen, daß die Papiere auf einen gefälschten
Bestimmungsort ausgestellt worden seien in der bösen Absicht, dadurch
der Aufbringung durch die kriegführende Macht zu entgehen.
Wenn der Dampfer sich in Singapore und Hongkong Ausklarierung
für Shanghai beschafft habe, so sei das lediglich in der Befürchtung
geschehen, daß zurzeit die englischen Behörden die Reise nach Wladi-
wostok verweigern würden. Wenn er genötigt gewesen wäre, um Aus-
klarierung nach Wladiwostok zu bitten, so hätte er bei der Abreise
Schwierigkeiten erfahren, welche er gescheut habe. So habe er den
Behörden gegenüber eine falsche Meldung nur gemacht, um seine Ab-
fahrt zu erleichtern. Daß dies nicht geschehen sei, um der Aufbringung
durch die japanischen Kriegsschiffe zu entgehen, gehe auch daraus
hervor, daß in dem Tagebuch Wladiwostok deutlich als Bestimmungsort
genannt sei.
Die Ausklarierungsbescheinigung sei eigentlich kein wichtiges
Schiffspapier. Daß die verschiedenen Staaten ihr kein Gewicht bei-
legten, könne man auch daraus entnehmen, daß sie sich unter den in
den Artikeln 177 bis 194 der englischen Prisenordnung aufgeführten
Schiffspapieren der einzelnen Staaten Europas und Amerikas nicht finde.
Wenn daher auch in den fraglichen Ausklarierungsbescheinigungen nicht
der richtige Bestimmungsort angegeben sei, so könne man doch nicht
sagen, daß es den Prinzipien des modernen Völkerrechts entspreche,
wenn man daraufhin dem Schiffe die schwerste Strafe der Einziehung
auferlege.
5. Die in Frage stehende Ladung sei keine Kriegskonterbande, denn,
wenn sie auch nach Wladiwostok bestimmt sei, so vereinige dieser
Platz doch in sich die Eigenschaft eines Kriegshafens und eines Handels-
hafens, und es sei, wie das Beispiel des „Neptunus"-Falls im englisch-
holländischen Krieg lehre, billig, in diesem Fall anzunehmen, daß die
Ladung nach dem Handelshafen Wladiwostok eingeführt werden solle.
Das Urteil erster Instanz nehme an, ») daß
in Wladiwostok zur Zeit gewöhnliche Schiffe fast gar nicht
vorhanden seien und daß der Schluß gerechtfertigt sei, daß
die auf dem zur Verhandlung stehenden Dampfer verschiffte
Cardiffkohle, welche von der Art sei, wie sie ausschließlich
auf Kriegsschiffen zur Verwendung komme, wenn sie nach
Wladiwostok gelangt wäre, für den Gebrauch der Marine ge-
liefert worden wäre.
■) Eine Verwechslung mit dem erstinstanzlichen Urteil über die Ladung dieses
Schiffes. Siehe VI, 27 b.
524
Priaengerichtsentscheidangen: .Lethington*. Abschnitt VI*t*
Diese Annahme sei unzutreffend, weil sie sich auf keinen richtigen Beweis
gründe.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Abgabe einer Entscheidung auf Freilassung des zur Verhandlung
stehenden Dampfers beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro, sind folgende :
1. Da der Reeder der Mietsherr des Kapitäns sei, so sei er mit Bezug
auf die von dem Kapitän in Ausübung seiner Pflichten begangenen
Handlungen, gleichgültig ob er darum wisse und daran beteiligt sei
oder nicht, verantwortlich. Daher könne er nicht mit der Begründung,
er habe keine Beziehung zu der Ausstellung der gefälschten Papiere
druch den Kapitän, seine Verantwortung ablehnen.
2. Da die Frage, ob die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff
verladene Kohle Konterbande sei oder nicht, sich nach den Verhältnissen
des Bestimmungsortes entscheide, so müßten unstreitbar die Schiffspapiere
als gefälscht gelten, weil in ihnen kein oder ein falscher Bestimmungs-
ort angegeben sei, gleichviel aus welchem Grunde dies geschehen sei.
Denn dadurch könnten die im Kriege begriffenen Kriegsschiffe bei der
Visitierung und Durchsuchung getäuscht werden-
Zumal habe auch der Kapitän des zur Verhandlung stehenden
Schiffes schon beim Verlassen von Barry die Absicht gehabt, nach Wladi-
wostok zu fahren. Wenn trotzdem in den Schiffspapieren ein falscher
Bestimmungsort verzeichnet sei, so müsse man vermuten, daß dies
geschehen sei, um der Gefahr der Aufbringung während der Reise zu
entgehen.
3. Da es nach dem Wortlaut des Chartervertrages klar sei, daß
er seiner Natur nach kein Mietsvertrag über das Schiff, sondern ein
Transportvertrag sei, so müsse man annehmen, daß das Recht des Be-
sitzes und der Verfügung des Schiffs nicht auf den Charterer über-
gegangen sei, sondern nach wie vor dem Reklamanten zustehe.
Da der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffes schon
bei der Abreise von Cardiff den Willen gehabt habe, nach Wladiwostok
zu fahren und versucht habe, dorthinzukommen, so könne der Rekla-
mant als Mietsherr des Kapitäns der Verantwortung hierfür nicht ent-
gehen.
Da, wie dargetan, das Urteil erster Instanz zutreffend und die
Berufung in allen Punkten unbegründet sei, so müsse dieselbe abgewiesen
werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
525
: Abschnitt VI 27 a Prisengerichtsentscheidungen : , Lethington * .
ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohlen und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr
nach dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß nach diesem
Hafen bestimmte Steinkohle für den . russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte und daher Kriegskonterbande sei. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden ist, so daß es ganz
unzweifelhaft ist, daß sie für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung;
betreffend den „Neptunus" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt ge-
wesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus''-Fall und die des vor-
liegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. *) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird, besonders im vorliegenden
Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und, obwohl er-
wiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England Wladiwostok das-
Reiseziel war, der Chartervertrag und andere Schiffspapiere einen falschen
Bestimmungsort angeben und das Schiff demnach zur Beförderung von
Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in Punkt 1 und 2 Gesagten die Entscheidung-
erster Instanz auf Einziehung des Schiffs unfraglich gerechtfertigt ist,
so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung;
noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage^
ii__t__ «« t _* XT 1 n.2.^ T MioT nw4^ OO Kio Qi;
das englische Manual of Naval Prizc Law, art. 82 bis 85.
526
Piisengerichtsentscheidungen: •Lethington". Abschnitt VI^v»
Reklamant: Pyman Watson A. Q., Absender der auf dem
Dampfer „Lethington" verschifften Kohlen, Cardiff, Wales, England,
vertreten durch Thomas Täte, Kapitän des Dampfers „Lethington",
•wohnhaft in England, Northfield, Newcastle Street Nr. 3.
Prozeßvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Lethington", wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Lethington" verschifften 6495 Tons Stein-
kohle werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von 6495 Tons Cardiff-
kohle ist auf Grund des am 1. November 1904 von dem Reklamanten
als Vertreter des in England wohnhaften russischen Staatsangehörigen
E. A. Grabowski mit dem Reeder des Dampfers „Lethington'',
Robert Rea, abgeschlossenen Chartervertrags mit der Absicht, sie
nach Wladiwostok in Rußland zu befördern, in Cardiff geladen worden.
Nach dem Konnossement sollte sich der Empfänger nach Order be-
stimmen. Als Bestimmungsort sollte nach Ankunft in Hongkong einer
der Häfen Hongkong, Shanghai oder Kiautschou festgesetzt werden. Zu-
gleich war aber gesagt, daß, wenn. der Kapitän bei Ankunft in Hong-
kong keine andere Weisung erhalte, er nach Wladiwostok fahren solle.
Am H. November d. J. fuhr der Dampfer demgemäß von Cardiff
unter Angabe von Hongkong als Bestimmungsort ab. In Hongkong
erhielt er auf Grund seiner Angabe eine Ausklarierung nach Shanghai,
fuhr jedoch direkt nach Wladiwostok und wurde auf dieser Reise etwa
10 Seemeilen westlich von Okinoshima im Regierungsbezirk Fukuoka von
dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 72 zusammen mit der zur Ver-
handlung stehenden Ladung beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussagesclirift des
Kommandanten des genannten Torpedoboots Nr. 72, Yamaguchi Denichi,
die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Lethington", Thomas
Täte, des 1. Offiziers George Bergwitz, des L Maschinisten
W. Moffit, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das Konnossement
das Privatschiffsjournal und die Ausklarierungspapiere des Hafenamts
in Hongkong.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die von dem Reklamanten, einem neutralen Staatsangehörigen,
unternommene Beförderung von Steinkohle nach Wladiwostok, einem
627
Abschnitt VI<Ta Prisengerichtaeiitscheidttngen: .Lethington'.
Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine offene Handeistransaktion,
welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs stehe und
nicht vom Völkerrecht untersagt sei. Auch nach der japanischen See-
prisenordnung sei Kohle keine absolute Konterbande. Sie gelte als
Konterbande nur, wenn sie zum . Gebrauch der feindlichen Armee oder
Marine oder nach einem feindlichen .Ort bestimmt sei, nach dessen be-
sonderen Verhältnissen angenommen werden müsse, daß sie zum Ge-
brauch der feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würde, i)
In dem vorliegenden Fall, wo die Kohle nach Wladiwostok gehe, einem
Hafen, welcher die Eigenschaften eines Kriegs- und eines Handels-
hafens in sich vereinige, sei es billig anzunehmen, daß sie nach dem
Handelshafen Wladiwostok bestimmt und nicht für Kriegszwecke zu
liefern sei.
Auch wenn man einmal annehme, daß das Eigentum an der
Ladung, welche auf der Reise beschlagnahmt worden sei, auf den
Empfänger im Feindesland übergegangen, die Güter daher feindlichen
Charakters seien, so könnten sie doch, weil sie unter neutraler Flagge
stünden, nicht weggenommen werden.
Aus diesen Gründen könne die zur Verhandlung stehende Ladung
nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Steinkohle sei nach dem Haupt-
stützpunkt der russischen Marine, Wladiwostok, bestimmt gewesen, und
es stehe außer Zweifel, daß sie für den Krieg habe verwandt werden
sollen. Daher müsse sie eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel, Kohle und dergleichen nach einem von feind-
lichen Truppen innegehabten Hafen abgiesandt sind, so können sie
je nach den Verhältnissen als für den Gebrauch dieser Truppen be-
stimmt angesehen werden. Da Wladiwostok der einzige Kriegshafen
Rußlands im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt seiner Flotte
ist, wo zurzeit gewöhnliche Schiffe fast gar nicht vorhanden sind, so
ist es gerechtfertigt anzunehmen, daß die zur Verhandlung stehende
Cardiffkohle, welche von der Art ist, wie sie ausschließlich auf Kriegs-
schiffen zur Verwendung kommt, wenn sie nach Wladiwostok gelangt
wäre, sicher für den Bedarf der Marine geliefert worden wäre. Es
steht daher außer Frage, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
Konterbande ist.*)
Da dies aber feststeht, so erübrigt es sich, auf die weiteren Aus-
führungen des Vertreters der Reklamation einzeln einzugehen.
^) Vgl. § 14 der japanischen Seeprisenordnung (V).
2) II. Ziffer 2.
528
Prl«mgerielit8eiit8ch6ifhniS6ii: „LetMiigtoR^. Abschnitt VI*^*
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.*)
Verkündet am 10. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: PymanWatson,A. O., England, Wales, Cardiff ,
vertreten durch den Kapitän des Dampfers „Lethington", Thomas
Täte, wohnhaft in Northfield, New Castle Street Nr. 3.
ProzeBveilrettM': Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama Yamashitacho Nr. 75.
Am 10. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Lethington",
welcher am 12. Januar 1905 auf der See in einer Entfernung von etwa
18 Seemeilen westlich von Okinoshima von dem Kaiserlichen Torpedo-
boot Nr. 72 aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf
Einziehung der auf dem genannten Dampfer verladenen 6495 Tons Stein-
Icohlen erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Thomas Täte als Vertreter des Rekla^
manten, der Aktiengesellschaft Pyman Watson, durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte beim Oberprisengericht Tsutsuki
K e i r o k u und Dr. jur. I s h i w a t a r i B i n i c h i geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Genzo sind folgende:
Das Urteil erster Instanz, welches auf Einziehung der auf dem
Dampfer „Lethington" verladenen 6495 Tons Steinkohlen entschieden
habe, sei unzutreffend. Es werde die Aufhebung desselben und Erlaß
einer Entscheidung auf Freigabe der genannten Ladung beantragt, und
zwar aus folgenden Gründen:
1. Es sei freilich in neuerer Zeit äußjerst bestritten, ob Kohle
Konterbande sei. In der japanischen Seeprisenordnung sei aber als
Prinzip anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie er-
wiesenermaßen zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden
sollte.*) Aber wenn man selbst annehme, daß dieses Prinzip mit den
Grundsätzen des Völkerrechts übereinstimme^ so sei doch der Be-
stimmungshafen der zur Verhandlung stehenden Ladung, Wladiwostok,
nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger
VV~§ 43. - *) V. § 14.
HArstrAnd-Heohlenburff, Das JApAniBohe Prisenreoht. B*nd I. (34) OJv
Abschnitt VI » * Prisengerichtsentscheidungen : „Lethington'^
Handelshafen im Osten. Da an diesem Platz verschiedene Arten von
kaufmännischen und gewerblichen Unternehmungen betrieben würden
und neutrale Firmen dort Niederlassungen hätten, so könne man aus der
Tatsache, daß Kohle, welche nicht absolute Konterbande sei, dorthin
transportiert werde, nicht ohne weiteres schließen, daß diese für den
Gebrauch der Kriegsmacht bestimmt sei. Auch nach der Präcedenz-
entscheidung, betreffend den „Neptunus" im Krieg zwischen England
und Holland im Jahre 1798, sei es billig, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung als zur Einfuhr nach dem Handelshafen Wladiwostok
und zu friedlichem Gebrauch bestimmt, angesehen werde.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
in Wladiwostok zur Zeit gewöhnliche Schiffe fast gar nicht
vorhanden seien und daß der Schluß gerechtfertigt sei,
daß die zur Verhandlung stehende Cardiffkohle, welche von
der Art sei, wie sie hauptsächlich auf Kriegsschiffen zur Ver-
wendung komme, wenn sie nach Wladiwostok gelangt wäre,
für den Gebrauch der Marine geliefert wenden wäre, usw.
Was für Beweise habe man dafür, daß zur Zeit in Wladiwostok
gewöhnliche Schiffe gar nicht vorhanden seien? Das Gericht habe sich
nicht an die für die Beweisaufnahme geltenden Normen gehalten, sondern
nach freier Überzeugung geurteilt. Es sei aber ein völkerrechtlicher
Grundsatz für das Prisenverfahren, daß man als Material für die Ent-
scheidung nur die Papiere des aufgebrachten Schiffs und die Aussagen
der Besatzung benutzen solle. Es sei daher unfraglich, daß das Urteil
unzutreffend sei, weil es gegen diese völkerrechtliche Grundregel ver-
stoßen habe.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen etwas
ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach der
englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen Kriegs-
schiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen seien^
unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinentalen
Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen hätten^
für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feindlichen Hafen
begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat ihnen gegen-
über unter der Bedingung der Vergütung das Beschlagnahmerecht und
außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die moderne Rechts-
praxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer weitherziger wer-
dende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng, indem es im Gegen-
satz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohnheiten Kohle, die
sowohl friedlichen als kriegerischen Zwecken diene, wenn sie nach einem
Platz, der Handelshafen und Kriegshafen sei, bestimmt wäre, be-
530
Prisengerichtsentsoheidunyen: „Lethington". Abschnitt Vl^^fe
dingungslos einziehe. Besonders weil die japanische Prisenordnung sich
auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wünschenswert, daß, wo es
sich um neutrale relative Konterbandegüter handele, eine billigere Hal-
tung eingenommen werde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo Mizukami Chojiro sind folgende:
1. Cardiffkohle, wie die zur Verhandlung stehende, werde in der
gegenwärtigen Zeit ausschließlich auf Kriegsschiffen gebraucht. Die
Ladung sei nach Wladiwostok bestimmt, welches als Handelshafen seit
dem japanisch-russischen Kriege nur dem Namen nach existiere, tat-
sächlich aber ein wirklicher Kriegshafen und der Hauptstützpunkt für
die russische Kriegsflotte sei. Es sei bekannt, daß diese Elotte be-
züglich der von ihr benötigten Kohle fast gänzlich auf Import von
Cardiff angewiesen sei. Daher sei es klar, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung Kohlen, welche nach Wladiwostok bestimmt gewesen
sei, unmittelbar für den Kriegsgebrauch des Feindes hätte geliefert
werden sollen und daher unzweifelhaft Kriegskonterbande sei.
Da man den holländischen Hafen Amsterdam, welcher weder dem
Namen, noch den tatsächlichen Verhältnissen nach zugleich die Eigen-
schaften eines Kriegshafens und eines Handelshafens habe, nicht auf
gleiche Stufe mit Wladiwostok stellen könne, so könne die Präcedenz-
entscheidung des „Neptun us''-Falls nicht auf den. voriiegenden Fall
angezogen werden.
2. Da besondere Regeln für die Beweisaufnahme, an welche das
Prisengericht gebunden wäre, nicht existierten, so könne das Gericht
unter Zugrundelegung der Schiffspapiere, der Aussagen der Besatzung
und jedes anderen Umstandes nach freier Überzeugung den Tatbestand
feststellen. Daher lasse sich nicht sagen, daß es unrechtmäßig sei, bei
Feststellung des Tatbestandes über die Schiffspapiere und Aussagen
der Besatzung hinauszugehen, besonders auch da die von dem Urteil
erster Instanz angenommenen Tatsachen allgemein bekannt seien.
3. Daß Kohle, welche für feindliches Gebiet bestimmt sei, wenn
anzunehmen sei, daß sie für den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert
werden solle, als Kriegskonterbande angesehen und eingezogen werden
müsse, sei nicht nur von der Völkerrechtspraxis anerkannt, sondern*
auch in der japanischen Seeprisenordnung klar ausgesprochen. Es sei
daher zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz, weil es dies an-
genommen habe, auf Einziehung der zur Verhandlung stehenden Kohle
erkenne. Auch sei es als zutreffend zu bezeichnen, wenn das Prisen-
gericht den Ausführungen des Reklamanten bezüglich Einziehung unter
Leistung einer Vergütung, bedingter Beschlagnahme und Vorkauf nicht
gefolgt sei, denn diese seien nur vereinzelte Staatenpraxis bzw. Gelehrten-
(34*) 531
Abschnitt VI '7 b Prisettgerichtsmteeheichiiigeii: „Uthington''.
ansichten, könnten aber nicht als Bestimmungen oder Praxis des
geltenden Völkerrechts anerkannt werden.
Da demnach, wie ausgeführt, das Urteil erster Instanz zutreffend
und die Berufung in allen Punkten unbegründet sei, so sei die Berufung
zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohlen und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr
nach dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Konterbande seien. Dies um so mehr,
als die zur Verhandlung stehende Kohlenladung ausgewählte Cardiff-
kohle ist und die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit
keine Nachfrage dafür vorhanden ist, so daß es ganz unzweifelhaft
ist, daß sie für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenz-
entscheidung, betreffend den „Neptunus", auch in diesem Falle ange-
nommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für fried-
liche Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-
Fall und die des vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus
verschieden. Es ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz
auf den vorliegenden angewandt werden kann. Daher ist Punkt 1 der
Berufung unbegründet.
2. Da ein Prisengericht bei Feststellung des Tatbestands die Schiffs-
papiere, die Aussagen des Kapitäns und der Besatzung und alle anderen
Tatsachen und Umstände berücksichtigen und nach freier Oberzeugung
urteilen kann, so ist der zweite Beruf ungsp unkt, welcher das Urteil
erster Instanz für unzutreffend erklärt, weil es Tatsachen, die außer-
halb der Schiffspapiere und der Aussagen der Besatzung liegen, als
Material für die Entscheidung verwandt habe, unbegründet.
3. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkauf, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,
wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere
vertragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinesfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
632
PriMBg^rfchtsentscIieldungen: „Scotsman*'. Abschnitt VI » •
habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge geleistet
hat. Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklttlfiant: Lombard Steamship Company, England, London,
Qreat St. Helen's Street Nr. 20, vertreten durch den Prokuristen John
White.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache betreffend den englischen Dampfer „Scotsman"
wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Scotsman"
erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Scotsman'' steht im
Eigentum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist London, England,
und er ist ein Handelsschiff, welches die englische Flagge führt. Der
Dampfer hat auf Grund eines am 4. Januar 1905 in Shanghai, China,
von der Vertretung des Reklamanten, der Firma Dodwell & Co.
Ltd., in Shanghai mit der dortigen Firma R. Peretz (diese Firma ist
am 12. Februar dieses Jahres aufgelöst, und alle ihre Geschäfte sind
der Firma A. Chazalon übertragen worden) abgeschlossenen Charter-
vertrags in Saigon ungefähr 20 000 Sack Saigon Reis (Gewicht ungefähr
134 000 Pud) geladen, um sie nach Wladiwostok in Rußland zu befördern.
Die Absender waren die Vertreter der Firma R. Peretz in Saigon,
P. Rauzy & P. Vi He. Nach dem Konnossement sollte sich der
Empfänger nach Order bestimmen. Ein Chartervertrag wurde nicht
an Bord gegeben. Am 24. Januar dieses Jahres fuhr der Dampfer
mit Bestimmung nach Wladiwostok von Saigon ab, kam am 29. des-
selben Monats in Hongkong an und nahm bei seiner Abfahrt vouf
dort am 1. Februar vorsätzlich einen Umweg, der ihn durch die Tsugaru-
Straße nach Wladiwostok bringen sollte. Auf dieser Reise wurde er
am 14. des Monats, 7 Uhr abends, in der Straße von Tsugaru in der
533
Abschnitt VI 28« Prisengerichtsentscheidungen: „Scotsman".
Nähe des Leuchtturms von Shiokubi von dem Kaiserlichen Torpedo-
boot Nr. 30 aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten des Kaiserlichen Torpedoboots Nr. 30,
Oberleutnants zur See Tominaga Ryutaro, die Vernehmungs-
protokolle des Vertreters des Kommandanten des genannten Torpedo-
boots, Kapitänleutnants Nagasawa Naotaro und des Kapitäns des
Dampfers „Scotsman", Edward Albert Mackenzie, durch das
Schiffszertifikat, die Ausklarierungsscheine von Saigon und Hongkong,
das Ladungsverzeichnis, das Konnossement, das Tagebuch, den von dem
Vertreter der Reklamation eingereichten Chartervertrag und eine von
dem spanischen Konsulat in Shanghai für R. Peretz ausgestellte Be-
scheinigung.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers nicht
im Eigentum des Reeders stehe, so könne das Schiff, selbst wenn die
Ladung als Konterbande betrachtet werde, nicht mit derselben zu-
sammen eingezogen werden. Da ferner der Reeder davon, daß Konter-
bande habe befördert werden sollen, keine Kenntnis gehabt habe, auch
in den Schiffspapieren Wladiwostok klar als Bestimmungsort für Schiff
und Ladung bezeichnet sei, so sei eine Fälschung in nichts versucht
worden. Freilich sei zufällig der Chartervertrag zur Zeit der Aufbringung
nicht an Bord vorhanden gewesen. Der Grund hierfür sei aber der,
daß der Chartervertrag über dieses Schiff in Shanghai abgeschlossen
worden sei und daß keine Zeit vorhanden gewesen sei, denselben dem
Schiff zu übersenden, weil dieses damals in Saigon gelegen habe.
Wenn Reis auch nach einem Hafen, wo feindliche Truppenteile
lägen, befördert werde, so müsse er doch nicht notwendigerweise nur
zum Gebrauch dieser Truppen geliefert werden, sondern auch die übrige
Bevölkerung lebe davon. Demgemäß stünde eine Reihe von kontinen-
talen Völkerrechtslehrern auf dem Standpunkt, daß es zu verwerfen
sei. Reis als Konterbande zu betrachten. Auch der englische Gelehrte
Holland habe zur Zeit des südafrikanischen Krieges die englische Praxis
dahin beschrieben, daß Lebensmittel nur in dem Falle, wo es fest-
stehe, daß sie an die feindliche Armee oder Marine oder nach Festungen
befördert würden, als Konterbande gelten könnten. Auch für diesen
Fall nehme er an, daß lediglich ein Vorkaufsrecht ausgeübt werden
dürfe.
Ferner habe England in dem französisch-chinesischen Krieg vom
Jahre 1885, als Frankreich aus Gründen der Kriegsführung eine Zeit
lang das gewöhnliche Prinzip durchbrochen und Reis für Kriegskonter-
bande erklärt habe, einen energischen Protest gegen die Unbilligkeit
dieser Behandlung von Reis als Konterbande eingelegt.
534
Prisengerichtsentscheidungen; „Scotsman"* Abschnitt VI^**
Auch im japaniscli-chinesischen Krieg hätten England und Frank-
reich sich absolut dagegen ausgesprochen, als China Reis für Konter-
bande erklärt habe, und Japan habe gegen diesen Standpunkt der beiden
Länder keinen Einspruch eingelegt.
So seien sich die Staaten fast alle in dem Punkte einig, daß Reis
nicht als Konterbande gelten dürfe, und die Wissenschaft sowohl wie
die Praxis erkennten dieses an.
Selbst einmal angenommen, Japan habe lediglich für den Krieg
mit Rußland den Standpunkt eingenommen, daß Reis, welcher für die
feindlichen Truppen bestimmt sei, als Konterbande gelte, so habe doch
Wladiwostok zu gleicher Zeit die Eigenschaffen eines - Handels- und
eines Kriegshafens. Auch sei der Handelsverkehr nach dort keines-
wegs völlig unterbunden. Daß in diesem Falle die dorthin beförderte
Ladung rechtmäßigerweise als nach dem Handelshafen Wladiwostok
und nicht für den Kriegsgebrach bestimmt anzusehen sei, gehe aus der
Präcedenz-Entscheidung über den während des englisch-holländischen
Kriegs im Jahre 1798 aufgebrachten „Neptunus" hervor. Dies geltt
umsomehr, als bei den Russen der Reis kein gewöhnliches Nahrungs-
mittel sei, während er von der fremden Bevölkerung Wladiwostoks ganz
allgemein gegessen werde.
Wenn der Empfänger der Ladung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers nicht klar bestimmt sei, so komme das daher, daß das Kon-
nossement auf Order laute. Darin könne man aber keinen Grund zu
irgendwelchem Verdacht erblicken.
Aus diesen Gründen werde Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Dampfers beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist eine bekannte Tatsache, daß Wladiwostok Rußlands einziger
Kriegshafen im Osten und zur Zeit der Hauptstutzpunkt/ür seine Kriegs-
marine ist. Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung
den Platz zu einem Hauptetappenort gemacht und sie ist mit allen
Kräften bestrebt, dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche
Handelsverkehr hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher eine La-
dung Reis, wie die des zur Verhandlung stehenden Schiffes, deren Kon-
terbandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach
Wladiwostok befördert wird, so muß mangels klaren Gegenbeweises an-
genommen werden, daß dieselbe für den Kriegsgebrauch zu liefern war.
Das Konnossement über die Ladung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs lautet nun auf Order, und der Kapitän hat ausgesagt,
daß ihm bezüglich des Empfängers derselben bei seiner Ankunft in
Wladiwostok Mitteilung von dem Eisbrecher hat zuteil werden sollen.
Auch steht in dem Chartervertrag eine Abmachung, nach welcher das
Schiff bei Ankunft in Wladiwostok erforderlichenfalls kostenlos die Un-
^35
Abschnitt VI<^ PrteMgMiohtMiitscIwidiiiigon: „Scotsman".
terstützung des Eisbrechers erbalten könne. Nach der von den russischen
Küstenbehörden im Jahre 1901 und 1902 herausgegebenen „Übersicht
über Sibirien" gehört der Eisbrecher in Wladiwostok zu dem sibirischen
Geschwader der russischen Kriegsmarine.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer hat 1679 Brutto-Tons Ge-
halt. Nach dem Ladungsverzeichnis ist die Ladung reichlich 210000
Franks wert. Das Chartergeld von Saigon bis Wladiwostok beträgt
die enorme Summe von L. 6250. Auch sagt der Kapitän aus, er glaube^
daß der Reeder in Voraussicht einer Konfiskation für diese Reise die
höchste Versicherungsprämie bezahlt habe. Danach ist es schwer an-
zunehmen, daß eine gewöhnliche Handelstransaktion bezweckt ge-
wesen ist.
Der Vertreter der Reklamation sagt, Reis sei bei den Russen kein
gebräuchliches Nahrungsmittel, aber nach den russischen Verpflegungs-
vorschriften wird Reis zur Verpflegung der Truppen verwandt. Auch ist
es bekannt, daß zur Zeit bei den russischen Truppenteilen im Osten
Chinesen und Koreaner angestellt sind, deren gewöhnliche Nahrung
Reis ist.
Wenn man alles dies in Erwägung zieht, so muß man zu dem
Schluß kommen, daß die Reisladung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers der russischen Regierung gehöriger Kriegsvorrat ist und da-
her mit Recht als Konterbande angesehen werden muß. i)
Der Vertreter der Reklamation führt die Ansichten der kontinentalen
Völkerrechtslehrer und des englischen Professors Holland sowie die
Beispiele des chinesisch-französischen und des japanisch-chinesischen
Kriegs an und behauptet, die Staaten seien fast alle über das Prinzip einig,,
daß Reis nicht als Konterbande gelten dürfe, und die Wissenschaft sowie
die Praxis erkennten dieses an. Holland aber und andere englische
Gelehrte vertreten den Standpunkt, daß Reis in dem Falle, wo es klar
erwiesen sei, daß er an die feindliche Armee oder Marine oder nach einer
Festung befördert werde, als Kriegskonterbande angesehen werden könne..
Als in dem jetzigen Kriege Rußland Reis für absolute Konterbande er-
klären wollte, hat die englische Regierung dagegen protestiert und ge-
sagt, daß sie einverstanden sei, wenn die kriegführenden Mächte Reis
als bedingungsweise Konterbande erklären wollten, daß es aber dem
Völkerrecht und seiner Praxis widerspreche, wenn Reis für absolute
Konterbande erklärt werde. Aus der britischen diplomatischen Kor-
respondenz vom Jahre 1905, Teil Rußland Nr. 1, in dem Erlaß des
britischen Staatssekretärs des Auswärtigen Lansdowne an den eng-
lischen Botschafter Sir Charles Hardinge in Rußland vom 1. Juni
1904 ist der Standpunkt Englands ersichtlich. Daß auch die Vereinigten
Staaten von Nordamerika auf diesem Prinzip stehen, ergibt sich aus
1) U. Ziffer 2.
536
PriMBg^riehtMiitachtldBBg^B: „Scotsnas^ Abschnitt VI »•
Praxis und Wissenschaft dieses Staats. Rußland hat, wie oben erwähnt,
während des jetzigen Krieges Reis für Konterbande erklärt. Wenn man
alle diese Beispiele ansieht, so ist offenbar die Behauptung des Re-
klamanten, alle Staaten stünden auf dem Prinzip, daß Reis nicht als
Kriegskonterbande angesehen werde, völlig unbegründet.
Was die von dem Reklamanten angezogene Präcedenz aus dem
chinesisch-französischen Krieg angeht, so hat die englische Regierung
gerade wie jetzt gegenüber Rußland, sich damals nur Frankreichs Er-
klärung, daß Reis absolute Konterbande sei, widersetzt. Keineswegs
ist sie jedoch gegen die Erklärung von Reis als bedingter Konterbande
eingetreten.
Einmal die Frage betrachtet, ob es sich mit der Präcedenz aus
dem japanisch-chinesischen Krieg wirklich so verhält, wie der Vertreter
der Reklamation behauptet, so hat vielmehr Japan im § 10 der damaligen
Prisenordnung Nahrungsmittel deutlich als bedingte Konterbande be-
zeichnet und während jenes Krieges sind keine Änderungen hinzu-
gefügt, so daß also das Gegenteil der Behauptung des Reklamanten der
Fall ist.
Sodann führt der Vertreter der Reklamation zur Begründung da-
für, daß ein Chartervertrag nicht an Bord gewesen ist, an, daß keine
Zeit gewesen sei, denselben zu übersenden. Aus dem Chartervertrag
des Schiffs und anderen Papieren ergibt sich indes, daß der Vertrag,
während das Schiff in Kobe lag, das heißt am 4. Januar dieses Jahres,
in Shanghai abgeschlossen worden ist. Da ferner das Schiff am 24.
Januar von Saigon nach Wladiwostok abgefahren, am 29. des Monats in
Hongkong angekommen und am 1. Februar von dort abgefahren ist,
so daß für die Übersendung des Chartervertrages an das Schiff hin-
reichend Zeit vorhanden gewesen ist, muß man annehmen, daß das
Schiff überhaupt nicht mit einem solchen versehen werden sollte. 2)
Wie oben beschrieben, hat der Reeder das Schiff zum Transport
von Reis nach Wladiwostok bereitgestellt und dafür ein enormes Charter-
geld erhalten und in Voraussicht einer Aufbringung durch japanische
Kriegsschiffe eine reichliche Versicherung genommen. Nach der Aus-
sage des Kapitäns sollte diesem bezüglich des Empfängers des Schiffes
eine Mitteilung von seiten des der russischen Marine angehörigen Eis-
brechers zuteil werden. Ferner ist in dem Chartervertrag ausgemacht
worden, daß das Schiff die kostenlose Hülfe des Eisbrechers erhalten
solle. Überdies hat der Kapitän seiner Aussage nach die Order für diese
Reise von dem Reeder erhalten. Der Dampfer hat, um nach Wladiwostok
zu fahren, vorsätzlich einen Umweg genommen und außer der Konter-
bandeladung von Reis keine andere Ladung eingenommen. Wenn man
') Ob dies als eine betrügerische Maßnahme (§ 44 der Seeprisenordnung V>
angesehen wird, ist nicht ersichtlich.
537
Abschnitt VI 2ta Prisengerfchtsentscheidungen: „Scotsman".
alles dies nebeneinander stellt, so muß man annehmen, daß der Rekla-
mant gewußt hat, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers der russischen Regierung gehöriger Kriegsvorrat war, und daß
der Dampfer nach einem wohlüberlegten Plan zu dem Transport der-
selben gedient hat. Mit andern Worten, der Reklamant hat mit seinem
Schiffe den Feind unterstützt. 8) Die Wissenschaft und die Praxis des
Völkerrechts erkennen an, daß ein Schiff, welches sich solcher Hand-
lung schuldig gemacht hat, zusammen mit seiner Konterbandeladung
einzuziehen ist.*)
Da aus diesen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff ein-
zuziehen ist, so liegt eine Notwendigkeit zur Beantwortung der übrigen
Behauptungen des Vertreters der Reklamation nicht vor.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 7. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts Kobayashi Yoshio.
(Unterschriften.)
Reklamant: J. LombardSteamshipCompany, England,
London, Great St. Helen's Street 20.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Tokio, Kio-
bashiku Unemecho Nr. 15.
Am 7. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Scotsman", welcher am
4. Februar 1905 in der Straße von Tsugaru bei dem Leuchtturm Shiokubi
von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30 aufgebracht worden ist, ein
Urteil erlassen, in welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers
„Scotsman" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, die J. Lombard
Steamship Company, durch den Rechtsanwalt A k i y a m a
G e n z o als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein
8) Ob dies als eine Verletzung des § 47 der Seeprisenordnung (V) angesehen
v^ird, ist nicht klar ersichtlich.
^) Diese Entscheidung wird durch die japanische Seeprisenordnung nicht gedeckt,
es sei denn, daß das Gericht Anwendung betrügerischer Mittel nach § 44 oder Unter-
stützung des Feindes nach § 47 der Seeprisenordnung (V) angenommen hat, wie es
den Anschein hat. Das Oberprisengericht nimmt offenbar Verletzung dieser Bestim-
mungen nicht an, sondern erkennt auf Einziehung, weil der „Reisezweck** Konter-
bandetransport sei.
538
Prisengerichtsentscheidungeti: „Scotsman". Abschnitt VI 28 a
der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, Aki-
yama Oehzo, sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka vom 7. Juni 1905, be-
treffend Wegnahme des Dampfers „Scotsman" sei unzutreffend. Es werde
Aufhebung desselben und Freigabe des genannten Dampfers beantragt,
und zwar aus folgenden Gründen:
1. Obwohl die Verwendung des zur Verhandlung stehenden Schiffes
zum Transport seiner Ladung ein rechtmäßiges Handelsgeschäft sei,
das unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs stehe, habe
das Gericht erster Instanz ungerechterweise entschieden, daß diese Hand-
lung zur Unterstützung des Feindes diene und habe die Einziehung
des Schiffes mit der Ladung angeordnet.
2. Die Übernahme eines Konterbandetransports seitens eines Han-
delsschiffs sei Übernahme eines Handelsgeschäfts, und das Schiff könne
außer in dem Falle, daß es im selben Eigentum stehe wie die Ladung,
nicht eingezogen werden. Anderseits würden Seetransportfirmen,
welche Transporte übernähmen, die die Neutralität verletzten, nach
völkerrechtlichem Prinzip mit Einziehung des Schiffes bestraft.
Das Gericht erster Instanz habe seine Entscheidung auf Weg-
nahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs damit begründet, daß
der Reklamant sich der Unterstützung des Feindes mit seinem
Schiff schuldig gemacht habe, und daß solche Schiffe zu-
sammen mit ihrer Konterbandeladung eingezogen werden
müßten.
Das sei eine rechtswidrige Entscheidung, weil sie das oben ge-
nannte Prinzip außer acht lasse. i
Was die Strafe für Konterbandetransport angehe, so sei die'
Grundregel die, daß man für das Schiff den Verlust von Zeit, Kosten
und Fracht als ausreichend erachte, im übrigen aber keine Schädi-
gung auferlege. Aber in den beiden Fällen, daß der Reeder der Eigen-
tümer der Konterbandeladung sei und daß das Schiff sich bei der Ver-
schiffung von Kriegskonterbande betrügerischer Mittel bedient habe,
werde auch das Schiff eingezogen. Im letzten Falle müsse das Schiff,
weil der Reeder offenbar an dem Kriegskonterbandetransport mit-
gewirkt und an der unrechtmäßigen Handlung teilgenommen habe, als
ein Gegenstand, der hierbei verwendet worden sei, eingezogen werden.
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe aber einem andern
gehörige Handelsware befördert und nicht zum Konterbandetransport
gedient. Selbst aber angenommen, die Ladung sei Konterbande, so
liege doch eine Beteiligung des Reeders bei Verwendung be-
trügerischer Mittel und Kenntnis desselben von der Konterbandeeigen-
539
Abschnitt VI>i> PriMngericiitMntscIieiduBgen: „Scoteman^'.
Schaft der Ladung nicht vor. Wenn daher das Gericht erster Instanz
entscheide, daß die fragliche Handlung eine Unterstützung des Feindes
und eine Verletzung der Neutralität sei, und deshalb auf Einziehung*
des zur Verhandlung stehenden Schiffes neben der Ladung erkenne,
so sei das rechtswidrig.
3. Es ergebe sich aus den an Bord befindlichen Papieren, daß
bei der Beförderung der Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes von Saigon nach Wladiwostok keine Spur von betrügerischem
Verfahren vorhanden sei. Alle diese Rapiere gäben Wladiwostok als
Bestimmungsort an, keines enthalte einen .unwahren Bestimmungsort.
Es sei daher ohne Raum für jeden Zweifel klar, daß von einer Ver-
heimlichung des Bestimmungshafens keine Rede sein könne.
Das Gericht erster Instanz nehme unter Verweisung auf die in
dem Urteil aufgezählten Tatsachen an, daß
das zur Verhandlung stehende Schiff gewußt habe, daß seine
Ladung der russischen Regierung gehöriger Kriegsvorrat sei
und daß es sich durch Verwendung zur Beförderung der-
selben der Unterstützung des Feindes schuldig gemacht, nicht
aber eine gewöhnliche Handelstransaktion ausgeführt habe.
Dies sei eine unzutreffende Entscheidung, welche die Tatsachen
falsch auffasse, wie im folgenden dargetan werde:
a) Wladiwostok sei nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen,
sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten. Sein Handel sei
zur Zeit der Beförderung der Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes wie früher ausgeübt worden und durchaus nicht zum Stillstand
gekommen. Es sei bekannt, daß auch neutrale Kaufleute ihre Geschäfte
geöffnet und betrieben hätten. Aus dem in dem „Neptunus"-Fall des
^englisch-holländischen Krieges vom Jahre 1798 gegebenen Urteilsbei-
spiel sei ersichtlich, daß die völkerrechtliche Praxis auf dem Standpunkt
stehe, daß im Falle, wo Güter, welche sowohl zu kriegerischem wie fried-
lichem Gebrauch dienen könnten, nach einem Hafen wie dem genannten
befördert würden, der die Eigenschaften eines Kriegs- und eines Han-
delshafens in sich vereinige, angenommen werden müsse, daß sie nach
dem Handelshafen befördert würden. Es sei daher im Widerspruch mit
dieser Präcedenz, wenn angenommen worden sei, daß das zur Verhand-
lung stehende Schiff zum Transport von Kriegsvorrat gebraucht
worden sei.
b) Wenn der Eisbrecher auch der russischen Regierung gehöre, so
werde er doch immer dazu verwandt, für dort verkehrende Handelsschiffe
aller Länder das Eis zu brechen, den Verkehr zu erleichtern und aller-
hand Bequemlichkeiten zu vermitteln. Das sei nicht nur während der
Kriegszeit, sondern auch im Frieden der Fall.
540
PriMngMichtstBttcMduiigan: y,8cotfniaH". Abschnitt VI<<t
Wenn daher auch im Chartervertrag eine Bestimmung stehe, daß
das zur Verhandlung stehende Schiff nötigenfalls kostenlos die Hülfe
des Eisbrechers erhalten werde, und wenn auch der Kapitän geglaubt
habe, daß er von dem Eisbrecher Mitteilung darüber habe erhalten sollen,
wer der Empfänger sei, so könne man daraus nicht ohne weiteres kon-
struieren, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes für
die russischen Truppen bestimmter Kriegsvorrat sei.
c) Wenn das Chartergeld für das zur Verhandlung stehende Schiff
außerordentlich hoch gewesen sei, und der Reeder eine hohe Ver-
sicherungsprämie bezahlt habe, so sei das etwas im .Seetransportwesen
zu Kriegszeiten ganz Gewöhnliches.
Besonders weil bei einer Reise nach einem dem Kriegsschauplatz
nahe gelegenen Hafen einer der kriegführenden Mächte zu den ge-
wöhnlichen Seegefahren noch Kriegsgefahren vorzusehen seien, so sei es
eine öffentlich anerkannte Handelsgewohnheit, im Vergleich mit Friedens-
zeiten hohes Chartergeld und große Versicherungsprämien zu nehmen,
um den möglicherweise entstehenden Schaden zu decken. Etwas Ver-
dächtiges könne hierin keinenfalls gesehen werden, und wenn das Urteil
erster Instanz hierin etwas Ungewöhnliches erblicke, so sei das ein un-
geheuerliches Unverständnis gegenüber den Tatsachen.
d) Daß ein Chartervertrag nicht an Bord gewesen sei, habe seinen
Grund darin, daß der Platz, wo dieser abgeschlossen worden sei, von
dem Liegeplatz des Schiffes weit entfernt gewesen sei, so daß es zur
Übersendung an Zeit gefehlt habe. Selbst aber angenommen, ^er sei
nicht übersandt worden, trotzdem reichlich Zeit gewesen sei, so sei das
lediglich eine Versäumnis der Schiffsagentur, und man könne daraus
dem Reeder nicht den Vorwurf machen, daß er betrügerische Mittel an-
gewandt habe, und könne dara(us, daß der Chartervertrag unter den
Schiffspapieren fehle, nicht auf betrügerisches Vorgehen des Kapitäns
schließen; dies um so weniger, als sein Fehlen nicht ausreichen könne,
um die Kaptoren zu täuschen.
e) Daß das zur Verhandlung stehende Schiff bei der Reise nach
Wladiwostok vorsätzlich einen Umweg gemacht und seinen Kurs durch
den Stillen Ozean genommen habe, sei, wie sich aus der Aussage des
Kapitäns klar ergäbe, geschehen, weil zu der Zeit, als die Reise gemacht
worden sei, die Wind- und Wetterverhältnisse im chinesischen und ja-
panischen Meer sehr rauh seien. In dieser Weise nach den Verhältnissen
des Wetters von dem gewöhnlichen Kurs abzuweichen, seien Seefahrer
selbstredend befugt, und, da selbst ein Reeder darin nichts zu bestimmen
habe, so könne darin, daß das zur Verhandlung stehende Schiff einen
Umweg gemacht habe, eine verdächtige Handlung nicht erblickt werden.
Aus den obigen Ausführungen ergebe sich, daß die von dem Ge-
richt erster Instanz angenommenen und als Urteilsgründe aufgestellten
541
Abschnitt VI 2ta Prisengerichtsentscheidungeit: ^,Scot8man".
Tatsachen alle nicht als Handlungen des Reklamanten, durch welche
er den Feind unterstützt haben solle, angesehen werden könnten.
4. Wenn die russischen Truppen auch Reis essen möchten, so
könne man doch darüber, daß er bei ihnen kein gebräuchliches Nahrungs-
mittel sei, nicht streiten. Es könne freilich nicht bestritten werden, da&
die russischen Truppen in Nord-Korea und in der Mandschurei viele
Koreaner und Chinesen angestellt hätten. In Wladiwostok und seiner
Umgebung seien aber tatsät:hlich derartige Bevölkerungselemente nicht
engagiert. Daher müsse man es als unzutreffend bezeichnen, wenn an-
genommen worden sei, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes für diese Leute bestimmt gewesen sei.
Nach allem diesem reiche keine der von dem Gericht erster In-
stanz zur Begründung des Urteils aufgestellten Tatsachen aus, um zu
beweisen, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes Kriegs-
vorrat gewesen sei. Kurz, wenn der Reis auch nach einem Hafen, wo
feindliche Truppen lägen, befördert worden sei, so beschränke sich sein
Gebrauch doch nicht unbedingt auf die Truppen, sondern auch die übrige
Bevölkerung lebe davon. Wissenschaft und Praxis seien sich darin einig
und man brauche es nicht zu diskutieren, daß Reis nicht als Konter-
bande gelten dürfe, weil, wenn die Reistransporte ganz aufhören, die
Zivilbevölkerung dem Hunger preisgegeben würde.
Da kein absoluter Beweis vorliege, daß die Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes den russischen Truppen habe geliefert
werden sollen, so sei es billig, zu entscheiden, daß sie gewöhnliche Han-
delsware sei und es sei rechtswidrig, das zur Verhandlung stehende
Schiff, auf dem die Ladung verschifft sei, einzuziehen.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts bei dem Prisen-
gericht zu Yokosuka, Yanagita Kunio, sind folgende:
L Es werde behauptet, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
die Ladung auf Grund eines Chartervertrages befördere. An Bord be*
finde sich aber die unter den Schiffspapieren eine wichtige Rolle spielende
Abschrift des Chartervertrages nicht. Nach dem Völkerrecht liege die
Verantwortung für diesen schwerwiegenden Mangel dem Reklamantea
ob, dieser habe ihn aber nicht begründen und rechtfertigen können.
Selbst wenn man annehme, daß der nach Entdeckung dieses Fehlers ein-
gereichte Chartervertrag echt sei, so gehe doch aus seinen Bestimmungen
und den sich darauf beziehenden früheren Aussagen des Kapitäns und
dem Vorgehen des Schiffes hervor, daß der Reeder bzw. sein Vertreter
um den Konterbandetransport gewußt, daran teilgenommen und dazu
Hülfe geleistet habe. Daß in einem solchen Falle die Strafe der Ein-
ziehung sich nicht auf die Ladung zu beschränken, sondern auch auf
das Schiff zu erstrecken habe, sei von vielen Gelehrten einstimmig anr^
542
Prisengerichtsentscheidungen: „Scotsman". Abschnitt VI^«»
erkannt worden, und daher sei die Entscheidung des Gerichts erster
Instanz zutreffend.
2. Wie der Konterbandetransport theoretisch auf keinen Fall als
ein natürliches Recht des neutralen Staatsangehörigen bezeichnet werden
könne, so stehe es auf der andern Seite dem kriegführenden Staat mit
Recht frei, den Konterbandetransport zu verhindern und zugleich durch
Bestrafung für die Zukunft eine Warnung zu geben.
Freilich seien Fälle, wo Reeder in gutem Glauben zufällig einige
Konterbandegüter an Bord nähmen, häufig; da es aber tatsächlich un-
möglich sei, zu beweisen, ob Vorsatz oder Teilnahme auf selten des
Reeders vorliege, so bestehe allgemein nur der Gebrauch, bei einer
solchen Annahme das Vorhandensein ausreichender deutlicher Gründe
zur Richtschnur zu nehmen und weiteren Beweisen nicht nachzuspüren.
In dem vorliegenden Falle ergebe es sich aber ganz klar aus den Akten,
daß der Reeder des Schiffs über die Umstände unterrichtet gewesen sei
und zur Erreichung des Ziels seine 'Beihülfe gewährt habe, und der Re-
klamant könne nicht behaupten, wie er es getan habe, daß er keinen
Neutralitätsbruch begangen habe.
Wenn der Reeder wünsche, seine Verantwortung für die Unvoll-
ständigkeit der Schiffspapiere und die sonstigen unklaren Handlungen
abzulehnen, so sei es erforderlich, daß er hierfür treffende Gründe dar-
lege. Er habe aber, wie oben dargetan, keinerlei Antwort geben können.
Der Reklamant habe erklärt, daß ein Versehen des Vertreters des
Reeders vorliege. An der Folge dieses Versehens könne aber die be-
troffene kriegführende Macht keinen Teil nehmen. Der Reklamant wieder-
hole zwecklos den alten Standpunkt, ohne indes etwas Neues vorzu-
bringen. Das lasse vermuten, daß seine Handlungsweise nicht auf Ver-
sehen, sondern auf Absicht beruhe. Der Grund, weshalb eine Kopie
des Chartervertrags, welche an Bord habe geliefert werden müssen,
nicht geliefert worden sei^ sei glücklicherweise der, daß ein Charter*
vertrag von Anfang an nicht vorhanden gewesen und der Verkauf der
Ladung auf Rechnung des Reeders geschehen sei, oder der, daß man
gefürchtet habe, daß der Wortlaut des Chartervertrags offenbart haben
würde, daß die Ladung Kriegsvorrat und daß der Reeder beteiligt ge-
wesen sei. Eins von diesen beiden sei wohl sicher der Fall, und wie
es auch sei, könne das Schiff der Verantwortung hierfür nicht ent-
gehen.
Aus diesen Gründen sei die Berufung unbegründet und müsse ab-
gewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß Lebensmittel wie Reis, im
Falle, daß sie für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sind oder
nach einem Platz in Feindesland gehen und angenommen werden muß,
543
Abschnitt Vl^t PtiMiigericIilMiitscMdiragM: ,3eotMim''.
daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine dienen wurden,
als Kriegskonterbande anzusehen sind und eingezogen werden können.
Es ist nun aber unbestritten, daß der in Frage stehende Reis nach Wladi-
wostok bestimmt gewesen ist. Femer ist es eine bekannte Tatsache, daß
Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen ist und daß Rußland
diesen Platz seit dem Kriege mit Japan zum Hauptstützpunkt für seine
Flotte und Hauptetappenort gemacht hat. Es hat dort in ausgedehntem
Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegsbedarfsartikel auf-
gespeichert, und der gewöhnliche Handelsverkehr ist dort fast gänzlich
zum Stillstand gekommen.
In dem Chartervertrag des zur Verhandlung stehenden Dampfers
„Scotsman" steht eine Bestimmung, nach welcher die Verpflichtung
übernommen wird, daß das Schiff bei Ankunft in Wladiwostok er-
forderlichenfalls, ohne daß ihm daraus Kosten erwüchsen, sich von dem
Eisbrecher innerhalb und außerhalb des Hafens eine Fahrrinne solle
brechen lassen können.
Es wird also, obwohl, wie auch der Reklamant annimmt, der Eis-
brecher im Eigentum der russischen Regierung steht, ausdrücklich ver-
bürgt, daß das zur Verhandlung stehende Schiff, welches einen Trans-
port von Saigon-Reis übernommen habe, den Eisbrecher kostenlos be-
nutzen könne, um sich bei Wladiwostok eine Fahrrinne brechen zu
lassen. Nach Aussage des Kapitäns hat ihm, wenn er nach Wladiwostok
kam, der Empfänger der Ladung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers von dem Eisbrecher mitgeteilt werden sollen.
Nach dem Ladungsverzeichnis ist der Wert der Ladung reichHch
210000 Franks. Demgegenüber beträgt das Chartergeld von Saigon
nach Wladiwostok den enormen Betrag von L. 6250 netto. Nach allem
diesen zu schließen, kann man auf keinen Fall annehmen, daß der Reis
im gewöhnlichen Handelsverkehr nach Wladiwostok geschafft worden ist.
Der Reklamant behauptet ferner, daß der Handelsverkehr in Wla-
diwostok zur Zeit der Beförderung der Ladung des zur Verhandlung
stehenden Schiffes wie früher ausgeübt und noch keineswegs zum Still-
stand gekommen sei. Da für diese Behauptung aber keinerlei Beweis
erbracht worden ist, so kann sie nicht als der Wahrheit entsprechend
angesehen werden.
Weiter sagt er, die in Frage stehende Ladung Reis müsse nach
dem Urteilsbeispiel des „Neptun us"-Falls als zu friedlichem Gebrauch
bestimmt angesehen werden. Da aber die Verhältnisse des Bestimmungs-
orts in dem genannten Fall von denen der vorliegenden Sache von Grund
aus verschieden sind, so kann jener Fall nicht als Präcedenz für den
vorliegenden dienen. Kurz, es ist durchaus zutreffend, daß das Gericht
Prisengerichtsentscheidungen: •Sootaman'. Abschnitt Vl^k
erster Instanz den auf dem zur Verhandlung stehenden Schiffe ver-
schifften Saigon-Reis als Kriegskonterbande betrachtet hat. ^)
Wie im Vorigen dargetan, kann keinenfalls angenommen werden,
daß der Transport der Reisladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffs nach Wladiwostok im gewöhnlichen Handelsverkehr geschehen
ist. Die ganze Ladung ist Reis, also Konterbalnde. Nach der Aussage
des Kapitäns hat der Reeder in Voraussicht der Gefahr der Einziehung
auf dieser Reise eine reichliche Versicherung genommen, so daß er,
wenn auch das Schiff eingezogen werde, keinen Schaden erleiden werde.
Wenn man diese Tatsachen zusammenstellt, so liefern sie reichlich Un-
terlage für die Vermutung, daß der Zweck der Reise des zur Verhand-
lung stehenden Schiffes ein Transport von Konterbande war. Das Völker-
recht steht aber auf dem Standpunkt, daß Schiffe, deren Reisezweck die
Beförderung von Konterbande ist, eingezogen werden können.«) Das
Oberprisengericht erkennt dies als den Umständen gerecht werdend an.
Da nach dem oben Gesagten die Entscheidung des Gerichts erster
Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden Schiffes durch-
aus zutreffend ist, so ist es unnötig, auf die einzelnen Berufungsgründe
noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: A. Chazalon & Co., Shanghai, China, vertreten
durch den Prokuristen Maurice Jacquet.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Scotsman" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der auf dem englischen Dampfer „Scots-
man" verladenen ungefähr 20000 Sack Saigon-Reis erkannt.
*) II. Ziffer 2.
^ Anders die Japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und Ihre Grundlage,
das engUsche Manual of Naval Prize, Art. 82—85.
Marstrand-Meohlenbnrff, Das japanische Priaenreoht. Band I. (35) 545
Abschnitt VI>sb Prisengerlchtsentscheidungen: .Scotsman'»
Tatbestand und Grunde:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist auf Grund des am
4. Juni 1905 in Shanghai, China, zwischen dem Vertreter des Reeders
des Dampfers „Scotsman", der Firma Dodwell & Co. in Shanghai
und der Firma R. Peretz ebendaselbst (diese Firma ist am 12. Fe-
bruar dieses Jahres aufgelöst, und alle ihre Geschäfte sind der Firma
A. Chazalon übertragen worden) abgeschlossenen Chartervertrags in
Saigon auf dem Dampfer „Scotsman" verladen worden, um sie nach
Wladiwostok in Rußland zu befördern. Die Absender waren die Ver-
treter der Firma R. Peretz in Saigon P. Rauzy & P. Ville. Nach
dem Konnossement sollte sich der Empfänger nach Order richten. Am
24. Januar dieses Jahres fuhr der genannte Dampfer von Saigon ab^
kam am 29. des Monats in Hongkong an und nahm bei seiner Abfahrt
von dort am 1. Februar vorsätzlich einen Umweg, der ihn durch die
Tsugaru-Straße nach Wladiwostok führen sollte. Auf dieser Reise wurde
die Ladung am 14. des Monats in der Straße von Tsugaru in der Nähe
des Leuchtturms von Shiokubi von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30
zusammen mit dem Dampfer beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten des Kaiserlichen Torpedoboots Nr. 30,
Oberleutnants zur See Tomimaga Ryutaro, die Vernehmungs-
protokolle des Vertreters des Kommandanten des genannten Torpedo-
boots, Kapitänleutnants Nagasawa Naotaro und des Kapitäns des
Dampfers „Scotsman", Edward Albert Mackenzie, durch das
Schiffszertifikat, das Ladungsverzeichnis, das Konnossement, den von
dem Vertreter der Reklamation eingereichten Chartervertrag und eine
von dem japanischen Konsul in Shanghai für die Firma R. Peretz aus-
gestellte Bescheinigung.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Wenn die zur Verhandlung stehende Ladung Reis auch nach einem
Hafen, wo die feindlichen Truppenteile sich sammelten, befördert werde,
so beschränke sich ihre Lieferung doch nicht notwendigerweise auf
den Gebrauch von seiten der Truppen, sondern auch die übrige Be-
völkerung lebe davon. Demgemäß stünde eine Reihe von kontinen-
talen Völkerrechtslehren auf dem Standpunkt, daß es zu verwerfen sei.
Reis als Konterbande zu betrachten. Auch der englische Gelehrte
Holland habe zur Zeit des südafrikanischen Krieges die englische
Praxis dahin beschrieben, daß Lebensmittel nur in dem Falle, wo es
feststehe, daß sie an die feindliche Armee oder Marine oder nach
Festungen befördert würden, als Konterbande gelten könnten. Auch
für diesen Fall nehme er an, daß lediglich ein Vorkaufsrecht ausgeübt
werden dürfe.
546
Prisengerlchtsentscheidungen: „Scotsman". Abschnitt Vl^b
Ferner habe England in dem französisch-chinesischen Krieg vom
Jahre 1885, als Frankreich aus Gründen der Kriegsführung zeitweise
das gewöhnliche Prinzip durchbrochen und Reis für Kriegskonterbande
erklärt habe, einen energischen Protest gegen die Unbilligkeit dieser
Behandlung von Reis als Konterbande eingelegt.
Auch in dem japanisch-chinesischen Krieg hätten England und
Frankreich sich absolut dagegen ajusgesprochen, als China Reis für
Konterbande erklärt habe, und Japan habe gegen diesen Standpunkt
der beiden Länder keinen Einspruch eingelegt.
So seien die Staaten sich fast alle in dem Punkt einig, daß Reis
nicht als Konterbande gelten dürfe, und die Wissenschaft sowie die
Praxis erkennten dieses an.
Selbst einmal angenommen, Japan habe lediglich für den Krieg
mit Rußland den Standpunkt eingenommen, daß Reis, welcher für die
feindlichen Truppen bestimmt sei, als Konterbande gelte, so habe doch
Wladiwostok zu gleicher Zeit die Eigenschaften eines Handels- und
eines Kriegshafens. Auch sei der Handelsverkehr nach dort keines-
wegs völlig unterbunden. Daß in diesem Falle die dorthin beförderte
Ladung rechtmäßigerweise als nach dem Handelshafen Wladiwostok
und nicht für den Kriegsgebrauch bestimmt anzusehen sei, gehe aus
der Präcedenzentscheidung über den während des englisch-holländischen
Kriegs im Jahre 1798 aufgebrachten „Neptun us" hervor. Dies um
so mehr, als bei den Russen der Reis kein gewöhnliches Nahrungsmittel
sei, während er von der fremden Bevölkerung Wladiwostoks ganz all-
gemein gegessen werde.
Wenn der Empfänger der zur Verhandlung stehenden Ladung nicht
klar bestimmt sei, so komme das daher, daß das Konnossement auf
Order laute. Darin könne man aber keinen Grund zu irgendwelchem
Verdacht erblicken.
Aus diesen Gründen werde Freigabe der zur Verhandlung stehen-
den Ladung beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist eine bekannte Tatsache, daß Wladiwostok Rußlands ein-
ziger Kriegshafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine
Kriegsmarine ist. Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Re-
gierung den Platz zu einem Hauptetappenort gemacht und sie ist mit
allen Kräften bestrebt, dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der ge-
wöhnliche Handelsverkehr hat dort fast gänzlich a^ufgehört. Wenn
daher eine Ladung Reis wie die zur Verhandlung stehende, deren
Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach
Wladiwostok befördert wird, so muß mangels klaren Gegenbeweises an-
genommen werden, daß dieselbe für den Kriegsgebrauch zu liefern war.
(35*) 547
Abschnitt VI>sb Prisengerichtsentscheidungen: „Scotsman".
Das Konnossement über die zur Verhandlung stehende Ladung
lautet nun auf Order und der Kapitän des Dampfers „Scotsman" hat
ausgesagt, daß ihm bezüglich des Empfängers derselben bei seiner
Ankunft in Wladiwostok Mitteilung von dem Eisbrecher habe zuteil
werden sollen. Auch steht in dem Chartervertrag eine Abmachung,
nach welcher das Schiff bei Ankunft in Wladiwostok erforderlichenfalls
kostenlos die Unterstützung des Eisbrechers erhalten könne.
Nach der von den russischen Küstenbehörden im Jahre 1901 und
1902 herausgegebenen „Obersicht über Sibirien" gehört der Eisbrecher
in Wladiwostok zu dem sibirischen Geschwader der russischen Kriegs-
marine.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer hat 1679 Brutto Tons
Gehalt. Nach dem Ladungsverzeichnis ist die Ladung reichlich Fcs.
210000 wert. Das Chartergeld von Saigon bis Wladiwostok beträgt
die enorme Summe von £ 6250. Auch sagt der Kapitän aus, daß
er glaube, daß der Reeder in Voraussicht einer Konfiskation für diese
Reise die höchste Versicherungsprämie bezahlt habe. Danach ist es
schwer anzunehmen, daß eine gewöhnliche Handelstransaktion bezweckt
gewesen ist.
Der Vertreter der Reklamation sagt. Reis sei bei den Russen kein
gebräuchliches Nahrungsmittel, aber nach den russischen Verpflegungs-
vorschriften wird Reis zur Verpflegung der Truppen verwandt. Auch
ist es bekannt, daß zurzeit bei den russischen Truppenteilen im Osten
Chinesen und Koreaner angestellt sind, deren gewöhnliche Nahrung
Reis ist.
Wenn man alles dies in Erwägung zieht, so muß man zu dem
Schluß kommen, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Reis der
russischen Regierung gehöriger Kriegsvorrat ist und daher mit Recht
als Konterbande angesehen werden muß.i)
Der Vertreter der Reklamation führt die Ansichten der kontinen-
talen Völkerrechtslehrer und des englischen Professors Holland sowie
die Beispiele des chinesisch-französischen sowie des japanisch-chine-
sischen Krieges an und behauptet, die Staaten seien fast alle über das
Prinzip einig, daß Reis nicht als Konterbande gelten dürfe und die
Wissenschaft und die Praxis erkennten dieses an. Holland aber und
andere englische Gelehrte vertreten den Standpunkt, daß Reis in dem
Falle, wo es klar erwiesen sei, daß er an die feindliche Armee oder
Marine oder nach einer Festung befördert werde, als Kriegskonterbande
jangesehen werden könne. Als in dem jetzigen Kriege Rußland Reis
für absolute Konterbande erklären wollte, hat die englische Regierung
dagegen protestiert und gesagt, daß sie einverstanden sei, wenn die
kriegführenden Mächte Reis als bedingungsweise Konterbande erklären
*) IL Ziffer 2.
548
Prisengerichtsentscheidungen: ,.Scotsnian". Abschnitt VI»*
wollten, daß es aber dem Völkerrecht und seiner Praxis widerspreche,
^x-enn Reis für absolute Konterbande erklärt werde. Aus der britischen
diplomatischen Korrespondenz vom Jahre 1905, Teil Rußland, Nr. 1,
in dem Erlaß des britischen Staatssekretärs des Auswärtigen, Lans-
downe, an den englischen Botschafter Sir Charles Hardinge
in Rußland vom 1. Juli 1904 ist der Standpunkt Englands ersichtlich.
Daß auch die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika auf diesem Prinzip
stehen, ergibt sich aus der Praxis und Wissenschaft dieses Staats. Ruß-
land hat, wie oben erwähnt, während des jetzigen Krieges Reis für
Konterbande erklärt. Wenn man alle diese Beispiele ansieht, so ist
offenbar die Behauptung des Reklamanten, alle Staaten stünden auf
dem Prinzip, daß Reis nicht als Kriegskonterbande angesehen werde,
völlig unbegründet. Was die von dem Reklamanten angezogene
Präcedenz aus dem französisch-chinesischen Kriege angeht, so hat die
englische Regierung gerade wie jetzt gegenüber Rußland sich damals
nur Frankreichs Erklärung, daß Reis absolute Konterbande sei, wider-
setzt. Keineswegs ist sie jedoch gegen die Erklärung von Reis als
bedingter Konterbande eingetreten.
Einmal die Frage betrachtet, ob es sich mit der Präcedenz aus
dem japanesisch-chinesischen Krieg wirklich so verhält, wie der Ver-
treter der Reklamation behauptet, so hat vielmehr Japan im § 10 der
damaligen Prisenordnung Nahrungsmittel deutlich als bedingte Konter-
bande bezeichnet und während jenes Kriegs sind keine Änderungen
hinzugefügt, so daß also das Gegenteil der Behauptung des Reklamanten
der Fall ist.
Daß aber Kriegskonterbande, wenn auch unter neutraler Flagge
fahrend, eingezogen werden kann, ist in der Pariser Seerechtsdeklaration,
vom Jahre 1856 und von der völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis
in gleicher Weise anerkannt. *)
Da die zur Verhandlung stehende Ladung aus den obigen Gründen
einzuziehen ist, so erübrigt es sich, auf die übrigen Punkte des Ver-
treters der Reklamation einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 7. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
Y o s h i o.
(Unterschriften.)
2) V. § 43.
549
Abschnitt Vissb Pri8engeiicht8ent8cheidungen : „Scotsman'^ |
Reklamant: A. Chazalon and Company, Shanghai, China, ver-
treten durch den Prokuristen Maurice Jacquet.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
Am 7. Juni hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisensache
betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Scotsman", welcher
am 14. Februar 1905 in der Tsugarustraße bei dem Leuchtturme von
Shiokubi von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30 aufgebracht worden
ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Wjegnahme der auf dem englischen
Dampfer verschifften ungefähr 20 000 Sack Saigon-Reis erkannt,
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Maurice Jacquet als Vertreter des
Reklamanten, der Firma A. Chazalon and Company, durch den Rechts-
anwalt Akiyama Qenzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr.
jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Oenzo, sind folgende:
Das am 7. Juni 1905 von dem Prisengericht zu Yokosuka gefällte
Urteil auf Wegnahme der Ladung des Dampfers „Scotsman" von etwa
20000 Sack Saigon-Reis sei unzutreffend. Es werde Aufhebung des-
selben und Freigabe der genannten Ladung beantragt, und zwar aus
folgenden Gründen:
1. Es sei von der Wissenschaft und der Praxis als billig anerkannt,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung von Saigon-Reis, welche
nach Wladiwostok, dem einzigen Handels- und Kriegshafen Rußlands
im Osten, befördert worden sei, als zur Einfuhr nach dem Handels-
hafen des genannten Platzes und nicht zur Lieferung für den Kriegs-
gebrauch bestimmt betrachtet werden müsse. Es sei daher unzutreffend,
daß das Gericht erster Instanz die Ladung als zum Kriegsgebrauch
bestimmt und daher als Konterbande angesehen habe.
2. Das Gericht erster Instanz nehme unter Verweisung auf die
in dem Urteil aufgezählten Tatsachen an, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung der russischen Regierung gehöriger Kriegsvorrat, daher
Konterbande sei.
Dies sei eine unzutreffende Entscheidung, welche die Tatsachen
falsch auffasse, wie im folgenden dargetan werde:
a) Wladiwostok sei nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen,
sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten, sein Handel sei
zur Zeit der Beförderung der zur Verhandlung stehenden Ladung wie
früher ausgeübt worden und durchaus nicht zum Stillstand gekommen.
Es sei bekannt, daß auch neutrale Kaufleute ihre Geschäfte geöffnet
gehalten und betrieben hätten. Aus dem in dem „Neptun us"-Fall des
550
Prisengerichtsentscheidungeii: „Scotsman". Abschnitt VI»k
englisch-holländischen Krieges vom Jahre 1798 gegebenen Urteilsbeispiel
sei ersichtlich, daß die völkerrechtliche Praxis auf dem Standpunkt
stehe, daß im Falle, wo Güter, welche sowohl zu kriegerischem wie
friedlichem Gebrauch dienen könnten, nach einem Hafen wie dem ge-
nannten befördert würden, der die Eigenschaften eines Kriegs- und
eines Handelshafens in sich vereinige, angenommen werden müsse, daß
sie nach dem Handelshafen befördert würden und zu friedlichem Ge-
brauch bestimmt seien. Es sei daher im Widerspruch mit dieser
Präcedenz, daß die zur Verhandlung stehende Ladung als Kriegsvorrat
angesehen worden sei.
b) Wenn der Eisbrecher auch der russischen Regierung gehöre,
so werde er doch immer dazu verwandt, für dort verkehrende Handels-
schiffe aller Länder das Eis zu brechen, den Verkehr zu erleichtern
und allerhand Bequemlichkeiten zu vermitteln. Das sei nicht nur
während der Kriegszeit, sondern auch im Frieden der Fall. Wenn daher
auch im Chartervertrag des Dampfers, auf dem die zur Verhandlung
stehende Ladung verschifft sei, eine Bestimmung stehe, daß der Dampfer
nötigenfalls kostenlos die Hülfe des Eisbrechers erhalten werde, und
wenn auch der Kapitän geglaubt habe, daß er von dem Eisbrecher
Mitteilung darüber habe erhalten sollen, wer der Empfänger sei, so könne
man daraus nicht ohne weiteres schließen, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung Kriegsvorrat sei, welcher an die russischen Truppen
habe befördert werden sollen.
c) Wenn das Chartergeld und die Versicherungsprämie sehr hoch
gewesen sei, so sei das in Kriegszeiten etwas ganz Gewöhnliches. Be-
sonders, weil bei einer Reise nach einem dem Kriegsschauplatz nahe
gelegenen Hafen einer der kriegführenden Mächte das Chartergeld und
die Versicherungsprämie für das Schiff außer der gewöhnlichen See-
gefahr noch die Kriegsgefahr zu berücksichtigen und den daraus mög-
licherweise entstehenden Schaden im voraus zu decken habe, so sei
eine anerkannte Handelsgewohnheit, im Vergleich mit Friedenszeiten
hohe Summen zu vereinbaren. Daher könnten die Tatsachen nicht
als Unterlagen für die Annahme dienen, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung Kriegsvorrat sei.
d) Wenn die russischen Truppen auch Reis essen möchten, so
könne man darüber, daß er bei ihnen kein gebräuchliches Nahrungs-
mittel sei, nicht streiten. Es könne freilich nicht bestritten werden,
daß die russischen Truppen in Nord-Korea und in der Mandschurei
viele Koreaner und Chinesen angestellt hätten. In Wladiwostok und
seiner Umgegend seien aber tatsächlich derartige Bevölkerungselemente
nicht engagiert. Daher müsse man es als unzutreffend bezeichnen,
wenn angenommen worden sei, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung für diese Leute bestimmt gewesen sei.
551
Abschnitt VI<8k Prisengerichtsentscheidungen: „Scotsman".
Nach allem diesen reiche keine der von dem Gericht erster Instanz
als zur Begründung des Urteils aufgestellten Tatsachen aus, um zu be-
weisen, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Kriegsvorrat ge-
wesen sei.
Kurz, wenn der Reis auch nach einem Hafen, wo die feindlichen
Truppen sich sammelten, befördert worden sei, so beschränke sich sein
Gebrauch doch nicht unbedingt auf die Truppen, sondern auch die
übrige Bevölkerung lebe davon. Wissenschaft und Praxis seien sich darin
einig und man brauche es nicht zu diskutieren, daß Reis nicht als Kon-
terbande gelten dürfe, weil, wenn Reistransporte so ganz aufhören
würden, die Zivilbevölkerung dem Hunger preisgegeben würde.
Da kein absoluter Beweis vorliege, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung den russischen Truppen habe geliefert werden sollen,
so sei es billig, zu entscheiden, daß sie gewöhnliche Handelsware sei.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Yanagita Kunio, sind folgende :
l. Der Reklamant behaupte,
der Bestimmungsort der zur Verhandlung stehenden La-
dung Wladiwostok habe neben seiner Eigenschaft als Kriegs-
hafen auch die eines Handelshafens, und Güter, welche
dorthin eingeführt würden, könnten nicht als zum Kriegs-
gebrauch bestimmt angesehen werden.
Aber vor der Kriegseröffnung habe man Wladiwostok auf keinen
Fall nach den damaligen Zuständen als einen allgemeinen Handelsplatz
betrachten können. Wenn man dazu erwäge, daß die russische Re-
gierung mit allen Mitteln Vorräte für die Armee und Marine dort an-
zusammeln bestrebt sei, so sei es gerechtfertigt anzunehmen, daß Le-
bensmittel, die dorthin gingen, Konterbande seien. Wenn es auch viel-
leicht Präcedenzen und wissenschaftliche Ansichten, wie der Reklamant
sie angebe, geben möge, so paßten diese doch nicht auf Wladiwostok^
welches kein Handelshafen sei.
Daß eine im Verhältnis zu Frachtgeldern in Friedenszeiten zehn-
fache Summe geleistet und empfangen worden sei, und daß in Voraus-
sicht einer Einziehung eine besonders hohe Versicherung genommen sei^
deute darauf hin, daß nicht eine gewöhnliche Handelstransaktion be-
zweckt gewesen sei.
Kurz, es sei nach den damaligen Verhältnissen des Bestimmungs-
ortes sowie früheren und jetzigen Anzeichen klar, daß der Transport
der zur Verhandlung stehenden Ladung für die feindlichen Truppen be-
absichtigt gewesen sei; und sowohl nach den Grundsätzen des Völker-
rechts wie nach dem neuerlich verkündeten japanischen Standpunkt
stehe der Einziehung derselben nichts im Wege.
552
Pri86ngeiicht8ent8cheiditogen: ,Scot8inaii'. Abschnitt VI»*
2. Es sei überflüssig zu erörtern, daß Reis bedingte Konterbande
sei. Der Hauptpunkt der Reklamation besage, daß
es unzutreffend sei, wenn das Gericht erster Instanz daraufhin,
daß der Bestimmungsort Wladiwostok sei, ohne weiteres an-
genommen habe, daß die Ladung zum Kriegsgebrauch habe
geliefert werden sollen.
Da es aber bekannt sei, daß Rußland beim Ansammeln von
Kriegsvorräten für Marine und Armee Wladiwostok zum iMittelpunkt
gemacht habe, so liege schon darin, daß Lebensmittel dorthin gingen,
ein ausreichender Grund für die Annahme, daß sie zum Kriegsgebrauch
zu liefern gewesen wären, wenn auch sonst keine Anzeichen vorhanden
seien, welche einen Schluß auf ihre Bestimmung gestatteten.
Der Reklamant führe dafür, daß Wladiwostok ein Handelshafen
sei, als Beispiel an, daß es außer dem Militär auch noch sonstige Ein-
wohner gebe und daß kleine Läden vorhanden seien. Diese Behauptung
tue dar, daß er die Verhältnisse nicht verstehe. Wenn Wladiwostok bei-
spielsweise ein Hafen sei, wie der auch in dem von dem Reklamanten
zitierte „Neptunus"-Urteil erwähnte französische Hafen Brest, so müsse
man doch mit Recht behaupten, daß es unmöglich der ungünstigen
Präsumption entgehen könne. Wladiwostok übertreffe aber offenbar
.Brest bei weitem an militärischer Bedeutung.
Kurz, die Berufung sei in allen Punkten unbegründet.
Da^ vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist völkerrechtlich anerkannt, daß Lebensmittel wie Reis, im
Falle, daß sie für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sind oder
nach einem Platz in Feindesland gehen und angenommen werden muß,
daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine dienen würden,
als Kriegskonterbande anzusehen sind, und eingezogen werden können.
Es ist nun aber unbestritten, daß der in Frage stehende Reis nach
Wladiwostok bestimmt gewesen ist. Ferner ist es eine bekannte Tat-
sache, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen ist und daß
Rußland diesen Platz seit dem Kriege mit Japan zum Hauptstützpunkt
für seine Flotte und Hauptetappenort gemacht hat. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert, und der gewöhnliche Handelsverkehr ist
dort fast gänzlich zum Stillstand gekommen.
In dem Chartervertrag des Dampfers „Scotsman", auf dem die zur
Verhandlung stehende Ladung verschifft worden ist, steht eine Be-
stimmung, nach welcher die Verpflichtung übernommen wird, daß das
Schiff bei Ankunft in Wladiwostok erforderlichenfalls, ohne daß ihm
daraus Kosten erwüchsen, sich von dem Eisbrecher innerhalb und
außerhalb des Hafens eine Fahrrinne solle brechen lassen können. '' Es
wird also, obwohl, wie auch der Reklamant annimmt, der Eisbrecher im
553
Abschnitt Vl^b Prisengerichtsentscheidungen: ,iScotsman".
Eigentum der russischen Regierung steht, ausdrücklich verbürgt, daß
das Schiff, welches zur Beförderung der zur Verhandlung stehenden
Ladung diene, den Eisbrecher kostenlos benutzen könne, um sich bei
Wladiwostok eine Fahrrinne brechen zu lassen. Nach Aussage des
Kapitäns hat ihm, wenn er nach Wladiwostok kam, der Empfänger der
zur Verhandlung stehenden Ladung von dem Eisbrecher mitgeteilt
werden sollen. Nach dem Ladungsverzeichnis ist der Wert der Ladung
reichlich Fcs. 210000. — . Demgegenüber beträgt das Chartergeld von
Saigon bis Wladiwostok den enormen Betrag von £ 6250 netto. Nach
allem diesen zu schließen, kann man auf keinen Fall annehmen, daß
der zur Verhandlung stehende Saigon-Reis im gewöhnlichen Handels-
verkehr nach Wladiwostok geschafft worden ist.
Der Reklamant behauptet, daß der Handelsverkehr in Wladiwostok
zur Zeit der Beförderung der zur Verhandlung stehenden Ladung wie
früher ausgeübt und noch keineswegs zum Stillstand gekommen sei.
Da für diese Behauptung aber keinerlei Beweis erbracht worden ist,
so kann sie nicht als der Wahrheit entsprechend angesehen werden.
Weiter sagt er, die zur Verhandlung stehende Ladung Reis müsse
nach dem Urteilsbeispiel des „Neptun us"-FaIles als zum friedlichen Ge-
brauch bestimmt angesehen werden. Da aber die Verhältnisse des Be-
stimmungsortes in dem genannten Falle von denen der vorliegenden
Sache von Grund aus verschieden sind, so kann jener Fall nicht als
Präcedenz für den vorliegenden dienen.
Da es, wie oben dargetan, durchaus zutreffend ist, daß das Ur-
teil erster Instanz den zur Verhandlung stehenden Saigon-Reis als
Kriegskonterbande angesehen und seine Wegnahme verfügt hat, so ist
es nicht notwendig, auf die einzelnen Berufungspunkte noch besonders
einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Holland Gulf Stoomvaart Maatschappy, vertreten
durch Johannes Joseph us de Poorter, wohnhaft in Rotterdam.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
554
Pri8engericht8ent8Cheidungen: „Wllhelmina''. Abschnitt VI**'
In der Prisensache, betreffend den holländischen Dampfer „Wil-
helmina" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Wilhelmina" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende . Dampfer „Wilhelmina" steht im
Eigentum der Holland Gulf Stoomvaart Maatschappy, Rotterdam,
Holland. Er führt die holländische Flagge und dient zum Gütertransport.
Der Kapitän A. Wolkammer lud im August 1904 in Cardiff eine
Ladung Steinkohle, mit welcher er nach Wladiwostok gelangte. Als
er die Ladung an die russischen Behörden abgeliefert hatte, erhielt er
am L Dezember dieses Jahres von seinem Reeder die Order, nach
Shanghai zu fahren, um dort Schiffskohle zu laden und wieder nach
Wladiwostok zu fahren. Am 12. d. M. verließ er Wladiwostok und traf
am 24. in Shanghai ein. Am 28. d. M. erhielt er von dem Reeder
Order, sofort Steinkohle zu laden und lud nach Anweisung der Firma
AlexanderBielfeld &Co. in Shanghai am Hafen liegende 68971/2
Tons Cardiffkohle, gab vor, nach Astoria in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika zu fahren, erhielt von dem holländischen Konsul in
Shanghai Ausklarierungsschein und Gesundheitspaß für Astoria und fuhr,
ohne ein Konnossement zu haben, am 13. Januar 1905 von Shanghai
ab. Auf der Fahrt nach Wladiwostok begriffen, wurde er am 16. des-
selben Monats nachmittags 2 Uhr 30 Minuten auf 35 » 2' 45'' n. Br.
und 129 ö 24' 15" ö. L. etwa 15 Seemeilen östlich von der koreanischen
Insel Chyöllyöng, weil er Konterbande führe, von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Naniwa" und dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 60 auf-
gebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Naniwa", Marineleutnants S h i -
raishi Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Wil-
helmina" A. Wolkammer, des 1. Offiziers de Vries, des 2. Offi-
ziers D. Geertsma und des 1. Maschinisten H. P. Burgdorffer,
durch das Schiffszertifikat, das Tagebuch, die Ausklarierungsbescheini-
gung und die Telegramme des Reeders an den Kapitän.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant sei der Eigentümer des Dampfers „Wilhelmina".
Der Dampfer habe vom 28. Dezember 1904 in Shanghai Steinkohle,
welche dem Charterer, Daniel Milberg in Hamburg, Deutschland,
gehörte, geladen und sei damit nach Wladiwostok abgefahren.
555
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: „Wilhelmina".
Kohle sei aber keine absolute Konterbande. Vielmehr gelte sie nach
der japanischen Seeprisenordnung i) als Konterbande nur, wenn sie
für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sei oder als für den
feindlichen Kriegsgebrauch zu liefern angesehen werden müsse.
Im Falle aber, daß Kohle nach einem Hafen wie Wladiwostok be-
fördert werde, der die beiden Eigenschaften eines Kriegs- und Handels-
hafens in sich vereinige, sei es richtig, anzunehmen, daß dieselbe nach
dem Handelshafen befördert werde und nicht für den Kriegsgebrauch
geliefert werden solle. Das tue die Präcedenzentscheidung des „Nep-
tunus'^-Falls dar. Daher könne die Kohle, wenn sie auch nach
Wladiwostok befördert worden sei, nicht ohne weiteres als zum Kriegs-
gebrauch bestimmt angesehen werden.
Wenn die Papiere des zur Verhandlung stehenden Schiffes un-
vollständig und nicht in Ordnung seien, so sei der Grund dafür der,
daß der Absender im Ladehafen oder dessen Vertreter keine Zeit gehabt
habe, dem Kapitän die Papiere zu behändigen. Daß die Ausklarierungs-
bescheinigung usw. auf Astoria ausgestellt worden seien, sei geschehen,,
um die Mannschaft, die nicht nach Wladiwostok habe fahren wollen, zu
beruhigen, nicht aber, um dadurch der Aufbringung zu entgehen. Man
könne daher nicht sagen, daß die Ladung unter Anwendung be-
trügerischer Mittel verschifft worden sei.
Besonders auch, da die Kohle nicht dem Reeder gehöre, könne das
Schiff, selbst wenn man die Kohle als Konterbande ansehe, nicht mit
der Ladung zusammen eingezogen werden.
Es werde daher eine Entscheidung auf Freigabe des zur Ver-
handlung stehenden Dampfers beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff verladene Stein-
kohle sei nach dem russischen Kriegshafen Wladiwostok bestimmt und
Rei, da es somit offenbar sei, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch
habe geliefert werden sollen, Konterbande.
Da ferner angenommen werden könne, daß die Kohle im Eigen-
tum des Reeders stehe, und die Ausklarier ungs- und sonstigen Papiere
falsche Angaben enthielten, so sei das zur Verhandlung stehende Schiff
einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Bestimmungen und die Praxis des Völkerrechts stehen auf dem
Standpunkt, daß ein Schiff, welches Konterbande führt, im Falle,
daß sein Eigentümer und der Eigentümer der Konterbande dieselbe
Person ist, eingezogen werden muß; ebenso daß Schiffe, welche unter
Anwendung betrügerischer Mittel Konterbande befördern, eingezogen
werden müssen.
^)'vr§ 14.
556
Prisengerichtsentscheidungen : „ Wilhelmina' . Abschnitt VI <• >
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes besteht aus
Cardiffkohle, wie sie zurzeit ausschließlich auf den Kriegsschiffen ver-
wandt wird. Ihr Bestimmungsort ist Wladiwostok, der Hauptstützpunkt
der russischen Flotte. Auf seiner letzten Reise hat das Schiff Kohle von
Cardiff in England nach Wladiwostok befördert und dort an die
russischen Behörden abgeliefert. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß
die jetzige Kohlenladung für den feindlichen Kriegsgebrauch zu liefern
und daher Konterbande ist. Wenn man weiter überlegt, daß ein Charter-
vertrag und ein Konnossement 4uf dem Schiff nicht vorhanden war,
und daß der Kapitän nach Order des Reeders, die er in Wladiwostok
und Shangahi erhielt, in Shanghai die Kohle geladen hat, sowie daß
der Reeder den Kohlenhandel gewerbsmäßig betreibt, so darf man an-
nehmen, daß die genannte Kohlenladung ihm gehört.
Wenn man ferner die Tatsachen nebeneinander hält, daß der zur
Verhandlung stehende Dampfer, obwohl er vorhatte, nach Wladiwostok
zu fahren, mit einer Ausklarierung, die fälschlich auf Astoria lautete,
gereist ist, und daß der Kapitän von dem Reeder Order erhalten hatte,
bei der Fahrt nach Wladiwostok südlich um Japan herum zu fahren,
so ergibt sich, daß das Schiff Konterbande befördert und dabei, um der
Aufbringung zu entgehen, betrügerische Mittel verwandt hat. Aus allen
diesen Gründen muß das Schiff eingezogen werden.«)
Der Reklamant macht unter Anziehung des „Neptunus"-Urtejls
geltend, daß es richtig sei, im Falle, daß eine Ladung nach einem Hafen
wie Wladiwostok befördert werde, der die Eigenschaften eines Kriegs-
und Handelshafens in sich vereinige, anzunehmen, daß die Ladung
nach dem Handelshafen befördert werde und nicht für den Kriegs-
gebrauch, geliefert werden solle. Da aber d^r Kapitän ausgesagt hat,
daß als der zur Verhandlung stehende Dampfer früher nach Wladiwostok
gefahren sei, der Hafen ausschließlich Kriegshafen gewesen sei, so sind die
Verhältnisse von Wladiwostok und dem in dem „Neptun us"-Fall er-
wähnten Amsterdam grundverschieden.
Da demnach die Kohle offenbar für den Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte, so ist die Behauptung des Reklamanten unbegründet.
Ferner hat der Vertreter der Reklamation einen am 9. Dezember
1904 zwischen Daniel Milberg und dem Vertreter des Reeders
Poorter abgeschlossenen Vertrag bezüglich Transports von Kohle
eingereicht und behauptet, daß nach diesem das zur Verhandlung
stehende Schiff an Milberg verchartert sei und daß die Kohlenladung
Milberg. gehöre. Da aber die in diesem Vertrag angegebenen Tat-
sachen, angesichts der auf dem Schiff vorhandenen Papiere und der
Aussagen des Kapitäns, nicht glaubwürdig erscheinen, so kann diese
Ausführung des Reklamanten nicht anerkannt werden.
*) V. §§ 43,2 und 44.
567
Abschnitt VI»! Pri86ngericht8ent8cheidungen: „Wilhelmina".
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.) )
Reklamant: Holland Gulf Stoomvaart Maatschappy, vertreten
durch Johannes Josephus de Poorter aus Oravenhage und
Josephus de Poorter in Rotterdam, Holland.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 16. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den holländischen Dampfer „Wilhelmina", ' welcher
am. 16. Januar 1905 etwa 15 Seemeilen östlich von der koreanischen
Insel Chyöllyöng von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Naniva" und dem
Kaiserlichen Torpedoboot 60 aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Wilhelmina" erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil haben Johannes Josephus de Poorter
und Josephus de Poorter als Vertreter des Reklamanten, der
Firma Holland Oulf Stoomvaart Maatschappy, durch den Rechtsanwalt
Akiyama Oenzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari
Bin ich i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Oehzo und deren Begründung sind folgende:
Das Gericht erster Instanz habe angenommen, daß die auf dem
zur Verhandlung stehenden Schiff verladenen Steinkohlen dem Reeder
gehörten, und zwar auf Grund folgender Tatsachen:
1. daß auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff kein Charter-
vertrag und kein Konnossement vorhanden gewesen sei;
2. daß der Kapitän auf Order des Reeders, die er in Wladiwostok
und Shanghai erhalten habe, in Shanghai die Kohlen geladen habe;
3. daß der Reeder den Kohlenhandel als Gewerbe betreibe.
Dazu habe es das Bestehen des am 9. Dezember 1904 zwischen
dem Reeder und dem Ladungseigentümer abgeschlossenen Kohlen-
transportvertrags nicht anerkannt und denselben gänzlich verworfen.
Hierin habe das Urteil erster Instanz die Tatsachen falsch auf-
gefaßt und folglich sei seine Vermutung im Widerspruch mit der
Billigkeit. Dies solle nunmehr dargetan werden:
558
Priaengerichtsentscheidangen: .Wilhetmlna*. Abschnitt VI<>»
1 . Was das Nichtvorhandensein eines Chartervertrags auf dem zur
Verhandlung stehenden Schiff angehe, so sei der Ort, an welchem dieser
Vertrag geschlossen sei, von dem Ort, wo sich das Schiff zurzeit be-
funden habe, so weit entfernt gewesen, daß keine Zeit gewesen sei,
um denselben an den Kapitän zu übersenden. Was die Unterlassung
der Ausstellung eines Konnossements angehe, so sei es nach Handels-
gebrauch nicht unbedingt nötig, ein solches auszustellen, wenn die
Ladung von einer einzigen Art sei. Wenn daher auf dem zur Ver-
handlung stehenden Schiff ein Konnossement nicht vorhanden sei, so
sei dies kein schwerwiegender Verdachtsgrund.
2. Was die Tatsache angehe, daß der Kapitän auf Order des
Reeders, die er in Wladiwostok und Shanghai erhalten, in Shanghai
Kohlen geladen habe, so habe der Reeder ledigHch dem Kapitän die
Erfüllung des Transportvertrages aufgetragen, und der Kapitän habe
diese Order ausgeführt. Die Handlungen dieser beiden bewegten sich
also durchaus nur in dem Rahmen ihrer Pflichten und gäben zu Ver-
dacht nicht den geringsten Anlaß.
3. Wenn auch das Gewerbe des Reeders mit Kohlen zu tun habe^
so sei es doch, wenn man nicht annehmen wolle, daß er überhaupt
von Dritten keine Transportaufträge für Kohle erhalte, für ihn, den
Reklamanten, als eine Dampfschiffahrtsfirma eine ganz natürliche Aus-
übung seines Gewerbes, wenn er mit dem Ladungseigentümer Daniel
Milberg einen Transportyertrag für Kohle abgeschlossen habe.
Aus diesen Gründen könne keine von den oben angeführten Tat-
sachen als Unterlage für die Annahme dienen, daß die Ladung des zur
Verhandlung stehenden Schiffs dem Reeder gehöre, und man müsse
sagen, daß das Urteil erster Instanz, welches bei der Annahme be-
treffend das Eigentumsrecht an der Ladung diese Tatsachen zugrunde
gelegt habe, mit der gewöhnlichen Billigkeit in Widerspruch stehe.
Ferner habe das Urteil erster Instanz entschieden, daß in An-
betracht der Schiffspapiere und der Aussagen des Kapitäns dem zwischen
dem Reeder und dem Ladungseigentümer abgeschlossenen, oben er-
wähnten Transportvertrag kein Glauben geschenkt werden könne. Daß
das Gericht, ohne sich darüber zu äußern, in welchen Punkten dieser
Vertrag mit den Schiffspapieren kollidiere und welche Aussage des
Kapitäns mit ihm im Widerspruch stehe, einfach das Bestehen des
Vertrags verwerfe, sei eine Entscheidung von ungeheuerlicher Willkür.
Für seine weitere Behauptung, daß Konterbandetransport unter
Anwendung betrügerischer Mittel vorliege, führe das Urteil erster Instanz
an, daß
dies klar werde, wenn man die Tatsachen neben einander
halte, daß das zur Verhandlung stehende Schiff, obwohl
es vorgehabt habe, nach Wladiwostok zu fahren, mit einer
559
Abschnitt VI^s« Prisengerichtsentscheidungen: „Wilhelmina".
Ausklarierung und einem Gesundheitspaß, die auf Astoria
gelautet hätten, gereist sei, und daß der Reeder dem Kapitän
Order gegeben habe, bei der Fahrt nach Wladiwostok sudlich
um Japan herumzufahren.
Daß der Kapitän aber keine Ausklarierung und keinen Gesundheits-
paß für Wtajü^ostok genommen habe, habe seinen Grund darin, daß
die Mannschaft diesen Platz für gefährlich gehalten und sich geweigert
habe, dorthin zu gehen. Der Kapitän habe daraufhin, um die Leute
zu beruhigen, in sehr politisther Behandlung der Verhältnisse den un-
wahren Ausklarierungsschein und Gesundheitspaß ausstellen lassen.
Daß dies nicht geschehen sei, um die Rechte des kriegführenden Staats
zu verletzen, sei von selbst klar.
Wenn ferner der Reeder dem Kapitän gesagt habe, es sei besser,
bei der Abreise von Shanghai südlich um Japan zu fahren, jedoch über-
lasse er das seiner Entscheidung, so sei das eine durchaus natürliche
Handlung für einen Reeder und man brauche daraus nicht ohne weiteres
zu schließen, daß dabei die Absicht, den kriegführenden Staat zu täuschen
und seiner Aufbringung zu entgehen, zugrunde liege. Man könne
daher nicht behaupten, daß das zur Verhandlung stehende Schiff sich
betrügerisches Vorgehen habe zu schulden kommen lassen.
Das Urteil erster Instanz besage:
das zur Verhandlung stehende Schiff habe auf einer früheren
Reise Kohle von Cardiff in England nach Wladiwostok be-
fördert und dort an die russischen Behörden abgeliefert.
Daraus ergebe sich, daß auch die jetzige Kohlenladung des
Schiffs wie die frühere für den feindlichen Kriegsgebrauch
zu liefern gewesen und daher als Konterbande zu be-
trachten sei.
Um indes aus einer früheren Handlung auf eine spätere Schlüsse ziehen
zu können, müßten zwischen den beiden Handlungen gegenseitige Be-
ziehungen bestehen. Wenn man dagegen aus zwei unabhängigen Tat-
beständen, wenn sie auch ähnhch seien, ohne weiteres schließe, daß
die Handlungen bei beiden dem gleichen Zweck entsprängen und gleich-
artige Handlungen seien, so sei das eine Annahme, die sich auf einem
Mißverstehen der bei der Aufstellung von Vermutungen zu beobachten-
den Gesetze gründe.
Des weiteren bringe das Urteil erster Instanz die Aussage des
Kapitäns vor, daß Wladiwostok, als er früher mit dem zur Verhandlung
stehenden Schiff dort gewesen sei, ausschließlich nur Kriegshafen ge-
wesen sei, und behaupte daraufhin, daß
die Verhältnisse von Amsterdam zur Zeit des von dem Rekla-
manten angezogenen „Neptunus"-Falls von Wladiwostok
grundverschieden seien.
560
Prisengerlchtsentscheidungen : „Wilhelmina". Abschnitt VI » ■
Wenn aber auch der Kapitän zufällig von Wladiwostok den Eindruck
eines Kriegshafens bekommen habe, so könne man auf Grund dessen
doch nicht behaupten, daß die Eigenschaft des Platzes als eines Handels-
hafens sich geändert habe.
Was den Punkt angehe, daß das in dem erwähnten Präcedenzfall
vorkommende Amsterdam seinen Verhältnissen nach anders sein solle,
so liege der Unterschied lediglich in dem während der Kriegszeit be-
stehenden Umfang des Handelsverkehrs. In jeder anderen Beziehung
seien die Verhältnisse absolut dieselben, und das Urteil, welches die
Präcedenzentscheidung, obwohl sie den vorliegenden Fall durchaus
decke, völlig außer Acht gelassen habe, müsse als zutreffend bezeichnet
werden.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und eine Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung stehenden
Dampfers beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rokuro, sind folgende:
Es gehe aus der eigenen Aussage des Kapitäns hervor, daß das
Gewerbe des Reklamanten Kohlenhandel sei und daß die Kohlenladung
des zur Verhandlung stehenden Schiffs auf Order des Reklamanten
und Reeders in Shanghai verschifft worden sei. Auch seien auf dem
Schiff weder Chartervertrag noch Konnossement noch sonstige Papiere
vorhanden gewesen, welche darauf schließen ließen, daß ein anderer
Absender oder Eigentümer der Ladung existiere als der Reeder. Daher
sei, weil kein Gegenbeweis vorliege, die Vermutung gerechtfertigt, daß
die Steinkohlen dem Reeder und Reklamanten gehörten. Der Rekla-
mant behaupte freilich, daß aus dem, nach seiner Aussage am 9. De-
zember 1 904 zwischen Daniel Milberg und dem Vertreter des
Reeders, Poorter, abgeschlossenen, Kohlentransportvertrag hervorgehe^
daß die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes Mil-
berg gehöre. Einen solchen Vertrag könnten indes die Interessenten
jederzeit abschließen und das von dem Reeder an den Kapitän in
Wladiwostok gerichtete Telegramm, welches sich bei den Akten des
Falls befinde, tue dar, daß der Reeder schon vor der Errichtung des
genannten Vertrages, nämlich am 30. November 1904, Order gegeben
habe, daß das zur Verhandlung stehende Schiff nach Shanghai fahren
und dort Schiffskohle laden solle. Daher könne jener Vertrag, der
auch nach Form und Inhalt schwer als hinreichend glaubwürdig an-
gesehen werden könne, nicht als Gegenbeweis dienen.
Obwohl das zur Verhandlung stehende Schiff von Anfang an
nach Wladiwostok bestimmt gewesen sei, habe es bei der Abreise von
Shanghai ausdrücklich von dem Reeder den Rat erhalten, südlich um
Harstrand'MechlenburfiT, Das japanische Prisenrecht. Band I. (36) 001
Abschnitt Vl^ta Prisengerichtsentscheidungen: „Wllhelmina".
Japan herumzufahren. Es habe sich daher in Shanghai Ausklarierung
und Gesundheitspaß für Astoria in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika geben lassen, sei indes sogleich nach Wladiwostok gefahren.
Danach könne man nicht annehmen, wie der Reklamant es behaupte,
daß die genannten Papiere beschafft worden seien, um die Mannschaft
zu beruhigen. Vielmehr lasse dies auf die Absicht schließen, die
japanische Marine zu täuschen und der Aufbringung zu entgehen.
Da außerdem die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs
Cardiffkohle sei, wie sie ausschließlich für die Kriegsmarinen geliefert
werde, und da ihr Bestimmungsort, Wladiwostok, der Hauptstützpunkt
der feindlichen Flotte sei, so sei es offenbar, daß sie zum Gebrauch
dieser Flotte habe geliefert werden sollen. Es sei deshalb unbestreitbar,
daß sie als Konterbande angesehen werden müsse.
Demnach sei es erwiesen, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff sich des Transports von Konterbande unter Anwendung be-
trügerischer Mittel schuldig gemacht habe.
Das Gericht erster Instanz habe bei der Begründung seiner An-
nahme, daß die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs
Konterbande sei, ausgeführt, daß
das Schiff auf seiner letzten Reise Cardiffkohle nach Wladi-
wostok befördert und dort an die russischen Behörden ab-
geliefert habe. Danach sei es unzweifelhaft, daß auch die
diesmalige Kohlenladung zum feindlichen Kriegsgebrauch
habe geliefert werden sollen usw.
Aber, wenn man auch, wie der Reklamant, diese Ausführung für nicht
ganz zutreffend halten wolle, so diene doch Kohle, wie die auf dem zur
Verhandlung stehenden Schiff vorhandene Cardiffkohle, wie schon dar-
getan, ausschließlich zum Gebrauch auf Kriegsschiffen, und der Be-
stimmungsort der Kohle, Wladiwostok, sei, wie bekannt, der Hauptflotten-
stützpunkt des Feindes und der einzige Lieferungsort der von dieser
Flotte benötigten Kohle. Daher sei mangels Gegenbeweises die Ver-
mutung berechtigt, daß die Kohlenladung des zur Verhandlung stehen-
den Schiffs, welche nach Wladiwostok bestimmt sei, für die feindliche
Marine habe geliefert werden sollen.
Der Reklamant behaupte,
das Urteil der ersten Instanz gehe darin fehl, daß es der
Entscheidung des „Neptun us''-FalIs, welcher eine Präcedenz
des vorliegenden sei, nicht folge.
Wladiwostok sei aber der Hauptstützpunkt der f^ndlichen Flotte, und
seit dem Kriege mit Japan hätten die gewöhnlichen Handelsschiffe ihren
Verkehl nach dort fast gänzlich eingestellt. Es sei bekannt, daß Wladi-
wostok ein Handelshafen nur dem Namen nach, tatsächlich aber seinen
Verhältnissen nach ein reiner Kriegshafen sei. Es sei von dem in dem
562
Prisengerichtsentscheidungen; „Wflhelmina''. Abschnitt VI ^ •
„Neptunus"-Fall in Betracht kommenden Amsterdam der damaligen
Zeit so verschieden, daß die beiden Häfen nicht auf eine Stufe gestellt
werden könnten. Demnach könne jener Fall nicht als Präcedenz für
den vorliegenden angewendet werden. Das Urteil erster Instanz sei
ihm daher mit Recht nicht gefolgt, und die Berufung sei in diesem
Punkte unbegründet.
Da, wie dargetan, das Urteil erster Instanz zutreffend und die
Berufung unbegründet sei, so müsse sie abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohlen und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gew^öhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit un-
zweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung
betreffend die „Neptun us" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall und die des vor-
liegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. 3) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird ; besonders im vorliegenden
Falle, wo die ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist und, obwohl
erwiesenermaßen schon bei der Abreise von Shanghai Wladiwostok
das Reiseziel war, die Ausklarierungsbescheinigung und sonstigen Schiffs-
papiere einen falschen Bestimmungsort angeben und das Schiff dem-
3) Anders §§ 43, 44 der japanischen Seeprisenordnung (V) und Art. 82 bis 85
des englischen Manual of Naval Prize Law.
(36*) 563
Abschnitt Vl^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Wilhelmina".
nach zur Beförderung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer
Mittel gedient hat.
Ferner kann nach den Schiffspapieren und auch sonst nicht an-
genommen werden, daß ein anderer Ladungseigentumer als der Reeder
vorhanden ist. Das Datum des angeblich zwischen Daniel Mil-
berg und dem Vertreter des Reeders abgeschlossenen Vertrags liegt
später als die Order des Reeders an den Kapitän, nach Shanghai zu
fahren, um dort Kohlen zu laden. Schließlich ist auch das Gewerbe
des Reeders der Kohlenhandel. Aus all diesem ist zu schließen,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff und seine Ladung dem gleichen
Eigentümer gehören.
Da schon nach dem in Punkt 1 und 2 Gesagten die Entscheidung
der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden
Schiffs unzweifelhaft gerechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor,
auf die einzelnen Punkte der Berufung noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Daniel Milberg, Hamburg, Deutschland, ver-
treten durch den Kapitän der „Wilhelmina", A. Wolkammer, Delfzijl,
Holland.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des holländischen
Dampfers „Wilhelmina" wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsform el:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Die auf dem Dampfer „Wilhelmina" verladenen 6897V2 Tons Stein-
kohlen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von ÖSQTV? Tons Cardiff-
kohle ist in Shanghai, China, auf dem Dampfer „Wilhelmina" verladen
und am 13. Januar 1905 von dort nach Wladiwostok abgesandt worden.
Als am 16. d. M. der Dampfer „Wilhelmina" unter dem Verdacht, Konter-
564
Prisengerichtsentscheidungen: „Wilhelmina". Abschnitt Vl^sb
bände zu führen, auf 35» 2' 4b" n. Br. und 129 « 24' 15" ö. L.
etwa 15 Seemeilen östlich von der koreanischen Insel Chyöllyöng von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Naniwa'' und dem Kaiserlichen Torpedoboot
60 aufgebracht wurde, ist auch die zur Verhandlung stehende Ladung
beschlagnahmt worden.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des Ver-
treters des Kommandanten der „Naniwa'', Marineleutnants S h i r a i s h i
Shinsei, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Wilhelmina",
A. Wolkammer, des 1 . Offiziers de V r i e s , des 2. Offiziers D.
G eertsma und des 1. Maschinisten H. P. Burgdorffer, durch das
Schiffszertifikat, das Tagebuch, die Ausklarierungsbescheinigung und die
Telegramme des Reeders an den Kapitän.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Reklamant habe die ihm gehörige, zur Verhandlung stehende
Ladung im Dezember 1904 in Shanghai, China, auf dem von ihm ge-
charterten Dampfer „Wilhelmina" verladen und sie von dort am 13.
Januar 1905 mit der Absicht, sie nach Wladiwostok befördern zu lassen,
abgeschickt.
Kohle sei aber ihrer Art nach keine natürliche Konterbande, sei viel-
mehr nur dann als Konterbande anzusehen, wenn sie für die feindliche
Armee oder Marine bestimmt sei oder als für den feindlichen Kriegs-
gebrauch zu liefern angesehen werden müsse. Im Falle aber, daß Kohle
nach einem Hafen wie Wladiwostok befördert werde, der die beiden
Eigenschaften eines Kriegs- und eines Handelshafens in sich vereinige,
sei es richtig, anzunehmen, daß dieselben nach dem Handelshafen be-
fördert werde und nicht für den Kriegsgebrauch geliefert werden solle.
Das tue die Präcedenzentscheidung des „Neptun us"-Falls dar. Daher
könne die Kohle, wenn sie auch nach Wladiwostok befördert worden sei,
nicht ohne weiteres als zum Kriegsgebrauch bestimmt angesehen werden.
Daher sei die zur Verhandlung stehende Ladung freizugeben.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach dem Hauptstütz-
punkt der russischen Marine, Wladiwostok, bestimmt und sei, da es so-
mit offenbar sei, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch habe geliefert
werden sollen, Konterbande. Daher sei sie einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Vertreter der Reklamation hat einen am 9. Dezember 1904
zwischen dem Reklamanten und dem Vertreter des Reeders der „Wil-
helmina" Poorter abgeschlossenen Vertrag bezüglich Transports von
Kohle eingereicht und behauptet, daß nach diesem der Dampfer „Wil-
helmina" an den Reklamanten verchartert sei und daß die zur Ver-
handlung stehende Ladung dem Reklamanten gehöre. Da aber die in
565
Abschnitt Vl^ab Prisengerichtsentscheidungen: y^Wilhelmina".
diesenl Vertrag angegebenen Tatsachen, angesichts der auf dem Schiff
vorhandenen Papiere und der Aussagen des Kapitäns, nicht glaubwürdig
erscheinen, so kann diese Ausführung des Vertreters der Reklamation
nicht anerkannt werden. Vielmehr muß man daraus, daß auf dem Schiff
kein Chartervertrag und kein Konnossement vorhanden waren; daß der
Kapitän nach Order des Reeders, die er in Wladiwostok und Shanghai
erhielt die zur Verhandlung stehende Ladung in Shanghai lud; sowie
daß der Reeder den Kohlenhandel gewerbsmäßig betreibt, schließen, daß
die zur Verhandlung stehende Kohle dem Reeder gehört. Demnach ist
die Reklamation, weil der Reklamant kein rechtliches Interesse an der zur
Verhandlung stehenden Ladung hat, abzuweisen.
Die zur Verhandlung stehende Ladung besteht aus Cardiff kohle,
wie sie zurzeit vorzugsweise auf Kriegsschiffen verwandt wird. Ihr
Bestimmungsort ist Wladiwostok, der Hauptstützpunkt der russischen
Flotte. Auf seiner letzten Reise hat das in Frage stehende Schiff Kohle
von Cardiff in England nach Wladiwostok befördert und dort an die
russischen Behörden abgeliefert. Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß
die zur Verhandlung stehende Kohle für den feindlichen Kriegsgebrauch
zu liefern war und daher Konterbande ist. i) Demnach ist sie nach den
völkerrechtlichen Grundsätzen mit Recht einzuziehen. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 16. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Daniel Milberg in Hamburg, vertreten durch
den Kapitän des Dampfers „Wilhelmina'', A. Wolkammer, aus Delfzijl,
Holland.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 16. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des holländischen Dampfers „Wilhelmina",
welcher am 16. Januar 1905 etwa 15 Seemeilen östlich von der ko-
reanischen Insel Chyöllyöng von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Naniwa"
und dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 60 aufgebracht worden ist, ein
Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der auf dem Dampfer „Wil-
helmina" verladenen 6897V2 Tons Steinkohlen erkannt worden ist.
1) U. Ziffer 2. — «) V. § 43.
566
Prisengerlchtsentscheidungen: „Wilhelmina". Abschnitt VI»b
Gegen dieses Urteil hat A. Wolkammer als Vertreter des Re-
klamanten Daniel Milberg durch den Rechtsanwalt A k i y a m a
O e n z o als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein
der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari
Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Genzo und deren Gründe sind folgende:
In unserer Zeit werde Cardiffkohle nicht auf Kriegsschiffen aus-
schließlich gebraucht, sondern finde auch in allen Arten von Industrien
reichlich Verwendung.
In einem Falle, wo Güter, die in dieser Weise zu kriegerischem
und friedlichen Gebrauch verwandt würden, nach Wladiwostok, Ruß-
lands einzigem Handels- und Kriegshafen im Osten befördert würden,
sei es billig, wie in der Präcedenzentscheidung des „Neptunus''-Falls an-
zunehmen, daß sie nach dem Handelshafen Wladiwostok eingeführt
und zu friedlichen Zwecken verbraucht werden sollten.
Das Gericht habe die in dem am 9. Dezember 1904 zwischen dem
Reklamanten und dem Reeder abgeschlossenen Transportvertrag an-
gegebenen Tatsachen als im Hinblick auf die Schiffspapiere und die
Aussagen des Kapitäns unglaubwürdig erachtet und unberücksichtigt
gelassen. Das müsse als durchaus unbegründet bezeichnet werden. Die
Schiffspapiere und die Aussagen des Kapitäns könnten die Wahrheit des
oben angegebenen Vertrages und sein Bestehen nicht in Frage stellen,
denn es sei keine Spur von Widersprüchen vorhanden. Wenn daher der
erwähnte Vertrag als unglaubwürdig bei Seite gelassen worden sei, so
sei das eine nicht zu rechtfertigende Entscheidung.
Ferner gründe das Urteil erster Instanz seine Annahme, daß die
zur Verhandlung stehende Ladung dem Reeder gehöre, darauf, daß
auf dem Schiff kein Chartervertrag und kein Konnossement
vorhanden gewesen sei, daß der Kapitän nach Order des Ree-
ders, die er in Wladiwostok und Shanghai erhalten habe,
die zur Verhandlung stehende Ladung in Shanghai geladen
habe und daß der Reeder als Gewerbe den Kohlenhandel be-
treibe.
Wie aber bereits in den Berufungsgründen in der Prisensache, be-
treffend den Dampfer „Wilhelmina'', ») auf dem die zur Verhandlung
stehenden Kohlen verschifft seien, hinreichend erörtert worden sei,
könnten diese Tatsachen nicht zur Unterstützung der Annahme dienen,
daß das Eigentum an der zur Verhandlung stehenden Ladung nicht dem
Reklamanten zustehe. Wenn deshalb daraufhin entschieden worden sei,
daß sie dem Reeder gehöre, so sei (der wahre Sachverhalt verkannt und
«) VI. 29 a.
567
Abschnitt VI»* Prisengerichtsentscheidungen: „Wllhelmina".
die Entscheidung sei ungerecht, weil sie mit den Tatsachen nicht in
logischem Einklang stehe.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und eine Entscheidung auf Freigabe der zur Verhandlung stehenden
Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo Mizukami Chojiro und Ya.mamoto Tat-
surokuro sind folgende :
Wladiwostok sei seit dem japanisch-russischen Krieg, besonders seit
dem Fall von Port Arthur, Rußlands einziger Flottenstützpunkt im Osten;
es sei ausschließlich Kriegshafen und der wichtigste Etappenort für Armee
und Marine. Von seiner in Friedenszeiten gleichzeitig bestehenden Eigen-
schaft eines Handelshafens sei nichts übrig geblieben. Da ferner die zur
Verhandlung stehende Ladung die von den Kriegsmarinen verwandte
rauchlose Cardiff kohle sei, so könne das Urteil des „Neptun us''-Falls
weder vom Gesichtspunkt der Ladung noch des Bestimmungshafens als
Präcedenz zugunsten der Freilassung der zur Verhandlung stehenden
Ladung geltend gemacht werden; vielmehr müsse man es als eine Prä-
cedenz zugunsten der Einziehung bezeichnen.
Die Tatsache, daß ein Konnossement auf dem Schiff nicht vor-
handen gewesen sei, daß der Reeder Kohlenhandel treibe und daß die
Einnahme der Ladung und die Reise des Schiffes auf telegraphische Order
des Reeders geschehen sei, lieferten klaren Beweis dafür, daß der
Reeder als Eigentümer der zur Verhandlung stehenden Ladung an-
zusehen sei. Demgegenüber könne man dem angeblich von dem Rekla-
manten mit dem Reeder abgeschlossenen Transportvertrag nicht die
Kraft eines glaubwürdigen Beweises zuerkennen, da der Vertrag sich
nicht an Bord des Schiffes befunden habe. Denn einen solchen Ver-
trag könnten die Interessenten jederzeit abschließen und die völker-
rechtliche Wissenschaft und die Präcedenzen stimmten darin überein,,
daß in Prisensachen nur die auf dem Schiffe befindlichen Papiere und
die Aussagen der Schiffsbesatzung und Passagiere Beweiskraft hätten.-^)
Es sei daher zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz diesen Ver-
trag beiseite lasse und auf Grund der vorhandenen Beweise annehme^
daß die Ladung dem Reeder gehöre.
Daher müsse die Berufung, welche nicht zutreffend begründet sei,,
verworfen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant sagt, das Urteil erster Instanz, welches seine Re-
klamation abgewiesen habe, sei unrechtmäßig. Auf der „Wilhelmina''
haben sich jedoch weder ein Chartervertrag, noch ein Konnossement,
*) Dereelbe Staatsanwalt benutzt die gegenteilige Behauptung gegen den Rekla-
manten in VI 26 b.
568
Prisengerichtsentscheldungen: „Bawtry". Abschnitt VI so»
noch sonst irgend ein Dokument vorgefunden, aus dem sich ergeben
hätte, daß ein anderer Absender oder Eigentümer als der Reeder
existiert. Dagegen ist die zur Verhandlung stehende Ladung auf Order
des Reeders in Shanghai verschifft worden, und der Reeder betreibt
das Gewerbe des Kohlenhandels. Es ist daher gerechtfertigt, wenn das
Urteil erster Instanz im Hinblick auf diese Tatsachen angenommen hat,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung demselben Eigentümer ge-
hört wie das Schiff.
Der Reklamant will freilich aus dem am 9. Dezember 1Q04 zwischen
ihm und dem Reeder abgeschlossenen Transportvertrag beweisen, daß
die Ladung in seinem Eigentum stehe; der Kapitän hat jedoch die Order,
die zur Verhandlung stehende Ladung einzunehmen, bereits vor dem
Datum des genannten Vertrags erhalten, und da ein solcher Vertrag
jederzeit von den Beteiligten abgeschlossen werden kann, so hat er
nicht den Wert eines Beweises dafür, daß die Ladung dem Reklamanten
gehöre. Daher ist die Entscheidung der ersten Instanz auf Abweisung
der Reklamation zutreffend.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Imperial Steamship Company Ltd., Eigen-
tümerin des Dampfers „Bawiry", England, Manchester, Gross Street
Nr. 14, vertreten durch den englischen Staatsangehörigen W. C. Bacon,
Geschäftsführer der Firma Sivewright Bacon Gompany.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache betreffend den englischen Dampfer „Bawtry"
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsform el:
Der Dampfer „Bawtry'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Bawtry" steht im Eigen-
tum des Reklamanten, The Imperial Steamship Company Ltd., er führt
die englische Flagge und ist ein Handelsschiff, welches zum Güter-
569
Abschnitt VI^** Prisengerichtsentscheidungen: ,,Bawtry"
transport dient. Der Dampfer wurde am 15. Dezember 1904 in Shanghai,
China, von der Firma Diederichsen, Jebsen & Co. gechartert
Er lud in Hongkong und Kiautschou Bau- und Ausrüstungsmaterial
für Kriegs- und andere Schiffe, Lebensmittel und Getränke, Eisenbahn-
baumaterialien zusammen mit vieler gemischter Ladung.
Um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen,
wurde in den Konnossementen und dem Ladungsverzeichnis ohne Aus-
nahme fälschlich Hakodate als Bestimmungsort angegeben. Am 14.
Januar 1905 brach der Dampfer von Kiautschou auf 'und wurde auf
der Reise nach Wladiwostok in Rußland am 1. d. Mts., 1 Uhr 15 Mi-
nuten nachmittags auf der See in 34^ 58 ' nördlicher Breite und 130 ^ 2S '
estlicher Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa", weil er
Konterbande führe, aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants Tori-
zaki Yasuzo, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Bawtry",
Harry Retcliff Shotton, des Supercargo Otto Meier, das
Schiffszertifikat des genannten Schiffes, das Deckjournal, den Charter-
vertrag, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte der Ausführung des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer habe in Charter der Firma
Diederichsen, Jebsen & Co. Güter geladen, um diese nach
Wladiwostok zu befördern. Da demnach der Reeder nicht der Eigen-
tümer der Ladung sei, so könne das Schiff, wenn auch anzunehmen sei,
daß sich unter der Ladung Kriegskonterbande befinde, da der Reeder
die Ladung nicht unter Anwendung betrügerischer Mittel verladen habe,
nicht der Strafe der Einziehung unterliegen. Wenn ferner unter den
Schiffspapieren solche seien, welche Hakodate als Bestimmungsort an-
gäben, so sei das auf Veranlassung des Kapitäns geschehen, ohne daß
der Reeder daran irgendwie beteiligt sei. Daher könne letzteren hierfür
keine Verantwortung treffen. Demnach müsse das zur Verhandlung
stehende Schiff freigegeben werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe sich, um der Auf-
bringung durch die japanische Marine zu entgehen, eines gefälschten
Bestimmungsorts bedient und Kriegskonterbande befördert. Wenn auch
dieser Betrug eine Handlung des Kapitäns sei, so habe doch dieser
als Vertreter des Reeders diesen Transport ausgeführt. Daher könne
der Reeder der Verantwortung nicht entgehen und das zur Verhandlung
stehende Schiff sei einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
570
Trisengerichtsentscheidungen: „Bawtry''. Abschnitt Vl^a
In gewöhnlichen Fällen beschränkt sich die Strafe für Konterbande-
transport auf Einziehung der Konterbandegüter, i) Wenn aber bei diesem
Transport, um der Aufbringung der im Kriege begriffenen Marine zu
entgehen, betrügerische Mittel verwandt werden, so wird auch das
Schiff eingezogen. Das ist von den Bestimmungen und der Praxis des
modernen Völkerrechts allgemein anerkannt.
Die von dem zur Verhandlung stehenden Dampfer „Bawtry'' ver-
ladenen Güter, wie Material zum Bau und zur Ausrüstung von Kriegs-
und anderen Schiffen, Nahrungsmittel und Getränke, Eisenbahnbau-
materialien usw. 2) sollten nach Wladiwostok, dem Hauptflottenstützpunkt
Rußlands, befördert werden. Wenn bei dieser Reise Hakodate als
Bestimmungsort vorgegeben wurde, so ist das offenbar geschehen, um
■durch dies betrügerische Mittel die Aufbringung durch die Kaiser-
lichen Kriegsschiffe zu vermeiden und den Kriegskonterbandetransport
auszuführen.
Da demnach das Schiff unter Anwendung betrügerischer Mittel
Konterbande befördert hat, so kann es, gleichgültig, ob der Reeder
-der Eigentümer der Konterbande ist oder nicht, gleichgültig auch, ob
er sie selber unter betrügerischen Mitteln verladen oder nicht, der
Strafe der Einziehung nicht entgehen. »)
Der Vertreter der Reklamation behauptet freilich, daß das be-
trügerische Vorgehen auf Seiten des Kapitäns oder Absenders geschehen
sei und daß der Reeder hieran nicht im geringsten beteiligt gewesen
sei. Daher könne den Reeder hierfür keinerlei Verantwortung treffen.
Die Fälschung des Bestimmungsorts in den Konnossementen und dem
Ladungsverzeichnis ist aber nach der Natur der Handlung und nach
•dem Geständnis des Kapitäns offenbar eine Handlung des Kapitäns.
Wenn es aber eine Handlung des Kapitäns ist, so muß unbestreitbar
der von ihm vertretene Reeder die Verantwortung hierfür tragen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Imperial Steamship Company Limited, Eng-
land, Manchester, Gross Street Nr. 14, vertreten durch W. C. Bacon,
Geschäftsführer der Firma Sivewright Bacon Company.
*) Vergleiche dagegen die Ansicht des Oberprisengerichts im Punkt 2 dieses
Falls, in den Fällen VI 28 a, 40 a, 57 und anderen.
«) II. 1 und 2. — 3) V. § 44.
571
Abschnitt Vl^oa Prisengerichtsentscheidungen : „Bavdry^
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 10. Juli 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer ,,Bawtry", welcher am 17. Ja-
nuar 1905 auf 340 58' nördlicher Breite und 130« 28' östlicher Länge
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht worden ist^
ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Ba^try"
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat W. C. Bacon als Vertreter des Rekla-
manten, The Imperial Steamship Company Ltd., durch den Rechts-
anwalt Akiyama Qenzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein des Staatsanwalts Ishiwatari Binichi beim Ober-
prisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, Aki-
yama Genzo, und deren Begründung sind folgende:
1. Das Urteil erster Instanz habe angenommen, daß das zur Ver-
handlung stehende Schiff unter Anwendung betrügerischer Mittel Konter-
bande geladen habe, und daraufhin die Strafe der Einziehung ver-
hängt. Wenn man prüfe, welche Handlungen als Betrug angesehen
worden seien, so sage das Urteil hierüber,
in den Konnossementen und in dem Ladungsverzeichnis sei
nicht der wahre Bestimmungsort Wladiwostok angegeben,
vielmehr sefi Hakodate vorgegeben. Da dies in der Absicht
geschehen sei, dadurch der Aufbringung durch die japanische
Marine zu entgehen, so stelle es eine betrügerische Hand-
lung dar.
Um aber auf Grund von betrügerischem Verhalten einem Schiff die
Strafe der Einziehung auferlegen zu können, müsse der Reeder zu-
sammen mit dem Ladungseigentümer den Plan gehabt haben, zwecks
Ausführung eines Konterbandetransports die Kaptoren zu täuschen, und
ferner sei es unbedingt erforderlich, daß die dazu ergriffenen Mittel
auch zur Durchführung des betrügerischen Plans geeignet seien. Was
nun diesen Punkt angehe, so gehe es aus der Charte-Partie ganz klar
hervor, daß der Reeder das zur Verhandlung stehende Schiff in Shanghai
an die Firma Diederichsen, Jebsen & Co. vermietet und einen
Chartervertrag abgeschlossen habe, nach welchem er es zum Transport
von gemischter Ladung nach Wladiwostok bereitgestellt habe. Wenn zur
Zeit der Beförderung der Ladung nicht Wladiwostok, sondern Hakodate
als Bestimmungsort angegeben und die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis in diesem Sinne ausgestellt worden sei, so sei das unter Zu-
sammenwirken des Kapitäns mit dem Charterer oder den Absendern
geschehen. Daß der Reeder hieran nicht den geringsten Anteil gehabt
habe, gehe aus den Akten des Falls klar hervor.
572
Piisengerichtsentscheidungen: „Bawtry'^ Abschnitt Vl^oa
Wenn auch unstreitbar in der Regel der Kapitän als Vertreter
des Reeders gelte, so stünden Grotius und andere große Gelehrte
doch auf dem Standpunkt, daß den Reeder für solche ungesetzliche und
willkürliche Handlungen die Verantwortung nicht treffen könne, und das
moderne Völkerrecht erkenne dies an.
Selbst wenn man aber einmal annehme, der Reeder könne der Ver-
antwortung nicht entgehen, so sei doch in dem Chartervertrag Wla-
diwostok klar als Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden Schiffes
angegeben und, wenn daneben in den Konnossementen und den La-
dungsverzeichnissen ein falscher Bestimmungsort eingetragen sei, so
hätte man doch damit den Plan, der Aufbringung zu entgehen, nicht zur
Durchführung bringen können. Man könne daher nicht sagen, daß das
zur Verhandlung stehende Schiff sich betrügerischen Vergehens schuldig
gemacht habe.
2. Die zur Verhandlung stehenden Güter seien keine absolute
Konterbande. Daher könnten sie, nur wenn sie zum Kriegsgebrauch des
Feindes bestimmt seien, als Kriegskonterbande angesehen werden. Das
Gericht erster Instanz habe indes angenommen, daß
die Ladung, weil sie nach Wladiwostok, dem Hauptflotten-
stützpunkt Rußlands bestimmt gewesen sei, Konterbande sei.
Aber da Wladiwostok sowohl der einzige Handels- als Kriegshafen Ruß-
lands im Osten sei, so müsse in einem Falle, wo Güter nach einem
solchen Hafen befördert würden, welche sowohl zu friedlichem als
kriegerischem Gebrauch dienten, nach der Präcedenzentscheidung des
„Neptun us"-Falls aus dem englisch-holländischen Kriege vom Jahre 1798
angenommen werden, daß die Güter nach dem Handelshafen Wla-
diwostok befördert und zu friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen seien.
Dies entspreche den völkerrechtlichen Bestimmungen und Gebräuchen.
Es werde daher Freigabe des zur Verhandlung stehenden Dampfers
beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro, sind folgende :
Die völkerrechtliche Wissenschaft und Praxis stimme darin überein,
daß im Falle, daß ein neutrales Schiff Kriegskonterbande befördere, eine
kriegführende Macht das Schiff beschlagnahmen, die Kriegskonterbande-
güter und die dem Eigentümer dieser Konterbande gehörigen Güter
einziehen und diese Strafe der Einziehung auch auf das Schiff erstrecken
könne, wenn dasselbe mit gefälschten Schiffspapieren versehen sei oder
einen falschen Bestimmungsort vorgebe, oder Eigentümer von Schiff
und Ladung derselbe sei.
Der Absender des größten Teils der zur Verhandlung stehenden
Ladung sei die Firma Jebsen & Co., welche erwiesenermaßen in Ge-
573
Abschnitt VI 30a Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry''..
meinschaft mit dem Kapitän die Konnossemente und das Ladungs-
verzeichnis fälschlich auf Hakodate als Bestimmungsort ausgestellt hätten^
um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen. Dies sei
Betrug von der schwersten Art.
Was die Handlungen des Kapitäns anginge, so sei es natürliches.
Rechtsprinzip, daß den Reeder die Verantwortung dafür treffe. Da im
vorliegenden Falle die Handlung des Kapitäns geschehen sei, um der
Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen, so habe sie dea
Vorteil des Reeders bezweckt, und es sei selbstverständlich, daß der
Reeder der Verantwortung hierfür nicht mit der Begründung sich ent-
ziehen könne, er habe hierzu keinen besonderen Befehl erteilt.
Ferner sei das gegenwärtige Wladiwostok von Amsterdam zur Zeit
des englisch-holländischen Krieges durchaus verschieden, und seit dem
japanisch-russischen Krieg, besonders seit dem Fall von Port Arthur, sei
Wladiwostok tatsächlich kein Handelshafen.
Der Kapitän habe ausgesagt, daß er gewußt habe, daß Wladiwostok
zurzeit die wichtigste Flottenbasis für die Armee und Marine sei. Ferner
habe der Charterer, die Firma Jebsen & Co., schon früher in dem
Fall des „Veteran"*) versucht, die Blockade von Port Arthur zu brechen.
Daher sei es offenbar, daß auch diesmal ein Kriegskonterbandetransport
zum Zwecke großen Gewinns unternommen gewesen sei.
Die Entscheidung erster Instanz auf Einziehung des zur Ver-
handlung stehenden Dampfers sei daher zutreffend, und die Berufung
müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Da der Bestimmungshafen des zur Verhandlung stehenden
Schiffes Wladiwostok ist, so ist es klar, daß die unter der Ladung be-
findlichen Waffen und Materialien für Bau und Ausrüstung von Kriegs-
schiffen Kriegskonterbande sind. ^)
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt für seine
Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in ausgedehntem
Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegsbedarfsartikel
aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach dort hat fast
ganz aufgehört. Daher müssen auch die unter der Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes befindlichen Lebensmittel, Getränke und
Eisenbahnbaumaterialien als für den russischen Kriegsgebrauch bestimmt
und demgemäß als Konterbande angesehen werden, ß)
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung
betreffend den „Neptun us" auch in diesem Fall angenommen werden,
daß die Ladung für friedliche Zwecke bestimmt gewesen sei. Wie aber
oben angegeben, befindet sich unter der Ladung absolute Konterbande^
♦) VI. 24a und b. — '^) 11. Ziffer I. — «) 11. Ziffer 2.
574
Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry". Abschnitt Vl^^
und auch wenn man die bedingte Konterbande ins Auge faßt, so sind
docli die Verhältnisse des Bestimmungsorts im vorliegenden und im „Nep-
tunus"-Fall so verschieden, daß dieser Fall nicht als Präcedenz geltend
gemacht werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. ^) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird, besonders im vorliegenden
Fall, wo, obwohl es schon bei der Abfahrt von Shanghai bestimmt war,
daß das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, in den Konnossementen
und im Ladungsverzeichnis der falsche Bestimmungsort Hakodate an-
gegeben war; wo also Konterbandetransport unter Anwendung be-
trügerischer Mittel vorliegt.®)
Nach dem in den Punkten 1 und 2 Ausgeführten ist die Ent-
scheidung erster Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes durchaus gerechtfertigt und die Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Harry Ratcliff Shotton, Kapitän des
Dampfers „Bawtry" aus England, South Shields, lorante Terrace Nr. 13,
als Vertreter
des Österreich - ungarischen Staatsangehörigen Hermann Ko-
britz in Shanghai, China,
der deutschen Firma Diederichsen, Jebsen & Co. in Kiau-
tschou, China, und
der Firma Siemssen &Co. in Kiautschou, China,
die deutsche Firma Sietas, Plambeck & Co. in Kiautschou, China.
ProzeBvertreter der beiden Reklamanten: Rechtsanwalt
Akiyama Genzo, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend Ladung des engh'schen Dampfers
„Bawtry" wird, wie folgt, entschieden :
') Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82 bis 85.
0 V. § 44.
575
Abschnitt Vl^ok Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry^
U r t e i 1 s f o rm e 1 :
Die auf dem Dampfer ,,Bawtry" verschifften, in dem beigefügten
Verzeichnis aufgeführten Güter werden sämtlich eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist in Hongkong und
Kiautschou, China, von dem englischen Dampfer „Bawtry" geladen
worden. Am 14. Januar 1905 fuhr sie von Kiautschou ab, um nach
Wladiwostok in Rußland befördert zu werden. Als am 17. d. Mts., 1 Uhr
15 Minuten nachmittags die „Bawtry" auf der See in 34 <> 58' nördlicher
Breite und 130 o 28' östlicher Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Tokiwa" aufgebracht wurde, wurde auch die Ladung mit beschlag-
nahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants Tori-
zakiYasuzo,die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Bawtry",
Harry Ratcliff Shotton und des Supercargo Otto Meier, das
Schiffszertifikat 'des genannten Schiffes, das Deckjournal, den Charter-
vertrag, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung stehe im Eigentum der Re-
klamanten, sei im Dezember 1904 in Kiautschou, China, auf dem eng-
lischen Dampfer „Bawtry" verschifft und auf der Reise nach Wla-
diwostok zusammen mit dem Schiff von einem Kaiserlichen Kriegs-
schiff beschlagnahmt worden.
Unter dieser Ladung befänden sich Güter, welche keine Konter-
bande seien und solche, welche sowohl zu friedlichem als kriegerischem
Gebrauch dienen können. Die letzteren könnten aber als Kriegskonter-
bande nur dann angesehen werden, wenn Beweis vorhanden sei, daß
sie zum Gebrauch der feindlichen Truppen zu liefern gewesen wären.
In dem gegenwärtigen Falle lägen indes derartige Beweise nicht vor,
und die Güter seien nach Wladiwostok, welches die Eigenschaften eines
Handels- und eines Kriegshafens vereinige, bestimmt gewesen. Es ent-
spreche den Bestimmungen und der Praxis des Völkerrechts, wenn in
diesem Falle unter Anwendung des Entscheid ungsbeispiels über den
„Neptunus"-Fall aus dem englisch-holländischen Kriege vom Jahre 1796
angenommen würde, daß die Güter nach dem Handelshafen Wladiwostok
bestimmt nud für friedliche Zwecke zu liefern gewesen seien.
Es werde daher Freigabe der gesamten zur Verhandlung stehenden
Ladung beantragt. .
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
576
1
Prjsengerichtsentscheidungen: .Bawtry«. Abschnitt Visob
Da ein großer Teil der zur Verhandlung stehenden Ladung Kriegs-
konterbande und sein Bestimmungsort der russische Kriegshafen Wla-
diwostok sei, der Kapitän auch ausgesagt habe, ,daß der Empfänger dieser
Güter wohl die russisch-chinesische Bank sei, so sei es' offenbar, daß sie
für den Gebrauch der feindlichen Truppen hätten geliefert werden
sollen. Es sei daher unbestreitbar, daß sie eingezogen werden müßten.
Da ferner die unter der Ladung befindlichen Nichtkonterbande-
güter dem Eigentümer der Konterbandegüter gehörten, so seien sie
gleichfalls einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist durchaus richtig, wenn der Vertreter der Reklamation be-
hauptet, Wladiwostok sei ein russischer Hafen, der sich aus einem
Handels- und einem Kriegshafen zusammensetze. Seitdem aber der Krieg
zwischen Japan und Rußland ausgebrochen ist, bat der Verkehr der ge-
wöhnlichen Handelsschiffe dort gänzlich aufgehört, und es ist bekannt,
daß Wladiwostok ausschließlich zum Flottenstützpunkt der russischen
Marine geworden ist.
Die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter haben alle
zum Absender den Reklamanten, der Empfänger lautet „auf Order",
und ihre Bestimmung ist Wladiwostok. Unter diesen Gütern sind die
Nummern
19, 22, 46, 47, 52, 58, 64, 92, 93, 95 bis 97, 130, 139, 171, 177,
178, 216, 230, 234, 237, 245, 252, 253, 262, 274, 275, 287, 288,
292, 283, 318, 321 bis 323, 326, 345, 347, 349, 356, 362, 363,
368, 370, 394, 398, 409, 415, 499, 512, 534 bis 536, 546
Materialien zum Bau und zur Ausrüstung von Kriegs- und anderen
Schiffen ; i)
die Nummern 264, 555,
Waffen,!)
die Nummern 1, 13 bis 17, 24, 35, 39, 40, 110, 113 bis 115,
122, 127 bis 129, 131, 134, 135, 231, 235, 258, 426, 428, 429,
511, 551
Lebensmittel und Getränke; 2)
die Nummern 2 bis 10
Eisenbahnmaterialien ; 2)
die Nummern 309, 338, 412
Pferdegeschirr ; «)
die Nummer 478
Telephonbaumaterial. *)
Da alle diese Güter nach einem feindlichen Kriegshafen bestimmt
waren und nach der Aussage des Kapitäns wahrscheinlich die russisch-
chinesische Bank der Empfänger war, so ist es als erwiesen zu erachten,
0 II. Ziffer 1. — «) II. Ziffer 2.
Mftrs trftnd-Meohlenbur ff, Das Japanische PriBenreoht. Band I. (37) Ol 7
Abschnitt VI Mb
Prisengerichtsentscheidungen : ,Bawtry'.
daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten. Sie
sind daher mit Recht als Konterbande einzuziehen. ^)
Die übrigen Güter sind freilich keine Konterbande, Sie können aber,
da sie alle den Eigentümern der vorbezeichneten Konterbande gehören,
der Einziehung nicht entgehen.*)
Der Vertreter der Reklamation macht geltend, daß die Präcedenz-
entscheidung des ,,Neptunus''-Falls auf den vorliegenden Fall anzu-
wenden sei; diese Behauptung ist aber unbegründet, da die Ver-
hältnisse des heutigen Wladiwostok und des damaligen Amsterdam
ganz verschieden sind.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Verzeichnis der auf dem Dampfer „Bawtry verschifften Gfiter.
(Hier folgt im japanischen Original zunächst das Verzeichnis, welches
dem Urteil, betreffend die Reklamation von Hermann Kobritz (VI 30 d), sodann
das Verzeichnis, welches dem Urteil, betreffend die Reklamation der Fimia
Diederichsen, Jebsen & Co., vertreten durch August Müller (VI 30 c), beigefügt
ist. Daran schließt sich das Folgende an.)
Nr.
der Bekannt-
maohun^
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
550
Roheisen
29 Bund
551
Schokolade ....
5 Kisten
552
Ausschnittwaren . . .
1 Kiste
553
Gelbmetallliugeln . .
!• .
554
Weißblech
1 .
555
Gewehre
1 .
135
Zucker
297 Sack
Siemssen
Order
136
Streichhölzer ....
185 Kisten
n
I»
137
» ....
5 .
n
«
138
n ....
10 ,
»
ft
139
Eisendraht
10 Faß
»
»
140
Watteabfälle ....
16 Kolli
»
»
215
Eisenwaren ....
43.1. - *) V. § 43,2.
6 Kisten
Sietas,Plam-
beck & Co.
»
•) V. §
578
Prisengerichtsentscheidungen : .Bawtry ' .
Abschnitt VI »Ob
Nr. der
Bekannt-
maohuDff
Art der Güter
Zahl
der Stacke
Absender
Emp-
pfänger
216
Eisennetz
10 Rollen
Sietas, Plam-
beck & Co.
Order
218
Eiserne Träger . . .
409 Stück
n
n
219
Eisenwaren . .
. .
3 Kisten
n
n
220
» • •
, ,
4 Kolli
y»
n
221
Kupferröhren . .
.
1 Kiste
n
n
222
Wagenfedern . .
,
2 Kisten
n
n
223
Eisenwaren . ,
•
4 Kolli u.
6 Faß
n
n
224
Warenmuster .
,
2 Kisten
n
n
225
Palmöl . . .
4 .
n
n
226
Eisenwaren .
,
1 Kiste
n
r*
227
Gelbmetallwaren
.
2 Faß
»
1»
228
Treibriemen .
.
1 Kiste
n
f»
229
Stahltrossen .
,
15 Rollen
n
f»
230
Schiffsgerät .
.
2 Faß
n
n
231
Branntwein
,
20 Kisten
n
n
232
Feilen . . .
, ,
5 .
n
n
233
Treibriemen .
, ,
1 Kiste
n
f>
234
Gelbmetall und
Kupfe
r-
,
blech. . .
, ,
2 Kisten
m
1»
235
Speisesalz . .
, ,
1902 Sack
n
n
236
Eisenstäbe . .
.
1286 Stück u.
335 Bündel
n
n
237
Gelbmetallröhren
•
1 Kiste
n
»
Reklamanten: Harry Ratcliff Shotton, Kapitän des
Dampfers „Bawtry" aus England, South Shields, lorante Terrace Nr. 13,
als Vertreter
des Österreich - ungarischen Staatsangehörigen Hermann Ko-
britz in Shanghai, China.
der deutschen Firma Diederichsen, Jebsen & Co. in Kiau-
tschou, China,
und der Firma Siemssen & Co. in Kiautschou, China;
die deutsche Firma Sietas, Plambeck & Co. in Kiautschou, China.
Prozeßvertreter der beiden Reklamanten: Rechtsanwalt
Akiyama Genzo, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 76.
Am 10. Juli 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Bawtry", welcher
am 17. Januar 1905 auf 34« 58' nördlicher Breite und 130 o 28' öst-
licher Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung sämtlicher
in dem dem Urteil beigefügten Verzeichnis aufgeführten, auf dem
Dampfer „Bawtry" verschifften Güter erkannt worden ist.
(37*)
579
Abschnitt Vl^ob Prisengerichtsentscheidungen: .Bawtry'
Gegen dieses Urteil haben Harry Ratcliff Shotton als Ver-
treter der Reklamanten Hermann Kobritz, Diederichsen,
Jebsen & Co. und Siemssen & Co. sowie die Reklamanten Sie-
tas, Plambeck & Co. durch den Rechtsanwalt Akiyama Qenzo
als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein des Staats-
anwalts Dr. jur. IshiwatariBinichi beim Oberprisengericht geprüft"
worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, Aki-
yama Oenzo, und deren Begründung sind folgende :
1. Das Gericht habe entschieden,
da die zur Verhandlung stehenden Güter alle nach einem
feindlichen Kriegshafen bestimmt gewesen seien, und nach
der Aussage des Kapitäns wahrscheinlich die russisch-chine-
sische Bank der Empfänger gewesen sei, so sei es als erwiesen
zu erachten, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch hätten
geliefert werden sollen. Sie seien daher mit Recht als Kriegs-
konterbande einzuziehen.
Die übrigen Güter seien freilich keine Konterbande. Sie
könnten aber, da sie alle dem'Eigentümer der vorbezeichneten
Konterbande gehörten, der Einziehung nicht entgehen.
Die von dem Gericht erster Instanz als Konterbande eingezogenen
Güter seien alle nur im Falle, daß sie zum Kriegsgebrauch geliefert
würden, Konterbande. Da diese Güter sogenannte bedingte Konter-
bande^ seien, so könnten sie nicht ohne weiteres mit der Begründung,
daß sie nach dem russischen Kriegshafen "Wladiwostok bestimmt gewesen
seien, als Kriegsbedarfsartikel angesehen werden. Denn da Wladiwostok
von jeher neben seiner Eigenschaft als einziger Kriegshafen Rußlands
auch die seines einzigen Handelshafens im Osten besessen habe, so
entspreche es den völkerrechtlichen Bestimmungen, daß Güter, welche
dorthin befördert würden, wenn sie wie die zur Verhandlung stehenden
ihrer Art nach nicht nur zum Kriegsgebrauch, sondern auch allgemein
zum Handels- und Industriebetrieb dienten, nach der Präcedenz in
dem „Neptun us''-Falle als nach dem Handelshafen Wladiwostok und
zu friedlichem Gebrauch bestimmt angesehen würden.
2. Das Urteil erster Instanz besage, daß die Verhältnisse des
jetzigen Wladiwostok und des damaligen Amsterdam verschieden seien.
Wladiwostok sei aber zur Zeit der Beförderung der zur Verhandlung
stehenden Güter noch wie früher ein Handelsplatz gewesen, in dem
Handel- und Gewerbetreibende aller Länder ihre Niederlassungen ge-
öffnet gehabt und ihre Geschäfte betrieben hätten. Wenn man das
erwäge, so sei, wenn Wladiwostok in seiner Lage und in dem Grade
seiner Entwicklung von Amsterdam verschieden sei, doch in der Eigen-
schaft als Handelsplatz kein Unterschied vorhanden. Demnach sei die
580
Piisengerichtsentscheidungen: .Bawtry*. Abschnitt VI»*«
Entscheidung, daß das .Urteilsbeispiel der „Neptunus" auf den vor-
liegenden Fall keine Anwendung finden könne, unzutreffend.
Wenn ferner auch der Kapitän ausgesagt habe, daß der Empfänger
der zur Verhandlung stehenden Güter wohl die russisch-chinesische
Bank sei, so genüge das doch nicht, um darauf die Vermutung zu
gründen, daß die Güter zum Kriegsgebrauch hätten geliefert werden
sollen. Da die Banken' Organe zur Vermittlung des Geldumlaufs
in Handelskreisen seien, so seien sie zeitweilig Besitzer der Handels-
viaren oder, wenn sie einen Frachtwechsel negociierten, Empfänger der-
selben. Es sei daher falsch, aus den Aussagen des Kapitäns, daß die
russisch-chinesische Bank wohl der Empfänger sei, darauf schließen
zu wollen, in welcher Weise die Güter verbraucht werden sollten.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Freigabe der gesamten zur Verhandlung stehenden Ladung be-
antragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rok uro, sind folgende:
Unter der zur Verhandlung stehenden Ladung befänden sich über
50 Positionen absoluter Kriegskonterbande, nämlich Material zum Bau
und zur Ausrüstung von Kriegsschiffen, und zwei Positionen Waffen.
Außerdem seien in der Mehrzahl vorhanden Güter wie Lebensmittel,
Telegraphen-, Telephon- und Eisenbahnmaterialien, welche im Falle,
daß man annehmen könne, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollten, als Kriegskonterbande gelten müßten.
Die Materialien zum Bau von Kriegsschiffen und die Waffen
könnten schon lediglich daraufhin, daß sie nach dem feindlichen Wladi-
wostok bestimmt seien, als Kriegskonterbande eingezogen werden.
Die übrigen Güter seien freilich sogenannte bedingte Konterbande,
aber die Verhältnisse des gegenwärtigen Wladiwostok könnten, wie
im Urteil erster Instanz dargetan, nicht mit denen von Amsterdam
während des englisch-holländischen Krieges im Jahre 1798 für gleich
erklärt werden.
Der Reklamant behaupte,
Wladiwostok sei zu der fraglichen Zeit immer noch ein
Handelsplatz gewesen wie früher. Handel- und Gewerbe-
treibende hätten ihre Niederlassungen geöffnet gehabt und
alle blühende Geschäfte betrieben.
Dies sei in Wirklichkeit eine völlig unbegründete Behauptung, die nicht
anerkannt werden könne. Denn der genannte Hafen sei vielmehr seit
dem japanisch-russischen Kriege, und insbesondere seit dem Fall von
Port Arthur, d. h. seit Januar dieses Jahres, Rußlands einzige F.tappen-
basis im Osten gewesen, welche sein Heer und seine Marine auf dem
581
Abschnitt VI»* Prisengerichtsentscheidungen: .Bawtry'.
Seewege hätten erreichen können. Es sei ei^e nicht zu verbergende
Tatsache, daß von gewöhnlichen Handelsschiffen auch nicht ein ein-
ziges dort verkehrt habe. Daher könne der „Neptunus"-Fall, wie auch
das Urteil erster Instanz angenommen habe, nicht als ein auf diesen
Fall passendes Beispiel angesehen werden.
Der Reklamant behaupte ferner,
die russisch-chinesische Bank sei wie eine gewöhnliche Bank
ein Organ zur Vermittlung des Oeldverkehrs für rein kauf-
männische Kreise.
Das sei indes eine Behauptung, welche den wahren Charakter der
genannten Bank nicht klarstelle. Im Jahre 1896 habe Rußland unter
dem Vorwande der Vermittlung der Rückgabe der Liaotung-Halbinsel
mit China den Cassini- Vertrag abgeschlossen und 12 Artikel über die
Eisenbahn festgestellt. In dem Artikel 10 sei bestimmt worden, daß
Port Arthur, Dalni und das benachbarte Gebiet, welche von großer
militärischer Wichtigkeit seien, zu einem einheitlichen Kriegshafengebiet
gemacht werden sollten. Da dieser Vertrag ein Geheimvertrag zwischen
Rußland und China gewesen sei, sp habe man Verhandlungen er-
öffnet, in welchen dem Anscheine nach Rußland China mit der Be-
gründung, daß der Bau der vorher bestimmten Bahnlinie der sibirischen
Eisenbahn gefährdet sei, zu bestimmen versucht habe, diese Bahn durch
die Mandschurei legen zu lassen. Am 27. August russisclien Stils sei
der Welt vorgemacht worden, daß zwischen China und der russisch-
chinesischen Bank ein Vertrag abgeschlossen worden sei, in welchem
dieser der Bau und der Betrieb der mandschurischen Eisenbahn kon-
zessioniert w^orden sei.
In der Folge habe die russisch-chinesische Bank, angeblich auf
Grund dieses Vertrages, einen Entwurf eines Eisenbahnreglements unter
dem Namen „Reglement der ostchinesischen Eisenbahngesellschaft" der
russischen Regierung eingereicht, welcher die Kaiserliche Genehmigung
erhalten habe. Seitdem sei es nicht mehr verborgen worden, daß die
sogenannte ostchinesische Eisenbahngesellschaft ein Organ für das Nach-
richtenwesen zu Wasser und zu Lande und für militärische Zwecke
sei, mittels dessen Rußland die Besetzung Port Arthurs und Dalnis
ausgeführt und auch die Mandschurei mit übergeschluckt habe. Die
russisch-chinesische Bank sei daher in Wirklichkeit eine russische Be-
hörde, und man müsse annehmen, daß die zur Verhandlung stehenden
Güter, deren Empfänger die russisch-chinesische Bank sei, für die russi-
schen Behörden bestimmt gewesen seien. Dies um so mehr, als bei den
gegenwärtigen Verhältnissen Wladiwostoks anzunehmen sei, daß Güter,
wie die in Frage stehenden, zum Kriegsgebrauch für Armee und Marine
dienen sollten.
Aus diesen Gründen sei die Berufung zu verwerfen.
582
Prisengerichtsentscheidungen: ,Bawtry'. Abschnitt VI^^
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Da der Bestimmungsort des Schiffes Wladiwostok ist, so ist
es klar, daß die unter der Ladung befindlichen Waffen und Materialien
für Bau und Ausrüstung von Kriegsschiffen Kriegskonterbande sind.
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen ist.
Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt für seine
Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat 'dort in ausgedehntem
Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegsbedarfsartikel
aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach dort hat fast
ganz aufgeliört. Daher müssen auch die unter der zur Verhandlung
stehenden Ladung befindlichen Lebensmittel, Getränke, Eisenbajin- und
Telephonbaumaterialien sowie Pferdegeschirr als für den russischen
Kriegsgebrauch bestimmt angesehen werden, und es ist außer Zweifel,
daß sie nach den Bestimmungen und der Praxis des Völkerrechts Kriegs-
konterbande sind.
Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin ein-
gezogen werden kann. Der von dem Reklamanten geltend gemachte
Verkauf ist nur ausgeführt worden, wo besondere vertragliche Ab-
machungen vorlagen. Im übrigen findet er sich in Theorie und Praxis
nur vereinzelt. Keinenfalls kann er jedoch als völkerrechtliche Regel
anerkannt werden.
Unter den zur Verhandlung stehenden Gütern befinden sich freilich
solche, die nicht zur Kriegskonterbande gehören, da sie aber Ladung
des Eigentümers der Konterbande auf demselben Schiff sind, so erkennt
<Ias Völkerrecht an, daß sie mit dieser zusammen eingezogen werden
können, und das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den Ver-
hältnissen gerecht wird.
Da aus den obigen Gründen das Urteil erster Instanz auf Ein-
ziehung der zur Verhandlung stehenden Güter durchaus zutreffend
ist, so erübrigt es sich, auf die einzelnen Berufungspunkte noch be-
sonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: August Müller, deutscher Reichsangehöriger,
Prokurist der Firma Diederichsen, Jebsen & Co. in Shanghai,
•China.
Prozeßvertreter : Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi,
Nagasakiken, Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
583
Abschnitt VI30e Prisengerichtsentscheidungen: .Bawtry*.
In der Prisensache betreffend die Ladung an Bord des britischen
Dampfers „Bawtry'' wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten, auf dem Dampfer
„Bawtry'' verschifften Güter werden sämtlich eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, welche in Kiautschou in
China auf dem Dampfer „Bawtry'' verladen waren und am 14. Januar
1905 den genannten Hafen mit Bestimmung nach Wladiwostok ver-
ließen, wurden am 17. Januar, 1 Uhr 15 Minuten nachmittags, auf offener
See in 34 ^ 58 ' nördlicher Breite und 130 ^ 28 ' östlicher Länge zusammen
mit dem genannten Dampfer, welcher unter dem Verdacht stand, Kriegs-
konterbande zu führen, von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff
„Tokiwa" aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa'', Kapitänleutnants Tori-
zakiYasuzo,die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Bawtry",
Harry Ratcliff Shotton, und des Supercargo Otto Meier,
das Schiffszertifikat des genannten Schiffes, dasiDeckjournal, den Charter-
vertrag, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Rekla-
mation sind folgende:
1. Die meisten Stücke der zur Verhandlung stehenden Güter
seien solche, welche nur in Friedenszeiten gebraucht würden und seien
keine Kriegskonterbande. Wenn auch einige Güter vorhanden seien,
welche indirekt für Kriegszwecke verwendbar seien, also sogenannte
relative Kriegskonterbande, so diene doch keins von ihnen direkt für
Kriegszwecke und keins sei demnach sogenannte absolute Kriegskonter-
bande. Nun hätten aber die Staaten des europäischen Kontinents bis
heute das Prinzip anerkannt, daß nur Güter, welche wirkliche Kriegs-
gebrauchsartikel darstellten, als Kriegskonterbande gälten, und daß die
sogenannten relativen Kriegskonterbandegüter nicht unter dieselbe zu
rechnen seien. Dies Prinzip sei zur Durchführung gekommen in dem
dänischen Krieg von 1866, dem deutsch-französischen Krieg von 1870
und dem russisch-türkischen Krieg von 1877, und es sei heute eine
fest bestimmte Regel des Völkerrechts, von der nur das englische Prinzip
abweiche. Auch die Völkerrechtskonferenz zu Venedig im Jahre 1896
habe in ihrem Artikel 1 das Gebiet der Kriegskonterbandegüter strikt
auf die absolute Kriegskonterbande beschränkt und beschlossen, daß
die relative Kriegskonterbande auszuschließen sei. Der Reklamant sei
584
Piisengerichtsentscheidungen: .Bawtry". Abschnitt VI3o»
der Ansicht, daß diese Meinung von Gelehrten und Kongressen hin-
reichend gewichtig sei und beachtet werden müsse. In unserer Prisen-
ordnung i) sei allerdings im § 14 die relative Kriegskonterbande an-
erkannt, aber da die Verordnung nur eine für unsere Marineoffiziere
erlassene Instruktion sei, so habe sie nicht die Kraft einer völkerrecht-
lichen Regel. Daher könnten auch die unter der zur Verhandlung
stehenden Ladung befindlichen relativen Kriegskonterbandegüter nicht
eingezogen werden.
2. Selbst wenn man zugebe, daß auch relative Kriegskonterbande
eingezogen werden könne, so beschränke sich das doch lediglich auf
solche Fälle, wo es ausreichend bewiesen sei, daß diese Güter für
den Gebrauch von Heer oder Marine des Feindes bestimmt seien.
Für die zur Verhandlung stehenden Güter sei aber auch nicht die ge-
ringste Spur eines solchen Beweises vorhanden, und lediglich aus der
Tatsache, daß Wladiwostok feindliches Gebiet sei, eine derartige Ver-
mutung abzuleiten und auf Grund dieser die Bestimmung der Güter
für den Kriegsgebrauch als erwiesen zu erachten, sei ungerechtfertigt.
3. Da die Güter neutral seien, so unterlägen sie nicht der Weg-
nahme. Selbst aber angenommen, sie seien feindliche Güter, so müßten
sie nach Artikel 3 der Pariser Deklaration, weil sie nicht Konterbande
seien, freigelassen werden.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freilassung
der Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die unter der zur Verhandlung stehenden Ladung befindlichen
Lebensmittel, Getränke, Eisenbahnbaumaterialien, Schiffsbau- und Aus-
rüstungsgegenstände seien, weil sie nach Wladiwostok, dem Hauptstütz-
punkt der feindlichen Streitmacht, verschifft seien, und es nach Aus-
sage des Kapitäns außer Zweifel stehe, daß der Empfänger der Ladung
die russisch-chinesische Bank sei, für den Kriegsgebrauch des Feindes
bestimmt und folglich Kriegskonterbande. Daher seien sie einzuziehen.
Was ferner die unter der Ladung befindlichen Güter angehe, die nicht
Kriegskonterbande seien, so müßten sie, weil der Eigentümer der Kriegs-
konterbandegüter gehörig, mit diesen zusammen eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
In den von der Kaiserlichen Regierung erlassenen und veröffent-
lichten Verordnungen des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre 1904 2)
und Nr. 1 vom Jahre 1905 3) ist ganz klar bezeichnet, welche Güter
während des japanisch-russischen Krieges als Kriegskonterbandc be-
handelt werden sollen. Der Prozeßvertreter behauptet unter Anführung
einiger kontinentaler europäischer Präcedenzen und Meinungen von
Gelehrten, daß der Begriff der Kriegskonterbande sich lediglich auf
\) V. — 2) II. — 3) III.
585
Abschnitt VI30e Prisengerichtsentscheidungen: »Bawtry*.
direkt zum Kriegsgebrauch bestimmte Güter beschränke. Es ist aber
nach englischen und amerikanischen Beispielen sowie wissenschaftlichen
Ansichten des europäischen Kontinents ebenso klar, daß diese die
Eigenschaft von Gütern als Kriegskonterbande nicht unbedingt danach
begrenzen, ob sie direkt zum Kriegsgebrauch dienen oder nicht. Da
der Standpunkt darin, welche Güter unter die Kriegskonterbande fallen,
dergestalt in den verschiedenen Staaten variiert, so kann der Behauptung
des Prozeßvertreters nicht beigepfHchtet werden.
Was die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter an-
geht, so sind dieselben von dem Verschiffer, nämlich den Reklamanten,
an „Order'' nach Wladiwostok verschifft worden.
Unter diesen Gütern sind :
No. 46, 47, 52, 64, 92, 93, 130, 171, 177, 178, 262, 274, 275,
287, 288, 292, 293, 318, 321 bis 323, 326, 345, 347, 349,
356, 362, 363, 368, 375, 394, 398, 405, 415, 499, 512, 534 bis
536, 546
Schiffbau- und Ausrüstungsmaterialien,*)
264
Waffen, *)
35, 40, 114, 115, 131, 258, 425, 426, 428, 429, 511
Lebensmittel und Getränke, 0)
309, 338, 412
Pferdegeschirr. ^)
Da der Bestimmungshafen dieser Güter Wladiwostok, der einzige
Kriegshafen Rußlands im fernen Osten ist, und da nach Aussage des
Kapitäns der Empfänger wahrscheinlich die russisch-chinesische Bank ist,
es demnach klar ist, daß dieselben für den Kriegsgebrauch des Feindes
bestimmt gewesen sind, so müssen dieselben als Kriegskonterbande an-
gesehen werden.
Was die übrigen Güter angeht, so sind sie zwar keine Kriegskonter-
bande, sie gehören aber alle dem Eigentümer der oben angeführten
Kriegskonterbande. Daher sind die zur Verhandlung stehenden Güter,
weil sie Kriegskonterbande sind, beziehungsweise demselben Eigentümer
gehören, einzuziehen. ^)
Die übrigen Ausführungen des Vertreters der Reklamation bedürfen
keiner Erörterung.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
*) II. Ziffer 1. — *) II. Ziffer 2. — «) V. § 43.
586
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry " .
Verzeichnis der auf dem Dampft:
Abschnitt VI »•
ifflen 0 (er.
Nr. der
Bekannt-
maohunff
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
56
57
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
Art der Gjter
Kleidung
Holzgeräte .
Hüte. . .
Tuch
Emaille\/aren
Gewe::. .
Wasserdichtes
Webstoff .
Schreibfedern
Webstoff .
Saucen . .
Baurowolltuch
Emaillewaren
Webstoff .
Kognak . .
Benediktiner
Hanftuch .
Emaillewaren
Seidentuch .
Wasserdichte Stoffe
Papier .
Schrauben
Soda . . .
Salzsäure .
Salpetersäure
Hanf. . .
Holzschrauben
Eisenstangen
Fensterglas
Dachrinnen
Eisenschrauben
Spaten . .
Wagen . .
Fahrradteile
Emaillewaren
Metallwaren
Bögeleisen .
Möbel . .
Spaten . .
Gummi und Pinsel
Maschinen .
Films . .
Lichtempfdl. Papier
Maschinen . . .
der ^.K'Lti "
Kisie
2
1
1
6
1
i
1
1
1
4
1
7
1
96
49
1
27
1
1
20
3
3
1
5
1
8
4
474
207
1
3
2
7
3
10
3
1
3
2
2
12
3
1
5
Kib.^-:
t. .toi ^
II
Kisten
Kiste
Faß
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Ballen
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Ballen
Kisten
Stück
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
^.^
A j '.ndcr
Emp-
fänger
V ..cerichsen,
, ,. sen & Co.
:i Kiautschou
Order
w
n
ft
n
n
n
n
»
n
n
fi
1»
n
m
m
m
f»
»
}i
w
n
N
»
n
n
1»
»
f»
n
n
II
II
f»
11
II
1«
n
II
n
II
1»
»
n
m
587
Abschnitt VI30o
Prisengerichtsentscheidungen : .Bawtry*»
Nr. der
Bekannt-
machung
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
78
Maschinen ....
16 Kfsten
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
79
n
16 .
80
Klosetts
2 ,
81
Chlorkalk
1 Kiste
82
Eisenrinnen ....
2 Kisten
83
Baumwolltuch . . .
2 .
84
Delfter Porzellan . .
2 ,
85
Sonnenschirme . . .
3 „
86
Baumwollzeug . . .
2 .
87
Schmirgelleinen . . .
2 .
88
Glas
1 Kiste
89
Wollgewebe ....
1 ,
90
n ....
1 n
91
Gewebe
1 ,
92
Eisenschrauben . . .
3 Kisten
93
n ...
6 .
94
Baumwollzeug . . .
1 Kiste
114
Eingemacht. Rindfleisch
486 Kisten
115
Champagner ....
497 ,
116
Tafelmesser ....
1 Kiste
117
Bügeleisen
2 Kisten
118
Bürsten
1 Kiste
119
Nähmaschinen . . .
7 Kisten
120
Kolfosmatten ....
1 Ballen
121
Öfen und Zubehör . .
2 Kisten
130
Drahtstifte
353 „
131
Salz
777 Sack
132
Kleidungsartikel . . .
1 Kiste
133
Zigarren
1 .
141
Fleischhackmaschinen .
2 Kisten
142
Bestandteile von Kinder-
wagen
3 ,
143
Nähmaschinen . . .
45 ,
144
Sprungfedern ....
14 Ballen
145
Sägen
1 Kiste
146
Fleischhackmaschinen .
6 Kisten
147
Hufeisennägel . . .
24 .
148
Bügeleisen
2 .
149
Kinderwagen ....
6 .
150
Metallgeschirr. . . .
3 ,
151
Messerwaren ....
1 Kiste
152
Messingteile ....
1 ,
153
Nähmaschinen . . .
9 Kisten
154
Schaufeln
23 ,
155
Nähmaschinen . . .
30 ,
156
Bratpfannen ....
1 Kiste
588
Prisengerichtsentscheidungen : ,Bawtry " .
Abschnitt VI»«
Nr. der
Bekanni-
xnaohQng'
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
Metallwaren
Schaufeln
Nähnadeln
Schaufeln
Nähmaschinen . . .
Mafistabe
Schaufeln
Eisenwaren . . . .
Kinderwagen . . . .
Sägen
Kurzwaren
Bandmaße . . . . .
Eisendraht
Petroleumkocher . . .
Eisenwaren
ji , . . . .
y, ■ ■ . . •
Hufeisen
Eisennägel
Schrauben
Kinderwagen . . . .
Sandpapier
Schmirgelleinen . . .
Schraubstöcke . . .
Eisenwaren . . . .
Sägen
Eisenwaren . . . .
Ambosse
Hammer
Eisenwaren . . . .
Feilen
Eisenwaren . . . .
Hufeisennägel . . .
Fleischhackmaschinen .
Wagen
Sägen
Bandmaße
Maßstäbe
Fleischhackmaschinen .
Sprungfedern . . . .
Bandmaße und Wasser-
wagen
1 Kiste
1
34
100
18
20
1
78
1
1
2
4
1
1
5
.4
1
1
1
1
1
1
1
2
1
35
1
5
2
20
5
4
2
1
12
5
9
5
6
1
1
2
3
Bund
Kisten
Bund
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Faß
Kiste
Kisten
Ballen
Stück
Kiste
Kisten
Stück
Kisten
Faß
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
1 Kiste
1 .
589
Abschnitt VI300
Prisengerichtsentscheidungen: .Bawtry'
Nr. der
Bekannt-
xnaohung
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
202
Äxte
20 Kisten
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautscliou
Order
203
Bügeleisen
8 „
204
Emaillewaren . . .
1 Kiste
1»
205
Säeen
1 ,
206
wru^wa* • • • • ■
Nähmaschinen . .
50 Kisten
n
207
n ■
46 ,
n
.
208
Näeel
1 Kiste
209
* ^**ö • • • • •
Kopierpressen . ,
1 .
n
210
Öfen und Kacheln .
2 Kisten
n
n-
211
Äxte
100 .
2 ,
10 .
n
m
n
212
Sensen
n
213
Emaillewaren . .
214
Kaufmannsgüter . .
1 Kiste
»
ft-
258
Stärke
3 Kisten
159 .
n
259
Tonplatten ....
»
260
Emaillegeschirr .
10 .
261
n
18 .
1»
»•
262
Verz. eiserne Nägel
16 .
1»
n
263
Eisenwaren . .
3 .
n
!»•
264
Ladeapparate . .
1 Kiste
m
»■
265
Eisenwaren . .
1 .
n
»
266
Papierwäsche . .
1 ,
n
n
267
1»
1 .
n
n
268
Metallwaren .. .
1 .
n
n
269
n ...
1 Kollo
n
n-
270
Baumwollwaren . .
1 Kiste
n
n-
271
Schuhe ....
8 Kisten
1 Kiste
n
272
Stahlfedern . . .
1»"
273
Wollwirkwaren .
1 ,
n
1»
274
Verz. Nägel . .
20 Kisten
n
y»
275
Unterlegescheiben
13 Faß
n
1»
276
Eisenwaren . .
2 Kisten
n
1»
277
Schleifsteine . .
1 Kiste
n
n
278
Schleifsteingestelle
5 Kisten
n
yi
279
Schleifsteine . .
1 Kiste
n
n
280
Schleifsteingestelle
1 ,
• n
1»
281
Eisenwaren . .
7 Kisten
n
n
282
Wollwirkwaren
1 Kiste
1»
n
283
Herrenstiefel . .
1 .
n
n
284
Fensterglas . .
548 Kisten
n
n
285
Glasscheiben . .
7 .
n
n
286
Schleifsteine . .
450 Stück
n
n
287
Verz. eis. Nägel.
25 Faß
»
»
288
Unterlegescheiben
13 ,
}i
1»
289
Tischmesser u. Gabeln
1 Kiste
m
n
290
Eiserne Türangeln
4 Kisten
n
ji-
590
Prisengerichtsentscheidungen : , Bawtry ' .
Abschnitt VI30o
Nr. der
Bekannt-
maohancf
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
291
Landwirtschaftliche Ma-
Diederichsen,
Order
schinen
9 Verschl. u.
3 Stück
Jebsen & Co.
in Kiautschou
292
Verz. eis. Nägel. . .
25 Faß
11
293
Verzinkte eis.Unterlege-
scheiben . . ' . . .
8 Kisten
19
294
Verz. eis. Dachleisten .
10 Verschl.
11
295
Verz. eis. Dachrinnen .
3
11
296
Sensenringe ....
2 Sack
»»
297
Holzschuhleisten . . .
2 Kisten
11
298
Drahtfußmatten . . .
1 Kiste
11
299
Emaillegeschirr . . .
11 Kisten
11
300
Petroleumkocher . . .
2 „
11
301
Papier
3 „
11
302
Eis. Türangeln . . .
2 „
11
303
Verz. Waschbecken. .
7 Faß
11
304
Klosettanlagen . . .
13 „ .
11
305
Maschinenteile . . .
• 1 „
11
306
Petroleumöfen . . ,
3 Verschl.
19
307
Tonfliesen
27 Kisten
11
308
Nachüichte
1 Kiste
11
iy
309
Sporen, Steigbügel, Ge-
bisse und Ketten. .
1 »
11
310
Baumwollwaren . . .
1 ,,
11
311
Emaillegeschirr . . .
50 Kisten
11
312
Schuhe und Reklame-
tafeln
3 „
19
313
Gußeiserne Oberbalken-
türen, Chamottesteine
und Reinigungstflren
40 „
11
ir
314
Eiserne Tafelrpsten . .
12 „
11
315
Pflüge u.Reservescharen
18 „
11
11-
316
Emaillegeschirr . . .
5 „
11
317
Eis. Mutterscb rauben .
8 „
11
ir
318
Eiserne Nieten . . .
3 Faß
11
ir
319
Lackiertes eis. Draht-
gewebe
1 Kiste
11
ir
320
Verz. eis. Drahtgewebe
10 Rollen
11
321
Bandeisen
1595 Bund
11
322
Winkeleisen ....
196 „
11
323
f, ....
1408 ,
11
324
Stabeisen
3350 ,
11
325
fi .....
22819 Stück
11
326
Eisenwaren ....
1 Faß
11
327
Siebe
1 Kiste
11
328
Waschtische, Geschirre
und Eimer ....
2 Kisten
11
329
Eisen- u. Messingwaren,
Streichriemen usw. .
1 Kiste
11
591
Abschnitt VI»«
Prisengerichtsentscheidungen : .Bawtry '
Nr. der
Bekannt-
maohuDg
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
330
Metallwaren, Abzieh-
steine und Haar-
Diederichsen,
Jebsen & Co.
schneidemaschinen .
1 Kiste
in Kiautschou
Order
331
Handwerksgeräte, verz.
Eisenwaren ....
1 «
>i
332
Salmiak '.
1 Faß
1»
333
Salzsäure
1 Kiste
>>
334
Kupfervitriol in Kry-
stallen
1 .
>»
335
Sclileifsteine ....
29 Stück
>»
336 .
Pflüge
3 Kisten
>»
337
Bohrmaschinen . . .
2 n
it
338
Sporen, Steigbügel,
Trensen, Gebisse und
Ketten
1 Kiste
>»
339
Stählerne Steinkeile .
1 .
»
340
Eiserne Heugabeln . .
1 Faß
9}
341
Gußeiserne Hähne . .
1 Kiste
»
342
Wetzsteine
1 .
»
343
Eiserne Schrauben . .
2 Kisten
99
344
Trockene Farbe . . .
4 Faß
»
345
Eisendraht
16 Bund
n
346
Verzinkte eis. Träger .
1 Verschl.
)9
347
Schrauben
2 Kisten
99
348
Draht
7 Trossen
99
349
Segeltuch
5 Ballen
»
350
Eisenwaren ....
1 Kiste
J»
351
Hammer
1 n
»
352
Mützen und Muster .
1 .
>l
353
Gußeiserne Pumpen u.
Zubehör
5 Kisten
>)
354
Pumpenstangen nebst
Kolben
1 Kiste
»
355
Eiserne Scharniere . .
1 .
»>
356
Verz. Stacheldrahtseil .
8 Bund
»
357
Naphthalin
15 Faß
M
358
Bindfaden
1 Kiste
>»
359
Eis. Schraubenschlüssel
1 „
)}
360
Schleifsteine und Ge-
stelle
1 »
)f
361
Stählerne Spaten . .
5 Faß
»»
362
Flaschenzugblöcke . .
1 »
»>
363
Metallene Armaturen .
1 Kiste
99
364
Hobel mit Eisen . . .
1 „
91
365
Eisenwaren ....
3 Kisten
}}
366
Handwerksgerät . . .
3 „
»»
367
Eiserne Rechen . . .
1 Kiste
»
368
Weißblech
1 ,,
>>
369
Glaswaren, Laternen .
1 Faß
»
592
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry".
Abschnitt VI»«
Nr. der
Bekannt-
machung'
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
370
371
372
373
374
375
376
377
378
379
380
381
382
383
384
385
386
387
388
389
390
391
392
393
394
395
396
397
398
399
400
401
402
403
404
405
406
407
408
409
410
Eiserne Schrauben .
Eiserne Farbenmühlen
Äxte ....
Stiele für Beile
Petroleumkocher
Flachsschläuche
Gummischeiben
Glaspapier . .
Eisendraht . «
Eis. Garderobenleisten
Eisen- und Metallwaren
Eisen- u. Messingwaren
Sägen
Parfümerien . . . .
Parfümerien, Puder und
Kataloge . . . .
Creme, Puder u. Seife
Blech, Draht und Zink-
waren
Gummi arabicum . .
Dextrin
Faßhähne
Schlösser . . . . -
Plätteisen
Bettstellen
Tapeten
Eisendraht
Eiserne Ketten . . .
Ambosse
Nieten
Asbest- u. Gummiwaren
Wäsche
Apparate aus Holz und
Gußeisen . . . .
Lampengestelle . . .
Waschgamituren . . .
Klosetts u. Wassereimer
Waschtische u.Geschirre
Waschbecken, Spiegel
und Kasten
Stahlfedern .
Öfen ....
Weiße Karten.
Stahldraht . .
Messingdraht .
1 Kiste
1 „
28 Kisten
2 „
1 Kiste
1 „
1 „
2 Kisten
7 Bund
1 Kiste
1 „
1 „
2 Kisten
1 Kiste
1 „
1 „
6 Kisten
7 Faß
1 „
1 Kiste
3 Kisten
2 „
1 Kiste
22 Kisten
66 Bund
1 Faß und
3 Stücke
5 Stück
8 Faß
6 Kisten
1 Kiste
1 „
2 Kisten
1 Kiste
1 „
2 Kisten
1 Kiste
1 „
6 Verschlag
1 Kiste
37 Bund
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschon
Order
ifarstrand-Mechlenbursr, Das Japanische Prisenrecht. Band I. (38)
593
Abschnitt VI3««
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry".
Nr. der
Bekannt-
machungr
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
411
Papier
1 Kiste
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
412
Sporen, Steigbügel,
Trensen, Gebisse u.
Ketten
1 .
n
i>
413
Schreibpapier ....
1 n
n
»>
414
n ....
2 Kisten
1»
ft
415
Eisenwaren ....
1 Kiste
yt
*>
416
Laternen . . . . .
4 Kisten
n
»»
417
Badewannen u. Bürsten-
waren
1 Kiste
f»
»
418
Eisenwaren ....
5 Kisten
11
»
419
» ....
1 Faß
it
y>
420
Lampenwaren ....
2 Kisten
n
»
421
Hohlglas
1 Kiste
»
if
422
Emaillegeschirr a. Eisen
11 Kisten
»
i>
423
Petroleumöfen . . .
3 Verschlag
rt
ii
424
Wollwirkwaren . . .
1 Kiste
n
n
425
Stärke
5 Kisten
n
>»
426
Dosenhummer . . .
8 „
n
»
427
Kokosöl
10 Faß
»
i>
428
Sardinen
38 Kisten
n
"
429
Cognac
98 Kisten
n
91
430
Woll- und BaumwoU-
wirkwaren ....
1 Kiste
»
n
431
Zinkwaren
*■ >i
n
it
432
if .'....
^ >>
n
yy
433
Schwarzblech u. Zink-
waren
*■ »
n
»>
434
Schwarzblechwaren . .
*■ »
yy
»y
435
Schwarzblech, Zink-
waren und Weißblech-
laternen
A n
ly
>»•
436
Eisenwaren ....
* >>
ft
>»•
437
Weißblechlaternen
Messing- und Eisen-
waren
^ i>
»>
>►
438
Weißblechwaren . . .
* >>
ir
»
439
Weißblechlaternen und
Glaswaren ....
*■ i>
»>
yy
440
Steingut, Weißblech-
laternen, Spiegelglas
und Eisenblechwaren
*■ »
»
yy
441
Handwerksgeräte . .
^ i>
n
>»
442
Kristall-Glaswärmer . .
2 Faß
})
)^
443
Parftimerien ....
1 Kiste
ii
}}
444
Lampenteile ....
8 Kisten
1*
>»
445
Emaillegeschirr a. Eisen
10 „
t*
yy
594
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry'*.
Abschnitt VI»«
Nr. der
Beka-*t-
mAcnttug
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
446
Zahnwasser und Puder
1 Kiste
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
447
Lederwaren ....
1 „
i>
99
448
Baumwollwaren . . .
1 ..
ff
))
449
Feuerspritzen ....
1 „
ff
1)
450
Emaillegeschirra. Eisen-
blech
8 Kisten
ff
>»
451
Wollwirkwaren . . .
1 Kiste
ff
))
452
Kochgeschirr ....
1 „
ff
y>
453
Eis. Schnallen . . .
1 „
ff
))
454
Holzleisten
1 „
ff
))
455
Kakaopulver und Re-
klameartikel . . .
3 Kisten
ff
)y
456
Schrauben
2 „
ff
jy
457
Gufieiseme Oberbalken-
tflren und Reinigungs-
türen
22 „
458
Gußeis. Roststäbe . .
12 „
459
„ Tafelroste . .
5 „
460
Stahlwaren
1 Kiste
461
Eisenwaren.
1 „
462
>»
1 „
463
Wagen . .
1 ,.
»
464
Eisenwaren
9 Kisten
^^
465
Eismaschinen
2 „
466
Eisenwaren
1 Kiste
467
}>
1 Faß
468
Schleifsteine
3 Kisten
469
»
1 Kiste
•
470
Teppichfeger
1 „
471
Schleifsteine
1 „
472
Eisenwaren
1 „
473
if
1 Faß
474
»
2 Kisten
475
Wagen . .
4 „
476
>»
2 „
477
Verkupf. Möbelfedern .
3 Kolli
478
Telephonapparate . .
. 2 Kisten
479
Pumpen
1 Kiste
480
Eisenwaren
1 » .
481
»
6 Kisten
482
Wringmaschinen
1 Kiste
483
Eisenwaren . .
1 Faß
484
Petroleumöfen
3 Verschlag
485
Eisenwaren
24 Kisten
486
»
2 „
487
»
2 Faß
(38*)
595
Abschnitt VI»«
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry'' .
Nr. der
Bekannt-
machuDgr
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
488
Parfümerien ....
1 Kiste
Dicderichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
489
Papierwäsche mit Stoff-
Überzug und Plakate
2 Kisten
»»
>»
490
Baumwoli- und Leinen-
waren
1 Kiste
>i
))
491
Schuhe
1 „
ff
>»
492
Anilinfarben ....
2 Kisten
)>
»
493
Zinkblech
5 Faß
ti
»>
494
Kalk
1 Kiste
»
n
495
Stahlfedern, Metall-
spiegel U.Drucksachen
1 ,,
))
u
496
Drahtgeflecht ....
2 Rollen
>»
>»
497
Dezimalwagen
.
2 Kisten
»»
»
498
Schreibpapier .
.
3 „
>»
»
499
Eis. Schrauben
,
1 Kiste
»
)f
500
Kurzwaren . .
,
1 Faß
»
M
501
II • •
1 Kiste
n
>»
502
Stahl. . . .
11 Kisten
1 Kiste
9t
503
Tischgeschirr . .
,
«
504
Buchbinderpapier
.
8 Ballen
»
»
505
Puder und Schminke .
1 Kiste
))
„
506
Zeichenpapier. . . .
1 „
n
W
507
Blei- u. Farbstifte, färb.
Kreide, Drucksachen
und Plakate . . .
1 „
>9
II
508
Ölpapier
1 ,,
}>
1»
509
Ultramarinblau . . .
10 Kisten
jf
II
510
Zeugstoffe
1 Kiste
9f
99
511
Stärke
3 Kisten
»
512
Geteerte Hanftaue . .
11 Rollen
})
It
513
Drahtgewebe ....
1 Kiste
H
II
514
Kinderwagen ....
1 „
9}
II
515
Papierbeutel ....
1 „
9>
II
516
Eis. Geldschränke . .
1 »
}y
II
517
Emaillegeschirr aus
Eisenblech ....
10 Kisten
>)
1»
518
Schreibpapier ....
86 Ballen
»
II
519
Kochgeschirr aus Alumi-
nium
1 Kiste
91
II
520
Schreibutensilien . . .
1 „
99
II
521
Tischlerwaren, Papier,
Filze, Farben ; . .
1 „
t1
II
522
Mathem. Instrumente,
Winkel u. Reißschien.
1 ,,
})
II
523
Gummiplatten. . . .
1 „ •
99
II
524
Spiral-Schläuche . . .
1 „
91
1»
525
Lampenwaren . ,
.
8 Kisten
»
II
596
Prisengerichtsentscheidungen : „B^wtry".
Abschnitt VI»«
Nr. der
Bekannt-
machung
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
pfänger
526
Hohlglas ....
4 Kisten
Diederichsen,
Jebsen & Co.
in Kiautschou
Order
527
Tafelwagen . . .
2 „
j>
)>
528
Schreib- und Zeichen-
material ....
1 Kiste
))
»
529
Fayence ....
'■ »>
M
»
530
Wollentuch . . .
*■ »
11
19
531
Eisenwaren. . . .
■1 »»
11
19
532
i> ....
A „
11
91
533
Glaswaren ....
4 Kisten
1t
19
534
Unterlegescheiben .
4 Faß
11
9>
535
Nagel
2 „
11
>>
536
Schrauben ....
2 „
11
y*
537
Eis. Bettstellen . .
12 Verschlag
11
9>
538
Eis. Waschständer und
Bettstellen . . .
1 „
11
>>
539
Holzmöbel ....
28 Kisten
11
1>
540
Krist. Zitronensäure
1 Faß
19
11
541
Wollwirkwaren . .
1 Kiste
11
19
542
Eisenwaren . . .
^ >>
19
1>
543
Drahtwaren . . .
^ »
11
91
544
Pumpen ....
^ >>
11
19
545
Messingwaren, Werk-
zeug- und Bettsteller
*■ 99
11
»
546
Messingblech . . .
• ^ >»
»
9>
547
Zinnplatten . . .
2 Kisten
»
»
548
Schrauben ....
3 „
})
»>
549
Packpapier. . . .
10 Verschlag
n
19
Reklamant: Der deutsche Staatsangehörige August Müller,
Prokurist der Firma Diederichsen, Jebsen & Co. in Shanghai,
China.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi, Na-
gasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 10. Juli 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisensache,
betreffend Ladung des englischen Dampfers „Bawtry", welcher am
17. Januar 1905 auf 34 o 58' nördlicher Breite und 130« 28' östlicher
Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht worden
ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der in dem dem
Urteil beigefügten Verzeichnis aufgeführten Ladung des englischen
Dampfers „Bawtry" erkannt worden ist.
597
Abschnitt VI^oo Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry".
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, August Müller, durch
den Rechtsanwalt IshibashiTomokichials Prozeßvertreter die Be-
rufung eingelegt, welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur. Ishi-
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, Ishi-
bashiTomokichi, und deren Begründung sind folgende :
1. Die Staaten des europäischen Kontinents hätten bis heute das
Prinzip verfolgt, daß nur Güter, welche wirkliche Kriegsgebrauchsartikel
darstellten, als Kriegskonterbande gölten, und daß die sogenannten
relativen Kriegskonterbandegüter nicht unter dieselbe zu rechnen seien.
Dies Prinzip sei zur Durchführung gekommen in dem dänischen Krieg
von 1864, dem deutsch-französischen Krieg von 1870 und dem russisch-
türkischen Krieg von 1877, und es sei heute eine fest bestimmte Regel
des Völkerrechts, von der nur das englische Prinzip abweiche. Diesem
englischen Prinzip stünden indes viele Ansichten gegenüber. So tidele
zum Beispiel Pereis, daß die Rechte der Kriegführung die Rechte
des neutralen Handels unbillig beschränkten. Selbst der Vertreter des
englischen Prinzips, Holland, sage, daß
Lebensmittel und Schiffsbaumaterialien, wenn sie erwiesener-
maßen an die Armee, Marine oder nach einer Festung des
Feindes befördert würden, nicht unbedingt eingezogen
werden dürften. Man müsse sich darauf beschränken, das
Vorkaufsrecht auszuüben, um dem Feind die Möglichkeit zu
nehmen, die Güter anzukaufen.
Diese Ansicht Hollands sei von dem gegenwärtigen Recht Englands
anerkannt. Auch die Völkerrechtskonferenz zu Venedig im Jahre 18Q6
habe in ihrem Artikel 1 das Gebiet der Kriegskonterbandegüter strikt
auf die absolute Konterbande beschränkt und beschlossen, daß die
relative Konterbande auszuschließen sei. Reklamant meine, daß diese
Ansichten und Beschlüsse von Gelehrten und Kongressen hinreichend
gewichtig seien, um beachtet werden zu müssen.
Der größte Teil der Ladung sei Nichtkonterbande, welche außer
zu friedlichen Zwecken keine Verwendung habe. Freilich befinde sich
auch darunter einige sogenannte relative Kriegskonterbande, welche zu
friedlichem und indirekt auch zu kriegerischem Gebrauch dienen könnte.
Da sie aber keine absolute Konterbande sei, so müsse sie billiger-
weise aus den vorstehenden Gründen freigegeben werden.
Selbst wenn er sich einmal auf das englische Prinzip stelle, sei
Reklamant der Ansicht, daß die japanische Regierung das Vorkaufsrecht
ausüben, nicht aber unbedingte Einziehung verfügen dürfe.
Das Urteil erster Instanz besage, daß
in den von der Kaiserlichen Regierung erlassenen und ver-
öffentlichten Verordnungen des Marineministeriums Nr. 1
598
Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry". Abschnitt Vl^oe
vom Jahre 1904 und Nr. 1 vom Jahre 1905 ganz klar be-
zeichnet sei, welche Güter während des japanisch-russischen
Krieges als Kriegskonterbande behandelt werden sollten.
Diese Verordnungen seien von dem Marineministerium indes nur zur
Beachtung für sein Ressort erlassen. Außerhalb dieses Ressorts hätten
sie keine bindende Kraft und könnten daher nicht als völkerrechtliche
Normen angesehen werden.
2. Selbst einmal das Gebiet der Konterbande in der Weise er-
weitert, wie es das Urteil erster Instanz tue, und angenommen, daß
auch bedingte Konterbande als Kriegskonterbande gelte, so sei es doch
selbstverständlich, daß sich die Einziehung auf solche Fälle beschränke,
wo hinreichender Beweis für die Annahme vorliege, daß die Güter zum
Gebrauch für die feindliche Armee oder Marine hätten geliefert werden
sollen. Im vorliegenden Fall könne man jedoch nicht den geringsten
Beweis finden, daß die Güter für den feindlichen Kriegsgebrauch be-
stimmt gewesen seien.
Das Gericht erster Instanz behaupte freilich, daß die Nägel, der
Eisendraht usw. zum Bau und zur Ausrüstung der feindlichen Kriegs-
und sonstigen Schiffe bestimmt gewesen seien. Die Annahme finde
jedoch in den Akten des Falls keinerlei Unterstützung, vielmehr sei
es daraus klar, daß sie für Schiffe, Häuser, Werkstätten und Kranken-
häuser bestimmt gewesen seien.
Auch sei es unzutreffend, lediglich daraus, daß Wladiwostok
Feindesland sei, zu schließen, daß die zur Verhandlung stehenden Güter,
welche Handelszwecken dienten, zum Kriegsgebrauch hätten geliefert
werden sollen.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Freigabe aller dem Reklamanten gehörigen, auf dem Dampfer
„Bawtry'' verschifften Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gencht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und YamamotoTat-
surokuro, sind folgende :
1. Soweit bezüglich von Kriegskonterbande keine vertraglichen
Bestimmungen vorlägen, an die ein Staat gebunden sei, gehöre es zu
den Vorrechten der betreffenden Regierungsgewalt, zur Kriegszeit die
bereits bestehenden Bestimmungen sowohl über absolute als relative
Konterbandegüter zu erweitern oder einzuschränken. Das Völkerrecht
halte es für richtig, bei Beginn des Krieges im allgemeinen die für den
Krieg zu befolgenden Regeln zu veröffentlichen und die Kriegskonter-
bandegüter festzustellen. Auch der europäische Kontinent nehme hierin
keinen anderen Standpunkt ein, und es fehle nicht an Beispielen, wo
in dortigen Kriegen Verordnungen von Marineministerien erlassen und
die Liste der Konterbande vermehrt oder vermindert worden sei.
599
Abschnitt vi^e Prisengerichtsentscheidungen: y^awtry'^r
In den am 28. Februar vorigen Jahres von der russischen Re-
gierung für den japanisch-russischen Krieg veröffentlichten, bei der
Kriegführung zu beobachtenden Regeln seien in der Aufstellung der
als Kriegskonterbande zu betrachtenden Gegenstände Brennholz und
Holzkohle, Telegraphen- und Eisen bah nzube hör aller Art, Waren für die
Kriegführung zu Wasser und zu Lande, Reis und Lebensmittel klar ge-
nannt. Daraus sei es klar, daß das kontinentale Prinzip die Konter-
bande nicht unbedingt auf die absolute beschränke. Überdies sei es
schon .seit dem japanisch-chinesischen Krieg allen Mächten bekannt^
daß Japan sich dem englischen Prinzip angeschlossen habe, und die
Liste der Konterbandegüter sei durch Verordnung des Marineministeriums
bekannt gemacht worden. Daher sei der Vorwurf, das Urteil erster
Instanz entspreche nicht dem kontinentalen Prinzip, unbegründet.
Da der Reklamant die Verordnungen oder Verträge, die von den
Mächten tatsächlich ausgeführt worden seien, als Völkerrecht anerkenne^
so sei die Behauptung, die Verordnung unseres Marineministeriums
habe keine Wirkung außerhalb des Ressorts desselben und sei daher
keine Bestimmung des Völkerrechts, nicht anzuerkennen.
2. Der größte Teil der auf dem Dampfer „Bawtry" verladenen^
zur Verhandlung stehenden Güter sei Kriegskonterbande. Der Be-
stimmungsort sei Wladiwostok, Rußlands einziger Kriegshafen im Ostea
und die Hauptetappenbasis für seine Armee und Marine. Der Ab-
sender sei die Firma Jebsen & Co., welche auch Ladungseigentümer des
„Veteran'' 7) gewesen sei, der die Blockade von Port Arthur gebrochen
habe. Der Empfänger sei die mit der russischen Regierung als identisch
zu betrachtende russisch-chinesische Bank. Danach stehe es außer
Zweifel, daß die Gäter nach Ankunft sofort zum Gebrauch für Armee
und Marine zu liefern gewesen und. daher Konterbande seien.
Der Reklamant tadele das Urteil erster Instanz dafür, daß un-
zutreffenderweise Nägel und Eisendraht als Material zum Bau und zur
Ausrüstung von Kriegs- und anderen Schiffen angesehen worden seien.
Es sei aber auf einen Blick offenbar, daß die hier in Frage stehenden
Nägel nach ihrer Form und Stärke Material zum Bau von Kriegs- und
anderen Schiffen seien. Der Eisendraht sei nicht als solches betrachtet
worden.
Aus diesen Gründen sei das Urteil erster Instanz wohlbegründet
und die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Da der Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden Schiffes
Wladiwostok ist, so ist es klar, daß die unter der Ladung befindlichen.
Waffen und Materialien für Bau und Ausrüstung von Kriegs- und
anderen Schiffen Kriegskonterbande sind.
') VI 24 a und c.
600
Prisengerichtsentscheidungen: ,3Awtry'^ Abschnitt VI»'-
Es ist bekannt, daß Wladiwostolc Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dort hat fast ganz aufgehört. Daher müssen auch die unter der zur
Verhandlung stehenden Ladung befindlichen Lebensmittel, Getränke und
Pferdegeschirr als für den russischen Kriegsgebrauch bestimmt angesehen
'^''erden, und es ist außer Zweifel, daß sie nach den Bestimmungen
und der Praxis des Völkerrechts Kriegskonterbande sind.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin ein-
gezogen werden kann. Der von dem Reklamanten geltendgemachte
Vorkauf ist nur ausgeführt worden, wo besondere vertragliche Ab-
machungen vorliegen. Im übrigen findet er sich in Theorie und Praxis
nur vereinzelt. Keinenfalls kann er jedoch als völkerrechtliche Regel
anerkannt werden.
Unter den zur Verhandlung stehenden Gütern befinden sich freilich
solche, die nicht zur Kriegskonterbande gehören, da sie aber J^adung;
des Eigentümers der Konterbande auf demselben Schiff sind, so erkennt
das Völkerrecht an, daß sie mit dieser zusammen eingezogen werden
können, und das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den Ver-
hältnissen gerecht wird.
Da aus den obigen Gründen das Urteil erster Instanz auf Ein-
ziehung der zur Verhandlung stehenden Güter; durchaus zutreffend
ist, so erübrigt es sich, auf die einzelnen Berufungspunkte noch be-
sonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der österreichische Staatsangehörige Hermana»
Kobritz, Shanghai, China, Quinsan Gardens Nr. 17.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi, Na-
gasaki, Togiyamachi Nr. 14.
In der Prisensache, betreffend Ladung des englischen. Dampfers
„Bawtry" wird, wie folgt, entschieden :
601
Abschnitt VI»* Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry**.
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter werden
sämtlich eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter, welche in Kiautschou in
China auf dem Dampfer ,,Bawtry" verladen waren und am 14. Januar
1905 den genannten Hafen mit Bestimmung nach Wladiwostok ver-
ließen, wurden am 17. Januar, 1 Uhr 15 Minuten nachmittags auf offener
See in 34<^ 58 ' nördlicher Breite und 130^ 28 ' östlicher Länge zusammen
mit dem genannten Dampfer, welcher unter dem Verdacht stand, Kriegs-
konterbande zu führen, von dem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff
„Tokiwa" aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa'', Kapitänleutnants Tori-
zaki Yasuzo, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Bawtry'^
Harry Ratcliff Shotton, und des Supercargo Otto Meier, das
Schiffszertifikat des genannten Schiffes, das Deckjournal, den Charter-
vertrag, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
1. Die meisten Stücke der zur Verhandlung stehenden Güter seien
solche, welche nur in Friedenszeiten gebraucht würden und seien keine
Kriegskonterbande. Wenn auch einige Güter vorhanden seien, welche
indirekt für Kriegszwecke verwendbar seien, also sogenannte relative
Kriegskonterbande, so diene doch keins von ihnen direkt für Kriegszwecke
und keins sei demnach sogenannte absolute Kriegskonterbande. Nun
hätten aber die Staaten des europäischen Kontinents bis heute das Prinzip
anerkannt, daß nur Güter, welche wirkliche Kriegsgebrauchsartikel dar-
stellten, als Kriegskonterbande gälten, und daß die sogenannten relativen
Kriegskonterbandegüter nicht unter dieselbe zu rechnen seien. Dies
Prinzip sei zur Durchführung gekommen in dem dänischen Kriege von
1864, dem deutsch-französischen Kriege von 1870 und dem russisch-
türkischen Kriege von 1877, und es sei heute eine fest bestimmte Regel
-des Völkerrechts, von der nur das englische Prinzip abweiche. Auch die
Völkerrechtskonferenz zu Venedig im Jahre 1896 habe in ihrem Ar-
tikel 1 das Gebiet der Kriegskonterbandegüter strikt auf die absolute
Kriegskonterbande beschränkt und beschlossen, daß die relative Kriegs-
konterbande auszuschließen sei. Der Reklamant sei der Ansicht, daß
diese Meinung von Gelehrten und Kongressen hinreichend gewichtig
sei und beachtet werden müsse. In unserer Prisenordnung i) sei aller-
^02
Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry''. Abschnitt VI»'
dings im § 14 die relative Kriegskonterbande anerkannt, aber da die
Verordnung nur eine für unsere Marineoffiziere erlassene Instruktion
sei, so habe sie nicht die Kraft einer völkerrechtlichen Regel. Daher
könnten auch die unter der zur Verhandlung stehenden Ladung be-
findlichen relativen Kriegskonterbandegüter nicht eingezogen werden.
2. Selbst wenn man zugebe, daß auch relative Kriegskonterbande
•eingezogen werden könne, so beschränke sich das doch lediglich auf
solche Fälle, wo es ausreichend bewiesen sei, daß diese Güter für den
Gebrauch von Heer oder Marine des Feindes bestimmt seien. Für die
^ur Verhandlung stehenden Güter sei aber auch nicht die geringste
Spur eines solchen Beweises vorhanden, und lediglich aus der Tatsache,
daß Wladiwostok feindliches Gebiet sei, eine derartige Vermutung ab-
zuleiten und auf Grund dieser die Bestimmung der Güter für den Kriegs-
^ebrauch als erwiesen zu erachten, sei ungerechtfertigt.
3. Da die Güter neutral seien, so unterlägen sie nicht der Weg-
nahme. Selbst aber angenommen, sie seien feindliche Güter, so müßten
sie nach Artikel 3 der Pariser Deklaration, weil sie nicht Konterbande
seien, freigelassen werden.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freilassung der
Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die unter der zur Verhandlung stehenden Ladung befindlichen
Lebensmittel, Getränke, Eisenbahnbaumaterialien, Schiffsbau- und Aus-
rüstungsgegenstände seien, weil sie nach Wladiwostok, dem Hauptstütz-
punkt der feindlichen Streitmacht, verschifft seien, und es nach Aussage
des Kapitäns außer Zweifel stehe, daß der Empfänger der Ladung die
russisch-chinesische Bank sei, für den Kriegsgebrauch des Feindes be-
stimmt und folglich Kriegskonterbande. Daher seien sie einzuziehen.
Was ferner die unter der Ladung befindlichen Güter angehe, die nicht
Kriegskonterbande seien, so müßten sie, weil dem Eigentümer der Kriegs-
konterbandegüter gehörig, mit diesen zusammen eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
In den von der Kaiserlichen Regierung erlassenen und ver-
öffentlichten Verordnungen des Marineministeriums Nr. 1 vom Jahre
1904 2) und Nr. 1 vom Jahre 1905*) ist ganz klar bezeichnet, welche
Güter während des japanisch-russischen Krieges als Kriegskonterbande
behandelt werden sollen. Der Prozeßvertreter behauptet unter An-
führung einiger kontinentaler europäischer Präcedenzen und Meinungen
von Gelehrten, daß der Begriff der Kriegskonterbande sich lediglich auf
direkt zum Kriegsgebrauch bestimmte Güter beschränke. Es ist aber
nach englischen und amerikanischen Beispielen, sowie wissenschaftlichen
Ansichten des europäischen Kontinents ebenso klar, daß diese die Eigen-
*) IL — •) III.
603
i
Abschnitt VI M< Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry'^ J
Schaft von Gütern als Kriegskonterbande nicht unbedingt danach be-
grenzen, ob sie direkt zum Kriegsgebrauch dienen oder nicht. Da der
Standpunkt darin, welche Güter unter die Kriegskonterbande fallen, der-
gestalt in den verschiedenen Staaten variiert, so kann der Behauptung des
Prozeß Vertreters nicht beigepflichtet ^c'erden.
Was die in dem beigefügten Verzeichnis aufgeführten Güter an-
geht, so sind dieselben von dem Verschiffer, nämlich dem Reklamanten,
„an Order'' nach Wladiwostok verschifft worden.
Unter diesen Gütern sind
Nr. 1, 13 bis 17, 24, 110, 113, 122,127 bis 129, 134
Lebensmittel und Getränke,*)
Nr. 2 bis 10
Eisenbahnbaumaterialien, *)
Nr. 19, 22, 58, 95 bis 97, 245, 252, 253
Bau- und Ausrüstungsgegenstände für Kriegs- und andere Schiffe.
Da der Bestimmungshafen dieser Güter Wladiwostok, der einzige
Kriegshafen Rußlands im fernen Osten ist und da nach Aussage des
Kapitäns der Empfänger wahrscheinlich die russisch-chinesiche Bank ist
es demnach klar ist, daß dieselben für den Kriegsgebrauch des Feindes
bestimmt gewesen sind, so müssen dieselben als Kriegskonterbande an-
gesehen werden.
Was die übrigen Güter angeht, so sind sie zwar keine Kriegs-
konterbande, sie gehören aber alle dem Eigentümer der oben angeführten
Knegskonterbande. Daher sind die zur Verhandlung stehenden Güter,,
weil sie Kriegskonterbande sind, beziehungsweise demselben Eigentümer
gehören, einzuziehen, ß)
Die übrigen Ausführungen des Vertreters der Reklamation bedürfen
keiner Erörterung.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
*) II. Ziffer 2. — *) II. Ziffer 1. — c) V. § 43.
604
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry".
Abschnitt VI»*
Verzeichnis der auf dem Dampfer „Bawtr)
'« verschifften Gfiter.
Nr. der
Bekannt-
maohungr
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
1
Weizenmehl ....
7540 Sack
Hermann Ko-
britz, Shanghai
Order
2
Eisenbahnschienen . .
670 Stück
)»
3
Fischplatten . . .
1340 „
4
Zubehör ....
4 Kisten
.5
Rader und Achsen .
4 „
«
Achsenbüchsen . .
2 „
7
Mulden
4 „
8
Untergestelle . . .
4 „
9
Zungenweichen . .
6 Stück
•
10
»» • •
12 „
11
Streichhölzer . . .
60 Kisten
12
» ...
90 „
13
Schwarzer Tee . .
223 „
14
>» » • •
37 „
15
>» >> • •
525 „
16
>» » • •
85 „
17
»» »1 • •
5 „
18
Schmirgelräder . .
1 Kiste
19
Drahtseil ....
14 Rollen
20
Öl zum Einschmieren
42 Kisten
21
Putzwolle ....
1 Ballen
22
Trossen
101 Rollen
23
Fensterscheiben . .
116 Kisten
24
Reis
2900 Säcke
53
Seife
1 Kiste
1 „
54
55
295 Kisten
30 Stück
58
Eisenplatten . . .
59
»» ...
19 Bund
€0
Schwarze Stahlplatten
153 „
61
Galv. Zinnplatten .
250 „
62
Galv. Eisenplatten .
17 „
95
Drahtseil ....
HO „
96
Eisennägel
100 Faß
97
" »
122 „
98
Säcke . .
23 Stück
99
Spiegel . .
2 Kisten
100
Farbe . .
160 Faß
101
Streichhölzer
309 Kisten
102
Zeichenfedern
1 Kiste
103
Schreibmaschinen .
3 Kisten
104
Buchbinderwaren .
1 Kiste
105
Waschpulver . . .
1 „
106
Löschpapier
•
1 „
605
Abschnitt VI 30<
Prisengerichtsentscheidungen : „Bawtry".
Nr. der
BekaDut-
machuuc^
Art der Güter
Zahl
der Stücke
Absender
Emp-
fänger
107
Ing. Papier ....
1 Kisttf
Hermann Ko-
j)ritz, Shanghai
Order
108
Putzpomade ....
1 ,1
n
n
109
Papier . .
1 II
n
m
110
Rum . . .
5 Kisten
n
n
111
Zigarren
1 Kiste
n
n
112
Seife. . .
50 Kisten
1»
n
113
Weizenmehl
15 Sack
n
»
122
Kuba-Zucker
58 Kisten
n
n
123
Seife . . .
12 „
1»
n
124
>> • •
5 „
n
n
125
>l
9 1,
n
n
126
>f
6 „
n
1»
127
Sardinen
2 „
»
n
128
»
5 „
n
n
129
Butter .
3 1,
n
»
134
Reis . .
50 Sack
n
»
238
Verz. Wellblech . . .
160 Bund
n
»
239
« » ...
640 „
1»
n
240
>i »» ...
323 „
n
n
241
1» M ...
161 „
n
»
242
Glattes, verz. Eisenblech
200 „
n
n
243
Eisenblech ....
176 „
1»
»
244
>» ....
160 „
»
»
245
II ....
1369 Stück
n
»
246
Schwarzes Stahlblech .
345 Bund
n
n
247
II II
537 „
n
»
248
II II
266 „
»
»
249
Eisenblech ....
380 „
n
n
250
Schwarzes Stahlblech .
165 „
»
n
251
II II
.38 „
II
n
252
Eisenblech ....
100 Stück
II
»
253
II ....
35 „
n
»
254
Stahlblech
366 „
n
»
255
Schwarzes Stahlblech .
263 Bund
n
n
256
»» 1» •
182 „
n
1»
257
Eisernes Di
ich
blech .
198 „
»
1»
606
Prisengerichteentscheidangen: ,3awtry'^ Abschnitt VI>*<
Reklamant: Der österreichische Staatsangehörige Hermann
Kobritz in Shanghai, China, Quinsan Qardens Nr. 17.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi, Na-
gasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 10. Juli 1905 1-at das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend Ladung des englischen Dampfers „Bawtry'', welcher
am 17. Januar 1905 auf 34 o 58' nördlicher Breite und 130 o 28' öst-
licher Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung der in dem
dem Urteil beigefügten Verzeichnis aufgeführten Ladung des englischen
Dampfers „Bawtry'' erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, Hermann Kobritz,
durch den Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi als Prozeßvertreter
die Berufung eingelegt, welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur.
Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, I s h i -
bashiTomokichi, und deren Begründung sind folgende :
1. Die Staaten des europäischen Kontinents hätten bis heute das
Prinzip verfolgt, daß nur Güter, welche wirklich Kriegsgebrauchsartikel
darstellten, als Kriegskonterbande gölten,* und daß die sogenannten
relativen Kriegskonterbandegüter nicht unter dieselbe zu rechnen seien.
Dies Prinzip sei zur Durchführung gekommen in dem dänischen Kriege
von 1864, dem deutsch-französischen Kriege von 1870 und dem russisch-
türkischen Kriege von 1877, und es sei heute eine fest bestimmte Regel
des Völkerrechts, von der nur das englische Prinzip abweiche. Diesem
englischen Prinzip stünden indes viele Ansichten gegenüber. So tadele
zum Beispiel Pereis, daß die Rechte der Kriegführung die Rechte
des neutralen Handels unbillig beschränkten. Selbst der Vertreter des
englischen Prinzips, Holland, sage, daß
Lebensmittel und Schiffsbaumaterialien, wenn sie erwiesener- .
maßen an die Armee, Marine oder nach einer Festung des
Feindes befördert würden, nicht unbedingt eingezogen
werden dürften. Man müsse sich darauf beschränken, das
Vorkaufsrecht auszuüben, und dem Feind die Möglichkeit
zu nehmen, die Güter anzukaufen.
Diese Ansicht Hollands sei von dem gegenwärtigen Recht Englands
anerkannt. Auch die Völkerrechtskonferenz zu Venedig im Jahre 1896
habe in ihrem Artikel 1 das Gebiet der Kriegskonterbandegüter strikt
auf die absolute Konterbande beschränkt und beschlossen, daß die
relative Konterbande auszuschließen sei. Reklamant meine, daß diese
Ansichten und Beschlüsse von Gelehrten und Kongressen hinreichend
gewichtig seien, um beachtet werden zu müssen.
607
Abschnitt VI3od Prisengerichtsentscheidungen: „Bftwtry'^
Der größte Teil der Ladung sei Nichtkonterbande, vcelche außer
zu friedlichen Zwecken keine Verwendung habe. Freilich befinde sich
darunter auch einige sogenannte relative Kriegskonterbande, welche zu
friedlichem und indirekt auch zu kriegerischem Gebrauch dienen könnte.
Da sie aber keine absolute Konterbande sei, ^o müsse sie billigerweise
.aus den vorstehenden Gründen freigegeben werden.
Selbst wTnn er sich einmal auf das englische Prinzip stelle, sei
Reklamant der Ansicht, daß die japanische Regierung das Vorkaufsrecht
.ausüben, nicht aber unbedingte Einziehung verfügen dürfe.
Das Urteil erster Instanz besage, daß
in den von der Kaiserlichen Regierung erlassenen und ver-
öffentlichten Verordnungen des Marineministeriums Nr. 1
vom Jahre 1904 und Nr. 1 vom Jahre 1905 ganz klar be-
zeichnet sei, welche Güter während des japanisch-russischen
, Krieges als Kriegskonterbande behandelt werden sollten.
Diese Verordnungen seien von dem Marineministerium indes nur zur
Beachtung für sein Ressort erlassen. Außerhalb dieses Ressorts hätten
.sie keine bindende Kraft und könnten daher nicht als völkerrechtliche
Normen angesehen werden.
2. Selbst einmal das Gebiet der Konterbande in der Weise er-
weitert, wie es das Urteil erster Instanz tue, und angenommen, daß
auch bedingte Konterbande als Kriegskonterbande gelte, so sei es doch
.selbstverständlich, daß sich die Einziehung auf solche Fälle beschränke,
wo hinreichender Beweis für die Annahme vorliege, daß die Güter zum
Gebrauch für die feindliche Armee oder Marine hätten geliefert werden
sollen. Im vorliegenden Fall könne man jedoch nicht den geringsten
Beweis finden, daß die Güter für den feindlichen Kriegsgebrauch be-
stimmt gewesen seien.
Das Gericht erster Instanz behaupte freilich, daß die Nägel, der
Eisendraht usw. zum Material zum Bau und zur Ausrüstung von feind-
lichen Kriegsschiffen 7) bestimmt gewesen seien. Die Annahme finde
jedoch in den Akten des Falls keinerlei Unterstützung, vielmehr sei es
daraus klar, daß sie für Schiffe, Häuser, Werkstätten und Krankenhäuser
bestimmt gewesen seien.
Auch sei es unzutreffend, lediglich daraus, daß Wladiwostok
Feindesland sei, zu schließen, daß die zur Verhandlung stehenden Güter,
welche Handelszwecken dienten, zum Kriegsgebrauch hätten geliefert
werden sollen.
') Das Urteil erster Instanz gebraucht hier den im § 14 der Seeprisenordnung
(V) erscheinenden Ausdruck, welcher nicht nur Kriegsschiffe bezeichnet, sondern .Kriegs-
schiffe und Schiffe", also Schiffe schlechthin bedeutet. Der Rechtsanwalt hat diesen
Ausdruck so verstanden, als ob er nur Kriegsschiffe umfasse. '
-608
Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry". Abschnitt Ifl^^
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Freigabe aller dem Reklamanten gehörigen, auf dem Dampfer
-„Bawtry'' verschifften Güter beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tat-
surokuro, sind folgende :
1. Es sei das Vorrecht der Regierungsgewalt, zu bestimmen, was
im Kriege, gleichgültig ob absolut oder relativ, als Konterbande gelten
solle. Das Völkerrecht halte es für richtig, bei Beginn des Kriegs im
allgemeinen die für den Krieg zu treffenden Regeln zu veröffentlichen
und die Kriegskonterbandegüter festzustellen. Auch auf dem euro-
päischen Kontinent mangele es nicht an solchen Beispielen.
In den am 28. Februar vorigen Jahres von der russischen Re-
^erung veröffentlichten, für den Krieg mit Japan zu befolgenden Regeln
seien in der Aufstellung der als Konterbande zu betrachtenden Gegen-
stände Brennholz und Holzkohle, Telephon-, Telegraphen- und Eisen-
bahnzubehör aller Art, Reis und Lebensmittel klar genannt. Demnach be-
schränke das kontinentale Prinzip die Konterbande nicht unbedingt auf
■die absolute. Was insbesondere den Punkt angehe, daß die Regierungs-
gewalt das Vorrecht habe, das Gebiet der Kriegskonterbande zu be-
grenzen, so könne die Argumentation des Reklamanten, daß die dies-
bezügliche Verordnung unseres Marineministeriums außerhalb dieses
Ressorts keinerlei Wirkung habe, völkerrechtlich keine Anerkennung
finden.
2. Der größte Teil der auf dem Dampfer „Bawtry'' veriadenen,
zur Verhandlung stehenden Güter sei Kriegskonterbande. Der Be-
stimmungsort sei Wladiwostok, Rußlands einziger Kriegshafen im Osten
und sein Hauptflottenstützpunkt. Des Anscheins wegen sei der
Empfänger auf Order gestellt. Es ergebe sich aber aus der Aussage
des Kapitäns, daß tatsächlich die einer russischen Behörde gleich-
zustellende russisch-chinesische Bank der Empfänger sei. Danach liege
es auf der Hand, daß die ganze Ladung für den feindlichen Kriegs-
_gebrauch hätte geliefert werden sollen und demnach selbstverständlich
Kriegskonterbande sei.
Der Reklamant tadele das Urteil erster Instanz dafür, daß es un-
zutreffenderweise Nägel und "Eisendraht als Material zum Bau und zur
Ausrüstung von Kriegsschiffen angesehen habe. Es sei aber auf einen
Blick offenbar, daß die hier in Frage stehenden Nägel Material zum Bau
und zur Ausrüstung von Kriegs- und anderen Schiffen seien. Der Eisen-
draht sei nicht als solches erachtet worden.
Demnach sei die Berufung unbegründet und abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
lf»rBtr»nd-Meohlenburg, Das Japanisohe Priseoreoht. Band I. (39) 0U<?
Abschnitt Visot Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry".
Da der Bestimmungsort der zur Verhandlung stehenden Güter
Wladiwostok ist, so ist es klar, daß die Materialien für Bau und Aus-
rüstung von Kriegs- und anderen Schiffen Kriegskonterbande sind.
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt für seine
Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in ausgedehntem
Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegsbedarfsartikel auf-
gespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach dort hat fast ganz
aufgehört. Daher müssen auch die unter der zur Verhandlung stehenden
Ladung befindlichen Lebensmittel, Getränke und Eisenbahnbau-
materialien als für den russischen Kriegsgebrauch bestimmt angesehen
werden, und es ist außer Zweifel, daß sie nach den Bestimmungen und
der Praxis des Völkerrechts Kriegskonterbande sind.
Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin ein-
gezogen werden kann. Der von dem Reklamanten geltend gemachte
Vorkauf ist nur ausgeführt worden, wo besondere vertragliche Ab-
machungen vorlagen. Im übrigen findet er sich in Theorie und Praxis
nur vereinzelt. Keinenfalls kann er jedoch als völkerrechtliche Regel
anerkannt werden.
Unter den zur Verhandlung stehenden Gütern befinden sich freilich
solche, die nicht zur Kriegskonterbande gehören, da sie aber Ladung
des Eigentümers der Konterbande auf demselben Schiff sind, so er-
kennt das Völkerrecht an, daß sie mit dieser zusammen eingezogen
werden können, und das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den
Verhältnissen gerecht wird.
Da aus den obigen Gründen das Urteil erster Instanz auf Ein-
ziehung der zur Verhandlung stehenden Güter durchaus zutreffend ist,
so erübrigt es sich, auf die einzelnen Beruf ungspunkte noch besonders
einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die deutsche Firma KarlBoetticher&Co. in
Kiautschou, China, vertreten durch Harry Ratcliff Shotton,
Kapitän des Dampfers „Bawtry", wohnhaft in South Shields, lorante
Terrace Nr. 13, England.
610
Prisengerichtsentscheidungen: „Bawtry". Abschnitt VI m*
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache betreffend Ladungsstücke des Dampfers
„Bawtry" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsform el:
Die auf dem Dampfer „Bawtry" verladenen vier Kisten Ausschnitt-
waren werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden vier Kisten Ausschnittwaren sind
in Kiautschou, China, zusammen mit einer großen Anzahl von Kriegs-
konterbandegütern, die anderen Absendern und Empfängern gehören,
auf dem englischen Dampfer „Bawtry'' verschifft worden. Am 14. Januar
1905 gingen sie mit der Bestimmung, nach Wladiwostok befördert zu
w- erden, von Kiautschou ab und wurden am 17. desselben Monats auf
offener See in 34» 58' n. Br. und 130 « 28' ö. L. zusammen mit dem
erwähnten Dampfer von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" be-
schlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants Tori-
zaki Yosuzo, das Vernehmungsprotokoll des Kapitäns der „Bawtry",
Harry Ratcliff Shotton, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag,
das Schiffsjournal, die Konnossemente und das Ladungsverzeichnis.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant sei der Eigentümer der zur Verhandlung stehenden
Güter. Diese Güter seien keine Kriegskonterbande. Wenn auch an
Bord der „Bawtry'' Konterbandegüter sein sollten, so stehe doch keins
von diesen im Eigentum des Reklamanten, so daß also die zur Ver-
handlung stehenden Güter nicht im Eigentum eines Konterbande-
eigentümers stünden und daher nach Artikel 2 der Pariser Seerechts-
deklaration vom Jahre 1856 nicht beschlagnahmt werden könnten. Sie
müßten daher freigegeben werden.
Die Ansicht des Staatsanwalts geht im wesentlichen dahin, daß die
zur Verhandlung stehenden Güter freilich keine Konterbande seien,
daß aber angenommen werden müsse, daß sie im Eigentum eines Eigen-
tümers der auf dem Schiff vorhandenen Konterbande stünden. Daher
müßten sie eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die zur Verhandlung stehenden Güter sind keine Konterbande, 0
^) Zur fraglichen Zeit waren Kleidungsstücke und deren Materialien noch keine
Konterbande. Sie wurden erst für solche erklärt durch die Instruktion des Marine-
ministeriums Nr. 1 vom Jahre 1905 (III).
(39*) 611
Abschnitt VI'^* Prisengerichtsentscheidungen: „Oakley"*
auch ist ihr Eigentümer von den Absendern und den Empfängern der
auf der „Bawtry'' verladenen Konterbandegüter durchaus verschieden.
Es liegt kein Grund dafür vor, denselben Eigentümer anzunehmen. Sie
sind lediglich gewöhnliche Güter, die auf einem neutralen Schiff nach
feindlichem Gebiet befördert werden sollten und müssen daher billiger-
weise freigegeben w^erden.
Es wird demnach wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurökuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: William Robert Rea, Reeder des Dampfers
„Oakley", wohnhaft in Belfast, Provinz Antrim in Irland, England,
Donegal, Quay Nr. 19, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
„Oakley", William Wisnow, wohnhaft in Maryport, Northstreet
Nr. 20, England.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache betreffend den englischen Dampfer „Oakley''
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Oakley'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Oakley" steht im Eigen-
tum des Reklamanten Robert Rea, er führt die englische Flagge, sein
Heimatshafen ist Belfast in Irland, England, und er ist ein Handels-
schiff, das ausschließlich zum Gütertransport dient. Der Reklamant hat
am 1. November 1904 mit dem Vertreter des in England wohnhaften
russischen Staatsangehörigen E. A. Grabowski, der Aktiengesellschaft
Pyman Watson, einen Chartervertrag abgeschlossen, laut welchem der
Dampfer Kohle von Cardiff nach Hongkong, Shanghai oder Kiautschou
befördern sollte. Der Dampfer nahm in Cardiff 5893 Tons Kohlen
ein. Mit einem Konnossement wurde er nicht versehen. Dem Kapitän
wurde brieflich mitgeteilt, daß die Agentur der Befrachter in Kiautschou
die Firma Sietas, Plambeck und Co. sei. Daneben wurde dem Kapitän
Order gegeben, nach Wladiwostok zu fahren. Am 17. November d. J.
612
Prisengerichtsentscheidungen: „Oakley". Abschnitt VI 3i ■
verließ der Dampfer Cardiff unter der Vorgabe, nach Kiautschou zu
gehen, fuhr aber über Singapore und Hongkong direkt nach Wladiwostok.
Auf dieser Reise wurde er am 18. Januar 1905, 4 Uhr nachmittags,
auf der See in 34^ 22' n. Br. und 129 « 55' ö. L. von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Tokiwa'' aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants F u k u -
zakiSetsuye,die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Oakley",
William Wisnom, und des Kochs Kurikawa Yosuke, das
Schiffszertifikat, das Privatschiffsjournal, den Chartervertrag und die
Ausklarierungspapiere der Hafenbehörden von Cardiff und Singapore.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Da der Reklamant und Reeder das zur Verhandlung stehende
Schiff auf Grund eines Chartervertrages vermietet habe, so habe er weder
Anteil daran gehabt, noch habe er darum gewußt, daß das Schiff nach
Wladiwostok, welches im Chartervertrag nicht verzeichnet sei, gereist
wäre. Das zur Verhandlung stehende Schiff könne daher, wenn auch
seine Ladung Konterbande sei, da der Reklamant nicht der Eigentümer
dieser Ladung sei, nicht das Schicksal derselben teilen und der Ein-
ziehung verfallen. Wenn ferner auch das Schiff schon zur Zeit seiner
Abfahrt von Cardiff mit der Absicht, es nach Wladiwostok fahren zu
lassen, gechartert worden sei, so sei das lediglich ein Plan des Charterers
oder des Absenders gewesen, an dem der Reeder in keiner Weise be-
teiligt gewesen sei. Auch die Unterlassung der Eintragung Wladiwostoks
als eines der Bestimmungsorte sei lediglich eine Handlung des Charterers
oder Befrachters, zu der der Reeder in keiner Beziehung stehe.
Im übrigen sei die Unterlassung der Eintragung Wladiwostoks als
Bestimmungshafens in die Schiffspapiere nicht geschehen, um dadurch
der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen. Da das Schiff
lediglich sich in Singapore eine Ausklarierung nach Kiautschou anstatt
nach Wladiwostok habe geben lassen, so sei die Tatsache, daß in den
Schiffs papieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort eingetragen sei,
einfach als eine Unvollständigkeit derselben anzusehen. Man könne aber
daraus nicht schließen, daß das Schiff für den Kohlentransport be-
trügerische Mittel habe anwenden wollen ; das auch um so weniger, als
die Ladung nicht als absolute Konterbande gelten könne. Daher unter-
liege das Schiff nicht der Strafe der Einziehung.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da es erwiesen sei, daß das zur Verhandlung stehende Schiff, um
der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen, sich mit ge-
fälschten Schiffspapieren versehen und daß es unter Angabe eines
falschen Bestimmungshafens Konterbande nach Wladiwostok habe be-
613
Abschnitt Vl'i« Prisengerichtsentscheidungen: „Oakley".
fördern wollen, so müsse es mit seiner Ladung eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
In gewöhnlichen Fällen beschränkt sich die Strafe für Konterbande-
transport auf die Einziehung der Konterbandeartikel. Wenn aber ge-
fälschte Schiffspapiere verwandt werden und ein falscher Bestimmungsort
angegeben wird, so ist es die Regel, auch das Schiff einzuziehen. Das
ist im modernen Völkerrecht von Wissenschaft und Praxis allgemein an-
erkannt.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Oakley'' hat Cardiffkohle^
wie sie ausschließlich für Kriegsschiffe verwandt wird, geladen, um
sie nach dem Hauptflottenstützpunkt Rußlands, Wladiwostok, zu be-
fördern. Darüber, daß es sich um einen Transport von Konterbande
handelt, besteht daher nicht der geringste Raum für Zweifel. ^) Obwohl
es schon von der Zeit der Abreise von Cardiff an bestimmt war, daß
Wladiwostok das Ziel der Reise sein sollte, hat der Dampfer stets vor-
gegeben, nach Kiautschou zu fahren. Er ist nicht mit einem Konnosse-
ment versehen worden. Der Chartervertrag gibt vor, die Ladung solle
in Hongkong, Shanghai oder Kiautschou verkauft werden. In Cardiff,
Singapore usw. hat der Dampfer sich unter Vorgabe, er gehe nach
Kiautschou, Ausklarierungspapiere verschafft und ist dann von Hongkong
direkt nach Wladiwostok gefahren. Alles dieses sind Handlungen, welche
getan wurden, um der Aufbringung durch die japanische Marine zu
entgehen. Der Dampfer hat demnach dazu gedient, unter Anwendung
betrügerischer Mittel Konterbande zu befördern. Es ist daher recht
und billig, daß er wie seine Ladung eingezogen wird,-) und da be-
trügerische Handlungen vorliegen, so kann er der Strafe der Einziehung
nicht entgehen, gleichviel ob diese Handlungen aus dem Willen des
Reeders oder des Charterers hervorgegangen sind oder nicht.
Weil daher alle Ausführungen des Vertreters der Reklamation un-
begründet sind, wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 12. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: William Robert Rea, englischer Staats-
angehöriger, England, Irland, County Antrim, Belfast, Donegal Quay
Nr. 19.
1) IL Ziffer 2. - 2) V. § 44.
614
Prisengerichtsentscheidungen: ,,0akley". Abschnitt VI3ia
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 12. April 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend den englischen Dampfer „Oakley", welcher am 18. Ja-
nuar 1905 auf 340 22' n. Br. und 129 0 55' ö. L. von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Einziehung des Dampfers „Oakley'' erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant William Robert Rea
durch den Rechtsanwalt Akiyamä Oenzo als Prozeßvertreter die
Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte T s u t s u k i
Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Bin ich i geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
Akiyama Oenzo und deren Begründung sind folgende:
1. Der einzige Grund, aus dem die Einziehung verfügt sei, sei der,
daß unter Verwendung gefälschter Schiffspapiere und Angabe eines
falschen Bestimmungsorts Konterbande befördert worden sei. Da aber
die Konterbande nicht im Eigentum des Reeders stehe, so müsse sich die
Einziehung auf die Ladung beschränken. Das Schiff dagegen könne
nicht konfisziert werden. Denn, um das Schiff zu konfiszieren, sei
es unbedingt nötig, daß neben der Annahme der Anwendung be-
trügerischer Mittel bei der Verschiffung der Konterbande auch fest-
stehe, daß der Reeder an diesem betrügerischen Verfahren beteiligt, d. h.
im Einverständnis sei. Wenn man daher, ohne daß diese Beteiligung
bei dem in Frage kommenden Reeder vorliege, einfach den zivilrechtlichen
Standpunkt einnehme, daß der Reeder Unkenntnis gegenüber den Hand-
lungen des Kapitäns nicht vorschützen könne, und daraufhin ohne
weiteres die Einziehung verfüge, so sei das unrechtmäßig. !
2. Der zur Einziehung des Schiffes erforderliche Tatbestand be-
trügerischer Maßnahmen könne damit, daß lediglich in den Schiffs-
papieren der Bestimmungsort nicht angegeben sei, nicht als vorliegend
erachtet werden. Es sei nötig, daß die Papiere gefälscht seien in der
bösen Absicht, die visitierende und durchsuchende kriegführende Ma-
rine zu täuschen und dadurch der Aufbringung zu entgehen; auch
müßten die Mittel zu der Täuschung tauglich sein.
Da aber keine tatsächliche Spur dafür vorliege, daß die Papiere
des zur Verhandlung stehenden Schiffs in solcher Absicht ausgestellt
worden seien, und es durchaus klar sei, daß die Papiere nicht ge-
eignet seien, um damit der Beschlagnahme zu entgehen, so sei die Ein-
ziehung des Schiffes unrechtmäßig.
3. Der Reeder habe das Schiff zum Kohlentransport an den La-
dungseigentümer vermietet und einen Chartervertrag abgeschlossen, in
welchem Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungshäfen
xereinbart worden seien. Daher habe der Reeder an der Bestimmung des
615
Abschnitt VI3ia Prisengerichtsentscheidungen: ,,0al<1ey''.
Schiffes nach einem anderen Hafen keinen Anteil gehabt. Wenn man
mit dem englischen Recht annehme, daß der Chartervertrag von der 'Art
einer Sachmiete sei, so stehe für die Zeit das Recht des Besitzes und die
Verfügungsgewalt dem Charterer zu. Selbst wenn man den Fall nicht
so auslege, sondern einen gewöhnlichen Frachtvertrag annehme, so ent-
spreche doch dem Willen des Reeders die in dem Vertrag bezeichnete
Reise und, wenn der Kapitän den Willen des Charterers ausgeführt habe,
so könne man nicht sagen, daß der Reeder als Mittäter an dem Konter-
bandetransport gehandelt habe. Dies um so weniger, als mangels Be-
weises der Mittäterschaft die Verantwortung für eine das Völkerrecht
verletzende Handlung, wie den Konterbandetransport unter Anwendung^
betrügerischer Mittel, dem Reeder nicht auferlegt werden könne, weil
eine solche Handlung außerhalb der Vertretungsbefugnisse des Kapitäns
als Vertreters des Reeders liege.
4. Der Charterer habe bei der Abreise des Schiffes dem Kapitän
für den Fall, daß er bei der Ankunft in Hongkong keine andere Order
erhalte, Befehl gegeben, mit einem beliebigen Kurs nach Wladiwostok
weiter zu fahren. Danach zu urteilen, sei damals Wladiwostok noch
nicht fest als Bestimmungsort abgemacht gewesen. Dies sei erst fest
bestimmt worden, als der Dampfer bei der Ankunft in Kiautschou keine
andere Order erhalten habe. Daher könne darin, daß in dem im Aus-
fahrtshafen ausgestellten Konnossement und Ausklarierungsschein Ki-
autschou als Bestimmungsort bezeichnet sei, ein Grund für Verdacht
nicht liegen, und man könne daraus nicht schließen, daß die Papiere
auf einen gefälschten Bestimmungsort ausgestellt worden seien in der
bösen Absicht, dadurch der Aufbringung durch die kriegführende Macht
zu entgehen.
Wenn der Dampfer sich in Singapore und Hongkong Aus-
klarierung für Kiautschou beschafft habe, so sei das lediglich in der Be-
fürchtung geschehen, daß zur Zeit die englischen Behörden die Reise
nach Wladiwostok verweigern würden. Wenn er genötigt gewesen wäre^
um Ausklarierung nach Wladiwostok zu bitten, so hätte er bei der Ab-
reise Schwierigkeiten erfahren, welche er gescheut habe. So habe er
lediglich, um seine Abfahrt zu erleichtern, den Behörden gegenüber
eine falsche Meldung gemacht, die, wie von selber klar sei, nicht den
Zweck gehabt habe, dadurch der Aufbringung durch die japanischen
Kriegsschiffe zu entgehen.
Die Ausklarierungsbescheinigung sei eigentlich kein wichtiges.
Schiffspapier. Daß die verschiedenen Staaten ihr kein Oew^'cht bei-
legten, könne man auch daraus entnehmen, daß sie sich unter den in
den Artikeln 177 bis 194 der englischen Prisenordnung aufgeführten
Schiffspapieren der einzelnen Staaten Europas und Amerikas nicht finde..
Wenn daher auch in den fraglichen Ausklarierungsbescheinigungen nicht
616
Prisengerichtsentscheidungen: „Oakley". Abschnitt VI3i»
der richtige Bestimmungsort angegeben sei, so könne man doch nicht
sagfen, daß es den Prinzipien des modernen Völkerrechts entspreche,
wenn man daraufhin dem Schiffe die schwerste Strafe der Einziehung
auferlege.
5. Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei keine
Kriegskonterbande, denn, wenn sie auch nach Wladiwostok bestimmt
sei, so vereinige dieser Platz doch in sich die Eigenschaften eines
Kriegshafens und eines Handelshafens und es sei, wie das Beispiel
des „Neptunus"-Falls im englisch-holländischen Krieg lehre, billig, in
diesem Falle anzunehmen, daß die Ladung nach dem Handelshafen
Wladiwostok eingeführt werden solle.
Ferner behaupte das Urteil erster Instanz, daß
in Wladiwostok gewöhnliche Schiffe zurzeit fast gar nicht
vorhanden seien und daß der Schluß gerechtfertigt sei, daß
die auf dem zur Verhandlung stehenden Dampfer ver-
schiffte Cardiffkohle, welche von der Art sei, wie sie haupt-
sächlich auf Kriegsschiffen zur Verwendung komme, wenn
sie nach Wladiwostok gelangt wäre, für den Gebrauch der
Marine geliefert worden wäre.
Diese Entscheidung sei unzutreffend, weil sie sich auf keinem richtigen
Beweis gründe.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Abgabe einer Entscheidung auf Freilassung des zur Verhandlung
stehenden Dampfers beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts Mizukami
Chojiro vom Prisengericht zu Sasebo sind folgende:
L Da der Reeder der Mietsherr des Kapitäns sei, so sei er mit Be-
zug auf die von dem Kapitän in Ausübung seiner Pflicht begangenen
Handlungen, gleichgültig ob er darum wisse und daran beteiligt sei oder
nicht, verantwortlich. Daher könne er nicht mit der Begründung, er
habe keine Beziehung zu der Ausstellung der gefälschten Papiere durch
den Kapitän, seine Verantwortlichkeit ablehnen.
2. Da die Frage, ob die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff
verladene Kohle Konterbande sei oder nicht, sich nach den Verhältnissen
des Bestimmungsorts entscheide, so müßten unstreitbar die Schiffspapiere
als gefälscht gelten, weil in ihnen kein oder ein falscher Bestimmungs-
ort angegeben, sei, gleichviel aus welchem Grunde dies geschehen sei.
Denn dadurch könnten die im Kriege befindlichen Kriegsschiffe bei der
Visitier ung und Durchsuchung getäuscht werden. Zumal habe auch der
Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffes schon beim Verlassen
von Barry die Absicht gehabt, nach Wladiwostok zu fahren. Wenn trotz-
dem in die Schiffspapiere ein falscher Bestimmungsort eingetragen sei,
617
Abschnitt VI3ia Prisengerichtsentscheidungen: „Oakley*'.
so müsse man vermuten, daß dies geschehen sei, um der Gefahr der
Aufbringung während der Reise zu entgehen.
3. Da es nach dem Wortlaut des Chartervertrages klar sei, daß er
seiner Natur nach kein Mietsvertrag über das Schiff, sondern ein Trans-
portvertrag sei, so müsse man annehmen, daß das Recht des Besitzes
und der Verfügung über das Schiff nicht auf den Charterer über-
gegangen sei, sondern nach wie vor dem Reklamanten zustehe.
Da der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffes schon
bei der Abreise von Barry den Willen gehabt habe, nach Wladiwostok
zu fahren, und versucht habe, dort hinzukommen, so könne der Rekla-
mant als Mietsherr des Kapitäns der Verantwortung hierfür nicht
entgehen.
Da, wie oben dargetan, das Urteil erster Instanz zutreffend und die
Berufung in allen Punkten unbegründet sei, so müsse dieselbe abgewiesen
werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland dasselbe zum Stütz-
punkt für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort
in ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohlen und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr
nach dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr, als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
.ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden ist, so daß es ganz un-
zweifelhaft ist, daß sie für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenzent-
scheidung, betreffend den „Neptunus'' auch in diesem Falle angenommen
werden, daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke be-
stimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall und die des
vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
. 2, Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
•618
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Oal<ley". Abschnitt VI3ib
ist, eingezogen werden können.») Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vorliegenden
Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und, obwohl er-
wiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England Wladiwostok das
Reiseziel war, der Chartervertrag und die anderen Schiffspapiere einen
falschen Bestimmungsort angegeben und das Schiff danach zur Be-
förderung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
gedient hat. ^)
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffes unfraglich
gerechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die einzelnen
Punkte der Berufung noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson A. O., England, Wales, Car-
diff, Absender der auf dem Dampfer „Oakley" verschifften Kohlen, ver-
treten durch den Kapitän der „Oakley", William Wisnom, wohn-
haft in England, Maryport North Street Nr. 20.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaOenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
,,Oakley" wird, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Oakley" verschifften 5893 Tons Stein-
kohlen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 5893 Tons Cardiffkohle sind auf
Grund des am 1. November 1904 von dem Reklamanten als Vertreter
des in England wohnhaften russischen Staatsangehörigen E. A. Ora-
bowski mit dem Reeder des Dampfers „Oakley",. Robert Rea, ab-
*) Anders die Japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und das ihr zu Gninde
liegende englische Manual of Neval Prize Law, Art. 82—85.
*) V. § 44.
619
Abschnitt Vl^ib Prfsengerichtsentscheidungen: „Oakley*.
geschlossenen Chartervertrags in Cardiff geladen worden, um sie nach
Wladiwostok zu befördern. Ein Konnossement wurde dem Dampfer nicht
mitgegeben. Als Bestimmungsort wurde Kiautschou angegeben. Der
Kapitän erhielt dagegen Order, nach Wladiwostok zu gehen. Am 17.
November 1904 fuhr der Dampfer von Cardiff über Singapore und Hong-
kong direkt nach Wladiwostok. Auf dieser Reise wurden die zur Ver-
handlung stehenden Güter am 18. Januar 1905 nachmittags 4 Uhr auf
der See in 34» 22' n. Br. und 129 ^ 55' ö. L. zusammen mit dem ge-
nannnten Dampfer von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" be-
schlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tokiwa", Kapitänleutnants F u k u -
zakiSetsuye,die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Oakley",
William Wisnom, und des Kochs Kurikawa Yusuke, das
Schiffszertifikat, das Privatschiffsjournal, den Chartervertrag und die Aus-
klarierungspapiere der Hafenbehörden von Cardiff und Singapore.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die von dem Reklamanten, einem neutralen Staatsangehörigen,
unternommene Beförderung von Steinkohle nach Wladiwostok, einem
Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine offene Handelstransaktion,
welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs stehe und
nicht vom Völkerrecht untersagt werde. Auch die japanische Prisen-
ordnung betrachte Kohle nicht als absolute Konterbande. Kohle gelte
als Konterbande nur, wenn sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder
Marine oder nach einem feindlichen Ort bestimmt sei, nach dessen Ver-
hältnissen angenommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der feind-
lichen Armee oder Marine geliefert werden würde. In dem vorliegenden
Fall, wo die Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, welcher die
Eigenschaften eines Kriegs- und eines Handelshafens in sich vereinige,
sei es billig anzunehmen, daß sie nach dem Handelshafen Wladiwostok
bestimmt und nicht für Kriegszwecke zu liefern sei.
Auch wenn man einmal annehme, daß das Eigentum an den Gütern^
welche während der Reise beschlagnahmt worden seien, auf den
Empfänger im Feindesland übergegangen, die Güter daher feindlichen
Charakters seien, so könnten sie doch, weil sie unter neutraler Flagge
stünden, nicht weggenommen werden.
Aus diesen Gründen sei eine Einziehung der zur Verhandlung-
stehenden Güter nicht zulässig.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Steinkohle sei nach dem Hauptstütz-
punkt der russischen Marine, Wladiwostok bestimmt gewesen, und es
620
Prlsengerichtsentscheidungen: „Oakley". Abschnitt VI^^^
stehe außer Zweifel, daß sie für den Krieg habe verwandt werden sollen.
Daher müsse sie eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Lebensmittel, Kohle und dergleichen nach einem von feind-
lichen Truppen innegehabten Hafen abgeschickt sind, so können sie, je
nach den Verhältnissen, als für den Gebrauch dieser Truppen bestimmt
angesehen werden. Da Wladiwostok der einzige Kriegshafen Rußlands
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt seiner Flotte ist, wo gegen-
^•ärtig gewöhnliche Schiffe fast gar nicht vorhanden sind, so ist es ge-
rechtfertigt, anzunehmen, daß die zur Verhandlung stehende Cardiff-
kohle, welche von der Art ist, wie sie ausschließlich auf Kriegsschiffen
zur Verwendung kommt, wenn sie nach Wladiwostok gelangt wäre, sicher
für den Bedarf der Marine geliefert worden wäre. Es steht daher außer
Zweifel, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande ist. ^)
Da dies somit feststeht, so erübrigt es sich, auf die weiteren Aus-
führungen des Vertreters der Reklamation einzeln einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden. ^)
Verkündet am 12. April 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Bei-
sein des Staatsanwalts YamamotoTatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman, Watson A. Q., England, Wales, Car-
diff, vertreten durch den Kapitän des Dampfers „Oakley", William
Wisnom, wohnhaft in England, Maryport, North Street Nr. 20.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaOenzo, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 12. April 1904 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Oakley'*, welcher
am 18. Januar 1905 auf 34« 22' n. Br. und 129° 55' ö. L. von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Tokiwa" aufgebracht worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Einziehung der auf dem Dampfer „Oakley'',
verladenen 5893 Tons Steinkohlen erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat W i 1 1 i a m Wisnom als Vertreter des Re-
klamanten, der Pyman Watson A. O., durch den Rechtsanwalt Aki-
yama Oenzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im
Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari
Bin ich i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
^iTziffer 2. — •) V. § 43.
621
Abschnitt VI ^^ b Prisengerichtsentscheidungen : „Oakley" *
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation^
Akiyama Oenzo, sind folgende:
Das Urteil erster Instanz, welches auf Einziehung der auf dem
Dampfer „Oakley" verladenen 6893 Tons Steinkohlen entschieden habe,
sei unzutreffend. Es werde Aufhebung desselben und Abgabe einer
Entscheidung auf Freigabe der genannten I^dung beantragt, und zwar
aus folgenden Gründen:
1. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle Konter-
bande sei. In der japanischen Seeprisenordnung 3) sei aber als Prinzip
anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesener-
maßen zum Kriegsgebrauch des Feindes habe geliefert werden sollen.
Aber wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grundsätzen
des Völkerrechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der
zur Verhandlung stehenden Ladung, Wladiwostok, nicht nur Rußlands
einziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten,
Da an diesem Platz alle Arten von kaufmännischen und gewerblichen
Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen dort Nieder-
lassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle, welche
nicht absolute Konterbande sei, dorthin befördert werde, nicht ohne
weiteres schließen, daß sie für den Gebrauch der Kriegsmacht bestimmt
sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend den „Neptun us"
im Kriege zwischen England und Holland vom Jahre 1798 sei es billig-^
daß die zur Verhandlung stehende Ladung als zur Einfuhr nach dem
Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch bestimmt an-
gesehen werde.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
in Wladiwostok zurzeit gewöhnliche Schiffe fast gar nicht
vorhanden seien und daß der Schluß gerechtfertigt sei, daß
die zur Verhandlung stehende Cardiffkohle, welche von der
Art sei, wie sie hauptsächlich auf Kriegsschiffen zur Ver-
wendung komme, wenn sie nach Wladiwostok gelangt wäre^
für den Gebrauch der Marine geliefert worden wäre, usw.
Was für Beweise habe man dafür, daß in Wladiwostok zurzeit gewöhn-
liche Schiffe fast gar nicht vorhanden seien ? Das Gericht habe sich nicht
an die für die Beweisaufnahme geltenden Normen gehalten, sondern
nach freier Überzeugung geurteilt. Es sei aber ein völkerrechtlicher
Grundsatz für das Prisenverfahren, daß man als Material für die Ent-
scheidung nur die Papiere des aufgebrachten Schiffes und die Aus-
sagen der Besatzung benutzen solle. Es sei daher unfraglich, daß das
Urteil unzutreffend sei, weil es gegen diese völkerrechtliche Grundregel
verstoßen habe.
" ^ V~§ 14.
622
Prisengerichtsentscheidungen: MOakley*'. Abschnitt VI^^^
3. Bezuglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in etwas
ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach der
englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen Kriegs-
schiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen seien,
unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinentalen
Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen hätten,,
für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feindlichen
Hafen begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat ihnen
gegenüber unter der Bedingung der Vergütung das Beschlagnahme-
recht und außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die mo-
derne Rechtspraxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer weit-
herziger werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng, indem
es im Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohnheiten
Kohle, die sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken diene,,
wenn sie nach einem Platz, der Handels- und Kriegshafen sei, bestimmt:
wäre, bedingungslos einziehe. Besonders, weil die japanische Prisen-
ordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wünschens-
wert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter handele,
eine billigere Haltung eingenommen würde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro, sind folgende:
1. Cardiff kohle, wie die zur Verhandlung stehende, werde in der
gegenwärtigen Zeit hauptsächlich auf Kriegsschiffen gebraucht. Die La-
dung sei nach Wladiwostok bestimmt, welches als Handelshafen seit:
dem japanisch-russischen Kriege nur dem Namen nach existiere, tat-
sächlich aber ein wirklicher Kriegshafen und der Hauptstützpunkt für die
russische Kriegsflotte sei. Es sei bekannt, daß diese Flotte bezüglich
der von ihr benötigten Kohle fast gänzlich auf Import von Cardiff an-
gewiesen sei. Daher sei es klar, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung Kohlen, welche nach Wladiwostok bestimmt gewesen sei, un-
mittelbar für den Kriegsgebrauch des Feindes habe geliefert werden
sollen und daher unzweifelhaft Kriegskonterbande sei.
Da man den holländischen Hafen Amsterdam, welcher weder dem
Namen noch den tatsächlichen Verhältnissen nach zugleich die Eigen-
schaften eines Kriegshafens und eines Handelshafens habe, nicht auf
gleiche Stufe mit Wladiwostok stellen könne, so könne die Präcedenz-
entscheidung des „Neptunus"-Falls nicht für den vorliegenden Fall an-
gezogen werden.
2. Da besondere Regeln für die Beweisaufnahme, an welche das
Prisengericht gebunden wäre, nicht existierten, so könne das Gericht
unter Zugrundelegung der Schiffspapiere, der Aussagen der Besatzung
62*
Abschnitt VI « fc Prisengerichtsentschcidungen : „Oakley**-
und jedes anderen Umstandes nach freier Überzeugung den Tatbestand
feststellen. Daher lasse sich nicht sagen, daß es unrechtmäßig sei, bei
Feststellung des Tatbestandes über die Schiffspapiere und die Aus-
sagen der Besatzung hinauszugehen; besonders auch, da die von dem
Urteil erster Instanz angenommenen Tatsachen allgemein bekannt seien.
3. Daß Kohle, welche für feindliches Gebiet bestimmt sei, wenn an-
zunehmen sei, daß sie für den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert
werden solle, als Konterbande angesehen und eingezogen werden müsse,
sei nicht nur von der Völkerrechtspraxis anerkannt, sondern auch in
•der japanischen Seeprisenordnung klar ausgesprochen. Es sei daher zu-
treffend, wenn das Gericht erster Instanz, weil es diese Tatsache an-
genommen habe, auf Einziehung der zur Verhandlung stehenden Kohle
erkenne. Auch sei es als zutreffend zu bezeichnen, wenn das Prisen-
Bericht den Ausführungen des Reklamanten bezüglich Einziehung unter
Leistung einer Vergütung, bezüglich bedingter Beschlagnahme und Vor-
kaufs nicht gefolgt sei, denn diese seien nur vereinzelte Staatenpraxis
bzw. Gelehrtenansichten, könnten aber nicht als Bestimmungen oder
Praxis des geltenden Völkerrechts anerkannt werden.
Da demnach, wie ausgeführt, das Urteil erster Instanz zutreffend
.sei und die Berufungspunkte sämtlich unbegründet seien, so müsse die
Berufung abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
Jiafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland denselben zum Stütz-
punkt für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort
in ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohlen und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr
nach dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr, als die Kohlenladung ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise
für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer für den
Gebrauch der Kriegsschiffe zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vor-
handen und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen
Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall und die des vor-
liegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
^624
Prisengerichtsentscheidungen: .Burma*. Abschnitt VI»«
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
Daher ist Punkt 1 der Berufung unbegründet.
2. Da ein Prisengericht bei der Feststellung des Tatbestandes die
Schiffspapiere, die Aussagen des Kapitäns und der Besatzung und alle
anderen Tatsachen und Umstände berücksichtigen und nach freier Über-
zeugung urteilen kann, so ist der zweite Berufungspunkt, in welchem
das Urteil erster Instanz für unzutreffend erklärt wird, weil es Tatsachen,
die außerhalb der Schiffspapiere und der Aussagen der Besatzung liegen,
als Material für die Entscheidung verwandt habe, unbegründet.
3. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,
wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere ver-
tragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden.
Man kann daher nidrt »sagen, daß das Urteil erster Instanz es in
etwas versehen habe, wenn es diesen Ansichten des Reklamanten nicht
Folge leistete. Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Societa Anonima Ungherese di Armamento Maritimo
Oriente in Fiume,. Österreich-Ungarn, vertreten durch die Geschäfts-
führer Luigi Cosulich und E. Cunradi.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Kyoba-
shiku, Unemacho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den österreichischen Dampfer
„Burma" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des österreichisch-ungarischen Dampfers
„Burma" erkannt.
MarBtrand-Meohlenbarg, Das japanische Prisenreoht. (40) y ^5
Abschnitt Vis>a Prf sengerichtsentscheidungen : .Burma*.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer steht im Eigentum des
Reklamanten, sein Heimatshafen ist Fiume in Österreich-Ungarn und
er ist ein Handelsschiff, welches die österreichisch-ungarische Flagge
führt.
Der Dampfer lud auf Qrund eines am 11. November 1904 von
dem Reklamanten mit der Firma Mann, George & Co. in London
abgeschlossenen Chartervertrags mit der Bestimmung, sie nach Wla-
diwostok in Rußland zu befördern, in Cardiff, England, etwa 4000 Tons
doppelt gesiebte Cardiffkohle. In dem Chartervertrag und dem Kon-
nossement wurden Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Be-
stimmungsorte genannt. Nach dem Konnossement sollte sich der
Empfänger nach Order richten. Am 19. November desselben Jahres
fuhr der Dampfer von Cardiff ab und traf am 9. Januar des folgenden
Jahres in Hongkong ein. Dort erhielt er auf Grund seiner Angaben Aus-
klarierung für Kiautschou, nahm aber bei Abreise von dort absichtlich
einen Umweg und versuchte durch die Kunishiri-Straße beim Hokkaido«
den Soyakanal zu passieren. Er geriet jedoch in Treibeis, fuhr nach Süden
und wurde, als er mit einem südlichen Kurs fuhr, der ihn durch die
Tsugaru-Straße nach Wladiwostok bringen mußte, am 25. Januar 1906-
nach 9 Uhr abends bei dem Shiokubi-Vorgebirge von dem Kaiserlichen
Torpedoboot Nr. 30 beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten des Torpedobootes Nr. 30, Kapitän-
leutnants Akiyoshi Shoichi, durch die Vernehmungsprotokolle des
Kapitäns der „Burma", M. V a 1 e n t i n , und des 1 . Offiziers Giuseppe
P e k u 1 i c h , durch das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das Kon-
nossement, das Tagebuch und die Ausklarierungspapiere von Hongkong..
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe am 11. November 1904 in London mit den
Vertretern des in Glasgow, St. Vincent Street Nr. 127 wohnhaften Kauf-
manns E. A. G r a b o w s k i , der Firma Mann, George & Co. in
London einen Chartervertrag abgeschlossen, nach dem das zur Ver-
handlung stehende Schiff zum Transport von Kohle von Cardiff in Eng-
land nach Hongkong, Shanghai oder Kiautschou zur Verfügung zu stellen
gewesen sei. Wenn das Schiff nach einem anderen als den in dem
Chartervertrag benannten Bestimmungshäfen gereist sei, so sei das auf
Maßnahmen des Charterers oder Absenders hin geschehen. Der Reeder
habe sich daran nicht beteiligt und auch nicht darum gewußt. Da die
Güter nicht im Eigentum des Reklamanten stünden, so könne das Schiff,,
wenn auch seine Ladung Konterbande sei, nicht mit dieser zusammen ein-
gezogen werden.
626
Prisengerichtsentscheidungen : .Burma'. Abschnitt VI «•
Wenn in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als einer der Be-
stimmungsorte angeführt sei, so könnten freilich die Papiere dem Vor-
wurf der UnVollständigkeit nicht entgehen, man könne dies aber nicht
ohne weiteres als Beweis für das Vorliegen betrügerischen Vergehens er-
achten. Daß der Dampfer sich in Hongkong Ausklarierung nach Ki-
autschou habe geben lassen, sei lediglich zur Erleichterung der Reise
geschehen. Daß es nicht auf Grund eines betrügerischen Plans ge-
schehen sei, um der Aufbringung zu entgehen, könne man auch daraus
ersehen, daß nach der Abreise von Hongkong in dem Tagebuch Wla-
diwostok als Reiseziel verzeichnet worden sei. Selbst aber wenn man
annehme, es sei geschehen, um die Reise heimlich ausführen zu können,
so sei dies doch eine Handlung des Charterers oder des Absenders.
Es liege indes kein Beweis vor, daß der Reeder darum gewußt habe.
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs keine ab-
solute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden Fall, wo sie nach
Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die Eigenschaft sowohl eines Kriegs-
wie eines Handelshafens besitze, mangels Gegenbeweises angenommen
werden, daß sie nach dem Handelshafen Wladiwostok befördert und
nicht für den Kriegsgebrauch geliefert werden sollte. Daß dies billig
sei, tue auch die Präcedenzentscheidung, betreffend die im englisch-
holländischen Krieg im Jahre 1798 aufgebrachte „Neptunus" dar. Für
den vorliegenden Fall gelte dies um so mehr, als die Verwendbarkeit
der Ladung sich nicht auf den Kriegsgebrauch beschränke, diese viel-
mehr auch ganz allgemein im Gewerbebetriebe verwandt werde.
Aus diesen Gründen werde Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffes beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Mitteln bestrebt, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebensmittel und
dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok beförd^-t werden, so muß
mangels klaren Gegenbeweises angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich
der Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers, welche aus aus-
gewählter Cardiffkohle besteht, wie sie im wesentlichen nur zum Ge-
brauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich
für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konter-
bande anzusehen.!)
i) n. Ziffer 2.
(40*) 627
Abschnitt Vis2a Prisengerichtsentscheidungen: .Burma'.
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus''-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann jenes Urteil viel eher zur Bekräftigung der Annahme,
daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes Konterbande ist,
geltend gemacht werden. Denn Amsterdam hatte damals einen vor-
wiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von
Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das
in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen
Wladiwostoks viel mehr gleich.
Obwohl es bereits vor der Abfahrt von Cardiff bestimmt war,
daß das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, geben doch der Charter-
vertrag und das Konnossement die neutralen Häfen Hongkong, Shanghai
oder Kiautschou als Bestimmungsorte an. Auch noch bei der Ab-
fahrt von Hongkong gab der Dampfer fälschlich Kiautschou als Reise-
ziel an und erhielt entsprechende Ausklarierungspapiere. Von dort ab-
fahrend, nahm er absichtlich einen Umweg, um durch die Soyastraße
nach Wladiwostok zu gelangen. Alles dies ist nicht anzusehen als ein
entschuldbares Versehen oder als zur Erleichterung der Reise geschehen.
Vielmehr muß man annehmen, daß es der wohlüberlegten List ent-
sprungen ist, den Bestimmungshafen zu verheimlichen, um so der Auf-
bringung zu entgehen.
Wenn sich auch zufälligerweise im Tagebuch nach der Abreise
von Hongkong Wladiwostok als Bestimmungsort verzeichnet findet, so
kann man nicht daraufhin allein die Fälschungen, die in den anderen
Papieren ausgeführt worden sind, außer acht lassen und annehmen,
das zur Verhandlung stehende Schiff habe sich keines betrügerischen
Vorgehens schuldig gemacht. Der zur Verhandlung stehende Dampfer
„Burma" hat demnach unter Anwendung betrügerischer Mittel Kriegs-
konterbande befördert.
Die völkerrechtliche Wissenschaft und Praxis erkennen aber an,
daß Schiffe, welche sich derartigen betrügerischen Vorgehen^ schuldig
machen, gleichviel ob der Reeder hierbei beteiligt ist oder nicht, zu-
sammen mit ihrer Konterbandeladung eingezogen werden können. ^)
Die Ausführungen des Reklamanten sind folglich unbegründet.
Da aus den obigen Gründen der zur Verhandlung stehende
Dampfer einzuziehen ist, so erübrigt es sich, auf die weiteren Punkte
des Reklamanten einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
«) V. § 44.
628
Prisengerichtsentscheidungen: .Burma*. Abschnitt VI3>*
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka Uchida
Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Societa Anonima Ungherese di Armamento Mari-
timo Oriente in Fiume, Österreich-Ungarn, vertreten durch Luigi
C OS u lieh und E. Cunradi.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache betreffend den österreichisch-ungarischen Dampfer „Burma",
welcher am 25. Januar 1905 bei dem Shiokubi- Vorgebirge von dem
Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30 aufgebracht worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Wegnahme des österreichischen Dampfers
„Burma" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Vertreter des Reklamanten, der
Societa Anonima Ungherese di Armamento Maritimo Oriente, Luigi
C OS u lieh und E. Cunradi durch den Rechtsanwalt Akiyama
Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Bei-
sein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Bi-
n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende:
Die Entscheidung des Prisengerichts zu Yokosuka auf Einziehung
des Dampfers „Burma" sei unzutreffend. Es werde Verwerfung des-
selben und Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffs beantragt,
und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei von
dem Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter Anwendung
betrügerischer Mittel Konterbande geladen. Wenn daher auch die
Ladung als Konterbande angesehen werde, so könne doch das Schiff
nicht eingezogen werden.
2. Der einzige Grund, aus dem das Gericht erster Instanz die
Wegnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs verfügt habe, sei
der, daß
das Schiff unter Anwendung betrügerischer Mittel Kriegs-
konterbande befördert habe und daß ein Schiff, welches sich
solchen betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht habe,
gleichviel ob dies unter Beteiligung und mit Wissen des
629
Abschnitt VI 32a Prisengerichtsentscheidungen : .Burma'.
Reeders geschehen sei oder nicht, mit seiner Konterbande-
ladung eingezogen werden müsse.
Die Strafe für Konterbandetransport sei, wenn die Konterbandeladung
nicht im Eigentum des Reeders stehe, lediglich der Verlust an Zeit,
Fracht und Kosten; die Strafe der Einziehung könne indes nicht auf-
erlegt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völkerrechts,
daß, wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
verschifft sei, doch auch das Schiff nur eingezogen werden könne, wenn
es klar erwiesen sei, daß der Reeder Mittäter bei dem betrügerischen
Vorgehen sei. Nicht nur England erkenne dies an, auch die japanische
Prisenordnung stehe auf demselben Standpunkt. Um annehmen zu
können, daß ein Schiff unter Anwendung betrügerischer Mittel Konter-
bande geladen habe, müsse unbedingt Beteiligung und Mitwissen des
Reeders an dem betrügerischen Vorgehen vorliegen; derselbe müsse
der Mittäterschaft schuldig sein. In dem vorliegenden Fall liege aber
Mittäterschaft des Reeders ganz sicher nicht vor. Es sei daher unrecht-
mäßig, wenn das Urteil erster Instanz, ohne diese Tatsache zu prüfen
und ohne sich überhaupt darum zu kümmern, ob der Reeder bei dem
betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, entschieden
habe, daß das Schiff zusammen mit seiner Ladung einzuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung auferlegen zu können, genüge es nicht, daß in den
Schiffspapieren lediglich der Bestimmungsort nicht angegeben sei, es
sei vielmehr außerdem erforderlich, daß die Papiere hergestellt seien
mit der Absicht, die im Kriege begriffene Marine bei der Visitierung und
Durchsuchung zu täuschen und so der Aufbringung zu entgehen, und
daß diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne. Es
lägen aber keinerlei Anzeichen vor, daß die Papiere des zur Verhandlung
stehenden Schiffs in der Absicht hergestellt worden seien; auch sei es
klar, daß mit ihnen der Zweck, der Aufbringung zu entgehen, nicht
hätte erreicht werden können. Daher könne das Schiff nicht eingezogen
werden.
4. Der Reeder habe den zur Verhandlung stehenden Dampfer zum
Transport von Kohle an den Ladungseigentümer vermietet und im
Chartervertrag seien Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Be-
stimmungshäfen festgesetzt worden. Der Reeder habe daher von der
Fahrt nach einem anderen Orte nichts gewußt.
Was den Charakter und die Wirkung des in Frage stehenden
Chartervertrags angehe, so sei dieser Vertrag nach dem Rechte Englands,
wo er abgeschlossen sei, auszulegen. Nach dem englischen Recht habe
aber der Vertrag den Charakter einer Sachmiete, und man müsse an-
nehmen, daß der Besitz und die Verfügungsgewalt über das Schiff
für die Zeit auf den Charterer übergegangen seien. Aber wenn man
630
Prisengerlchtsentscheidungen: 3^trO^ ' Abschnitt VI««
den vorliegenden Chartervertrag ^Uch lediglich als einen gewöhnlichen
Transportvertrag ansehe, so sei es doch offenbar, daß der Wille des
Reeders über die in dem Vertrag bezeichnete Reise nicht hinausgereicht
habe. Wenn daher der Charterer heimlich dem Kapitän Order ge-
geben habe, nach Wladiwostok zu gehen, und der Kapitän diesen Befehl
ausgeführt habe, könne man nicht behaupten, daß der Reeder an diesem
Vorhaben beteiligt sei und sich bei dem Konterbandetransport in Mit-
täterschaft gesetzt habe. Auch nach den gewöhnlichen Rechtsbegriffen
könne, wenn auch der Kapitän als der Stellvertreter des Reeders gelte,
•dieser doch für willkürliche Handlungen des Kapitäns, welche außer-
halb von dessen gewöhnlichen gesetzlichen Befugnissen lägen, nicht
haftbar gemacht werden. Um so mehr müsse das gelten, wo es sich um
einen Kriegskonterbandetransport unter Anwendung betrügerischer Mittel
handele, da eine solche Handlung eine Verletzung des Völkerrechts sei.
Aus diesen Gründen habe der Reeder selbstverständlich für keinerlei Ein-
tragungen in die Schiffspapiere, abgesehen von dem Chartervertrag,
die Verantwortung zu tragen. Selbst einmal angenommen, es wären
falsche Eintragungen in die Schiffspapiere gemacht, so könne doch dem
Reeder, solange nicht der Beweis seiner Mittäterschaft vorliege, die
Verantwortung hierfür nicht auferlegt werden.
5. Der Charterer habe bei der Abreise des Schiffes dem Kapitän
für den Fall, daß er bei Ankunft in Hongkong keine andere Order er-
halte, Befehl gegeben, mit einem beliebigen Kurs nach Wladiwostok weiter
zu fahren. Danach zu urteilen, sei damals Wladiwostok noch nicht fest als
Bestimmungsort abgemacht gewesen. Dies sei erst fest bestimmt
worden, als der Dampfer bei Ankunft in Hongkong keine andere Order
.erhalten habe. Daher könne darin, daß in dem im Abfahrtshafen aus-
gestellten Konnossement und Ausklarierungsschein Hongkong oder
Kiautschou als Bestimmungsorte bezeichnet seien, ein Grund für Ver-
dacht nicht liegen, und man könne daraus nicht schließen, daß die
Papiere auf einen gefälschten Bestimmungsort ausgestellt worden seien
in der Absicht, dadurch der Aufbringung durch die kriegführende
JVlacht zu entgehen.
Wenn der Dampfer sich in Hongkong Ausklarierung für Kiautschou
beschafft habe, so sei das lediglich in der Befürchtung geschehen, daß
zurzeit die englischen Behörden die Reise nach Wladiwostok nicht
erlauben würden. Wenn der Dampfer genötigt gewesen wäre, um
Ausklarierung nach Wladiwostok zu bitten, so hätte er bei der .abreise
Schwierigkeiten erfahren, welche er gescheut habe. So habe er, lediglich
um seine Abfahrt zu erleichtern, den Behörden gegenüber eine falsche
Meldung gemacht. Daß dies nicht geschehen sei, um der Aufbringung
durch die japanischen Kriegsschiffe zu entgehen, gehe auch daraus klar
631
Abschnitt Vl^^a Prisengerichtsentscheidungeii : .Burma'.
hervor, daß in dem Tagebuch nach der Abreise von Hongkong Wladi-
wostok als Reiseziel angegeben sei.
Die Ausklarierungsbescheinigung sei eigentlich kein wichtiges
Schiffspapier. Daß die verschiedenen Staaten ihr kein Gewicht bei-
legten, könne man auch daraus entnehmen, daß sie sich unter den in
den Artikeln 177 bis 194 der englischen Prisenordnung aufgeführten
Schiffspapieren der einzelnen Staaten Europas und Amerikas nicht finde.
Wenn daher auch in den fraglichen Ausklarierungsbescheinigungen
nicht der richtige Bestimmungsort angegeben sei, so könne man doch
nicht sagen, daß es den Prinzipien des modernen Völkerrechts ent-
spreche, wenn man daraufhin dem Schiffe die schwerste Strafe der Ein-
ziehung auferlege.
6. Die japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt, daß
Kohle nur als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie für den
feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle. Einmal angenommen,
dieser Standpunkt entspreche den völkerrechtlichen Grundsätzen, so
sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort der in Frage kommenden
Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen, sondern auch sein
einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher unrechtmäßig, ohne
weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle, welche keine ab-
solute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch bestimmt sei. Es müsse
vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Neptunus"-Fall im englisch-
holländischen Krieg im Jahre 1798 angenommen werden, daß die in
Frage stehende Ladung für den Handelshafen Wladiwostok bestimmt
sei und für friedlichen Gebrauch geliefert werden solle.
Aus diesen Gründen sei die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes keine Konterbande, und das Schiff könne daher nicht ein-
gezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende :
1. Schon vor der Abreise des zur Verhandlung stehenden Schiffs
von Cardiff in England sei Wladiwostok als Bestimmungsort festgesetzt
worden. In den Chartervertrag und dem Konnossement seien jedoch
die neutralen Häfen Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Be-
stimmungsorte angegeben. Auch noch bei der Abfahrt von Hongkong
sei fälschlich Kiautschou als Bestimmung angegeben und eine ent-
sprechende Ausklarierung erwirkt worden. Nach der Abreise von dort
habe der Dampfer absichtlich einen Umweg genommen, um durch die
Soyastraße nach Wladiwostok zu gelangen. Alles dies sei weder auf
entschuldbares Versehen zurückzuführen noch auf die Absicht, die für
die Reise bequemere Route zu nehmen. Vielmehr sei die Verheimlichung
des Bestimmungsorts eine List, durch welche man der Aufbringung durch
die japanische Marine zu entgehen gehofft habe. Es sei bekannt, daß
632
Prisengerichtsentscheidungen: .Burma'. Abschnitt Vis>^
Wladiwostok, der Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden
Schiffs, zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen im Osten und der Haupt-
stützpunkt für seine Flotte sei. Seit dem Kriege habe die russische Re-
gierung diesen Platz zu einem Hauptetappenort gemacht und häufe
dort mit allen Kräften Kohle, Kriegswaffen und -Gerät und sonstige
Kriegsbedarfsartikel an. Der gewöhnliche Handelsverkehr habe dort
fast ganz aufgehört. Wenn daher nach diesem Platz Kohle befördert
werde, so sei es billig, mangels klaren Gegenbeweises anzunehmen,
daß sie für den Kriegsgebrauch geliefert werden solle. Besonders im
vorliegenden Fall, wo die Ladung doppelt gesiebte Cardiff kohle sei,
wie sie im Osten ausschließlich von der . Kriegsmarine verwandt werde,
müsse man mit Recht annehmen, daß sie sicher für den Kriegsgebrauch
zu liefern und daher Konterbande sei.
Da demnach das zur Verhandlung stehende Schiff zur Beförderung
von Konterbande unter Verwendung betrügerischer Mittel gedient habe,
so könne es nach völkerrechtlichen Regeln, gleichgültig ob der Reeder
an dem betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, mit-
samt seiner Konterbandeladung der Einziehung nicht entgehen.
2. Die Reederei des zur Verhandlung stehenden Dampfers habe
dem Kapitän Order gegeben, das Schiff nach Cardiff zu bringen, Kohle
zu laden und dieselbe nach Hongkong und Wladiwostok zu befördern.
In dem Chartervertrag jedoch, der doch mit Beteiligung des Reeders
aufgestellt sein müsse, seien Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als
Bestimmungsorte angegeben. Danach müßten diese Eintragungen in
den Schiffspapieren als betrügerisch betrachtet werden.
Selbst aber einmal angenommen, der Reeder sei an der Fälschung
der Schiffspapiere nicht beteiligt gewesen, so machten doch die völker-
rechtliche Wissenschaft und Praxis im Falle, daß ein Schiff unter An-
wendung betrügerischer Mittel Konterbande befördere, keinen Unter-
schied in der Strafe danach, ob der Reeder Mittäter sei oder nicht.
3. Die Fälschung des Bestimmungsorts sei in ihrer Wirkung am
schädlichsten, und das Schiff habe den Versuch, mit großem Umweg
die Soyastraße zu passieren, in keiner anderen Absicht gemacht, als
um durch diese List der Aufbringung zu entgehen. Daher sei es
recht, daß das Schiff, weil es sich betrügerischen Vorgehens schuldig
gemacht habe, der Strafe der Einziehung verfalle.
Die Punkte 4, 5 und 6 erforderten keine Erwiderung, und es
werde daher aus obigen Gründen Verwerfung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohlen und sonstige Kriegs-
633
Abschnitt VI 32a Prfsengerichtsentscheidungen: .Burma'.
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit un-
zweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenzent-
scheidung, betreffend die „Neptunus" auch in diesem Falle angenommen
werden, daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke
bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall und die
des vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden,
und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es
ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewendet werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. 3) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vor-
liegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist und,
obwohl erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England Wla-
diwostok das Reiseziel war, der Chartervertrag, das Konnossement und
die Ausklarierungsscheine einen falschen Bestimmungsort angeben und
das Schiff demnach zur Beförderung von Konterbande unter Anwendung
betrügerischer Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffes unfraglich ge-
rechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die einzelnen
Punkte der Berufung noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
') Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
634
Frisengerichtsentscheidungen: .Burma**. Abschnitt VI 32b
Reklamant: Mann, George &Co. in London, England, ver-
treten durch den Kapitän des österreichisch-ungarischen Dampfers
^,Burma", M. Valentin.
Prozeßvertrerer: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Tokio, Kyo-
bashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des österreichischen
Dampfers „Burma'', wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,
entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der auf dem österreichisch-ungarischen
Dampfer „Burma" verschifften etwa 4106 Tons Kohlen entschieden.
Tatbestand undOründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von 4106 Tons doppelt ge-
siebter Cardiffkohle ist auf Grund des zwischen dem Reklamanten und
der Societa Anonima Ungherese di Armamento Maritimo Oriente in
Fiume, Österreich-Ungarn, abgeschlossenen Chartervertrags auf dem
dieser Gesellschaft gehörigen Dampfer „Burma'' verschifft worden. Am
19. November fuhr sie mit Bestimmung nach Wladiwostok in Rußland
von Cardiff ab und wurde am 25. Januar 1905 nach 9 Uhr abends auf
■der Fahrt nach Wladiwostok durch die Tsugaru-Straße bei dem Kap
Shiokubi von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30 mit dem genannten
Dampfer zusammen beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des K'ommandanten des Torpedobootes Nr. 30, Kapitänleut-
nants Akiyoshi Shoichi, durch die Vernehmungsprotokolle des
Kapitäns der „Burma", M. V a 1 e n t i n , und des 1 . Offiziers Giuseppe
P e k u 1 i c h , durch das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das Kon-
nossement, das Tagebuch und die Ausklarierungspapiere von Hongkong.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die von dem Reklamanten, einem neutralen Staatsangehörigen,
unternommene Beförderung von Steinkohle nach Wladiwostok, einem
Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine öffentliche Handelstrans-
aktion, welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs stehe
und nicht vom Völkerrecht untersagt werde. Auch nach der japanischen
5eeprisenordnung sei Kohle keine absolute Konterbande. Sie gelte als
Konterbande nur, wenn sie zum Gebrauch der feindlichen Armee oder
iMarine oder auch nach einem feindlichen Ort bestimmt sei, nach dessen
Verhältnissen angenommen werden müsse, daß sie zum Gebrauch der
feindlichen Armee oder Marine geliefert werden würde, i) In dem vor-
liegenden Fall, wo die Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen,
VV. § U.
635
Abschnitt Vink Prisengeiichtsentscheidungen : .Burma'*
welcher die Eigenschaften eines Kriegs- und eines Handelshafens in sich
vereinige, sei es billig anzunehmen, daß sie. nach dem Handelshafen
Wladiwostok bestimmt und nicht für Kriegszwecke zu liefern sei, es sei
denn, daß Gegenbeweis vorliege. Dies tue auch die Präcedenzent-
scheidung, betreffend die im englisch-holländischen Kriege im Jahre
1798 aufgebrachte „Neptunus", dar. Für den vorliegenden Fall gelte
es auch um so mehr, als die Ladung nicht ausschließlich für den Kriegs-
gebrauch verwendbar sei, sondern auch ganz allgemein im Industrie-
betriebe verbraucht werde.
Aus diesen Gründen werde Freigabe der zur Verhandlung
stehenden Ladung beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht und sie ist mit allen Mitteln bestrebt, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebensmittel oder
dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß
mangels klaren Gegenbeweises angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich der
zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter Cardiff-
kohle besteht, wie sie im wesentlichen nur zum Gebrauch auf Kriegs-
schiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegs-
gebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande an-
zusehen.
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die Begründung jenes Urteils viel eher zur Be-
kräftigung der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
Konterbande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen
vorwiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse
von Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden.
Das in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Ver-
hältnissen Wladiwostoks viel mehr gleich.
Kurz, die zur Verhandlung stehende Ladung ist, weil für den Ge-
brauch der feindlichen Marine bestimmt gewesen, als Konterbande an-
zusehen. 2)
Die Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 sowie die völker-
^)Tl. Ziffer 2.
636
Prisengerichtsentscheidungen: .Burma*. Abschnitt VI»^
rechtliche Wissenschaft und Praxis erkennen aber an, daß Konterbande,
TK-enn auch unter neutraler Flagge fahrend, eingezogen werden kann.»)
Aus diesen Gründen wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 26. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, U c h i d a
Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mann, George & Co., London in England, ver-
treten durch den Kapitän des österreichisch-ungarischen Dampfers
„Burma", M. Valentin.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Tokio, Kyo-
bashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des österreichisch-ungarischen Dampfers
,, Burma", welcher am 25. Januar 1905 bei dem Shiokubi-Vorgebirge
von dem Kaiserlichen Torpedoboot Nr. 30 aufgebracht worden ist, ein
Urteil gefällt, in welchem auf Wegnahme der Ladung des österreichisch-
ungarischen Dampfers „Burma", bestehend aus 4106 Tons Steinkohle,
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat M. Valentin, der Vertreter des Rekla-
manten, der Firma Mann, George & Co. durch den Rechtsanwalt
Akiyama Genzo als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku.und Ishiwatari
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts erster Instanz auf Einziehung der
auf dem Dampfer „Burma" verschifften Steinkohle sei unzutreffend. Es
werde Verwerfung dieser Entscheidung und Freigabe der zur Ver-
iiandlung stehenden Ladung beantragt, und zwar aus folgenden
Oründen :
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
Rußlands einzigem Handelshafen im Osten befördert worden und zu
friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Daher sei es unzutreffend,
.sie als Konterbande anzusehen.
2. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle Konter-
bande sei. In der japanischen Seeprisenordnung*) sei jedoch als Prinzip
•) V. § 43. - *) V. § 14.
637
Abschnitt VI »^ Prisengerichtsentscheidungen: »Burma'.
anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesenermaßen
zum Kriegsgebrauch des Feindes habe geliefert werden sollen. Aber
wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grundsätzen des
Völkerrechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der
zur Verhandlung stehenden Ladung, Wladiwostok, nicht nur Rußlands
einziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten.
Da an diesem Platze alle Arten von kaufmännischen und gewerblichen
Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen dort Nieder-
lassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle, welche
nicht absolute Konterbande sei, dorthin transportiert werde, nicht ohne
weiteres schließen, daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht be-
stimmt sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend die
„Neptunus" aus dem Kriege zwischen England und Holland vom Jahre
1798 sei es billig, daß die zur Verhandlung stehende Ladung als zur
Einfuhr nach dem Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Ge-
brauch bestimmt angesehen werde.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in etwas
ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach der
englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen Kriegs-
schiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen seien,
unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinentalen
Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen hätten,
für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feindlichen Hafen
begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat ihnen gegen-^
über unter der Bedingung der Vergütung das Beschlagnahmerecht und
außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die moderne Rechts-
praxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer weitherziger
werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng, indem es im
Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohnheiten Kohle,
die sowohl friedlichen als kriegerischen Zwecken diene, wenn sie nach
einem Platz, der Handelshafen und Kriegshafen sei, bestimmt wäre, be-
dingungslos einziehe. Besonders, weil die japanische Prisenordnungf
sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wünschenswert, daß,
wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter handele, eine billigere
Haltung eingenommen werde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende :
1. Der Reklamant habe dafür, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung zu friedlichen Zwecken geliefert werden solle, keinerlei Beweis
erbracht. Wladiwostok sei nun zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen
im Osten und der Hauptstützpunkt für seine Flotte. Seit dem Krieg mit
638
Prisengerichtsentscheidungen: .Burma". Abschnitt VI32ii
Japan habe die russische Regierung diesen Platz zu einem Haupt-
etappenort gemacht und sei mit allen Kräften bemüht, dort Kohle,
Kriegswaffen und -Gerät sowie sonstige Kriegsbedarfsgegenstände an-
zuhäufen. Es sei bekannt, daß der gewöhnliche Handelsverkehr dort
fast gänzlich aufgehört habe. Wenn daher Kohle und dergleichen Güter,
deren- Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig sei,
nach Wladiwostok befördert würden, so sei es billig, mangels klaren
Gegenbeweises anzunehmen, daß dieselben für den Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten. Dies gelte besonders auch bezüglich der zur Ver-
handlung stehenden Ladung, welche aus doppelt gesiebter Cardiffkohle
bestehe, wie sie im Osten ausschließlich zum Kriegsgebrauch diene. Auch
habe der Dampfer „Burma", um der Aufbringung durch die japanische
Marine zu entgehen, die List angewandt, seinen Bestimmungsort zu ver-
heimlichen. Daraus könne man mit Recht folgern, daß die Kohle wirklich
für den russischen Kriegsgebrauch zu liefern gewesen und daher Kriegs-
konterbande sei. Das Völkerrecht erkenne aber an, daß Konterbande,
wenn auch unter neutraler Flagge fahrend, der Einziehung nicht ent-
gehen könne.
2. Die Punkte 2 und 3 der Berufung seien nur eine Erweiterung
der Ausführungen des Punktes l', so daß eine besondere Erörterung der-
selben überflüssig sei.
Aus diesen Gründen sei die Berufung zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1 Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast gänzlich aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien.. Dies um so-
mehr, als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine
Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle
für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus''-Fall auch in diesem Falle angenommen
werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche
Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall
und die des vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus
verschieden und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz
639»
Abschnitt VI 33a Prisengeiiclitsentschef düngen : ,M. S. Dollar*.
andere. Es ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz
auf den vorliegenden angewandt werden kann.
Daher sind Punkt 1 und 2 der Berufung unbegründet.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche, bezüglich Vorkaufs, Einziehung
g;egen Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Ent-
schädigung, wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo be-
sondere vertragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich
diese Erscheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls
könne sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man
kann daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas ver-
sehen habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge
leistete. Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Robert Dollar, Direktor der M. S. Dollar
Dampfschiffsgesellschaft in Amerika, Californien, St. Francisco, California
Street Nr. 134.
In der Prisensache, betreffend den Dampfer „M. S. Dollar" und
seine Ladung ist von der oben genannten Person mittels eines englisch
abgefaßten Schreibens vom 2. Februar 1905 die Reklamation erhoben
worden.
Es wird hierüber, wie folgt, entschieden :
Die Reklamation wird abgewiesen, i)
Gründe:
Nach § 26 Absatz 3 der Prisengerichtsordnung*) ist die Ver-
handlungssprache in den Prisengerichten und dem Oberprisengericht
die japanische, und es bestehen hierüber keine Ausnahmebestimmungen.
Da aber die genann^te Reklamationsschrift, wie oben gesagt, sich der
englischen Sprache bedient, so steht sie mit der erwähnten Bestimmung
^) Diese Sache ist formgerecht zur Reklamation gebracht und entschieden in den
Fällen VI 33 b und c.
2) IV.
640
Prfsengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar''. Abschnitt Vis**»
in Widerspruch und ist nicht gesetzmäßig. Sie kann daher nicht an-
genommen werden.
Die erwähnte Reklamationsschrift war an das Prisengericht in Sasebo
gerichtet. Da aber die Prisensache, betreffend den Dampfer ,.M. S.
Dollar" zur Zuständigkeit des unterzeichneten Prisengerichts gehört,
so ist sie auf Grund der. Überweisung durch das Prisengericht in Sasebo
von dem unterzeichneten Gericht behandelt worden.
Gegeben im Prisengericht zu Yokosuka nach Anhörung des Staats-
anwalts bei dem Prisengericht zu Yokosuka am 9. März 1905.
(Unterschriften.)
Reklamant: M. S. Dollar Steamship Company Ltd. in Britisch
Columbia, Victoria, vertreten durch den Direktor Robert Dollar.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „M. S.
Dollar" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „M. S. Dollar"
erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „M. S. Dollar*' steht im
Eigentum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist Victoria in Britisch
Columbien und er ist ein Handelsschiff, welches die englische Flagge
führt.
Am 8. Dezember 1904 hat der Vertreter des Reklamanten, der
Dampfergesellschaft „M. S. Dollar", in San Francisco in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika mit Harry J. Hart in San Francisco einen
Chartervertrag abgeschlossen, auf Grund dessen das Schiff mit Pferde-
futter (ungefähr 26200 Bündel Heu, 14 600 Sack Gerste und 32 200 Sack
Hafer) beladen wurde, um es nach Wladiwostok zu befördern. In allen
Schiffspapieren war Moji als Bestimmungsort angegeben und nach dem
Konnossement sollte sich der Empfänger nach Order bestimmen. Am
31. d. M. fuhr der Dampfer von San Francisco ab und versuchte durch
die Muchi-Straße in den Soyakanal zu gelangen, geriet aber in Treibeis,
ging dann nach Süden und fuhr in die Straße von Etorup. In dem
Tagebuch, dem Privatschiffsjournal und dem Maschinenjournal wurde
MarBtrand-MeohlenburgTi Das japanische Prisenreobt. (41) \)±1
Abschnitt VI»k Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar".
die Fahrroute verheimlicht, und es wurden Eintragungen gemacht, als
ob der Dampfer direkt von San Francisco nach der Tsugaru-Straße ge-
fahren wäre. Als der Dampfer die Straße passiert hatte, und mit einem
Kurs fuhr, der ihn nach Wladiwostok führen mußte, wurde er am 27.
Januar 1905 bei dem Vorgebirge von Ryuhi von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Asama'' mit Beschlag belogt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Asama", Kapitänleutnants Kokura
Unoske,die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des Kapitäns
Charles Gross, anderer Leute der Besatzung und der Zeugen Ed-
ward Glarence Davis und R. Stanley Dollar, das Schiffs-
zertifikat, die Konnossemente, das Ladungsverzeichnis, die Aus-
klarierungspapiere von San Francisco, den Gesundheitspaß, das Tagebuch,,
das Privatschiffsjournal, das Maschinenjournal und das, von dem Kapitän
nach Geständnis verheimlichter Tatsachen herausgegebene wahre Privat-
schiffsjournal und die Aussagen des Vertreters der Reklamation.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe nach dem Chartervertrag dem Charterer das
Schiff zum Gütertransport von San Francisco nach Moji zur Verfügung
•gestellt. Wenn der Dampfer nach einem anderen Bestimmungsort als
dem in dem Chartervertrag bestimmten gefahren sei, so sei dies eine
Handlung des Charterers, die ohne Beteiligung und Wissen des Reeders
geschehen sei. Besonders auch, weil die Ladung nicht im Eigentum des
Reeders stehe, könne, wenn sie auch Konterbande sei, das Schiff nicht
zusammen mit der Ladung eingezogen werden.
Wenn zufälligerweise in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht
als Bestimmungsort angegeben sei, so könnten freilich die Papiere dem
Vorwurf der Unvollständigkeit nicht entgehen, man könne aber nicht
ohne weiteres als Grund hierfür einen betrügerischen Plan, um der Auf-
bringung zu entgehen, annehmen. Selbst aber wenn man annehme,
es sei geschehen, um die Reise heimlich auszuführen, so habe der Char-
terer diese Maßnahme mit Rücksi-rht auf eine Aufbringung der Ladung
getroffen. Diese Belästigung dürfe aber auf das Schiff, dessen Reeder
nichts von der Sache gewußt habe, nicht ausgedehnt werden.
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs keine ab-
solute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden Fall, wo sie nach Wladi-
wostok gehe, einem Hafen, der die Eigenschaften sowohl eines Kriegs-
wie eines Handelshafens besitze, mangels Gegenbeweises angenommen
werden, daß sie nach dem Handelshafen Wladiwostok befördert und
nicht für den Kriegsgebrauch geliefert werden sollte. Daß dies billig
sei, tue auch die Präcedenzentscheidung, betreffend die im englisch-
holländischen Krieg im Jahre 1798 aufgebrachte „Neptunus" dar. Für
612
Prisengeiichtsentscheldungen: „M. S. Dollar". Abschnitt Vf^
den vorliegenden Fall gelte dies auch um so mehr, als die Ladung nicht
ausschließlich als Pferdefutter für Truppenzwecke verwendbar sei.
Aus diesen Gründen werde Freigabe des zur Verhandlung stehen-
den Schiffes beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist.
Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu
einem Hauptetappenort gemacht. Sie ist mit allen Kräften bemüht,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr
hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher eine Ladung von Pferde-
futter, wie die des zur Verhandlung stehenden Schiffs, deren Konter-
bandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach Wladi-
wostok befördert wird, so muß mangels klaren Gegenbeweises an-
genommen werden, daß dieselbe für den Kriegsgebrauch zu liefern war.
Was das von dem . Reklamanten angezogene Urteil in dem „N'ep-
tunus''-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach Amster-
dam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im Gegen-
teil kann man die Begründung jenes Urteils viel eher zur Bekräftigung
der Annahme, daß die hier in Frage stehende Ladung Konterbande ist,
geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vorwiegend
kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von Wladi-
wostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das
in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen
Wladiwostoks viel mehr gleich.
Wenn. man insbesondere auch die Menge der Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes und die bei ihrer Beförderung angewandten
betrügerischen Mittel sowie die Aussagen des Kapitäns zusammenhält,
so fallen die Zweifel, daß die Ladung für die feindlichen Truppen be-
fördert wurde, mehr und mehr hinweg. Es ist daher mit Recht an-
zunehmen, daß die Ladung Konterbande ist. i)
Daß ferner Wladiwostok der Bestimmungsort war, geht, wie oben
gesagt, aus den Vernehmungsprotokollen des Kapitäns und der übrigen
Besatzung hervor. Auch steht es in dem echten Privatschiffsjournal
genau beschrieben, wie das Schiff am 23. Januar nördlich von der Insel
Kunishiri in Treibeis geriet und den Kurs änderte. Später wurden freilich
die wahren Tatsachen aufgezeichnet, aber in allen, bei der Aufbringung
überlieferten Schiffspapieren war Moji als Bestimmungshafen bezeichnet.
Im Tagebuch, im Privatschiffsjournal und Maschinenjournal war die bis-
herige Reise verheimlicht, und es waren Eintragungen gemacht, als ob
das Schiff von San Francisco direkt nach der Straße von Tsugaru ge-
fahren wäre. Bei der Visitierung durch den Stellvertreter des Kom-
») IL Ziffer 2.
(41*) 643
Abschnitt VI 33b Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar".
mandanten der „Asama" und bei der Vernehmung durch den mit dem
Fall beauftragten Prisenrat haben der Kapitän und die Mannschaft zu-
nächst keine wahren Aussagen gemacht, erst nach vielen Vernehmungen
nach der Aufbringung gestanden sie die Wahrheit. Alles dies berechtigt
hinreichend zu der Annahme, daß ein mit größter Vorsicht durchdachter
betrügerischer Plan vorgelegen hat. Kurz, der Dampfer „M. S. Dollar"
hat unter Anwendung betrügerischer Mittel Kriegskonterbande befördert.
Es ist aber völkerrechtlich in Theorie und Praxis anerkannt, daß
solche Schiffe, welche sich betrügerischer Mittel bedienen, gleichgültig
ob dies unter Beteiligung oder mit Wissen des Reeders geschieht oder
nicht, mit ihrer Konterbandeladung einzuziehen sind. *)
Da das zur Verhandlung stehende Schiff aus den obigen Gründen
einzuziehen ist, so erübrigt es sich, auf die weiteren Punkte des Rekla-
manten noch weiter einzugehen.
Es wird daher, wie in der Urteilsformel, entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
Yoshio.
(Unterschriften.)
Reklamant: The M. S. Dollar Steamship Company Ltd., Vic-
toria, Britisch Columbien, vertreten durch Robert Dollar.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache betreffend den englischen Dampfer „M. S. Dollar", welcher
am 27. Januar 1905 bei dem Ryuhi-Vorgebirge von dem Kaiseriichen
Kriegsschiff „Asama" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers „M. S. Dollar" er-
kannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat R o b e r t D o 1 1 a r als Vertreter des Rekla-
manten, der M. S. Dollar Steamship Company Ltd. durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur.
Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka, welches auf Wegnahme
des Dampfers „M. S. Dollar" erkenne, sei unrechtmäßig. Es werde Auf-
614
Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar''. Abschnitt Vl^sk
hebung desselben und Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffes
beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei von
dem Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter Anwendung
betrügerischer Mittel Konterbande geladen. Wenn daher auch die
Ladung als Konterbande angesehen werde, so könne doch das Schiff nicht
eingezogen werden.
2. Der einzige Grund, aus dem das Gericht erster Instanz die
Wegnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs verfügt habe, sei
der, daß
das Schiff unter Anwendung von betrügerischen Mitteln
Kriegskonterbande befördert habe, und daß ein Schiff,
welches sich solchen betrügerischen Vorgehens schuldig ge-
macht habe, gleichviel ob dies unter Beteiligung und mit
Wissen des Reeders geschehen sei oder nicht, mit seiner
Konterbandeladung eingezogen werden müsse.
Die Strafe für Konterbandetransport sei, wenn die Konterbandeladung
nicht im Eigentum des Reeders stehe, lediglich der Verlust an Zeit,
Fracht und Kosten; die Strafe der Einziehung könne indes nicht auf-
erlegt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völkerrechts,
daß, wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
verschifft sei, auch das Schiff nur eingezogen werden könne, wenn es
klar erwiesen sei, daß der Reeder Mittäter bei dem betrügerischen Vor-
gehen sei. 'Nicht nur England erkenne djes an, auch die japanische
Prisenordnung stehe auf demselben Standpunkt.
Um annehmen zu können, daß ein Schiff unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Konterbande geladen habe, müsse unbedingt Be-
teiligung und Mitwissen des Reeders an dem betrügerischen Vorgehen
vorliegen; derselbe müsse der Mittäterschaft schuldig sein. In dem vor-
liegenden Fall liege aber Mittäterschaft des Reeders ganz sicher nicht
vor. Es sei daher unrechtmäßig, wenn das Urteil erster Instanz, ohne
diese Tatsache zu prüfen und ohne sich überhaupt darum zu kümmern,
ob der Reeder bei dem betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei
oder nicht, entschieden habe, daß das Schiff zusammen mit seiner
Ladung einzuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung auferlegen zu können, genüge es nicht, daß in den
Schiffs papieren lediglich der Bestimmungsort nicht angegeben sei, es
sei vielmehr erforderlich, daß die Papiere hergestellt seien mit der Ab-
sicht, die im Kriege begriffene Marine bei der Visitierung und Durch-
suchung zu täuschen, um so der Aufbringung zu entgehen, und daß
diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne.
645
Abschnitt Vl^'b Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar'^
Es lägen aber keinerlei Anzeichen vor, daß die Papiere des zur
Verhandlung stehenden Schiffs in der Absicht hergestellt worden seien ;
auch sei es klar, daß mit ihnen der Zweck, der Aufbringung zu entgehen,
nicht habe erreicht werden können. Daher könne das Schiff nicht
eingezogen werden.
4. Der Reeder habe den zur Verhandlung stehenden Dampfer zum
Transport von Gerste, Hafer und Heu an den Ladungseigentümer ver-
mietet und in dem Chartervertrag sei Moji in Japan als Bestimmungs-
ort festgesetzt worden. Der Reeder habe daher von einer Fahrt nach
einem anderen Orte nichts gewußt.
Was den Charakter und die Wirkung des in Frage stehenden
Chartervertrags angehe, so sei dieser Vertrag nach dem Rechte Eng-
lands, wo er abgeschlossen sei, auszulegen ; nach dem englischen Rechte
habe aber der Vertrag den Charakter einer Sachmiete, und man müsse
annehmen, daß der Besitz und die Verfügungsgewalt über das Schiff
für die Zeit auf den Charterer übergegangen seien. Aber auch wenn man
in dem vorliegenden Chartervertrag lediglich einen gewöhnlichen
Transportvertrag erblicke, so sei es doch offenbar, daß der Wille des
Reeders über die in dem Vertrag bezeichnete Reise nicht hinausgereicht
habe. Wenn daher der Charterer heimlich dem Kapitän Order gegeben
habe, nach Wladiwostok zu gehen, und der Kapitän diesen Befehl aus-
geführt habe, könne man nicht behaupten, daß der Reeder an diesem
Vorhaben beteiligt sei und bei dem Konterbandetransport in Mittäter-
schaft stehe. Auch nach den gewöhnlichen Rechtsbegrifjen,- könne,
wenn auch der Kapitän, als der Stellvertreter des Reeders gelte, dieser
doch für willkürliche Handlungen des Kapitäns, welche außerhalb von
dessen gewöhnlichen gesetzlichen Befugnissen lägen, nicht haftbar ge-
macht werden. Um so mehr müsse das gelten, wo es sich um einen
Kriegskonterbandetransport unter Anwendung betrügerischer iMittel han-
dele, da eine solche Handlung eine Verletzung des Völkerrechts sei.
Aus diesen Gründen habe der Reeder selbstverständlich für keinerlei
Eintragungen. in die Schiffspapiere, abgesehen von dem Chartervertrag,
die Verantwortung zu tragen. Selbst einmal angenommen, es wären
fälschliche Eintragungen in die Schiffspapiere gemacht, so könne doch
dem Reeder, solange nicht der Beweis seiner Mittäterschaft vorliege,
die Verantwortung hierfür nicht auferlegt werden.
5. Die japanische Seeprisenordnung stehe auf dem Standpunkt,
daß Gerste, Hafer und Heu nur dann als Konterbande gälten, wenn
es erwiesen sei, daß sie zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden
sollten. Einmal angenommen, dieser Standpunkt entspreche den völker-
rechtlichen Grundsätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungs-
ort der zur Verhandlung stehenden Ladung, nicht nur Rußlands ein-
ziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten.
Prisengerfchtsentscheidungen: „M. S. Dollar''. Abschnitt Vis^k
Es sei daher unrechtmäßig, ohne weiteres anzunehmen, daß Gerste,
Hafer und Heu, welche nicht absolute Konterbande seien, für den
Kriegsgebrauch bestimmt seien. Es müsse vielmehr entsprechend dem
Urteil in dem „Neptunus"-Fall im englisch-holländischen Krieg im Jahre
1798 angenommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
für den Handelshafen Wladiwostok bestimmt gewesen sei und für fried-
lichen Gebrauch habe geliefert werden sollen.
Demnach sei die Ladung keine Konterbande und das Schiff, auf
•dem sie verladen sei, könne folglich nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende:
1. Das zur Verhandlung stehende Schiff habe eine volle Ladung
von Pferdefutter eingenommen, um sie nach Wladiwostok, dem Haupt-
stapelplatz des Feindes für Kriegsbedarfsartikel zu befördern. Dabei
habe es in dem Ladungsverzeichnis, dem Chartervertrag, dem Konnosse-
ment und dem Ausklarierungsschein immer Mo^i als den Hafen, nach
dem die Ladung befördert werden solle, angegeben. Außerdem sei
in dem Tagebuch, dem Privatschiffsjournal und dem Maschinenjournal
die Reise über die Chishima-Inselgruppe nach der Soyastraße' nicht
verzeichnet worden, vielmehr stehe dort, daß das Schiff vom Ausgangs-
hafen andauernd mit demselben Kurs nach der Tsugarustraße gefahren
sei. Diese Journale seien überdies verheimlicht worden.
Nach allem diesen sei es zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz
•entschieden habe, daß das Schiff sich bei einem Transport von Konter-
bande betrügerischer Mittel bedient habe und daß es daher einzu-
ziehen sei.
2. Aus der Urteilsschrift des Urteils erster Instanz ergebe sich klar,
daß die Entscheidung auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes auf die Tatsache gegründet sei, daß in wichtigen Schiffspapieren,
wie dem Chartervertrag und anderen, für die Konterbandeeigenschaft der
Ladung wichtige Tatumstände wie der Bestimmungsort und dergleichen
gefälscht worden seien. Da der Chartervertrag allgemein zwischen Idem
Reeder und dem Charterer abgeschlossen werde, sei es unfraglich, daß
der Reeder in dieser Sache an dem betrügerischen Vorgehen beteiligt
gewesen sei, und so erübrige es sich, zu entscheiden, ob es für die
Einziehung erforderlich sei, daß ein Reeder an dem betrügerischen Vor-
gehen teilgenommen habe, oder nicht.
3. In dem Chartervertrag und dem Konnossement des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes sei als Bestimmungsort der Ladung Moji
angegeben. Wenn man, um die Wahrheit dieser Eintragung fest-
zustellen, das Tagebuch und das Privatschiffsjournal prüfe, so finde man
freilich überall Eintragungen, als ob das Schiff vom Ausgangshafen die
gewöhnliche Route nach Moji gefahren wäre. Wenn diese Eintragungen
647
Abschnitt VI 33k Pri8engericht8ent8cheidungen : „M. S. Dollar'^
über die Reise wahr wären, so müßte man annehmen, daß auch die An-
gaben in den Ladungspapieren wahr wären, und müßte entscheiden,
daß das Schiff und seine Ladung freizugeben seien. Da es aber durch
das Geständnis des Kapitäns und durch das von ihm verborgen ge-
haltene Privatschiffsjournal erwiesen sei, daß alle diese Eintragungen
fälschlich seien, sei es zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz auf
Einziehung des Schiffes entscheide, weil in diesen wichtigen Schiffs-
papieren fälschliche Eintragungen gemacht worden seien.
4. Der Chartervertrag sei keine Sachmiete. Daher sei auch der
Kapitän selbstverständlich nicht den Orders des Charterers unterworfen,
und der Reklamant könne mit der Behauptung, der Kapitän sei wider die
Befehle des Reeders und in Befolgung der Order des Charterers will-
kürlich nicht nach Moji sondern nach Wladiwostok gefahren, nichts,
begründen.
Aus diesen Gründen müsse die Berufung abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Kriege mit Japan hat es denselben zum Stützpunkt für
seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dort hat fast ganz aufgehört.
Wenn man daher die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff
verladene Menge von Gerste, Hafer und Heu erwägt und sich überlegt,
daß das Schiff versucht hat, die gefährliche Route durch den Soyakanal
zu nehmen, und sich dabei betrügerischer Mittel bedient hat, so wird
es offenbar, daß die Ladung jedenfalls als Pferdefutter für den russischen
Kriegsgebrauch geliefert werden sollte, und es ist durchaus zutreffend,
wenn das Gericht erster Instanz dieselbe als Konterbande erachtet hat.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend die „Neptunus'', auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke be-
stimmt gewesen sei. Da aber die Verhältnisse des Bestimmungsorts im
„Neptun us''-Fall und im vorliegenden Fall von Grund aus verschieden
sind, so ist es unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den
vorliegenden angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt' an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. ^) Auch das Oberprisengericht ist der
Ansicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vor-
liegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist und,.
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V; und ihre Grundlage^
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
648
Prisengerichtsentscheidungen: ,,M. S. Dollar'*. Abschnitt VI33e
obwohl erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von San Francisco das
Reiseziel Wladiwostok war, der Chartervertrag und die anderen Schiffs-
papiere einen falschen Bestimmungsort angeben und das Schiff demnach
zur Beförderung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer
Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffes unfraglich
gerechtfertigt ist, so liegt kein Bedürfnis vor, auf die einzelnen Punkte,
der Berufung besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Harry J. Hart, wohnhaft in den Vereinigten*
Staaten von Nordamerika, Californien, San Francisco.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzo, Tokio, Kyo-
bashiku, Unemecho .Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers-
„N[. S. Dollar" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der Ladung des englischen Dampfers „M.
S. Dollar", bestehend aus etwa 26200 Bündeln Heu, 14 600 Sack Gerste
und 32 200 Sack Hafer, erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung des Dampfers „M. S. Dollar"
ist von dem Reklamanten versandt worden und besteht aus Gütern, die
alle als Pferdefutter verwandt werden sollten. Im einzelnen sind vor-
handen: etwa 26 200 Bündel Heu, 14 600 Sack Gerste und 32 200 Sack
Hafer. Um diese Güter nach Wladiwostok zu schaffen, hat der Rekla-
mant am 28. Dezember 1904 in San Francisco, Californien, Vereinigte
Staaten von Nordamerika, mit dem Vertreter des Reklamanten, der
Reederei des Dampfers „M. S. Dollar", der M. S. Dollar Steamship Com-
pany, einen Chartervertrag geschlossen, auf Grund dessen der genannte
Dampfer in San Francisco die zur Verhandlung stehende Ladung lud.
In dem Konnossement und dem Ladungsverzeichnis wurde Moji als Be-
649
Abschnitt VI33e Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar".
Stimmungsort angegeben, und nach dem Konnossement sollte sich der
Empfänger nach Order richten. Am 31. d. Mts. fuhr der Dampfer von
San Francisco nach Wladiwostok ab und wurde, als er einen Kurs steuerte,
•der ihn durch die Tsugaru-Straße nach Wladiwostok führen sollte, am
27. Januar 1905 in der Nähe des Vorgebirges von Ryuhi von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Asama'' zusammen mit den zur Verhandlung
stehenden Gütern beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Asama'', Kapitänleutnants Kokura
Unoske, die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des Kapitäns des
Dampfers „M. S. Dollar", Charles Gross, und der Besatzung sowie
•des Zeugen EdwardGlarenceDavis, den Chartervertrag, das Kon-
nossement, das Ladungsverzeichnis, das Tagebuch und das Privatschiffs-
journal.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die von dem Reklamanten unternommene Beförderung von Gerste,
Heu und Hafer nach Wladiwostok, einem Hafen einer kriegführenden
Macht, sei eine rechtmäßige Handelstransaktion, welche die Freiheiten
des neutralen Handelsverkehrs genieße.
Güter, wie die zur Verhandlung stehende Ladung, seien ihrer Art
nach keine Konterbande, sondern könnten lediglich, wenn sie als Pferde-
futter für die feindlichen Truppen bestimmt seien, als solche angesehen
werden. Ob die zur Verhandlung stehende Ladung aber als Pferdefutter
an die feindlichen Truppen zu liefern gewesen wäre, sei eine Tatfrage,
und in dem vorliegenden Fall, wo der Bestimmungsort Wladiwostok
sei, ein Hafen, welcher die Eigenschaften eines Kriegs- und Handelshafens
in sich vereinige, sei es billig anzunehmen, daß sie nach dem Handels-
hafen Wladiwostok bestimmt und nicht für Kriegszwecke zu liefern ge-
wesen sei, solange nicht besonderer Beweis dafür vorliege, daß sie für
den Kriegsgebrauch bestimmt gewesen sei. Das tue auch die Präcedenz-
-entscheidung, betreffend die im englisch-holländischen Kriege im Jahre
1798 aufgebrachte „Neptunus'' dar. Für den vorliegenden Fall gelte
•dies um so mehr, als die Ladung nicht ausschließlich als Pferdefutter für
Truppenzwecke verwendbar sei.
Selbst angenommen, das Eigentum an der Ladung sei bereits,
während sie nach dem feindlichen Gebiet befördert worden sei, auf den
Empfänger im Feindesland übergegangen, und sie habe daher feind-
Hchen Charakter, so könne sie doch nicht eingezogen werden, weil sie
unter neutraler Flagge verschifft worden sei.
Aus diesen Gründen werde Freigabe der zur Verhandlung
stehenden Ladung beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
'650
Prisengerichtsentscheidungen: „Hl. S. Dollar''. Abschnitt VI^So
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist.
Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu
einem Hauptetappenort gemacht und ist mit allen Kräften bestrebt, dort
•große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
•dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher eine Ladung wie die zur
Verhandlung stehende, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen
Umständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert wird, so muß
mangels klaren Gegenbeweises angenommen werden, daß dieselbe für
•den Kriegsgebrauch zu liefern war.
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die Begründung jenes Urteils viel eher zur Be-
kräftigung der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
Konterbande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen
vorwiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse
von Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden.
Das in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhält-
nissen Wladiwostoks viel mehr gleich.
Wenn man im besonderen auch die Menge der zur Verhandlung
stehenden Ladung und die bei ihrer Beförderung angewandten be-
trügerischen Mittel sowie die Aussagen des Kapitäns zusammenhält, so
fallen die Zweifel, daß die Ladung für die feindlichen Truppen be-
fördert wurde, mehr und mehr hinweg. Es ist daher mit Recht an-
zunehmen, daß die Ladung Konterbande ist. i)
Daß aber Konterbande, wenn auch unter neutraler Flagge fahrend, .
eingezogen werden kann, ist von der Pariser Seerechtsdeklaration vom
Jahre 1856 sowie von der völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis
.anerkannt.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
Y o s h i o.
(Unterschriften.)
») II. Ziffer 2. — ^j y. § 43.
651
Abschnitt VI3do Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar''^
Reklamant: Harry J. Hart, San Francisco, Californien, Ver-
einigte Staaten von Nordamerika.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt AkiyamaGenzof Tokio, Kyo-
bashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers „M. S. Dollar'%
welcher am 27. Januar 1905 bei dem Ryuhi-Vorgebirge von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Asama" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt^
in welchem auf Wegnahme der auf dem englischen Dampfer „M. S.
Dollar'' verladenen etwa 26 200 Bündel Heu, 14 600 Sack Gerste und
32 200 Sack Hafer entschieden worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant Harry J. Hart durch
den Rechtsanwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung-
eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist»
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation^
Akiyama Genzo, sind folgende :
Die Entscheidung des Prisengerichts in Yokosuka auf Wegnahme:
der Ladung des Dampfers „M. S. Dollar" sei unzutreffend. Es werde
Aufhebung des Urteils und Freigabe der Ladung beantragt, und zwar
aus folgenden Gründen;
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok^
Rußlands einzigem Handelshafen im Osten, befördert worden und zum
friedlichen Gebrauch bestimmt gewesen. Daher sei es unzutreffend, sie
als Konterbande anzusehen.
2. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Gerste, Hafer
und Heu Konterbande seien. In der japanischen Seeprisenordnung 3)>
sei aber das Prinzip anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelten, wenn
sie erwiesenermaßen zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert werden
sollten. Aber wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grund-
sätzen des Völkerrechts in Einklang stehe, so sei doch der Bestimmungs-
hafen der zur Verhandlung stehenden Ladung Wladiwostok, welches so-
wohl Rußlands einziger Kriegshafen wie auch sein einziger Handelshafen
im Osten sei. Da an diesem Platz verschiedene Arten von kaufmännischen
und gewerblichen Unternehmungen betrieben würden und neutrale
Firmen dort Niederlassungen hätten, so könne man aus der Tatsache,,
daß Gerste, Hafer und Heu, welche nicht absolute Konterbande seien,
dorthin transportiert würden, nicht ohne weiteres schließen, daß diese-
für den Gebrauch der Kriegsmacht bestimmt seien. Auch nach der Prä-
cedenzentscheidung, betreffend den „Neptunus"-Fall aus dem Kriege:
zwischen England und Holland im Jahre 1798 sei es hillig, daß. die zur
3) V. § 14.
652
Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar''. Abschnitt V133e
Verhandlung stehende Ladung als zur Einfuhr nach dem Handelshafen
Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch bestimmt angesehen werde.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip v^on dem kontinentalen in etwas
4ib, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach der
englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen Kriegs-
schiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen seien,
4anter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinentalen
Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen hätten,
für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feindlichen Hafen
begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat ihnen gegen-
über unter der Bedingung der Vergütung das Beschlagnahmerecht und
außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die moderne Rechts-
praxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer weitherziger wer-
dende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng, indem es im
Gegensatz zu den vorerwähnten Rechtsprinzipien und Gewohnheiten
Gerste, Hafer und Heu, die sowohl friedlichen als kriegerischen Zwecken
dienten, wenn sie nach einem Platz, der Handels- und Kriegshafen sei,
bestimmt wären, bedingungslos einziehe. Besonders weil die japanische
Prisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es
^wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter
handele, eine billigere Haltung eingenommen würde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende :
1. Es sei unbestreitbar, daß die ganze zur Verhandlung stehende
Ladung von Heu, Gerste und Hafer Pferdefutter sei. Ferner sei es be-
kannt, daß ihr Bestimmungsort Wladiwostok seit dem Kriege der einzige
Stapelplatz Rußlands für Kriegsbedarfsartikel im Osten sei. Außerdem
lägen klare Spuren dafür vor, daß bei der Beförderung der Ladung be-
trügerisches Vorgehen im Spiele gewesen sei. Wenn man dies zusammen-
halte, so sei es klar, daß die Ladung feindliche Kriegsbedarfsartikel dar-
stelle, und die Entscheidung der ersten Instanz, welche die Güter für
Kriegskonterbande erkläre und ihre Einziehung verfüge, zutreffend sei.
2. Das in diesem Punkt von dem Reklamanten Vorgebrachte sei
lediglich eine Wiederholung seiner Ausführungen in der ersten Instanz
und, da deren Grundlosigkeit bereits in dem erstinstanzlichen Urteil im
einzelnen dargetan sei, so erübrige es sich, aufs neue darauf einzugehen.
3. Daß eine kriegführende Macht das Recht habe, Konterbande,
gleichviel ob sie absolut oder relativ sei, einzuziehen, erkenne das geltende
Völkerrecht an, wie sich aus der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre
•1856 klar ergebe. Die Präcedenzen, nach welchen bei Einziehung relativer
Konterbande Vergütung geleistet werde, gründeten sich alle entweder
653
Abschnitt Vl^se Prisengerichtsentscheidungen: „M. S. Dollar«^
auf besonderen Vertrag oder spezielle politische Erwägungen. Eine all-
gemeine völkerrechtliche Regel dieser Art bestehe indes nicht. Daher
sei es zutreffend, daß das Urteil erster Instanz auf Einziehung der zur
Verhandlung stehenden Ladung erkannt habe.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat es denselben zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohle und sonstige
Kriegsbedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr
nach dort hat fast ganz aufgehört.
Wenn man daher die auf dem Schiff verladene Menge von Gerste^.
Hafer und Heu erwägt und sich überlegt, daß das Schiff versucht hat,
die gefährliche Route durch die Soyastraße zu nehmen, und sich dabei
betrügerischer Mittel bedient hat, so wird es offenbar, daß die Ladung
jedenfalls als Pferdefutter für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte, und es ist durchaus zutreffend, daß das Gericht erster
Instanz dieselbe als Konterbande erachtet hat.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenzent-
Scheidung, betreffend die „Neptunus'' auch im vorliegenden Falle an-
genommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für fried-
liche Zwecke bestimmt gewesen sei. Da aber die Verhältnisse des Be-
stimmungsorts im „Neptunus"-Fall und im vorliegenden Fall von Grund
aus verschieden sind, so ist es unfraglich, daß jener Fall nicht als Prä-
cedenz auf den vorliegenden angewandt werden kann. Demnach sind
Punkt 1 und 2 der Berufung unbegründet.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,
wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere ver-
tragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge leistete.
Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
654
Prisengerichtsentscheidungen: „Wyefield". Abschnitt VI 34 a/
Reklamant: Western Steamship Company, Nanaimo, Britisch
Columbien, vertreten durch den Geschäftsführer John L. Howard.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Tokio,.
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache betreffend den englischen Dampfer „Wyefield"
wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Wyefield" er-
kannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Wyefield'' steht im Eigen-
tum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist Victoria in Britisch Columbien
und er ist ein Handelsschiff, welches die englische Flagge führt.
Der Dampfer hat auf Grund eines am 17. Dezember 1904 in San
Francisco in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zwischen dem
Reklamanten und Harry J. Hart in San Francisco abgeschlossenen
Chartervertrags mit der Absicht, sie nach Wladiwostok in Rußland zu
befördern, in San Francisco eine Ladung Pferdefutter, nämlich ungefähr
64 400 Sack Gerste, 900 Sack Hafer und 10 300 Bündel Heu geladen.
Nath dem Konnossement sollte sich der Empfänger nach Order richten.
Am 31, d. M. fuhr der Dampfer von San Francisco ab und versuchte
die Soyastraße zu passieren,- geriet aber in Treibeis. Er wandte nach
Süden und wurde, als er mit einem Kurs durch die Tsugaru-Straße
fuhr, der ihn nach Wladiwostok bringen mußte, am 30. Januar 1905
bei dem Vorgebirge Shlokubi von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Mu-
sashi'* aufgebracht.
Von den Schiffspapieren geben das Konnossement und der Charter-
vertrag Wladiwostok als Reiseziel an, das Privatschiffsjournal und die
Ausklarierungsbescheinigungen von San Francisco und Comox und
der Gesundheitspaß geben jedoch eine Route über verschiedene Häfen
nach Moji in Japan an und erwähnen den Bestimmungsort der ge-
samten Ladung Wladiwostok nicht. Auch im Ladungsverzeichnis steht
„Moji über Comox" als Reise verzeichnet, nur an einer Stelle ist als
Löschungsplatz der Ladung Wladiwostok eingetragen, und der Vertreter
der Reklamation behauptet, daß der Kapitän nach Abreise von Comox
diese Stelle, welche auf Moji gelautet habe, willkürlich umgeändert
habe.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Musashi", Kapitänleutnants
YasumuraKaiichi, die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des
Kapitäns der „Wyefield", Alexander. Watson, und des 1. Offiziers
655
Abschnitt Vl^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Wyefield''.
Charles Harry Web, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das
Konnossement, das Ladungsverzeichnis, die Ausklarierungspapiere und
den Gesundheitspaß.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende :
Bei der diesmaligen Reise des zur Verhandlung stehenden Dampfers
sei der Ausfahrtsort San Francisco, der letzte Bestimmungsort iVloji in
Japan gewesen. Dazwischen hätten Wladiwostok und andere bequem
gelegene Häfen angelaufen werden sollen.
Es sei unbestreitbar, daß die Absendung der dem Charterer ge-
hörigen Ladung von Gerste, Hafer und Heu nach Wladiwostok auch
während des Krieges zwischen Japan und Rußland, weil auf einem
neutralen Schiff geschehen, eine rechtmäßige Handlung sei. Auch seien
die Papiere des zur Verhandlung stehenden Schiffs alle in Ordnung,
und man könne ihnen keine Fälschung vorwerfen.
Selbst wenn man daher einmal annehme, die Ladung sei Konter-
bande, so könne doch nach den völkerrechtlichen Prinzipien das Schiff
nicht das Schicksal der Ladung teilen und der Strafe der Aufbringung
verfallen. Dies erkenne auch die Japanische Seeprisen Ordnung an.
Es werde daher Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffes
.beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
!im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht und ist mit allen Kräften bestrebt, dort große
Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat dort
fast gänzlich aufgehört. Wenn daher eine Ladung von Pferdefutter,
wie die des zur Verhandlung stehenden Schiffes, deren Konterbande-
eigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach Wladiwostok
befördert wird, so muß mangels klaren Gegenbeweises angenommen
werden, daß dieselbe für den Kriegsgebrauch zu liefern war. Wenn
man insbesondere auch die Menge der Ladung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs und die bei ihrer Beförderung angewandten be-
trügerischen Mittel, sowie die Aussagen des Kapitäns zusammenhält,
so fallen die Zweifel, daß die Ladung für die feindlichen Truppen be-
fördert wurde, mehr und mehr hinweg. Es ist daher mit Recht an-
zunehmen, daß die Ladung Konterbande ist. i)
Das Schiff ist als ganzes nach Wladiwostok verchartert und es
stand bereits in San Francisco bei Anfang der Reise fest, daß die ge-
samte Ladung in Wladiwostok gelöscht werden sollte. Trotzdem ist
in dem Ladungsverzeichnis Moji als Reiseziel angegeben, und auch bei
der Einwirkung des Ausklarierungsscheins und des Gesundheitspasses
1) IL Ziffer 2.
«656
Prisengerichtsentscheidungen: ,Wyefield'. Abschnitt Vl^a
ist die Absicht, nach Wladiwostok zu gehen, verheimlicht und so Moji
als Bestimmungsort eingetragen worden. Daß auf diese Weise der
Anschein erweckt wurde, als ob die Ladung nach Moji in Japan be-
stimmt worden sei, genügt, um zu der Überzeugung zu kommen, daß
Jiach einem betrügerischen Plan vorgegangen worden ist, der das Schiff
<ier Aufbringung entziehen sollte. Daß in einigen Papieren Wladiwostok
als Reiseziel bezeichnet worden ist, kann allein nicht die Tatsache, daß
<lie anderen Papiere gefälscht sind, umstoßen und berechtigt nicht zu
dem Schluß, daß das zur Verhandlung stehende Schiff sich keines
betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht hat.
Der Vertreter der Reklamation bringt freilich vor, daß die Worte
.„über verschiedene Häfen nach Moji" in sich schlössen, daß die Reise
über Wladiwostok habe gehen sollen und daß es sich in keiner Weise
um eine Verheimlichung der Tatsache, daß das Schiff nach Wladiwostok
liabc fahren sollen, handele. Da es aber den tatsächlichen Verhältnissen
aiicht entspricht, wenn man annimmt, daß für eine Reise von Amerika
nach Moji die Worte „über verschiedene Häfen nach Moji" natürlich
Wladiwostok in sich schlössen, so kann diesem Vorbringen des Rekla-
manten nicht beigepflichtet werden.
Kurz, das zur Verhandlung ste:*hende Schiff „Wyefield" hat mit
l)etrügerischen Handlungen Konterbande befördert.
Die völkerrechtliche Theorie und Praxis erkennen es aber an,
daß solche Schiffe, bei denen betrügerisches Vorgehen vorliegt, mit
ihrer Konterbandeladung eingezogen werden können. *)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, U c h i d a
Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Western Steamship Company in Nanaimo,
Britisch Columbien.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Wyefield", welcher
am 30. Januar 1905 in der Tsugarustraße von dem Kaiserlichen Kriegs-
») V, § 44.
MAritrand-Mechlenburgr, Das Japanische Prisenreoht. (42) 00/
Abschnitt VI^* Prisengerichtsantscheidungen: ,Wyaflald'^
schiff „Musashi" aufgebracht worden ist, ein Urteil erlassen, in welchen?
auf Wegnahme des englischen Dampfers „Wyefield" erkannt worden ist
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, die Western Steamship»
Company, durch den Rechtsanwalt AkiyamaGenzo als ProzeB-
vertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,.
Akiyama Genzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme des-
Dampfers „Wyefield" sei unzutreffend. Es werde Verwerfung desselben
und Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffs beantragt, und
zwar aus folgenden Gründen :
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei
von dem Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter An-
wendung betrügerischer Mittel Konterbande geladen. Wenn daher auch
die Ladung als Konterbande angesehen werden möge, so könne doch
das Schiff nicht eingezogen werden.
2. Der einzige Grund, aus dem das Gericht erster Instanz die-
Wegnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes verfügt habe, sei .
der, daß
das Schiff unter Anwendung betrügerischer Mittel Kriegs-
konterbande befördert habe und daß ein Schiff, welches
sich solchen betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht
habe, gleichviel ob dies unter Beteiligung und mit Wissen
des Reeders geschehen sei oder nicht, mit seiner Konterbande-
ladung eingezogen werden müsse.
Um annehmen zu können, daß ein Schiff unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Konterbande geladen habe, müsse unbedingt Be-
teiligung und Mitwissen des Reeders an dem betrügerischen Vorgehen
vorliegen; derselbe müsse der Mittäterschaft schuldig sein. In dem
vorliegenden Fall liege aber Mittäterschaft des Reeders ganz sicher nicht
vor. Es sei daher unrechtmäßig, wenn das Urteil erster Instanz, ohne
diese Tatsache zu prüfen, einfach annehme, daß bei dem Schiff be-
trügerisches Vorgehen vorliege, und entscheide, daß es mit seiner Ladung
einzuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung auferlegen zu können,, genüge es nicht, daß in den
Schiffspapieren lediglich der Bestimmungsort nicht angegeben sei, es
sei vielmehr außerdem erforderlich, daß die Papiere hergestellt seien
mit der Absicht, die im Kriege begriffene Marine bei der Visitierung.
und Durchsuchung zu täuschen und so der Aufbringung zu entgehen,,
und daß diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne^
658
Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefield\ Abschnitt VI 34»
Es lägen aber keinerlei Anzeichen vor, daß die Papiere des zur
Verhandlung stehenden Schiffes in der Absicht hergestellt worden seien;
auch sei es klar, daß mit ihnen der Zweck, der Aufbringung zu ent-
gehen, nicht habe erreicht werden können.
Daher könne das Schiff nicht eingezogen werden.
4. Der Ausfahrtshafen des Dampfers sei San Francisco in Amerika,
der letzte Bestimmungshafen Moji in Japan gewesen. Dazwischen haben
Wladiwostok und andere bequem gelegene Häfen angelaufen werden
sollen. Der von dem Absender Harry J. Hart in San Francisco ab-
geschlossene Chartervertrag habe bezweckt, das Schiff in Wladiwostok an-
laufen zu lassen, um die ihm gehörige Ladung von Gerste, Hafer und
Heu nach dort zu schaffen. Dies sei, weil das Schiff ein neutrales
Fahrzeug sei, unbestreitbar eine rechtmäßige Handlung.
Wenn unter den Schiffspapieren der Chartervertrag und das
Konnossement offen die Absicht, Wladiwostok anzulaufen, zum Aus-
druck brächten und die übrigen Papiere, nämlich die Ausklarierungs-
bescheinigung, der Gesundheitspaß, das Ladungsverzeichnis und das
Tagebuch eine Reise über verschiedene Häfen nach Moji angäben, so
seien die Schiffspapiere alle in bester Ordnung und es gebe keinen
Punkt, der auf Betrug hindeute. Wenn man, wie das Urteil erster
Instanz, annehmen wolle, daß in der Ausklarierungsbescheinigung und
den anderen Papieren Moji mit der Absicht, die Reise nach Wladiwostok
zu verheimlichen, als Bestimmungshafen angegeben worden sei, so frage
man sich vergebens, weshalb dann die wichtigsten Schiffspapiere, nämlich
der Chartervertrag und das Konnossement, auf Wladiwostok lauteten,
und es werde von selbst klar, daß die Absicht, die Bestimmung nach
Wladiwostok zu verheimlichen, nicht bestanden haben könne. Es lägen
daher bei dem zur Verhandlung stehenden Schiff keine Handlungen vor,
welche man als betrügerisch bezeichnen könne.
5. Die japanische Seeprisen Ordnung stehe auf dem Standpunkt,
daß Gerste, Hafer und Heu nur dann als Konterbande gälten, wenn
es erwiesen sei, daß sie zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert
werden sollten.
Einmal angenommen, dieser Standpunkt entspreche den völker-
rechtlichen Grundsätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungs-
ort der in Frage stehenden Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegs-
hafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher
unrechtmäßig, ohne weiteres anzunehmen, daß Gerste, Hafer und Heu,
welche nicht absolute Konterbande seien, für den Kriegsgebrauch be-
stimmt seien. Es müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall im englisch-holländischen Krieg im Jahre 1798 angenommen
werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für den Handels-
hafen Wladiwostok bestimmt sei und für den Friedensgebrauch habe
(42*) G59
Abschnitt VI 3^« Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefield-.
geliefert werden sollen. Demnach sei die Ladung keine Konterbande,
und das Schiff, auf dem sie verladen sei, könne folglich nicht eingezogen
werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, Uchida Shigenari
und Yanagita Kunio, sind folgende:
1. Der Reklamant mache geltend, daß
der Konterbandetransport des zur Verhandlung stehenden
Schiffs nicht unter Anwendung betrügerischer Mittel ge-
schehen sei, das Schiff daher nicht eingezogen werden könne.
Aus dem Folgenden gehe indes klar hervor, daß betrügerische Mittel
angewendet seien, und es sei völkerrechtliche Regel, daß in solchen
Fällen, auch wenn der Eigentümer des Schiffs und der Ladung ver-
schiedene Personen seien, das Schiff der Einziehung nicht entgehen
könne.
a) Wenn, obwohl das Schiff das alleinige Ziel verfolgt habe, seine
ganze Ladung nach Wladiwostok zu schaffen, in dem größten Teil der
Schiffspapiere Moji, welches nur ein Anlaufshafen auf der Rückreise
gewesen sei, al^ Bestimmungsort verzeichnet sei, so sei der Grund
dafür einmal der, zu verhindern, daß sich bei seiner Abreise von Saji
Francisco das Gerücht verbreitete, daß das Schiff nach Wladiwostok
gehe. Sodann sei aber auch damit bezweckt gewesen, dadurch auf der
Reise ein visitierendes Schiff, wenn möglich, zu täuschen.
b) Wenn, obwohl es von Anfang an bestimmt gewesen sei, daß
die Ladung in Wladiwostok habe gelöscht werden sollen, in dem
Ladungsverzeichnis stehe, daß sie in Moji zu löschen sei, so sei das
die offenbarste Fälschung des Bestimmungsortes und diese sei mit Willen
des Reeders oder seines Vertreters geschehen.
2. Der Reklamant bringe vor, daß
die Fälschungen der Papiere des zur Verhandlung stehenden
Schiffs ohne Beteiligung und Wissen des Schiffseigentümers
geschehen sei.
Nach dem englischen Seehandelsrecht könne indes ein gewöhnlicher
Charterer diese Papiere überhaupt nicht herstellen. Ferner kenne aber
selbst die völkerrechtliche Wissenschaft bei Fälschung der Schiffspapiere
keinen Unterschied in der Bestrafung je nachdem, ob der Reeder im
guten Glauben sei oder nicht.
3. Der Reklamant sage,
die Unwahrheiten in den Papieren des zur Verhandlung
stehenden Schiffs könnten nur eine unbedeutende Fälschung
darstellen.
Die Fälschung des Bestimmungsortes sei aber im Gegenteil die be-
deutungsvollste und, wenn auch das Mittel sehr ungeschickt sei, so liege
660
Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefield«. Abschnitt VI 34«
doch darin kein Grund zur Nachsicht, um so weniger, als der Plan
wohl vorbedacht gewesen sei und kein anderes Ziel verfolgt haben könne,
als den Kaptor zu täuschen.
4. Das Reiseziel des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei Wla-
diwostok gewesen. Wenn demgegenüber Moji als Bestimmungsort be-
zeichnet und wenn angegeben worden sei, daß die für Wladiwostok
bestimmte Ladung in Moji habe gelöscht werden sollen, so sei das ein
unleugbarer Betrug. Wenn ferner der Vertreter der Reklamation be-
haupte, das Schiff sei von Anfang an nach Moji bestimmt gewesen, so
habe er offenbar von dem, was ein Chartervertrag sei, keine Ahnung.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Krieg mit Japan hat es denselben zum Stützpunkt für
seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dort hat fast ganz aufgehört.
Wenn man daher die auf dem Schiff verladene Menge von Gerste,
Hafer und Heu erwägt und sich überlegt,, daß das Schiff versucht hat, die
gefährlichste Route durch den Soyakanal zu nehmen, und sich dabei
betrügerischer Mittel bedient hat, so wird es offenbar, daß die Ladung
jedenfalls als Pferdefutter für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollte, und es ist durchaus zutreffend, daß das Gericht erster In-
stanz dieselbe als Konterbande erachtet hat.
Der Reklamant sagt,^ es müsse nach der Art der Präcedenz-
entscheidung, betreffend die „Neptunus", auch in diesem Falle an-
genommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für fried-
liche Zwecke bestimmt gewesen sei. Da aber die Verhältnisse des Be-
stimmungsorts im „Neptunus"-Fall und im vorliegenden Fall von Grund
aus verschieden sind, so ist es unfraglich, daß jener Fall nicht als
Präcedenz auf den vorliegenden angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können.») Auch das Oberprisengericht ist der
Ansicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird.' Besonders im vor-
liegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und,
obwohl erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von San Francisco
das Reiseziel Wladiwostok war, die Ausklarierungsbescheinigung, das
Privatschiffsjournal und andere Schiffspapiere einen falschen Bestim-
*) Anders die Japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Gnindlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
661
Abschnitt VI^^ Prisengeiichtsentscheidungen : ,Wyefleld'.
mungsort angeben und das Schiff demnach zur Beförderung von Konter-
bande unter Anwendung betrügerischer Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in Punkt 1 und 2 Gesagten die Entscheidung
der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffs unfraglich gerechtfertigt
ist; so liegt kein Bedürfnis vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung
besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Harry G. Hart, San Francisco, Californien, Ver-
einigte Staaten von Nordamerika.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Wyefield" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden.
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der Ladung des Dampfers „Wyefield",
bestehend aus ungefähr 64 400 Sack Gerste, 10 300 Bündel Heu und
900 Sack Hafer entschieden.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist von dem Reklamanten
versandt worden. Sie wurde auf Grund eines am 17. Dezember 1904
von dem Reklamanten mit der Reederei, der Western Steamship Com-
pany in Nanaimo in Britisch Columbien in San Francisco abgeschlos-
senen Chartervertrags auf dem englischen Dampfer „Wyefield" ver-
laden, um nach Wladiwostok in Rußland befördert zu werden. In
dem Privatschiffsjournal und den in San Francisco und Comox aus-
gestellten Ausklarierungsscheinen und Gesundheitspässen steht überall
„über verschiedene Häfen nach Moji in Japan'' und die Bestimmung
der Ladung für- Wladiwostok wird nicht offenbart. Nach dem Kon-
nossement sollte der Empfänger sich nach Order bestimmen. Am
30. Januar 1905 wurde die Ladung auf der Reise nach Wladiwostok
bei dem Shiokubi-Vorgebirge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Mu-
sashi" mit dem genannten Dampfer zusammen beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Musashi", Kapitänleutnants Yasu-
662
Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefield'. Abschnitt VI 34b
mura Kaiichi, die Vernehmungsprotokolle des Genannten sowie des
Kapitäns des Dampfers „Wyefield", Alexander Watson, den
Chartervertrag, das Konnossement, das Ladungsverzeichnis, das Privat-
schiffsjournal, den Gesundheitspaß und die Ausklarierungs-
bescheinigungen.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende :
Die Beförderung einer Ladung, wie der zur Verhandlung ste-
henden, durch einen neutralen Staatsangehörigen nach Wladiwostok,
•einem Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine offene Handels-
transaktion, welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkenrs
stehe und unbestreitbar von dem Völkerrecht als eine erlaubte Hand-
Jung anerkannt werde.
Güter wie die zur Verhandlung stehenden seien ihrer Art nach
keine absolute Konterbande, sondern könnten lediglich, wenn sie als
Pferdefutter für die feindlichen Truppen bestimmt seien, als Konter-
bande angesehen werden. Ob die zur Verhandlung stehende Ladung
.aber als Pferdefutter an die feindlichen Truppen zu liefern gewesen
wäre, sei eine Tatfrage. In dem vorliegenden Falle, wo der Be-
stimmungsort Wla,diwostok sei, ein Hafen, welcher die Eigenschaften
eines Handelshafens und eines Kriegshafens in sich vereinige, müsse
ein besonderer Beweis vorliegen, nach dem man annehmen müsse, daß
•die Ladung zum feindlichen Kriegsgebrauch zu liefern gewesen sei.
Andernfalls müsse angenommen werden, daß sie nach dem Handels-
hafen Wladiwostok zu befördern gewesen sei. Daß dies billig sei, tue
auch die Präcedenzentscheidüng, betreffend die im englisch-holländischen
Krieg im Jahre 1798 aufgebrachte „Neptunus", dar. Für den vorlie-
genden Fall gelte dies auch um so mehr, als die Ladung nicht aus-
schließlich als Pferdefutter für Truppenzwecke verwendbar sei.
Da die Ladung demnach keine Konterbande sei, so könne sie,
wenn auch angenommen werde, daß sie ihrem Charakter nach feind-
lich sei, nach Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856
nicht beschlagnahmt werden, weil sie unter neutraler Flagge ver-
schifft sei.
Es werde daher Freigabe beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist.
Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu
-einem Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Kräften bemüht,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr
hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher eine Ladung von Pferde-
futter, wie die zur Verhandlung stehende, deren Konterbandeeigen-
.schaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach Wladiwostok be-
663
Abschnitt VI34fe Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefiald*^
fördert wird, so muß mangels klaren Gegenbeweises angenommen
werden, daß dieselbe für den Kriegsgebrauch zu liefern war.
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach Amster-
dam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im Gegen-
teil kann man die Begründung jenes Urteils viel eher zur Bekräftigung
der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande
ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vorwiegend
kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von Wladi-
wostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das in dem
Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen von Wladi-
wostok viel mehr gleich.
Wenn man insbesondere auch die Menge der zur Verhandlung
stehenden Ladung und die bei ihrer Beförderung angewandten be-
trügerischen Mittel sowie die Aussage des Kapitäns zusammenhält, so-
fallen die Zweifel, daß die Ladung für die feindlichen Truppen be-
fördert wurde, mehr und mehr hinweg. Es ist daher mit Recht an-
zunehmen, daß die Ladung Konterbande ist. i)
Daß aber Konterbande, wenn unter neutraler Flagge fahrend, ein-
gezogen werden kann, ist von der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre
1856 sowie von der völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis an-
erkannt. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida
Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Harry J. Hart, San Francisco, Californien, Ver-
einigte Staaten von Nordamerika.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,.
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache, betreffend die Laidung des englischen Dampfers „Wyefield'V
welcher am 30. Januar 1905 in der Tsugarustraße von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Musashi" aufgebracht worden ist, ein Urteil erlassen, in
welchem auf Wegnahme der Ladung des Dampfers „Wyefield" von un-
1) II. Ziffer 2. — 2) V. § 43.
661
Prisengerichtsentscheidungen: .Wyefield*. Abschnitt VI^^
gefähr 64 400 Sack Gerste, 10300 Bündel Heu und 900 Sack Hafer
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant durch den Rechtsanwalt
AkiyamaOenzo,als Prozeßvertreter, die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,.
AkiyamaGenzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme der
Ladung des Dampfers „Wyefield" sei unzutreffend. Es werde Ver-
werfung desselben und Freigabe der zur Verhandlung stehenden Ladung
beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
L Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
Rußlands einzigem Handelshafen im Osten, befördert worden und zu
friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Daher sei es unzutreffend,,
sie als Konterbande anzusehen.
2. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Gerste^
Hafer und Heu Konterbande seien. In der japanischen Prisenordnung^
sei aber als Prinzip anerkannt, daß sie nur als Konterbande gölten,
wenn sie erwiesenermaßen zum Kriegsgebrauch des Feindes geliefert
werden sollten. Aber wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den
Grundsätzen des Völkerrechts in Einklang stehe, so sei doch der Be-^
Stimmungshafen der zur Verhandlung stehenden Ladung Wladiwostok,
welches sowohl Rußlands einziger Kriegshafen wie auch sein einziger
Handelshafen sei. Da an diesem Platz verschiedene Arten von kauf-
männischen und gewerblichen Unternehmungen betrieben würden und
neutrale Firmen dort Niederlassungen hätten, so könne man aus der
Tatsache, daß Gerste, Hafer und Heu, welche nicht absolute Konter-
bande seien, dorthin transportiert würden, nicht ohne weiteres schließen,
daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht bestimmt seien. Auch
nach der Präcedenzentscheidung, betreffend den „Neptun us"-Fall im
Krieg zwischen England und Holland vom Jahre 1798 sei es billig, daß
die zur Verhandlung stehende Ladung als zur Einfuhr nach dem Handels-
hafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch bestimmt angesehen
werde. Wenn das Gericht erster Instanz Wladiwostok als einen reinen
Kriegshafen ansehe und es mit dem in dem „Neptun us"-Urteil er-
wähnten Kriegshafen Brest auf gleiche Stufe stelle, so sei das eine
falsche Auffassung der Tatsachen; folglich sei auch die Präcedenzent-
scheidung nicht richtig angezogen.
Ferner übersehe das Urteil, daß auch heute noch, nach dem Aus-
bruch des Krieges mit Japan, in Wladiwostok der gewöhnliche Handels-
verkehr wie früher ausgeübt werde, und sage, es sei eine bekannte
Tatsache, daß der Handelsverkehr des genannten Hafens gesperrt sei..
665*
Abschnitt Vl^^ Pri8engericht8ent8cheidungen: •Wyefielcl*.
Dies sei eine starke Entstellung der Tatsachen und man müsse daher
behaupten, daß das Urteil, welches so mit dem Sachverhalt in >X^ider-
spruch stehe, unrechtmäßig sei.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in
etwas ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach
•der englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen
Kriegsschiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen
seien, unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinen-
talen Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen
hätten, für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen
Zwecken difnen könnten, -wenn sie auf der Rwsenach einem feind-
lichen Hafen begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat
ihnen gegenüber unter der Bedingung der Vergütung, das Beschlag"-
nahmerecht und außerdem das Verkaufsrecht zustehe. Während so
die moderne Rechtspraxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer
weitherziger werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng,
indem es im Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Ge-
wohnheiten Gerste, Hafer und Heu, die sowohl friedlichen als kriege-
rischen Zwecken dienten, wenn sie nach einem Platz, der Handels- und
Kriegshafen sei, bestimmt wären, bedingungslos einziehe. Besonders
weil die japanische Prisenordnung sich auf den englischen Prinzipien
aufbaue, sei es wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative
Konterbandegüter handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, Uchida Shigenari
und YanagitaKunio, sind folgende :
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung von Gerste, Hafer und
Heu sei Pferdefutter. Die Praxis aller Länder und die Wissenschaft
stimmten aber darin überein, daß Pferdefutter, wenn nach den Umständen
des Bestimmungsorts anzunehmen sei, daß es für den feindlichen Kriegs-
gebrauch geliefert werden würde, als Kriegskonterbande anzusehen sei.
Auch habe Japan sich in der Instruktion Nr. 1 des Marineministeriums
vom Jahre 1904») diesem Prinzip angeschlossen.
Der Reklamant behaupte,
die zur Verhandlung stehende Ladung sei zu friedlichem
Gebrauch bestimmt und sei daher keine Konterbande,
doch bringe er dafür keinen Beweis vor.
a) Der Bestimmungsort des in Frage stehenden Schiffs sei Wladi-
wostok, der einzige Seezugang nach dem östlichen Rußland und der
Endpunkt der Eisenbahn, welche die Sammelpunkte der feindlichen
Armee passiere.
8) II.
'666
:Prisengericht8ent8cheidungen: .Wyefield'. Abschnitt VI^^^
b) Es befänden sich in Wladiwostok und seiner Umgebung viele
Truppen, die unaufhörlich mit Kriegsrüstung beschäftigt seien.
c) Da der Verkehr mit Europa auf der sibirischen Eisenbahn sehr
weit sei und die Transportfähigkeit der Bahn nicht ausreiche, so plane
man Wladiwostok zum zentralen Stapelplatz für alle Materialien zu
machen.
d) Auch nach der Menge und Art betrachtet, könne man nicht
.annehmen, daß die Ladung für die kleine Anzahl von Pferden, welche
hie und da in der Bevölkerung gehalten würden, habe geliefert werden
sollen.
e)* Es lägen Anzeichen dafür vor, daß der Empfänger, der Ladung
im Bestimmungsort vorsätzlich unbestimmt gelassen sei, und daß man
fälschlicherweise Moji als Bestimmungsort in die Schiffspapiere ein-
getragen habe, um nicht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich
zu lenken und um so der Aufbringung zu entgehen.
Alles dies lasse erkennen, daß der Zweck der Ladung der gewesen
sei, von den feindlichen Truppen verbraucht zu werden.
Die Punkte 2 und 3 der Berufung seien lediglich eine Erweiterung
-des im Punkte 1 Gesagten und bedürfen keiner Erwiderung.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Krieg mit Japan hat es denselben zum Stützpunkt für
seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Kriegsgerät, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
•dort hat fast ganz aufgehört. Wenn man daher die auf dem Schiff
verladene Menge von Gerste, Hafer und Heu erwägt und sich über-
legt, daß das Schiff versucht hat, die gefährlichste Route durch den
Soyakanal zu nehmen und sich dabei betrügerischer Mittel bedient hat,
-SO wird es offenbar, daß die Ladung sicher als Pferdefutter für den
russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte, und es ist durchaus
zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz dieselbe als Konterbande
«erachtet hat.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenzent-
scheidung, betreffend die „Neptunus", auch in diesem Fall angenommen
werden> daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke
bestimmt gewesen sei. Da aber die Verhältnisse des Bestimmungsorts
im „Neptunus"-Fall und im vorliegenden Fall von Grund aus ver-
schieden sind, so ist es unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz
.auf den vorliegenden angewandt werden kann.
Daher sind Punkt 1 und 2 der Berufung unbegründet,
667
Abschnitt VI»« Prisengerichtsentscheidungen: .Siam'*
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Verkaufs, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung, wie
sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere vertragliche
Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Erscheinungen
in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können sie jedoch als
völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann daher nicht sagen^
daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen habe, wenn es diesen
Ansuchen des Reklamanten nicht Folge leistete.
Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Societa Anonima Ungherese di Armamento Mari-
tlmo Oriente in Fiume, Österreich-Ungarn, vertreten durch die Ge-
schäftsführer Luigi Cosulich und E. C u n r a d i.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,.
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den österreichisch-ungarischen
Dampfer „Siam'' wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,,
entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des österreichisch-ungarischen Dampfers.
„Siam" entschieden.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Siam" steht im Eigentum-
des Reklamanten, sein Heimatshafen ist Fiume in Österreich-Ungarn, und
er ist ein Handelsschiff, welches die österreichisch-ungarische Flagge f ührt-
Der Dampfer lud auf Grund eines am 11. November 1904 von
dem Reklamanten mit der Firma Mann George and Co. in London
abgeschlossenen Chartervertrags mit der Bestimmung, sie nach Wladi-
wostok in Rußland zu befördern, in Cardiff, England, etwa 4100 Tons
doppelt gesiebte Cardiffkohle. In dem Chartervertrag und dem Kon*-
nossement wurde Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungs-
668
Prisengerichtsentacheidungen: „Slam'. Abschnitt VI3Sa
ort angegeben, und der Empfänger sollte sich laut dem Konnossement
nach Order bestimmen. Am 23. November desselben Jahres fuhr der
Dampfer von Cardiff ab. In Hongkong erhielt er auf Grund seiner An-
gaben einen Ausklarierungsschein für Kiautschou, nahm aber bei Ab-
reise von dort absichtlich einen Umweg und versuchte den Soyakanal
zu passieren. Er geriet aber in Treibeis und wurde, als er mit einem
südlichen Kurs fuhr, der ihn durch die Tsugarustraße nach Wladiwostok
bringen mußte, am 31. Januar 1905 um 3 Uhr 50 Minuten nachmittags
bei dem Erisuso-Vorgebirge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Asama"
aufgebracht.
Die Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des Ver-
treters des Kommandanten der „Asama", Kapitänleutnants OguraYo-
•shiaki, die Vernehm ungsprotoklle des Genannten, des Kapitäns der
^,Siam", S. A. Xigga und des ersten Offiziers Jovanni Stipa-
Jio witsch, das Schiffszertifikat, das Tagebuch, den Chartervertrag,
das Konnossement und die Ausklarierungsbescheinigung von Hongkong.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe am 11. November 1904 in London mit den
Vertretern des in Glasgow, St. Vincent Street Nr. 127 wohnhaften Kauf-
manns E. A. Orabowski, der Firma Mann, George & Co. in
London, einen Chartervertrag abgeschlossen, nach dem das zur Ver-
handlung stehende Schiff zum Transport von Kohle von Cardiff in
England nach Hongkong, Shanghai oder Kiautschou zur Verfügung zu
-stellen gewesen sei. Wenn das Schiff nach einem anderen als den in dem
XDhartervertrag benannten Bestimmungshäfen gereist sei, so sei das auf
Maßnahmen des Charterers oder Absenders hin geschehen. Der Reeder
habe sich daran nicht beteiligt und auch nicht darum gewußt. Da die
Oüter nicht im Eigentum des Reklamanten stünden, so könne das Schiff,
wenn auch seine Ladung Konterbande sei, nicht mit diesem zusammen
-eingezogen werden.
Wenn in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungs-
ort angeführt sei, so könnten freilich die Papiere dem Vorcc^urf der Un-
voUständigkeit nicht entgehen, man könne dies aber nicht ohne weiteres
als Beweis für das Vorliegen betrügerischen Vorgehens erachten. Daß
-der Dampfer sich in Hongkong Ausklarierung nach Kiautschou habe
geben lassen, sei lediglich zur Erleichterung der Reise geschehen. Daß
<lies nicht auf Grund eines betrügerischen Planes geschehen sei, um der
Aufbringung zu entgehen, könne man auch daraus entnehmen, daß
nach der Abreise von Hongkong in dem Tagebuch Wladiwostok als
Reiseziel verzeichnet worden sei. Selbst wenn man aber annehme, es
sei geschehen, um die Reise heimlich ausführen zu können, so sei dies
-eine Handlung des Charterers oder Absenders. Es liege dagegen kein Be-
weis vor, daß der Reeder darum gewußt habe.
669
Abschnitt VI3Sa Pri8engericht86nt8cheidungen: .Siam*^
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs keine abso-
lute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden Fall, wo sie nach Wladi-
wostok gehe, einem Hafen, der die Eigenschaft sowohl eines Kriegs- als
eines Handelshafens besitze, mangels Gegenbeweises angenommen werden,,
daß sie nach dem Handelshafen Wladiwostok befördert und nicht für
den Kriegsgebrauch habe geliefert werden sollen. Daß dies billig sei,
tue auch die Präcedenzentscheidung, betreffend die im englisch-hol-
ländischen Krieg im Jahre 1798 aufgebrachte „Neptun us'* dar. Für den
vorliegenden Fall gelte dies um so mehr, als die Verwendbarkeit der
Ladung sich nicht auf den Kriegsgebrauch beschränke, diese vielmehr
auch ganz allgemein im Gewerbebetriebe verwandt werde.
Auch müsse man danach, daß der Dampfer in Erkenntnis, daß.
ein Passieren des Soyakanals unmöglich gewesen sei, durch die Tsugaru-
straße nach Kiautschou zu fahren beabsichtigt habe, um dort Order des
Reeders oder des Charterers abzuwarten, zu der Entscheidung kommen,,
daß die Reise nach Wladiwostok aufgegeben gewesen sei, daher ein
Transport von Konterbande nicht mehr vorgelegen habe.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freigabe des-
zur Verhandlung stehenden Schiffs beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappehort gemacht und sie ist mit allen Mitteln bestrebt, dort
große Kriegsvorräte aufzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebensmittel
oder dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen
Umständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß.
mangels klaren Gegenbeweises angenommen, werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich
der Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers, welche aus aus-
gewählter Cardiffkohle besteht, wie sie nur zum Gebrauch auf Kriegs-
schiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegs-
gebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande anzu-
sehen. 1)
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die Begründung jenes Urteils viel eher zur Bekräfti-
gung der Annahme, daß die hier in Betracht kommende Ladung Konter-
bande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vor-
wiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse voa
1) IL Ziffer 2.
670
Pri8engericht8ent8cheidungen: .Slam*. Abschnitt VI«»
Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das
in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen
von Wladiwostok vielmehr gleich.
Obwohl es bereits vor der Abfahrt von Cardiff bestimmt war, daß-
das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, gaben doch der Chartervertrag
und das Konnossement die neutralen Häfen Hongkong, Shanghai oder
Kiautschou als Bestimmungsort an. Auch noch bei der Abfahrt von
Hongkong gab der Dampfer fälschlich Kiaytschou als Reiseziel an und
erhielt dementsprechende Ausklarierungspapiere. Von dort abfahrend,
nahm er absichtlich einen Umweg, um durch die Soyastraße nach Wladi-
wostok zu gelangen. Alles dies ist nicht anzusehen als entschuldbares
Versehen oder als zur Erleichterung der Reise geschehen. Vielmehr
muß man annehmen, daß es der wohlüberlegten List entsprungen ist,
den Bestimmungshafen zu verheimlichen, um so der Aufbringung zu ent-
gehen.
Wenn sich auch zufällig im Tagebuch nach der Abreise von Hong-
kong Wladiwostok als Bestimmungsort verzeichnet findet, so Icann man
nicht daraufhin allein die Fälschungen, die in den anderen Papieren aus-
geübt sind, außer acht lassen und annehmen, das zur Verhandlung
stehende Schiff habe sich keines betrügerischen Vergehens schuldig ge-
macht Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Siam" hat demnach
unter Anwendung betrügerischer Mittel Kriegskonterbande befördert.
Die völkerrechtliche Wissenschaft und Praxis erkennt aber an, daß
Schiffe, welche sich derartigen betrügerischen Vorgehens schuldig
machen, gleichviel ob der Reeder hierbei beteiligt ist oder nicht, zu-
sammen mit ihrer Konterbandeladung eingezogen werden können. 2)
Der Vertreter der Reklamation macht ferner geltend, daß an-
zunehmen sei, daß die Reise des zur Verhandlung stehenden Schiffs
nach Wladiwostok aufgegeben gewesen sei. Da aber das Schiff von An-
fang an die Absicht gehabt hatte, nach Wladiwostok zu gehen und
auch bei dem Vorhaben, durch die Tsugarustraße zu fahren, den tat-
sächlichen Verhältnissen nach als selbstverständlich angenommen werden
muß, daß das Schiff nach Passieren dieser Straße direkt nach dem
genannten Bestimmungshafen gefahren sein würde, so kann man, solange
noch das Schiff den Kurs nach Wladiwostok nicht unverkennbar ver-
lassen hatte, wenn auch das Tagebuch auf Hongkong oder Kiautschou
lautet, daraufhin nicht ohne weiteres zu der Überzeugung gelangen,
daß die Reise nach Wladiwostok aufgegeben war. Vielmehr berechtigen
die Position, der Kurs und die Tageszeit bei der Aufbringung des Schiffes-
durchaus zu der Annahme, daß es vorhatte, die Tsugarustraße im Dunkel
der Nacht zu passieren und so seine von Anfang an beabsichtigte Reise
nach Wladiwostok durchzuführen.
2) V. § 44.
671
Abschnitt VI>'« Prisengeiichtsentscheidungen : „Siam'.
Da aus den obigen Gründen der zur Verhandlung stehende
Dampfer einzuziehen ist, so erübrigt es sich, auf die weiteren Punkte
des Reklamanten einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, UchidaShi-
^enari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Societa Anonima Ungherese di Armamento Mari-
timo Oriento in Fiume, Österreich-Ungarn, vertreten durch L u i g i
•C o s u 1 i c h und E. C u n r a d i.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den österreichisch-ungarischen Dampfer „Siam", welcher
am 31. Januar 1905 bei dem Erisu-Vorgebirge von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Asama" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Wegnahme des österreichisch-ungarischen Dampfers „Slam"
-erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil haben Luigi Cosulich und E. C u n r a d i ,
die Vertreter des Reklamanten, der Societa Anonima di Armamento Mari-
timo Oriente, durch den Rechtsanwalt Akiyama Oenzo als Prozeß-
vertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Ishiwatari Binichi beim Oberprisen-
gericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation, Akiyama
Oenzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Einziehung des
Dampfers „Siam" sei unzutreffend. Es werde Verwerfung desselben
und Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffes beantragt, und
zwar aus folgenden Oründen :
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei
von dem Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter An-
wendung betrügerischer Mittel Konterbande geladen. Wenn daher auch
die Ladung als Konterbande angesehen werden solle, so könne doch das
Schiff nicht eingezogen werden.
Der einzige Orund, aus dem das Oericht erster Instanz die Weg-
nahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs verfügt habe, sei der, daß
'672
Prisengerichtsentscheidungen: „Slam''. Abschnitt VI <<•
dasSchiff unter Anwendung von betrügerischen Mitteln Kriegs-
konterbande befördert habe, und daß ein Schiff, welches sich
solchen betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht habe,
gleichviel ob dies unter Beteiligung und mit Wissen des
Reeders geschehen sei oder nicht, mit seiner Konterbande-
ladung eingezogen werden müsse.
Die Strafe für KJonterbandetransport sei, wenn die Konterbande-
laduhg nicht im Eigentum des Reeders stehe, lediglich der Verlust
an Zeit, Fracht und Kosten; die Strafe der Einziehung könne indes
nicht auferlegt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völker-
rechts, daß, wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer
Mittel verschifft sei, doch auch das Schiff nur eingezogen werden könne,
wenn es klar erwiesen sei, daß der Reeder der Mittäter bei dem be-
trügerischen Vorgehen sei. Nicht nur England erkenne dies an, auch
die japanische Prisenordnung stehe auf demselben Standpunkt.
Um annehmen zu können, daß ein Schiff unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Konterbande geladen habe, müsse unbedingt Be-
teiligung und Mitwissen des Reeders vorliegen; derselbe müsse der
Mittäterschaft schuldig sein. In dem vorliegenden Fall liege aber Mit-
täterschaft des Reeders ganz sicher nicht vor. Es sei daher unrecht-
mäßig, wenn das Urteil erster Instanz, ohne diese Tatsache zu unter-
suchen und ohne sich überhaupt darum zu kümmern, ob der Reeder
bei dem betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, ent-
schieden habe, daß das Schiff zusammen mit seiner Ladung ein-
zuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
■der Einziehung auferlegen zu können, genüge es nicht, daß in den. Schiffs-
papieren lediglich der Bestimmungsort nicht angegeben sei; es sei viel-
mehr außerdem erforderlich, daß die Papiere hergestellt seien mit der
Absicht, die im Krieg begriffene Marine bei der Visitierung und Durch-
suchung zu täuschen und so der Aufbringung zu entgehen, und daß
diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne. Daher
könne das Schiff nicht eingezogen werden.
4. Der Reeder habe den zur Verhandlung stehenden Dampfer
zum Transport von Kohle an den Ladungseigentümer vermietet, und
im Chartervertrag seien Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Be-
stimmungsorte festgesetzt worden. Der Reeder habe daher von einer
Fahrt nach einem anderen Orte nichts gewußt.
Was den Charakter und die Wirkung des in Frage stehenden
Chartervertrags angehe, so sei dieser Vertrag nach dem Rechte Eng-
lands, wo er abgeschlossen sei, auszulegen. Nach dem englischen Recht
habe aber der Vertrag den Charakter einer Sachmiete, und man müsse
annehmen, daß der Besitz und die Verfügungsgewalt über das Schiff
Maratrand-MeohlonburfiT» Das Japanisohe Priaenreolit. (43) vio
Abschnitt VI^s« Pri8engericht8ent8cheidungeii : ,,Siam".
für die Zeit auf den Charterer übergegangen seien. Aber auch wenn
man in dem vorliegenden Chartervertrag lediglich einen gewöhnlichen
Transportvertrag erblicke, so sei es doch offenbar, daß der Wille des
Reeders über die in dem Vertrag bezeichnete Reise nicht hinausgereicht
habe. Wenn daher der Charterer heimlich dem Kapitän Order gegeben
habe, nach Wladiwostok zu gehen, und der Kapitän diesen Befehl aus-
geführt habe, könne man nicht behaupten, daß der Reeder an diesem
Vorgehen beteiligt sei und sich bei dem Konterbandetransport in Mit-
täterschaft gesetzt habe. Auch nach den gewöhnlichen Rechtsbegriffen
könne, wenn auch der Kapitän als Stellvertreter des Reeders gelte, dieser
doch für willkürliche Handlungen des Kapitäns, welche außerhalb von
dessen gewöhnlichen Befugnissen lägen, nicht haftbar gemacht werden.
Um so mehr müsse das gelten, wenn es sich um einen Kriegskonterbande-
transport unter Anwendung betrügerischer Mittel handele, da eine solche
Handlung eine Verletzung des Völkerrechts sei.
Aus diesen Gründen könne den Reeder selbstverständlich für
keinerlei Eintragungen in die Schiffspapiere, abgesehen von dem Charter-
vertrag, die Verantwortung treffen. Selbst einmal angenommen, es wären
fälschliche Eintragungen in die Schiffspapiere gemacht, so könne doch
dem Reeder, solange nicht der Beweis seiner Mittäterschaft vorliege,
die Verantwortung hierfür nicht auferlegt werden.
5. Der Charterer habe dem Kapitän bei der Abreise Order ge-
geben, wenn bei Ankunft in Hongkong andere Order nicht eingehe,
mit beliebigem Kurs nach Wladiwostok zu fahren. Wladiwostok sei
demnach zur Zeit der Abreise noch nicht als Bestimmungsort festgesetzt
gewesen Erst nach Ankunft in Hongkong, als keine andere Order
vorgelegen habe, sei Wladiwostok zum Bestimmungsort gemacht worden.
Daher sei darin, daß in dem im Ausfahrtshafen hergestellten Konnosse-
ment und den Ausklarierungspapieren Honglüong oder Kiautschou als Be-
stimmungshäfen verzeichnet worden seien, durchaus nichts Verdächtiges
zu erblicken, und man könne daraus nicht schließen, daß die Papiere
auf einen falschen Bestimmungsort ausgestellt worden seien in der bösen
Absicht, dadurch der Aufbringung durch die kriegführende Macht zu
entgehen.
Wenn der Dampfer sich in Hongkong Ausklarierung für Kiautschou
beschafft habe, so sei das lediglich in der Befürchtung geschehen, daR
zurzeit die englischen Behörden die Reise nach Wladiwostok verweigern
würden. Wenn der Dampfer genötigt gewesen wäre, um Ausklarierang-
nach Wladiwostok zu bitten, so hätte er bei der Abreise Schwierigkeiten
erfahren, welche er gescheut habe. So habe er, lediglich um seine Ab-
fahrt zu erleichtern, den Behörden gegenüber eine falsche Meldung ge-
macht. Daß dies nicht geschehen sei, um der Aufbringung durch die
japanischen Kriegsschiffe zu entgehen, gehe auch daraus klar hervor^
674
Prisengericht8ent8cheidungen: „Slam". Abschnitt VI3sa
daß in dem Tagebuch nach der Abreise von Hongkong Wladiwostok
als Reiseziel angegeben sei.
6. Der Dampfer habe freilich anfangs die Absicht gehabt, nach
Wladiwostok zu fahren, aber erkannt, daß es unmöglich gewesen sei,
die Soyastraße wegen des Treibeises zu passieren. Wie aus dem Tage-
buch hervorgehe, hätten dann der Kapitän und die Offiziere nach Be-
ratung die Reise nach Wladiwostok aufgegeben und Kurs auf Kiautschou
genommen, um dort die Order des Reeders oder des Charterers ab-
zuwarten. Daß der Dampfer bei dieser Fahrt nach Kiautschou seinen
Weg durch die Tsugarustraße habe nehmen wollen, sei durchaus un-
verdächtig, da dies die gewöhnlich von Seeleuten benutzte, nächste
Route sei.
Das Gericht erster Instanz habe aber die Eintragungen in das
Tagebuch gänzlich außer acht gelassen und sich darum, daß die Fahrt
nach Wladiwostok aufgegeben gewesen sei, nicht gekümmert. Vielmehr
habe es willkürlich entschieden, daß das Schiff auch nach Passieren
der Tsugarustraße nach seinem ursprünglichen Ziel, Wladiwostok, habe
fahren wollen.
Wenn es auch feststehe, daß ein Schiff mit einer Ladung, die als
Konterbande anzusehen sei, nach einem feindlichen Hafen habe fahren
wollen, so könne doch weder Schiff noch Ladung eingezogen werden,
wenn sie, nachdem die anfängliche Absicht aufgegeben worden sei,
auf der Fahrt nach einem anderen Hafen beschlagnahmt würden. Das
tue auch das Beispiel der Entscheidung in dem „lmina''-Fall dar. Das
genannte Schiff habe im Jahre 1800 während des englisch-holländischen
Kriegs mit Schiffsbaumaterial nach Amsterdam fahren wollen, sei aber,
als es von der Blockade dieses Platzes erfahren habe, nach dem neutralen
Hafen Emden gesteuert. Auf dieser Reise sei es von einem englischen
Kriegsschiff aufgebracht worden. Das Ergebnis der Prisen Untersuchung
sei das gewesen, daß schließlich Schiff wie l^dung freigelassen und
den Eigentümern zurückgegeben worden seien.
7. Die japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt, daß
Kohle nur als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie für
den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle. Einmal an-
genommen, dieser Standpunkt entspreche den völkerrechtlichen Grund-
sätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort der in Frage
stehenden Ladung nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen, sondern
auch sein einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher unrechtmäßig,
ohne weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle, welche keine
absolute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch bestimmt sei. Es
müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Neptun us"-Fall im
englisch-holländischen Kriege vom Jahre 1798 angenommen werden,
daß die hier in Frage stehende Ladung für den Handelshafen Wladiwostok
(43*) 075
Abschnitt VI3«« Prisengerichtsentscheidungen: „Siam".
bestimmt gewesen sei und für den friedlichen Gebrauch habe geliefert
werden sollen.
Demnach sei die Ladung keine Konterbande und das zur Ver-
handlung stehende Schiff könne daher nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Pr'isen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende :
1. Schon vor der Abreise des zur Verhandlung stehenden Schiffs
von Cardiff in England sei Wladiwostok als Bestimmungsort festgesetzt
worden. In dem Chartervertrag und dem Konnossement seien jedoch
die neutralen Häfen Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestim-
mungsorte angegeben. Auch noch bei d?r Abfahrt von Hongkong sei
fälschlich Kiautschou als Bestimmung angegeben und eine entsprechende
Ausklarierung bewirkt worden. Nach der Abreise von dort habe der
Dampfer absichtlich einen Umweg genommen, um durch die Soyastraße
nach Wladiwostok zu gelangen. Alles das sei weder auf entschuldbares
Versehen zurückzuführen noch auf die Absicht, die für die Reise be-
quemere Route zu nehmen. Vielmehr sei die Verheimlichung des Be-
stimmungsortes eine List, durch welche man der Aufbringung durch die
japanische Marine zu entgehen gehofft habe.
Es sei bekannt, daß Wladiwostok, der Bestimmungsort des zur
Verhandlung stehenden Schiffs, zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen
im Osten und der Hauptstützpunkt für seine Flotte sei. Seit dem Kriege
habe die russische Regierung diesen Platz zu einem Hauptetappenort
gemacht und häufe dort mit allen Kräften Kohle, Kriegswaffen und
-gerät sowie sonstige Kriegsbedarfsartikel an. Der gewöhnliche Handels-
verkehr habe dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher nach diesem
Platz Kohle befördert werde, so sei es billig, mangels klaren Gegen-
beweises anzunehmen, daß sie für den Kriegsgebrauch geliefert werden
solle. Besonders im vorliegenden Falle, wo die Ladung doppelt gesiebte
Cardiffkohle sei, wie sie im Osten ausschließlich von der Kriegsmarine
verwendet werde, müsse man mit Recht annehmen, daß sie sicher für
den Kriegsgebrauch zu liefern gewesen und daher Konterbande sei.
Da demnach das zur Verhandlung stehende Schiff zur Beförderung
von Konterbande unter Verwendung betrügerischer Mittel gedient habe,
so könne es nach völkerrechtlichen Regeln, gleichgültig ob der Reeder
an dem betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, mit-
samt seiner Konterbandeladung der Einziehung nicht entgehen.
2. Es sei schon vor der Abreise des Schiffs von Cardiff bestimmt
gewesen, daß es nach Wladiwostok habe fahren sollen. Obwohl aber
der Reeder dem Kapitän in Cardiff Order gegeben habe, nach Wladi-
wostok zu fahren, fänden sich doch in dem Chartervertrag, von dem
man nur annehmen könne, daß er unter Mitwirkung des Reeders her-
gestellt worden sei, Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestim-
676
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Siam". Abschnitt VI3Ba
mungsorte verzeichnet. Demnach müßten die Eintragungen in die
Schiffspapiere als betrügerisch betrachtet werden. Selbst aber einmal
angenommen, der Reeder sei an der Fälschung der Schiffspapiere nicht
beteiligt gewesen, so machten doch die völkerrechtliche Wissenschaft
und Praxis im Falle, daß ein Schiff unter Anwendung betrügerischer
Mittel Konterbande befördere, keinen Unterschied in der Strafe, je nach-
dem, ob der Reeder Mittäter sei oder nicht.
3. Die Fälschung des Bestimmungsorts sei in ihrer Wirkung am
schädlichsten, und das Schiff habe den Versuch, mit großem Umweg
die Soyastraße zu passieren, in keiner anderen Absicht gemacht, als
um durch diese List der Aufbringung zu entgehen. Daher sei es recht,
daß das Schiff, weil es sich betrügerischen Vorgehens schuldig ge-
macht habe, der Strafe der Einziehung verfalle.
4. Es sei zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz angenommen
habe, daß
das zur Verhandlung stehende Schiff zur Zeit der Auf-
bringung seine Route nach Wladiwostok noch nicht auf-
gegeben gehabt habe, daß vielmehr aus der Position, dem
Kurs und der Zeit geschlossen werden müsse, daß es vor-
gehabt habe, zur Nachtzeit die Straße von Tsugaru zu pas-
sieren und seine anfängliche Absicht, nach ' Wladiwostok zu
fahren, zur Ausführung zu bringen.
Die Punkte 4, 5 und 7 erforderten keine Erwiderung, und die Be-
rufung müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt für
seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört.
Es ist daher durchaus begründet, wenn das Gericht erster Instanz
angenommen hat, daß die nach diesem Hafen bestimmte Steinkohle
für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte und daher
Kriegskonterbande sei. Dies um so mehr, als die Kohlenladung des zur
Verhandlung stehenden Schiffs ausgewählte Cardiffkohle ist und die
Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer
für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage
dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den
russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenz-Ent-
scheidung, betreffend die „Neptun us" auch in diesem Falle angenommen
werden, daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke
677
Abschnitt VI3s« Prisengerichtsentscheidungen: „Siam'*.
bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us''-Fall und die
des vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden,
und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es
ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewandt werden kann.
Der Reklamant bringt vor, der Kapitän des zur Verhandlung
stehenden Dampfers habe erkannt, daß das Passieren der Soyastraße
unmöglich sein würde, und habe daher die Reise nach Wladiwostok
aufgegeben. Er habe dann, wie sich aus den Eintragungen im Tagebuch
ergebe, die Route nach der Tsugarustraße eingeschlagen, um den
neutralen Hafen von Kiautschou zu erreichen. Deshalb seien das Schiff
und die Ladung, entsprechend der Entscheidung in dem „Imina"-Fall,
freizugeben. Das Schiff hat aber von der Abreise an nach Wladiwostok
fahren wollen. Wenn es nun auch bei dem Versuch, die Soyastraße
zu passieren, erkannt hat, daß dies nicht möglich war, und daher die
Route nach der Tsugarustraße einschlug, so liegt doch diese Straße
auch auf dem Wege nach Wladiwostok und das Schiff hatte daher
seinen Kurs noch nicht ganz verlassen.
Der Kapitän beruft sich auf seine Eintragungen im Tagebuch und
behauptet, er habe nach Kiautschou fahren wollen. Wenn man aber
in Betracht zieht, daß die Mehrzahl der Schiffspapiere falsche Ein-
tragungen enthält, so kann man dem Tagebuch nicht ohne weiteres
Glauben schenken. Auch liegen sonst keinerlei Beweise vor, welche
zu der Annahme berechtigen, daß die Reise nach Wladiwostok auf-
gegeben worden sei. Dagegen kann die eingeschlagene Route nicht
als die für die Winterszeit geeignete Route nach Kiautschou bezeichnet
werden, und es liegt auch kein Grund vor, weshalb das Schiff, wenn es
nach Kiautschou fahren wollte, die Tsugarustraße wählen sollte, wo
es am meisten den Störungen durch Visitierung und Durchsuchung seitens
japanischer Kriegsschiffe ausgesetzt sein mußte. Es muß daher vielmehr
angenommen werden, daß das Schiff nach Wladiwostok zu fahren
vorhatte. Auch die Tatsache, daß andere Schiffe, welche in gleicher
Charter und gleichem Eigentum standen und gleiche Ladung hatten,
als sie die Soyastraße nicht passieren konnten, die Route durch die
Tsugarustraße nahmen, um nach Wladiwostok zu gelangen, spricht für
die Vermutung, daß auch das zur Verhandlung stehende Schiff, als es
die Soyastraße nicht passieren konnte, in gleicher Weise versucht hat,
durch die Tsugarustraße nach Wladiwostok zu gelangen. Der vorliegende
Fall kann daher mit dem »der „Imina", welche ihre anfängliche Reiseroute
gänzlich geändert hatte, nicht auf eine Stufe gestellt werden.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
678
Prisengerichtsentscheidungen: ,»Siam". Abschnitt VISife
ist, eingezogen werden können. 3) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vor-
liegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist, und,
obwohl erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England das Reise-
ziel Wladiwostok war, der Chartervertrag, das Konnossement und die
Ausklarierungsbescheinigung einen falschen Bestimmungsort angeben
und das Schiff demnach zur Beförderung von Konterbande unter An-
wendung betrügerischer Mittel gedient hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs unfraglich gerechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit
vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mann, George & Co., London, England, ver-
treten durch den Kapitän des Dampfers „Siam", S. A. Xigga.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des österreichisch-un-
garischen Dampfers „Siam'' wird nach Beendigung der Untersuchung,
wie folgt, entschieden.
Urteils formel:
Es wird auf Wegnahme der auf dem österreichisch-ungarischen
Dampfer „Siam" verschifften ungefähr 4106 Tons Cardiffkohle ent-
schieden.
Tatbestand undOrunde:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist von dem Reklamanten
mit der Absicht, sie nach Wladiwostok in Rußland zu befördern, auf
dem am 11. November 1904 gecharterten ' österreichisch-ungarischeni
Dampfer „Siam" verladen worden. Der Dampfer verließ Cardiff am
23. November desselben Jahres und fuhr über verschiedene Häfen nach
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage,
das englische Manual of Naval Prlze Law, Art. 82—85.
679
Abschnitt Vl^ib Pri8engerlcht8ent8cheidungen : „Siam".
Wladiwostok. Er geriet indes, als er versuchte, die Soyastraße zu pas-
sieren, in Treibeis und wurde, als er mit einem südlichen Kurs fuhr,
der ihn durch die Tsugarustraße nach Wladiwostok bringen mußte,
am 31. Januar 1905, 3 Uhr 60 Minuten nachmittags, bei dem Erisuso-
Vorgebirge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Asama" mitsamt der zur
Verhandlung stehenden Ladung beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Asama'', Kapitänleutnants Ogura
Yoshiaki, die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des Kapitäns
der „Siam", S. A. Xigga, und des ersten Offiziers, Jovanni Sti-
panowitsch, durch das Schiffszertifikat, das Tagebuch, den Charter-
vertrag und das Konnossement.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die von dem Reklamanten, einem neutralen Staatsangehörigen^
unternommene Beförderung von Steinkohle nach Wladiwostok, einem
Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine öffentliche Handels-
transaktion, welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs
stehe und unbestreitbar eine völkerrechtlich nicht anfechtbare Hand-
lung sei.
Da Kohle keine absolute Konterbande sei, so müsse im vor-
liegenden Falle, wo Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der
die Eigenschaften sowohl eines Kriegs- als eines Handelshafens besitze,
mangels Gegenbeweises angenommen werden, daß sie nach dem Handels-
hafen Wladiwostok befördert und nicht für den Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollte. Daß dies billig sei, tue auch die Präcedenzent-
scheidung, betreffend die im englisch-holländischen Kriege im Jahre
1798 aufgebrachte „Neptunus", dar. Für den vorliegenden Fall gelte
dies auch um so mehr, als die Ladung nicht ausschließlich für den Kriegs-
gebrauch verwendbar sei, sondern auch ganz allgemein im Industrie-
betriebe verbraucht werde.
Daher sei es zutreffend, die zur Verhandlung stehende Ladung
nicht als Konterbande anzusehen.
Besonders auch danach, daß der Dampfer, auf dem die zur Ver-
handlung stehende Ladung verschifft sei, in Erkenntnis, daß ein Pas-
sieren der Soyastraße unmöglich gewesen sei, durch die Tsugarustraße
nach Kiautschou zu fahren beabsichtigt habe, um dort Order des Reeders
oder des Charterers abzuwarten, müsse man zu der Entscheidung'
kommen, daß die Reise nach Wladiwostok aufgegeben gewesen sei und
daß demnach die zur Verhandlung stehende Ladung keine Konter-
bande sei.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freigabe der zur
Verhandlung stehenden Ladung beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
680
Prisengerichteentschoidungen: ,»Siam". Abschnitt VI^SH'
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafe»-
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Mitteln bestrebt, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast ganz aufgehört. Wenn daher Kohle, Lebensmittel oder der-
gleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß, man-
gels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für den
Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich der
zur Verhandlung stehenden Ladung, welcKe aus ausgewählter Cardiff-
kohle besteht, wie sie nur zum Gebrauch auf Kriegsschiffen dient,
nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegsgebrauch be-
stimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande anzusehen. ^}
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach Amster-
dam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im Gegenteil
kann man die Begründung jenes Urteils vielmehr zur Bekräftigung
der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande
ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vorwiegend
kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von Wladi-
wostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das
in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen
Wladiwostoks vielmehr gleich.
Der Vertreter der Reklamation macht ferner geltend, daß an-
zunehmen sei, daß der Dampfer „Siam", auf welchem die zur Verhand-
lung stehende Ladung verschifft sei, seine Reise nach Wladiwostok auf-
gegeben habe. Da aber das Schiff von Anfang an die Absicht hatte, 'nach
Wladiwostok zu gehen, und auch bei seinem Vorhaben, durch die
Tsugarustraße zu fahren, den tatsächlichen Verhältnissen nach als selbst-
verständlich angenommen werden muß, daß das Schiff nach Passieren
dieser Straße direkt nach dem genannten Bestimmungsorte gefahren
sein würde, so kann man, solange noch das Schiff den Kurs nach
Wladiwostok nicht unverkennbar verlassen hatte, wenn auch das Tage-
buch auf Hongkong oder Kiautschou lautete, daraufhin nicht ohne
weiteres zu der Überzeugung gelangen, daß die Reise nach Wladi-
wostok aufgegeben war. Vielmehr berechtigen die Position, der Kurs
und die Tageszeit bei der Aufbringung des Schiffes durchaus zu der
Annahme, daß es vorhatte, die Tsugarustraße im Dunkel der Nacht
zu passieren und so seine von Anfang an beabsichtigte Reise nach
Wladiwostok durchzuführen.
1) II. Ziffer 2.
681.
Abschnitt VI»k Prisongorichtsentschef düngen: „Slam".
Die Pariser Seerechtsdeklaration sowie die völkerrechtliche Theorie
und Praxis nehmen aber an, daß Konterbande, wenn auch unter neu-
traler Flagge fahrend, eingezogen werden kann. ^)
Demnach ist die zur Verhandlung stehende Ladung einzuziehen,
und es erübrigt sich, auf die übrigen Punkte des Reklamanten einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1Q05 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida Shi-
g e n a r i.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mann, George & Co., London, England, ver-
Ireten durch den Kapitän des österreichisch-ungarischen Dampfer
.„Siam", S. A. Xigga.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1Q05 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den österreichisch-ungarischen Dampf er „Siam", welcher
am 30. Januar 1905 bei dem Erisuso- Vorgebirge von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Asama" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in wel-
chem auf Wegnahme der auf dem österreichisch-ungarischen Dampfer
„Siam" verschifften ungefähr 4100 Tons Cardiffkohle erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat S. A. Xigga als Vertreter des Rekla-
manten, der Firma Mann, George & Co., durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme der auf
dem Dampfer „Siam" verschifften Steinkohle sei unzutreffend. Es werde
Aufhebung desselben und Freigabe der zur Verhandlung stehenden
Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
Rußlands einzigem Hadelshafen im Osten, befördert worden und zu
friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Daher sei es unzutreffend,
sie als Konterbande anzusehen.
>) V. § 43.
682
Prisengerichtsentacheidungen : „Siam". Abschnitt VI 35 b
2. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle Konter-
bande sei. In der japanischen Seeprisenordnung 3) sei jedoch als Prinzip
-anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesenermaßen
zum Gebrauch des Feindes habe geliefert werden sollen.. Aber wenn
man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grundsätzen des Völker-
rechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der zur Ver-
handlung stehenden Ladung, Wladiwostok, nicht nur Rußlands ein-
ziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten.
Da an diesem Platze alle Arten von kaufmännischen und gewerblichen
Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen ihre Nieder-
lassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle, welche
nicht absolute Konterbande sei, dorthin transportiert werde, nicht ohne
weiteres schließen, daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht be-
stimmt sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend die „Nep-
tunus" im Kriege zwischen England und Holland vom Jahre 1798, sei
«s billig, daß die zur Verhandlung stehende Ladung als zur Einfuhr
nach dem Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch be-
stimmt angesehen werde.
Wenn das Gericht der ersten Instanz Wladiwostok als einen reinen
Kriegshafen erkläre und es mit dem in dem „Neptun us"-Urteil erwähnten
Kriegshafen Brest auf gleiche Stufe stelle, so sei das eine falsche Auf-
fassung der Tatsachen. Folglich sei auch die Präcedenzentscheidung
nicht richtig angezogen. Ferner übersehe das Urteil, daß auch heute
noch nach dem Ausbruch des Kriegs mit Japan in Wladiwostok der
gewöhnliche Handelsverkehr wie früher ausgeübt werde, und sage, es
sei eine bekannte Tatsache, daß der Handelsverkehr des genannten
Hafens gesperrt sei.
Während ferner Cardiffkohle in allen Ländern der Erde sowohl
zum Kriegs- als Gewerbegebrauch verwandt werde, sage das Urteil
erster Instanz, daß eine Ladung wie die zur Verhandlung stehende im
Osten ausschließlich bei der Kriegsmarine zur Verwendung komme.
Alles dies sei eine starke Entstellung der Tatsachen, und das Urteil
sei widerrechtlich, weil es mit dem allgemeinen Sachverhalt nicht in
Jogischem Einklang stehe.
3. Selbst einmal angenommen, die zur Verhandlung stehende
Ladung sei Konterbande, so habe der Dampfer, wenn er auch unfraglich
beabsichtigt habe, nach Wladiwostok zu fahren, doch unterwegs wegen
Treibeises seine anfängliche Absicht geändert und die Reise nach dort
aufgegeben. Er sei dann aufgebracht worden, während er nach dem
neutralen Kiautschou gefahren sei. Daher könne man nicht sagen, daß
die zur Verhandlung stehende Ladung auf der Reise nach einem feind-
lichen Hafen begriffen gewesen sei. Da die Ladung demnach gar nicht
•) v7§ 14.
683
Abschnitt VI 35k Prisengerichtsentscheidungen: „Siam"^
an den Feind habe gelangen können, so sei es klar, daß sie nicht für
Konterbande angesehen und eingezogen werden könne.
Eine Präcedenz, welche den vorliegenden Fall gänzlich decke, sei
der Fall der in dem englisch-holländischen Kriege im Jahre 1800 auf-
gebrachten „Imina''. Der Fall sei folgender: Der genannte Dampfer*)
sei während des englisch-holländischen Krieges mit Schiffbaumaterialien
nach Amsterdam gefahren, habe aber, als er von der über diesen Hafen
verhängten Blockade erfahren habe, seine Reise geändert und sei nach
dem neutralen Emden gereist. Auf der Fahrt dorthin sei er von einem
englischen Kriegsschiff aufgebracht worden. In der Begründung des-
Prisen Urteils über das Schiff heiße es:
Die „Imina" habe ihre anfängliche Absicht geändert ge-
habt und sei im Begriff gewesen, nach einem neutralen Hafen
zu fahren. Da hieraus rechtlich kein Vorwurf gemacht
werden könne, so könnte weder Schiff noch Ladung ein-
gezogen werden, sie seien vielmehr ungesäumt dem Eigen-
tümer zurückzugeben.
Wenn man den Inhalt dieses Urteils auf den vorliegenden Fall an-
wende, so liege es auf der Hand, daß weder Schiff noch Ladung ein-
gezogen werden könne. Es sei daher unrechtmäßig, wenn das Urteil
erster Instanz diesen Präcedenzfall ignoriere und auf Einziehung des
Schiffs sowohl wie der zur Verhandlung stehenden Ladung erkenne.
4. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in
etwas ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach
der englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen
Kriegsschiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen
seien, unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem konti-
nentalen Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen
hätten, für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen
Zwecken dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feind-
lichen Hafen begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat
ihnen gegenüber unter der Bedingung der Vergütung das Beschlag-
nahmerecht und außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die
moderne Rechtspraxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer
weitherziger werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng,
indem es im Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohn-
heiten Kohle, die sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
diene, wenn sie nach einem Platz, der Handels- und Kriegshafen sei,
bestimmt wäre, bedingungslos einziehe. Besonders weil die japanische
Prisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wün-
*) .Dampfschiff" dürfte ein leichter Anachronismus sein.
684
Prisengerichtsentscheidungen: ..Siam". Abschnitt VI3«b
sehenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter
handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
Bericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende:
Der Reklamant habe dafür, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung zu friedlichem Gebrauch geliefert werden solle, keinerlei Be-
\c'eis erbracht.
Wladiwostok sei nun zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen im
Osten und der Hauptstützpunkt für seine Flotte. Seit dem Kriege
mit Japan habe die russische Regierung diesen Platz zu einem Haupt-
etappenort gemacht, und sei mit allen Kräften bestrebt, dort Kohle,
Kriegsw^affen und -gerät und sonstige Kriegsbedarfsgegenstände an-
zuhäufen. Es sei bekannt, daß der gewöhnliche Handelsverkehr dort
fast gänzlich aufgehört habe. Wenn daher Kohle und dergleichen
Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen ab-
hängig sei, nach Wladiwostok befördert würden, so sei es billig, man-
gels klaren Gegenbeweises anzunehmen, daß dieselben für den Kriegs-
gebrauch geliefert werden sollten. Dies gelte besonders auch bezüg-
lich der zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus doppelt ge-
siebter Cardiffkohle bestehe, wie sie im Osten ausschließlich zum Kriegs-
_gebrauch diene. Auch habe der Dampfer „Siam", um der Aufbringung
durch die japanische Marine zu entgehen, die List angewandt, seinen
Bestimmungsort zu verheimlichen. Daraus könne man mit Recht fol-
gern, daß die Kohle wirklich für den russischen Kriegsgebrauch zu
liefern gewesen und daher Konterbande sei. Das Völkerrecht erkenne
aber an, daß Konterbande, wenn auch unter neutraler- Flagge fahrend,
der Einziehung nicht entgehen könne.
Die übrigen Berufungspunkte seien nur eine Erweiterung des
ersten Punktes und bedürften daher keiner Erwiderung.
Aus diesen Gründen werde Verwerfung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Konterbande seien. Dies um so mehr, als
die zur Verhandlung stehende Ladung ausgewählte Cardiffkohle ist und
die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer
für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür
685
Abschnitt VI»b Prisengerichtsentscheidungen: „Siam'v
vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle sicher für den
russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, ^s müsse nach der Art der Präcedenz-
entscheidung, betreffend die „Neptun us" auch in diesem Falle an-
genommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für fried-
liche Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-
Fall und die des vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus
verschieden, und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz
andere. Es ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz
auf den vorliegenden angewandt werden kann.
Daher sind Punkt 1 und 2 der Berufung unbegründet.
2. Der Reklamant bringt vor, der Kapitän des Dampfers „Siain'%
auf den die zur Verhandlung -stehende Ladung verschifft sei, habe er-
kannt, daß das Passieren der Soyastraße unmöglich sein würde und habe
daher die Reise nach Wladiwostok aufgegeben. Er habe dann, wie
sich aus den Eintragungen in dem Tagebuch ergebe, die Route nach
der Tsugarustraße eingeschlagen, um den neutralen Hafen von
Kiautschou zu erreichen. Deshalb seien das Schiff und die Ladung, ent-
sprechend der Entscheidung in dem „Imina"-Fall, freizugeben. Das
Schiff hat aber von der Abreise an nach Wladiwostok fahren wollen.
Wenn es nun auch bei dem Versuch, die Soyastraße zu passieren, er-
kannte, daß dies nicht möglich war, und daher die Route nach der
Tsugarustraße einschlug, so liegt doch diese Straße auch auf dem Weg
nach Wladiwostok und das Schiff hatte daher seinen Kurs nach Wladi-
wostok noch nicht ganz verlassen.
Der Kapitän beruft sich auf seine Eintragungen im Tagebuch und
behauptet, er habe nach Kiautschou fahren wollen. Wenn man aber
in Betracht zieht, daß die Mehrzahl der Schiffspapiere falsche Ein-
tragungen enthält, so kann man dem Tagebuch nicht ohne weiteres
Glauben schenken. Auch liegen sonst keinerlei Beweise vor, welche
zu der Annahme berechtigen, daß die Reise nach Wladiwostok auf-
gegeben worden sei. Dagegen kann die eingeschlagene Route nicht
als die für die Winterszeit geeignete Route nach Kiautschou bezeichnet
werden, und es liegt auch kein Grund vor, weshalb das Schiff, wenn
es nach Kiautschou fahren wollte, die Tsugarustraße wählen sollte, wo
es am meisten den Störungen durch Visitierung und Durchsuchung
seitens japanischer Kriegsschiffe ausgesetzt sein müßte. Es muß daher
vielmehr angenommen werden, daß das Schiff nach wie vor nach
Wladiwostok zu fahren vorhatte. Auch die Tatsache, daß andere Schiffe,
welche in gleicher Charter standen und gleiche Ladung hatten, als
sie die Soyastraße nicht passieren konnten, die Route durch die Tsugaru-
straße nahmen, um nach Wladiwostok zu gelangen, spricht für die
Vermutung, daß auch das zur Verhandlung stehende Schiff, als es die
686
Prisengerichtsentscheidungen: „Eastry". Abschnitt VI3S
Soyastraße nicht passieren konnte, in gleicher Weise versucht hat, durch
die Tsugarustraße nach Wladiwostok zu gelangen. Der vorliegende
Fall kann daher mit dem der „Imina", welche ihre anfängliche Reise-
route gänzlich geändert hatte, nicht auf eine Stufe gestellt werden.
Daher ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
3. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,.
wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere ver-
tragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge leistete..
Daher ist auch Punkt 4 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In Sachen des am 7. Februar 1905, 3 Uhr nachmittags in der Straße
von Tsugaru von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Matsushima"
beschlagnahmten Dampfers „Eastry" wird nach stattgehabter Unter-
suchung, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der englische Dampfer „Eastry" und seine gesamte Ladung von
3725 Tons Steinkohlen werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der Heimatshafen des genannten Dampfers ist West Hartlepool^
es steht im Eigentum des in Durham, West Hartlepol, wohnhaften eng-
lischen Staatsangehörigen William John Sivewright und ist ein
Stahldampfer von 1924.27 Register Tons. Er ist, ausgerüstet mit falschen
Papieren, mit einer Ladung von Cardiffkohlen in dem letzten Drittel
des November 1904 nach Wladiwostok gefahren und wurde auf seiner
Rückfahrt von dort am 8. Dezember desselben Jahres in der Nähe der
Straße von Tsushima von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff
„Tsushima" visitiert. Danach fuhr er über Moji und Wusung nach
Hongkong. Während er dort lag, wurde er von der Firma Dodwell
68T
Abschnitt VI* Prisengerfchtsentscheidungen : „Eastry".
& Co. in Yokohama am 20. Januar 1905 für eine Reise von Muroran
nach Singapore gechartert. Er fuhr am 21. desselben Monats von Hong-
kong ab und traf am 1. Februar in Muroran ein. Dort nahm er
3725 Tons von der Hokkaido Tanko Tetsudo Kaisha f ürPeterson, Si-
mons & Co. in Singaporee und 560 Tons für den Reiseverbrauch des
Dampfers bestimmte Yubari-Kohlen an Bord. Am 7. Februar am. 8 Uhr
vormittags fuhr er mit Bestimmung nach Singapore von Muroran ab,
wurde jedoch in der Nähe der Tsugarustraße auf 41 ^ 43' n. Br. und
141 0 5' ö. L. von dem Kaiserlich japanischen Kriegsschiff „Matsushima''
visitiert und am selben Tage 3 Uhr nachmittags unter dem Verdacht,
Konterbande nach Wladiwostok zu führen, mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die von dem stell-
vertretenden Offizier des Kommandanten der „Matsushima", Kapitän-
leutnant Taira Saneo, eingereichte Aussageschrift über die Auf-
bringung des Dampfers „Eastry", die Vernehmungsprotokolle des Ka-
pitäns der „Eastry'', W. T. Horsfield, und des O. M. Poole von
der Firma Dod wel 1 & Co. in Yokohama, ein von dem Kommandanten
der „Matsushima" an den mit dem Fall beauftragten Rat des Prisen-
gerichts gerichtetes Telegramm, das Schiffszertifikat, das Schiffsjournal
und den Chartervertrag des genannten Dampfers.
Der Kommandant der „Matsushima" hat den zur Verhandlung
stehenden Dampfer beschlagnahmt, weil derselbe früher mit falschen
Papieren Konterbande nach Wladiwostok geführt hatte und weil er
daraus, daß der Dampfer nicht den mittleren, sondern einen an der
Küste entlang führenden Kurs durch die Straße von Tsugaru nahm,
schloß, daß das Reiseziel Singapore nur vorgegeben sei und der Dampfer,
wie das vorige Mal, mit gefälschten Schiffspapieren nach Wladiwostok
zu fahren vorhabe.
Die genaue Prüfung der an Bord befindlichen Schiffspapiere sowie
die Vernehmung der Interessenten durch das Prisengericht hat jedoch
ergeben, daß die Charterer für die frühere und für diese Reise ver-
schiedene Personen sind. Dazu ist es unzweifelhaft erwiesen, daß die
an Bord befindliche Ladung von Kohlen von der Hokkaido Tanko
Tetsudo Kaisha fürPeterson,Simons&Co. bestimmt sind und daß
auch der Bestimmungshafen des Dampfers Singapore ist. Die dies-
malige Reise des Dampfers kann also nicht als zum Zwecke von Konter-
bandetransport unternommen angesehen werden, und es wird daher
wie in der Urteilsformel entschieden.
Gegegeben am 12. Februar 1905 im Prisengericht zu Yokosuka nach
Einsichtnahme des Schriftsatzes des Staatsanwalts beim Prisengericht
in Yokosuka.
(Unterschriften.)
688
Prfsengerichtsentscheldungen : „Faros".
Abschnitt VI"«
Reklamanten: Deutsche Levante -Linie A. Ges. zu Hamburg,
Deutschland, vertreten durch die Direktionsmitglieder Charles Ed-
^ward John Campbell und Georg Christian Dressen, sowie
<iie Firma Kunst & Albers zu Hamburg, Deutschland.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Nagashima Washitaro zu
Tokio, Kyobashiku, Tsukiji Ichome Nr. 14.
In der Prisensache, betreffend den deutschen Dampfer „Faros''
und seine Ladung wird, nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,
entschieden :
Urteilsform e 1:
Es wird auf Wegnahme des deutschen Dampfers „Paros" sowie
•der nachstehend aufgeführten, zur Ladung des Dampfers gehörigen
uuter erkannt:
Eisensplinte . .
. . 387 Kisten
Bindfaden . .
. . 43 .
Eisendraht . .
. , 230 Faß
Stahltrossen . .
. . 580 Rollen
Linoleum . . .
. . 25 Kisten
Fensterglas . .
. . 600 ,
(1 KiBt. etwas
besobUdlKt)
Wagen. . . .
. . 250 Kisten
Lötmetalle . .
. . 81 ,
Eisenwaren . .
. . 10 ,
Gummiwaren
. . 60 ,
Fabrikate . . .
. . 29 Kolli
Pumpen . . . .
37 Kisten
Feldschmieden .
. 51 ,
Kupfer. . . .
. . 5842 Barren
Zinkblech . . .
. . 92 Faß
» ...
. . 132 Kisten
Verzinkter Stahl
. 16 .
Dampfdruckmesser
1 .
Schlösser . . .
. 13 ,
Sägen ....
2 ,
Hanfschläuche .
. 100 .
firatspilis . . . .
. 300 Stück
Eisennägel . . .
. 5300 Kisten
Eisenschrauben . .
34 .
Putzbaumwolle .
. 739 Kolli
Hammer . . .
10 Faß
Spaten, Hammer .
. 53 .
Kupfervitriol . . .
. 660 Kisten
Soda
500 Kannen
Teertuch . . . .
17 Kolli
Kupferrohre . . ,
12 Kisten
Kupferblech . . ,
. 15 .
j» . . .
52 Stück
Kupfer- und Messing-
blech
Messingblech . . .
Milch
Chokolade ....
Kindernahrungsmehl .
Butter
Käse
Sardinen
Gelatine
Cigarren
Wurzel von Stemone
sessillfolia . . .
Gesalzene Gemüse .
Champagner. . . .
Likör
Cognac
Rum
Lukentransportvor-
richtung ....
Stützpfeiler ....
Treppenstufen und Ge-
länder
Rotationstüren . . .
Porzellan
Photograph'ische Che-
mikalien .....
Kaffeemühlen . . .
Muster von Putzbaum-
wolle
Muster von Katalogen
Pelze und Muster. .
Verschiedenes (Bei-
packwaren) . . .
Linoleum-Proben . .
49 Stück
18 .
300 Kisten
1 Kiste
20 Kisten
40 ,
41 .
100 ,
5 ,
5 n
10 .
226 „
583 ,
120 ,
150 «
30 .
1 Kiste
2 Stück
33 Kolli
5 Kisten
8 ,
1 Kiste
1 n
1 n
2 Kisten
1 Kiste
1 .
1 ,.
Marstrand-M echlenburff, Das Japanische Prlsenreoht.
(44)
689
Abschnitt VI>sk Prisengerichtsentscheidungen: „Siam*'.
Die Pariser Seerechtsdeklaration sowie die völkerrechtliche Theorie
und Praxis nehmen aber an, daß Konterbande, wenn auch unter neu-
traler Flagge fahrend, eingezogen werden kann. ^)
Demnach ist die zur Verhandlung stehende Ladung einzuziehen,
und es erübrigt sich, auf die übrigen Punkte des Reklamanten einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida Shi-
£ e n a r i.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mann, George & Co., London, England, ver-
treten durch den Kapitän des österreichisch-ungarischen Dampfer
^,Siam", S. A. Xigga.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
Am 28. April 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den österreichisch-ungarischen Dampfer „Slam", welcher
am 30. Januar 1905 bei dem Erisuso- Vorgebirge von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Asama'' aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt, in wel-
chem auf Wegnahme der auf dem österreichisch-ungarischen Dampfer
„Siam" verschifften ungefähr 4100 Tons Cardiffkohle erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat S. A. Xigga als Vertreter des Rekla-
manten, der Firma Mann, George & Co., durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Ishi-
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende :
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme der auf
dem Dampfer „Siam" verschifften Steinkohle sei unzutreffend. Es werde
Aufhebung desselben und Freigabe der zur Verhandlung stehenden
Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
Rußlands einzigem Hadelshafen im Osten, befördert worden und zu
friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Daher sei es unzutreffend,
sie als Konterbande anzusehen.
>) V. § 43.
•682
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Siam". Abschnitt VI3ftb
2. Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle Konter-
bande sei. In der japanischen Seeprisenordnung s) sei jedoch als Prinzip
anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesenermaßen
-2um Gebrauch des Feindes habe geliefert werden sollen. . Aber wenn
man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grundsätzen des Völker-
rechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der zur Ver-
handlung stehenden Ladung, Wladiwostok, nicht nur Rußlands ein-
ziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten.
Dci an diesem Platze alle Arten von kaufmännischen und gewerblicheri
Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen ihre Nieder-
lassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle, welche
nicht absolute Konterbande sei, dorthin transportiert werde, nicht ohne
weiteres schließen, daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht be-
stimmt sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend die „Nep-
tunus" im Kriege zwischen England und Holland vom Jahre 1798, sei
-es billig, daß die zur Verhandlung stehende Ladung als zur Einfuhr
nach dem Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch be-
stimmt angesehen werde.
Wenn das Gericht der ersten Instanz Wladiwostok als einen reinen
Kriegshafen erkläre und es mit dem in dem „Neptun us"-Urteil erwähnten
Kriegshafen Brest auf gleiche Stufe stelle, so sei das eine falsche Auf-
fassung der Tatsachen. Folglich sei auch die Präcedenzentscheidung
nicht richtig angezogen. Ferner übersehe das Urteil, daß auch heute
noch nach dem Ausbruch des Kriegs mit Japan in Wladiwostok der
gewöhnliche Handelsverkehr wie früher ausgeübt werde, und sage, es
sei eine bekannte Tatsache, daß der Handelsverkehr des genannten
Hafens gesperrt sei.
Während ferner Cardiffkohle in allen Ländern der Erde sowohl
zum Kriegs- als Gewerbegebrauch verwandt werde, sage das Urteil
erster Instanz, daß eine Ladung wie die zur Verhandlung stehende im
Osten ausschließlich bei der Kriegsmarine zur Verwendung komme.
Alles dies sei eine starke Entstellung der Tatsachen, und das Urteil
sei widerrechtlich, weil es mit dem allgemeinen Sachverhalt nicht in
Jogischem Einklang stehe.
3. Selbst einmal angenommen, die zur Verhandlung stehende
Ladung sei Konterbande, so habe der Dampfer, wenn er auch unfraglich
beabsichtigt habe, nach Wladiwostok zu fahren, doch unterwegs wegen
Treibeises seine anfängliche Absicht geändert und die Reise nach dort
aufgegeben. Er sei dann aufgebracht worden, während er nach dem
neutralen Kiautschou gefahren sei. Daher könne man nicht sagen, daß
die zur Verhandlung stehende Ladung auf der Reise nach einem feind-
lichen Hafen begriffen gewesen sei. Da die Ladung demnach gar nicht
•) V. § 14.
683
Abschnitt VI 35 b Prisengerichtsentscheidungen: „Siam"
an den Feind habe gelangen können, so sei es klar, daß sie nicht für
Konterbande angesehen und eingezogen werden könne.
Eine Präcedenz, welche den vorliegenden Fall gänzlich decke, sei
der Fall der in dem englisch-holländischen Kriege im Jahre 1800 auf-
gebrachten „Imina''. Der Fall sei folgender: Der genannte Dampfer^)
sei während des englisch-holländischen Krieges mit Schiffbaumaterialien
nach Amsterdam gefahren, habe aber, als er von der über diesen Hafen
verhängten Blockade erfahren habe, seine Reise geändert und sei nach
dem neutralen Emden gereist. Auf der Fahrt dorthin sei er von einem
englischen Kriegsschiff aufgebracht worden. In der Begründung des.
Prisen Urteils über das Schiff heiße es:
Die „Imina" habe ihre anfängliche Absicht geändert ge-
habt und sei im Begriff gewesen, nach einem neutralen Hafen
zu fahren. Da hieraus rechtlich kein Vorwurf gemacht
werden könne, so könnte weder Schiff noch Ladung ein-
gezogen werden, sie seien vielmehr ungesäumt dem Eigen-
tümer zurückzugeben.
>X^enn man den Inhalt dieses Urteils auf den vorliegenden Fall an-
wende, so liege es auf der Hand, daß weder Schiff noch Ladung ein-
gezogen werden könne. Es sei daher unrechtmäßig, wenn das Urteil
erster Instanz diesen Präcedenzfall ignoriere und auf Einziehung des
Schiffs sowohl wie der zur Verhandlung stehenden Ladung erkenne.
4. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in
etwas ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach
der englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen
Kriegsschiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen
seien, unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem konti-
nentalen Prinzip sei, wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen
hätten, für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen
Zwecken dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feind-
lichen Hafen begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat
ihnen gegenüber unter der Bedingung der Vergütung das Beschlag-
nahmerecht und außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die
moderne Rechtspraxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer
weitherziger werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig strenge
indem es im Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohn-
heiten Kohle, die sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
diene, wenn sie nach einem Platz, der Handels- und Kriegshafen sei^
bestimmt wäre, bedingungslos einziehe. Besonders weil die japanische
Prisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wün-
*) .Dampfschiff" dürfte ein leichter Anachronismus sein.
684
Prisongerichtsentscheidungen: .,Siam". Abschnitt Vl^sb
sehenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter
handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende:
Der Reklamant habe dafür, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung zu friedlichem Gebrauch geliefert werden solle, keinerlei Be-
weis erbracht.
Wladiwostok sei nun zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen im
Osten und der Hauptstützpunkt für seine Flotte. Seit dem Kriege
mit Japan habe die russische Regierung diesen Platz zu einem Haupt-
etappenort gemacht, und sei mit allen Kräften bestrebt, dort Kohle,
Kriegswaffen und -gerät und sonstige Kriegsbedarfsgegenstände an-
zuhäufen. Es sei bekannt, daß der gewöhnliche Handelsverkehr dort
fast gänzlich aufgehört habe. Wenn daher Kohle und dergleichen
Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen ab-
hängig sei, nach Wladiwostok befördert würden, so sei es billig, man-
gels klaren Gegenbeweises anzunehmen, daß dieselben für den Kriegs-
gebrauch geliefert werden sollten. Dies gelte besonders auch bezüg-
lich der zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus doppelt ge-
siebter Cardiffkohle bestehe, wie sie im Osten ausschließlich zum Kriegs-
gebrauch diene. Auch habe der Dampfer „Siam", um der Aufbringung
durch die japanische Marine zu entgehen, die List angewandt, seinen
Bestimmungsort zu verheimlichen. Daraus könne man mit Recht fol-
gern, daß die Kohle wirklich für den russischen Kriegsgebrauch zu
liefern gewesen und daher Konterbande sei. Das Völkerrecht erkenne,
aber an, daß Konterbande, wenn auch unter neutraler- Flagge fahrend,
der Einziehung nicht entgehen könne.
Die übrigen Berufungspunkte seien nur eine Erweiterung des
ersten Punktes und bedürften daher keiner Erwiderung.
Aus diesen Gründen werde Verwerfung der Berufung beantragt.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Konterbande seien. Dies um so mehr, als
die zur Verhandlung stehende Ladung ausgewählte Cardiffkohle ist und
die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer
für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür
685
fhisengerichtsentscheidungen : „Faros".
Reklamanten: Deutsche Levante-Linie A. Ges.
Deutschland, vertreten durch die Direktiansmitglieder
^'ard John Campbell und Georg Christian
^e die Firma Kunst& Albers zu Hamburg, Deutsch
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Nagashima \
Tokio, Kyobashiku, Tsukiji Ichome Nr. 14.
Am 10. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Yokosul
Sache, betreffend den am JO. Februar 1905 von dem Kaij
schiff „Hongkong Maru" in der Nähe der Etorup-Straß
deutschen Dampfer „Faros" und seine Ladung, ein L
\i^elchem auf Wegnahme des deutschen Dampfers „Parc
ihm verschifften Eisensplinte und 87 anderen Warei
worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die De
Linie, Aktiengesellschaft, vertreten durch Charles E
Campbell sowie durch Georg Christian Dre
Firma Kunst & Albers, durch den Rechtsanwalt
Washitaroals Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt,
sein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jui
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters d«
Nagashima Washitaro, sind folgende :
Es werde auf Aufhebung des Urteils erster Instan
des Dampfers „Paros" und seiner Ladung beantragt, un
genden Gründen:
1. Das Urteil der ersten Instanz habe anerkannt
zur Verhandlung stehende Schiff Eigentum der deutscl
Person, der Aktiengesellschaft „Deutsche Levante-Linie
dieselbe mit dem Eigentümer der Ladung nicht iden i
§ 43, Absatz 2 der japanischen Seeprisenordnung*) bes
Schiff, welches Konterbande an Bord habe, einzuziehen
Reeder und der Eigentümer der Konterbande dieselbe
Daraus folge, daß, wenn sich auch unter der zur Verhand
Ladung Kriegskonterbande befinde, das Schiff doch ni
werden dürfe, da der Eigentümer des Schiffes und c
der Kriegskonterbande nicht dieselbe Person seien.
2. Das Gericht erster Instanz habe erklärt, um c ;
des Punktes 1 umzustürzen,
es sei ein von der Theorie und der Praxis d\
anerkannter Grundsatz, daß Schiffe, welche :
trügerischen Vorgehens schuldig machten, ein
einerlei, ob der Schiffseigentümer etwas damit
Abschnitt VI 37 a Prisengerichtsentscheidungeii : „Faros".
man absichtlich den wirklichen Bestimmungshafen verheimlichen wollte.
Der Vertreter der Reklamation hat geltend gemacht, wenn der Kapitän
des Dampfers in Labuan unter der Angabe, das Reiseziel sei Hongkong,
sich einen Ausklarierungsschein und einen Gesundheitspaß hab2 aus-
stellen lassen; wenn er drei Wochen läng vom Tage seiner Abfahrt
von Labuan bis zum Tage seiner Aufbringung im Privatschiffsjournal und
im Tagebuch Hongkong als Reiseziel angegeben habe, so sei dies alles
für den Fall geschehen, daß Wladiwostok, wie erwartet, blockiert sei,
man könne hierin nicht ein betrügerisches Vorgehen erblicken, auf Grund
dessen man die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffes
als gerechtfertigt erklären könne. Demgegenüber ist geltend zu machen,
daß der Kapitän dem mit dem Fall beauftragten Rat gegenüber aus-
gesagt hat, er hätte das getan, weil er hoffte, daß ihm die japanischen
Kreuzer und überhaupt jedermann glauben würden, daß er nach Hong-
kong ginge, und daß er auf diese Weise der Aufbringung würde ent-
gehen können. Wenn er glücklich aus der Etorup-Straße heraus in
den Stillen Ozean gelangt wäre, so hätte er seinen Kurs in großem
Bogen von der Küste WiCg genommen und hätte dann versucht, abends
im Schutz der Dunkelheit zurückzukehren und die Tsugarustraße ohne
Lichter zu passieren.^ Und dann wieder, er hätte sich, soviel als in seinen
Kräften gestanden hätte, bemüht, der Aufbringung zu entgehen, aber
als man ihm in der Etorup-Straße das Messer an die Kehle gesetzt
hätte, habe er sich gesagt, jetzt sei es aus, und habe daher der „Hong-
kong Maru" sogleich signalisiert, er wolle nach Wladiwostok. Aus den
Äußerungen des Kapitäns ergibt sich, daß die vorher besprochenen
betrügerischen Mittel alle den Zweck hatten, den heimlichen Transport
der Kriegskonterbande zu ermöglichen. Schiffe aber, die solche be-
trügerischen Mittel anivt-enden, sind nach völkerrechtlicher Theorie und
Praxis einzuziehen, einerlei, ob der Schiffseigentümer etwas mit dieser
Handlungsweise zu tun gehabt hat oder nicht, und einerlei, ob die
Kriegskonterbandeladung dem Reeder gehört oder nicht. 3)
Aus diesen Gründen sind das Schiff und die in der Urteilsformel
angegebenen Güter einzuziehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im
Beisein des Staatsanwalts Yanagita Kunio.
(Unterschriften.)
») V. § 44.
694
Prisengerichtsentscheidungen: „Faros". Abschnitt Vl^^a
Reklamanten: Deutsche Levante-Linie A. Ges. zu Hamburg,
Deutschland, vertreten durch die Direktionsmitglieder Charles Ed-
ward John Campbell und Georg Christian Dressen so-
wie die Firma Kunst& Albers zu Hamburg, Deutschland.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt NagashimaWashitaro zu
Tol^io, Kyobashiku, Tsukiji Ichome Nr. 14.
Am 10. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den am 10. Februar 1905 von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Hongkong Maru" in der Nähe der Etorup-Straße aufgebrachten
deutschen Dampfer „Paros'' und seine Ladung, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Wegnahme des deutschen Dampfers „Paros'' und der auf
ihm verschifften Eisensplinte und 87 anderen Warensorten erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Reklamanten, die Deutsche Levante-
Linie, Aktiengesellschaft, vertreten durch Charles Edward John
Campbell sowie durch Georg Christian Dressen und die
Firma Kunst & Albtrs, durch den Rechtsanwalt Nagashima
W a s h i t a r o als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Bei-
sein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i w a t a r i
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
NagashimaWashitaro, sind folgende :
Es werde auf Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe
des Dampfers „Paros'* und seiner Ladung beantragt, und zwar aus fol-
genden Gründen:
1. Das Urteil der ersten Instanz habe anerkannt, daß nur das
zur Verhandlung stehende Schiff Eigentum der deutschen juristischen
Person, der Aktiengesellschaft „Deutsche Levante-Linie" sei und daß
dieselbe mit dem Eigentümer der Ladung nicht identisch sei. Der
§ 43, Absatz 2 der japanischen Seeprisen Ordnung*) bestimme, daß ein
Schiff, welches Konterbande an Bord habe, einzuziehen sei, wenn der
Reeder und der Eigentümer der Konterbande dieselbe Person seien.
Daraus folge, daß, wenn sich auch unter der zur Verhandlung stehenden
Ladung Kriegskonterbande befinde, das Schiff doch nicht eingezogen
werden dürfe, da der Eigentümer des Schiffes und der Eigentümer
der Kriegskonterbande nicht dieselbe Person seien.
2. Das Gericht erster Instanz habe erklärt, um das Vorbringen
des Punktes 1 umzustürzen,
es sei ein von der Theorie und der Praxis des Völkerrechts
anerkannter Grundsatz, daß Schiffe, welche sich eines be-
trügerischen Vorgehens schuldig machten, einzuziehen seien,
einerlei, ob der Schiffseigentümer etwas damit zu tun gehabt
695
Abschnitt JTl^f'^ Prisengerichtsentscheidungen; „Faros".
habe oder nicht und einerlei, ob der Schiffseigentümer
Eigentümer der Kriegskonterbandegüter sei oder nicht.
Die Reklamanten erkennten eine solche Theorie und Praxis nicht
an. Sowohl nach dem Sinn der §§ 43 und 44 der japanischen See-
prisenordnung als auch nach der völkerrechtlichen Praxis könne ein
Schiff bei Verschiedenheit der Eigentümer des Schiffes und der Konter-
bandegüter nur eingezogen werden, wenn der Schiffseigentümer an dem
betrügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei. Denn es sei eine all-
gemeine Rechtsregel, daß denjenigen, der ip Unkenntnis sei, keine Strafe
treffen könne. Auch das Völkerrecht dürfe aus diesem Geleise nicht
heraustreten, und es sei klar, daß die japanische Prisenordnung diesen
Grundsatz auch befolge. Im Chartervertrag sei ausdrücklich Wladi-
wostok als Bestimmungsort angegeben. Nur für den Fall, daß es blockiert
sei, habe das Schiff seine Ladung in Hongkong löschen sollen. Da das
Völkerrecht die Blockade anerkenne und zu der damaligen Zeit der
japanisch-russische Krieg immer größere Dimensionen angenommen habe^
so se» es ein durchaus berechtigtes Vorgehen gewesen, wenn die Be-
stimmungen des Chartervertrages mit Berücksichtigung dieser Umstände
festgesetzt worden seien. Irgendwelcher Dolus oder Betrug habe dabei
nicht vorgelegen. Angenommen aber, daß bei dem späteren Vorgehen
etwas nicht ganz in Ordnung gewesen sei, so könne man doch darauf-
hin noch nicht behaupten, daß bei der Befrachtung des Schiffes be-
trügerische Mittel angewandt seien, wenn man sehe, daß in dem Charter-
vertrag, der den Bestimmungsort klar erkennen lasse, absolut nichts-
verheimlicht worden sei. Die von dem Gericht erster Instanz zum
Nachteil der Reklamanten angezogenen Aussagen des Kapitäns gäben
im Grunde nichts wieder als Maßnahmen, welche zur Erreichung des
Zwecks des genannten Chartervertrags gebraucht worden seien, und es
dürfe aus ihnen noch nicht die Folgerung gezogen werden, daß eine
böse Absicht zur Zeit der Verladung bestanden hätte.
3. Nach Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856
dürften Güter, die auf einem Schiffe, das neutrale Flagge führe, verschifft
seien, mit Ausnahme von Kriegskonterbandegütern nicht beschlagnahmt
werden. Daraus folge, daß diese Deklaration die der Beschlagnahme
unterworfenen Güter auf Kriegskonterbandegüter beschränkt habe. Die
zur Verhandlung stehenden Güter seien nun neutrale Güter, welche auf
einem neutralen Schiff verladen seien. Wenn daher, wie das Gericht
erster Instanz annehme, unter der Ladung Kriegskonterbandegüter vor-
handen seien, so seien doch selbstverständlich diejenigen Waren, die
keine Kriegskonterbande darstellten, in Gemäßheit der Pariser Dekla-
ration freizugeben. Das Gericht erster Instanz führe freilich aus,
es sei von der völkerrechtlichen Theorie und Praxis anerkannt,
daß in Fällen, wo Güter, die nicht Konterbande seien, mit
696
Piisengeiichtsentscheidungen: „Faros". Abschnitt VI 37»
Konterbandegütern auf demselben Schiff seien, wenn aach
das Schiff die neutrale Flagge führe, die ganze Ladung ein-
gezogen werden könne, wenn der Eigentümer der Nicht-
konterbandegüter und der der Konterbandegüter derselbe
sei. Die vom Vertreter der Reklamation angezogenen Be-
stimmungen der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856
paßten nicht auf den vorliegenden Fall.
Aus verschiedenen neuen Entscheid ungsbeispielen nach Ausbruch
des russisch-japanischen Krieges gehe jedoch ganz klar hervor, daß
die völkerrechtliche Theorie und Praxis nicht unbedingt maßgebend
seien. Da ferner das moderne Völkerrecht sich dahin entwickele, den
Schaden, der dem Privateigentum durch den Krieg erwachse, möglichst
zu verringern, so sei es außer Frage, daß der Inhalt der Pariser See-
rechtsdeklaration mit Recht auf den vorliegenden Fall anzuwenden und
daß die Güter, soweit sie nicht Kriegskonterbande seien, freizugeben
seien.
4. Wladiwostok sei ein Handelshafen, welcher seit dem Jahre 1860
zum Freihafen erklärt worden sei. Es müßten daher auf Güter, wie die
in Verhandlung stehenden, die Bestimmungen über das, was das Völker-
recht als bedingte Kriegskonterbande bezeichne, Anwendung finden.
Denn wenn ein Hafen den doppelten Charakter eines Kriegs- und
Handelshafens besitze, so müßten die Bestimmungen über bedingte
Konterbande Anwendung finden, und die Beschlagnahme sei nicht auf-
recht zu erhalten. Das Gericht erster Instanz weise die Begründung
der Reklamanten über diesen Punkt zurück, indem es behaupte, daß
die Ausführung jeder glaubwürdigen Unterlage entbehre.
Nach völkerrechtlicher Theorie und Praxis sei vielmehr, wenn
Güter, die in die Kategorie der sogenannten bedingten Kriegs-
konterbande fielen, nach Plätzen eingeführt würden, die sich
in denselben Umständen befänden wie gegenwärtig Wladi-
wostok, regelmäßig angenommen worden, daß dieselben
Kriegskonterbande seien und eingezogen werden Könnten.
Es sei aber selbstverständlich, daß, solange keine völkerrechtliche
Blockade vorliege, die Freiheit des neutralen Handels keine Störung er-
fahren dürfe und daß eine Firma, wie die der Reklamanten, welche viele
Filialen im Innern Sibiriens besitze und alljährlich die gleichen Waren
dorthin importiere, vielmehr eine zu ihren Gunsten sprechende Ver-
mutung genießen müsse. Offenbar finde das Entscheidungsbeispiel in
dem „Neptunus"-Falle aus dem englisch-holländischen Kriege vom Jahre
1798 auf den vorliegenden Fall Anwendung.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende:
697
Abschnitt VI 37a Prisengerichtsentscheidungen: „Faros".
Im Chartervertrag sei einfach Hongkong und nicht Wladiwostok
als Reiseziel angegeben. Daß diese Eintragung betrügerisch sei, sei, wie
das Urteil erster Instanz dartue, offenbar. Es sei danach außer allem
Zweifel, daß auch der Schiffseigentümer an dem ganzen betrügerischen
Vorhaben beteiligt gewesen sei. Daher sei es zur Einziehung des zur
Verhandlung stehenden Schiffes auf Grund von betrügerischem Vor-
gehen nicht nötig, die Frage zu lösen, ob es dazu der Teilnahme des
Reeders bedürfe oder nicht.
Daß die Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 die Einziehung
Von Gütern, welche keine a:bsolute Konterbande seien, nicht ohne Be-
rücksichtigung der besonderen Umstände habe untersagen wollen, gehe
hervor aus der Instruktion, die Frankreich, welches die Anregung zu
jener Deklaration gegeben habe, im Jahre 1870 über das Prisen wesen
erlassen habe; ferner aujs dem von Ortolan vertretenen, als normale
wissenschaftliche Ansicht zu bezeichnenden Standpunkt; der Prisen-
rechtspraxis Englands, welches im wesentlichen der Pariser Deklaration
beigetreten sei, und seiner modernen, allgemeinen wissenschaftlichen
Doktrin.
Es sei daher zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz ausführe,
daß die Pariser Seerechtsdeklaration auf den vorliegenden Fall, wo die
Ladung, welche keine Konterbande sei, dem Eigentümer der Konterbande-
güter gehöre, nicht zutreffe und daß es von der völkerrechtlichen Wissen-
schaft und Praxis anerkannt sei, daß in solchem Falle die Nichtkonter-
bandegüter mit eingezogen werden könnten.
Die Entscheidung erster Instanz auf Einziehung sei demnach richtig
und die Berufung unbegründet.
Die zur Verhandlung stehende Ladung umfasse drei Arten von
Gütern, nämlich absolute Kriegskonterbandegüter, dem Eigentümer dieser
gehörige, beziehungsweise Kriegskonterbandegüter und Nichtkonterbande-
güter. Der Eigentümer und Reklamant dieser Güter habe am Bestim-
mungsort derselben, W/ladiwostok, eine Filiale und beschäftige sich mit
Lieferungen für die russische Regierung. Wladiwostok sei die einzige
Etappenbasis Rußlands im Osten. Alles dies gehe aus den Darlegungen
des Urteils erster Instanz klar hervor. Selbst wenn daher Wladiwostok,
wie der Vertreter der Reklamation behaupte, daneben auch die Eigen-
schaft eines Handelshafens besitze, könne diese Eigenschaft auf die An-
nahme, daß die unter der Ladung befindliche absolute Konterbande und
auch daß die als beziehungsweise Konterbande anzusehenden Güter zum
russischen Kriegsgebrauch hätten geliefert werden sollen, keinerlei Ein-
fluß ausüben.
Aus diesen Gründen sei das Urteil erster Instanz zutreffend und
die Berufung unbegründet.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet :
698
Prisengerichtsentscheidungen: „Faros". Abschnitt VI^^«
1. Die ganze Ladung des Schiffes war nach Wladiwostok bestimmt.
Sie enthielt Zement, Feldschmiedegeräte, welche als Kriegsausrüstung
aufzufassen sind, eiserne Platten, eiserne Nägel, Linoleum zum Bau und
zur Ausrüstung von Kriegsschiffen und anderen Schiffen, Zinkblech,
Kupfer, Kupferblech, Messingblech usw., welche als Arsenalmaterialien
dienen. Es bedarf keiner Ausführung, daß solche Waren absolute Kriegs-
konterbande sind und daher weggenommen werden können. Aber auch
bezüglich von Steinsalz, Milch, Butter, Käse, Konserven, Gerste und
dergleichen Lebensmitteln erkennt das Völkerrecht ohne Zweifel an,
daß sie als Kriegskonterbande angesehen und weggenommen werden
können, wenn sie nach einem Hafen wie Wladiwostok befördert werden.
Denn Wladiwostok ist der bedeutendste Kriegshafen Rußlands und zu
gleicher» Zeit ein Hauptetappenort. Der gewöhnliche Handel ist dort
fast ganz zum Stillstand gekommen. Die Reklamanten haben zwar
geltend gemacht, daß Wladiwostok zugleich Handels- und Kriegshafen
sei und behauptet, daß die dahin bestimmte Ladung nach dem Präce-
denzfall des „Neptun us'' freizulassen sei. Die Verhältnisse der Bestim-
mungsorte in jenem und dem vorliegenden Fall sind aber verschieden,
so daß jener Fall keineswegs als Präcedenz für den vorliegenden dienen
kann.
2. Die ganze Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes
war von dem Charterer, der Firma Kunst & Albers, an ihre Filiale
in Wladiwostok versandt. Da der größte Teil der Ladung Kriegskonter-
bande ist, so muß man sagen, daß der Reisezweck des Schiffes der
Transport von Konterbande gewesen ist, und es ist völkerrechtlich an-
erkannt, daß solche Schiffe eingezogen werden können.*) Dies gilt
um so mehr, als in dem Chartervertrag und in den anderen Schiffs-
papieren, obwohl bereits' bei der Ausfahrt von Hamburg Wladiwostok
als Reiseziel feststand, ein falscher Bestimmungsort angegeben wurde,
d. h.*also, Anwendung betrügerischer Mittel zum Transport von Konter-
bande vorliegt. Die Reklamanten bringen freilich vor, in dem Charter-
vertrag sei deutlich Wladiwostok als Bestimmungsort angegeben, ebenso
sei klar ausgesprochen, daß die Ladung nur in dem Fall, daß Wladiwostok
blockiert sei, in Hongkong gelöscht werden solle. Der Bestimmungsort
sei demnach nicht gefälscht. In dem Chartervertrag heißt es jedoch
nur, daß das Schiff, wenn es nach dem Passieren des Suezkanals nicht
in Hongkong einfahren könne, nach einem sicher zu erreichenden
benachbarten Platz gehen solle. Es ist demnach ganz offenbar, daß der
Bestimmungsort gefälscht worden ist.
3. Wenn sich auch unter der Ladung vereinzelte Nichtkriegskonter-
bandegüter finden, so gehören sie doch demselben Eigentümer, der die
^) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
699
Abschnitt VI 37« Prisengerichtsentscheidungen: „Faros".
Beförderung der Kriegskonterbandegüter geplant hat, und es ist wiederum
ein Grundsatz des Völkerrechts, daß solche Güter zusammen eingezogen
werden können. Die Behauptung, daß dies im Widerspruch mit der
Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 stehe, entbehrt der Be>
gründung.
Demnach ist, wie ausgeführt, die Entscheidung des Gerichts erster
Instanz auf Wegnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs und seiner
Ladung gerechtfertigt und die Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 2. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Die deutsche Levante-Linie A. G. in Hamburg,
Deutschland, vertreten durch die Prokuristen CharlesEdwardJohn
Campbell und GeorgChristian Dressen
und Kunst & Albers in Hamburg, Deutschland und
Eduard Schultz in Wladiwostok, Rußland.
ProzeBvertreter: Nagashima Washitaro, Tokio, Kyobas-
hiku. Tsukiji Nr. 14.
In der Prisensache, betreffend Ladung des Dampfers „Paros'' wird
nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden.
Urteilsform el:
Die an Bord des Dampfers „Paros" verschifften, zum Privat-
gebrauch bestimmten Güter, nämlich je eine Kiste Bücher und Metall-
waren, werden freigegeben.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter stehen im Eigentum des
Reklamanten Eduard Schulz. Sie wurden auf dem durch Vertrag
zwischen der reklamierenden Deutschen Levante-Linie A. G. und der
reklamierenden Firma Kunst & Albers, vertreten durch die Firma
Pin kerneile, am 26. Oktober 1904 gecharterten Dampfer „Paros"
mit Bestimmung nach Wladiwostok verladen und fuhren am 24. No-
vember d. J. von Hamburg ab. Als das Schiff am 10. Februar 1905,
früh morgens, durch die Straße von Etorup fuhr, wurde es von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' gesichtet und am selben
700
Prisengerichtsentscheidungen: „Apollo". Abschnitt VI3>
Tage nachmittags zusammen mit seiner verschiedenen Ladung von dem
genannten Kriegsschiff beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage
des Vertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru'', des Offi-
ziers Abe Sempei, die Vernehmungsprotokolle des genannten Offi-
ziers und des Kapitäns der „Faros", Paul Niemann, das Schiffs-
zertifikat, den Chartervertrag, die Konnossemente und den Brief des
Reklamanten Eduard Schultz an den Prokuristen der Filiale der
Firma Kunst&Albersin Nagasaki, AugustGese, vom 1 . Februar
1Q05 russischen Stils.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die zur Verhandlung stehenden Güter seien, wie aus ihrer Art
selbst hervorgehe, gewöhnliche Privateffekten, insbesondere seien die
in der mit Nr. 101 bezeichneten Kiste enthaltenen Privateffekten Hinter-
lassenschaften des verstorbenen Vaters des Reklamanten, Eduard
Schultz. Ihrer Natur nach könnten diese Güter nicht beschlag-
nahmt werden. Es werde daher ein Urteil auf Freigabe derselben
beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Dampfer „Paros", auf welchem die zur Verhandlung
stehenden Güter verschifft waren, hat unter falschen Angaben Zement
und sonstige Konterbandeartikel geladfcn gehabt, um sie heimlich nach
Wladiwostok zu befördern. Auf dieser Reise wurde er von einem Kaiser-
lichen Kriegsschiff beschlagnahmt. Da aber die zur Verhandlung
stehenden Güter auf einem neutralen Schiff verladen waren und keine
Konterbande sind, auch erwiesenermaßen nicht dem Eigentümer des
genannten Schiffes oder der Konterbandegüter gehören, so sind sie
freizugeben.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 22. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Yanagita
K u n i o.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Cornhill Steamship Company, London, Grace
Church Street Nr. 81, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
„Apollo'', John Wiseman.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
701
Abschnitt VI 3* Prisengerichtseiitscheidungen: »Apollo".
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Apollo"
und seine Ladung wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,
entschieden.
Urteilsform el:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Apollo'' und der
auf ihm verladenen ungefähr 5600 Tons Cardiffkohle erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Apollo" steht im Eigen-
tum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist London und er ist ein
Handelsschiff, welches die englische Flagge führt. Der Reklamant ist
zugleich der Absender der Ladung. Er hat, um sie nach Wladiwostok
zu befördern, in Barry Dock, England, ihm gehörige ungefähr 5770 Tons
doppelt gesiebte Cardiffkohle geladen (auf der Reise ist hiervon ver-
braucht worden, so daß zurzeit etwa 5600 Tons vorhanden sind). Der
Empfänger sollte sich nach Order bestimmen. Als Bestimmungsort wurde
Bangkok angegeben und ein dementsprechender Ausklarierungsschein
und Gesundheitspaß erwirkt.
Am 7. Dezember 1904 fuhr der Dampfer von dem genannten
Hafen ab und lief unterwegs Port Said, Colombo und Singapore an. In
Singapore gab er an, er führe nach Shanghai, und erhielt entsprechende
Ausklarierung und Leuchtturmsteuerquittung. Er nahm indes vorsätz-
lich einen Umweg und versuchte Wladiwostok durch die Soyastraße
zu erreichen, wurde jedoch am 15. Februar 1905 bei der Straße von
Etorup von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru'' aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Hongkong Maru'', Kapitän-
leutnants Nagashima Denzo, die Vernehmungsprotokolle des Ge-
nannten und des Kapitäns der „Apollo'', John Wiseman, das Schiffs-
zertifikat, das Konnossement, die Ausklarierungsbescheinigung, den Ge-
sundheitspaß und die Leuchtturmsteuerquittung.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung stehe im Eigentum der
Firma Harris and Dixon in London und sei von dem Reklamanten
als Absender befördert worden. Ihre Beförderung nach Wladiwostok,
einem Hafen einer der kriegführenden Mächte, sei eine öffentliche Handels-
transaktion, welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs
stehe und unbestreitbar eine völkerrechtlich nicht anfechtbare Hand-
lung sei.
Aber selbst einmal angenommen, die zur Verhandlung stehende
Ladung sei feindlichen Charakters, weil sie nach feindlichem Gebiet ver-
schifft worden sei, so könne sie doch, weil unter neutraler Flagge fahrend,
702
Prisengerichtsentscheidungen: ,>Apol!o". Abschnitt VI 3»
nach Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 nicht
beschlagnahmt werden.
Daß in den im Ausgangshafen und den Anlaufshäfen erhaltenen
Ausklarierungen und Gesundheitspässen Bangkok und Shanghai als Be-
stimmungsort bezeichnet seien und der endgültige Bestimmungshafen
Wladiwostok nicht aufgeführt sei, habe nur den Zweck gehabt, den
Schwierigkeiten zu entgehen, welche die zuständigen Behörden bei Aus-
händigung dieser Schriftstücke gemacht haben würden, wenn ihnen die
Wahrheit gesagt worden wäre. Daß es keinenfalls in der bösen Absicht
geschehen sei, sich dadurch der Aufbringung zu entziehen, könne man
daraus entnehmen, daß das Konnossement klar angebe, daß die Ladung
für Wladiwostok bestimmt sei. Die Ausklarierungsbescheinigungen seien
keine wichtigen Schiffspapiere, sondern bescheinigten lediglich eine For-
malität. Wenn daher auch in ihrem Inhalt Auslassungen vorgekommen
seien, so könne das nicht als Material zur Begründung der Einzieh ung^
des Schiffes geltend gemacht werden.
Wenn ferner der Kapitän bei seinem Verhör durch den mit dem
Fall beauftragten Rat geantwortet habe, Wladiwostok sei in die Aus-
klarierungspapiere nicht als Reiseziel eingetragen worden, um auf diese
Weise der Aufbringung zu entgehen, so sei das nur eine in dem Moment
gegebene Ausrede, auf Grund deren man nicht anzunehmen berech-
tigt sei, daß die Schiffspapiere gefälscht worden seien.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Mitteln bestrebt, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast ganz aufgehört. Wenn daher Kohle, Lebensmittel oder der-
gleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich der
zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter Cardiff-
kohle besteht, wie sie ausschließlich zum Gebrauch auf Kriegsschiffen
dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegsgebrauch
bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande anzusehen, i)
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die »Begründung jenes Urteils vielmehr zur Be-
kräftigung der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
') IL Ziffer 2.
703
Abschnitt VI" Prlsengerichtsentscheldungen: „Apollo".
Konterbande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen
vorwiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse
von Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden.
Das in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhält-
nissen Wladiwostoks vielmehr gleich.
Wenn der Dampfer sich Ausklarierungen und Gesundheitspässe
nach den neutralen Häfen Bangkok und Shanghai geben ließ und vor-
sätzlich einen Umweg machte, um Wladiwostok durch die Soyastraße zu
erreichen, so ist das unzweifelhaft nicht, wie der Reklamant sagt, ge-
schehen, um das betreffende Verfahren ungehindert vor sich gehen zu
lassen, auch liegt darin keine entschuldbare Nachlässigkeit. Vielmehr
muß man annehmen, daß der Bestimmungshafen mit voller Absicht
verheimlicht wurde, um durch diese List der Aufbringung zu entgehen.
Wenn sich auch zufällig in dem Konnossement der wahre Bestimmungs-
ort findet, so kann man doch nicht daraufhin allein die oben erwähnte
List übersehen und annehmen, daß das Schiff sich nicht betrügerischen
Vorgehens schuldig gemacht habe.
Da es ferner aus der Aussage des Kapitäns klar hervorgeht, daß
die zur Verhandlung stehende Ladung dem Reeder der „Apollo" und
Reklamanten in dieser Sache gehört, so kann, solange nicht ein Gegen-
beweis erbracht wird, der diese Annahme umstößt, der Ausführung
des Vertreters der Reklamation, daß die Ladung der Firma Harris
& Dixon gehöre, nicht beigepflichtet werden.
Kurz, der Dampfer „Apollo" hat unter Anwendung betrügerischer
Mittel seinem Reeder gehörige Konterbande befördert, und es ist von
der Wissenschaft und Praxis des Völkerrechts anerkannt, daß in der-
artigen Fällen Schiff und Ladung eingezogen werden können. ^)
Da aus diesen Gründen der zur Verhandlung stehende Dampfer
und seine Ladung einzuziehen sind, so erübrigt es sich, die übrigen
Punkte des Reklamanten zu erörtern.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am l. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Yanagita
K u n i o.
(Unterschriften.)
*) V. §§ 43, 44.
704
Prisengerichtsentschef düngen: »Apollo*. Abschnitt Vl^
Rekramant: The Cornhill Steamship Company, London, Eng-
land, Grace Church Street Nr. 81, •vertreten durch den Kapitän des eng-
lischen Dampfers „Apollo*', John Wiseman.
ProzeBvertreter; Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Tokio,
KyobashiJcu, Unemecho Nr. 15.
Am 1. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den am 14. Februar 1905 in der Straße von Etorup
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Hongkong Maru" beschlagnahmten
eng^schen Dampfer „Apollo" und dessen Ladung ein Urteil gefällt,
in welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers „Apollo'' und
der auf demselben verladenen ungefähr 5600 Tons Cardiffkohle er-
kannt worden ist
Gegen dieses Urteil hat JohnWiseman in Vertretung des
Reklamanten, der Cornhill Steamship Company, durch den Rechtsanwalt
Akiyama Gen zo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und I s h i w a t a r i
B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Qenzo, sind folgende:
Das Urteil des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme des
Dampfers ,^pollo" und der auf ihm verschifften Steinkohlen sei un-
zutreffend. Es werde Aufhebung desselben und Freigabe des zur Ver-
handlung stehenden Dampfers und seiner Ladung beantragt, und zwar
aus fofgendea Gründen:
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs und
der der Ladung seien verschieden. Bei der Verladung und Beförderung
der letzteren liege keinerlei betrügerisches Vorgehen vor. Auch sei die
Ladung nicht als Konterbande anzusehen. Daher sei es unzutreffend,
daß das Gericht erster Instanz die Ladung als Konterbande angesehen
und bezüglich des Schiffs betrügerisches Vorgehen angenommen und
für beide auf Einziehung erkannt habe.
2. Das Urteil erster Instanz besage,
es gehe aus den Aussagen des Kapitäns hervor, daß die zur
Verhandlung stehende Ladung dem Eigentümer des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes gehöre.
Eine genaue Prüfung des Vernehmungsprotokolls des Kapitäns tue dies
indes keineswegs dar, sondern liefere reichlichen Beweis dafür, daß das
Gegenteil der Fall sei. Denn der Kapitän sage in diesem Vernehmungs-
protokoll:
Der Ladungsherr der Steinkohlen sei die Cornhill Steamship
Company. Er glaube, daß der Ladungsherr gewußt habe,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung von Japan als
Marstraiid-MeolilexLbiLrgy Das Japanisohe Prisenreoht. (45) <v/«^
Abschnitt VI" Prisengerichtseiiitscheidangen: .Apollo*»-
Konterbande betrachtet werde, weil der Eigentümer der Kohle
ihm dies selbst gesagt habe.
Wenn der Kapitän „Ladungsherr" gesagt habe, so habe er „Ab--
Sender" gemeint, und das genüge, um darzutun, daß außer diesem
noch ein Eigentümer vorhanden sei. Daß der Reklamant und Eigentümer
des Schiffes die Ladung im Auftrag des Ladungseigentümers versandt
habe, lasse sich auch daraus ohne weiteres entnehmen, daß es zur Ver-
schiffung von Gütern des Schiffseigentümers eines Konnossements nicht
bedurft haben würde. Das Vorhandensein eines solchen beweise da-
her, daß ein anderer der Eigentümer der Ladung sei. Wenn dieser
seinen Namen nicht angegeben habe, so sei das vielleicht aus kauf-
männischen Rücksichten geschehen. Das neue Beweisstück A tue indes
dar, daß Harris & Dixon die Eigentümer seien. Daher sei die
Annahme des Gerichts erster Instanz, daß das zur Verhandlung-
stehende Schiff und seine Ladung im gleichen Eigentum stünden, un-
zutreffend.
3. Das Urteil erster Instanz besage :
Obwohl es bereits bei der Abfahrt bestimmt gewesen seiV
daß das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, sei doch den
Behörden des Ausgangshafens und der Anlaufshäfen keine
Anzeige darüber gemacht worden. Der Dampfer habe sich
Ausklarierungen und Gesundheitspässe nach den neutralen
Häfen Bangkok oder Shanghai geben lassen und vorsätz-
lich einen Umweg gemacht, um Wladiwostok durch die
Soyastraße zu erreichen. Diese vorsätzliche Verheimlichung-
des Bestimmungsorts sei geschehen, um durch diese List
der Aufbringung zu entgehen.
Da aber in dem Konnossement, dem wichtigsten der Schiffspapiere^
der wahre Bestimmungsort, Wladiwostok, klar angegeben sei, so würde
das Schiff dadurch, daß es in den Ausklarierungspapieren und dem
Gesundheitspaß nur die Anlaufshäfen angegeben, den letzten Be-
stimmungsort aber verschwiegen habe, doch schließlich der Aufbringung-
nicht haben entgehen können. Was die Annahme angehe, daß es ein
unrechtmäßiges Vorgehen sei, in dem Ausklarierungsschein den wahren
Bestimmungsort nicht angegeben, sondern Bangkok und Shanghai ein-
getragen zu haben, obwohl eine Absicht, dort anzulaufen, von vorn-
herein nicht bestanden habe, so gehe aus den Tatumständen ohne
weiteres von selbst hervor, daß der Reeder bzw. der Kapitän den Be-
hörden gegenüber falsche Angaben gemacht habe, lediglich mit Rück-
sicht auf die An heuer ung der Mannschaft und auf die Heuerbeträge,
und daß diesem Vorgehen keineswegs die Absicht zugrunde gelegen
habe, dadurch die Käptoren zu täuschen.
706\
?>rl86iiflericht80itsclieldunoeii: «Apollo-. Abschnitt VI»
Was ferner die Tatsache angehe, daß der Kurs durch die Soya-
straße gewählt worden sei, so könne darin, selbst wenn man als Zweck
den annehme, der Visitierung und Durchsuchung durch die krieg-
führende Atarine zu entgehen, -kein unrechtmäßiges Verhalten erblickt
werden. Denn da im Kriege jedes Handelsschiff der Visitierung und
Durchsuchussg unterliege, so sei es natürlich, wenn die Schiffe ihren
Kurs änderten, um dieser Belästigung zu entgehen. Was die Täuschung;
der Kaptorea angehe, so könne diese erst anfangen, nachdem ein auf 'der
Fahrt begriffenes Schiff von dem Kaptor gesichtet und gestoppt worden
sei. Solange es noch nicht gesichtet sei, stehe es dem Schiff frei, jeden
beliebigen Kaars zu nehmen, und eine Änderung könne nicht ohne,
weiteres als betrügerisches Mittel angesehen werden.
4. Das Urteil erster Instanz wende die von dem ReklamanteiT
angezogenexi Entschddungsgründe des „Neptun'us"-Falls zur Be-
gründung der gegenteiligen Behauptung, daß die zur Verhandlung
stehende Ladung Konterbande sei, an und sage, der in den Ent-
scheidungsgründen erwähnte Hafen Brest sei den gegenwärtigen Ver-
hältnissen Wladiwostoks sehr gleich. Das müsse indes als eine durch-
aus verkehrte Anwendung der Präcedenz bezeichnet w;erden. Denn
Brest sei ein holländischer 3) Kriegshafen und habe nicht wie Wladi-
wostok auch die Eigenschaft eines Handelshafens. Es sei daher selbst-
verständlich^ daß bedingungsweise Konterbande, welche nach einem
solchen Hafen befördert werde, ohne weiteres als für den Kriegsgebrauch
bestimmt angesehen werde. Dagegen habe Wladiwostok gerade wie das
;in dem Urteil des genannten Falls vorkommende Amsterdam zu gleicher
iZeit die Eigenschaft eines Kriegs- und eines Handelshafens. Daher
müsse unter Anwendung der erwähnten Präcedenz angenommen werden,
'daß die zur Verhandlung stehende, nach Wladiwostok bestimmte Ladung
jiicht für den Marinegebrauch bestimmt sei. Da so dies gleiche Out,
je Bach dem Bestimmungshafen, einen ganz anderen juristischen Cha-
laldier gewinnen könne, so sei es unzutreffend, zu behaupten, daß die
zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande sei.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gerichl zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende :
h Da man sehr wohl annehmen könne, daß die gegenwärtigen
Verhältnisse in Wladiwostok, dem Bestimmungsort des zur Verhandlung
stehenden Schiffes, so seien, wie das Urteil erster Instanz sie darstelle,
so sei es zutreffend, wenn man, mangels klaren Gegenbeweises in einer
Kohlenladung, die dorthin bestimmt sei, Kriegsbedarf erblicke. Auch
lasse in dem vorliegenden Falle die Qualität der verschifften Cardiffkohle;
keinen Zweifel darüber, daß sie wirklich zum Kriegsgebrauch habe ge-
•) Der Vertreter ist offenbar kein großer Geograph.
(45*) 707-
Abschnitt VI" Prisengerichtsentscheidungen : .Apollo'.
liefert werden sollen. Es sei daher Recht, sie als Konterbande an-
zusehen.
Daß ferner diese Konterbande im Eigentum des Reklamanten und
Reeders des zur Verhandlung stehenden Schiffs stehe, sowie daß das
Schiff, um der Aufbringung zu entgehen, die List angewandt habe,
den Bestimmungsort zu verheimlichen, lasse sich gleichfalls aus den
Darlegungen des Urteils erster Instanz entnehmen. Da daraus folge,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff betrügerische Mittel zum
Zwecke der Beförderung von Konterbande, die dem Reeder des Schiffes
gehöre, angewandt habe, so habe das Urteil erster Instanz zu Recht
in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Völkerrechts dahin ent-
schieden, daß das Schiff mitsamt seiner Ladung eingezogen werden
müsse.
« 2. Das Kreuzverhör des Kapitäns in dessen Vernehm ungsprotokolle
beschäftige sich, wenn man es von vorn bis hinten durchlese, in allen
seinen Fragen und Antworten damit, wer der Eigentümer der Steinkohle
sei. Man könne daher nur annehmen, daß in Frage und Antwort das
Wort „Ladungsherr'' als „Eigentümer'' und nicht als „Absender" der
Ladung verständen worden sei. Aber selbst angenommen, der Kapitän
habe, wie der Reklamant es auslege, weiter nichts sagen wollen, als daß
die Cornhill Steamship Company der Absender sei, so sei für
die Annahme, daß die Kohle in jemandes anderen Eigentum als des Ab-
senders stehe, ein stichhaltiger Beweis durch einen zu der Zeit errichteten
Vertrag oder dergleichen nötig. Die Herstellung eines Konnossements
genüge nicht, um daraus vermuten zu können, daß der Eigentümer
jemand anders sei. Denn ein Konnossement diene einmal als Beweis-
instrument dafür, daß der Kapitän das Ladungsgut erhalten habe. So-
dann ziele aber sein Hauptzweck auf den Güterumsatz ab, indem es zum
Ankauf und Verkauf derselben diene und die Rechtsverhältnisse zwischen
Reeder und Empfänger festsetze. Was seine Fähigkeit zur Zirkulation
angehe, so sei es eine Urkunde, die wie ein Wechsel auf Indossament
hin oder durch Behändigung frei übertragen werden könne. Daher
sei auch für einen Reeder, der auf seinem eigenen Schiff seine eigene
Ware verschiffe und befördere, die Ausstellung eines Konnossements
selbstverständlich erforderlich.
Was die als Beweisstück A eingereichte Vollmacht angehe, so sei
sie nach der hier in Frage stehenden Aufbringung ausgestellt und, wenn
man ihren rechtlichen Bestand anerkennen müsse, »o reiche sie doch nicht
aus, um ohne weiteres das Eigentum der Firma Harry & Dixon an
der zur Verhandlung stehenden Steinkohle zu beweisen.
3. Es sei ganz klar, daß das Schiff eine Route, die einen be-
schwerlichen Umfang darstelle, genommen und von der Soyastraße aus
Wladiwostok zu erreichen nur aus dem Grunde versucht habe, weil es
708
Prisengerichtsentscheidungen: .Apollo**. Abschnitt VI 3t
befürchtet habe, daß es wegen seiner Konterbandeladung von der ja-
panischen Marine aufgebracht werden würde und weil es dieser Auf-
bringung habe entgehen wollen.
Wenn das Schiff, obwohl Wladiwostok schon zur Zeit der Abfahrt
von Cardiff als Bestimmungsort festgesetzt gewesen sei, den Behörden
des Ausfahrtshafens und der Auslaufshäfen gegenüber falsche Meldungen
gemacht und sich so Ausklarierungen und Gesundheitspaß für Bangkok
und Shanghai beschafft habe, so habe dafür ein Bedürfnis mit Rücksicht
auf die Anheuerung und die Heuerbeträge der Mannschaft, wie der Re-
klamant es geltend mache, nicht vorgelegen. Nach dem Sachverhalt
müsse vielmehr angenommen werden, daß die falschen Meldungen und
die Erwirkung falscher Papiere lediglich den Zweck gehabt hätten, der
Aufbringung zu entgehen. Wenn hinreichender Grund vorliege an-
zunehmen, daß die falschen Papiere ausgestellt worden seien, am den
Kaptor zu täuschen, so werde keinerlei Nachsicht geübt, gleichviel ob
sämtliche Papiere oder nur ein Teil derselben gefälscht seien.
Es sei daher zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz auf Grund
dieser Tatsachen entschieden habe, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff dadurch, daß es, um der Kontrolle durch die japanische Marine
zu entgehen, vorsätzlich einen Umweg gemacht habe, sich des Konter-
bandetransports unter Anwendung betrügerischer Mittel schuldig ge-
macht habe.
Punkt 4 der Berufung laufe darauf hin, zu sagen, das Urteil erster
Instanz, welches entschieden habe, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung Konterbande sei, sei unzutreffend. Die Unhaltbarkeit dieser Be-
hauptung sei indes bereits in Punkt 1 dargetan worden, so daß eine
erneute Erwiderung nicht gemacht werde.
Aus diesen Gründen sei die Berufung in allen Punkten unbegründet
und müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil werde, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr, als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch gestiegen sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegs-
schiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit
709
Abschnitt VI" Prisengerichtsentscheidungen: .Apoltc^''.
unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrairh. ge-
liefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentsciteiduag
im „Neptun us"-Fall auch in diesem Falle angenommen werden, daß di^
zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt ge-
wesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us''-Fall und die des vor-
liegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorHegenden
angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Verhand-
lung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande ist,
eingezogen werden können. Das Oberprisengericht ist der Ansicht,
daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vorliegenden
Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist. und obwohl
erwiesenermaßen schon seit der Abfahrt von England Wladiwostok das
Reiseziel war, die Ausklarierungspapiere und andere Schiffspapiere einen
falschen Bestimmungsort angeben und das Schiff demnach zur Beförde-
rung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel ge-
dient hat.
Wenn man zudem die Aussage des Kapitäns, daß der Eigentümer
der zur Verhandlung stehenden Ladung und des Schiffs derselbe sei,
sowie die Tatsache, daß weder in den Schiffspapieren noch auch sonst
ein Anhalt dafür gegeben ist, daß ein von dem Reeder verschiedener
Ladungseigentümer vorhanden ist, vergleicht, so muß man annehmen,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff demselben Eigentümer gehört
wie die Ladung.
Da schon nach dem in Punkt 1 und 2 Gesagten die Entscheidung
auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden Schiffs und seiner Ladung
unfraglich gerechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die
einzelnen Punkte der Berufung noch besonders einzeln einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: FurnessWithy&Co. Ltd., englische juristische
Person, West-Hartlepool, England, County Durham, vertreten durch die
Geschäftsführer S. W. Furness und R. W. Wiek.
710
Prisengerichtsentscheidungen: «Sylviana«. Abschnitt VI 3ta
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Kana-
^waken, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Sylviana"
T^ird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der englische Dampfer „Sylviana'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Sylviana'' steht im Eigen-
tum des Reklamanten, der Firma FurnessWhithy&Co. Ltd., sein
Heimatshafen ist Westhartlepool, er führt die englische Flagge und ist ein
Handelsschiff, das ausschließlich zum Gütertransport dient. Er hat 6534
Tons Cambrische Kohle in Barry, England, geladen, um sie nach Wladi-
wostok in Rußland einzuführen. Die genannte Firma ist selbst Ab-
sender. Der Dampfer fuhr am 14. Dezember 1904 mit einem Konnosse-
ment, nach welchem der Empfänger sich nach Order richten sollte,
von Barry ab und gelangte über Sabangam 4. Februar 1905 in Hongkong
an. Dort erhielt er auf Grund seiner Angabe, er gehe nach Shanghai,
entsprechende Ausklarierung, obwohl er vorhatte, direkt nach Wladi-
wostok zu fahren. Am 1 1. desselben Monats fuhr er von Hongkong
ab, trug in seinem Privatschiffsjournal fälschlicherweise Shanghai als
Reiseziel ein, änderte jedoch auf der Höhe von Shanghai plötzlich seinen
Kurs und wurde auf der Fahrt nach Wladiwostok am 19. Februar 1905
in 330 35' n. Br. und 128 « 45' ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Nikko Maru", weil er Konterbande führte, aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Nikko Maru", Marineunterleutnants
Nikuta Hitoshi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Syl-
viana", P. G i b s o n , des ersten Offiziers John Edwards, des ersten
Maschinisten E. S. Dixon und des zweiten Offiziers D. 'J. Davis, das
Schiffszertifikat, das Tagebuch, das Privatschiffsjournal, das Konnosse-
ment und die Ausklarierungsbescheinigung des Hafenamts in Hongkong.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei keine Konter-
bande. Selbst wenn man sie aber als solche betrachte, so könne doch
das Schiff nicht das Schicksal der Ladung teilen und eingezogen werden,
weil dieselbe nicht im Eigentum des Reeders und Reklamanten stehe.
Da das Konnossement Wladiwostok klar als Bestimmungsort angebe,
so könne darin, daß zufällig in Hongkong eine Ausklarierung für
Shanghai genommen sei, und daß in dem Privatschiffsjournal der Be-
711
Abschnitt VI 39 a Prisengerichtsentscheidungen : .Sylviana*.
Stimmungsort nicht angegeben sei, keine betrügerische Handlung erblickt
werden. Daher müsse das zur Verhandlung stehende Schiff schleunig
wieder freigegeben werden.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs und
der auf demselben verschifften Ladung dieselbe Person sei und das Schiff
unter Verwendung falscher Schiffspapiere Konterbande befördert habe,
so müsse es mit Recht eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Bestimmungen und die Praxis des Völkerrechts erkennen an,
daß Schiffe, welche Konterbande führen, wenn der Eigentümer des Schiffs
und der Konterbande derselbe ist und bei der Beförderung betrügerische
Mittel angewandt worden sind, eingezogen werden müssen.
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs ist aber Cam-
brische Kohle, wie sie gegenwärtig vorzüglich von Kriegsschiffen ge-
braucht wird, und ihr Bestimmungsort ist Wladiwostok, der einzige
Kriegshafen Rußlands im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt seiner
Marine. Daraus geht unzweifelhaft hervor, daß sie für den Kriegs-
gebrauch geliefert werden sollte. Sie ist deshalb Konterbande, i)
Aus dem Konnossement geht klar hervor, daß der Reeder der Ab-
sender der Ladung ist und daß der Empfänger durch Order bestimmt
werden sollte. Der Kapitän hat ferner ausgesagt, daß die Ladung bis
zur Zahlung der vollen Vertragssumme im Eigentum von Withy & Co.
stehe. Es ist daher zutreffend, wenn man annimmt, daß die Ladung
und das Schiff im gleichen Eigentum stehen.
Der Vertreter der Reklamation zitiert die Aussage des Kapitäns,
daß die Ladung auf Bestellung von Q i n s b u r g nach Wladiwostok habe
eingeführt werden sollen, und behauptet, daß dieselbe im Eigentum von
Q i n s b u r g stehe und der Reeder lediglich Auftrag erhalten habe, -dieselbe
zu transportieren. Die Aussage des Kapitäns besagt jedoch nur, daß die
Ladung auf Bestellung habe eingeführt werden sollen, und da der Ver-
treter der Reklamation sonst keine Beweise vorgebracht hat, so kann seine
Behauptung nicht anerkannt werden.
Obwohl ferner der zur Verhandlung stehende Dampfer von Hong-
kong direkt nach Wladiwostok hat fahren wollen, hat er in Hongltong
fälschlich Shanghai als Bestimmungsort angegeben und dementsprechend
Ausklarierung erhalten. Auch hat er während der Reise im Privatschiffs-
journal Shanghai als Reiseziel eingetragen, hat dann aber auf der Höhe
von Shanghai plötzlich seinen Kurs geändert und ist nach Wladiwostok
gefahren. Er hat sich demnach zum Transport von Konterbande betrüge-
rischer Mittel bedient.
1) II. Ziffer 2.
712
PrisengerichtsentBcheidungen: «Sylviana". Abschnitt VI»*
Der Vertreter der Reklamation bringt hierzu vor, da das Konnosse-
ment Wladiwostok offen als Reiseziel bezeichne, so bedeute die Er-
wirkung einer Ausklarierung nach Shanghai nur eine Täuschung der
eigenen Landesbehörden. Und wenn in dem Privatschiffsjournal Wladi-
wostok nicht als Bestimmungsort verzeichnet sei, so sei der Grund der,
daß dafür noch immer Zeit da gewesen sei. Auf keinen Fall könne aber
angenommen werden, daß dies betrügerische Mittel seien, mit denen
man der Aufbringung habe entgehen wollen. Aus dem Geständnis des
Kapitäns geht aber klar hervor, daß die Eintragung von Shanghai als
Bestimmungsort, bis er auf die Höhe von Shanghai gekommen, und
späterhin die Unterlassung der Eintragung eines Bestimmungsorts ge-
schehen seien, um bei der Visitierung durch die Kaiserliche Marine die.
Gefahr der Aufbringung zu vermeiden.
Auch daraus, daß der Dampfer, obwohl er von Hongkong direkt
nach Wladiwostok fahren wollte, absichtlich erst den Umweg bis in die
See von Shanghai nahm, ergibt sich unzweifelhaft, daß alle diese Maß-
nahmen getroffen worden sind, um auf diese betrügerische Art der
Beschlagnahme zu entgehen. Wenn daher auch das Konnossement
Wladiwostok als das Reiseziel angibt, so kann deshalb doch nicht be-
hauptet werden, daß das Schiff nicht zum Transport von Konterbande
unter Anwendung betrügerischer Mittel verwandt worden sei.
Kurz die Behauptungen des Vertreters des Reklamanten sind alle
unbegründet, und das zur Verhandlung stehende Schiff muß, weil es
eine dem Reeder gehörige Ladung von Konterbande unter Anwendung
betrügerischer Mittel befördert hat, eingezogen werden. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 15. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Furness Withy & Co., Ltd., West Hartlepool,.
England, County Durham, vertreten durch die Geschäftsführer S. W.
Furness und R. W. Wyck.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 15. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Bylviana", welcher am
-rv! §§ 43, 44.
713.
Abschnitt VI 39a Prisengerichtsentscheidungen: .Sylviana'.
19. Februar 1905 auf 33» 35' n..Br. und 128 » 25' ö.L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Nikko Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Sylviana" erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil haben S. W. Furneß und R. W. Wick in
Vertretung des Reklamanten, der Firma Furneß Withy& Co., durch
•den Rechtsanwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung
eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
AkiyamaGenzo, und deren Begründung sind folgende :
Für seine Ansicht, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffs Konterbande sei, führe das Gericht erster Instanz an, daß
solche Ladungen zurzeit vorzugsweise zum Marinegebrauch
geliefert würden und daß der Bestimmungsort, Wladiwostok,
Rußlands einziger Kriegshafen im Osten sei.
Wladiwostok sei aber zugleich Rußlands einziger Handelshafen im
Osten, und es würde der völkerrechtlichen Praxis entsprechen, wenn
man nach dem Beispiel des „Neptunus"-Falls entscheide, daß die zur
Verhandlung stehende Kohle zu friedlichem Gebrauch nach dem ge-
nannten Hafen befördert worden und daher keine Konterbande sei.
Es sei daher unrechtmäßig, daß diese Präcedenz nicht angewandt und
die Ladung für Konterbande angesehen worden sei.
Selbst wenn man die Ladung aber als Konterbande ansehe, so sei
doch der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs von dem
Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Konterbande geladen. Daher könne das Schiff nicht
der Strafe der Einziehung unterliegen.
Das Urteil erster Instanz behaupte, daß es zutreffend sei anzu-
nehmen, daß die Ladung im Eigentum des Reeders stehe und führe
hierfür die Aussage des Kapitäns an, daß die Ladung bis zur Zahlung
«der vollen Vertragssumme im Eigentum des Reklamanten stehe. Das
Vernehmungsprotokoll zeige indes, daß der Kapitän eine derartige Aus-
sage nicht gemacht, vielmehr das Gegenteil behauptet habe. Er habe
nämlich ausgesagt, daß die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffs auf Bestellung von Gins bürg verschifft worden sei. Daraus
ergebe sich, daß die Ladung Ginsburg gehöre und in seinem Auf-
trag von dem Reklamanten verschifft worden sei.
Ferner sage das Urteil,
obwohl der zur Verhandlung stehende Dampfer für Wladi-
wostok bestimmt gevcesen sei, habe er einerseits sich Aus-
klarierung für Shanghai verschafft und im Privatschiffsjournal
7U
Prisengerichtsentscheidungen: .Sylviana". Abschnitt Visea
Shanghai als Reiseziel eingetragen, anderseits aber auf der
Höhe von Shanghai seinen Kurs geändert und auf Wladi-
wostok gehalten. Er habe demnach betrügerische Mittel ver-
wandt.
Da aber in dem wichtigsten Schiffspapier, dem Konnossement, von
Anfang an Wladiwostok als Bestimmungsort eingetragen gewesen sei,
so würde das Schiff doch dadurch, daß die anderen Schiffspapiere diesen
Bestimmungsort nicht enthielten, die kriegführende Macht nicht haben,
täuschen und der Aufbringung nicht haben entgehen können.
Um annehmen zu können, daß Schiffspapiere oder Handlungen
eines Kapitäns auf betrügerische Mittel zur Vermeidung der Aufbringung
schließen ließen, genüge es nicht, daß nur eine der Wahrheit nicht
entsprechende Eintragung oder eine Änderung des Kurses vorliege;
vielmehr sei es auch erforderlich, daß die böse Absicht, die krieg-
führende Macht bei der Visitierung zu täuschen und der Aufbringung
durch sie zu entgehen, vorliege; auch müßten die Mittel zur Täuschung
geeignet sein.
Das Verhalten des Kapitäns des zur Verhandlung stehenden Schiffes
und die Eintragung in dem Ausklarierungsschein, dem Tagebuch usw.
seien indes nicht geeignet, um den Erfolg der Täuschung der krieg-
führenden Macht herbeizuführen und dieselbe in ihrem Recht zu ver-
letzen. Denn selbst wenn die Absicht, die Reise nach Wladiwostok
zu verheimlichen, vorgelegen hätte, so wäre dies schon aus dem Grunde
nicht mögHch gewesen, daß das Konnossement klar von Wladiwostok
als Reiseziel von Schiff und Ladung spreche. Wenn daher der Kapitän
auch in dem Tagebuch eingetragen habe, daß er nach Shanghai gehe,
und ausgesagt habe, dies sei geschehen, um bei einer Visitierung durch
Japanische Kriegsschiffe der Gefahr der Aufbringung zu entgehen, so
habe doch dieser Betrug niemals ausgeführt werden können. Daher sei
den Aussagen des Kapitäns mit Bezug auf diese Sache kein Gewicht
beizulegen. Kurz, daraus, daß in dem Tagebuch und der Ausklarierung
Shanghai als Ziel verzeichnet worden sei, und aus den Aussagen des
Kapitäns könne nicht gefolgert werden, daß bei dem zur Verhandlung
stehenden Schiff betrügerisches Vorgehen vorgelegen habe.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffs beantragt.
Die Hauptpunkte der Staatsanwälte bei dem Prisengericht zu Sasebo,
Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsurokuro, sind
folgende :
Das in dem Schiffe vorhanden gewesene Konnossement laute auf
Order und bezeichne den Reeder als Absender. Man müsse aber, wenn
nicht besondere Umstände vorlägen, mit Recht vermuten, daß die in dem
715
Abschnitt VI 3«« Prisengerichtsentscheidungen : .Sylviana".
Konnossement als Absender bezeichnete Person der Eigentümer sei.
Der Kapitän habe außerdem, ausweislich des Schlusses des Protokolls
seiner zweiten Vernehmung, ausgesagt, die Kohlenladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffs sei nach Wladiwostok -bestimmt und stehe
bis zur Zahlung des vollen Kaufpreises im Eigentum desiReeders. Daraus
ergebe sich ohne allen Zweifel, daß die Kohle im Eigentum des Rekla-
manten und Reeders stehe.
Der Reklamant mache geltend, daß in dem Konnossement Wladi-
wostok als Bestimmungsort bezeichnet sei. Das Konnossement sei aber
kein unentbehrliches Schiffspapier. In Fällen, wo nur eine Art von
Ladung befördert oder nur dem Reeder gehörige Ladung verschifft werde,
komme es vor, daß die Ausstellung eines Konnossements unterlassen
werde. Dagegen sei das Privatschiffsjournal im vorliegenden Falle, wo
ein Tagebuch nicht vorhanden sei, das für die Reise des Schiffes unent-
behrlichste Papier, und kein Staat gestatte in seinen Gesetzen oder
Gewohnheiten, daß in diesem Auslassungen gemacht würden. Vielmehr
müßten die Eintragungen in demselben durchaus zuverlässig sein. Wenn
daher darin betrügerische oder unwahre Angaben stünden, so könnten
diese, ob sie nun absichtlich gemacht worden seien oder nicht, ein Vor-
haben unterstützen, durch welches die im Kriege begriffenen Kriegsschiffe
getäuscht würden und die Aufbringung durch dieselben widerrechtlich
vermieden werde. Daher könne man, wenn auch das Konnossement
die Wahrheit angebe, nicht sagen, daß betrügerische Handlungsweise nicht
vorgelegen habe, um so weniger als der Kapitän nach dem Vernehmungs-
protokoll klar ausgesagt habe, daß er sich Ausklarierung nach Shanghai
habe geben lassen, sei geschehen, zur Unterstützung seines Vorhabens,,
der Aufbringung durch die japanische Kriegsflotte zu entgehen.
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei Cardiff-
kohle, wie sie vorzugsweise für Kriegsschiffe geliefert werde; ihr Be-
stimmungsort, Wladiwostok, sei der Hauptstützpunkt der feindlichen
Flotte und seit dem Krieg mit Japan hätten die gewöhnlichen Handels-
schiffe ihren Verkehr nach dort fast gänzlich eingestellt. Es sei bekannt,
daß Wladiwostok ein Handelshafen nur dem Namen nach, tatsächlich
aber seinen Verhältnissen nach ein reiner Kriegshafen sei. Es sei von
dem in dem „Neptunus''-Fall in Betracht kommenden Amsterdam der
damaligen Zeit so verschieden, daß die beiden Häfen nicht auf eine
Stufe gestellt werden könnten. Demnach könne jener Fall nicht als
Präcedenz für den vorliegenden angewandt werden. Das Urteil der
ersten Instanz sei ihm daher mit Recht nicht gefolgt, und die Berufung;
sei in diesem Punkte unbegründet.
Da, wie dargetan, das Urteil erster Instanz zutreffend und die Be-
rufung unbegründet sei, müsse sie abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
716
Prisengerichtsentscheidungen: .Sylviana'. Abschnitt VI 39a
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarf sartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast gänzlich aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Orte bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine
Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle
für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend die „Neptun us'', auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt ge-
wesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus''-Fall und die des vorliegenden
Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und auch die
Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist daher un-
fraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden ange-
wandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Verhand-
lung stehende, deren Reisezweck der TranspK)rt von Konterbande ist,
eingezogen werden können. Das Oberprisengericht ist der Ansicht,
daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vorliegenden
Falle, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und, obwohl
erwiesenermaßen schon bei der Abreise von Hongkong Wladiwostok
das Reiseziel war, das Privatschiffsjournal und andere Schiffspapiere
einen falschen Bestimmungsort angeben und das Schiff demnach zur
Beförderung von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
gedient hat. Wenn man zudem die Aussagen des Kapitäns, daß der
Eigentümer der in Frage stehenden Ladung und des Schiffes derselbe
sei, sowie die Tatsache, daß weder aus den Schiffspapieren noch sonst
ein Anhalt dafür gegeben ist, daß ein von dem Reeder verschiedener
Eigentümer vorhanden ist, vergleicht, so ist anzunehmen, daß das zur
V^crhandlung stehende Schiff und die Ladung demselben Eigentümer
gehören.
Da schon nach dem in Punkt 1 und 2 Gesagten die Entscheidung
der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes unfraglich gerechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor,
auf die Berufungspunkte noch besonders einzeln einzugehen.
717
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: .Sylviana'.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: FurnessWithy&Co. Ltd. , englische j uristische
Person, West Hartlepool, England, County Durham, vertreten durch
P. Gibson, Kapitän des Dampfers „Sylviana", wohnhaft in Craigavad,
Belfast, Irland.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, K^naga-
waken. Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensach'e, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Sylviana", wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Die auf dem Dampfer „Sylviana" verladenen 6534 Tons Stein-
kohlen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden 6534 Tons Cambrische Kohle sind
von dem Reklamanten, der Firma Furness Withy & Co. Ltd. in
Barry, England, auf dem Dampfer „Sylviana" verschifft worden, um sie
nach Wladiwostok einzuführen. Die genannte Firma ist Absender. Die
Ladung wurde mit einem auf Order lautenden Konnossement versandt.
Am 14. Dezember 1904 verließ die Ladung Barry und wurde
auf der Reise nach Wladiwostok über Sabang und Hongkong am
19. Februar 1905 in 33 o 35 ' n. Br. und 128 M5 ' ö. L. mit dem genannten
Schiff von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Nikko Maru", Marineleutnants Ni-
kuta Hitoshi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Syl-
viana", P. Gibson, des ersten Offiziers John Edwards, des ersten
Maschinisten E. S. Dixon und des zweiten Offiziers D. J. Davis, das
Schiffszertifikat, das Tagebuch, das Privatschiffsjournal, das Konnosse-
ment und die Ausklarierungsbescheinigung des Hafenamts in Hongkong.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Rekla-
mation sind folgende:
Da Wladiwostok die beiden Eigenschaften eines Handelshafens
und eines Kriegshafens besitze, so könne man nicht sogleich unbedingt
718
Prisongerichteentscheidungen: .Sylviana'. Abschnitt lfl99^
entscheiden, daß Kohle, die dorthin befördert werde, für den Kriegs-
gebrauch zu Hefern sei. Vielmehr gehe aus dem Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall hervor, daß es billig sei, anzunehmen, daß die Ladung für
friedlichen Gebrauch bestimmt sei. Daher sei die zur Verhandlung
stehende Kohle keine Konterbande.
Selbst wenn man annehme, daß die zur Verhandlung stehende
Kohle, weil sie nach einem feindlichen Platz befördert zu werden im
Begriff gewesen sei, feindlichen Charakter habe, so könne sie doch,
weil unter neutraler Flagge fahrend, nach Artikel 2 der Pariser See-
rechtsdeklaration vom Jahre 1856 nicht beschlagnahmt werden.
Daher werde die Freigabe der zur Verhandlung stehenden Ladung;
beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei Kohle zum iMarine-
gebrauch. Ihr Bestimmungsort sei der russische Kriegshafen Wladi-
wostok. Es sei daher klar, daß sie für den feindlichen Kriegsgebrauch
zu liefernde Konterbande sei. Daher müsse sie eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn Grund für die Annahme vorliegt, daß Kohle, die nach
einem feindlichen Hafen befördert wird, für den Armee- oder Marine-
gebrauch des Feindes geliefert werden soll, so erkennen die Bestimmungen
und die Praxis des Völkerrechtes an, daß sie als Konterbande anzusehen
und einzuziehen ist.
Der Bestimmungsort der zur Verhandlung stehenden Ladung,.
Wladiwostok, ist seinen Verhältnissen nach grundverschieden von dem
in dem „Neptun us"-Fall vorkömmenden Amsterdam. Es ist Rußlands
einziger Kriegshafen im Osten und dient zurzeit als Hauptstützpunkt
für seine Flotte. Von gewöhnlichen Handelsschiffen ist dort zurzeit
keine Spur mehr zu sehen.
Wenn die zur Verhandlung stehende Ladung, welche als Kohle,,
wie sie ausschließlich für den Marinegebrauch dient, bezeichnet werden
muß, nach diesem Platz bestimmt ist, so ist es zutreffend anzunehmen,,
daß dieselbe ausschließlich zum Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Daher ist die Ladung Konterbande, i)
Da somit die Behauptungen des Vertreters der Reklamation un-
begründet sind, so ist die Ladung mit Recht einzuziehen. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 15. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo, im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
1) II. Ziffer 2. - *) V. § 43.
719
Abschnitt VI 39b Prisengerichtsentscheldungen: .Sylviana*.
Reklamant: Furneß Withy & Co. Ltd., England, County
Durham, West Hartlepool, vertreten durch den Kapitän der „Sylviana",
P. G i b s o n , England, Belfast, Craigavad.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 15. Mai hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisensache,
betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Sylviana'', welcher am
19. Februar 1905 auf 33 <> 35' n. Br. und 128 0 25' ö. L. von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" aufgebracht worden ist, ein Ur-
teil gefällt, in welchem auf Einziehung der auf dem Dampfer „Sylviana"
verschifften 6534 Tons Steinkohlen erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat P. G i b s o n als Vertreter des Reklamanten,
der Firma Furness Withy & Co. Ltd., durch den Rechtsanwalt
Akiyama Genzo als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, und deren Begründung sind folgende:
Es sei freilich in neuerer Zeit äußerst bestritten, ob Kohle Konter-
bande sei. In der japanischen Seeprisenordnung 3) sei jedoch als Prinzip
anerkannt, daß sie nur als Konterbande gelte, wenn sie erwiesenermaßen
zum Kriegsgebrauch des Feindes habe geliefert werden sollen. Aber
wenn man selbst annehme, daß dies Prinzip mit den Grundsätzen des
Völkerrechts übereinstimme, so sei doch der Bestimmungshafen der zur
Verhandlung stehenden Ladung, Wladiwostok, nicht nur Rußlands ein-
ziger Kriegshafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten.
Da an diesem Platz alle Arten von kaufmännischen und gewerblichen
Unternehmungen betrieben würden und neutrale Firmen dort Nieder-
lassungen hätten, so könne man aus der Tatsache, daß Kohle, welche
nicht absolute Konterbande sei, dorthin transportiert werde, nicht ohne
weiteres schließen, daß diese für den Gebrauch der Kriegsmacht bestimmt
sei. Auch nach der Präcedenzentscheidung, betreffend den „Neptunus"-
Fall im Kriege zwischen England und Holland im Jahre 1798, sei es billig,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung, als zur Einfuhr nach dem
Handelshafen Wladiwostok und zu friedlichem Gebrauch bestimmt, an-
gesehen werde.
Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff weiche zwar das englische Prinzip von dem kontinentalen in etwas
ab, aber im großen und ganzen sei ihr Sinn doch derselbe. Nach der
englischen Praxis würden Güter, welche, weil für die feindlichen Kriegs-
schiffe oder Truppen bestimmt, als Kriegskonterbande anzusehen seien,
unter Zahlung einer Vergütung eingezogen. Nach dem kontinentalen
») V. § 14.
720
Prisengerfchtsentscheidungen: .Sylvfana'. Abschnitt VI'^^
Prinzip sei; wie es die völkerrechtlichen Kongresse beschlossen hätten,
für Güter, welche sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken
dienen könnten, wenn sie auf der Reise nach einem feindlichen Hafen
begriffen seien, bestimmt, daß dem kriegführenden Staat ihnen gegen-
über, unter der Bedingung der Vergütung, das Beschlagnahmerecht und
außerdem das Vorkaufsrecht zustehe. Während so die moderne Rechts-
praxis mit Bezug auf relative Konterbande eine immer weitherziger
werdende Tendenz zeige, sei nur Japan unbillig streng, indem es im
Gegensatz zu den erwähnten Rechtsprinzipien und Gewohnheiten Kohle,
die sowohl friedlichen als kriegerischen Zwecken diene, wenn sie nach
einem Platz, der Handels- und Kriegshafen sei, bestimmt wäre, be-
dingungslos einziehe. Besonders weil die japanische Prisen Ordnung sich
auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es wünschenswert, daß, wo
es sich um neutrale relative Konterbande handele, eine billigere Haltung
eingenommen würde.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Freigabe der zur Verhandlung stehenden Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gerichl zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
r o k u r o , sind folgende :
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei Cardiffkohle, wie sie
vorzugsweise für Kriegsschiffe geliefert werde. Ihr Bestimmungsort,
Wladiwostok, sei der Hauptstützpunkt der feindlichen Flotte und seit
dem Kriege mit Japan hätten die gewöhnlichen Handelsschiffe ihren
Verkehr nach dort fast ganz eingestellt. Es sei bekannt, daß Wladi-
wostok ein Handelshafen nur dem Namen nach, tatsächlich aber seinen
Verhältnissen nach ein reiner Kriegshafen sei. Es sei von dem in dem
„Neptun us"-Fall in Betracht kommenden Amsterdam in der damaligen
Zeit so verschieden, daß die beiden Häfen nicht auf eine Stufe gestellt
werden könnten. Danach könne jener Fall nicht als Präcedenz für den
vorliegenden angewandt werden. Das Urteil erster Instanz sei ihm
daher mit Recht nicht gefolgt und die Berufung sei in diesem Punkte
unbegründet.
Daß Kohle, welche für feindliches Gebiet bestimmt sei, wenn an-
zunehmen sei, daß sie für den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert
werden solle, als Konterbande angesehen und eingezogen werden müsse,
sei nicht nur von der Völkerrechtspraxis anerkannt, sondern auch in
der japanischen Seeprisenordnung klar ausgesprochen. Es sei daher
zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz, weil es diese Tatsache
angenommen habe, auf Einziehung der zur Verhandlung- stehenden
Ladung erkenne. Auch sei es als zutreffend zu bezeichnen, wenn das
Prisengericht den Ausführungen des Reklamanten bezüglich Einziehung
Mar 8 trän d - Meo h le nb u r g, I>asiApani8ohe Prisenrecht. (46) /<&!
Abschnitt VI s^k Prisengerichtsentscheidungen : .Sylviana*.
unter Leistung einer Vergütung, bedingter Beschlagnahme und Vorkaufs
nicht gefolgt sei, denn diese seien nur vereinzelte Staatenpraxis be-
ziehungsweise Oelehrtenansichten, könnten aber nicht als Bestimmungen
oder Praxis des geltenden Völkerrechts anerkannt werden.
Daher sei die Berufung auch in diesem Punkte unbegründet.
Da demnach das Urteil erster Instanz, wie ausgeführt, zutreffend
und die Berufung unbegründet sei, müsse sie abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert'. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast gänzlich aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Orte bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geHefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit
keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die
Kohle für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend die „Neptun us" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall und die des vor-
liegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund verschieden, und auch
die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist daher
unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt als Prinzip an, daß Konterbande
schlechthin konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Ein-
ziehung gegen Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der
Entschädigung, wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht,
wo besondere vertragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden
sich diese Erscheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinen-
falls können sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden.
Man kann daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas
versehen habe, wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge
leistete.
Demnach ist die Berufung in allen Punkten unbegründet.
722
Prisengerichteentschef düngen: „Powderham". Abschnitt Vl^oa
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 26. August 1905. Im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Powderham Steamship Company, Ltd., England,
Plymouth, Southside Street, vertreten durch Joseph Arthur Bel-
la my.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Powder-
ham" wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Powderham'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Powderham" steht im
Eigentum der Powderham Steamship Company Ltd. in Plymouth, Eng-
land. Er führt die englische Flagge und ist ein Handelsschiff, das zum
Gütertransport dient.
Der Kapitän Alfred B. Toms lud Anfang November 1904 auf
Order des Prokuristen der Reederei, Joseph A. Bellamy in Cardiff,
England, 4000 Tons Steinkohlen und verließ diesen Hafen am 12. d. M.
mit Bestimmung für Wladiwostok. Am 3. Januar traf er in Hongkong
ein, fragte bei dem Reeder an, ob er nach Wlodiwostok fahren solle,
und erhielt Order, dorthin zu fahren. Am 11. d. M. verließ er Hongkong,
lief Shanghai an und wurde auf der Fahrt nach Wladiwostok am 19. Fe-
bruar, 11.50 Uhr abends auf 34« 41' n. Br. und 129» 3' ö. L., weil
er Konterbande führe, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru"
aufgebracht. Ein Konnossement ist nicht ausgestellt worden.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Nikko Maru", Marineunterleut-
nants MurakamiToru, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der
„Powderham", Alfred B. Toms, des ersten Offiziers Ernest Howe
und des Obermaschinisten David Milne, durch das Schiffszertifikat,
das Privatschiffsjournal und ein Telegramm von Joseph Bellamy
an den Kapitän.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
(46*) 723
Abschnitt VI*«« Prisengerichtsentscherdungen: „Powderham".
Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei Eigentum des Rekla-
manten und sei im November lQ04an die Firma PymanWatsonLtd.
in London zum Kohlentransport von Cardiff, England, nach Hongkong,
Shanghai und Kiautschou verchartert worden: Der Charterer habe indes
die Kohle von Hongkong aus nach dem in dem Chartervertrag nicht
genannten Wladiwostok beordert.
Die Ladung sei keine absolute Konterbande und, wenn man auch
annehmen wolle, daß der Reeder um die Bestimmung derselben nach
Wladiwostok gewußt habe, so habe er doch an dem Transport von
Konterbande keinen Anteil und könne nicht dafür bestraft werden. Viel
weniger daher noch, wo er von der Reise des Schiffes nach einem in
dem Chartervertrag nicht genannten Platz keine Kenntnis gehabt habe.
Selbst wenn die Ladung als Konterbande angesehen werde, so stehe
sie doch nicht im Eigentum des Reklamanten und daher könne das Schiff
nicht zusammen mit der Ladung eingezogen werden.
Es werde daher Freigabe desselben beantragt.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff verladene Stein-
kohle sei nach dem russischen Kriegshafen Wladiwostok bestimmt und
sei, da es somit offenbar sei, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch
habe geliefert werden sollen, Konterbande.
Da ferner angenommen werden könne, daß die Kohle im Eigentum
des Reeders stehe, so sei das zur Verhandlung stehende Schiff ein-
zuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Bestimmungen und die Praxis des Völkerrechts stehen auf dem
Standpunkt, daß ein Schiff, welches Konterbande führt, im Falle daß
sein Eigentümer und Eigentümer der Konterbande dieselbe Person ist,
eingezogen werden muß.i)
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs besteht aus
Cardiffkohle, wie sie zurzeit vorzugsweise auf den Kriegsschiffen ver-
wandt wird. Ihr Bestimmungsort ist Wladiwostok, der Hauptstützpunkt
der russischen Flotte. Danach ist es unzweifelhaft, daß die Kohle
für den feindlichen Kriegsgebrauch zu liefern war und daher Konterbande
ist. 2) Wenn man weiter überlegt, daß ein Chartervertrag und Konnosse-
ment auf dem Schiff nicht vorhanden war, daß der Kapitän die Kohle auf
Anordnung der Reederei in Cardiff geladen hat, und von Hongkong
nach Empfang einer Order des Reeders nach Wladiwostok abgereist ist,
sowie daß der Reeder den Kohlenhandel nicht zum Gewerbe hat, so kann
nicht bezweifelt werden, daß die Kohle im Eigentum des Reeders steht.
Der Vertreter der Reklamation macht freilich geltend, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff von der Firma Pyman, Watson &Co.
') V. § 43,2. — 2) II. Ziffer 2.
724
Prisengerichtsentscheidungen: „Powderham''. Abschnitt VI^*
gechartert worden sei und daß die Kohle diesem Charterer gehöre. Da
er aber für diese Behauptung keinerlei Beweis erbracht hat, so kann
sie nicht anerkannt werden.
Zwar führt der Vertreter der Reklamation aus: das Vernehmungs-
protokoll des Kapitäns besage freilich, daß derselbe dem mit dem Falle
beauftragten Rat gegenüber ausgesagt habe, er habe die Kohle auf An-
ordnung des Prokuristen, der die Reederei in Cardiff vertrete, geladen.
Dies sei aber eine falsche Übersetzung durch den Dolmetscher. Der
Kapitän habe bei der Vernehmung ausgesagt, daß er die Kohle im Auf-
trage des Charterers geladen habe. Da es aber so der Charterer gewesen
sei, der die Kohle habe laden lassen, so sei der Reeder daran nicht im
geringsten beteiligt.
Die Aussage des Kapitäns bei der Vernehmung ist aber sehr un-
bestimmt gewesen, so daß sie nicht als glaubwürdig angesehen werden
und der Aussage des Vertreters der Reklamation nicht beigepflichtet
werden kann.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 11. Juni 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die Powderham Steamship Company Ltd., Ply-
mouth, Sotth Side Street Nr. 23.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Regie-
rungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 75.
Am 11. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Powderham", welcher am
19. Februar 1905 auf 34« 41 ' n. Br. und 129« 3' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Nikko Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Einziehung des Dampfers „Powderham'' erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, die Powderham Steamship
Company Ltd., durch den Rechtsanwalt Akiyama Genzo als Prozeß-
vertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Ober-
prisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
AkiyamaGenzo, sind folgende :
725
Abschnitt Vl^oa Prisengerichtsentscheidungen: »Powderham*.
Das von dem Prisengericht in Sasebo am 11. Juni 1905 erlassene
Urteil auf Einziehung des Dampfers „Powderham" sei unzutreffend,
es werde Aufhebung desselben und Freigabe des Dampfers „Powderham"
beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei ver-
schieden von dem der Ladung und er habe sich keiner betrügerischen
Handlung schuldig gemacht. Das Gericht erster Instanz habe indessen
unzutreffenderweise entschieden, daß das Schiff und die Ladung im
selben Eigentum stünden und daß die Ladung unter Anwendung be-
trügerischer Mittel verschifft und befördert worden sei.
2. Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs stehe nicht
im Eigentum des Reeders und Reklamanten, sondern im Eigentum von
Pyman Watson Ltd. Dies lasse sich aus der Aussage des Kapitäns
entnehmen, in welcher es heiße:
er wisse nicht, wer der Eigentümer der Ladung sei .... er
glaube, daß die Kohle des zur Verhandlung stehenden Schiffs
nicht dem Reeder gehöre, wisse aber nicht, an wen sie ver-
kauft sei. Er selber glaube, daß sie der Firma Pyman
Watson gehöre.
Das Gericht erster Instanz schließe indes daraus, daß der Kapitän die
Kohle auf Anordnung des den Reeder in Cardiff vertretenden Prokuristen
verladen habe; daß dieselbe von Hongkong auf Order des Reeders nach
Wladiwostok abgegangen sei; daß auf dem Schiff kein Chartervertrag
und kein Konnossement vorhanden gewesen sei; und daß der Reeder
als Gewerbe den Kohlenhandel betreibe, daß die Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes im Eigentum des Reeders stehe. Dies
sei eine Entscheidung, die sich auf falscher Auffassung der« Tatsachen
gründe.
Der Kapitän habe im Gerichtshof der ersten Instanz das Protokoll
über seine Vernehmung dahin verbessert, daß der Passus, daß die Ladung
im Auftrage des den Reeder vertretenden Prokuristen verladen worden
sei, auf einem Irrtum des Dolmetschers beruhe und daß er ganz klar
gesagt habe, daß die Kohle im Auftrage des Charterers geladen worden
sei. Das Gericht erster Instanz sage dazu, daß diese Aussage nicht
klar und glaubwürdig sei und daher nicht anerkannt werden könne.
Aber selbst einmal angenommen, daß der Kapitän wirklich so ausgesagt
habe, wie es in dem Protokoll stehe, so berechtige das hoch keineswegs
zu der Annahme, daß der Reeder der Eigentümer der Kohle sei. Denn
auch wenn der Reeder den Kohlen transport für Pyman Watson
übernommen habe, würde es für den Reeder das ganz gewöhnliche
Verfahren sein, wenn er dem Kapitän Order gebe, die Kohle in seinem
Schiffe zu verladen.
726
Prisengeiichtsentscheidungen: .Powderham'. Abschnitt Vl^oa
Wenn ferner der Reeder dem Kapitän in Hongkong Order gegeben
habe, nach Wladiwostok weiterzufahren, so sei das nur eine Ausübung
seines Rechts, dem Kapitän Befehle zu erteilen, und könne nicht als
Unterlage für die Entscheidung dienen, daß die Ladung im Eigentum
des Reeders stehe.
Was die Tatsache angehe, daß kein Chartervertrag und kein Kon-
nossement auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff vorhanden gewesen
sei, so sei der Grund dafür der, daß der Kapitän, welcher alle diese
Papiere bis zur Ankunft in Hongkong mitgehabt habe, dieselben, als er
die Order bekommen habe, nach Wladiwostok zu gehen, alle weggeworfen
habe, da er der Ansicht gewesen sei, daß ein Bedürfnis für diese auf
Hongkong ausgestellten Papiere nicht mehr vorliege. Wenn man dieses
Vorgehen vielleicht auch nicht als geringfügig ansehen werde, so könne
man doch nicht annehmen, daß es vorsätzlich mit Rücksicht auf eine
Aufbringung geschehen sei, um durch Zerstörung oder Verheimlichung
der Papiere Beweismaterial zu vernichten. Denn ob das Schiff, welches
nach Wladiwostok gegangen sei, die auf Hongkong als Bestimmungsort
lautenden Papiere an Bord geführt, oder ob es keins von ihnen bei sich
gehabt hätte, jeder von diesen Fällen würde in gleicher Weise ein Ver-
dachtsgrund für die Beschlagnahme geworden sein. Wenn die Papiere
daher auch weggeworfen worden seien, so habe das Schiff doch dadurch
nicht der Aufbringung entgehen können, so daß ein derartiger Vorsatz
ihrer Vernichtung nicht zugrunde gelegen habe.
Wenn des weiteren von dem Gericht erster Instanz vorgebracht
werde, daß der Reeder den Kohlenhandel als Gewerbe betreibe, und daß
die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs Ware sei, wie er
sie verkaufe, so betreibe er doch eigentlich ein Seetransportgeschäft
und es sei sein Gewerbe, Gütertransporte für andere zu übernehmen.
Wenn er daneben auch gelegentlich Kohlengeschäfte mache, so sei doch
die Entscheiciung, welche daraufhin die Ladung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs als im Eigentum des Reeders stehend betrachte, mit
dem Sachverhalt im Widerspruch.
3. Das Gericht erster Instanz behaupte,
die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs 3) sei
Cardiff-Kohle, wie sie zurzeit vorzugsweise auf Kriegs-
schiffen zur Verwendung komme. Ihr Bestimmungsort,
Wladiwostok, sei Rußlands Hauptflottenstützpunkt. Weil es
daher außer Zweifel stehe, daß die Kohle für den feindlichen
Kriegsgebrauch habe geliefert werden sollen, sei sie Konter-
bande.
Da aber Wladiwostok Rußlands einziger Handelshafen im Osten sei,
') Diese Stelle ist fälschlich zitiert aus dem Urteil über die Ladung des zur
Verhandlung stehenden Schiffs. (VI. 40b.)
727
Abschnitt Vl^oa Prisengerichtsentscheidungen: .Powderham*.
so sei es unzutreffend, wenn Kohle dorthin befördert werde, lediglich
daraufhin, daß es Kriegshafen sei, zu entscheiden, daß sie Kriegsbedarf
sei. Es sei bekannt, daß in unserer Zeit Cardiff-Kohle nicht ausschließ-
lich für die Marine zur Verwendung komme, vielmehr ganz'allgemein im
Industriebetrieb und auch zu sonstigem Gebrauch verwandt werde.
Daher müsse besonders in einem Falle, wo eine solche zu fried-
lichem und kriegerischem Gebrauch verwendbare Ladung Kohle nach
einem Hafen versandt werde, der wie Wladiwostok die Eigenschaft eines
Handelshafens und eines Kriegshafens in sich vereinige, angenommen
werden, daß es der Praxis des Völkerrechts entspreche, wenn man das
in anderen Fällen schon häufig angezogene Urteil des „Neptunus"-Falles
aus dem Jahre 1798 zugrunde lege und annehme, daß die Ladung des
zur Verhandlung stehenden Schiffes nach dem Handelshafen Wladi-
wostok habe befördert und zu friedlichem Gebrauch geliefert werden
sollen.
Kurz, das zur Verhandlung stehende Schiff habe keine Konterbande
geladen und könne, da die Ladung überdies nicht dem Reeder gehöre,
nicht eingezogen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
r o k u r o , sind folgende :
1. Wenn man die Aussage des Kapitäns bei seiner Vernehmung
durch den mit dem Fall byeauftragten Rat des Prisengerichts erster In-
stanz und die Tatsache, daß der Reeder Kohlenhandel betreibe, zu-
sammenhalte, so müsse man zu dem Schtuß kommen, daß die Ladung
des zur Verhandlung stehenden Schiffs dem Reeder gehöre.
Der Reklamant habe freilich bei der mündlichen Verhandlung über
diesen Punkt ausgesagt, das zur Verhandlung stehende Schiff sei von
PymanWatsonLtd. gechartert und die Kohle gehöre dem Charterer.
Da aber an Bord des Schiffes ein Chartervertrag und ein Konnossement
nicht vorhanden gewesen seien und auch sonst keinerlei Beweis zur
Bekräftigung der Behauptung des Reklamanten vorliege, so sei es zu-
treffend, wenn das Gericht erster Instanz diesen Behauptungen keine
Anerkennung geschenkt und angenommen habe, daß Schiff und I^dung
demselben Eigentümer gehörten.
2. Das Gericht erster Instanz habe in dieser Sache nicht die An-
nahme gestellt, daß die Ladung unter Anwendung von betrügerischen
Mitteln verladen und versandt worden sei. Dies sei ein gänzliches Miß-
verständnis des Reklamanten. Daher sei eine Erwiderung hierauf nicht
erforderlich.
Aus diesen Gründen werde Verwerfung der Berufung beantragt
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet ;
728
Priseiigerichtsentscheidungen: .Powderham'. Abschnitt Vl^oa.
1. Es ist bekannt; daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stutzpunkt
für seine Kriegsfoltte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort In aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiff-Kohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen
zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifel-
haft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden
sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptun us" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus''-Fall und die des vor-
liegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist daher
unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden an-
gewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Verhand-
Inug stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande ist, ein-
gezogen werden können. Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies-
den Verhältnissen gerecht wird, besonders im vorliegenden Falle, wo die
ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist.
Da schon nach dem in den. Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffes anfraglich ge-
rechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die einzelnen Punkte
der Berufung noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman, Watson & Co. Ltd., England, Wales,.
Cardiff, vertreten durch den Kapitän des Dampfers „Powderham", Al-
fred B. Toms aus Liverpool.
729
Abschnitt VI*««» Prisengerichtsentscheidungen: .Powderham'.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Akiyama Genz.o und
Nishi Noshun, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Powderham'' wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Die auf dem Dampfer „Powderham" verschifften 4000 Tons Stein-
kohlen werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von 4000 Tons Cardiff-
kohle ist in Cardiff auf dem Dampfer „Powderham" verschifft worden
und am 12. November 1904 von dort nach Wladiwostok abgesandt
worden. Am 19. Februar 1905, abends 11 Uhr 50 Minuten wurde sie
auf der See in 34« 41' n. Br. und 129^ 3' ö.L., als die „Powderham",
weil sie Konterbande führe, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko
Maru'' aufgebracht wurde, mit dieser zusammen beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Nikko Maru", Marineunter-
leutnants Murakami Toru, die Vernehmungsprotokolle des Kapi-
täns der „Powderham'', A 1 f r e d B. T o m s , des ersten Offiziers E r n e s t
Howe, des Obermaschinisten David Mi Ine, durch das Schiffs-
zertifikat, das Privatschiffsjournal und ein Telegramm von Joseph
A. B e 1 1 a m y an den Kapitän.
Die Hauptpunkte der Vertreter der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe im November 1904 den Dampfer „Pow-
derham'' gechartert und die zur Verhandlung stehende, ihm gehörige
Ladung darauf verschifft. Am 12. d. M. sei dieselbe von Cardiff in Eng-
land abgesandt worden, um nach Wladiwostok in Rußland befördert
zu werden.
Kohle sei ihrer Art nach keine natürliche Konterbande, und ledig-
lich daraus, daß sie nach einem' Hafen einer kriegführenden Macht be-
stimmt sei, könne nicht abgeleitet werden, daß sie zum Kriegsgebrauch
dienen solle. Da Wladiwostok die doppelte Eigenschaft eines Handels-
und eines Kriegshafens habe, so könne nicht ohne weiteres angenommen
werden, daß die dorthin bestimmte Kohle zum Kriegsgebrauch verwandt
werden solle. Vielmehr tue die Entscheidung des „Neptun us" -Falls dar,
daß es billig sei, anzunehmen, daß sie zu friedlichem Zweck habe ge-
liefert werden sollen.
Daher werde Freigabe der zur Verhandlung stehenden Ladung
beantragt.
730
I
Prisengerichtsent^cheidungen: .Powderham'. Abschnitt VI^^'^
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Kohle sei nach Wladiwostok, dem
Hauptflottenstützpunkt Rußlands, bestimmt gewesen. Sie sei daher,
weil es offenbar sei, daß sie zum feindlichen Kriegsgebrauch habe dienen
rsollen, Konterbande. Deshalb sei sie einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Vertreter der Reklamation behauptet, daß der Reklamant der
Eigentümer der zur Verhandlung stehenden Ladung sei und die „Pow-
•derham" gechartert habe. Da er aber dafür keinerlei Beweis erbracht
hat, so kann diese Behauptung nicht anerkannt werden. Dagegen ist
kein Chartervertrag und kein Konnossement auf dem Schiff vorhanden
gewesen; in Cardiff hat der Kapitän die zur Verhandlung stehende
Ladung auf Anordnung des den Reeder in Cardiff vertretenden Proku-
risten verladen; dieselbe ist auch von Hongkong auf Order desselben
nach Wladiwostok abgegangen; und endlich betreibt der Reeder als
Gewerbe den Kohlenhandel. Wenn man aber dies erwägt, so scheint
es gerechtfertigt, anzunehmen, daß die zur Verhandlung stehende Kohle
im Eigentum des Reeders steht.
Demnach ist das rechtliche Interesse des Reklamanten an der zur
Verhandlung stehenden Ladung als nicht erwiesen zu erachten, und die
Reklamation ist abzuweisen, i)
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist Cardiff kohle, wie sie
zurzeit vorzugsweise auf Kriegsschiffen zur Verwendung kommt. Ihr
Bestimmungsort ist Wladiwostok, Rußlands Hauptflottenstützpunkt. Von
gewöhnlichen Handelsschiffen ist dort zurzeit fast nichts mehr zu sehen,
so daß man annehmen kann, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
nach Ankunft in Wladiwostok gänzlich zum Gebrauch bei der Marine
gedient haben würde. Sie ist daher Konterbande-) und muß nach den
völkerrechtlichen Grundsätzen mit Recht eingezogen werden. ^)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am IL Juni 1905 im Prisengericht zu Sasebo im Beisein
des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson Ltd., England, Wales, Cardiff,
vertreten durch Alfred B. Toms aus Liverpool, England.
ProzeBvertreter: Die Rechtsanwälte Akiyama Genzo und
NishiKoshun, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho
Nr. 75.
*) IV. § 16,2. - '') II. Ziffer 2. - •) V. § 43.
731
Abschnitt VI^^^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Powderiiam^'.
Am 11. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Powderham",
welcher am 19. Februar 1905 auf 34° 41' n. Br. und 129 o 3' ö. L.
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru'' aufgebracht worden ist^
ein Urteil gefällt, in welchem auf Abweisung der Reklamation und Ein-
ziehung der auf dem Dampfer „Powderham'' verschifften 4000 Tons
Steinkohlen erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Alfred B. Toms als Vertreter des Re-
klamanten, der Firma Pyman Watson Ltd., durch die Rechtsanwälte
Akiyama Genzo und Nishi Koshun als Prozeßvertreter die Be-
rufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Kei-
roku und Dr. jur Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht ge-
prüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Vertreter der Reklamation, A k i -
yamaGenzo und Nishi Koshun, sind folgende :
Das von dem Prisengericht zu Sasebo am 11. Juni 1905 gefällte
Urteil auf Abweisung der Reklamation und Einziehung der auf dem
Dampfer „Powderham'' verschifften 4000 Tons Steinkohlen sei unzu-
treffend. Es werde daher Aufhebung desselben und Freigabe der ge-
nannten Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nicht Eigentum des.
Reeders und auch keine Kriegskonterbande. Es sei unzutreffend, wena
das Gericht erster Instanz angenommen habe, daß sie dem Reeder gehöre-
und Konterbande sei.
2. Das Gericht erster Instanz stelle die Tatsachen nebeneinander^
daß
die zur Verhandlung stehende Ladung nicht im Eigentum des
Reklamanten, sondern des Reeders stehe; daß kein Beweis
für die Charterung der „Powderham'' vorhanden sei; daß.
ein Chartervertrag und ein Konnossement an Bord nicht vor-
handen gewesen seien; daß der Kapitän auf Anordnung des
den Reeder vertretenden Prokuristen die Ladung einge-
nommen und auch von Hongkong auf Order des Genannten
nach Wladiwostok weiterbefördert habe; schließlich, daß der
Reeder Kohlenhandel betreibe.
Auf Grund dieser Tatsachen entscheide es, daß der Reklamant an der
zur Verhandlung stehenden Ladung kein rechtliches Interesse habe und
daß daher die Reklamation abzuweisen sei.
Daß aber die zur Verhandlung stehende Ladung dem Reklamanten
gehöre, gehe aus der Aussage des Kapitäns hervor, in der es heiße:
die Kohlen gehörten nicht dem Reeder nach seiner
Idee gehörten dieselben der Firma Pyman Watson.
732
Prisengerichtsentscheidungen: „Powderham^^ Abschnitt VI^^
Daß ferner der Dampfer, auf dem die zur Verhandlung stehende
Ladung verschifft sei, von Pyman Watson Ltd. gechartert worden
seif lasse sich daraus entnehmen, daß der Kapitän ausgesagt habe,
in dem bis Hongkong mitgehabten Chartervertrag habe ge-
standen, daß Pyman Watson das Schiff von dem Reeder
gechartert hätten.
Was die Tatsache angehe, daß dieser Chartervertrag und das Konnosse-
ment nicht an Bord vorhanden gewesen seien, so sei der Grund dafür
der, daß der Kapitän, der diese Papiere bis zur Ankunft in Hongkong
mitgehabt habe, dieselben, als er Order bekommen habe, nach Wladi-
wostok zu gehen, alle weggeworfen habe, da er der Ansicht gewesen sei,
•daß ein Bedürfnis für diese auf Hongkong als Bestimmungsort aus-
:gestellten Papiere nicht mehr vorliege. Wenn man dieses Vorgehen auch
vielleicht nicht als geringfügig ansehen werde, so könne man doch nicht
annehmen, daß es vorsätzlich mit Rücksicht auf eine Aufbringung ge-
schehen sei, um durch Zerstörung oder Verheimlichung der Papiere Be-
weismaterial zu vernichten. Denn ob das Schiff, welches nach Wladi-
wostok gegangen sei, die auf Hongkong als Bestimmungsort lautenden
Papiere an Bord geführt oder ob es keins von ihnen bei sich gehabt
hätte, jeder von diesen Fällen würde in gleicher Weise ein Verdachts-
grund für die Beschlagnahme geworden sein. Wenn die Papiere daher
auch weggeworfen worden seien, so habe das Schiff doch dadurch nicht
der Aufbringung entgehen können, so daß ein derartiger Vorsatz ihrer
Vernichtung nicht zugrunde gelegen habe.
Der Kapitän habe im Gerichtshof der ersten Instanz das Protokoll
über seine Vernehmung dahin verbessert, daß der Passus, daß die Ladung
im Auftrag des den Reeder vertretenden Prokuristen verladen worden
sei, auf einem Irrtum des Dolmetschers beruhe und daß ei* ganz klar
gesagt habe, daß die Kohle im Auftrage des Charterers geladen worden
sei. Das Gericht erster Instanz sage dazu, daß diese Aussage nicht klar
und glaubwürdig sei und daher nicht anerkannt werden könne. Aber
selbst einmal angenommen, daß der Kapitän wirklich so ausgesagt habe,
wie es in dem Protokolle stehe, so berechtige das noch keineswegs zu der
Annahme, daß der Reeder der Eigentümer der Kohle sei. Denn auch
wenn der Reeder den Kohlentransport für Pyman Watson über-
nommen habe, würde es für den Reeder das ganz gewöhnliche Verfahren
sein, wenn er dem Kapitän Order gebe, die Kohle in seinem Schiff zu
verladen.
Wenn ferner der Reeder dem Kapitän in Hongkong Order gegeben
habe, nach Wladiwostok weiterzufahren, so sei das nur eine Ausübung
seines Rechts, dem Kapitän Befehle zu erteilen, und könne nicht als
Unterlaige für die Entscheidung dienen, daß die Ladung im Eigentum
des Reeders stehe.
733
Abschnitt ^^l^^ Prisengerichtsentscheidungen: „Powderham''.
Wenn des weiteren von dem Gericht erster Instanz vorgebracht
werde, daß der Reeder den Kohlenhandel als Gewerbe betreibe, und daR
die zur Verhandlung stehende Ladung Ware sei, wie er sie verkaufe,,
so betreibe er doch eigentlich ein Seetransportgeschäft, und es sei sein
Gewerbe, Gütertransporte für andere zu übernehmen. Wenn er daneben
auch gelegentlich Kohlengeschäfte mache, so sei doch die Entscheidung,
welche daraufhin die Ladung des Schiffes als im Eigentum des Reeders,
stehend betrachte, mit dem Sachverhalt im Widerspruch.
3. Das Gericht erster Instanz behaupte,
die zur Verhandlung stehende Ladung sei Cardiffkohle, wie
sie zurzeit vorzugsweise auf Kriegsschiffen zur Verwendung^
komme; ihr Bestimmungsort, Wladiwostok, sei Rußlands
Hauptflottenstützpunkt. Weil es daher außer Zweifel stehe,,
daß die Kohle für den feindlichen Kriegsgebrauch habe ge-
liefert werden sollen, sei sie Konterbande.
Da aber Wladiwostok Rußlands einziger Handelshafen im Osten sei, so
sei es unzutreffend, wenn Kohle dorthin befördert werde, lediglich darauf-
hin, daß es Kriegshafen sei, zu entscheiden, daß sie Kriegsbedarf sei.
Es sei bekannt, daß in unserer Zeit Cardiffkohle nicht ausschließlich bei
der Marine zur Verwendung komme, vielmehr ganz allgemein im In-
dustriebetrieb und auch zu sonstigem Gebrauch verwendet werde. Daher
müsse besonders in einem Falle, wo eine solche zu friedlichem und kriege-
rischem Gebrauch verwendbare Ladung Kohlen nach einem Hafen ver-
sandt werde, der wie Wladiwostok die Eigenschaften eines Handels- und
eines Kriegshafens in sich vereinige, angenommen werden, daß es der
Praxis des Völkerrechts entspreche, wenn man das in anderen Fällen
schon häufig angezogene Urteil des „Neptun us"-Falles zugrunde lege
und annehme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung nach dem
Handelshafen Wladiwostok habe befördert und zu friedlichem Gebrauch
geliefert werden sollen.
Kurz, die zur Verhandlung stehende Ladung gehöre dem Rekla-
manten und sei keine Kriegskonterbande. Er habe daher rechtliches
Interesse an der genannten Ladung und sei befugt, eine Reklamation
auf Freigabe derselben zu erheben. Aus diesen Gründen werde Auf-
hebung des Urteils erster Instanz und Freigabe der zur Verhandlung
stehenden Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
r o k u r o , sind folgende :
Die Ladung des Dampfers „Powderham'' sei rauchlose Cardiff-
kohle, wie sie zurzeit vorzugsweise auf den Kriegsschiffen gebraucht
werde. Ihr Bestimmungsort Wladiwostok habe freilich in Friederiszeiten
neben seiner Eigenschaft als Kriegshafen auch die eines Handelshafens.
734
Prisengerichtsentscheidungen: „Powderham". Abschnitt Vl^ob
Seit dem Krieg mit Japan sei dieser Platz aber der einzige Flottenstütz-
punkt des Feindes im Osten und es sei eine bekannte Tatsache, daß der
Verkehr mit dem Handelshafen aufgehört habe. Es sei daher sicher,
daß die genannte Kohle, wenn sie dorthin gelangt wäre, zum Gebrauch
des feindlichen Geschwaders gedient haben würde. - Deshalb sei es recht-
mäßig, wenn das Gericht erster Instanz entschieden habe, daß die zur
Verhandlung stehende Ladung als Konterbande anzusehen und einzu-
ziehen sei.
Der Reklamant werfe dem Gericht erster Instanz vor, daß es an-
genommen habe, daß die Ladung dem Reeder gehöre. Da der Reklamant
aber nur mündlich und ohne Beweis behauptet habe, daß die Ladung
ihm gehöre, so sei die Verwerfung dieser Behauptung und die sich auf
die in dieser Sache vorgekommenen Beweise gründende Annahme,,
daß sie dem Reeder gehöre, rechtmäßig.
Aus diesen Gründen sei die Berufung zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es sind dafür, daß der Reklamant an der zur Verhandlung stehenden
Kohle ein rechtliches Interesse hat, keine Schiffspapiere und auch sonst
keinerlei stichhaltige Beweise vorhanden. Wenn der Kapitän auch aus^
gesagt hat, daß er glaube, daß die Kohle der Firma Pyman Watson
gehöre und ferner, daß in dem Chartervertrag, der bis Hongkong vor-
handen gewesen sei, gestanden habe, daß der Reeder das Schiff an P y m a n
Watson verchartert habe, so ist das nur eine mündliche Aussage, der
kein Glauben beigemessen werden kann. Es ist daher durchaus nicht
unzutreffend, wenn das Gericht erster Instanz auf Grund anderer
Beweise angenommen hat, daß der Reeder der Eigentümer der zur Ver-
handlung stehenden Kohle sei, und die Ablehnung der Reklamation ist
gerechtfertigt. Daher ist der erste Teil von Punkt 1 und Punkt 2 un-
begründet.
Selbst wenn man einmal annimmt, der Reklamant habe rechtliches-
Interesse an der zur Verhandlung stehenden Kohle, so steht doch das
Völkerrecht auf dem Standpunkt, daß Güter wie Kohle, Lebensmittel
und dergleichen, im Falle, daß sie für die feindliche Armee oder Marine
bestimmt sind oder nach einem Platz in Feindesland gehen und an-
genommen werden muß, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
oder Marine dienen würden, als Kriegskonterbande anzusehen sind und
eingezogen werden können.
Es ist nun aber unbestritten, daß die zur Verhandlung stehende
Cardiffkohle nach Wladiwostok bestimmt gewesen und auf der Reise
dorthin von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" beschlagnahmt
worden ist. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen und sein Hauptflottenstützpunkt ist. Seit dem Krieg mit Japan
hat es diesen Platz zum Hauptetappenort für seine Armee und seine
735^
Abschnitt Vl^t Prisengerichtsentscheidungen: „Severus*'.
Marine gemacht. Es ist mit ganzer Kraft bestrebt, dort große Kriegs-
vorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr ist in diesem Hafen
fast ganz zum Stillstand gekommen. Die zur Verhandlung stehende
Kohle ist ausgewählte Cardiffkohle, und die Preise für solche sind im
Osten so außerordentlich hoch, daß außer für den Gebrauch auf Kriegs-
schiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden ist. Wenn die
Kohle daher einmal in Wladiwostok eingetroffen sein würde, so ist es
unzweifelhaft, daß sie für den Gebrauch des russischen Geschwaders
geliefert worden wäre. Es ist daher mit Recht geschehen, daß das
Gericht erster Instanz die Kohle als Kriegskonterbande angesehen hat.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus" auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung in dem „Neptun us''-Falle und die des
vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden,
und auch die Verhältnisse des Bestimmungsorts sind ganz andere. Es
ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewendet werden kann. Daher ist auch der letzte Teil des
Punktes 1 und Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In der Prisensache, betreffend den deutschen Dampfer „Severus",
wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des deutschen Dampfers „Severus" und
seiner aus 3845 Tons Steinkohlen bestehenden Ladung erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer steht im Eigentum von
Claus Peter Andersen in Hamburg, Deutschland. Sein Heimats-
hafen ist Hamburg. Er ist ein Stahlschiff mit einem Raumgehalt von
2133.42 Registertons und fährt unter deutscher Flagge.
Der Dampfer lud in Cardiff, England, 3845 Tons doppelt gesiebte
Cardiffkohle, um diese nach Wladiwostok in Rußland zu befördern. Die
Absender waren Powell, D u f f 1 i n & Co., der Ladungseigentümer
736
Prisengerichtsentscheidungen: „Severus''. Abschnitt VI^i
ist unbekannt. Im Konnossement ist der neutrale Hafen Manila als Reise-
ziel angegeben, der wirkliche Bestimmungshafen wurde verheimlicht,
und der Dampfer erhielt einen Ausklarierungsschein mit der Angabe von
Manila als Reiseziel. Am 24. November 1904 brach er von Cardiff
auf und lief unterwegs die Häfen Algier, Port Said, Sabang und Labuan
an. Nach der Abfahrt von Labuan am 31. Januar 1905 fuhr der Dampfer,
ohne Manila und andere Häfen anzulaufen, durch die Philippinen in den
Stillen Ozean und versuchte, sich möglichst weit vom Hokkaido entfernt
haltend, Wladiwostok zu erreichen. Zu diesem Z\x^ck wollte der Dampfer
nach dem Passieren der Etorup-Straße und der Soya-Straße zunächst
in der Olga-Bucht einen Lotsen annehmen und dann nach Wladiwostok
gelangen. Am 23. Februar 1905, nachmittags um 1 Uhr wurde der
Dampfer, nachdem er die Etorup-Straße bereits passiert und die offene
See bei dem Shibetoro-Vorgebirge erreicht hatte, von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff »^Hongkong Maru" nach seinem Reiseziel gefragt. Da er
darauf antwortete, daß er mit Steinkohlen nach der Olga-Bucht fahre,
woirde er im Ende von dem genannten Kriegsschiff aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Leutnants zur See, Nishiuchi Yui, und des Kapitäns des „Severus'S
Wilhelm Berndt, durch das Konnossement, drei Ausklarierungs-
scheine, das Schiffszertifikat, zwei Schiffsjournale, die Kladde des Schiffs-
journals und die Abschrift des Vernehmungsprotokolls des Kapitäns von
dem Dampfer „Romulus'', namens Q reven itz, in Sachen der Auf-
bringung des letztgenannten Dampfers.
Das Gericht ist folgender Ansicht: •
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist; seit dem
Kriege mit Japan hat die russische Regierung diesen Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht; ihre ganze Kraft ist dorthin gewandt und
sie ist bestrebt, dort große Kriegsvorräte anzuhäufen; der gewöhnliche
Handelsverkehr in Wladiwostok hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn
daher Kohlen und dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von
besonderen Umständen abhängig ist, nach "Wladiwostok befördert werden,
so muß, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß die-
selben für den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es
bezüglich der zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus aus-
gewählter Cardiffkohle besteht, wie sie im Osten ausschließlich zum
Gebrauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirk-
lich für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht
als Kriegskonterbande anzusehen, i)
Wenn der Dampfer ferner, obwohl er schon von Anfang an vor
der Abfahrt von Cardiff für Wladiwostok bestimmt war, in den Kon-
') II. Ziffer 2.
Marstrand-Meohlenbarg, Das japanisohe Prlsenrecht. (47) tot
Abschnitt VI^i PrIsengerichtSMitscheidungen: ,,Sevenis
nossementen und dem Ausklarierungsschein den neutralen Hafen Manila
als Reiseziel bezeichnete und auch noch bei der Abfahrt von Labuan
unter der falschen Angabe, nach Manila gehen zu wollen, einen Aus-
klarierungsschein erhielt und wenn er endHch nach der Abfahrt von
Labuan in einem weiten Bogen Wladiwostok durch die Soya-Straße zu
erreichen trachtete, so ist dies alles auf die betrügerische Absicht zu-
rückzuführen, durch eine vorsätzliche Verschleierung seines Be-
stimmungsorts der Aufbringung zu entgehen, und nicht etwa auf ein
entschuldbares Versehen oder auf die Absicht, eine für die Fahrt be-
quemere Route zu nehmen. Wenn nun auch der Kapitän des zur Ver-
handlung stehenden Dampfers ausgesagt hat, die in dem Ausklarierungs-
schein enthaltene Angabe von Manila als Bestimmungsort sei nicht
richtig, vielmehr sei das wirkliche Reiseziel, wie in dem Schiffsjournal
angegeben, die Olga-Bucht, so entspricht auch dieses nicht den Tat-
sachen. Schiff und Ladung waren vielmehr nach Wladiwostok bestimmt
Das ergibt sich aus folgendem : in dem Tagebuch des Dampfers ist bei
der Abfahrt von Labuan am 31. Januar 1905 folgendes eingetragen
worden. „Da der Dampfer „Romulus'' nach dem gleichen Hafen wie
dieser Dampfer fahren soll, so habe ich den Kohlenzieher Brandt,
welcher in Labuan verhaftet worden war, dem „Romulus" überlassen,
um ihn nachzubringen." Ferner enthält die Abschrift des Protokolls
über das Verhör des Kapitäns Grevenitz vom deutschen Dampfer
„Romulus", welcher demselben Reeder gehört wie der „Severus'' ujid
von dem gleichen Platz mit gleicher Ladung abgefahren ist, folgende
Aussagen des genannten Kapitäns: „Ich habe von Labuan einen Mann
der Besatzung des „Severus*' auf dem „Romulus" mitgenommen"; „als
Reiseziel des „Romulus" war Hongkong angegeben; in Wirklichkeit
aber sollte der Dampfer die Olga-Bucht anlaufen und von dort unter
Führung eines Lotsen nach Wladiwostok gehen"; „obwohl ich in das
Tagebuch als Bestimmungsort die Olga-Bucht hätte eintragen müssen,
habe ich es nicht getan und zwar, weil ich das Reiseziel der Mannschaft
verheimlichen zu müssen glaubte." Vergleicht man vorstehende Punkte
miteinander, so ergibt sich, wie oben gesagt, daß der Bestimmungsort
des zur Verhandlung stehenden Schiffes und seiner Ladung ohne allen
Zweifel Wladiwostok in Rußland war. Kurz, der Dampfer „Severus"
hat auf betrügerische Weise Kriegskonterbande befördert. Schiffe aber,
welche solche betrügerischen Mittel anwenden, sind nach völkerrecht-
licher Theorie und Praxis samt ihrer Ladung, soweit sie aus Kriegs-
konterbande besteht, einzuziehen. 2)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
«) V. §§ 43, 44.
738
Prisengerichtsentscheidungen: „Severus". Abschnitt VI«
Gegeben am 28. April 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, nach
Anhörung des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka.
(Unterschriften.)
In der Prisensache, betreffend den deutschen Dampfer „Romulus"^
wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des deutschen Dampfers „Romulus" sowie
seiner aus etwa 3400 Tons Cardiff kohlen bestehenden Ladung ent-
schieden.
Tatbestand und Gründe:
Der ziar Verhandlung stehende Dampfer „Romulus" Stent im Eigen-
tum von C Andersen in Hamburg, Deutschland, sein Heimatshafen
ist Hamburg und er ist ein Handelsschiff, welches die deutsche Flagge
führt. Er lud in Cardiff, England, eine dem Reeder gehörige Ladung
von etwa 3500 Tons dreimal gesiebter Cardiffkohle. Absender waren
Cory Brothers, der Empfänger sollte sich nach Order bestimmen.
Im Konnossement und dem Ladungsverzeichnis ist Hongkong als Be-
stimmungsort angegeben, und der Ausklarierungsschein lautet auch auf
Hongkong. Am H. Dezember 1904 verließ der Dampfer Cardiff und
lief unterwegs die Häfen Algier, Port Said, Sabang und Labuan an. Von
dort fuhr er am \. Februar dieses Jahres nach Wladiwostok ab, wobei
er vorsätzlich einen Umweg durch die Philippinen in den Stillen Ozean
hinaus nahm. Am 21. Februar fuhr er durch die Etorup-Straße in den
Soyakanal, worauf er jedoch in Treibeis geriet und Schaden an seinem
Schiffskörper nahm. Wegen Widerstands der Mannschaft änderte er
den vorbestimmten Kurs und fuhr am 23. d. M. wieder in die Straße
von Etorup zurück. Auf der Fahrt mußte er, zur Sicherheit des Schiffes,
ungefähr 100 Tons Kohlen werfen. Als er dann von der Tsugaru-
Straße nach Wladiwostok weiterfuhr, wurde er am 26. Februar 1905
bei Tagesanbruch von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Iwate" gesichtet
und bei dem Shiokubi- Vorgebirge aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Iwate'S Kapitänleutnants U c h i k u r a
Rikichi, durch die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des Kapi-
täns des „Romulus'' und anderer Leute aus der Besatzung des Schiffs,
das Schiffszertifikat, das Konnossement, das Ladungsverzeichnis, den Aus-
klarierungsschein von Cardiff, das Tagebuch, die Kladde desselben und
(47*) ^ 739
Abschnitt VI ^2 Prisengerichtsentscheidungen: „Romulus".
die Abschrift eines Telegramms der Firma Dreyer & Co. an den
Kapitän des „Romulus''.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung diesen Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Kräften bemüht, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handel hat fast gänz-
lich aufgehört. Wenn daher Kohle oder dergleichen Güter, deren Konter-
bandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach Wladi-
wostok befördert werden, so muß, mangels klaren Gegenbeweises, an-
genommen werden, daß dieselben für den Kriegsgebrauch zu .liefern
waren. Besonders kann es bezüghch der zur Verhandlung stehenden
Ladung, welche aus ausgewählter Cardiffkohle besteht, wie sie im Osten
ausschließlich zum Gebrauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt
werden, daß sie wirklich für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie
ist daher mit Recht als Konterbande anzusehen. ^)
Der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffs hat freilich
dem mit dem Fall beauftragten Prisenrat gegenüber ausgesagt, daß er
zur Zeit der Abreise von Cardiff davon, daß er nach Wladiwostok gehen
solle, nichts gewußt habe und erst, als er Labuan angelaufen habe, von
dem Reeder Order für Wladiwostok erhalten habe. Er wisse nicht, ob der
Reeder schon von Anfang an die Absicht gehabt habe, das Schiff nach
Wladiwostok gehen zu lassen oder nicht. Bei seiner Vernehmung über
die Heuerzulage der Mannschaft hat er dagegen geantwortet, daß er
mit dem Reeder schon im voraus abgemacht gehabt habe, daß er, wenn
die Mannschaft die Bestimmung des Schiffes nach Wladiwostok erraten
solle, ihr entsprechende Zulagen solle gewähren können. Als er bei
der Visitierung von dem Offizier, der die Beschlagnahme ausführte, über
den Grund, weshalb Hongkong als Bestimmungsort des Schiffes an-
gegeben sei, befragt wurde, gab er an, daß das Schiff von Wladiwostok
aus nach Hongkong gehen solle. Die Aussagen des Kapitäns sind daher
völlig widersprechend und, da kein Beweis vorhanden ist, daß der Reeder
den Bestimmungsort des Schiffs während der Reise zugunsten von Wladi-
wostok geändert habe, so muß angenommen werden, daß das Schiff
schon von Cardiff aus das Reiseziel Wladiwostok hatte. Es ist daher
mit Recht zu schließen, daß die Eintragung von Hongkong als Be-
stimmungsort in den Schiffspapieren eine betrügerische Erklärung dar-
stellt.
Aber auch angenommen, das Schiff habe bei der Herstellung der
Schiffspapiere zur Zeit der Abreise von Hongkong keine böse Absicht
gehabt, so ist doch auch nach der Abreise von Labuan, obwohl es da-
1) II. Ziffer 2.
740
Prisengerlchtsentscheidungen: „Romulus". Abschnitt VI42
mals klar war, daß das Schiff nach Wladiwostok gehe, in dem Schiffs-
tagebuch am Tage der Abreise von dort noch immer Hongkong als
Bestimmungsort verzeichnet worden, pnd vom folgenden Tage ab ist
sowohl im Tagebuch als in der Kladde desselben überhaupt kein Bestim-
mungsort mehr angegeben worden. Bei der Weiterreise machte das Schiff
dann einen vorsätzlichen Umweg und löschte, als es in die Nähe Japans
kam, seine Lichter aus. Mit den Schiffspapieren ist eine Ausklarierungs-
bescheinigung von Labuan nicht übergeben worden. Alles dies ist
nicht auf entschuldbares Versehen oder auf die Absicht, eine für die
Fahrt bequemere Route zu nehmen, zurückzuführen, sondern muß als
einem betrügerischen Plan entsprungen betrachtet werden, der bezweckte,
der Aufbringung zu entgehen.
Der Kapitän hat ferner ausgesagt, daß er, weil durch den im Treibeis
erlittenen Maschinenschaden die Fortsetzung der Reise nach Wladiwostok
schwierig gewesen wäre, dieselbe aufgegeben und beabsichtigt gehabt
habe, nach Hakodate zu fahren, weil es notwendig gewesen sei, zwecks
Reparatur des Schadens den nächsten Hafen anzulaufen. Wenn man aber
die Vernehmungsprotokolle des ersten Offiziers, J. Nielson, und der
übrigen Besatzung sowie des Marineoberingenieurs, Okubo Ritsu,
Übel den Zustand des Schiffes während der Reise nach erlittenem Schaden
in Betracht zieht, so kann man nicht schließen, daß der damals von dem
Schiff erlittene Schaden ein so erheblicher gewesen sei, daß es die Reise
nach Wladiwostok deshalb nicht hätte ausführen können.
Nach dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns und der Mannschaft
zu schließen, hat der Kapitän in der Nacht vom 25. Februar, also einige
Stunden vor der Aufbringung des Schiffes, einen Heizer aus der Mann-
schaft gerufen und ihm gesagt: „Wenn ihr mit meinem Befehl, durch die
Tsugarustraße nach Wladiwostok zu fahren, einverstanden seid, bekommt
ihr eine Zulage von einer Monatsheuer. Andernfalls lasse ich euch, wenn
wir nach Hakodate kommen, wegen Widersetzlichkeit gegen den Kapitän
ins Gefängnis schaffen." Diese Mitteilung ließ der Kapitän der ganzen
Mannschaft machen. Auch aus diesem Vorgang muß man entnehmen,
daß der Kapitän noch, als das Schiff sich der Straße von Tsugaru näherte,
die Absicht nach Wladiwostok zu gehen, nicht aufgegeben hatte, viel-
mehr versucht hat, unter Bedrohung der Mannschaft die Straße zu pas-
sieren und seinen anfänglichen Zweck zu erreichen.
Daß sich gelegentlich in der Kladde des Schiffsjournals unter dem
23. Februar eine Eintragung findet, daß die Matrosen sich widersetzt
hätten und daß das Schiff unter der Bedingung, den ersten Hafen an-
zulaufen, umgekehrt sei, genügt nicht zum Beweise dessen, daß die Ab-
sicht, nach Wladiwostok zu gehen, aufgegeben worden sei.
Kurz, der Dampfer „Romulus'' hat sich des Konterbandetransports
741
Abschnitt VI^< Prlsengerichtsentächeidungen: ,,Ea8by Abbey"'.
unter betrügerischem Vorgehen schuldig gemacht und hat diesen Zw^ck
auch, nachdem er den Schiffsschaden erlitten hatte, nicht aufgegeben.
Es ist aber von Theorie und Praxis des Völkerrechts anerkannt,
daß ein Schiff, welches sich in dieser Art betrügerischen Vcwgehens
schuldig gemacht hat, mitsamt seiner Konterbande-Ladung der Ein-
Ziehung unterliegt und daß Schiff und Ladung, weil der Eigentumer der
gleiche ist, dem gleichen Schicksal verfallen müssen.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Entschieden am 16. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka nach
Anhörung des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka,
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson Ltd., England, Cardiff, ver-
treten durch den Kapitän des Dampfers „Easby Abbey", Robert
P r i d e a u X.
Prozcßvcrtrctcr: Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Easby
Abbey'', wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Easby Abbey"
erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Easby Abbey" steht im
Eigentum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist Cardiff in England,
und er ist ein Handelsschiff, welches die englische Flagge führt. Am
24. November 1904 schloß der Reklamant mit der Firma Mann George
& Co. in London, England, einen Chartervertrag ab, auf Grund dessen
der Dampfer in Cardiff ungefähr 4005 Tons doppelt gesiebte Cardiffkohle
lud, um sie nach Wladiwostok in Rußland zu befördern. Der Charter-
vertrag, der Heuervertrag und das Konnossement bezeichnen Hongkong,
Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungsort und im Konnossement ist
bei Empfänger „für Order" eingetragen. Am 7. Dezember desselben
Jahres fuhr der Dampfer von Talbot in England ab und erhielt am
10. Februar 1905 in Hongkong unter der Angabe, daß seine Bestimmung
Kiautschou sei, eine entsprechende Ausklarierung. Von dort abreisend
*) V. §§ 43, 44.
742
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Ea8by Abbey''. Abschnitt VI^*
nahm er absichtlich einen Umweg, um durch die Soyastraße zu fahren,
geriet, als er am 26. d. M. in der See südlich von der Insel Etorup an-
gekommen war, in Treibeis, erlitt Schaden an dem Schiffskörper und
verlor lange Zeit seine Manövrierfähigkeit. Als er so verschlagen war
und Reparaturen zu machen versuchte, wurde er am 27. d. M. vormittags
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru" gesichtet. Bei der
Visitierung durch den Vertreter des Kommandanten des genannten
Kriegsschiffs, Korvettenkapitän Tanaka Eitaro, gab der Kapitän
Robert Prideaux als Bestimmungsort des Schiffes Shanghai an,
später gestand er aber zu, daß in Wirklichkeit Wladiwostok der Be-
stimmungshafen sei. So wurde der Dampfer schließlich von dem ge-
nannten Kriegsschiff aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Nippon Maru", Korvettenkapitäns
Tanaka Eitaro, die Vernehmungsprotokolle des genannten und des
zur Verhandlung stehenden Schiffs, Robert Prideaux, das Schiffs-
zertifikat, das Tagebuch, den Chartervertrag, den Heuervertrag, das Kon-
nossement und den Ausklarierungsschein von Hongkong.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei am 24. November
1904 durch Vertrag zwischen dem Reklamanten und den Vertretern
von Orabowski in Glasgow, England, der Firma Mann, George
& Co. in London verchartert worden, um in Cardiff^ England, Kohlen
zu nehmen, und sei auf der Reise nach Wladiwostok von einem Kaiser-
lich Japanischen Kriegsschiff aufgebracht worden. Da aber die Kohlen
nicht im Eigentum des Reklamanten stünden, so könne der Dampfer,
wenn auch die Ladung als Konterbande angesehen werden könne, nicht
wie diese der Strafe der Einziehung verfallen.
Da ferner die Ladung des Schiffes keine absolute Konterbande
sei, so treffe den Reeder, wenn er auch gewußt haben möge, daß die
Ladung nach Wladiwostok habe befördert werden sollen, doch nicht die
Verantwortung und Strafe für einen Konterbandetransport. Der Reeder
habe davon, daß der Dampfer nach einem anderen als den in dem
Chartervertrag verzeichneten Bestimmungshäfen Shanghai oder
Kiautschou gehen würde, nicht die geringste Vorkenntnis gehabt und
die nach dem Vernehmungsprotokoll von dem Kapitän Robert
Prideaux gegebene Antwort, er habe die Order, nach Wladiwostok
zu gehen, von Pyman Watson erhalten, beruhe durchaus auf einem
Irrtum des Genannten.
Daß ferner in den Schiffspapieren und Ausklarierungen der wahre
Bestimmungsort sich nicht verzeichnet finde, habe seinen Grund nur
darin, daß das Schiff Hindernissen, welche die englischen Behörden seiner
Reise in den Weg hätten legen können, habe entgehen wollen, und man
743
Abschnitt VI^> Prisengerichtsentscheidungen : „Easby Abbey*'.
könne darin nicht ohne weiteres eine Maßnahme erblicken, die getroffen
sei, um der Aufbringung zu entgehen. Wenn daher d^r genannte
Kapitän in seiner Vernehmung erklärt habe, diese Mittel seien alle an-
gewandt, um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen,
so sei das wiederum eine falsche Ansicht desselben. Auch die dem
visitierenden Korvettenkapitän Tanaka Eitaro bei der Visite gegebene
Antwort, der Bestimmungsort sei Shanghai, sei kindisch and verdiene
keine Berücksichtigung.
Da Kohle keine absolute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden
Falle, wo Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die Eigen-
schaft sowohl eines Kriegs- wie eines Handelshafens besitze, mangels
Gegenbeweises angenommen werden, daß sie nach dem Handelshafen
Wladiwostok befördert werden und nicht für den Kriegsgebrauch geliefert
werden solle. Daß dies billig sei, tue auch die Präcedenzentscheidung,
betreffend den im englisch-holländischen Kriege im Jahre 1798 auf-
gebrachten „Neptun US'' dar. Für den vorliegenden Fall gelte dies auch
um so mehr, als die Ladung nicht ausschließlich für den Kriegsgebrauch
verwendbar sei, sondern auch ganz allgemein im Industriebetriebe ver-
braucht werden könne.
Da so schließlich die Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes keine Konterbande sei, auch betrügerisches Vorgehen, welches
die Aufbringung rechtfertigen könne, nicht vorliege und der Eigentümer
des Schiffs von dem der Ladung verschieden sei, so werde eine Ent-
scheidung auf Freigabe des Schiffes beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit dem
Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem Haupt-
etappenort gemacht, und sie ist mit allen Kräften bemüht, dort große
Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat dort
fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebensmittel und der-
gleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich
der Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers, welche aus aus-
gewählter Cardiffkohle besteht, wie sie nur zum Gebrauch auf Kriegs-
schiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegs-
gebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande an-
zusehen. ^)
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tun us"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach Amster-
T^ »')ll."ziffer 2.
744
Piisengerichtsentscheidungen: ,,Ea8by Abbey^'. Abschnitt VI^s»
dam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im Gegenteil
kann man die Begründung jenes Urteils vielmehr zur Bekräftigung der
Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande ist,
geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vorwiegend
kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von Wladi-
wostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das in
dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen
Wladiwostoks vielmehr gleich.
Obwohl es bereits vor der Abfahrt von Cardiff bestimmt war, daß
das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, geben doch der Chartervertrag,
der Heuervertrag und das Konnossement die neutralen Häfen Hong-
kong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungsorte an. Auch noch
bei der Abfahrt von Hongkong gab der Dampfer fälschlich Shanghai
als Reiseziel an und erhielt dementsprechende Reisepapiere. Von dort
abfahrend, nahm er absichtlich einen Umweg, um durch die Soya-Straße
nach Wladiwostok zu gelangen und bei der Visitierung durch den Ver-
treter des Kommandanten der „Nippon Maru'', Tanaka Eitaro, gab
der Kapitän, Robert Prideaux, als Antwort, er gehe nach Shang-
hai. Alles dies kann nicht, wie der Vertreter der Reklamation behauptet,
als mit dem Zweck geschehen, Hinderungen der Reise durch die eng-
lischen Behörden zu entgehen, oder als kindisches Verhalten bezeichnet
werden. Vielmehr dient es alles dem Plan, absichtlich den Bestimmungs-
hafen zu verheimlichen und der Aufbringung durch die japanische
Marine zu entgehen. Das genügt, um anzunehmen, daß der Kapitän
dem mit dem Fall beauftragten Prisenrat gegenüber die Wahrheit gesagt
hat, als er aussagte, daß alle diese Mittel angewandt worden seien, um der
Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen.
Kurz, der Dampfer „Easby Abbey" hat unter Anwendung be-
trügerischer Mittel Kriegskonterbande befördert, und daß solche Schiffe,
bei denen betrügerisches Vorgehen vorliegt, zusammen mit der Konter-
bandeladung eingezogen werden können, gleichgültig, ob der Reeder
an diesem Vorgehen beteiligt ist oder nicht, wird von der völker-
rechtlichen Wissenschaft und Praxis in gleicher Weise anerkannt. -)
Überdies geht aus der eigenen Aussage des Kapitäns hervor, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff von dem Eigentümer selbst Order be-
kommen hat, nach Wladiwostok zu gehen, und die Behauptung des Ver-
treters der Reklamation, daß der Kapitän sich hierin irre, entbehrt völlig
jeder Begründung.
Da aus den obigen Gründen die Einziehung des Schiffes erfolgen
muß, so erübrigt es sich, auf die weiteren Reklamationspunkte des Re-
klamanten noch besonders einzugehen.
-^l 44.
745
Abschnitt Vl^sa Prisengerichtsentscheidungen : „Easby Abbey".
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 4. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida Shi-
^enari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson Ltd., Cardiff, England, ver-
treten durch John William Pyman.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 4. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Easby Abbey", welcher am
27. Februar 1905 bei der Insel Etorup von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Nippon Maru" beschlagnahmt worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem
auf Wegnahme des englischen Dampfers „Easby Abbey" erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat John William Pyman in Vertretung
des Reklamanten, der Firma Pyman Watson Ltd., durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr.
jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, und deren Gründe sind folgende :
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei
von dem Ladungseigentümer verschieden und habe nicht unter An-
wendung betrügerischer Mittel Konterbande geladen. Wenn daher auch
die Ladung als Konterbande angesehen werde, so könne doch das
Schiff nicht eingezogen werden.
2. Die Strafe für Konterbandetransport sei, wenn die Konterbande-
ladung nicht im Eigentum des Reeders stehe, lediglich der Verlust an
Zeit, Fracht und Kosten, die Strafe der Einziehung könne indes nicht
auferlegt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völker-
rechts, daß, wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer
Mittel verschifft sei, auch das Schiff nur eingezogen werden könne, wenn
es klar erwiesen sei, daß der Reeder Mittäter bei dem betrügerischen
Vorgehen sei. Nicht nur England erkenne dies an, sondern auch die
japanische Prisenordnung stehe auf diesem Standpunkt. In dem vor-
liegenden Fall sei aber der Reeder ganz sicher nicht Mittäter bei dem
betrügerischen Vorgehen, und es sei unrechtmäßig, wenn das Urteil
erster Instanz, ohne zu untersuchen, ob der Reeder bei dem betrüge-
716
fVisengerlchtsentscheidungen: „Easby Abbey^^ Abschnitt VI^*
rischeji Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, entschieden habe, daß
das Schiff zusammen mit der Konterbandeladung einzuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung verfügen zu können, genüge es nicht, daß in den Schiffs-
papieren lediglich der letzte Bestimmungsort nicht angegeben sei, es
sei vielmehr erforderlich, daß die Papiere mit der Absicht hergestellt
seien, der Aufbringung durch die im Kriege begriffene Marine zu ent-
jfehen, und daß diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden
JcöJine. Wie aber unten des weiteren dargetan sei, sei kein Grund vor-
handen für die Annahme, daß dje Papiere des zur Verhandlung stehenden
Schiffs mit dieser bösen Absicht hergestellt worden, noch auch daß sie
geeignet seien, um mit ihrer Hülfe der Aufbringung zu entgehen.
Jiall sage:
Wenn falsche Schiffspapiere angefertigt würden, um die auf-
bringende kriegführende Macht zu täuschen, so könnten sie
nur in den Fällen als schädlich betrachtet werden, wo da-
durch, daß sie als echte passierten, die Rechte der Kaptoren
schließlich zunichte gemacht werden könnten. Andernfalls
seien sie im allgemeinen milde zu beurteilen.
Danach betrachtet, stellten die Papiere des zur Verhandlung stehenden
Dampfers keinen ausreichenden Grad von Täuschung dar, um Einziehung
des Schiffes nach sich ziehen zu können.
4. Der Reeder habe dem Ladungseigentümer den Dampfer zum
Kohlentransport vermietet, und in dem Chartervertrag sei Hongkong,
Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungsort festgesetzt worden. Der
Reeder habe daher nicht gewußt, daß die Fahrt nach einem anderen
Ort gerichtet worden sei. Der Chartervertrag habe nach dem Rechte
Englands, wo er abgeschlossen worden sei, den Charakter eines Sach-
mietvertrages, und man müsse daher annehmen, daß der Besitz und
die Verfügungsgewalt über das Schiff damit für die Zeit auf den Charterer
übergegangen seien. Aber auch wenn man in dem vorliegenden Charter-
vertrag lediglich einen gewöhnlichen Transportvertrag erblicke, so sei
es doch offenbar, daß der Wille des Reeders über die in dem Vertrag
bezeichnete Reise nicht hinausgegangen sei. Wenn daher der Charterer
heimlich dem Kapitän Order gegeben habe, nach Wladiwostok zu gehen,
und der Kapitän diesen Befehl ausgeführt habe, könne man nicht be-
haupten, daß der Reeder an diesem Vorhaben beteiligt gewesen sei und
bei dem Konterbandetransport in Mittäterschaft stehe. Auch könne
nach den gewöhnlichen Rechtsbegriffen, wenn auch der Kapitän als
der Stellvertreter des Reeders gelte, dieser doch für willkürliche Hand-
lungen des Kapitäns, welche außerhalb von dessen gewöhnlichen Be-
fugnissen lägen, nicht haftbar gemacht werden. Um so mehr müsse
dies gelten, wo es sich um einen Kriegskonterbandetransport anter An-
747
Abschnitt VI 43a Prisengerichtsentscheidungen: „Easby Abbey'*.
Wendung betrügerischer Mittel handele, da eine solche Handlung eine
Verletzung des Völkerrechts sei.
Aus diesen Gründen könne dem Reeder dafür, daß die Schiffs-
papiere, den Chartervertrag ausgenommen, falsche Eintragungen ent-
hielten, solange nicht Beweis für die Mittäterschaft des Reeders vor-
liege, die Verantwortung nicht auferlegt werden.
5. Der Charterer habe dem Kapitän bei der Abreise des Schiffs
Order gegeben, wenn bei Ankunft in Hongkong andere Order nicht ein-
gehe, mit beliebigem Kurs nach Wladiwostok zu fahren. Wladiwostok
sei demnach zur Zeit der Abreise noch nicht als Bestimmungsort fest-
gesetzt gewesen. Erst nach Ankunft in Hongkong, als keine andere
Order vorgelegen habe, sei Wladiwostok zum Bestimmungsort gemacht
worden. Daher sei darin, daß in dem im Ausfahrtshafen hergestellten
Konnossement und den Ausklarierungspapieren Shanghai oder Kiau-
tschou als Bestimmungsort verzeichnet worden sei, durchaus nichts Ver-
dächtiges zu erblicken. Ebenso sei in Hongkong eine Ausklarierung
für Shanghai erwirkt worden, weil es zu befürchten gewesen sei, daß
die englischen Behörden die Reise nach Wladiwostok verweigern würden.
Die unwahre Angabe sei dieser Behörde gegenüber also nur gemacht
worden, um die Abfahrt zu erleichtern.' Es sei von selbst klar, daß
die Handlungen alle nicht der Absicht entsprungen seien, dadurch der
Aufbringung durch japanische Kriegsschiffe zu entgehen.
Da ferner die Ausklarierungspapiere unter den Schiffspapieren nur
eine unbedeutende Rolle spielten, so könne es nicht als ein Grundsatz
des modernen Völkerrechts anerkannt werden, daß die Eintragung eines
falschen Bestimmungsorts in diese Papiere die Strafe der Einziehung
bewirken solle.
6. Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes nach
Rußlands einzigem Handelshafen im Osten, nach Wladiwostok, zu be-
fördern gewesen sei und zu friedlichem Gebrauch dienen könne, so sei
die Entscheidung, daß sie Konterbande sei, unzutreffend. Denn die
japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt,^) daß Kohle nur
in dem Falle als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie zum
feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle.
Einmal angenommen, dieser Standpunkt entspreche den völker-
rechtlichen Grundsätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort
der in Frage stehenden Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen
im Osten, sondern auch sein einziger Handelshafen. Es sei daher un-
rechtmäßig, ohne weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle,
welche keine absolute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch be-
stimmt sei. Es müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Nep-
tun us''-Fall im englisch-holländischen Kriege im Jahre 1798 angenommen
') V. § 14.
748
Prisengerichtsentscheidungen: „Easby Abbey". Abschnitt Vl^^a
werden, daß die in Frage stehende Ladung für den Handelshafen Wladi-
wostok bestimmt sei und für friedlichen Gebrauch geliefert werden solle.
Das Urteil erster Instanz übersehe, daß auch heute noch der ge-
wöhnliche Handelsverkehr mit Wladiwostok in Ausübung begriffen sei,
und' sage, es sei eine bekannte Tatsache, daß der Handelsverkehr des
genannten Hafens gesperrt sei. Auch darin entstelle das Urteil die
Tatsachen, daß es behaupte, daß Cardiffkohle, welche überall auf der
Erd€ sowohl für den Kriegsgebrauch als für den Industriegebrauch
verwandt werde, im fernen Osten ausschließlich auf Kriegsschiffen zur
Verwendung komme. So stehe das Urteil mit dem Sachverhalt im Wider-
spruch. Auch darin sei es unbillig, daß es die einseitigen Einbildungen
des Kapitäns Robert Prideaux als Material für seine Entscheidung
angenommen habe.
Aus diesen Gründen wird Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffes beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende:
1. Schon vor der Abreise des zur Verhandlung stehenden Schiffes
von Cardiff sei Wladiwostok als Bestimmungsort festgesetzt gewesen.
Obwohl die Gesellschaft, der das Schiff gehöre, dem Kapitän Robert
Prideaux Order gegeben habe, nach Wladiwostok zu fahren, lauteten
das Konnossement, der Chartervertrag und der Heuervertrag auf die
neutralen Häfen Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungs-
ort. Auch bei der Abreise von Hongkong habe der Kapitän auf Grund
seiner fälschlichen Angabe Ausklarierung für Shanghai erhalten, habe
jedoch absichtliche einen Umweg gemacht, um durch die Soyastraße
nach Wladiwostok zu gelangen, wobei er von dem ersten Offizier in
das Privatschiffsjournal Shanghai habe eintragen lassen. Auch habe
der Kapitän bei der Visitierung durch den Stellvertreter des Kom-
mandanten der „Hippon Maru", den Offizier Tanaka Eitaro, ge-
antwortet, er führe nach Shanghai. Es sei offenbar, daß alles dieses
dem wohlüberlegten Plane entsprungen sei, durch Verheimlichung des
Bestimmungsorts der Aufbringung durch die japanischen Kriegsschiffe
zu entgehen.
Die Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers sei aus-
gewählte Cardiffkohle, wie sie im Osten ausschließlich bei der Kriegs-
marine Verwendung finde. Außerdem sei ihr Bestimmungsort, Wladi-
wostok, wie bekannt, Rußlands wichtigster Kriegshafen im Osten und
zurzeit der Hauptsammelplatz für seine Marine. Seit dem Kriege mit
Japan habe die russische Regierung den Platz zu einem Hauptetappenort
gemacht. Sie sei mit allen Kräften bemüht, dort große Kriegsvorräte
anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr habe dort fast gänzlich
749
Abschnitt Vl^a Prisengerlchtsentscheidungen : „Easby Abbey".
aufgehört. Die nach dort bestimmte Kohlenladung des zur Verhand-
lung stehenden Schiffs sei daher mit Recht als Konterbande zu betrachten.
Es entspreche daher den völkerrechtlichen Bestimmungen, das zur
Verhandlung stehende Schiff, weil es unter Anwendung betrügerischer
Mittel Konterbande befördert habe, mitsamt seiner Konterbandeladung
einzuziehen.
2. Es sei bereits von Anfang geplant gewesen, das Schiff nach
Wladiwostok fahren zu lassen. Wenn man erwäge, daß auch der Reeder
dem Kapitän Order gegeben habe, von Hongkong sogleich nach Wladl-
vtx)stok zu fahren, so sei es unbegründet, anzunehmen, daß der Reeder
nicht darum gewußt habe, daß in dem Chartervertrag, der doch mit
seiner Beteiligung abgeschlossen sei, der wahre Bestimmungsort ver-
schwiegen und ein falscher angegeben sei. Aber auch angenommen,
der Reeder habe an den Fälschungen in den Schiffspapieren keinen Anteil,
so habe doch nach der völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis das
Vorliegen oder Nichtvorliegen solcher Beteiligung auf die Bestrafung des
Schiffes keine Einwirkung.
3. Die Fälschung des Bestimmungsorts trage die größte Schädi-
gung in sich, und der Umweg, den das Schiff von Hongkong aus ge-
nommen habe, sei eine Täuschung, mit deren Hilfe das Schiff der Auf-
bringung habe entgehen wollen. Es sei daher recht, das Schiff einzu-
ziehen.
4. Punkt 4 und 5 der Berufung seien nur Erweiterungen der
Punkte 2 und 3. Punkt 6 behaupte lediglich, die Ladung sei keine
Konterbande. Es erübrige sich, noch einmal darauf zu erwidern.
Aus diesen Gründen sei die Berufung in allen Punkten unbegründet
und zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Kriege mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohlen und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers aus-
gewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so außer-
ordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur
Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft
ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden
sollte.
750
Prisengerichtseiitscheidungen: „Easby Abbey". Abschnitt VI^^^*
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus", auch in diesem Fall angenommen werden,
daß die hier in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall und die des vor-
liegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Verhandlung
stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande ist, ein-
gezogen werden können. *) Auch das Oberprisengericht hält dies für den
Verhältnissen gerecht werdend. Besonders im vorliegenden Fall, wo die
ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist, wo der Reeder dem Kapitän
bei der Abfahrt des Schiffes Order gegeben hat, nach Wladiwostok
zu gehen, während der Chartervertrag und die sonstigen Schiffspapiere
einen gefälschten Bestimmungsort enhalten; also das Schiff sich des
Transports von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
schuldig gemacht hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung-
stehenden Schiffs unfraglich gerechtfertigt ist, so liegt kein Bedürfnis vor,,
auf die einzelnen Punkte der Berufung besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: M,ann, George&Co. in London, England, ver-
treten durch den Kapitän der „Easby Abbey", Robert Prideaux.
Prozefivertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiko, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers-
„Easby Abbey", wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,
entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Einziehung der auf dem englischen Dampfer „Easby
Abbey" verladenen etwa 4005 Tons Cardiffkohlen erkannt.
^) Anders die japanische Seeprisenordnung §§ 43, 44 (V) und ihre Gmndlage^
das englische Manual of Naval Prize Law, Artiicel 82—85.
751
Abschnitt VI^^ Prisengerlchtsentscheidungen : „Easby Abbey".
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist von dem Reklamanten,
mit der Absicht, sie nach Wladiwostok in Rußland zu befördern, am
24. November 1904 auf dem gecharterten englischen Dampfer „Easby
Abbey" verladen worden. Der Dampfer ist am 7. Dezember des Jahres
von Talbot in England abgefahren, über verschiedene Häfen gereist und
bei dem Versuch, durch die Soyastraße nach Wladiwostok zu gelangen,
in der See südlich von Etorup in Treibeis geraten, wodurch er Schaden
an seinem Schiffskörper nahm und lange seine Bewegungsfähigkeit ein-
büßte. Am 27. Februar 1905 vormittags wurde der Dampfer, während
er so verschlagen und mit Reparatur beschäftigt war, von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Nippon Maru" mit der zur Verhandlung stehenden
Ladung beschlagnahmt
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Nippon Maru'', des Korvettenkapitäns
Tanaka Eitaro, die Vernehmungsprotokolle des Genannten und
des Kapitäns RobertPrideaux des genannten Dampfers, das Schiffs-
zertifikat, das Tagebuch, den Chartervertrag, den Heuervertrag und
das Konnossement.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die von dem Reklamanten, einem neutralen Staatsangehörigen,
unternommene Beförderung von Steinkohle nach Wladiwostok, einem
Hafen einer kriegführenden Macht, sei eine öffentliche Handelstrans-
aktion, welche unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkehrs stehe
und unbestreitbar eine völkerrechtlich nicht anfechtbare Handlung sei.
Da Kohle keine absolute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden
Falle, wo Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die Eigen-
schaften sowohl eines Kriegs- als eines Handelshafens besitze, mangels
Gegenbeweises, angenommen werden, daß sie nach dem Handelshafen
Wladiwostok habe befördert und nicht für den Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollen. Daß dies billig sei, tue auch die Präcedenz-Ent-
scheidung, betreffend den im englisch-holländischen Krieg im Jahre
1798 aufgebrachten „Neptunus" dar. Für den vorliegenden Fall gelte dies
auch um so mehr, als die Ladung nicht ausschließlich für den Kriegs-
gebrauch verwendbar sei, sondern solche auch ganz allgemein im In-
dustriebetriebe verbraucht werde. Daher sei es zutreffend, die zur Ver-
handlung stehende Ladung nicht als Konterbande anzusehen.
Ferner einmal angenommen, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung, obwohl keine Konterbande, feindlichen Charakter habe, weil sie
nach feindlichem Gebiet habe befördert werden sollen, so könne sie doch,
weil sie unter neutraler Flagge fahre, nach der Pariser Seerechtsdekla-
ration vom Jahre 1886 nicht eingezogen werden. Es werde daher eine
Entscheidung auf Freigabe der Ladung beantragt.
752
Prisengerichtsentscheidungen: „Easby Abbey". Abschnitt VI^^
Das Gericht ist der folgenden Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wlodiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist.
Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz 'zu
einem Hauptetappenort gemacht und sie ist mit allen Mitteln bestrebt,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr
hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle, Lebensmittel oder
•dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich
•der zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter Cardiff-
kohle besteht, wie sie im wesentlichen nur zum Gebrauch auf Kriegs-
schiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich zum Kriegs-
gebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande
anzusehen. ^)
Der Kapitän Robert Prideaux hat durch seine Aussage,
er glaube wohl, daß die Kohle in Wladiwostok der russischen
Regierung hätte geliefert werden sollen, doch wisse er es nicht
sicher,
■den wahren Charakter der Ladung enthüllt.
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem
„Neptunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die Begründung jenes Falls viel eher zur Bekräfti-
gung der Annahme, daß die hier zur Verhandlung stehende Ladung
Konterbande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen
vorwiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse
von Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich andere.
Das in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhält-
nissen .Wladiwostoks viel mehr gleich.
Da so die zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande ist,
so kann sie, obwohl unter neutraler Flagge fahrend, eingezogen werden. ^)
Dies ist von der Pariser Seerechtsdeklaration vom 16. April 1856 und
der völkerrechtlichen Wissenschaft und Praxis anerkannt.
Daher ist die zur Verhandlung stehende Ladung einzuziehen und
es wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 4. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts Uchida Shigenari.
(Unterschriften.)
0 II. Ziffer 2. — «) V. § 43.
Marstrand-Meohlenburgr, Das japanische Prisenrecht. (48) iOo
Abschnitt VI^^^ Prisengerichtsentscheldungen: „Easby Abbey*'.
Reklamant: Mann, George & Co. in London, England, ver-
treten durch den Kapitän des Dampfers „Easby Abbey", Robert
P r i d e a u X.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
■ Am 4. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers „Easby Abbey",
welcher am 27. Februar 1905 bei der Straße von Etorup von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Nippon Maru" beschlagnahmt worden ist, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Wegnahme der auf dem englischen Dampfer
„Easby Abbey" verladenen etwa 4005 Tons Cardiffkohle erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Robert Prideaux als Vertreter des
Reklamanten, der Firma Mann, George & Co. durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr.
jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberufungspunkte des Vertreters der ' Reklamation^
AkiyamaGenzo, und deren Gründe sind folgende :
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok^
dem einzigen Handelshafen Rußlands im Osten, befördert worden und
zu friedlichem Gebrauch bestimmt. Daher sei es eine ungerechte Ent-
scheidung, sie als Konterbande anzusehen.
2. Die japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt, daß
Kohle nur als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie für den
feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle. ^)
Einmal angenommen, dieser Standpunkt entspreche den völker-
rechtlichen Grundsätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort
der in Frage kommenden Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegs-
hafen, sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher
unrechtmäßig, ohne weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle^
welche keine absolute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch bestimmt
sei. Es müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Neptunus"-
Fall im englisch-holländischen Kriege vom Jahre 1798 angenommen
werden, daß die hier in Frage stehende Ladung fü-r den Handelshafen
Wladiwostok bestimmt sei und für friedlichen Gebrauch geliefert werden
solle.
Wenn das Urteil erster Instanz Wladiwostok als einen reinen Kriegs-
hafen ansehe und es mit dem in dem „Neptun us"-Urteil erwähnten
Kriegshafen Brest auf eine Stufe stelle, so sei das eine falsche Auffassung
der Tatsachen. Folglich sei auch die Präcedenzentscheidung nicht richtig
angezogen. Das Urteil erster Instanz übersehe, daß auch heute noch der
Vv^. § 14.
764
Prisengerichtsentscheldungen: „Easby Abbey''. Abschnitt VI^'^
gewöhnliche Handelsverkehr mit Wladiwostok in Ausübung begriffen sei,
und sage, es sei eine bekannte Tatsache, daß der Handelsverkehr des
genannten Hafens gesperrt sei. Auch darin entstelle das Urteil die Tat-
sachen, daß es behaupte, daß Cardiffkohle, welche überall auf der Erde
sowohl für den Kriegs- als für den Industriegebrauch verwandt werde,
im fernen Osten ausschließlich auf Kriegsschiffen zur Verwendung,
komme So stehe das Urteil mit dem Sachverhalt in Widerspruch. Auch
darin sei es unbillig, daß es die einseitigen Einbildungen des Kapitäns
Robert Prideaux als Material für seine Entscheidung angenommen
habe.
3. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff stehe die englische Praxis auf dem Standpunkt, daß Einziehung
gegen- Leistung einer Entschädigung erfolgen könne. Das kontinentale
Prinzip, welches mit den Beschlüssen des internationalen Völkerrechts-
kongresses übereinstimme, erkenne mit Bezug auf derartige Güter unter
der Bedingung der Entschädigung nur ein Recht der Beschlagnahme
oder des Vorkaufs für den kriegführenden Staat an. Japan weiche von
diesen Prinzipien und Gewohnheiten ab und bestimme in unbilliger
Strenge bedingungslose Einziehung. Besonders auch da die japanische
Seeprisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es
wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter
handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe der zur Verhandlung
stehenden Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Uchida Shigenari, sind folgende :
1. Der Reklamant habe dafür, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung zu friedlichem Gebrauch geliefert werden solle, keinerlei Be-
weis erbracht.
Wladiwostok sei nun zurzeit Rußlands einziger Kriegshafen im
Osten und der Hauptstützpunkt der russischen Flotte. Seit dem Kriege
mit Japan, habe die russische Regierung diesen Platz zu einem Haupt-
etappenort gemacht, dort seine ganze Kraft zusammengezogen und sei
bestrebt, dort Kohle und sonstige Kriegsbedarfsgegenstände anzuhäufen.
Es sei bekannt, daß der gewöhnliche Handelsverkehr dort fast gänzlich
aufgehört habe. Wenn daher Kohle und dergleichen Güter, deren
Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig sei, nach
Wladiwostok befördert würden, so sei es billig, mangels klaren Gegen-
beweises anzunehmen, daß dieselben für den Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten. Dies gelte besonders auch bezüglich der zur Verhand-
lung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter Cardiffkohle bestehe,
wie sie im Osten ausschließlich zum Gebrauch auf Kriegsschiffen diene.
(48*) 755
Abschnitt VI«h PrisengerichtsenUcheiduiigen: „Easby Abbey".
Auch habe die ,,Easby Abbey'', auf der die Kohle verladen sei,
vorsätzlich den Bestimmungsort verheimlicht und versucht, dadurch der
Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen. Daraus könne
man mit Recht folgern, daß die Kohle wirklich für den russischen Kriegs-
gebrauch zu liefern gewesen und daher Konterbande sei. Das Völker-
recht erkenne aber an, daß Konterbande, wenn auch unter neutraler
Flagge fahrend, der Einziehung nicht entgehen könne.
2. Die Punkte 2 und 3 der Berufung seien nur eine Erweiterung
der vorherigen Argumente, so daß eine besondere Erörterung derselben
überflüssig erscheine.
Aus diesen Gründen sei die Berufung in allen Punkten un-
begründet und zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr dorthin
hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn das
Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen be-
stimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden
sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr, als die
zur Verhandlung stehende Ladung ausgewählte Cardiffkohle ist und die
Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer für
den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür
vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den
russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenz-
entscheidung, betreffend den „Neptunus", auch in diesem Falle an-
genommen werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für fried-
liche Zwecke bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-
Fall und die des vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus
verschieden, und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz
andere. Es ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz aaf
den vorliegenden angewandt werden kann.
Daher sind Punkt 1 und 2 der Berufung unbegründet.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung
gegen Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädi-
gung, wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere
vertragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann daher
756
Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga". Abschnitt Vl^a
nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen habe,
wenn es diesem Ansuchen des Reklamanten nicht Folge leistete.
Demnach ist auch Punkt 3 der Berufung unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die „Vegga" - Dampfschiffahrt - Aktiengesellschaft,
Reederei des Dampfers „Vegga", Schweden, Limnham, vertreten durch
CharlesFrancisBenson, Kapitän des Dampfers „Vegga" aus Var-
berg in Schweden.
Prozefivertreter: Die Rechtsanwälte Akiyama Qenzo und
N i 8 h i N o s h u n , Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend den schwedischen Dampfer „Vegga"
wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Vegga'' wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Vegga" steht im Eigen-
tum des Reklamanten, der „Vegga''-Dampfschiffahrt-Aktiengesellschaft,
führt die schwedische Flagge und ist ein Handelsschiff, das zum Güter-
transport dient. Im Auftrage der Agentur der Reederei in West-Hartle-
pool, England, der Aktiengesellschaft JacobHessler, wurden in Barry
von der dortigen Agentur der Reederei, Watts Watts & Co. 3616
Tons rauchloser Cardiffkohle geladen, um nach Wladiwostok in Ruß-
land befördert zu werden. Der Dampfer fuhr, ohne ein Konnossement
zu besitzen, am 10. September 1904 unter der Vorgabe nach Sabang
auf der Insel Puloway zu gehen, von Barry ab. Als Bestimmungsorte
wurden Sabang, Labuan und Hongkong bezeichnet. In Hongkong an-
gekommen, ließ der Dampfer sich Ausklarierung nach Shanghai geben,
fuhr aber von dort, wie auch im Tagebuch und Maschinenjournal von
da ab richtig eingetragen wurde, ohne Shanghai anzulaufen, direkt nach
seinem Bestimmungsort. Auf dieser Fahrt wurde er am 3. März 1905
auf 340 10' n. Br. und 127 0 43' ö. L., weil er Konterbande führe, von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru'' aufgebracht.
757
Abschnitt vi^a Prisengerlchtsentscheldungen: ».Vagga".
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Nikko' Maru", Marineleutnants
Nikuta Hitoshi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der
/fVegga", Charles Francis Benson, des ersten Offiziers
Christian Nordström, des zweiten Offiziers Carl Larson und
des Obermaschinisten Berndt Frederikson, das Schiffszertifikat,
das Tagebuch, das Maschinenjournal, den Ausklarierungsschein, den Ge-
sundheitspaß, eine Tonssieuerbescheinigung und eine Leuchtturmsteuer-
quittung.
Die Hauptpunkte der Ausführungen der Vertreter der Reklamation
sind folgende:
Das zur Verhandlung stehende Schiff sei ein neutrales Fahrzeug,
und die auf ihm verschiffte Kohle gehöre der Firma Harris, Dixon
& Co. Ltd. in London, England, und sei von der Firma Furness
Withy & Co. Ltd. in West-Hartlepool als Absender verschifft. Daher
seien Schiffseigentümer und Ladungseigentümer verschieden.
Der Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden Schiffes,
Wladiwostok, sei in dem Tagebuch offen angegeben. Wenn daher
auch in den anderen Papieren ein falsches Reiseziel verzeichnet sei,
so könne* man deshalb nicht behaupten, daß dafs Schiff auf betrügerische
Weise der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen ver-
sucht habe.
Selbst wenn man demnach annehme, daß die Kohlenladung des
Schiffs Konterbande sei, könne doch das Schiff nicht eingezogen werden.
Viel weniger daher, wo die Kohle keine Konterbande sei, sondern als eine
gewöhnliche, zum Transport nach dem Handelshafen Wladiwostok be-
stimmte Ladung angesehen werden müsse.
Aus diesen Gründen sei das zur Verhandlung stehende Schiff
freizugeben.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Es stehe außer Zweifel, daß die auf dem zur Verhandlung stehenden
Schiff verladene Kohle Konlerbande sei. Auch habe das Schiff sich
bei der Beförderung derselben betrügerischer Mittel bedient, und es
könne nicht angenommen werden, daß der Eigentümer des Schiffes und
der Kohle derselbe sei. . Daher müsse das zur Verhandlung stehende
Schiff eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Bestimmungen und die Praxis des Völkerrechts stehen auf
dem Standpunkt, daß Schiffe, welche unter Anwendung betrügerischer
Mittel Konterbande führen und bei denen der Eigentümer des Schiffs
und der Ladung derselbe ist, eingezogen werden müssen.
Die auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff verladene Kohle
ist nach Wladiwostok bestimmt, dem einzigen Flottenstützpunkt Ruß-
758
Prisengerichtsentscheidungen: ,.Vegga". Abschnitt Vl^a
lands im Osten. Ihrer Qualität nach ist sie rauchlose Cardiffkohle,
wie sie so gut wie ausschließlich bei der Kriegsmarine zur Verwendung*
kommt. Weil sie somit für den feindlichen Kriegsgebrauch bestimmt
war, ist sie Konterbande, i)
Die Firma Jacob Hess 1er & Co. in West-Hartlepool trug dem
Kapitän auf, im Bestimmungsort in Verbindung mit Ginsburg über
die Kohle zu verfügen, und der Kapitän sagt aus, daß er nach Ankunft
in Hongkong erfahren habe, daß Oinsburg in Wladiwostok sei.
Danach zu schließen, hat es schon vor Verschiffung der Kohle fest-
gestanden, daß sie nach Wladiwostok gehen sollte. Trotzdem hat der
•Dampfer nach seiner Abfahrt von Barry während der Reise andauernd
fälschlicherweise neutrale Häfen als Bestimmungsort angegeben. Ins-
besondere hat er in Hongkong sich Auskkrierung nach Shanghai geben
lassen, welches er gar nicht anzulaufen beabsichtigte, und ist direkt
nach Wladiwostok abgefahren.
Da dies unfraglich geschehen ist, um der Aufbringung durch
die japanischen Kriegsschiffe zu entgehen, so ist es klar, daß das Schiff
sich des Konterbandetransports unter Anwendung betrügerischer Mittel
schuldig gemacht hat. Wenn auch seit der Abreise von Hongkong
im Tagebuch und Maschinenjournal Wladiwostok als Reiseziel ein-
getragen worden ist, so kann doch das Schiff um dieses unbedeutenden
Punktes willen nicht dem Vorwurf des Konterbandetransports unter
'Anwendung betrügerischer Mittel entgehen.
Da ferner die Kohle im Auftrage einer Agentur des Reeders
von einer anderen Agentur desselben verladen worden ist, so muß
vermutet werden, daß sie im Eigentum des Reeders steht. Weder
aus den Aussagen der Besatzung noch den auf dem Schiff vorgefundenen
Papieren, noch auch sonst ergibt sich ein Beweis für das Vorhandensein
eines anderen Eigentümers.
Die Vertreter der Reklamation haben eine Vollmacht der Firma
Harris, Dixon & Co. und eine Abschrift des Konnossements ein-
gereicht und behaupten, das Schiff und die Ladung stünden in ver-
schiedenem Eigentum. Aber in der Vollmacht bezeichnen sich Harris,
Dixon & Co. einfach selbst als Eigentümer der Ladung, ohne dafür
irgendwie Beweise beizubringen.
Was ferner die Abschrift des Konnossements angeht, so ist sie
weder auf dem Schiff vorhanden gewesen, noch trägt sie die eigen-
händige Unterschrift der betreffenden Firma. Deshalb kann ihr keine
Anerkennung zuteil werden; es muß vielmehr angenommen werden,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff im gleichen Eigentum steht
wie die auf ihm verladene Konterbande.
1) II. Ziffer 2.
759
Abschnitt VI 44a Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga^'*
Das zur Verhandlung stehende Schiff ist daher mit Recht ein-
zuziehen, ^) und es wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juni 1905 im Prisengericht zu Sasebo, im Bei-
sein des Staatsanwalts MizukamiChojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Die „Vegga" - Dampfschiffahrt - Aktiengesellschaft^
Schweden, Limnham, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
„Vegga", Charles Francis Benson, aus Varberg in Schweden.
Prozefivertreten Die Rechtsanwälte Akiyama Genzound
Nishi Koshun, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokbhama, Yama-
shitacho Nr. 75.
Am 10. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend den schwedischen Dampfer „Vegga", welcher am
3. März 1905 auf 34 o 10 ' n. Br. und 127 M3 ' ö. L. von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Nikko Maru" aufgebracht worden ist, ein Urteil gefällt,
in welchem auf Einziehung des Dampfers „Vegga'' erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Charles Francis Benson als Ver-
treter des Reklamanten, der „V)egga"-Dampfschiffahrt-Aktiengesellschaft,
durch die Rechtsanwälte AkiyamaOenzo und Nishi Koshun die
Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte T s u t s u k i
K e i r o k u und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht
geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte der Vertreter der Reklamation, Aki-
yama Genzo und Nishi Koshun, sind folgende:
Die am 10. Juni 1905 vom Prisengericht zu Sasebo gefällte Ent-
scheidung auf Einziehung des Dampfers „Vegga" sei unzutreffend. Es
werde Aufhebung des Urteils und Freigabe des genannten Dampfers be-
antragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Der Eigentümer des zur Verhandlung stehenden Schiffs sei
verschieden von dem der Ladung und er habe sich keiner betrügerischen
Handlungen schuldig gemacht. Das Gericht erster Instanz habe indessen
unzutreffenderweise entschieden, daß das Schiff und Ladung im selben
Eigentum stünden und daß die Ladung unter Anwendung betrügerischer
Mittel verschifft und befördert worden sei.
2. Das Urteil erster Instanz behaupte, die Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffs sei nach Wladiwostok bestimmt, dem ein-
zigen Flottenstützpunkt Rußlands im Osten, und ihrer Qualität nach sei
') V.~§ 43.
760
Priaengerichtsentscheidungen: „Vegga". Abschnitt VI 44s
sie Cardiffkohle, wie sie fast ausschließlich bei der Kriegsmarine zur
Verwendung komme. Sie sei demnach als zum feindlichen Kriegsgebrauch
bestimmt und als Konterbande anzusehen.
Wladiwostok sei aber nicht nur ein Kriegshafen Rußlands, sondern
auch sein einziger Handelshafen im Osten. Handel- und Gewerbe-
treibende Jller Länder hätten an diesem Handelsplatz Niederlassungen
eröffnet und übten zurzeit ihre Geschäfte dort aus. Es könne daher nicht
als zutreffend erachtet werden, wenn man Kohle, die dorthin befördert
werde, lediglich mit der Begründung, daß Wladiwostok Kriegshafen sei,
ohne weiteres als Kriegsbedarfsgegenstand betrachte. Es sei bekannt,
daß in unserer Zeit Cardiffkohle nicht ausschließlich bei der Marine
zur Verwendung komme, vielmehr ganz allgemein im Handels- und In-
dustriebetrieb und auch zu sonstigem Gebrauch verwandt werde.
In einem Falle, wo eine zu kriegerischem und friedlichem Gebrauch
verwendbare Ladung, wie Kohle, nach einem Hafen versandt werde, der
wie Wladiwostok die Eigenschaft eines Handels- und eines Kriegshafens
in sich vereinige, müsse angenommen werden, daß es den Satzungen
und der Praxis des Völkerrechts entspreche, wenn man in Nachachtung
des Urteils im „Neptun us''-Fall vom Jahre 1798 entscheide, daß die
Kohle nach dem Handelshafen Wladiwostok habe befördert und zu fried-
lichem Gebrauch geliefert werden sollen.
3. Das Urteil sage, daß
der Dampfer nach seiner Abfahrt von Barry während der
Reise andauernd fälschlicherweise neutrale Häfen als Bestim-
mung angegeben habe. Insbesondere habe er in Hongkong
sich Ausklarierung nach Shanghai geben lassen, welches er
gar nicht anzulaufen beabsichtigt habe, und sei direkt nach
Wladiwostok abgefahren. Da dies unfraglich geschehen sei, ^
um der Aufbringung durch die japanischen Kriegsschiffe zu
entgehen, so sei es klar, daß das Schiff sich des Konterbande-
transports unter Anwendung betrügerischer Mittel schuldig-
gemacht habe.
Wenn aber der Dampfer nach der Abfahrt von Barry als Bestimmung
neutrale Häfen angegeben habe, so sei das geschehen, um die Mann.-
schaft, welche keine Neigung gehabt habe, nach Wladiwostok zu gehen,
den Bestimmungsort nicht wissen zu lassen. Als in Labuan der Mann-
schaft gesagt worden sei, daß das Schiff nach Wladiwostok bestimmt
sei, habe dieselbe sofort auf ihre Abmusterung gedrungen, so daß diese
bei ihrer Ankunft in Hongkong unvermeidlich geworden und eine neue
Mannschaft angemustert worden sei.
Daß ferner das Schiff sich in Hongkong Ausklarierung für Shanghai
habe geben lassen, habe seinen Grund darin, daß es bei seiner Agentur
gehört habe, daß es schwierig sein würde, Ausklarierung für Wladiwostok
761
Abschnitt Vl^a Prisengerichts entscheidiingeii: „Vegga'\
zu erhalten. Daher sei der betreffenden Behörde eine faisthe Angabe
gemacht und Ausklarierung für Shanghai genommen worden.
Daß diese Handlungen nicht in böser Absicht begangen seien, um
dadurch der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen,
werde daraus offenbar, daß in dem Tagebuch und dem Maschinenjournal
des zur Verhandlung stehenden Schiffes Wladiwostok als BestÜnmungsort
eingetragen sei. Wenn man annehmen wolle, daß die Absicht, die Kap-
toren zu täuschen, vorgelegen habe, so hätten doch auch falsche Ein-
tragungen in das Tagebuch gemacht werden müssen. Denn es sei klar,
daß, wo dies nicht geschehen sei, vielmehr nur in der Ausklarierung der
Bestimmungsort verheimlicht, in den übrigen Schiffspapieren aber der
wahre Bestimmungsort angegeben sei, ein möglicherweise beabsichtigter
Betrug nicht hätte erreicht werden können. Denn es könne nicht ab-
genommen werden, daß die Kaptoren auf diese unmögliche Weise hätten
getäuscht werden können. Diese Handlungen könnten daher nicht als
das angesehen werden, was das Völkerrecht als betrügerische Mittel be-
zeichne.
4. Das Urteil erster Instanz habe entschieden, daß
die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs im Auf-
trag der Agenten der Reeder verschifft worden sei und daher
im Eigentum der letzteren stehe.
In dem Bericht des Offiziers, der die Beschlagnahme ausgeführt habe,
betreffend die Umstände derselben, heiße es indes,
daß die Frau des Kapitäns, ohne gefragt zu sein, gesagt habe,
daß die Kohlen demselben Eigentümer gehörten, wie der „Syl-
viana".3) Als dann der Kapitän darüber gehört worden sei,
habe er anfangs gesagt, er wisse nichts darüber, später aber
diese Tatsachen zugestanden Da unter den Schiffs-
papieren kein Frachtbrief vorhanden gewesen sei, so habe er
angenommen, daß dieser wohl verborgen worden sei. Nach
vielen Vernehmungen habe der Kapitän endlich gesagt, daß
er von dem Ladungseigentümer mündlich beauftragt worden
sei, nach Ankunft in Wladiwostok M. Qinsburg Mitteilung
zu machen.
Daraus müsse man entnehmen, daß die Ladung nicht dem Reeder
gehöre, sondern daß ein anderer Eigentümer vorhanden sei. Da eine
Erörterung über die Beziehungen von M. Ginsburg und Harris &
D ixon bezüglich der Ladung überflüssig sei, so werde darauf hier nicht
eingegangen. Schon daraus aber, daß Harris & Dixon auf eigenen
Antrieb die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes als ihr
Eigentum bezeichnet und dem Prozeßvertreter die von diesem einge-
reichte Vollmacht geschickt hätten, könne man vermuten, daß die Ladung
3) VI. 39 a und b.
762
Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga". Abschnitt VI^«
flicht im Eigentum der Reeder stehe, daß vielmehr ein anderer richtiger
Eigentümer vorhanden sei.
Was ferner die Tatsache angehe, daß die zur Verhandlung stehende
Ladung im Auftrag der Agentur der Reeder verschifft worden sei, so
habe der Reklamant als Seetransportfirma einen Gütertransport für eine
andere Person übernommen, und in solchem Fall sei es ein ganz natür-
liches'geschäftsmäßiges Vorgehen, die Verschiffung entweder so zu be-
werkstelligen, daß der Reeder selbst dem Kapitän Order gebe oder durch
seinen Vertreter geben lasse. Wenn auf Grund dieser Tatsachen an-
genommen worden sei, daß die Ladung dem Reeder gehöre, so sei das
eine verfehlte Vermutung.
Kurz, das zur Verhandlung stehende Schiff sei nicht schuldig,
Kohle, die als Konterbande angesehen werden müsse, unter Anwendung
betrügerischer Mittel verladen zu haben. Auch könne es aus dem
Grunde, daß die Ladung nicht dem Reeder gehöre, nicht eingezogen
werden.
Auch einmal angenommen, die Ladung sei Konterbande, so könne
das Schiff doch nicht die Strafe der Einziehung mit der Ladung teilen,
da der Reeder darum nicht gewußt habe und bei dem Transport nicht
im Einverständnis gewesen sei.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rokuro, sind folgende:
L Nach dem Inhalt der Aussage des Reklamanten, d. h. des
Kapitäns, in der Vernehmung durch den mit dem Fall beauftragten
Rait und daraus, daß kein Konnossement an Bord gewesen, noch irgend-
welcher Beweis dafür vorhanden sei, daß ein anderer der Eigentümer
der Steinkohle sei, müsse man annehmen, daß die Kohle im Eigentum
von Jacob Hessler & Co., d. i. der Agentur der Reederei, stehe
und daß Schiff und Ladung denselben Eigentümer hätten. Freilich
habe der Reklamant bei der mündlichen Verhandlung über diese Re-
klamation die Vollmacht von Harris &'Dixon, welche sich selbst als
Eigentümer der Kohle bezeichnet hätten, und eine Abschrift des Kon-
nossements vorgelegt. Es sei aber zutreffend, wenn das Gericht erster In-
stanz dieselben nicht als beweiskräftig anerkannt habe, da solche Schrift-
stücke unter den Beteiligten jederzeit hergestellt werden könnten, und sich
lediglich an die Aussage des Kapitäns gehalten und angenommen habe,
daß Schiff und Ladung demselben Eigentümer gehörten.
2. Das Gericht erster Instanz habe freilich angenommen, daß das
Schiff sich bei der Beförderung der Konterbande betrügerischer Mittel
bedient habe. Es habe aber nicht angenommen, daß es dies bei der
Verschiffung derselben getan habe.
Der Kapitän habe von JacobHessler Order bekommen, über die
763
Abschnitt VI^* Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga"^.
erhaltene Kohle am Bestimmungsort im Einvernehmen mit Qinsburg ^
zu verfügen. Danach sei Wladiwostok von vornherein als Bestimmungs-
ort festgesetzt gewesen. Das Schiff habe aber seit seiner Abfahrt von
Barry vorsätzlich während seiner Reise neutrale Häfen als Bestinmiungs-
orte vorgegeben. Besonders habe es sich auch in Hongkong einen Aus-
klarierungsschein nach Shanghai ausstellen lassen, obwohl dort anzu-
laufen gar nicht beabsichtigt gewesen sei; und, obgleich das 'Schiff
mit dieser Ausklarierung versehen worden sei, sei es tatsachlich direkt
nach Wladiwostok gefahren, so daß man nicht annehmen könne, daß-
die Ausstellung unbeabsichtigt geschehen sei. Es sei vielmehr gar iiicht
zu verdecken, daß dies eins der gewöhnlichsten Mittel gewesen sei^
um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen.
Die von dem Urteil erster Instanz angenommenen Tatsachen seien
daher zutreffend und die Berufung sei, weil in allem unbegründet, zu
verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmte Steinkohle für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden
sollte und daher Kriegskonterbande sei. Dies um so mehr, als die Kohlen-
ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers ausgewählte Cardiff-
kohle ist, und die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine
Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle
für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus'' auch in diesem Falle angenommen werden,,
daß die in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt ge-
wesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall und die des vor-
liegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist ^
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. *) Das Oberprisengericht ist der An-
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage^
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
764
Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga". Abschnitt VI 44b
sieht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders im vor-
liegenden Falle, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande Ist.
Auch würfle, obwohl von Anfang der Reise in Barry an Wladiwostok als
Bestimmungsort festgesetzt war, zunächst Sabang als solcher angegeben,
■dann des öfteren der Bestimmungsort gewechselt, immer aber fälsch-
licherweise ein neutraler Hafen vorgegeben. Insbesondere ließ sich das
. Schiff in Hongkong auf Grund seiner Angaben Ausklarierung für
Shanghai geben, welches es anzulaufen gar nicht beabsichtigte, und fuhr
dann direkt nach Wladiwostok. Da das Schiff demnach von Anfang an
vorhatte, die auf ihm verschiffte Konterbandeladung von Cardiffkohle
nach Wladiwostok zu schaffen, so sind die falschen Eintragungen in den
Schiffspapieren mit der Absicht gemacht worden, für den Fall einer
Aufbringung auf der Reise durch japanische Kriegsschiffe der Weg-
nahme des Schiffes vorzubeugen. Es liegt demnach nichts anderes vor,
als die Anwendung betrügerischer Mittel zur Ausführung eines Konter-
bandetransports.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des Schiffs unfraglich ge-
rechtfertigt ist, so liegt keine Notwendigkeit vor, auf die einzelnen
Punkte der Berufung noch besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Furness, Withy & Co. Ltd., England, County
Durham, West-Hartlepool, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
f;Vegga", Charles Francis Benson aus Varberg in Schweden.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Akiyama Genzo und
Nishi Noshun, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashi-
tacho Nr. 75.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des schwedischen
Dampfers „Vegga", wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Die auf dem Dampfer „Vegga" verladenen 3616 Tons Steinkohlen
werden eingezogen.
765
Abschnitt VI 44b Prisengerichtsentscheidungen: „Vegga'^
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende Ladung von 3616 Tons rauchloser
Cardiffkohle ist auf dem schwedischen Dampfer „Vegga" in| Auftrag
der Agentur der Reederei des Dampfers, der Firma Jacob Hessler
& Co. Ltd., in Weest-Hartlepool, England, von der Agentur der Ree-
derei in Barry, Watts, Watts & Co., verladen worden, um nach
Wladiwostok in Rußland befördert zu werden.
Am 10. Dezember 1904 fuhr der Dampfer von Barry über Sabang,
Labuan und Hongkong nach Wladiwostok ab. Auf dieser Reise wurde
die zur Verhandlung stehende Ladung am 3. März 1905 auf 34 ^ 10'
n, Br. und 127 ^ 43' ö. L. zusammen mit dem genannten Dampfer von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Nikko Maru", Marineunter-
leutnants Nikuta Hitoshi, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
der „Vegga", Charles Francis Benson, des ersten Offiziers
Christian Nordström, des zweiten Offiziers Carl Larson, des
Obermaschinisten Berndt Frederikson, durch das Schiffs-
zertifikat, das Tagebuch und das Maschinenjournal.
Die Hauptpunkte der Vertreter der Reklamation sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Kohle sei von dem Reklamanten
als Absender auf dem Dampfer „Vegga" verschifft worden, um nach
Wladiwostok befördert zu werden.
Kohle sei nur, wenn anzunehmen sei, daß sie für den feind-
lichen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte, Konterbande, und Güter,
welche nach einem Hafen, der wie Wladiwostok die Eigenschaften eines
Kriegshafens und eines Handelshafens in sich vereinige, geschickt
würden, seien nicht als für den Kriegsgebrauch, sondern vielmehr für
friedlichen Gebrauch bestimmt, daher nicht als Konterbande anzusehen.
Daß dies billig sei, tue die Präcedenzentscheidung in der Prisensache,
betreffend die „Neptunus" dar.
Selbst wenn man die zur Verhandlung stehende Kohle als feind-
liches Gut ansehen wolle, so sei es doch ein unrechtmäßiges Vorgehen
gewesen, sie zu beschlagnahmen, da sie unter neutraler Flagge ge-
fahren sei.
Aus diesen Gründen sei die zur Verhandlung stehende Ladung
freizugeben.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Kohle sei nach Wladiwostok, dem
Hauptflottenstützpunkt Rußlands, bestimmt gewesen. Sie sei daher, weil
es offenbar sei, daß sie zu feindlichem Kriegsgebrauch habe dienen
sollen, Konterbande. Deshalb sei sie einzuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
766
Prisengerichtsentscheldungen: „Vegga". Abschnitt Jfl^^
Die Vertreter der Reklamation behaupten, daß der Reklamant der
Absender der zur Verhandlung stehenden Ladung sei. Die als Beweis
hierfür eingereichte Abschrift des Konnossements ist aber weder auf
dem Schiff vorhanden gewesen, noch trage sie die eigenhändige Unter-
schrift des Ausstellers. Daher könne ihr keine Anerkennung gewährt
werden. Danach ist das rechtliche Interesse i) des Reklamanten an
der zur Verhandlung stehenden Ladung als nicht erwiesen zu erachten,
und die Reklamation ist abzuweisen.
Die zur Verhandlung stehende Ladung ist Cardiffkohle, wie sie
zurzeit vorzugsweise auf Kriegsschiffen zur Verwendung kommt. Ihr
Bestimmungsort, Wladiwostok, ist Rußlands einziger Kriegshafen im
Osten und gegenwärtig der Hauptstützpunkt seiner Flotte. Es ist da-
her gerechtfertigt anzunehmen, daß die Kohle, wenn sie dort ankommen
würde, sicher zum Kriegsgebrauch des Feindes dienen würde.
Sie ist daher als Konterbande anzusehen 2) und muß mit Recht
eingezogen werden. 3)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 10. Juni 1905 im Prisengericht zu Sasebo, im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizükami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Furness, Withy & Co. Ltd., England, County
Durham, West-Hartlepool, vertreten durch Charles Francis Ben-
son, Kapitän des Dampfers „Vegga" aus Schweden, Varberg.
Prozeßvertreter: Die Rechtsanwälte Akiyama Qenzo und
Nishi Koshun, Regierungsbezirk Kanagawa, Yokohama, Yama-
shitacho Nr. 75.
Am 10. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des schwedischen Dampfers „Vegga",.
w^elcher am 3. März 1905 auf 34 » 10' nördlicher Breite und 127 0 43'
östlicher Länge von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" be-
schlagnahmt \cx)rden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Abweisung^
der Reklamation und auf Einziehung der auf dem Dampfer „Vegga"
verschifften 3616 Tons Steinkohlen erkannt. worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Charles Francis Benson als Ver-
treter des Reklamanten, der Firma FurnessWithy&Co. Ltd., durch
die Rechtsanwälte Akiyama Genzo und Nishi Koshun als Pro-
zeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte
»)Tvr§ 16,2. — 23 II. Ziffer 2. - •) V. § 43.
767
Abschnitt Vl^t* Prisengeiichtsentschei düngen: „Vegga".
Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. IshiwatariBinichi beim Ober-
prisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Vertreter der Reklamation,
Akiyama Genzo und Nishi Koshun, sind folgende:
Am 10, Juni 1905 habe das Prisengericht zu Sasebo ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Abweisung der vorliegenden Reklamation und Ein-
ziehung der auf dem Dampfer „Vegga" verschifften 3616 Tons Stein-
kohlen erkannt worden sei. Diese Entscheidung sei unzutreffend, es
werde Aufhebung derselben und Freigabe der zur Verhandlung stehenden
Ladung beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei weder Eigentum des
Reeders noch Kriegskonterbande. Es sei daher unzutreffend, wenn das
Gericht erster Instanz angenommen habe, daß sie dem Reeder gehöre
und Konterbande sei, und daraufhin auf Einziehung dieser Ladung mit-
samt dem Schiff entschieden habe.
2. Das Gericht verweigere der von dem Reklamanten zum Beweise
dessen, daß er der Absender sei, eingereichten Kopie des Konnossements
•die Anerkennung, mit der Begründung, daß sie nicht auf dem Schiff
vorhanden gewesen sei und nicht die eigene Unterschrift des Reklamanten
trage. Die darauf gegründete Entscheidung, welche dem Reklamanten
das rechtliche Interesse an der Ladung abspreche und die Reklamation
abweise, sei unzutreffend. Denn der Grund, weshalb das Konnosse-
ment in Kopie eingereicht sei, sei der, den Inhalt des zur Zeit der Ver-
schiffung der Ladung ausgestellten, aber von Anfang auf dem Schiff
nicht vorhanden gewesenen Originals, der derselbe gewesen sei wie der
der Kopie, darzutun. Es sei in den Regeln über die Beweisaufnahme
anerkannt, daß im Falle des Nichtvorhandenseins des originalen Be-
weisdokuments eine Kopie an seiner Stelle dienen könne. Wenn daher
auch die Unterschrift nicht die eigene Unterschrift des Reklamanten sei,
so müsse doch in einem solchen Falle die Beweiskraft der Kopie an-
erkannt werden. Weshalb das Original nicht auf dem Schiff vorhanden
gewesen sei, ergebe sich aus dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns,
wo es heiße:
der Grund dafür, daß er kein Konnossement habe, sei der,
daß die Verschiffung der Kohle am Sonnabend fertig gewesen
und daß er am selben Abend abgereist sei. Wenn er bis zum
Montag gewartet hätte, wäre ihm das Konnossement aus-
gehändigt worden. Da er aber am Sonnabend abgefahren sei,
habe er es nicht erhalten können und es habe ihm nach-
geschickt werden sollen. Daher habe er es nicht an Bord
gehabt.
Daraus ergebe sich, daß das Konnossement über die zur Verhandlung
stehende Ladung zur Zeit der Verschiffung ordnungsmäßig ausgestellt
768
Prisengerichtsentscheidungen: .Vegga". Abschnitt VI 44b
und in Händen der Agentur des Schiffes gewesen, von dieser aber dem
Kapitän nicht geschickt worden sei. Daher habe das Schiff nicht mit
dem Original versehen werden und dieses nicht bei der Aufbringung
vorgelegt werden können.
Es sei freilich nicht zu bestreiten, daß das Nichtvorhandensein
des Konnossements auf dem Schiff den gebräuchlichen Regeln zuwider
sei. Dem Fehlen des Konnossements liege aber kein böser Glaube auf
selten des Reeders oder des Kapitäns zugrunde, insofern als das Nicht-
vorhandensein nicht von ihnen .beabsichtigt, sondern schließlich nur
die Folge einer Versäumnis der Agentur des Dampfers gewesen sei.
Daraufhin dem Absender und Reklamanten die Verantwortung dafür
aufzuerlegen, und seine Reklamationsbefugnis zu leugnen, sei eine Ent-
scheidung, welche der Vernunft zuwiderlaufe.
3. Das Gericht erster Instanz habe folgendes entschieden:
die zur Verhandlung stehende Ladung sei Cardiffkohle, wie
sie zurzeit vorzugsweise auf Kriegsschiffen zur Anwendung
komme. Der Bestimmungsort, Wladiwostok, sei Rußlands
einziger Kriegshafen im Osten und gegenwärtig der Haupt-
stützpunkt seiner Flotte. Es sei daher gerechtfertigt, anzu-
nehmen, daß die Kohle, Venn sie dort ankommen würde, zum
Kriegsgebrauch des Feindes dienen würde. Daher sei sie
als Konterbande anzusehen und müsse mit Recht eingezogen
werden.
Wladiwostok sei aber nicht nur ein Kriegshafen Rußlands, sondern
auch sein einziger Handelshafen im Osten, in dem alle Arten von Handels-
und Gewerbeunternehmungen betrieben würden. Auch zur Zeit der Be-
förderung der zur Verhandlung stehenden Ladung hätten Handels- und
Gewerbetreibende aller Länder dort nach wie vor ihre Geschäfte be-
trieben. Es könne daher nicht als zutreffend erachtet werden, wenn
man Kohle, die dorthin befördert werde, lediglich mit der Begründung,
daß Wladiwostok Kriegshafen sei, ohne weiteres als Kriegsbedarfsgegen-
stand betrachte. Es sei ^bekannt, daß in unserer Zeit Cardiffkohle nicht
ausschließlich bei der Marine zur Verwendung komme, vielmehr ganz
allgemein im Handels- und Industriebetrieb und auch zu sonstigem
Gebrauch verwandt werde.
In einem Falle, wo eine zu kriegerischem und friedlichem Gebrauch
verwendbare Ladung wie Kohle nach einem Hafen versandt werde, der
wie Wladiwostok die Eigenschaften eines Handels- und eines Kriegs-
hafens in sich vereinige, müsse angenommen werden, daß es den
Satzungen und Gebräuchen des Völkerrechts entspreche, wenn man
nach dem schon in anderen Fällen zitierten Urteil des „Neptunus"-Falles
entscheide, daß die Kohle nach dem Handelshafen Wladiwostok habe
befördert und zu friedlichem Gebrauch geliefert werden sollen.
Marstrand-Meohlenburir, Das japanlBoho Prisenrecht. (49) TOll
Abschnitt VI 44b Prisengerichtsentscheidungen: .Vegga*.
Kurz, der Reklamant sei der Absender der zur Verhandlung
stehenden Ladung und habe somit ein rechtliches Interesse an derselben.
Femer sei die Ladung keine . Kriegskonterbande. Es werde daher An-
nahme der zur Verhandlung stehenden Reklamation und Freigabe der
zur Verhandlung stehenden Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsu-
rokuro, sind folgende:
1. Da für die Behauptung des Reklamanten, daß die zur Verhand-
*lung stehende Ladung in seinem Eigentum stehe, und daß er der Ab-
sender derselben sei, keinerlei Beweis erbracht worden sei, so müsse
man annehmen, daß der Reklamant keinerlei Beziehungen zu der Ladung-
habe. Da ihm demnach keine Reklamationsbefugnis zustehe, so sei
die Entscheidung erster Instanz auf Abweisung der Reklamation,
begründet.
2. Da die zur Verhandlung stehende Ladung ausschließlich bei
der Marine zur Verwendung kommende rauchlose Cardiffkohle, und ihr
Bestimmungsort Wladiwostok sei, der einzige Kriegshafen Rußlands im
Osten und Hauptstützpunkt für seine Flotte; da ferner der Empfänger
der Ladung.der russische Regierungslieferant, der bekannte G i n s b u r g ,,
sei, so sei es sicher, daß sie, wenn sie angekommen wäre, zum feind-
lichen Kriegsgebrauch geliefert worden wäre. Daher sei die Annahme
des Gerichts erster Instanz, daß die Ladung Konterbande, und die
Entscheidung, daß sie einzuziehen sei, zutreffend.
Demnach sei die Berufung, weil in allen Punkten unbegründet,,
abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Schiffspapiere und andere Beweismittel, welche dartun könnten^
daß der Reklamant ein rechtliches Interesse an der zur Verhandlung
stehenden Kohle hat, sind nicht vorhanden. Der Reklamant hat freilich
bei der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zum Beweise
dafür, daß Harris & Dixon die Eigentümer der zur Verhandlung
stehenden Ladung seien, eine Vollmacht und eine Abschrift des Kon-
nossements eingereicht. Diese Vollmacht beweist indes nichts weiter^
als daß Harris & Dixon, ;weil sie die Eigentümer der zur Ver-
handlung stehenden Kohle seien, dem Rechtsanwalt und Prozeßvertreter
der zur Verhandlung stehenden Berufung, Akiyama Genzo, zur
Einreichung der Reklamation den Auftrag gegeben haben. Sie beweist
aber nicht, daß die Kohle der Firma Harris & Dixon gehört.
Was ferner die erwähnte Kopie des Konnossements arigieht, so kann
dieselbe jederzeit von dem Vertreter des Reklamanten, dem Kapitän,
hergestellt worden sein.
770
Prisengerichtsentscheidungen: .Vegga'. Abschnitt VI^^
Daher ist es durchaus begründet, wenn das Gericht erster Instanz
unter Verwerfung dieser Beweise angenommen hat, daß außer dem Reeder
ein Interessent an der Ladung nicht vorhanden ist, und die Reklamation
des Reklamanten abgewiesen hat.
Demnach ist die Berufung im Eingang des Punktes 1 und im
Punkt 2 unbegründet.
Selbst wenn man einmal annimmt, der Reklamant habe rechtliches
Interesse an der zur Verhandlung stehenden Kohle, so steht doch das
Völkerrecht auf dem Standpunkt, daß Güter, wie Kohle, Lebensmittel
und dergleichen, im Falle, daß sie für die feindliche Armee oder Marine
bestimmt sind oder nach einem Platz im Feindesland gehen und an-
genommen werden muß, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Armee
und Marine dienen würden, als Kriegskonterbande anzusehen sind und
eingezogen werden können.
Es ist nun aber unbestritten, daß die zur Verhandlung stehende
Cardiffkohle nach Wladiwostok bestimmt gewesen und auf der Reise
dorthin von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nikko Maru" beschlagnahmt
worden ist. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster
Kriegshafen und sein Hauptflottenstützpunkt ist. Seit dem Krieg mit
Japan hat es diesen Platz zum Hauptstützpunkt für seine Armee und
Marine gemacht. Es ist mit ganzer Kraft bestrebt, dort große Kriegs-
vorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr in diesem Hafen
ist fast ganz zum Stillstand gekommen. Es ist daher durchaus be-
gründet, wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die
nach diesem Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegs-
gebrauch geliefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien.
Dies um so mehr, als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden
Dampfers ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten
so außerordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegs-
schiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit
unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach der Art der Präcedenz-Ent-
scheidung, betreffend den „Neptunus'', auch in diesem Fall angenommen
werden, daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke
bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us"-Fall und die
des vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden
und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es
ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewandt werden kann.
Daher sind auch der letzte Teil des Punktes 1 und der Punkt 3
der Berufung unbegründet.
(49*) 771
Abschnitt VI« Prisengerichtsentscheidungen: .Venus*.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 5. September 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Cornhill Steamship Company, England, Lon-
don, Grace Church Street Nr. 81, vertreten durch den Kapitän des
Dampfers „Venus", William Fargher.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kjobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Venus"
und seine Ladung wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt,
entschieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Venus'' und
seiner Ladung von etwa 5200 Tons Cardiffkohle entschieden.
Tatbestand und G.r ü n d e :
Der Dampfer „Venus" steht im Eigentum des Reklamanten, sein
Heimatshafen ist London in England und er ist ein Handelsschiff,
welches die englische Flagge führt. Der Reklamant ist selbst der Be-
frachter. Er hat in Cardiff inf England ungefähr 5200 Tons z^x'eimal
gesiebte Cardiffkohle geladen, um sie nach Wladiwostok in Rußland
zu befördern. Der Empfänger sollte sich nach Order bestimmen. Da
als Bestimmungsort Saigon angegeben wurde, erhielt der Dampfer ent-
sprechenden Ausklarierungsschein und Gesundheitspaß. Am 25. De-
zember 1904 fuhr der Dampfer von Cardiff ab und erhielt auch beim
Anlaufen von Port Said auf seine Angaben hin einen Gesundheitspaß
für Saigon. In Singapore nahm er unter der Angabe, nach Shanghai
zu fahren, eine Mannschaft an und ließ in der Ausklarierung und der
Leuchtturmsteuerquittung Shanghai als Bestimmungsort eintragen. Auch
in dem Tagebuch wurde seit der Abreise von Singapore, bis zur Auf-
bringung, Shanghai verzeichnet. Während dann der Dampfer mit einem
großen Umweg einen Kurs fuhr, der ihn durch die Soyastraße nach
Wladiwostok führen sollte, wurde er am 4. März 1905, 1 Uhr nach-
mittags in der Straße von Etorup von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Nippon Maru" aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Nippon Maru", Kapitänleutnants
772
Prisengerichtsentscheidungen: ,Venu8'. Abschnitt VI^
Taira Saneo, die Vernehmungsprotokolle des Genannten und des
Kapitäns der „Venus", William Fargher, das Schiffszertifikat, das
Privatschiffsjournal, das Konnossement, die Ausklarierungsbescheinigung,
den Gesundheitspaß und die Quittung über die Leuchtturmsteuer.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung stehe im Eigentum der
Firma Harris & Dixon in London und sei von dem Reklamanten als
Absender befördert worden. Ihre Beförderung nach Wladiwostok, einem
Hafen einer der kriegführenden Mächte, sei eine offenbare Handelstrans-
aktion, die unter den Freiheiten des neutralen Handelsverkeh;"s stehe,
und unbestreitbar eine völkerrechtlich nicht anfechtbare Handlung sei.
Da Kohle keine absolute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden
Falle, wo Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die Eigen-
schaft sowohl eines Kriegs- als eines Handelshafens besitze, mangels
Gegenbeweises angenommen werden, daß sie nach dem Handelshafen
Wladiwostok befördert, und nicht für den Kriegsgebrauch geliefert werden
sollte. Daß dies billig sei, tue auch die Präcedenzentscheidung, betreffend
den im englisch-holländischen Krieg im Jahre 1798 aufgebrachten „Nep-
tunus'' dar. Für den vorliegenden Fall gelte dies um so mehr, als
die Ladung nicht ausschließlich für den Kriegsgebrauch verwendbar sei,
sondern auch ganz allgemein im Industriebetriebe verbraucht werde.
Aber selbst einmal angenommen, die zur Verhandlung stehende
Ladung sei feindlichen Charakters, weil sie nach feindlichem Gebiet be-
fördert werde, so könne sie doch, weil unter neutraler Flagge verschifft,
nach Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 nicht
beschlagnahmt werden.
Daß in den im Ausgangshafen und den Anlaufshäfen erhaltenen
Ausklarierungen und Gesundheitspässen Saigon und Shanghai als Be-
stimmungsorte bezeichnet seien und der endgültige Bestimmungshafen,
Wladiwostok, nicht aufgeführt sei, habe nur den Zweck gehabt, den
Schwierigkeiten zu entgehen, welche die zuständigen Behörden bei der
Aushändigung dieser Schriftstücke gemacht haben würden, wenn ihnen
die Wahrheit gesagt worden wäre. Daß es keinenfalls in der bösen Ab-
sicht geschehen sei, sich dadurch der Aufbringung zu entziehen, könne
man daraus entnehmen, daß das Konnossement klar angebe, daß die
Ladung für Wladiwostok bestimmt sei. Die Ausklarierungsbescheinf-
gungen seien keine wichtigen Schiffspapiere, sondern bescheinigten ledig-
lich eine Formalität. Wenn daher auch in ihrem Inhalt Auslassungen
vorgekommen seien, so könne das nicht als Material für die Begründung
der Einziehung des Schiffes geltend gemacht werden.
Aus diesen Gründen werde Freigabe des Schiffes und seiner Ladung
beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
773
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: „Venus".
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Mittein bestrebt, dort
große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat
dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebensmittel und
dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich
der zur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter Car-
diff kohle besteht, wie sie nur zum Gebrauch auf Kriegsschiffen dient,
nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den Kriegsgebrauch be-
stimmt war. Sie ist daher mit Recht als Konterbande anzusehen, i)
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus''-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach Amster-
dam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im Gegenteil
kann man die Begründung jenes Urteils vielmehr zur Bekräftigung der
Annahme, daß die hier zur Verhandlung stehende Ladung Konterbande
ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen vorwiegend
kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse von Wladi-
wostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden. Das in dem
Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhältnissen Wladi-
wostoks viel mehr gleich.
Obwohl es bereits bei der Abfahrt von Cardiff bestimmt war, daß
das Schiff nach Wladiwostok gehen sollte, ist doch den Behörden des
Ausgangshafens und der Anlaufshäfen keinerlei Anzeige über Wladi-
wostok gemacht worden. Wenn der Dampfer sich Ausklarierungen und
Gesundheitspässe nach den neutralen Häfen Saigon und Shanghai geben
ließ, das Schiffsjournal mit falschen Eintragungen versah und einen Um-
weg nahm, um durch die Soyastraße nach Wladiwostok zu gelangen,
so ist das unzweifelhaft nicht, wie der Reklamant sagt, geschehen, um
das betreffende Verfahren ungehindert vor sich gehen zu lassen, auch
liegt darin keine zu übersehende Nachlässigkeit. Vielmehr muß man
annehmen, daß durchaus mit voller Absicht der Bestimmungsort ver-
heimlicht wurde, um durch diese List der Aufbringung zu entgehen.
Wenn sich auch zufällig in dem Konnossement der wahre Bestimmungs-
ort findet, so kann man doch nicht daraufhin allein die oben erwähnte
List übersehen und annehmen, daß das Schiff sich nicht betrügerischen
Vorgehens schuldig gemacht habe.
Der Dampfer „Venus" hat demnach unter Anwendung betrüge-
rischer Mittel Kriegskonterbande befördert, und es ist von der Theorie
0 II. Ziffer 2.
774
Prisengerichtsentscheidungen: .Venus*. Abschnitt VI^i
und der Praxis des Völkerrechts gleichermaßen anerkannt, daß derartige
Schiffe, welche sich betrügerischer Mittel bedient haben, zusammen mit
<ler Konterbandeladung eingezogen werden können. 2)
Da aus diesen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff und
seine Ladung einzuziehen sind, so erübrigt es sich, auf die übrigen Punkte
des Reklamanten weiter einzugehen.
Es wird daher, wie in der Urteilsformel, entschieden.
Verkündet am 4. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida Shi-
genari.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Cornhill Steamship Company, London, Eng-
land, Grace Church Street Nr. 81, vertreten durch den Kapitän der
„Venus'', William Fargher.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 4. Mai 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Venus" und seine Ladung,
welche am 4. März 1905 bei der Straße von Etorup von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Nippon Maru'' beschlagnahmt worden sind, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers „Venuaj"
und der auf ihm verladenen ungefähr 5200 Tons Cardiffkohle erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil hat William Fargher als Vertreter des
Reklamanten, The Cornhill Steamship Company, durch den Rechtsanwalt
Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche
im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, und deren Gründe sind folgende:
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
dem einzigen russischen Handelshafen im Osten, befördert worden und
zu friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Es sei daher unzutreffend,
sie als Kriegskonterbande zu betrachten. Aber einmal angenommen, die
Ladung sei Konterbande, so könne doch das Schiff nicht zusammen mit
der Ladung eingezogen werden, da der Eigentümer des Schiffs und der
der Ladung verschiedene Personen seien und kein Beweis dafür vor-
") V. §§ 43, 44.
775
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: .Venus*.
banden sei, daß bei der Verladung betrügerische Mittel angewandt worden
seien.
2. Bei Konterbandetransport beschränke sich, wenn die Konter-
bande nicht im Eigentum des Reeders stehe, die Strafe der Einziehung
auf die Ladung, das Schiff könne als Strafe lediglich der Verlust an
Fracht, Zeit und Kosten treffen; Einziehung könne 'dagegen nicht ver-
fügt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völkerrechts, daß,
wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel verschifft
sei, auch das Schiff nur eingezogen werden könne, wenn es erwiesen
sei, daß der Reeder Mittäter bei dem betrügerischen Vorgehen gewesen
sei. Nicht nur England erkenne dies an, sondern auch die japanische
Prisenordnung stehe auf demselben Standpunkt. In dem vorliegenden
Fall sei aber der Reeder ganz sicher nicht Mittäter bei dem betrügerischen
Vorgehen, so daß es unrechtmäßig sei, wenn das Urteil erster Instanz^
ohne zu untersuchen, ob der Reeder bei dem betrügerischen Vorhaben
beteiligt gewesen sei oder nicht, entschieden habe, daß das Schiff zu-
sammen mit der Konterbandeladung einzuziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung auferlegen zu können, genüge es nicht, daß lediglich in
den Ausklarierungspapieren und dem Gesundheitspaß der letzte Be-
stimmungsort nicht angegeben sei. ' Es sei vielmehr erforderlich, daß-
die Papiere hergestellt seien mit der Absicht, der Aufbringung durch die
im Krieg befindliche Marine zu entgehen, und in einer Art, daß diese
Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne. Was nun die
Schiffspapiere des zur Verhandlung stehenden Schiffes angehe, so könne
man daraus, daß in dem Konnossement Wladiwostok als Bestimmungsort
angegeben sei, schon entnehmen, daß eine Fälschung derselben, um
der Aufbringung zu entgehen, nicht vorliege. Daß ferner in den Aus-
klarierungspapieren und dem Gesundheitspaß Wladiwostok nicht als
Bestimmungsort aufgeführt sei, sei lediglich auf eine zur Vermeidung
von formalen Schwierigkeiten den Behörden des eigenen Landes gegen-
über abgegebene fälschliche Erklärung zurückzuführen.
Hall sage:
Wenn falsche Schiffspapiere angefertigt würden, um die auf-
bringende kriegführende Macht zu täuschen, so könnten sie
nur in den Fällen als schädlich betrachtet werden, wo dadurch,
daß sie als echte passierten, die Rechte der Kaptoren schließ-
lich zunichte gemacht werden könnten. Andernfalls seien
sie im allgemeinen milde zu beurteilen.
Danach betrachtet, stellten die in den Papieren des zur Verhandlung
stehenden Dampfers vorkommenden falschen Eintragungen keinen aus-
reichenden Grad von Täuschung dar, um die Einziehung des Schiffes
nach sich ziehen zu können.
776
Prlsengerichtsentscheidungen: „Venu8". Abschnitt VI 45
4. Die japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt, daß
Kohle nur als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie für
den feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle. Einmal ange-
nommen, dieser Standpunkt entspreche den völkerrechtlichen Grund-
sätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort der zur Verhand-
lung stehenden Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen,
sondern auch sein einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher un-
rechtmäßig, ohne, weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle,
welche keine absolute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch bestimmt
sei. Es müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Neptun us'-
Fall im englisch - holländischen Kriege im Jahre 1798 angenommen
werden, daß die in Frage stehende Ladung für den Handelshafen Wladi-
wostok bestimmt sei und für friedlichen Gebrauch geliefert werden solle.
Wenn das Gericht erster Instanz Wladiwostok als einen reinen Kriegs-
hafen ansehe und es mit in dem „Neptun us''-Fall erwähnten Kriegs-
hafen Brest auf gleiche Stufe stelle, so sei das eine falsche Auffassung
der Tatsachen. Folglich sei auch die Präcedenzentscheidung nicht
richtig angezogen. Das Urteil erster Instanz übersehe, daß auch heute
noch der gewöhnliche Handelsverkehr mit Wladiwostok in Ausübung
begriffen sei und sagt, es sei eine bekannte Tatsache, daß der Handels-
verkehr des genannten Hafens gesperrt sei. Auch darin entstelle das
Urteil die Tatsachen, daß es behaupte, daß Cardiffkohle, welche überall
auf der Erde sowohl für den Kriegsgebrauch als im Industriebetriebe
verwandt werde, im fernen Osten ausschließlich auf Kriegsschiffen zur
Verwendung komme. So stehe das Urteil mit dem Sachverhalt in
Widerspruch.
5. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff stehe die englische Praxis auf dem Standpunkt, daß Einziehung
gegen Leistung einer Entschädigung erfolgen könne. Das kontinentale
Prinzip, welches mit den Beschlüssen des internationalen Völkerrechts-
kongresses übereinstimme, erkenne mit Bezug auf derartige Güter unter
der Bedingung der Entschädigung nur ein Recht der Beschlagnahme
oder des Vorkaufs für den kriegführenden Staat an. Japan weiche von
diesen Prinzipien und Gewohnheiten ab und bestimme in unbilliger
Strenge bedingungslose Einziehung. Besonders auch, da die japanische
Seeprisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es
wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbandegüter
handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffs und seiner Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende :
777
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentscheidungen: „Venus''.
1. Es sei unbestritten, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
im Eigentum des Reklamanten, der Cornhill Steamship Company, stehe.
Daß diese Firma auch der Absender der Ladung sei, lasse sich daraus
entnehmen, daß kein Chartervertrag vorhanden sei, und gehe auch aus
dem Konnossement und der Aussage des Kapitäns hervor. Wenn aber
der Reeder der Absender der Ladung sei, so sei es gerechtfertigt, so-
lange kein Gegenbeweis vorliege, anzunehmen, daß er auch der Eigen-
tümer der Ladung sei.
Da es ferner bekannt sei, daß eine Ladung, wie die zur Verhandlung
stehende, welche aus doppelt gesiebter Cardiffkohle bestehe, im Osten
nur auf Kriegsschiffen zur Verwendung komme, und außerdem die
Ladung nach Wladiwostok, dem einzigen Marinestützpunkt des Feindes
im Osten, bestimmt sei, so unterstehe es, wenn man alles dies zusammen-
halte, keinem Zweifel, daß die Ladung der feindlichen Marine habe
geliefert werden sollen.
Ferner habe das zur Verhandlung stehende Schiff bei der Abreise
von England fälschlicherweise Saigon, und in Singapore Shanghai als
Bestimmungsort der Ladung angegeben und dementsprechende Aus-
klarierungspapiere erhalten. Auch das Schiffsjournal sei mit den gleichen
falschen Eintragungen versehen worden.
2. Daß das betrügerische Vorgehen" in dieser Sache nicht nur eine
Handlung des Kapitäns sei, sondern auf das Verhalten des Reeders oder
seines Vertreters zurückzuführen sei, gehe aus dem Vernehmungsproto-
koll des Kapitäns hervor. Mithin sei das betrügerische Vorgehen in
dieser Sache in vollem Maße mit dem Einverständnis des Reeders ge-
schehen.
3. Die Ausklarierungspapiere und Gesundheitspässe seien für die
Ermittlung des wahren Bestimmungsortes eines Schiffes seitens des Kap-
tors Schiffspapiere, welche für die Durchführung der Untersuchung von
größter Bedeutung seien. Auch T>eschränkten sich die falschen Angaben
im vorliegenden Falle nicht auf diese Papiere, sondern auch das Privat-
schiffsjournal enthalte einen falschen Bestimmungsort. Daß dies aus-
schließlich geschehen sei, um den Kaptor zu täuschen, liege auf der
Hand.
4. Daß eine Ladung von zweimal gesiebter ausgewählter Cardiff-
kohle im Osten nur auf Kriegsschiffen gebraucht werde, sei eine all-
gemein bekannte Tatsache. Wenn daher auch Wladiwostok zugleich
ein Handelshafen sein möge, so könne man doch, weil es vor allem
der Hauptstützpunkt der feindlichen Marine sei, nichts anderes annehmen,
als daß die Ladung für die feindliche Marine bestimmt gewesen sei.
5. Wenn auch ein Gut sowohl zu friedlichem als zum Kriegs-
gebrauch dienen könne, so erkenne doch das geltende Völkerrecht an,
778
Prisengerichtsentscheidungen: „Venus". Abschnitt VI^
daß es, \cenn seine Konterbandeeigenschaft festgestellt sei, von der krieg-
führenden Macht eingezogen werden könne.
Präcedenzfälle, in welchen bei Einziehung bedingungsweiser Konter-
bande Entschädigung geleistet worden sei, gründeten sich entweder auf
besonderen Vertrag oder auf besondere politische Rücksichten. Das
Völkerrecht enthalte dagegen keine allgemeine diesbezügliche Bestim-
mung, \celche man zu befolgen verpflichtet sei.
Die Berufung sei daher unbegründet und müsse abgewiesen
werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in
ausgedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast gänzlich aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr, als die in Frage stehende Kohlenladung ausgewählte Cardiff-
kohle ist und die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine
Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die
Kohle für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus" auch in diesem Fall angenommen werden,
daß die in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus^'-Fall und die des vor-
liegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, un,d
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung
gegen Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädi-
gung, wie sie der Reklamant äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere
vertragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese
Erscheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
hätte, wenn es diesen Ansichten des Reklamanten nicht Folge leistete.
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und das ihr zu Gnuide
liegende englische Manual of Naval Prize Law, Art, 82—85.
779
Abschnitt Vl^t Prisengerichtsentscheidungen: „Aphrodite''.
3. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Verhand-
lung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande ist,
eingezogen werden können. Auch das Oberprisengericht hält dies für
billig, besonders im vorliegenden Fall, wo die ganze Ladung des Schiffs
Konterbande ist, wo die Agentur des Reeders dem Kapitän bei ' der
Abfahrt des Schiffes Order gegeben hat, nach Wladiwost9k zu fahren,
während das Privatschiffsjournal und die Ausklarierungspapiere einen
gefälschten Bestimmungsort enthalten, wo also das Schiff sich des Trans-
ports von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel schuldig
gemacht hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1, 2 und 3 Gesagten die
Entscheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs und seiner Ladung unfraglich gerechtfertigt ist, so
liegt kein Bedürfnis vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung noch
besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Cornhill Steamship Company, England, Lon-
don, Orace Church Street Nr. 81, vertreten durch den Kapitän der
„Aphrodite'', F. O. Edmunds.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Oenzo, Tokio,.
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Aphro-
dite'' und seine Ladung wird nach Beendigung der Untersuchung, wie
folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des englischen Dampfers „Aphrodite" und
seiner Ladung von etwa 5600 Tons Cardiffkohle erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Aphrodite" steht im
Eigentum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist London und es ist
ein Handelsschiff, welches die englische Flagge führt. Der Reklamant
ist selbst der Absender. Er Tiat in Cardiff in England ungefähr 5600 Tons
zweimal gesiebte Cardiffkohle geladen. Der Empfänger sollte sich nach
Order bestimmen. Da als Bestimmungsort Saigon angegeben wurde,
780
PrJsengerichtsentscheidungen: „Aphrodite". Abschnitt Vl^i
erhielt der Dampfer entsprechenden Ausklarierungsschein und Gesund-
heitspaß. Am 22. Dezember 1904 fuhr der Dampfer von Cardiff ab. Im
Privatschiffsjournal wurde ebenfalls Saigon als Reiseziel eingetragen.
In Singapore erhielt der Dampfer auf seine Angabe hin Ausklarierung
für Shanghai. Am 8. Februar 1905 fuhr er von Singapore ab. Bis zum
20. Februar lautet das Privatschiffsjournal auf Shanghai; vom 21. an ist
Wladiwostok als Ziel der Reise angegeben. Der Dampfer nahm dann
absichtlich einen Umweg, um durch die Soyastraße nach Wladiwostok
zu gelangen. Auf dieser Fahrt wurde er am 6. März d. J. in der Nähe
von Etorup von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru'' beschlag-
nahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Nippon Maru'', Kapitänleutnants
NakashimaDenzo, die Vernehmungsprotokolle des Genannten und
des Kapitäns der ,,Aphrodite'', F. O. Edmunds, das Schiffszertifikat,
das Privatschiffsjournal, das Konnossement, die Ausklarierungspapiere
und Gesundheitspässe.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Die Beförderung von Kohlen durch neutrale Staatsangehörige nach
Wladiwostok, einem Hafen einer der kriegführenden Mächte, sei eine
öffentliche Handelstransaktion, welche unter den Freiheiten des neu-
tralen Handelsverkehrs stehe und unbestreitbar eine völkerrechtlich nicht
anfechtbare Handlung sei.
Da Kohle keine absolute Konterbande sei, so müsse im vorliegenden
Falle, wo Kohle nach Wladiwostok gehe, einem Hafen, der die Eigen-
schaft sowohl eines Kriegshafens als eines Handelshafens besitze, mangels
Gegenbeweises, angenommen werden, daß sie nach dem Handelshafen
Wladiwostok befördert und nicht für den Kriegsgebrauch geliefert werden
solle. Daß dies billig sei, tue auch die Präcedenzentscheidung, betreffend
den im englisch-holländischen Kriege aufgebrachten „Neptunus'' dar.
Für den vorliegenden Fall gelte dies umsomehr, als die Ladung nicht aus-
schließlich für den Kriegsgebrauch verwendbar sei, sondern solche Kohle
auch ganz allgemein im Industriebetriebe verbraucht werde.
Aber einmal angenommen, die zur Verhandlung stehende Ladung
sei feindlichen Charakters, weil sie nach feindlichem Gebiet befördert
werde, so könne sie doch, weil unter neutraler Flagge verschifft, nach
Artikel 2 der Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 nicht be-
schlagnahmt werden.
Daß, obwohl Wladiwostok der Bestimmungsort des zur Verhand-
lung stehenden Schiffs gewesen sei, dieser Hafen in den Ausklarierungs-
papieren nicht als Bestimmungsort angegeben, sondern Saigon bzw.
Shanghai verzeichnet sei, habe seinen Grund nicht in der Absicht, da-
durch der Aufbringung zu entgehen. Dies könne man mit hinreichender
781
Abschnitt VI 46 Prisengerichtsentscheidungen: „Aphrodite^*
Sicherheit daraus entnehmen, daß das Konnossement besage, die Güter
seien an Order in Wladiwostok abzuliefern, und daß das Schiffs-
journal vom 21. Februar bis zum 2. März d. J. als Reise „von Singa-
pore nach Wladiwostok" angebe.
Daß ferner der Dampfer für die Reise nach Wladiwostok keine
Ausklarierungspapiere besessen habe, erkläre sich lediglich äaraus, daß
er, weil ihm schließlich bei dem betreffenden amtlichen Verfahren
Schwierigkeiten hätten entstehen können, damit die Angelegenheit glatt
vonstatten gehe, den Behörden den Bestimmungsort nicht offenbart habe.
Wenn des weiteren der Kapitän in dem Konnossement mit 'Blei-
stift vermerkt habe, daß die La,dung bis zur Ablieferung an die russische
Marine noch in Rechnung des Reeders stehe, so sei der Beweggrund
für diesen Vermerk völlig unersichtlich. Denn an und für sich sei
dieser Vermerk eine willkürliche und ungeheuerliche Kompetenzüber-
schreitung des Kapitäns. Aber selbst angenommen, er habe denselben
bei normalem Verstände ausgeführt, so habe der Vermerk doch keiner-
lei Wirkung, und könne dem Reeder nicht zugerechnet werden.
Auch wenn der Kapitän ausgesagt habe, die Ladung stehe im
Eigentum des Reeders, so sei das nur seine Einbildung und tatsachlich
seien erwiesenermaßen Harris and Dixon in London die Eigen-
tümer.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freilassunjg
des zur Verhandlung stehenden Dampfers und seiner Ladung be-
antragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist.
Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung den Platz zu
einem Hauptetappenort gemacht, und sie ist mit allen Mitteln bestrebt,,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr
hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle oder Lebens-
mittel und dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von be-
sonderen Umständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden,
so muß, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß die-
selben für den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es be-
züglich der ur Verhandlung stehenden Ladung, welche aus ausgewählter
Cardiffkohle besteht, wie sie im wesentlichen nur zum Gebrauch auf
Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirklich für den
Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht als Kriegs-
konterbande anzusehen. *)
Was das von dem Reklamanten angezogene Urteil in dem „Nep-
tunus"-Fall angeht, so deckt sich jener Fall, in dem Tierfett nach
1) II. Ziffer 2.
782
Prisengerichtsentscheidungen: „Aphrodite". Abschnitt VI 4t
Amsterdam befördert werden sollte, nicht mit dem vorliegenden. Im
Gegenteil kann man die Begründung jenes Urteils vielmehr zur Be-
kräftigung der Annahme, daß die zur Verhandlung stehende Ladung
Konterbande ist, geltend machen. Denn Amsterdam hatte damals einen
vorwiegend kommerziellen Charakter. Die gegenwärtigen Verhältnisse
von Wladiwostok sind aber, wie oben dargetan, wesentlich verschieden.
Das in dem Urteil erwähnte Brest kommt den gegenwärtigen Verhält-
nissen Wladiwostoks vielmehr gleich.
Obwohl es bereits vor der Abfahrt von Cardiff bestimmt war, daft
der zur Verhandlung stehende Dampfer nach Wladiwostok fahren sollte,
gab der Dampfer in Cardiff an, er fahre nach dem neutralen Hafen
Saigon, und erhielt einen dementsprechenden Ausklarierungsschein und
Gesundheitspaß. Auch in das Schiffsjournal wurde diese fälschliche Ein-
tragung gemacht.
In Singapore erhielt der Dampfer 'entsprechend seinen Angaben
eine Ausklarierung nach Shanghai. Seit der Abreise von Singapore
am 8. Februar bis zum 20. Februar 1905 wurde auch in dem Schiffs-
journal Shanghai als Ziel angegeben. Aber der Dampfer nahm, ohne
nach Saigon oder Shanghai zu fahren, einen Umweg, um durch die
Soyastraße nach Wladiwostok zu gelangen.
Alles dies ist nicht anzusehen als ein entschuldbares Versehen
oder zur Erleichterung der Reise, und der dafür von Gesetzes wegen vor-
geschriebenen Handlungen geschehen. Vielmehr muß man annehmen,
daß es der wohlüberlegten List entsprungen ist, den Bestimmungshafen
zu verheimlichen, um so der Aufbringung zu entgehen. Wenn sich
auch im Konnossement und in Stellen des Tagebuchs der wahre Be-
stimmungsort eingetragen findet, so kann man daraufhin nicht ohne
weiteres zu der Annahme kommen, das zur Verhandlung stehende
Schiff habe sich keines betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht. Der
zur Verhandlung stehende Dampfer „Aphrodite'* hat demnach unter
Anwendung betrügerischer Mittel Kriegskonterbande befördert.
Die völkerrechtliche Wissenschaft und Praxis erkennt es aber an,
daß Schiffe, welche sich derartigen betrügerischen Vorgehens schuldig
machen, zusammen mit ihrer Konterbandeladung eingezogen werden
können. *)
Da nach den obigen Gründen der zur Verhandlung stehende
Dampfer und seine Ladung einzuziehen sind, so erübrigt es sich, auf
die weiteren Punkte der Reklamation einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
*) V. §§ 43. 44.
783
Abschnitt VI^* Prisengerichtsentscheidungen: „Aphrodite'*.
Verkündet am 4. Mai 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Uchida Shi-
genari.
(Unterschriften.)
Reklamant: The Cornhill Steamship Company, England, Lon-
don, Grace Church Street Nr. 81, vertreten durch den Kapitän F. O.
Edmunds.
ProzeBvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 4. Mai 1905 Tiat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den am 6. März 1905 bei der Straße von Etorup
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru" aufgebrachten eng-
lischen Dampfer „Aphrodite" und dessen Ladung ein Urteil gefällt,
in welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers „Aphrodite" und
der auf ihm verladenen etwa 5600 Tons Cardiffkohle erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat F. O. Edmunds in Vertretung des
Reklamanten, The Cornhill Steamship Company, durch den Rechts-
anwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr.
jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, und deren Gründe sind folgende:
1. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei nach Wladiwostok,
dem einzigen russischen Handelshafen im Osten, befördert worden und
zu friedlichem Gebrauch bestimmt gewesen. Es sei daher unzutreffend,
sie als Kriegskonterbande zu betrachten.
Aber einmal angenommen, die Ladung sei Konterbande, so könne
doch das Schiff nicht zusammen mit der Ladung eingezogen werden,
da der Eigentümer des Schiffs und der der Ladung verschiedene Per-
sonen seien und kein Beweis dafür vorliege, daß bei der Verladung
betrügerische Mittel angewandt worden seien.
2. Bei Konterbandetransport beschränke sich, wenn die Konter-
bande nicht im Eigentum des Reeders stehe, die Strafe der Einziehung
auf die Ladung; das Schiff könne als Strafe lediglich der Verlust an
Zeit, Fracht und Kosten treffen. Einziehung könne dagegen nicht ver-
fügt werden. Auch sei es ein Grundsatz des modernen Völkerrechts,
daß, wenn die Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
verschifft sei, auch das Schiff nur eingezogen werden könne, wenn es
klar erwiesen sei, daß der Reeder Mittäter bei dem betrügerischen Vor-
gehen sei. Nicht nur England erkenne dies an, sondern auch die
784
Prisengerichtsentscheidungen: .Aphrodite'. Abschnitt Vl^i
japanische Prisenordnung stehe auf demselben Standpunkt. In dem
vorliegenden Fall sei aber der Reeder ganz sicher bei dem betrügerischen
Vorgehen nicht Mittäter. Daher sei es unrechtmäßig, wenn das Urteil
erster Instanz, ohne zu untersuchen, ob der Reeder bei dem be-
trügerischen Vorgehen beteiligt gewesen sei oder nicht, entschieden
habe, daß das Schiff zusammen mit der Konterbandeladung einzu-
ziehen sei.
3. Um auf Grund von Anwendung betrügerischer Mittel die Strafe
der Einziehung auferlegen zu können, genüge es nicht, daß lediglich
in den Ausklarierungspapieren und dem Gesundheitspaß der letzte Be-
stimmungsort nicht angegeben sei. Es sei vielmehr erforderlich, daß
■die Papiere hergestellt seien mit der Absicht, der Aufbringung durch
•die im Krieg befindliche Marine zu entgehen, und in einer Art, daß
diese Marine auch wirklich dadurch getäuscht werden könne.
Was nun die Schiffspapiere des zur Verhandlung stehenden Schiffs
angehe, so könne man daraus, daß in dem Konnossement Wladiwostok
als Bestimmungsort bezeichnet sei und daß auch die Eintragungen in
dem Tagebuch vom 21. Februar bis 2. März d. J. die Absicht, von
Singapore nach Wladiwostok zu fahren, klar angäben, schon entnehmen,
daß eine Fälschung derselben, um der Aufbringung dadurch zu entgehen,
nicht vorliege. Daß ferner in den Ausklarierungspapieren und dem
Gesundheitspaß Wladiwostok nicht als Bestimmungsort aufgeführt sei,
sei lediglich auf eine zur Vermeidung von formalen Schwierigkeiten
den Behörden des eigenen Landes gegenüber abgegebene fälschliche
Erklärung zurückzuführen.
Hall sage:
Wenn falsche Schiffspapiere angefertigt wären, um die auf-
bringende kriegführende Macht zu täuschen, so könnten «sie
nur in den Fällen als schädlich betrachtet werden, wo da-
durch, daß sie als echte passierten, die Rechte der Kaptoren
schließlich zunichte gemacht werden könnten. Andernfalls
seien sie milde zu beurteilen.
Danach betrachtet, stellten die Papiere des zur Verhandlung stehenden
Dampfers keinen ausreichenden Grad von Täuschung dar, um die Ein-
ziehung des Schiffes nach sich ziehen zu können.
4. Die japanische Prisenordnung stehe auf dem Standpunkt, daß
Kohle nur als Konterbande gelte, wenn es erwiesen sei, daß sie für den
feindlichen Kriegsgebrauch geliefert werden solle.*) Einmal ange-
nommen, dieser Standpunkt entspreche den völkerrechtlichen Grund-
sätzen, so sei doch Wladiwostok, der Bestimmungsort der in Frage
kommenden Ladung, nicht nur Rußlands einziger Kriegshafen, sondern
auch sein einziger Handelshafen im Osten. Es sei daher unrechtmäßig,
*) V. § 14.
IdarBtrand-Mechlenburgp, Das JapaDische Prisonrechti (50) lOO
Abschnitt Vl^t Prisengerichtsentscheidungen: .Aphrodite'^
ohne weiteres anzunehmen, daß dorthin bestimmte Kohle, welche keine
absolute Konterbande sei, für den Kriegsgebrauch bestimmt sei. Es
müsse vielmehr entsprechend dem Urteil in dem „Neptunus"-Fall im
englisch-holländischen Krieg vom Jahre 1798 angenommen werden, daß-
die hier in Frage stehende Ladung für den Handelshafen Wladiwostok
bestimmt sei und für friedlichen Gebrauch geliefert werden solle. Wenn
das Gericht erster Instanz Wladiwostok als einen reinen Kriegshafen
ansehe und es mit dem in dem „Neptunus"-Urteil erwähnten Kriegs-
hafen Brest auf gleiche Stufe stelle, so sei das eine falsche Auffassung der
Tatsachen. Folglich sei auch die Präcedenzentscheidung nicht richtig-
angezogen. Das Urteil erster Instanz übersehe, daß auch heute noch
der gewöhnliche Handelsverkehr mit Wladiwostok in Ausübung begriffen-
sei, und sage, es sei eine bekannte Tatsache, daß der Handelsverkehr
des genannten Hafens gesperrt sei. Auch darin entstelle das Urteil die
Tatsachen, daß es behaupte, daß Cardiffkohle, welche überall auf Ber
Erde, sowohl für den Kriegs- als für den Industriegebrauch verwandt
werde, im fernen Osten ausschließlich auf Kriegsschiffen zur Verwendung
komme. So stehe das Urteil mit dem Sachverhalt in Widerspruch.
5. Bezüglich der Behandlung relativer Konterbande auf neutralem
Schiff stehe die englische Praxis auf dem Standpunkt, daß Einziehung
gegen Leistung einer Entschädigung erfolgen könne. Das kontinentale
Prinzip, welches mit den Beschlüssen des internationalen Völkerrechts-
kongresses übereinstimme, erkenne mit Bezug auf derartige Güter unter
der Bedingung der Entschädigung nur ein Recht der Beschlagnahme
oder des Vorkaufs für den kriegführenden Staat an. Japan weiche von
diesen Prinzipien und Gewohnheiten ab und bestimme in unbilliger
Strenge bedingungslose Einziehung. Besonders auch, da die japanische
Seeprisenordnung sich auf den englischen Prinzipien aufbaue, sei es
wünschenswert, daß, wo es sich um neutrale relative Konterbande
handele, eine billigere Haltung eingenommen werde.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz^
und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung
stehenden Schiffs und seiner Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende:
1. Es sei unbestritten, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
im Eigentum des Reklamanten, The Cornhill Steamship Company, stehe^
Daß diese Firma auch der Absender der Ladung sei, lasse sich daraus
entnehmen, daß kein Chartervertrag vorhanden sei, und gehe auch aus
dem Konnossement und der Aussage des Kapitäns hervor. Wenn aber
der Reeder der Absender der Ladung sei, so sei es gerechtfertigt, sch-
länge kein Gegenbeweis vorliege, anzunehmen, daß er auch der Eigen-
tümer der Ladung sei.
786
Prisengerichtsentscheidungen: „Aphrodite". Abschnitt VI^s
Da es ferner bekannt sei, daß eine Ladung wie die zur Verhandlung
stehende, welche aus doppeltgesiebter Cardiffkohle bestehe, im Osten
nur auf Kriegsschiffen zur Verwendung komme, und außerdem die
Ladung nach Wladiwostok, dem einzigen Marinestützpunkt des Feindes
im Osten, bestimmt sei, so unterliege es, wenn man alles dieses zusammen-
halte, keinem Zweifel, daß die Ladung der feindlichen Marine habe ge-
liefert werden sollen.
Ferner habe das zur Verhandlung stehende Schiff bei der Abreise
von England fälschlicherweise Saigon, und in Singapore Shanghai als Be-
stimmungsort für die Ladung angegeben und dementsprechende Aus-
klarierungspapiere erhalten. Auch das Schiffsjournal sei mit den gleichen
falschen Eintragungen versehen worden.
2. Die Eintragungen eines falschen Bestimmungsorts in die Schiffs-
papiere fänden sich in dem Privatschiffsjournal und mehreren Aus-
klarierungsscheinen sovtie in den Gesundheitspaß. Das Schiff gehöre
demselben Eigentümer wie der aufgebrachte Dampfer „Venus".*) Die
Ladung, der Bestimmungsort und das betrügerische Vorgehen seien
in beiden Fällen gleich. Daher müsse angenommen werden, daß auch
die falschen Eintragungen in den Ausklarierungspapieren dieses Dampfers
in gleicher Weise wie bei der „Venus" auf falsche Anzeigen des Reeders
oder seines Vertreters zurückzuführen sei. Es sei daher unzweifelhaft,
daß das betrügerische Verhalten in dieser Sache in vollem Maße mit
Einverständnis des Reeders geschehen sei.
3. Die Ausklarierungspapiere und Gesundheitspässe seien für die
Ermittlung des wahren Bestimmungsortes eines Schiffes seitens des
Kaptors Schiffspapiere, welche für die Durchführung der Untersuchung
von größter Bedeutung seien. Auch beschränkten sich die falschen An-
gaben in diesem Fall nicht auf diese Papiere, sondern auch das Privat-
schiffsjournal enthalte einen falschen Bestimmungsort. Daß dies aus-
schließlich geschehen sei, um den Kaptor zu täuschen, liege auf der
Hand.
4. Daß eine Ladung von doppeltgesiebter, ausgewählter Cardiff-
kohle im Osten nur auf Kriegsschiffen gebraucht werde, sei eine all-
gemein bekannte Tatsache. Wenn daher auch Wladiwostok zugleich
ein Handelshafen sein möge, so könne man doch, weil es vor allem !der
Hauptstützpunkt der feindlichen Marine sei, nichts anderes annehmen,
als daß die Ladung für die feindliche Marine bestimmt sei.
5. Wenn auch ein Gut sowohl zu friedlichem als zum Kriegs-
gebrauch dienen könne, so erkenne doch das geltende Völkerrecht an,
daß es, wenn seine Konterbandeeigenschaft festgestellt sei, von der krieg-
führenden Macht eingezogen werden könne.
*) VI. 45.
(50^ 787
Abschnitt VI 46 Prisengerichtsentscheldungen : , Aphrodite ' .
Präcedenzfälle, in welchen bei Einziehung bedingungsweiser
Konterbande Entschädigung geleistet worden sei, gründeten sich ent-
weder auf besonderen Vertrag oder besondere politische Rücksichten,
das Völkerrecht enthalte dagegen keine allgemeine diesbezügliche Be-
stimmung, welche man zu befolgen verpflichtet sei.
Die Berufung sei daherunbegründet und müsse abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
1. Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
liafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohlen und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet, wenn
das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen
bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert
werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr,
als die zur Verhandlung stehende Kohlenladung ausgewählte Cardiff-
kohle ist und die Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch
sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit
keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß
die Kohle jedenfalls für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden
sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptun us'', auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke be-
stimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall und die des
vorliegenden Falls sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Es ist völkerrechtliches Prinzip, daß Konterbande schlechthin
konfisziert werden kann. Wünsche bezüglich Vorkaufs, Einziehung gegen
Entgelt oder Beschlagnahme unter der Bedingung der Entschädigung,
wie der Reklamant sie äußert, sind nur verwirklicht, wo besondere ver-
tragliche Abmachungen vorliegen. Im übrigen finden sich diese Er-
scheinungen in Praxis und Theorie nur vereinzelt. Keinenfalls können
sie jedoch als völkerrechtliche Regel anerkannt werden. Man kann
daher nicht sagen, daß das Urteil erster Instanz es in etwas versehen
habe, wenn es diesen Ansichten des Reklamanten nicht Folge leistete.
3. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe wie das zur Verhand-
lung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande ist,
eingezogen werden können. Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß
dies den Verhältnissen gerecht wird; besonders im vorliegenden Falle,
788
Prisengerichtsentscheidungen: .Aphrodite*. Abschnitt VI^v
wo die ganze Ladung des Schiffes Konterbande ist, wo die Agentur des
Reeders dem Kapitän bei der Abfahrt des Schiffes Order gegeben hat,
nach Wladiwostok zu fahren, während das Privatschiffsjournal und die
Ausklarierungspapiere einen gefälschten Bestimmungsort enthalten, wo
also das Schiff sich des Transports von Konterbande unter Anwendung
betrügerischer Mittel schuldig gemacht hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1, 2 und 3 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlung!
stehenden Schiffs und seiner Ladung unfraglich gerechtfertigt ist, so
liegt kein Bedürfnis vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung noch
besonders einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In der Prisensacbe, betreffend den englischen Dampfer „Saxon
Prince" und seine Ladung wird nach Einsichtnahme von dem Schriftsatz
des Staatsanwalts YamamotoTatsurokuro, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Der Dampfer „Saxon Prince" und seine ganze Ladung werden frei-
gegeben.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer steht im Eigentum der
„Prince Line" A. G. in England, er führt die englische Handelsflagge
und dient vorzugsweise zum Gütertransport. Er nahm in New York,
Amerika, gemischte Ladung an Bord und fuhr am 11. Dezember 1904
von dort über das portugiesische S. Vincente und D'Urban im englischen
Natal nach Singapore und Shanghai. In diesen beiden Plätzen löschte
er einen Teil seiner Ladung. Die übrige Ladung bestand aus Eisenbahn-
material, welches für Muroran bestimmt war. In Shanghai erhielt der
Dampfer einen Ausklarierungsschein von dem englischen General-
konsulat, in welchem unter Ladung „Ballast" und unter Bestimmungsort
„Muroran" angegeben war. Am 7. März dieses Jahres um die Mittagszeit
fuhr er von dort ab und wurde auf der Reise nach Muroran lam 10. des-
789
Abschnitt VI^T Prisengerichtsentscheidungen: „Saxon Prince".
selben Monats 12 Uhr 45 Minuten nachts auf 34 « 13' n. Br. und
130° 20' ö. L. unter dem Verdacht, Konterbande nach Wladiwostok
zu führen, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Akashi" aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Akashi", Kapitänleutnants Miyano
Koji, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns W. S. Jameson, des
ersten Offiziers J. R. Gray und des Maschinisten J. R. Smith, das
Schiffszertifikat, das Privatschiffsjournal, die Konnossemente und das
Ladungsverzeichnis des Dampfers „Saxon Prince" und den Aus-
klarierungsschein des englischen Generalkonsulats in Shanghai.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Staatsanwalts sind
folgende :
Es seien in den Schiffspapieren des zur Verhandlung stehenden
Dampfers Punkte, welche nicht übereinstimmen. Da femer nach dem
Kurs des Schiffes der Verdacht, daß es Muroran nur als Bestimmungsort
vorgegeben, tatsächlich aber heimlich nach Wladiwostok habe fahren
wollen, habe aufkommen müssen, so sei die Beschlagnahme zu Recht
erfolgt. Die Untersuchung im Prisengericht habe ergeben, daß der
Dampfer tatsächlich auf der Reise nach Muroran begriffen war; daher
sei er mitsamt seiner Ladung sofort freizugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
In den zur Zeit der Beschlagnahme an Bord vorgefundenen, sich auf
das Eisenbahnmaterial beziehenden Konnossementen findet sich Shanghai
als Bestimmungsort verzeichnet, und in dem von dem englischen Gene-
ralkonsulat in Shanghai ausgestellten Ausklarierungsschein ist unter La-
dung „Ballast'' angegeben. Als der Dampfer den Tsushimakanal passierte,
leistete er dem Signal der „Akashi'', zu stoppen, keine Folge und stoppte
erst nach dem Warnungsschuß, i) Infolgedessen erhob sich auf der
„Akashi'' der Verdacht, daß der zur Verhandlung stehende Dampfer
Muroran als Bestimmungshafen vorgebe, tatsächlich aber Konterbande
nach Wladiwostok führe. Die Beschlagnahme war unter diesen Um-
ständen gerechtfertigt. 2)
Aber die Untersuchung in dem unterzeichneten Prisengericht hat
ergeben, daß die Ladung von Eisenbahnmaterial von der Mitsui Bussan
Kaisha an die Hokkaido Tanko Tetsudo Kaisha zu liefern ist und von
jener bei der U. S. Steel Products Export Company in New York be-
stellt und für Muroran bestimmt war. Dies wird bewiesen durch den
Lieferungsvertrag zwischen der Mitsui Bussan Kaisha und der Hokkaido
Tanko Tetsudo Kaisha über Eisenbahnschienen und Zubehör, den von
der U. S. Steel Products Export Company als Absender an die Mitsui
Bussan Kaisha geschickten Frachtbrief, Telegramme der Hokkaido Tanko
Tetsudo Kaisha und der American Trading Company in Yokohama an
») V. § 54,2. — ') V. § 37,2 und 6.
790
Prisangerichtsentscheldungen: „Tacoma". Abschnitt Vl^ii
das unterzeichnete Prisengericht und verschiedene Briefe der Reederei
und der Agenturen an den Kapitän des Dampfers, in welchen derselbe
-angewiesen wird, nach Muroran zu fahren.
Daher sind das zur Verhandlung stehende Schiff und seine ge-
-samte Ladung ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme frei-
zugeben.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 16. März 1905 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften.)
Reklamant: North-Western Steamship Company Ltd., Vereinigte
Staaten von Nordamerika, Staat Washington, Kings County, Seattle,
vertreten durch den Direktor John Rosen e.
Prozeßvertreter : ' Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
KyobashUcu Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den nordamerikanischen Dampfer
„Tacoma'', wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
jschieden.
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des nordamerikanischen Dampfers „Ta-
•coma'' entschieden.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Tacoma" steht im Eigen-
tum des Reklamanten, sein Heimatshafen ist Seattle im Staat Washing-
ton, Vereinigte Staaten von Nordamerika, und er ist ein Handelsschiff,
welches die Flagge der Vereinigten Staaten von Nordamerika führt.
Für die Befrachter, Charles Nelson & Co. in San Francisco,
Vereinigte Staaten von Nordamerika, lud der Dampfer in Seattle mit der
Bestimmung für Wladiwostok in Rußland etwa 9000 Faß gesalzenes
Rindfleisch (einige Faß davon wurden auf der Reise zur Beköstigung
der Mannschaft verbraucht), welche auf Grund eines zwischen dem
in Shanghai ansässigen russischen Generalmajor Dessino und den
russischen Kaufleuten Denbigh und Ebbecke & Co. in Shanghai
^ibgeschlossenen Vertrages in Nordamerika eingekauft waren, sowie ein
Kolli Stahlstäbe und eine Kiste Maschinenteile, welche im Eigentum
des Supercargos des Dampfers, des russischen Staatsangehörigen
Alexander Georgie witsch Bollmann stehen. Als Empfänger
791
Abschnitt VI 48a Prisengerichtsentscheidungen: .Tacoma*»
des gesalzenen Rindfleisches in Wladiwostok ist die dortige russisch-
chinesische Bank genannt.
Der oben genannte B o 1 1 m a n n ist von D e n b i g h als Ver-
treter und Beauftragter für seine Einkäufe von Lieferungen an Behörden,
Private und Firmen bevollmächtigt worden. Von der genannten Firma
Ebbecke&Co. war B o 1 1 m a n n beauftragt, das in Amerika angekaufte,
nach Wladiwostok zu befördernde gesalzene Rindfleisch zu prüfen, mit
dem gleichen Schiff wie dieses nach dem Bestimmungsort zu fahren
und dort das Fleisch an den Empfänger abzuliefern. Auf Anordnung
des Reklamanten wurde Bo 11 mann demnach als Supercargo auf das
zur Verhandlung stehende Schiff genommen. Der Kapitän erhielt vor
der Abreise am 2. Januar 1905 von dem Reeder Order, nach Wladi-
wostok oder, falls dort infolge einer Blockade oder Frostes Hindernisse
seien, nach Shanghai zu fahren. Der Kapitän gab darauf Shanghai als-
Bestimmungsort auf und erhielt für diesen Hafen Ausklarierung und
Gesundheitspaß. Auch in dem der Zollbehörde übergebenen Ladungs-
verzeichnis gab er fälschlich Shanghai als Bestimmungsort an. Auch in
einem anderen Ladungsverzeichnis wurde angegeben, daß das Schiff
über verschiedene Häfen nach Hongkong weiter führe. In der Ladungs-
empfangsbescheinigung ist die Stelle, wo der Bestimmungsort steht^
zerstört. *
Am 5. Januar 1905 fuhr der Dampfer von Seattle ab. Das Privat-
schiffsjournal, das Notizbuch, das Deckjournal und Maschinenjoumajt
geben alle an, daß Shanghai daß Reiseziel war. Unterwegs wurde
Dutch Harbour angelaufen, Kohlen eingenommen und am 19. d. M. von
dort wieder abgefahren. Das Schiff fuhr dann an den Aleuten vorbel
durch die Boussole-Straße in das Ochotskische Meer und versuchte nach
Wladiwostok zu gelangen. Unterwegs wurde es jedoch von Treibeis
eingeschlossen, verlor seine Bewegungsfähigkeit, trieb viele Tage hin
und her und erlangte erst am 13. März seine Manövrierfähigkeit wieder.
Als es dann aufs neue seine Ricise nach dem Bestimmungsort fort-
zusetzen versuchte, wurde es am 14. März, 8 Uhr morgens auf einer
Stelle etwa 40 Seemeilen südwestlich von Kap Shibetonitara von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Takachiho'' beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Takachiho", Kapitänleutnants
Ugawa Sai, die Vernehmungsprotokolle des genannten Offiziers, des
Kapitäns der „Tacoma'' S. S. Connauton, des Supercargo, russi-
schen Staatsangehörigen Alexander Oeorgiewitsch Boll-
mann, die bei dem zuletzt genannten beschlagnahmten Papiere, das
Schiffszertifikat, die Konnossemente (der Kapitän behauptet, diese Pa-
piere seien zugleich Konnossemente und Chartervertrag, aber ihrer Art
nach sind sie als Konnossemente zu betrachten), die Ausklarierungs-
792
Prisengerichtsentscheldungen: „Tacoma''. Abschnitt VI^i«
papiere, den Gesundheitspaß, zwei Ladungsverzeichnisse, die Ladungs-
empfangsbescheinigung, das. Privatschiffsjournal und Notizbuch, das
Deckjournal, Maschinenjournal und ein Schreiben des Reeders an den
Kapitän vom 2. Januar 1905.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs nicht im
Eigentum des Reeders stehe, so könne das Schiff, selbst wenn die Ladung
Konterbande sei, nicht mit dieser zusammen eingezogen werden, ferner
habe der Reeder in seinem Schreiben vom 5. Februar d. J. (vermutlich
irrtümlich für 2. Januar) dem Kapitän Order gegeben, nach Wladiwostok
oder, wenn er wegen Blockade oder Eises nicht dorthin kommen könne,
nach Shanghai zu fahren. Auch daraus, daß die Konnossemente Wladi-
wostok offen als Bestimmungsort angäben, sei ersichtlich, daß der Trans-
port durchaus bona fide unternommen worden sei. Daß in den Ladungs-
verzeichnissen und den Ausklarierungspapieren Shanghai als Bestim-
mungsort angegeben sei, habe einen Grund darin, daß der Kapitän zu-
gleich die Absicht des Reeders und den Fall, daß er nicht nach Wladi-
wostok werde gehen können, in Rücksicht genommen habe, und sei
durchaus der Absicht entsprungen, auf diese Weise der Aufbringung
zu entgehen. Da eine solche Eintragung von zwei verschiedenen Be-
stimmungsorten in den Schiffspapieren sofort habe bemerkt werden
müssen und daher nicht geeignet gewesen sei, um ein beschlagnehmendes
Kriegsschiff zu täuschen, so könne man dies nicht völkerrechtlich als
ein betrügerisches Mittel betrachten.
Da ferner gesalzenes Rindfleisch keine absolute Konterbande sei^
so müsse im vorliegenden Falle, wo solches nach Wladiwostok gehe,,
einem Hafen, der die Eigenschaft sowohl eines Kriegs- als eines Handels-
haferts besitze, mangels Gegenbeweises angenomnfcn werden, daß es
nach dem Handelshafen Wladiwostok habe befördert werden und nicht
für den Kriegsgebrauch geliefert werden sollen. Daß dies billig sei,
tue auch die Präcedenzentscheidung, bfetreffend den im englisch-hol-
ländischen Kriege im Jahre 1798 aufgebrachten „Neptun a^'', dar. Für
den vorliegenden Fall gelte dies um so mehr, als die Ladung nicht aus-
schließlich für den Kriegsgebrauch verwendbar sei.
Was die Stahlstäbe und die Maschinenteile angehe, so stünden
sie im Eigentum des russischen Staatsangehörigen Bollmann und
seien in dessen Auftrag von dem Befrachter zusammen mit der an-
deren Ladung verladen worden. Sie seien, wie bereits oben gesagt,
keine Konterbande.
Daher werde Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffs
beantragt.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
795
Abschnitt Vl^ia Prisengerichtsentscheidungen: ,,Tacoiiia'-«
Was das unter den zur Verhandlung stehenden Gütern befindliche
gesalzene Rindfleisch angeht, so hat der gegenwärtig in Shanghai an-
sässige, an den militärischen Unternehmungen des Feindes offiziell be-
teiligte russische Generalmajor D e s s i n o mit den russischen Kauf-
leuten Denbigh und Ebbecke & Co. im November v. J. einen
Vertrag auf Einkauf desselben in Amerika und Lieferung nach Wladi-
\c'ostok, dem wichtigsten Stützpunkt und Hauptetappenort, abgeschlossen.
Seiner Bestimmung nach war es demnach Kriegsbedarf für den Feind.
Da ferner der Empfänger die russisch-chinesische Bank in Wladi-
wostok war, so ist darüber, daß es für den Kriegsgebrauch des Feindes zu
liefern war, auch nicht der geringste Zweifel möglich. Er ist daher un-
fraglich als Konterbande anzusehen, i)
Die oben bezeichneten, dem B o 1 1 m a n n gehörigen Stahlstäbe
und Maschinenteile sind Material für den Bau von Schiffen und er-
wiesenermaßen nach Wladiwostok bestimmt. Daher sind auch sie un-
zweifelhaft Konterbande. 2)
Aus dem Schreiben des Reeders an den Kapitän vom 2. Januar
dieses Jahres geht hervor, daß die Bestimmung des Schiffes nach Wladi-
vc'ostok schon vor der Abreise desselben von Seattle festgesetzt war.
Trotzdem ließ der Kapitän sich in Seattle auf Grund seiner Angaben
Ausklarierung und Gesundheitspaß für Shanghai geben. In der Ladungs-
empfangsbescheinigung ist die Stelle, wo der Bestimmungsort stehen soll,
zerstört. Das Privatschiffsjournal, das Notizbuch, das Deckjournal und
Maschinenjournal geben alle fälschlicherweise Shanghai an. Das Schiff
hat zur Winterszeit den wegen der Winde, des Schnees und Eises ge-
fährlichsten Weg genommen, um durch die Soyastraße nach Wladi-
wostok zu gelangen. Alle diese Tatsachen können nicht auf entschuld-
bares Versehen bzvt^ Erleichterung der Reise oder der behördlichen
Formalitäten zurückgeführt werden. Es muß vielmehr angenommen
werden, daß sie dem betrügerischen Plan, durch Verheimlichung des
Bestimmungsortes der Aufbringung zu entgehen, entsprungen sind.
Auch daraus, daß sich im Konnossement und dem Briefe des Reeders
an den Kapitän der wahre Bestimmungsort verzeichnet findet, kann
nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff sich nicht betrügerischer Mittel bedient habe. Dies um so weniger,
als, wie aus der schriftlichen Aussage und der Vernehmung des Stell-
vertreters des Kommandanten der „Takachiho" hervorgeht, der Kapitän
bei der Visitierung die beiden erwähnten Schriftstücke unter der Vor-
gabe, sie seien unerheblich, beiseite zu schaffen versucht hat, um sie
dem visitierenden Offizier zu verheimlichen.
Wie ferner aus dem Vernehmungsprotokoll des oben erwähnten
B o 1 1 m a n n hervorgeht, hat der Reklamant diesem, obwohl er die ihm
1) II. Ziffer 2. — •) Ziffer 1.
794
Prisengerichtsentscheidungen: .Tacoma*. Abschnitt Vl^ia
von Ebbecke & Co. anvertraute besondere Aufgabe kannte, 3) dazu
bestimmt, als,Supercargo mit dem Schiff zu fahren.
Auch beweist der erwähnte Brief, den der Reklamant vor Abreise
des Schiffs von Seattle an den Kapitän richtete, nach der Art, wie dort
die Route, um nach Wladiwostok zu gelangen, festgelegt ist, daß der
Kapitän eine Route wählen sollte, auf der er der Aufbringung durch
das japanische Geschwader entgehen sollte.
Wenn man alles dies zusammenhält, so kann man wohl annehmen,
daß der Reklamant den Transport der Ladung mit seinem Schiff unter-
nommen hat, obwohl er hinreichend über den Charakter derselben
unterrichtet war. Mit anderen Worten, der Reklamant hat sich der
Unterstützung des Feindes mit seinem Schiff schuldig gemacht. '
Es ist aber vor Theorie und Praxis des Völkerrechts anerkannt,
daß ein Schiff, welches sich betrügerischen Verhaltens zur Unterstützung
des Feindes schuldig macht, mit seiner Konterbandeladung eingezogen
werden kann.
Da aus diesen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff ein-
zuziehen ist, so erübrigt es sich, die weiteren Punkte des Vertreters
der Reklamation zu erörtern.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 1. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts des Prisengerichts zu Yokosuka, Yanagita
Ku nio.
(Unterschriften.)
Reklamant: John Rosene, Direktor der North Western Rail-
way Company Ltd. in Seattle, Kings County, Vereinigte Staaten von
Nordamerika.
Prozeßvertreter : Rechtsanwalt Akiyama Genzo, Tokio,
Kyobashiku Unemecho Nr. 15.
Am 1. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den amerikanischen Dampfer „Tacoma", welcher am
14. März 1905 etwa 40 Seemeilen südwestlich von dem Vorgebirge
Shibetonitara von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Takachiho'' [beschlag-
nahmt worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Wegnahme des
amerikanischen Dampfers „Tacoma" entschieden worden ^st.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant John Rosene durch
den Rechtsanwalt Akiyama Genzo als Prozeßvertreter die Berufung
3/ nämlich: die Bestellung des mssischen Qieneralmajors Dessino auszuführen.
795
Abschnitt Vl^a Priseng ericht8ent8chei düngen : .Tacoma'.
eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku
und Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Akiyama Genzo, sind folgende:
Am 1. Juni 1905 habe das Prisengericht zu Yokosuka ein Urteil auf
Wegnahme des Dampfers „Tacoma'' verkündet. Dieses Urteil sei un-
zutreffend, und es werde Aufhebung desselben und Erlaß einer Ent-
scheidung auf Freigabe des Dampfers „Taooma" beantragt.
Die Hauptpunkte der Begründung sind folgende:
Wenn der Reklamant mit seinem eigenen Schiffe einen Trans-
port unternommen habe, so sei das eine Handlung, die unter den Frei-
heiten des neutralen Handelsverkehrs stehe. Er habe dabei keinerlei
betrügerische Mittel geplant, und es liege nicht der geringste Grund für
die Annahme vor, daß er sich der Unterstützung des Feindes schuldig
gemacht habe. Wenn daher das Urteil erster Instanz annehme, daß das
Schiff betrügerische Mittel gebraucht und den Feind zu unterstützen vor-
gehabt habe, und zusammen mit der Ladung auf Einziehung des Schiffes
erkannt habe, so sei das unrechtmäßig.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Yanagita Kunio, sind folgende:
Der Reklamant sage, daß
die „Tacoma" betrügerische Mittel zum Transport von Konter-
bande nach Wladiwostok nicht angewandt, auch sich der
Unterstützung des Feindes nicht schuldig gemacht habe. Da-
her sei die Entscheidung auf Einziehung des Schiffs un-
rechtmäßig.
Das Schiff habe aber einen falschen Bestimmungsort angegeben. Seine
Papiere seien größtenteils absichtlich gefälscht. Dies und auch die Tat-
umstände nach der Abreise von Seattle liefern klaren Beweis dafür,
daß der Reeder tatsächlich an der Lieferung der Kriegsbedarfsartikel
beteiligt gewesen sei und sich im Interesse des Feindes bemüht habe. Da-
her könne denn auch das Schiff der Verantwortung nicht entgehen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es geht aus dem bei dem Supercargo Alexander Georgie-
witsch Bollmann beschlagnahmten Vertrag und einer Vollmacht
sowie aus dem Vernehmungsprotokoll des Genannten hervor, daß das
unter der in Frage stehenden Ladung befindliche gesalzene Rindfleisch
von dem bei den militärischen Unternehmungen des Feindes ständig
engagierten, in Shanghai wohnhaften Generalmajor Dessino bei dem
russischen Kaufmann Denbigh bestellt und von der Maklerfirma Eb-
becke & Co. in Amerika eingekauft worden ist. Außerdem wird es durch
das Schreiben des Reeders an den Kapitän vom 2. Januar d. J., durch die
796
Pii86ngeiicht8ent8cheidungen: »Tacoma*. Abschnitt Vl^st
Vernehmungsprotokolle des Kapitäns S. S. Connauton und des oben-
genannten Bo 11 mann außer jeden Zweifel gestellt, daß der Bestim-
mungsort Wladiwostok unc^ der Empfänger die rdssisch-chinesische
Bank war.
Seit dem japanisch-russischen Kriege ist Wladiwostok ein Haupt-
stutzpunkt für die Kriegsoperationen gewesen und zum Hauptetappenort
gemacht worden. Der Empfänger der Güter, die russisch-chinesische
Bank, steht in enger Beziehung zu der russischen Regierung und den
politischen Unternehmungen derselben im fernen Osten.
Da demnach das zur Verhandlung stehende Rindfleisch im Be-
stimmungsort offenbar für den feindlichen Heeresbedarf geliefert werden
sollte, so ist es unbestreitbar, daß es als Konterbande angesehen werden
muß. Das geltende Völkerrecht erkennt aber an, daß ein Schiff, welches
Güter, von denen es wußte, daß sie Konterbande sind, geladen und be-
fördert hat, zusammen mit dieser Konterbande eingezogen werden
kann. ^)
Nach dem Vernehmungsprotokoll Bollmanns und den zwei er-
wähnten, bei. ihm beschlagnahmten Dokumenten ist es erwiesen, daß
Bollmann die Aufgabe hatte, das zur Verhandlung stehende
amerikanische Rindfleisch einzukaufen und zu prüfen, und daß der Re-
klamant und Reeder in Kenntnis dieser Tatsache den Bollmann als
Supercargo an Bord genommen hat. Es muß daher anerkannt werden,
daß der Reeder von Anfang an die Ladung als Konterbande befördert hat
und bestrebt gewesen ist, der feindlichen Armee zu helfen.
Ferner hat der Reeder den Bestimmungsort der Güter verheimlicht
und sich bemüht, die Löschung derselben in Wladiwostok, einem Haupt-
stützpunkt Rußlands, ins Werk zu setzen. Zu diesem Zweck hat er,
während er dem Kapitän, wie oben gesagt, schrieb, der Bestimmungs-
ort sei Wladiwostok, bei der Abreise von Seattle angegeben, der Dampfer
ginge nach Shanghai, und hat dementsprechend Ausklarierungs-
bescheinigung und Gesundheitspaß erhalten. In der Ladungs-
empfangsbescheinigung, welche von dem Empfänger gezeichnet werden
muß, hat er ausdrücklich die Stelle, wo der Bestimmungsort steht, zer-
stört und sie so unleserlich gemacht. In das Privatschiffsjournal, Notiz-
buch, Deckjournal und Maschinenjournal wurde Shanghai eingetragen.
Auch wenn man die Zeit der Abreise in Erwägung zieht, so ist es be-
zeichnend, daß das Schiff ohne Rücksicht auf die größere Bequem-
lichkeit der Route, welche es durch die Tsugarustraße nach seinem
Ziel führte, den bei der Winterszeit weg'en der Winde, des Schnees
und Eises allergefährlichsten Weg einschlug und versuchte, Wladiwostok
durch die Soyastraße zu erreichen.
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V).
797
Abschnitt VI 48b Prlsengeiichtsentscheidungen: „Harberton'^
teiligte russische Generalmajor D e s s i n o mit den russischen Kaufleuten
Den big h und Ebbecke & Co. im November vorigen Jahres einen
Vertrag auf Einkauf desselben in Amerika und Lieferung nach Wladi-
wostok, dem wichtigsten Stützpunkt und Hauptetappenort des Feindes,
abgeschlossen. Seiner Bestimmung nach war demnach das Fleisch
Kriegsproviant für den Feind. Da ferner der Empfänger die russisch-
chinesische Bank in Wladiwostok war, so ist darüber, daß es für den
Kriegsgebrauch des Feindes zu liefern war, auch nicht der geringste!
Zweifel möglich, und es ist unfraglich als Konterbande anzusehen, i)
Die oben verzeichneten, dem B o 1 1 m a n n gehörigen Stahlstäbe und
Maschinenteile sind Schiffsbaumaterial und sind erwiesenermaßen nach
Wladiwostok bestimmt. Daher sind auch sie unzweifelhaft Konter-
bande. 2)
Bezüglich von Konterbande, wenn auch auf einem Schiff unter
neutraler Flagge, ist es aber in der Pariser Seerechtsdeklaration vom
Jahre 1856 sowie in Theorie und Praxis des Völkerrechts anerkannt,
daß dieselbe eingezogen werden kann.
Da schon aus diesen Gründen die zur Verhandlung stehenden
Güter einzuziehen sind, so erübrigt es sich, auf die weiteren Punkte
der Ausführungen des Vertreters der Reklamation erörternd einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 1. Juni 1Q05 im Prisengericht zu Yokosuka im Bei-
sein des Staatsanwalts Yanagita Kunio.
(Unterschriften.)
Reklamant: Harland & Bartlett Steamship Company, England,
London, St. Mary Axe, vertreten durch den" Kapitän des Dampfers
„Harberton" William Duncombe.
Prozeß Vertreter: Rechtsanwalt Shigefuji Tsurutaro, Na-
gasaki, Hikijimachi Nr. 33.
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Harber-
ton'', wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des Dampfers „Harberton" entschieden.
1) II. Ziffer 2. — ^) II. Ziffer 1.
800
Prisengeiichtsentscheldungen: .Harberton'. Abschnitt VI^*
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Harberton" steht im
Eigentum der Reklamanten, sein Heimatshafen ist London in England
und er ist ein Handelsschiff, welches die englische Flagge führt. Auf Grund
eines zwischen dem Reklamanten und der Firma Mann, George
& Co. in London am 11. November 1904 abgeschlossenen Charterver-
trages lud der Dampfer in Car.diff, England, mit der Bestimmung für Wla-
diwostok ungefähr 5000 Tons zweimal gesiebte Steinkohle, von denen
für die Reise des Schiffs 100 Tons verbraucht wtfrden sind, so daß zur-
zeit ungefähr 4900 Tons vorhanden sind. Im Chartervertrag ist als Be-
stimmungsort Hongkong, Shanghai oder Kiautschou angegeben. Das
Konnossement lautet. auf Kiautschou und der Empfänger sollte durch
Order bestimmt werden. Am 30. November fuhr der Dampfer von
Cardiff ab, fuhr über Malta, Port Said und Colombo nach Hongkong
und erhielt dort auf Grund seiner 4ngaben Ausklarierung für Kiautschou
als Bestimmungsort. Am 10. Februar 1905 fjihr er, obwohl sein Tagebuch
noch immer fälschlicherweise auT Kiautschou lautete, von dort mit absicht-
lichem Umweg nach der 'Straße von Etorup, von wo er jedoch am 1. März
d. J. wegen Schneesturms umkehren mußte. Am 3. März beim zweiten
Male passierte er die Straße und gelangte in das Ochotskische Meer,
wo er jedoch am 4. in Treibeis geriet und nicht weiter fahren konnte.
Er änderte daher notgedrungen seinen Kurs und fuhr wieder in die Straße
von Etorup zurück. Als er aufs neue nach Wladiwostok zu fahren ver-
suchte, wurde er am 18. März 1905, 2 Uhr nachmittags auf 45 ^ 13 ' n. Br.
und 1490 6' ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Akitsushima" ge-
sichtet und von dem Kapitänleutnant Takarura Shoji als Vertreter
des Kommandanten der „Akitsushima" visitiert. Dabei gab der Kapitän
William Duncombe an, das Schiff gehe nach Kiautschou. Nach
seiner bisherigen Reise wurde jedoch angenommen, daß es nach Wladi-
wostok fahre, und es wurde daher schließlich von dem genannten Kriegs-
schiff aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Akitsushima", Kapitänleutnants Ta-
kakura Shoji, die Vernehmungsprotokolle des genannten Offiziers,
des Kapitäns der „Harberton", William Duncombe, des ersten Offi-
ziers Daniel Burns, des ersten Maschinisten William Thomp-
son Brown, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag, das Kon-
nossement, das Privatschiffsjournal und die Ausklarierungsbescheinigung
von Hongkong.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe mit Mann, George&Co. in London einen
Chartervertrag geschlossen, auf Grund dessen das Schiff zum Transport
von Steinkohle von Cardiff in England nach Hongkong, Shanghai oder
M ar 6 trand-Meoblen bürg, Das japanische Prisenreoht. (51) oUl
Abschnitt Vl^ta Prisengerichtsentscheidungen: ,Harberton'»
Kiautschou überlassen werden sollte. Wenn das Schiff nach Wladi-
wostok, einem in; dem Chartervertrag nicht benannten Bestimmungs-
hafen beordert worden sei, so sei das eine Handlung des Charterers oder
des Ladungseigentümers, die ohne Beteiligung und Wissen des Reeders
vorgenommen sei.
Aber selbst einmal zugegeben, der Reklamant sei an diesem Vor-
haben beteiligt gewesen, so werde doch Kohle auch außer zum Kriege
verwandt und könne nicht unbedingt als Konterbande betrachtet werden.
Der Kohlentransport sei eine dem Völkerrecht nicht zuwiderlaufende
Transaktion. Zudem sei Wladiwostok zu der Zeit nicht unter Blockade
gewesen und, wenn es auch ein echter Kriegshafen sei, so verlören darum
Neutrale nicht das Recht, freie Güter, die Handelszwecken dienten, einzu-
führen. Das Völkerrecht erkenne nur ein Mittel an, dessen sich ein krieg-
führender Staat bedienen dürfe, um den neutralen Einfuhrhandel zu
unterbrechen, nämlich die Blockade. Obwohl nun Japan seit Januar dieses
Jahres in der Lage gewesen sei, Wladiwostok zu blockieren, habe es doch
keine Blockade erklärt. Damit habe es stillschweigend anerkannt, daß
Wladiwostok noch für den neutralen Handel offen sei. Daß Japan so,
ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen Handel tatsächlich
blockiere, heiße nichts anderes, als neutrale Schiffe in eine Falle locken.
Da ferner Wladiwostok im Winter der einzige Hafen in Ostsibirien und
neben einem Kriegshafen auch ein Handelshafen sei, so könne, wenn
Wladiwostok auch vorzugsweise von Truppen innegehabt werde, Stein-
kohle, die dorthin befördert werde, nicht ohne weiteres als an die feind-
liche Streitmacht zu liefernde Kohle bezeichnet werden.
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs nicht im
Eigentum des Reeders stehe und nicht Konterbande sei, könne das Schiff
nicht eingezogen werden.
Daß in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort
verzeichnet sei, komme daher, daß das Schiff von Cardiff bis Hongkong
10 ^X^ochen brauche und daß der Ladungseigentümer und Absender mit
Rücksicht auf ungewöhnliche Ereignisse während der Reise und in Erwar-
tung einer Blockadeerklärung es für vorteilhaft gehalten hätten, mit Bezug
auf die Ladung noch keine definitive Entscheidung zu treffen. Als dann
nach Ankunft in Hongkong es sich erwiesen habe, daß noch keine
Blockade über Wladiwostok verhängt gewesen sei, hätten sie Order ge-
geben, nach dort weiter zu fahren. Wenn die Ladungseigentümer von
vornherein erklärt hätten, die Ladung sei für Wladiwostok bestimmt,
und wenn dieser Hafen nachher unter Blockade gestellt worden wäre,
so hätten sie durch Änderung des Bestimmungsortes große Unbequem-
lichkeit und Verluste haben müssen. Auch hätte der Dampfer,
wenn von Anfang an Wladiwostok als Bestimmungsort erklärt worden
sei, in Cardiff und in Häfen auf seiner Reise seitens der englischen
802
Piiaengerichtsentscheidungen: .Harberton*. Abschnitt VI 49a.
Behörden allerhand Hindernisse erfahren müssen. Auch dadurch, daß
die Mannschaft in Hongkong vielleicht nicht willig gewesen sein würde,
nach einem Hafen einer kriegführenden Macht zu reisen, hätten zwischen
dem Kapitän und der Mannschaft Schwierigkeiten heraufbeschworen
werden können. Daher sei es ein guter Plan gewesen, daß der Kapitän,
um allen diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, bis nach
Abfahrt von Hongkong den wahren Bestimmungshafen verheimlicht
habe. Eine Absicht, die Marinen der kriegführenden Staaten zu täu-
schen, habe nicht vorgelegen. Die Autoritäten des Völkerrechts stünden
aber auf dem Standpunkt, daß das Vorhandensein von gefälschten
Papieren auf einem Schiff nur, wenn es klar sei, daß sie zum Zweck
der Täuschung der im Krieg begriffenen Staaten gefälscht seien, Strafe
nach sich ziehen könne.
Daher werde eine Entscheidung auf Freigabe des zur Verhand-
lung stehenden Schiffs beantragt.
Obwohl dem Verfahren entsprechend geladen, ist der Vertreter
der Reklamation ohne irgendwelche Mitteilung nicht erschienen.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen Im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine
ist. Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung diesen Platz
zu einem Hauptetappenort gemacht. Sie ist mit allen Kräften bemüht,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen, und der gewöhnliche Handels-
verkehr hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohlen oder
dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich der
Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs, welche aus aus-
gewählter Cardiff kohle besteht, wie sie im Osten ausschließlich zum
Gebrauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirk-
lich für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht
als Konterbande anzusehen, i)
Der Reklamant führt aus, daß
das Völkerrecht nur ein Mittel anerkenne, dessen sich ein
kriegführender Staat bedienen dürfe, um den neutralen Ein-
fuhrhandel zu unterbrechen, nämlich die Blockade. Daß
Japan, ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen
Handel nach Wladiwostok tatsächlich blockiere, heiße
nichts anderes, als die neutralen Schiffe in eine Falle locken.
Da aber die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs
durch ein japanisches Kriegsschiff geschehen ist, weil es Kriegs-
1) II. Ziffer 2.
(51*) 803
Abschnitt Vl^ia Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton'»
Kiautschou überlassen werden sollte. Wenn das Schiff nach Wladi-
wostok, einem in; dem Chartervertrag nicht benannten Bestimmungs-
hafen beordert worden sei, so sei das eine Handlung des Charterers oder
des Ladungseigentümers, die ohne Beteiligung und Wissen des Reeders
vorgenommen sei.
Aber selbst einmal zugegeben, der Reklamant sei an diesem Vor-
haben beteiligt gewesen, so werde doch Kohle auch außer zum Kriege
verwandt und könne nicht unbedingt als Konterbande betrachtet werden.
Der Kohlentransport sei eine dem Völkerrecht nicht zuwiderlaufende
Transaktion. Zudem sei Wladiwostok zu der Zeit nicht unter Blockade
gewesen und, wenn es auch ein echter Kriegshafen sei, so verlören darum
Neutrale nicht das Recht, freie Güter, die Handelszwecken d»enten, einzu-
führen. Das Völkerrecht erkenne nur ein Mittel an, dessen sich ein krieg-
führender Staat bedienen dürfe, um den neutralen Einfuhrhandel zu
unterbrechen, nämlich die Blockade. Obwohl nun Japan seit Januar dieses
Jahres in der Lage gewesen sei, Wladiwostok zu blockieren, habe es doch
keine Blockade erklärt. Damit habe es stillschweigend anerkannt, daß
Wladiwostok noch für den neutralen Handel offen sei. Daß Japan so,
ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen Handel tatsächlich
blockiere, heiße nichts anderes, als neutrale Schiffe in eine Falle locken.
Da ferner Wladiwostok im Winter der einzige Hafen in Ostsibirien und
neben einem Kriegshafen auch ein Handelshafen sei, so könne, wenn
Wladiwostok auch vorzugsweise von Truppen innegehabt werde, Stein-
kohle, die dorthin befördert werde, nicht ohne weiteres als an die feind-
liche Streitmacht zu liefernde Kohle bezeichnet werden.
Da die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs nicht im
Eigentum des Reeders stehe und nicht Konterbande sei, könne das Schiff
nicht eingezogen werden.
Daß in den Schiffs papieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort
verzeichnet sei, komme daher, daß das Schiff von Cardiff bis Hongkong
10 "Wochen brauche und daß der Ladungseigentümer und Absender mit
Rücksicht auf ungewöhnliche Ereignisse während der Reise und in Erwar-
tung einer Blockadeerklärung es für vorteilhaft gehalten hätten, mit Bezug
auf die Ladung noch keine definitive Entscheidung zu treffen. Als dann
nach Ankunft in Hongkong es sich erwiesen habe, daß noch keine
Blockade über Wladiwostok verhängt gewesen sei, hätten sie Order ge-
geben, nach dort weiter zu fahren. Wenn die Ladungseigentümer von
vornherein erklärt hätten, die I^dung sei für Wladiwostok bestimmt,
und wenn dieser Hafen nachher unter Blockade gestellt worden wäre,
so hätten sie durch Änderung des Bestimmungsortes große Unbequem-
lichkeit und Verluste haben müssen. Auch hätte der Dampfer,
wenn von Anfang an Wladiwostok als Bestimmungsort erklärt worden
sei, in Cardiff und in Häfen auf seiner Reise seitens der englischen
802
Prisengerichtsentscheidungen: »Harberton*. Abschnitt VI 49a.
Behörden allerhand Hindernisse erfahren müssen. Auch dadurch, daß
die Mannschaft in Hongkong vielleicht nicht willig gewesen sein würde,
nach einem Hafen einer kriegführenden Macht zu reisen, hätten zwischen
dem Kapitän und der Mannschaft Schwierigkeiten heraufbeschworen
werden können. Daher sei es ein guter Plan gewesen, daß der Kapitän,
um allen diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, bis nach
Abfahrt von Hongkong den wahren Bestimmungshafen verheimlicht
habe. Eine Absicht, die Marinen der kriegführenden Staaten zu täu-
schen, habe nicht vorgelegen. Die Autoritäten des Völkerrechts stünden
aber auf dem Standpunkt, daß das Vorhandensein von gefälschten
Papieren auf einem Schiff nur, wenn es klar sei, daß sie zum Zweck
der Täuschung der im Krieg begriffenen Staaten gefälscht seien, Strafe
nach sich ziehen könne.
Daher werde eine Entscheidung auf Freigabe des zur Verhand-
lung stehenden Schiffs beantragt.
Obwohl dem Verfahren entsprechend geladen, ist der Vertreter
der Reklamation ohne irgendwelche Mitteilung nicht erschienen.
Das Gericht ist folgender Ansicht :
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen Im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine
ist. Seit dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung diesen Platz
zu einem Hauptetappenort gemacht. Sie ist mit allen Kräften bemüht,
dort große Kriegsvorräte anzuhäufen, und der gewöhnliche Handels-
verkehr hat dort fast gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohlen oder
dergleichen Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig ist, nach Wladiwostok befördert werden, so muß,
mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden, daß dieselben für
den Kriegsgebrauch zu liefern waren. Besonders kann es bezüglich der
1-adung des zur Verhandlung stehenden Schiffs, welche aus aus-
gewählter Cardiffkohle besteht, wie sie im Osten ausschließlich zum
Gebrauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt werden, daß sie wirk-
lich für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist daher mit Recht
als Konterbande anzusehen, i)
Der Reklamant führt aus, daß
das Völkerrecht nur ein Mittel anerkenne, dessen sich ein
kriegführender Staat bedienen dürfe, um den neutralen Ein-
fuhrhandel zu unterbrechen, nämlich die Blockade. Daß
Japan, ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen
Handel nach Wladiwostok tatsächlich blockiere, heiße
nichts anderes, als die neutralen Schiffe in eine Falle locken.
Da aber die Beschlagnahme des zur Verhandlung stehenden Schiffs
durch ein japanisches Kriegsschiff geschehen ist, weil es Kriegs-
0 11. Ziffer 2.
(51*) 803
Abschnitt Vl^ia Prisengerichtsentschefdungen : .Harberton'^.
konterbande beförderte, so liegt darin keine Unterbrechung des berech-
tigten neutralen Einfuhrhandels nach Wladiwostok, und es ist völker-
rechtlich in Theorie und Praxis anerkannt, daß ein kriegführender
Staat auch, wo keine Blockade erklärt ist, Schiffe, welche Konterbande
führen, aufbringen kann.
Das zur Verhandlung stehende Schiff ist wie zwei etwa zur selben
Zeit auf der Reise nach Wladiwostok von der Kaiserlichen Ma-
rine aufgebrachten Schiffe, nämlich wie der englische Dampfer „Easby
Abbey" ^) und der österreichisch-ungarische Dampfer „Burma" ^) von
der englischen Firma Mann, George & Co. in London gechartert
worden; der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffs, William
Duncombe hat ausgesagt, daß sein Schiff genau so verfahren sei
wie die „Easby Abbey"; der Kapitän dieses Schiffes, Robert Pri-
deaux, hat erklärt, er habe gewußt, daß die Ladung nach Wladi-
wostok gehen ßoUe, er habe vor Abreise von England die mündliche
Order erhalten, nach Wladiwostok zu fahren, und er vermute, daß dies
auch bei anderen Schiffen der Fall sei; die „Easby Abbey" ist inzwischen
auf der Reise von Wladiwostok aufgebracht und von dem unterzeich-
neten Prisengericht zur Wegnahme verurteilt worden. Wenn man alle
diese Tatsachen nebeneinander hält, so wird es klar, daß Wladiwostok
schon, vor der Abreise des zur Verhandlung stehenden Schiffs von
Cardiff als Bestimmungsort festgesetzt war. Trotzdem lautet der Charter-
vertrag auf Hongkong, Shanghai oder Kiautschou als Bestimmungsort,
und das Konnossement bezeichnet Kiautschou als solchen. Obwohl
der Kapitän vor der Abfahrt von Hongkong klare Order für Wladi-
wostok von dem Reeder erhielt, gab er doch wieder fälschlicherweise als
Bestimmungsort Kiautschou an und erhielt entsprechende Ausklarierungs-
papiere. Von dort abfahrend nahm er absichtlich einen Umweg und
versuchte, während das Journal jauf Kiautschou lautete, nach Wladi-
wostok zu gelangen. Als er von dem Vertreter des Kommandanten
der „Akitsushima'', Kapitänleutnant Takakura Shoji, visitiert wurde,
gab der Kapitän bis zuletzt an, daß er nach Kiautschou führe und erst,
als er von dem mit dem Fall beauftragten Rat vernommen wurde, gab .
er an, daß der wahre. Bestimmungsort Wladiwostok gewesen sei. Alles
dies ist nicht aus entschuldbarer Nachlässigkeit oder, um die Reise
zu erleichtern, geschehen, vielmehr ist von vornherein mit größter
Überlegung geplant worden, durch Verheimlichung des Bestimmungsorts
der Aufbringung, wenn möglich, zu entgehen.
Kurz, der Dampfer „Harberton'' hat unter Anwendung betrügeri-
scher Mittel Kriegskonterbande befördert, und es ist von der völker-
rechtlichen Theorie und Praxis anerkannt, daß ein solches Schiff, welches
sich betrügerischen Vorgehens schuldig gemacht hat, gleichgültig ob
3) VI. 43a und b. — 3) V I. £2a und b.
804
Prisengeriohtsentscheidungen: „Harberton". Abschnitt Vl^ta
der Reeder an diesem Vergehen beteiligt ist oder nicht, mitsamt
seiner Konterbandeladung eingezogen werden muß.*)
Da aus diesen Gründen der Dampfer einzuziehen ist, so erübrigt
es sich, auf die anderen Punkte des Vertreters der Reklamation be-
sonders einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 7. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka, im Bei-
sein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
Y o s h i o.
(Unterschriften.)
Reklamant: Harland & Barlett Steamship Company Ltd., Lon-
don, St. Mary Axe Nr. 43, vertreten durch den Kapitän des englischen
Dampfers „Harberton", William Duncombe.
. Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Shigefuji Tsurutaro, Na-
gasaki, Hikijimachi Nr. 33.
Am 7. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den englischen Dampfer „Harberton", welcher am
18. März 1905 auf 45 « 13' n. Br. und 149« 6' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Akitsushima'' aufgebracht worden ist, ein Urteil ge-
fällt, in welchem auf Wegnahme des englischen Dampfers „Harberton''
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat William Duncombe in Vertretung
des Reklamanten, der Harland & Barlett Steamship Company Ltd.,
durch den Rechtsanwalt Shigefuji Tsurutaro als Prozeßvertreter
die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte T s u t s u ki
Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Bin ich i beim Oberprisengericht
geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Shigefuji Tsurutaro, und deren Begründung sind folgende:
Der Reklamant habe mit Mann, George & Co. in London
einen Chartervertrag geschlossen, auf Grund dessen das Schiff zum
Transport von Steinkohle von Cardiff in England nach Hongkong,
Shanghai oder Kiautschou überlassen werden sollte. Wenn das Schiff
nach Wladiwostok, einem in dem Chartervertrag nicht genannten Be-
stimmungshafen, beordert worden sei, so sei das eine Handlung des
Charterers oder des Ladungseigentümers, die ohne Beteiligung und
Wissen des Reeders vorgenommen worden sei.
*) V. § 44.
805
Abschnitt VI^« Prisengerichtsentscheldungen: .Harberton*.
Aber selbst einmal zugegeben, der Reklamant sei an diesem Vor-
haben beteiligt gewesen, so werde doch Kohle auch außer zum Kriege
verwandt und könne nicht unbedingt als Konterbande betrachtet werden.
Der Kohlen transport sei eine dem Völkerrecht nicht zuwiderlaufende
Transaktion. Zudem sei Wladiwostok zu der Zeit nicht unter
Blockade gewesen und, wenn es auch ein echter Kriegshafen sei, so
verlören darum Neutrale nicht das Recht freie Güter, die Handels-
zwecken dienten, einzufuhren. Das Völkerrecht erkenne nur ein Mittel
an, dessen sich ein kriegführender Staat bedienen dürfe, um den neu-
tralen Einfuhrhandel zu unterbrechen, nämlich die Blockade. Obwohl
nun Japan seit Januar dieses Jahres in der Lage gewesen sei, Wladi-
wostok zu blockieren, habe es doch keine Blockade erklärt. Damit
habe es stillschweigend anerkannt, daß Wladiwostok noch für den neu-
tralen Handelsverkehr offen sei. Daß Japan so, ohne eine Blockade zu
erklären, den neutralen Handel tatsächlich blockiere, heiße nichts an-
deres, als die neutralen Schiffe in eine Falle locken. Da ferner Wladi-
wostok im Winter der einzige Hafen in Ostsibirien und neben einem
Kriegshafen auch ein Handelshafen sei, so könne, wenn Wladiwostok
auch vorzugsweise von Trupf)en innegehabt werde, Steinkohle, die dort-
hin befördert werde, nicht ohne weiteres als der feindlichen Streitmacht
zu liefernde Kohle beze^ichnet werden.
Da die Ladung des zur Verhandung stehenden Schiffs nicht im
Eigentum des Reeders stehe und nicht Konterbande sei, könne das
Schiff njicht eingezogen werden.
Daß in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungs-
ort verzeichnet sei, komme daher, daß das Schiff von Cardiff bis
Hongkong 10 Wochen brauche und daß der Ladungseigentümer und
Absender mit Rücksicht auf ungewöhnliche Ereignisse während der
Reise und auf eine Blockadeerklärung es für vorteilhaft gehalten hätten,
mit Bezug auf die Ladung noch keine definitive Entscheidung zu treffen.
Als dann nach Ankunft des Schiffs in Hongkong es sich erwiesen habe,
daß noch keine Blockade über Wladiwostok verhängt gewesen sei, hätten
sie Order gegeben, nach dort weiter zu fahren. Wenn die Ladungs-
eigentümer von vornherein erklärt hätten, die Ladung sei für Wladi-
wostok bestimmt, und wenn dieser Hafen nachher unter Blockade ge-
stellt worden wäre, so hätten sie durch Änderung des Bestimmungs-
ortes große Unbequemlichkeiten und Verluste haben müssen. Auch
hätte der Dampfer, wenn von Anfang an Wladiwostok als Be-
stimmungsort erklärt worden sei, in Cardiff und den Häfen auf seiner
Reise seitens der englischen Behörden allerhand Hindernisse erfahren
müssen. Auch hätten dadurch, daß die Mannschaft in Hongkong nicht
willig gewesen sein würde, nach einem H^fen einer kriegführenden
Macht zu reisen, zwischen dem Kapitän und der Mannschaft manche
806
Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton". Abschnitt VI^*
Schwierigkeiten heraufbeschworen werden Icönnen. Daher sei es ein
guter Plan gewesen, daß der Kapitän, um all diesen Schwierigkeiten
aus dem Weg zu gehen, bis nach Abfahrt von Hongkong den wahren
Bestimmmungshafen verheimlicht habe. Eine Absicht, die Marinen der
kriegführenden Staaten zu Räuschen, habe nicht vorgelegen. Die Auto-
ritäten des Völkerrechts stünden aber auf dem Standpunkt, daß das
Vorhandensein von gefälschten Papieren auf einem Schiff, nur wenn
es klar sei, daß sie zum Zwecke der Täuschung der im Krieg be-
griffenen Marinen gefälscht seien, Strafe nach sich ziehen könne.
Das Urteil erster Instanz besage:
Es sei bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptsammelplatz für seine
Marine sei. Seit dem Kriege mit Japan habe die russische
Regierung diesen Platz zu einem* Etappenort gemacht und
sie sei mit allen Kräften bemüht, dort große Kriegsvorräte
anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr habe dort
fast gänzHch aufgehört. Wenn daher Kohle und dergleichen
Güter, deren Konterbandeeigenschaft von besonderen Um-
ständen abhängig sei, nach Wladiwostok befördert werde,
so müsse, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen
werden, daß dieselben für den Kriegsgebrauch zu liefern
gewesen seien.
Das müsse als eine unzutreffende Darstellung der Verhältnisse be-
zeichnet werden. Denn wenn Wladiwostok auch ein russischer Kriegs-
hafen sei, so sei es doch auch zu gleicher Zeit ein Handelshafen, der
für den neutralen Einfuhrhandel nicht gesperrt sei. Was daher relative
Konterbandegüter, wie die zur Verhandlung stehenden, angehe, die
als Konterbande nur in dem Fall zu betrachten seien, wenn sie für
den Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine bestimmt seien, so
könne man lediglich daraus, daß sie nach einem feindlichen Kriegs-
hafen gingen, nicht sogleich schließen, daß sie der feindlichen Armee
oder Marine geliefert werden sollten. Wie auch, wenn der Bestimmungs-
ort nicht ein Kriegshafen sei, die Frage, ob die Güter für die Armer
oder die Marine bestimmt seien, nach den besonderen Umständen des
Falls betrachten würden und Fälle möglich seien, wo sie als Konter-
bande anzusehen seien, so sei es auf der anderen Seite ein Fehler,
wenn der Bestimmungshafen ein Kriegshafen sei, einfach obenhin an-
zunehmen, daß die Güter für die feindliche Armee oder iVlarine zu
liefern seien. Es sei daher unrechtmäßig, daß das Urteil erster In-
stanz die Konterbandeeigenschaft, der zur Verhandlung stehenden Güter
einfach danach bestimmt habe, daß Wladiwostok ein russischer Kriegs-
hafen sei, ohne den Tatbestand über die Frage, ob die Güter für dir
807
Abschnitt VI*»« Prisengerichtsentscheidungen: »Harberton*.
russische Armee oder Marine bestimmt gewesen seien, im geringsten
klarzustellen.
Im übrigen gehe die Tatsache, daß der gewöhnliche Handels-
verkehr in Wladiwostok zu der fraglichen Zeit nicht aufgehört ge-
habt habe, aus folgendem ganz offenbar hervor. Die „Wilhelmina"
und viele andere neutrale Schiffe seien mit Steinkohlen, Petroleum
und sonstiger verschiedener Ladung nach dort gefahren und Firmen
wie Hermann Kobritz und viele andere hätten dort wie früher
ihr Handelsgewerbe betrieben.
Wenn daher Cardiffkohle, die auch außer dem Kriegsgebrauch
Verwendung finde, nach Wladiwostok befördert werde, welches ein
Kriegshafen sei, in dem zugleich gewöhnlicher Handelsverkehr stattfinde^
so müsse nach der Präcedenzentscheidung in dem „Neptunus' -Fall an-
genommen werden, daß die Ladung nach dem Handelshafen und zu
Friedensgebrauch bestimmt sei. Das Urteil erster Instanz behaupte da-
gegen, daß, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen werden müsse^
sie solle für den Kriegsgebrauch geliefert werden, und drehe so die
Beweislast um.
Es werde daher Verwerfung des Urteils erster Instanz in allen
seinen Punkten und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des eng-
lischen Dampfers „Harberton" beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende:
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei doppelt gesiebte, aus-
gewählte Cardiffkohle, welche im Osten nur auf Kriegsschiffen ver-
wandt werde. Ihr Bestimmungsort sei Wladiwostok, welches zjurzeit den
Hauptstützpunkt der russischen Marine bilde. Daher sei es zutreffend^
daß das Urteil erster Instanz angenommen habe, daß die zur Ver-
handlung stehende Ladung für die feindliche Marine habe geliefert
werden sollen; und wenn die Berufung behaupte, die Verhältnisse
seien unrichtig dargestellt, so sei das völlig unbegründet. Es liege
bei Beurteilung der Frage, ob die Ladung Konterbande sei oder nicht,
kein Bedürfnis vor zu entscheiden, ob der gewöhnliche Handelsverkehr
ihres Bestimmungsorts Wladiwostok seit dem Kriege mit Japan auf-
gehört habe oder nicht. Da, wie bereits besagt, eine Ladung wie die
zur Verhandlung stehendjC im Osten nur auf Kriegsschiffen zur Ver-
wendung komme und der genannte Hafen ein russischer Marinestütz-
punkt sei, welcher von »einem Stocken des gewöhnlichen Handelsverkehrs
nicht berührt werde, so könne man gar nicht zu einer anderen An-
nahme kommen, als daß die Ladung für die Marine habe geliefert
werden sollen. Kurz, die Behauptung des Reklamanten, der gewöhn-
liche Handelsverkehr in Wladiwostok habe seit der Eröffnung des Krieges
808
Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton'. Abschnitt VI 49»
nicht aufgehört, stehe zu der Frage,, ob die zur Verhandlung stehende
Ladung Konterbande sei oder nicht, in keiner Beziehung.
Was ferner die Anwendung betrügerischer Mittel angehe, so sei
die Beteiligung des Reklamanten und Reeders an derselben dadurch
erwiesen, daß in dem Chartervertrag ein falscher Bestimmungsort an-
gegeben sei und daß der Kapitän nach seiner eigenen Aussage von
dem Reeder Order für Wladiwostok erhalten habe. Daher sei die Be-
rufung in der Behauptung, der Reeder habe an dem betrügerischen
Vorgehen keinen Anteil gehabt, unbegründet.
Ferner liege es auf der Hand, daß in dem Chartervertrag und den
anderen auf die Ladung Bezug habenden Schiffspapieren der falsche
Bestimmungsort nur deshalb eingetragen worden sei, um dadurch der
Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen. Das zur Ver-
handlung stehende Schiff habe den Bereich der seerechtlichen Befug-
nisse Japans durchquert, um nach Wladiwostok zu gelangen. Wenn
es dabei in die Schiffspapiere, welche zur Entscheidung über die Konter-
bandeeigenschaft seiner Ladung von der größten Bedeutung seien, einen
falschen Bestimmungsort eingetragen habe, so hätten der Reeder und
der Ladungseigentümer voraussehen müssen, daß das Schiff damit der
japanischen Marine habe im höchsten Grade verdächtig werden und
sich den größten Belästigungen aussetzen müssen. Niemand werde
bei gesundem Menschenverstand, um kleinen Unbequemlichkeiten bei
der Ausklarierung zu entgehen, sich eine so große Gefahr aufladen.
Wenn dabei wirklich die Vorstellung einer Blockierung Wladiwostoks
vorgelegen hätte, so wäre es ausreichend gewesen, diesen Gedanken
aufrichtig in den genannten Papieren zu verzeichnen.
Der in dieser Sache ausgeführte Betrug sei demnach ein schweres
Vergehen, für das sich keinerlei Entschuldigung finden lasse, und es
sei durchaus zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz auf Grund
dieses schweren Vergehens auf Einziehung des zur Verhandlung
stehenden Schiffes erkannt habe.
Die Berufung sei daher als unbegründet zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
L Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt
für seine Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. Es hat dort in aus-
gedehntem Maße Waffen, Lebensmittel, Kohlen und sonstige Kriegs-
bedarfsartikel aufgespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach
dorthin hat fast ganz aufgehört. Es ist daher durchaus begründet,,
wenn das Gericht erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem
Hafen bestimmten Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch ge-
liefert, werden sollten und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so
mehr, als die Kohlenladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
809
Abschnitt VI^'^ Prisengerichtsentschef düngen : .Harberton*.
ausgewählte Cardiffkohle ist und die Preise für solche im Osten so
außerordentlich hoch sind, daß außer für den Gebrauch auf Kriegs-
schiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage dafür vorhanden und es somit
unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den russischen Kriegsgebrauch
geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptunus'', auch in diesem Falle angenommen werden,
daß die in Frage stehende Ladung für friedliche Zwecke bestimmt
gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptun us''-Fall und die des vor-
liegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden, und
auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es ist
daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vorliegenden
angewandt werden kann.
2. Das Völkerrecht erkennt an, daß Schiffe, wie das zur Ver-
handlung stehende, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. ^) Das Oberprisengericht ist der Ansicht,
daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Besonders ist es billig im
vorliegenden Falle, wo die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist,
wo der Reeder dem Kapitän Order gegeben hat, nach Wladiwostok zu
fahren, während das Privatschiffsjournal und andere Schiffspapiere einen
gefälschten Bestimmungsort enthalten, wo also das Schiff sich des
Transports von Konterbande unter Anwendung betrügerischer Mittel
schuldig gemacht hat.
Da schon nach dem in den Punkten 1 und 2 Gesagten die Ent-
scheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur Verhandlunjp
stehenden Schiffs unfraglich gerechtfertigt ist, so liegt kein Bedürfnis
vor, auf die einzelnen Punkte der Berufung noch besonders ein-
zugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 8. August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pyman Watson Steamship Company Ltd., England,
Wales, Cardiff, vertreten durch den Kapitän des Dampfers „Harberton'',
William Duncombe.
*) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und ihre Grundlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
810
Prisengerichtsentscheidungen: „Harberton*. Abschnitt VI^^
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Shigefuji Tsurutaro, Na-
gasaki, Hikijimachi Nr. 33.
In der Prisensache, betreffend die Ladung des englischen Dampfers
„Harberton'' wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
V rteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der auf dem englischen Dampfer
„Harberton'' verladenen etwa 4900 Tons Steinkohlen erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehende \Ladung von etwa 4900 Tons doppelt-
gesiebter Cardiffkohle (zur Zeit des Ladens in Cardiff waren etwa 5000
Tons vorhanden, von denen jedoch für die Reise des Dampfers „Har-
berton" 100 Tons verbraucht worden sind, so daß zurzeit etwa 4900
Tons übrig sind) ist von dem Reklamanten als Absender auf dem am
IL November 1904 von der Firma Mann, George & Co. in London ge-
charterten englischen Dampfer „Harberton'' verladen worden, um nach
Wladiwostok befördert zu werden. Der Dampfer ist am 30. November
d. J. von Cardiff in England abgereist und über Malta, Port Said, Colombo
und Hongkong auf der Reise nach Wladiwostok am 1. März 1905 bis
nach der Straße von Etorup gelangt, von wo er jedoch wegen Schnee-
sturms wieder nach Süden abwenden mußte. Am 3. März passierte er
zum zweiten Male die Straße und gelangte in das Ochotskische Meer,
wo er jedoch am 4. in Treibeis geriet und nicht weiter fahren konnte.
Er änderte daher notgedrungen seinen Kurs und fuhr wieder in die
Straße Etorup zurück. Als er aufs neue nach Wladiwostok zu fahren
versuchte, wurde er am 18. März 1905 auf 45 o 13' n. Br. und 149^ 6'
ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Akitsushima'' mit seiner Ladung
beschlagnahmt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Akitsushima'', Kapitän leutnants
Takakura Shoji, die Vernehmungsprotokolle des genannten Offi-
ziers, des Kapitäns der „Harberton'' William Duncombe, des
ersten Offiziers Daniel Burns, des ersten Maschinisten W i' 1 1 i a m
Thompson Brown, das Schiffszertifikat, den Chartervertrag und
das Konnossement.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant und Eigentümer der zur Verhandlung stehenden
Ladung sei ein neutraler Staatsangehöriger. Er habe die Steinkohle
nach einem nicht blockierten Hafen einer der kriegführenden Mächte
befördern wollen. Dies sei, da man Kohle als eine zu allgemeinem
Gebrauch dienende Ware anzusehen habe, nichts Unrechtmäßiges. Kohle
sei nur, wenn sie der feindlichen Kriegsmacht geliefert werden solle,
811
Abschnitt Vl^'b Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton".
nicht aber schon an und für sich Konterbande. Es liege aber keinerlei
Beweis dafür vor, daß der Reklamant beabsichtigt habe, die Kohle der
feindlichen Kriegsmacht zu liefern.
Zudem sei Wladiwostok zu der Zeit nicht unter Blockade ge-
wesen, und, wenn es auch ein echter Kriegshafen sei, so verlören darum
Neutrale nicht das Recht, Güter wie die zur Verhandlung stehende
Ladung, die Handelszwecken dienten, einzuführen. Das Völkerrecht
erkenne nur ein Mittel an, dessen sich ein kriegführender Staat bedienen
dürfe, um den neutralen Einfuhrhandel zu unterbrechen, nämlich die
Blockade. Obwohl nun Japan seit Januar dieses Jahres in der Lage
gewesen sei, Wladiwostok zu blockieren, habe es doch keine Blockade
erklärt. Damit habe es stillschweigend anerkannt, daß Wladiwostok noch
für den neutralen Handelsverkehr offen sei. Daß Japan so, ohne eine
Blockade erklärt zu haben, den neutralen Handel tatsächlich blockiere,
heiße nichts anderes, als die neutralen Schiffe in eine Falle locken. Da
ferner Wladiwostok im Winter der einzige Hafen in Ostsibirien und
neben einem Kriegsfiafen auch ein Handelshafen sei, so könne, wenn
Wladiwostok auch vorzugsweise von Truppen innegehabt werde, Stein-
kohle, die dorthin befördert werde, nicht ohne weiteres als der feind-
lichen Streitmacht zu liefernde Kohle betrachtet werden.
Daß in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort
verzeichnet sei, komme daher, daß das Schiff von Cardiff bis Hongkong
10 Wochen brauche und daß der Landungseigentümer und Absender
mit Rücksicht auf ungewöhnliche Ereignisse während der Reise und
in Erwartung einer Blockadeerklärung es für vorteilhaft gehalten hätten,
mit Bezug auf die Ladung noch keine definitive Entscheidung zu treffen.
Als dann nach Ankunft des Schiffes in Hongkong es sich erwiesen habe,
daß noch keine Blockade über Wladiwostok verhängt gewesen sei, hätten
sie Order gegeben, nach dort weiter zu fahren. Wenn die Ladungs-
eigentümer von vornherein erklärt hätten, die Ladung sei für Wladiwostok
bestimmt, und wenn dieser Hafen nachher unter Blockade gestellt worden
wäre, so hätten sie durch Änderung des Bestimmungsorts große Un-
bequemlichkeit und Verluste haben müssen. Auch hätte der Dampfer,
wenn von Anfang an Wladiwostok als Bestimmungsort erklärt worden
sei, in Cardiff und in Häfen auf seiner Reise seitens der englischen
Behörden allerhand Hindernisse erfahren müssen.
Aus diesen Gründen werde eine Entscheidung auf Freigabe der
zur Verhandlung stehenden Ladung beantragt.
Der Vertreter der Reklamation Jst auf die dem Verfahren ent-
sprechende Ladung, ohne irgendwelche Mitteilung zu machen, nicht
erschienen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
812
Prisengerfchtsentscheidungen: .Harberton*. Abschnitt Vl^tk
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
im Osten und zurzeit der Hauptstützpunkt für seine Marine ist. Seit
dem Kriege mit Japan hat die russische Regierung diesen Platz zu einem
Hauptetappenort gemacht und ist bestrebt, dort große Kriegsvorräte
anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr hat dort fast gänzlich
aufgehört. Wenn daher Kohlen oder dergleichen Güter, deren
Konterbandeeigenschaft von besonderen Umständen abhängig ist, nach
Wladiwostok befördert werden, so muß, mangels klaren Gegenbeweises,
angenommen werden, daß dieselben für den Kriegsgebrauch zu liefern
waren. Besonders kann es bezüglich der zur Verhandlung stehenden
Ladung, welche aus ausgewählter Cardiffkohle besteht, wie sie im Osten
ausschließlich zum Gebrauch auf Kriegsschiffen dient, nicht bezweifelt
werden, daß sie wirklich für den Kriegsgebrauch bestimmt war. Sie ist
daher mit Recht als Konterbande anzusehen, i)
Der Reklamant führt aus, daß
das Völkerrecht nur ein Mittel anerkenne, dessen sich ein
kriegführender Staat bedienen dürfe, um den neutralen Ein-
fuhrhandel zu unterbrechen, nämlich die Blockade. Daß
Japan, ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen
Handel nach Wladiwostok tatsächlich blockiere, heiße nichts
anderes, als die neutralen Schiffe in eine Falle locken.
Da aber die Beschlagnahme des Dampfers „Harberton" durch ein japa-
nisches Kriegsschiff geschehen ist, weil es Kriegskonterbande beförderte,
so liegt darin keine Unterbrechung des berechtigten neutralen Einfuhr-
handels nach Wladiwostok, und es ist völkerrechtlich in Theorie und
Praxis anerkannt, daß ein kriegführender Staat, auch wo keine Blockade
erklärt ist, Schiffe, welche Konterbande führen, aufbringen kann.
Demnach ist die zur Verhandlung stehende Ladung als Konter-
bande, welche auf der Reise nach Wladiwostok begriffen war, anzusehen.
Die Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 sowie die Theorie
und Praxis des Völkerrechts erkennen aber an, daß Konterbande, wenn
auch unter neutraler Flagge fahrend, eingezogen werden kann. ^)
Da aus diesen Gründen die zur Verhandlung stehende Ladung
einzuziehen ist, so erübrigt es sich, die anderen Punkte des Vertreters
der Reklamation noch besonders zu erörtern.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 7. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka Kobäyashi
Y o s h i o.
(Unterschriften.)
») II. Ziffer 2. — =) V. § 43.
813
Abschnitt VI 49b Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton'.
Reklamant: Pyman >X^atson Steamship Company Ltd. in Eng-
land, Wales, Cardiff, vertreten durch den Kapitän des englischen
Dampfers „Harberton'', William Duncombe.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Shigefuje Tsurutaro, Na-
gasaki, Hikijimachi Nr. 33.
Am 7. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend die Ladung des am 18. März 1905 auf 45 <> 13' n. B.
und 149® 6' ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Akitsushima"
aufgebrachten englischen Dampfers „Harberton'', welche aus ungefähr
4900 Tons Kohlen besteht, ein Urteil erlassen, in welchem auf Ein-
ziehung dieser Ladung erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat William Duncombe, der Vertreter
des Reklamanten, Pyman Watson Steamship Company, durch den Rechts-
anwalt Shigefuji Tsurutaro als Prozeßvertreter die Berufung ein-
gelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und
Dr. jur. I s h i w a t a r i B i n i c h i beim Oberprisengericht geprüft
worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Shigefuji Tsurutaro, und deren Gründe sind folgende:
Der Reklamant und Eigentümer der zur Verhandlung stehenden
Ladung sei ein neutraler Staatsangehöriger. Er habe die Steinkohle nach
einem nicht blockierten Hafen einer der kriegführenden Mächte befördern
wollen. Dies sei, da man Kohle als eine zu allgemeinem Gebrauch
dienende Ware betrachten müsse, nichts unrechtmäßiges. Kohle sei
nur, wenn sie der feindlichen Kriegsmacht geliefert werden solle, nicht
aber schon an und für sich Konterbande. Es liege aber keinerlei Beweis
dafür vor, daß der Reklamant beabsichtigt gehabt habe, die Kohle der
feindlichen Kriegsmacht zu liefern. Zudem sei Wladiwostok zu der Zeit
nicht unter Blockade gewesen und, wenn es auch ein echter Kriegshafen
sei, so verlören darum Neutrale nicht das Recht, die zur Verhandlung
stehende Ladung, die Handelszwecken diene, einzuführen. Das Völker-
recht erkenne nur ein Mittel an, dessen sich ein kriegführender Staat
bedienen dürfe, um den neutralen Einfuhrhandel zu unterbrechen, näm-
lich die Blockade. Obwohl nun Japan seit Januar dieses Jahres in der
Lage gewesen sei, Wladiwostok (Zu blockieren,, habe es doch keine
Blockade erklärt. Damit habe es stillschweigend anerkannt, daß Wladi-
wostok noch für den neutralen Handelshafen offen sei. Daß Japan
so, ohne eine Blockade erklärt zu haben, den neutralen Handel tatsächlich
blockiere, heiße nichts anderes, als die neutralen Schiffe in eine Falle
locken. Da ferner Wladiwostok im Winter der einzige Hafen in Ost-
sibirien und neben einem Kriegshafen auch ein Handelshafen sei,
so könne, wenn Wladiwostok auch vorzugsweise von Truppen innegehabt
814
Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton*. Abschnitt VI^^^
werde, Steinkohle, die dorthin befördert werde, nicht ohne weiteres
als der feindlichen Streitmacht zu liefernde Kohle bezeichnet werden.
Daß in den Schiffspapieren Wladiwostok nicht als Bestimmungsort
verzeichnet sei, komme daher, daß das Schiff von Cardiff bis Hongkong
.10 Wochen brauche und daß die Ladungseigentümer und Absender mit
Rücksicht auf ungewöhnliche Ereignisse während der Reise und auf
eine Blockadeerklärung es für vorteilhaft gehalten hätten, mit Bezug
auf die Ladung noch keine definitive Entscheidung zu treffen. Als dann
nach Ankunft des Schiffs in Hongkong es sich erwiesen habe, daß noch
keine Blockade über Wladiwostok verhängt gewesen sei, hätten sie Order
gegeben, nach dort weiter zu fahren. Wenn die Ladungseigentümer von
vornherein erklärt hätten, die Ladung sei für Wladiwostok bestimmt,
und wenn dieser Hafen nachher unter Blockade gestellt worden wäre,
so hätten sie durch Änderung des Bestimmungsortes große Un-
bequemlichkeit und Verluste haben müssen. Auch hätte der Dampfer,
wenn von Anfang an Wladiwostok als Bestimmungsort erklärt worden
sei, in Cardiff und Häfen auf seiner Reise seitens der englischen ,
Behörden allerhand Hindernisse erfahren müssen.
Das Urteil erster Instanz behaupte :
Es sei bekannt, daß 'Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegs-
hafen im Osten und zurzeit der Hauptsammelplatz für seine
Marine sei. Seit dem Kriege mit Japan habe die russische
Regierung diesen Platz zu einem Etappenort gemacht, und
sie sei mit allen Kräften bemüht, dort große Kriegsvorräte
anzuhäufen. Der gewöhnliche Handelsverkehr habe dort fast
gänzlich aufgehört. Wenn daher Kohle und dergleichen
Güter, deren Konterbandeeigenschaft vonv besonderen Um-
ständen abhängig sei, nach Wladiwostok befördert würden,
so müsse, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen
werden, daß dieselben für den Kriegsgebrauch zu liefern
gewesen seien.
Das müsse als eine unzutreffende Darstellung der Verhältnisse bezeichnet
werden. Denn wenn Wladiwostok auch ein russischer Kriegshafen sei,
so sei es doch zu gleicher Zeit auch ein Handelshafen, der für den
neutralen Einfuhrhandel nicht gesperrt sei. Was daher relative Konter-
bandegüter, wie die zur Verhandlung stehenden, angehe, die als
Konterbande nur in dem Falle zu betrachten seien, wenn sie für den
Gebrauch der feindlichen Armee oder Marine bestimmt seien, so könne
man lediglich daraus, daß sie nach einem feindlichen Kriegshafen gingen,
nicht sogleich schließen, daß sie der feindlichen Armee oder Marine
geliefert werden sollten. Wie auch, wenn der Bestimmungsort nicht ein
Kriegshafen sei, die Frage, ob die Güter für die Armee oder die Marine
bestimmt seien, nach den besonderen Umständen des Falls betrachtet
816
Abschnitt Vl^tk Prisengerichtsentscheidungen: .Harberton*.
würden und Fälle möglich seien, wo sie als Konterbande anzusehen seien,
so sei es auf der anderen Seite ein Fehler, wenn der Bestimmungshafen
ein Kriegshafen sei, einfach obenhin anzunehmen, daß die Güter für
die feindliche Armee oder Marine zu liefern seien.
Es sei unrechtmäßig, daß 'das Urteil erster Instanz die Konterbande-
eigenschaft der zur Verhandlung stehenden Ladung einfach danach
bestimmt habe, daß Wladiwostok ein russischer Kriegshafen sei, ohne
den Tatbestand über die Frage, ob die Güter an die russische Armee
oder Marine bestimmt gewesen seien, im geringsten klarzustellen.
Außerdem gehe die Tatsache, daß der gewöhnliche Handelsverkehr
in Wladiwostok zu der fraglichen Zeit nicht aufgehört habe, aus Fol-
gendem ganz offenbar hervor: Die „Wilhelmina" und viele andere neu-
trale Schiffe seien mit Steinkohlen, Petroleum und sonstiger verschiedener
Ladung nach dort gefahren, und Firmen wie Hermann Kobritz
''" und viele andere hätten dort wie früher ihr Handelsgewerbe betrieben.
Wenn daher Cardiffkohle, die auch außer zum Kriegsgebrauch
Verwendung finde, nach Wladiwostok befördert werde, welches ein
Kriegshafen sei, in dem zugleich gewöhnlicher Handelsverkehr statt-
finde, so müsse nach der Präcedenzentscheidung in dem „Neptun us"-
Fall angenommen werden, daß die Ladung nach dem Handelshafen
und zum Friedensgebrauch bestimmt sei. Das Urteil erster Instanz
behaupte dagegen, daß, mangels klaren Gegenbeweises, angenommen
werden müsse, sie sollte für den Kriegsgebrauch geliefert werden, und
drehe so die Beweislast um.
Wenn nun so Wladiwostok als Handelshafen anzusehen sei, und
es auf der anderen Seite nicht bewiesen sei, daß die Ladung an die
feindliche Streitmacht hätte abgeliefert werden sollen, so müsse die
Ladung als Nichtkonterbande unter neutraler Flagge freigegeben werden.
Es werde daher Aufhebung des Urteils erster Instanz in allen
Punkten und Erlaß einer Entscheidung auf Freilassung der auf dem
englischen Dampfer „Harberton" verladenen etwa 4900 Tons Kohlen
beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende :
Die zur Verhandlung stehende Ladung sei doppelt gesiebte Cardiff-
kohle, welche im Osten nur bei der Kriegsmarine zur Verwendung
komme. Ihr Bestimmungsort sei Wladiwostok, zurzeit der Haupt-
stützpunkt der russischen Flotte. Danach sei es offenbar, daß die Ladung
der feindlichen Marine hätte geliefert werden sollen. Wenn daher das
Urteil erster Instanz dies angenommen habe, so sei die Behauptung
des Reklamanten, es habe die Verhältnisse unzutreffend dargestellt, völlig
unbegründet. Es liege bei Beurteilung der Frage, ob die Ladung Konter-
bande sei oder nicht, kein Bedürfnis vor, zu entscheiden, ob der ge-
816
Prisengerichtsentscheidungen: »Harberton*. Abschnitt Vl^sk
wohnliche Handelsverkehr ihres Bestimmungsorts Wladiwostok seit dem
Kriege mit Japan aufgehört habe oder nicht. Da, wie- bereits gesagt, eine
Ladung wie die zur Verhandlung stehende im Osten nur auf Kriegs-
schiffen zur Verwendung komme und der genannte Hafen ein russischer
Marinestützpunkt sei, welcher von einem Stocken des gewöhnlichen
Handelsverkehrs nicht berührt werde, so könne man gar nicht zu einer
anderen Annahme kommen, als daß die Ladung für die Marine habe
geliefert werden sollen. Kurz, die Behauptung des Reklamanten, der
gewöhnliche Handelsverkehr in Wladiwostok habe seit der Eröffnung
des Krieges nicht aufgehört, stehe zu der Frage, ob die zur Verhandlung
stehende Ladung Konterbande sei oder nicht, in keinerlei Beziehung.
Es müsse daher auf Verwerfung der Berufung entschieden werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Es ist bekannt, daß Wladiwostok Rußlands wichtigster Kriegshafen
ist. Seit dem Krieg mit Japan hat Rußland es zum Stützpunkt für seine
Kriegsflotte und Hauptetappenort gemacht. . Es hat dort in ausgedehntem
Maße Waffen, Lebensmittel, Kohle und sonstige Kriegsbedarfsartikel auf-
gespeichert. Der gewöhnliche Handelsverkehr nach dorthin hat fast
gänzlich aufgehört Es ist daher durchaus begründet, wenn das Gericht
erster Instanz angenommen hat, daß die nach diesem Hafen bestimmten
Steinkohlen für den russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollten
und daher Kriegskonterbande seien. Dies um so mehr, als die zur Ver-
handlung stehende Kohlenladung ausgewählte Cardiffkohle ist und die
Preise für solche im Osten so außerordentlich hoch sind, daß außer
für den Gebrauch auf Kriegsschiffen zur Kriegszeit keine Nachfrage
dafür vorhanden und es somit unzweifelhaft ist, daß die Kohle für den
russischen Kriegsgebrauch geliefert werden sollte.
Der Reklamant sagt, es müsse nach Art der Präcedenzentscheidung,
betreffend den „Neptun us" auch in diesem Falle angenommen werden,
■daß die zur Verhandlung stehende Ladung für friedliche Zwecke
bestimmt gewesen sei. Aber die Ladung im „Neptunus"-Fall und die .
des vorliegenden Falles sind ihrer Art nach von Grund aus verschieden
und auch die Verhältnisse der Bestimmungsorte sind ganz andere. Es
ist daher unfraglich, daß jener Fall nicht als Präcedenz auf den vor-
liegenden angewandt werden kann.
Demnach sind die Ausführungen des Reklamanten sämtlich un-
begründet, und es wird, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Im August 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Marstrand-Mechlenburg, Das Japanische Prisenrecht. (52) blT
Abschnitt VIM Prisengerichtsentscheldungen : .Industrie'»
Reklamant: Der in Tsingtau in China ansässige deutsche Kauf-
mann Jürgen Block.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi,
Regierungsbezirk Nagasaki, Nagasaki, Togiyamachi 41.
In der Prisensache, betreffend den deutschen Dampfer „Industrie"^,
wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Der Dampfer „Industrie" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der Dampfer „Industrie" ist Eigentum des Reklamanten, hat den
Heimatshafen Hamburg, führt die deutsche Flagge und ist ein Bergungs-
und Schleppdampfer. Am 8. Februar des Jahres 1905 wurde der Dampfer
in Shanghai von dem in Tschifu ansässigen Zeitungseigentümer, dem
Amerikaner R. R. Mac Dermid für eine monatliche Summe von
1500 Shanghai-Taels als Zeitungskorrespondenzboot für drei Monate
gemietet und der deutsche Reichsangehörige Adolf Bannier mit
einem Oehalt von $ 400 monatlich als Zeitungskorrespondent auf den-
selben gesetzt.
Am 19. desselben Monats fuhr der Dampfer von Shanghai ab mit
der Aufgabe, unter Leitung B a n n i e r s die Bewegungen der japanischen
Flotte auszuspüren und dieselben durch Vermittlung von Mac Dermid
an die russische Regierung zu berichten. Am 3. März war der Dampfer
bereits über Saddle Islands bis zu einem Punkte 40 Seemeilen südwestlich
von Tsushima gelangt, kehrte aber am 13. desselben Monats wieder
nach Shanghai zurück, von wo er am 15. wieder abfuhr. Am 23. war
er bei North Seen Island, Korea, angelangt und ging, nachdem er bis
zum 27. Quelpart Island, Anderson Island und die benachbarten Ge-
wässer rekognosziert hatte, bei Anbruch dieses Tages noch weiter vor,
wo er einem Punkte 5 Seemeilen östlich von der Insel Katok die
Konzentration unserer Flotte beobachtete. Er stellte die Typen und
Namen der Schiffe fest und fuhr mit der Absicht, dies an Mac Der-
mid zu telegraphieren, nach Fusan ab. Zu dieser Zeit, um 3 Uhr
nachmittags desselben Tages, wurde der Dampfer, unter dem Verdacht,
im Interesse des Feindes zu spionieren und demselben Nachrichten
zu liefern, 2 Seemeilen südlich von der Insel Katok von dem japanischen
Kriegsschiff „Kasuga" aufgebracht.
"Diese Tatsachen gehen klar hervor aus der Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Kasuga", Kapitänleutnants
Gimikado Shigetaka, dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns
der „Industrie", Udden, des ersten Gffiziers Sjöstedt und des-
818
Prisengerichtsentschef düngen: .Industrie*. Abschnitt VI«
Korrespondenten Bannier sowie aus dem Schiffszertifikat, der
Schiffsverkaufsurkunde und dem Schiffsjournal des Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
Der Staatsanwalt behaupte, der Dampfer sei von Mac Dermid,
dem Eigentümer der von der russischen Regierung unterstützten, in
Tschifu erscheinenden „Chefoo Daily News" gechartert, um anter Leitung
des als Korrespondenten engagierten Bannier nach dem Sammelplatz
unserer Flotte zu fahren und im Interesse des Feindes zu spionieren
und demselben Meldungen zu machen.
1. Die Behauptung, daß die „Daily News" ein Blatt sei, welches
mit Unterstützung der russischen Regierung herausgegeben würde^ sei
grundlos und könne nicht anerkannt werden.
2. Der Korrespondent Bannier sei nur ein von Mac Dermid
für einige Zeit engagierter gewöhnlicher Kriegskorrespondent, der die
Aufgabe gehabt hätte, die Bewegungen der Flotten, sowohl Japans als
Rußlands, ohne irgendwelche Parteinahme zu beobachten, und er sei
kein russischer Spion, welcher im Interesse des Feindes die Bewegungen
der japanischen Flotte habe ausforschen sollen.
3. Der Reklamant und Eigentümer des Dampfers habe denselben
nicht mit der Absicht, daß er zum Vorteil Rußlands kundschaften solle,
verchartert, und ebenso sei auch die Behauptung des Staatsanwalts,
daß zwischen dem Reklamanten und dem russischen Generalmajor
D e s s i n o ein Verkaufsvertrag über den Dampfer abgeschlossen gewesen
sei, völlig grundlos, wie aus der Korrespondenz des Reklamanten mit
Mac Dermid seit dem 13. Januar und einem Brief der Kawasaki
Dockyard Co. in Kobe vom 24. März ersichtlich sei.
4. Die Tätigkeit journalistischer Korrespondenz geschehe im öffent-
lichen Interesse und sei keine Verletzung der Neutralität.
5. Neutrale Schiffe könnten nicht eingezogen werden, wenn sie
nicht Kriegskonterbande führten oder als Blockadebrecher handelten.
Wenn es sich darum handele, ein Schiff einzuziehen, welches im Interesse
des Feindes tätig sei, so müsse. eine derartige Handlung bereits aus-
geführt worden sein, und es müsse klarer Beweis hierfür vorliegen.
In dem gegenwärtigen Falle fehle es aber an einem solchen Beweise.
Daher müsse der zur Verhandlung stehende Dampfer als ein harm-
loses Schiff eines neutralen Landes freigegeben werden.
Der Staatsanwalt ist im wesentlichen der Ansicht, daß das zur
Verhandlung stehende Dampfschiff nur zum Schein als ein gewöhnliches
Korrespondenzboot aufgeputzt, in Wirklichkeit aber laut einem geheimen
Abkommen zwischen Mac Dermid und der russischen Regierung
dazu bestimmt gewesen sei, die Bewegungen unserer Flotte auszukund-
schaften und dem Feinde zu melden.
(52*) 819
Abschnitt VI^ Prisengeriohtsentschef düngen : .Industrie"
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Es ist als allgemein anerkannte völkerrechtliche Regel zu bezeichnen,
daß ein Neutraler, welcher im Interesse der einen kriegführenden Macht
die Kriegslage betreffende Geheimnisse der andern Macht ausforscht
und der ersteren mitteilt, sich eines Neutralitätsbruches schuldig macht,
und daß ein hierzu benutztes Schiff der Strafe der Einziehung verfällt. ^)
Der Prozeßvertreter behauptet freilich, der fragliche Dampfer sei nur
Preßboot der „Chefoo Daily News" gewesen, welche keine Unterstützung
seitens der russischen Regierung erfahre, und er sei lediglich zur
unparteiischen Mitteilung der Bewegungen der Flotten beider Krieg-
führenden bestimmt gewesen ; dem steht aber entgegen, daß die „Chefoo
Daily News'', welche kurz nach Beginn des japanisch-russischen Krieges
zuerst herauskam und ein kleines Blatt ist, aus eigenen Mitteln ein
eigenes Preßboot zu entsenden nicht imstande sein würde, daß es be-
ständig für Rußland gewesen ist und auch besonders für Japan un-
günstige Artikel publiziert hat.
In dem Protokoll der dritten Vernehmung Banniers findet sich
folgende Frage des mit dem Fall beauftragten Richters: „Halten Sie
es für wahr, daß die „Chefoo Daily News'' ein Organ der russischen
Regierung ist oder nicht?" Darauf antwortete Bannier: „Davon habe
ich bis jetzt nichts gewußt, aber wo ich jetzt höre, daß es eine so
kleine Zeitung ist, ist es wohl möglich, daß die Zeitung russische Unter-
stützung erhält. Ich kann Ihre Frage bezüglich dieser Tatsache nicht
dahin beantworten, daß die Zeitung eine Unterstützung nicht erhält."
Auf eine andere Frage antwortete er: „Ich glaube, daß meine Nach-
richten an die russischen Konsuln in Tschifu und Shanghai und von
dort an die russische Regierung geschickt worden wären. Aber zur
Zeit meiner Abreise von Shanghai wußte ich das nicht und beabsichtigte,
alles, was ich von der japanischen und der russischen Flotte sehen wurde,
zu berichten. Ich bin der Ansicht, daß meine Nachrichten alle der
russischen Regierung nützlich gewesen wären." Die Aussage des Kapi-
täns U d d e n stimmt hiermit im großen und ganzen überein.
Hieraus und aus der Tatsache, daß zu dieser Zeit in den östlichen
Gewässern auch nicht ein einziges russisches Kriegsschiff zu sehen
war, muß geschlossen werden, daß die russische Regierung unter Aus-
nutzung der neutralen Nationalität der „Chefoo Daily News" dieser
eine Subvention gab und sie unter dem Gewände eines Kriegs-
korrespondenten unsere Kriegsgeheimnisse erforschen und berichten zu
lassen vorhatte, und daß auch der Reklamant von dieser Tatsache Kennt-
nis hatte.
Es wird demnach mit der Begründung, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff als ein solches betrachtet werden muß, welches die
. ^)~V7§ 47.
820
Prisengerichtsentscheidungen: .Industrie*. Abschnitt VI so
Aufgabe hatte, die Bewegungen der japanischen Kriegsflotte im In-
teresse des Feindes auszukundschaften und hierüber Meldung zu
machen, für rechtens erkannt, daß dasselbe einzuziehen ist.
Es ist überflüssig, die übrigen Punkte der Verteidigung des Rekla-
manten zu erörtern.
Es wird demnach wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet im Prisengericht zu Sasebo, im Beisein des Staats-
anwalts Yamamoto Tatsurokuro am 13. Juli 1905.
(Unterschriften.)
Reklamant: Der deutsche Reichsangehörige Jürgen Block
in Tsingtau, China.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi,
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 13. JuH 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der Prisensache,
betreffend den deutschen Dampfer „Industrie", welcher am 28. März
1905 bei der koreanischen Insel Katok von dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Kasuga" aufgebracht wurde, ein Urteil gefällt, in welchem auf
Einziehung des Dampfers „Industrie'' erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant Jürgen Block durch
den Rechtsanwalt Ishibashi T o m o k i c h i die Berufung eingelegt,
welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur. Ishiwatari ßinichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungsgründe des Vertreters der Reklamation Ishi-
bashi Tomokichi sind folgende :
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe de^
Dampfers „Industrie" beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Im Urteil erster Instanz sei ausgeführt, daß die „Chefoo Daily
Ne^'s'' eine kleine, erst kürzlich gegründete Zeitung sei, daß
dieselbe nicht in der Lage gewesen sein könne, selbständig
ein Nachrichtenboot zu entsenden, und daß sie gewohnheits-
mäßig für Rußland schreibe. Aus diesen drei Gründen
müsse es als feststehende Tatsache erachtet werden, daß
das zur Verhandlung stehende Schiff im Dienste des Re-
dakteurs der mit russischer Unterstützung herausgegebenen
„Chefpo Daily News'' Mac Dermid und unter Führung
des Korrespondenten Bannier die Bestimmung gehabt
habe, im Interesse Rußlands die Basis der japanischen Flotte
auszukundschaften und der russischen Regierung darüber
Nachrichten zukommen zu lassen.
821
Abschnitt VIM Prisengerichtsentscheidungen: .Industrie'.
Die angeführten drei Gründe seien jedoch völlig willkürlich zurecht-
gemachte Gründe, für die es in den Akten des vorliegenden Falles
an jeder Grundlage fehle. Das Urteil erster Instanz erkläre diese drei
Gründe für feststehende Tatsachen, entziehe sich indes der Beweis-
pflicht für dieselben. Der Reklamant bestreite, daß die genannten Tat-
sachen feststünden, und das Urteil erster Instanz gründe sich auf der
Annahme eines unzutreffenden Tatbestandes.
2. Als Material für die Feststellung der im vorigen Absatz erwähnten
Tatsachen habe das Urteil erster Instanz die Aussage Ban n ier s und die
damit annähernd übereinstimmende Aussage des Kapitäns Udden an-
gezogen, wie sie sich aus dem Vernehmungsprotokoll ergäben. Den
Aussagen beider Personen könne jedoch als Material für die Feststellung
der fraglichen Tatsachen nicht der geringste Wert beigemessen werden.
Bei dem Verhör vor dem mit dem Fall beauftragten Rat habe B a n n i e r
ausgesagt,
bisher habe er es nicht gewußt, aber nach dem, was ihm mit-
geteilt worden sei, könne es wohl möglich sein, daß usvc.
und Udden habe erklärt,
er habe sich bei Blocks Verhalten nichts weiter gedacht;
aber nachdem er an Gerichtsstelle, bei dem Verhöre, die
näheren Umstände erfahren habe, könnte es wohl sein, daß
usw.
Diese beiden Personen hätten somit hinsichtlich der fraglichen Tatsachen
ihre völlige Unwissenheit versichert und auf die Auseinandersetzungen
und irreführenden Fragen des Prisenrats lediglich die Möglichkeit der
fraglichen Tatsachen bekundet. Sie hätten beide ausdrücklich gesagt,
sie wüßten nichts darüber, und es seien Sachen, die ihnen nicht von
selbst in den Kopf gekommen wären. Infolgedessen sei es vollkommen
haltlos, diese Aussagen als Material für eine Entscheidung hinsichtlich
des Bestehens der fraglichen Tatsachen zu verwenden.
3. Der Reklamant habe den zur Verhandlung stehenden Dampfer
vom 17. Februar d. Jahres an auf die Dauer von zwei und einem halben
Monat versichert gehabt und der Versicherungsvertrag habe die Klauseln
enthalten, daß die Versicherung nicht Platz greife auf die Schiffahrt
nördlich von Otaru, südlich von den Philippinen oder östlich von Yezo;
daß auch die Fahrt nicht über Moji hinausgehen solle, und daß die
Hälfte der Versicherungsprämie zurückgezahlt werden solle, falls der
Dampfer innerhalb eines Monats, von dem oben erwähnten Datum
an gerechnet, verkauft werden solle. Sodann sei in dem Chartervertrag
zwischen dem Reklamanten und Mac Dermid der Fall vorgesehen,'
daß der Dampfer in Seenot Beistand erhielte, und es seien in dieser
Hinsicht besondere Abmachungen getroffen worden. Weiter ergebe ein
Brief von Mac Dermid an Bannier, daß das Schiff in Moji oder
822
'Prisengerichtsentscheidungen: „Industrie". Abschnitt VI»
•ein^m andern japanischen Hafen möglicherweise von einem eventuellen
Käufer besichtigt werden würde. Als Chartergeld seien ursprünglich
für drei Monate 7000 Taels festgesetzt gewesen; nachträglich sei diese
Summe jedoch auf monatlich 1500 Taels herabgesetzt worden. Schließlich
sei es Tatsache, daß Verhandlungen mit der Kawasaki Dockyard Company
über den Verkauf des Schiffes geschwebt hätten und daß dem Rekla-
manten, als zu erwarten gestanden habe, daß der größte Teil seiner
Bedingungen angenommen werden würde und er bereits dem Abschluß
d€s Kaufvertrages entgegensah, Mac Dermid dazwischen gekommen
sei. Er, der Reklamant, habe sich bestimmt in dem Glauben befunden,
daß die „Industrie" am 24. Februar ds. Jahres nach Moji abgegangen
sei; andernfalls würde er sie haben nach Süden gehen lassen, da, wie
er damals erfahren habe, ein Schiff bei den Pescadores und ein fran-
zösischer Kreuzer in der Siam-Bay gewesen seien, mit deren Bergung
er viel Geld hätte verdienen können. Als Beweis für seine Absicht,
den Dampfer nach Süden zu senden und für die anderen angeführten
Tatsachen habe er in dem erstinstanzlichen Verfahren Schriftstücke vor-
gelegt. Durch diese Beweisurkunden werde hinreichend dargetan, daß
, der Dampfer, weit entfernt davon, für die Russen Spionendienste leisten
zu sollen, wirklich als Zeitungskorrespondentenboot verchartert worden
sei. Durch das Protokoll der eidlichen Vernehmung des Mac Dermid
aber werde hinreichend bewiesen, daß der Genannte von mehreren
amerikanischen Zeitungen mit der Kriegsberichterstattung beauftragt
worden sei und aus dieser Tätigkeit gute Einnahmen und Barmittel
zur Verfügung gehabt habe, und daß eine böse Absicht, Japan zu
schaden, seinerseits nicht vorgelegen habe. Da infolgedessen kein Grund
für die Annahme vorhanden sei, daß der Genannte von Rußland unter-
stützt werde und die Sache dieser Macht vertrete, so müßten die von
der ersten Instanz als irrtümlich erwiesen angenommenen Tatsachen als
irrtümlich angesehen werden.
Die Hauptpunkte der Erwiderung der Staatsanwälte des Prisen-
gerichts zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro und Mizukami
Chojiro, sind folgende:
1. Durch die Aussage des Kapitäns sei einerseits erwiesen, daß
der zur Verhandlung stehende Dampfer „Industrie'' am 3. März dieses
Jahres etwa 40 Seemeilen südlich von Tsushima gekreuzt habe, am
13. März nach Shanghai zurückgekehrt und am 15. wieder in See ge-
gangen sei, am 23. die koreanischen North Seen Islands passiert und
danach bis zum 27. morgens die Gewässer bei Quelpart Island und
Anderson Island rekognosziert habe. Betrachte man andererseits die
in dem dritten Vernehm ungsprotokoll aufgezeichneten Aussagen des
Adolf Bannier, der als Zeitungskorrespondent mit der Befugnis
-an Bord gewesen sei, den Kurs des Schiffes zu bestimmen, nämlich
823
Abschnitt VIM Prisengerichtseittscheidungen: .Industrie'»
folgende Aussagen: „es sei möglich, daß die „Daily News", eine kleine
Zeitung, von der russischen Regierung unterstützt würde etc."; „er
glaube, daß seine Berichte den russischen Konsulaten in Tschifu oder
Shanghai und von dort der russischen Regierung mitgeteilt würden" ;
und schließlich, „er nehme an, daß seine Meldungen im allgemeinen
wichtige Dinge für die russische Regierung enthielten etc.", so ergebe
sich die unabweisbare Tatsache, daß es sich nicht um bloße Zeitungs-
nachrichten gehandelt habe, sondern. daß die Absicht bestanden habe,
im Interesse der russischen Regierung die Bewegungen der japanischen
Flotte auszukundschaften und die Beobachtungen den Russen mit-
zuteilen.
2. Überall in der Welt würden zu Kriegszeiten Dinge wie die
Basis der Hauptflotte und Schiffsbewegungen seitens der kriegführenden
Parteien als militärische Geheimnisse behandelt. Schon wenn derartige
Dinge, die gewöhnlichen Menschen unbekannt blieben, durch bloßen
Zufall zur Kenntnis von Neutralen kämen, so hätten letztere die mo-
ralische Verpflichtung, dieselben nicht an die Öffentlichkeit zu bringen;
um wieviel mehr, wefln sie ausdrücklich darauf ausgingen, derartige
Dinge ausfindig zu machen. Wenn das zur Verhandlung stehende
kleine Schiff von ungefähr 100 Tonnen Raumgehalt Wind und Wellen jgc-
trotzt und tagelang in den koreanischen Küstengewässern reko^osziert
habe, so sei dies lediglich in der Absicht geschehen, den Verbleib
der japanischen Flotte ausfindig zu machen; und es sei eine leere
Ausrede, wenn Bannier behaupte, er habe über die japanische und
russische Flotte in gleicher Weise Erkundigungen einziehen und Zeitungs-
meldungen machen wollen, da sich tatsächlich zu jener Zeit kein einziges
russisches Kriegsschiff in den östlichen Gewässern habe blicken lassen.
Als diese Angaben nicht durchgeschlagen hätten, da habe er auf die
Fragen des untersuchenden Richters geantwortet, " „nach dem, was er
nunmehr erfahren habe, könne es wohl so sein etc.", und „er glaube,,
daß es so sei." Da nun diese Aussagen mit den wahren Tatsachen
übereinstimmten, so sei es durchaus nicht rechtswidrig, die Aussagen
als Beweismateria! zu verwenden.
3. Was die Aussagen, betreffend die Seeversicherung und einen
beabsichtigten Verkauf des Dampfers anlange, so seien sie als Beweis-
material dafür, daß das Schiff lediglich für die Zwecke der Zeitungs-
berichterstattung tätig gewesen sei, ohne Frage ganz ungenügend. Man
habe sich in diesem Punkte an die Zeugenaussagen zu halten.
Die Aussage des Kapitäns des Schiffes, wie sie sich im Protokoll
der vierten Vernehmung finde, laute, „er habe sich über Blocks
Verhalten keine Gedanken gemacht, aber nachdem er an Gerichtsstelle,,
bei dem Verhöre, die näheren Umstände erfahren und die Sachlage
recht betrachte, erscheine es ihm glaubhaft, daß die „Daily News""
824
Prisengerichtsentscheidungen : .Industrie''. Abschnitt JTl^o
ein Organ der russischen Regierung sei, daß die „Industrie" zwecks
Verkaufs habe nach Wladiwostok gebracht werden sollen, und daß^
falls sie auf der Fahrt dorthin aufgebracht werden sollte, von der russi-
schen Regierung 85 000 Taels gezahlt werden sollten"; ferner, Block
habe ihm ursprünglich allerdings Order gegeben, mit der „Industrie"
als Zeitungskorrespondenzboot nach Japan zu gehen, es könne jedoch
möglich sein, daß die Absicht bestanden habe, nach Wladiwostok zu
gehen, falls das Schiff nicht etwa aufgebracht werden sollte; Block
habe, um einer etwaigen Aufbringung vorzubeugen, die Schiffspapiere
im voraus danach angefertigt gehabt".
Was den Zeugen Bannier angehe, so sei er, ausweislich des
Protokolls der vierten Vernehmung, darüber befragt worden, ob Block
mit dem General Dessino in Shanghai einen Vertrag abgeschlossen
habe, wonach die „Industrie" für 135 000 Taels verkauft worden sei
und der Kaufpreis nach Ankunft des Schiffes in Wladiwostok habe
bezahlt werden sollen, und ob diesem Vertrag, im Hinblick darauf, daft
das Schiff möglicherweise von der japanischen Flotte aufgebracht werden
könnte, die Klausel beigefügt worden sei, daß im Falle einer derartigen
Aufbringung von der russischen Regierung an Block 85000 Taels
gezahlt werden sollten. Auf diese Frage habe er geantwortet,
da er mit diesen Dingen direkt nichts zu tun gehabt habe,,
so könne er zwar positiv nichts versichern, er glaube in-
dessen, daß dies der wahre Sachverhalt sei. Vor der Ab-
reise von Shanghai habe Block ihm bezüglich des Reise-
ziels der „Industrie" den Befehl gegeben, nach Wladiwostok
zu fahren und ausdrücklich gesagt, sie müsse nach diesem
Hafen gehen. Obwohl er, Bannier, dem Kapitän nichts
davon gesagt habe, daß die Fahrt nach Wladiwostok gehen
solle, seien bei der Abfahrt von Shanghai die Seekarten
der Gewässer bei Wladiwostok an Bord gebracht, worden^
woraus sowohl er als auch der Kapitän geschlossen hätten;,
daß sie nach Wladiwostok fahren sollten ; er nehme an, daß die
Seekarten auf Befehl des Block an Bord gebracht worden
seien.
Prüfe man diese Aussagen, so müsse man zu der Oberzeugung kommen,,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff von der russischen Regierung
angekauft gewesen sei und daß überdies zwischen dem Reeder Block
und dem Zeitungsredakteur Mac Dermid und Genossen ein ge-
heimes Abkommen bestanden habe, wonach sie, unter dem Deckmantel
der Preßberichterstattung, militärische Geheimnisse der japanischen Flotte
ausspionieren und dieselben nach Möglichkeit telegraphisch weitergehen
lassen wollten. Das auf den angeführten Gründen beruhende Urteil
825
Abschnitt VIM Prisengerichtsentscheidungen : .Industrie".
der ersten Instanz, das auf Einziehung des Dampfers laute, sei daher
rechtlich zutreffend und die Berufung sei somit zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant behauptet, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff an den Herausgeber der „Chefoo Daily News", Mac Dermid,
als Preßnachrichtenboot verchartert worden sei. Dieser Behauptung
stehen jedoch die Tatsachen entgegen, daß das Schiff in der Korear
Straße gekreuzt und in der Nähe der Chin-Hai-Bay die japanische
Flotte beobachtet hat; daß der Reeder vorgab, das Schiff solle nach
Moji fahren, vor der Abreise jedoch anordnete, daß es nach Wladi-
wostok gehen solle, und zu diesem Behufe die für die Reise dort-
hin notwendigen Seekarten an Bord bringen ließ und schließlich, daß die
„Chefoo Daily News'' gewohnheitsmäßig die Sache Rußlands vertritt
und gegen Japan gerichtete Artikel veröffentlicht.
Zudem hat der Korrespondent Bannier in der ersten Instanz
auf die Frage, ob Block mit dem General D e s s i n o in Shanghai
einen Vertrag des Inhalts abgeschlossen habe, daß die „Industrie" für
135 000 Taels verkauft und der Kaufpreis nach Überführung des Schiffes
nach Wladiwostok gezahlt werden solle, und ob dem Kaufvertrag im
Hinblick darauf, daß das Schiff möglicherweise von der japanischen
Flotte aufgebracht werden könnte, die Klausel beigefügt gewesen sei,
daß im Falle einer derartigen Aufbringung von der russischen Re-
gierung an Block 85 000 Taels gezahlt werden sollten, geantwortet,
da er selbst direkt mit diesen Dingen nichts zu tun habe, so könne
er nicht positiv angeben, daß dies der wahre Sachverhalt sei, er glaube
indessen, daß es der wahre Sachverhalt sei. Als er weiter zur Sicher-
heit befragt wurde, ob er glaube, daß es Tatsache sei, daß die russische
Regierung an B 1 o c k 85 000 Taels ausgezahlt habe, und daß die „Daily
News" ein Organ der russischen Regierung sei, oder ob er glaube, daß
es nicht so sei, hat er geantwortet, er glaube, daß es Tatsache sei, und
hat weiterhin gesagt, nachdem er soeben erfahren habe, daß die russische
Kegierung an Block 85 000 Taels gezahlt habe und daß die „Daily
News'' eine Zeitung sei, die von der russischen Regierung Subvention
erhalte, glaube er, daß seine Meldungen an die russischen Konsulate
in Tschifu odej; Shanghai weitergegeben und von diesen Konsuln an
die russische Regierung berichtet worden seien usw. Daher nehme er
an, daß die von ihm gemeldeten Dinge für die russische Regierung im
allgemeinen von Vorteil gewesen seien.
Hält man alles dies mit den damit im allgemeinen nahezu überein-
stimmenden Aussagen des Schiffskapitäns zusammen, so muß man zu
der Überzeugung gelangen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff
an die russische Regierung verkauft war, und daß .es zwecks Über-
gabe nach Wladiwostok fuhr, unterwegs jedoch unter dem Deckmantel
826
Prisengerichtsentscheidungen: »Henry Bölckow. Abschnitt VI"«
der Zeitungsberichterstattung versuchte, für die feindh'che Regierung
militärische Geheimnisse der Kaiserlichen Flotte zu erforschen.
Dei" Reklamant hat zwar behauptet, daß es rechtswidrig sei, die
in der ersten Instanz gemachten Aussagen des Bannier und des
Schiffskapitäns als Material für die Feststellung des Tatbestandes heran-
zuziehen, da diese Aussagen den Betreffenden lediglich durch die irre-
leitenden Fragen des mit dem Falle beauftragten Rats entlockt worden
seien. Da jedoch das Verhör des beauftragten Rats den Erfolg ge-
habt hat, daß die Zeugen die Wahrheit ausgesagt haben, so ist es
durchaus ordnungsgemäß, derartige Aussagen als Material für die Fest-
stellung des Tatbestandes zu verwenden.
Der Reklamant hat schließlich zum Beweise, daß das zur Ver-
handlung stehende Schiff ein Zeitungsnachrichtenboot sei, eine See-
versicherungspolice, einen Chartervertrag und seine Korrespondenz mit
Mac Dermid vorgelegt. Keine dieser Urkunden ist jedoch geeig-
netes Material, um die obige Feststellung des Tatbestandes hinfällig
zu machen.
Vielmehr steht nach den obigen Ausführungen fest, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff darauf aus war, japanische Kriegsgeheim-
nisse zu erforschen, ^) und daß es überdies, da es im Dienste des feind-
lichen Staats stand, ein feindliches Fahrzeug ist. ^)
Infolgedessen ist die Entscheidung erster Instanz, die auf Ein-
ziehung des Dampfers lautet, zu Recht gefällt.
Was die übrigen vom Reklamanten vorgebrachten Punkte anlangt,
so erscheint es nicht notwendig, besonders auf sie einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
• Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Otto Walaas, wohnhaft zu Hitterö, Flekkefjord,
Norwegen.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Qenzo, wohnhaft
zu Tokio, Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
In der Prisensache, betreffend den norwegischen Dampfer „Henry
Bolckow'', wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
') V. §§ 40, 47. - ») V. § 6,1.
827
Abschnitt VIii> Prisengerichtsentscheidungen : , Henry Bolckow*.
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Es wird auf Wegnahme des norwegischen Dampfers „Henry
Bolckow'' erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der Heimatshafen des Dampfers „Henry Bolckow*' ist Tönsberg
in Norwegen. Er ist ein Handelsschiff, welches berechtigt ist, vom
29. Oktober 1904 ab auf 6 Monate die norwegische Flagge zu führen.
Der Reklamant hat als Kapitän des genannten Schiffes am 17. März
1905 etwa 18190 Sack amerikanisches Mehl von dem Befrachter, der
Firma Melchers & Co. in Shanghai, China, erhalten und verladen,,
um dieselben nach dem Hafen Korsakoff auf der Insel Sachalin, Ruß-
land, zu befördern. Um den Bestimmungsort zu verheimlichen, gab
der Dampfer dem Zollamt in Shanghai Hongkong als Reiseziel an und
erhielt einen entsprechenden Ausklarierungsschein. Ferner ließ er von
dem norwegischen Konsul in Shanghai die Musterrolle mit einem Aus-
klarierungsvermerk nach Hongkong versehen. Nachdem der Dampfer
von der Firma Melchers & Co. den Auftrag erhalten hatte, die
Ladung baldigst zu befördern und den Fahrweg östlich von Japan
zu nehmen, brach er am 18. März etwa 1 Uhr nachmittags von Shang-
hai auf und schlug, ohne Hongkong anzulaufen, eine südöstliche Fahrt-
richtung ein. Nachdem der Dampfer nördlich an den Okinoerabu-Inseln
vorbeigefahren war, passierte er zwischen den Bonafiden-Inseln und
den Rockwife-Felsen durch, setzte dann die Fahrt in nordöstlicher
Richtung fort und gelangte Anfang April d. J. in die Nähe von Hok-
kaido. Nach wiederholten Versuchen, die Boussole-Straße, nordöst-
lich von der Insel Etorup, zu passieren, sah sich der Dampfer durch
das Treibeis genötigt, nach Süden zu wenden, um durch die Etorup-
Straße zu» fahren. Auf dieser Fahrt wurde er am 7. April, nachmittags
um 2 Uhr auf 45 » 10' n. B. und 149 « 29' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Kumano Maru'' gesichtet und aufgebracht, w^eil
er Lebensmittel, die für den Kriegsbedarf des Feindes bestimmt waren,
an Bord führe. Zwar besaß das Schiff zur Zeit der Aufbringung un-
vollständige Abschriften der Konnossemente, doch fehlten ihm der Aus-
klarierungsschein, das Manifest usw. vollständig. Außerdem ist der
Dampfer, als er sich Japan näherte, den gesetzlichen Bestimmungen
entgegen wiederholt ohne Lichter gefahren.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch den Bericht des Ober-
leutnants zur See Toriyama Sadayoshi, Vertreters des Komman-
danten des Kaiserlichen Kriegsschiffs „Kumano Maru'', durch die Ver-
?iehmungsprotokolle des Kapitäns des zur Verhandlung stehenden
Dampfers Otto Walaas, des ersten Offiziers E. Amundsen, des
ersten Maschinisten S. Lee, des Obermatrosen Chiun ChengSang,
828
Prisengerichtsentscheidungen: .Henry Bolckow. Abschnitt VIi^»
der Steuerer Cheng Hyong Yuen und Cheong Shu Lok, der
Matrosen Ah Sang und Ah Chiun sowie des vorgenannten Tori-
yama Sadayoshi, durch ein Antworttelegramm des Ministers der
Auswärtigen Angelegenheiten, durch das Schiffsjournal, das Schiffs-
zertifikat, das Flaggenattest, durch die von der Firma Melchers&Co.
an den Kapitän gerichteten Briefe und die ihnen beiliegenden Tele-
gramme, durch die Musterrolle usw. ' '
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Reklamant habe als Kapitän des ihm gehörigen Dampfers
am 17. März dieses Jahres von der Firma Melchers & Co. in Shang-
hai den Auftrag erhalten, 18 190 Sack amerikanisches Mehl zu laden und
nach Korsakoff auf der Insel Sachalin zu befördern. Der Dampfer
sei unterwegs am 7. April desselben Jahres in der Nähe der Etorup-
Straße von einem Kaiserlich Japanischen Kriegsschiff aufgebracht. Die
Ladung hätte aber die Firma Melchers & Co. im Auftrag der Firma
Det Östasiatiske Compani in Kopenhagen eingekauft und nach
Korsakoff auf Sachalin geschickt, um der dortigen hungerleidenden Be-
völkerung Unterstützung zu gewähren. Die Ladung sei nicht für Kriegs-
zwecke bestimmt gewesen und das Schiff habe sich also nicht der Be-
förderung von Kriegskonterbande schuldig gemacht. Daß unter den
Schiffspapieren in der Musterrolle zufällig Hongkong als Bestimmungs-
ort angegeben sei, liege daran, daß der Kapitän der Mannschaft das
Reiseziel habe verheimlichen wollen. Daß dies aber nicht in der Ab-
sicht, der Aufbringung zu entgehen, geschehen sei, wäre schon daraus
zu ersehen, daß in den Konnossementen Korsakoff als Bestimmungs-
hafen angegeben sei. Aus diesen Gründen müsse das Schiff sofort
freigelassen werden, da es keinerlei Handlungen begangen habe, die
seine Aufbringung rechtfertigen könnten.
Das Gericht ist der folgenden Ansicht:
Obwohl der Reklamant behauptet, daß die Ladung des genannten
Dampfers, nämlich amerikanisches Mehl, nach Korsakoff befördert
werden sollte, um der dortigen hungerleidenden Bevölkerung zu helfen,
so weiß er selber doch nicht, welche Bevölkerung der Hungersnot aus-
gesetzt ist und in welchem Grade. Zwar steht in dem Briefe der
Firma Melchers & Co. an den Kapitän, daß die genannte Ladung
nur der hungernden Bevölkerung des Hafens Korsakoff auf Sachalin
zu liefern sei und nicht nach einem Hafen außerhalb Sachalins be-
fördert werden dürfe und daß der Konsul die Richtigkeit dieser Tat-
sachen bescheinigen werde. Diese Bescheinigung ist aber tatsächlich
unmöglich, da der Konsul schon in die Musterrolle eingetragen hat,
daß der Bestimmungsort des Schiffes Hongkong sei. Die in dem er-
wähnten Briefe vorkommenden Worte „die hungernde Bevölkerung"
sind nur mit der Absicht der Bemäntelung unterstrichen, um dadurch
829
Abschnitt Villa Prisengerichtsentscheidungen : .Henry Boickow'.
der Aufbringung zu entgehen, und man kann nicht annehmen, daß die
dort geschriebene Angabe tatsächlich gemeint gewesen ist. Auch ist
nicht der geringste Beweis erbracht, wer der Frachtempfänger ist, ob-
wohl hierfür genügend Zeit vorhanden war. Der Punkt, daß die La-
dung der hungernden Bevölkerung geliefert werden sollte, ist keines-
wegs glaubhaft gemacht worden. Dagegen ist der Hafen von Korsakoff
ein wichtiger Verteidigungsplatz in dem südlichen Teile von Sachalin.
Seit dem Ausbruch des japanisch-russischen Krieges hat Rußland nicht
nur die dortige Besatzung verstärkt, sondern auch das System frei-
williger Soldaten eingeführt und solche angeworben. Außerdem hat
der Qeneralgouverneur von Ostasien erst am 31. März 1904 russischer
Zeitrechnung die Anwerbung von Freiwilligen dadurch befördert, daß
er eine besondere Verordnung erließ, wonach jedem Verbannten, wenn
er als Freiwilliger eintrat, die Strafe gemildert wird. Die Folge davon
war, daß sich die Stärke des Militärs dort neuerdings plötzlich ver-
mehrt hat. Überdies hat die schon in der Friedenszeit an und für sich
wenig zahlreiche Zivilbevölkerung nach dem Ausbruch des Krieges
noch bedeutend abgenommen, da ein Teil derselben aus Furcht vor
einem Angriff der japanischien Armee sich nach anderen Plätzen zurück-
gezogen hat und ein anderer Teil als Freiwillige angeworben wurde.
Folgende Handlungen des Schiffes sind lediglich als Mittel an-
zusehen, um der Aufbringung durch die Marine zu entgehen: erstens^
daß das Schiff, obwohl es schon zur Zeit der Abfahrt von Shanghai
nach dem Hafen von Korsakoff bestimmt war, doch sich durch falsche
Angaben von dem dortigen Zollamt einen Ausklarierungsschein nach
Hongkong ausstellen und auch von seinem Konsul durch eine gleiche
Anzeige den falschen Bestimmungsort in die Musterrolle eintragen ließ;
zweitens, daß der Kapitän, obwohl die Ladung möglichst schnell befördert
werden sollte, doch nicht den kürzesten Weg nahm, sondern weit über
den Stillen Ozean durch die Boussole- oder Etorup-Straße passieren
wollte und trotz des Eisgangs diese schwierige Fahrt mit aller Kraft
fortzusetzen versuchte; drittens, daß das Schiff, nachdem es sich dem
japanischen Lande genähert hatte, gegen die bestehenden Bestimmungen
ab und zu ohne Lichter fuhr und anderes mehr. Überlegt man nun,
weshalb wohl alle diese betrügerischen Mittel angewandt wurden, so
ist es klar, daß die Ladung des Schiffes nicht im gewöhnlichen Handels-
verkehr, wie es zum Beispiel die Lieferung für eine der Hungersnot
ausgesetzte Bevölkerung sein würde, sondern lediglich für den Kriegs-
bedarf des feindlichen Landes befördert wurde. Die Ladung muß also
selbstverständlich als Kriegskonterbande betrachtet werden, i) Die Tat-
sache, daß das Schiff selbst, wie erwähnt, durch falsche Angaben einen
Ausklarierungsschein erhielt und einen falschen Bestimmungsort in die
1) IL Ziffer 2.
830
Prisengerichtsentscheidungen: •Henry Bolckow*. Abschnitt VIi^»
Musterrolle eintragen ließ, daß es ferner absichtlich den weiteren Fahrweg
nahm und gegen die bestehenden Bestimmungen ohne Lichter fuhr,,
sowie endlich, daß es den Ausklarierungsschein und das Ladungs-
verzeichnis nicht aufbewahrt hat, ist der Beweis dafür, daß der Re-
klamant unter Anwendung betrügerischer Mittel zur Vermeidung der
Aufbringung Kriegskonterbande befördert hat. Schiffe, die solche Hand-
lungen begangen haben, sind nach völkerrechtlicher Theorie und Praxis
einzuziehen. *)
Da aus diesen Gründen das Schiff zu konfiszieren ist, so braucht
auf die anderen Ausführungen des Reklamanten nicht weiter eingegangen
zu werden.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, Kobayashi
K u n i o.
(Unterschriften.)
Reklamant: Otto Wal aas, wohnhaft zu Hitterö, Flekkefjord,
Norwegen.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Akiyama Genzo, wohnhaft
zu Tokio, Kyobashiku, Unemecho Nr. 15.
Am 28. Juni 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der Prisen-
sache, betreffend den norwegischen Dampfer „Henry Bolckow", welcher
am 7. April 1905 auf 45 MO' nördlicher Breite und 149« 29' östlicher
Lange von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Kumano Maru" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Wegnahme des nor-
wegischen Dampfers „Henry Bolckow'' entschieden worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Reklamant, Otto Walaas, durch
den Rechtsanwalt Akiyama Oenzo als Prozeßvertreter die Berufung
eingelegt, welche im Beisein des Staatsanwalts Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,.
Akiyama Oenzo, sind folgende:
Die Entscheidung des Prisengerichts zu Yokosuka auf Wegnahme
des Dampfers „Henry Bolckow" sei unzutreffend. Es werde Aufhebung
derselben und Erlaß einer Entscheidung auf Freigabe des genannten
Dampfers beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
«) V. § 44.
831
Abschnitt VIit> Prisengerichtsentscheidungen: .Henry Boickow".
1. Es sei nach Nachrichten glaubwürdiger europäischer Zeitungen
bekannt, daß infolge unzureichender Versorgung mit Fischen auf Sachalin
eine große Hungersnot ausgebrochen sei und, da es auch vollständig
an Mehl fehle, viele Todesfälle durch Verhungern vorgekommen seien.
Der Reklamant, welcher die Ladung amerikanischen Mehls des zur Ver-
handlung stehenden Dampfers zur Abhilfe gegen die dort herrschende
Hungersnot nach dem Hafen Korsakoff auf Sachalin befördert habe,
habe freilich nicht gewußt, welcher Teil der. Bevölkerung Hungersnot
leide und in welchem Umfange. Aber der Transport sei nicht unter-
nommen gewesen, um den russischen Truppen zu helfen. Demnach
erkenne das Völkerrecht die Handlung des Reklamanten als eine die-
Freiheiten des neutralen Handels genießende, rechtmäßige Handels-
transaktion an, in der keinenfalls ein Kriegskonterbandetransport erblickt
werden könne.
Das Gericht erster Instanz habe indes seine Ansicht, die Ladung
des zur Verhandlung stehenden Dampfers sei Kriegskonterbande und
der Reklamant habe dies bei der Verladung gewußt, mit der Ausführung
begründet, daß
der Hafen von Korsakoff ein wichtiger Verteidigungsplatz
im südlichen Teil von Sachalin sei, an welchem viele Be-
satzungstruppen und freiwillige Truppen angehäuft seien.
Die gewöhnliche Bevölkerung habe sich in großer Zahl
zurückgezogen und sei nach anderen Orten umgesiedelt.
Selbst einmal angenommen, diese Ausführung entspreche der Wahrheit,
so könne das doch auf die Entscheidung darüber, ob die Handlung
des Reklamanten recht oder unrecht sei, keinerlei Einfluß haben. Denn
da Korsakoff kein Kriegshafen sei, so sei die Übernahme eines Güter-
transports nach dort seitens des Reklamanten eine durchaus berechtigte
Handlung, und man könne nicht annehmen wollen, daß er seine
anfänglich friedliche Absicht mit Bezug auf die Ladung plötzlich nach
den Verteidigungsverhältnissen des Bestimmungsortes dahin geändert
habe, einen Kriegskonterbandetransport zu unternehmen.
Was ferner die Frage, wer der Empfänger sei, angehe, so würde
der Reklamant die Ankunft in dem genannten Hafen telegraphiert haben
und hätte sodann sofort eine Mitteilung des Absenders hierüber erhalten
müssen. Es liege absolut kein Grund vor, weshalb der Reklamant vor
seiner Ankunft über den Empfänger unterrichtet sein müsse, und da
es vielmehr durchaus natürlich sei, daß er darüber nicht unterrichtet
sei, so müsse man sagen, daß der Vorwurf des Gerichts erster Instanz
deswegen, daß der Reklamant betreffs des Empfängers keinen Beweis
erbracht habe, sich gegen etwas Unmögliches richte.
2. Daä Gericht erster Instanz sage,
832
Prisengerichtsentscheidungen: „Henry Bolckow". Abschnitt VI««
die Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei nicht
im gewöhnlichen Handelsverkehr, wie es die Lieferung für
eine der Hungersnot ausgesetzte Bevölkerung sein würde,
sondern für den Kriegsgebrauch des Feindes befördert
worden.
Als Grundlage für diese Annahme führe es an, daß das Schiff
in der Musterrolle einen gefälschten Bestimmungsort angebe,
daß es nicht die richtige kürzere Route gefahren sei, sondern
einen gefährlichen Umweg durch den Stillen Ozean ge-
nommen habe, und daß es, gegen die bestehenden Bestim-
mungen, zeitweise ohne Lichter gefahren sei. Alles dies sei ge-
schehen, um der Aufbringung durch die japanische Marine
zu entgehen und müsse als Anwendung betrügerischer Mit-
tel zum Transport von Konterbande betrachtet werden.
Keine dieser Handlungen könne indes völkerrechtlich als betrügerische
Handlung, um die Kaptoren zu täuschen, angesehen werden. Daß das
zur Verhandlung stehende Schiff bei der Abfahrt von Shanghai Hong-
kong als Bestimmungsort angemeldet und in die Musterrolle dasselbe!
eingetragen habe, sei geschehen, um zu verhüten, daß die Mannschaft
sich weigere, in die nördlichen Meere zu fahren. Es sei nur eine falsche
Anmeldung gegenüber der betreffenden Behörde, und sei nicht in der
Absicht geschehen, der Aufbringung durch die japanische Marine zu
entgehen. Das gehe daraus klar hervor, daß das wichtigste der Schiffs-
papiere, das Konnossement, deutlich Korsakoff als Bestimmungshafen
bezeichne.
Was sodann die Wahl des Kurses betreffe, so könne in ihr ein
betrügerisches Mittel, um die Kaptoren zu täuschen, nicht gesehen
werden. Was man eigentlich als betrügerische Mittel, um der Aufbringung
zu entgehen, bezeichne, seien Maßnahmen, mittels derer bei Entdeckung
des Konterbandetransports der Kaptor getäuscht werden könne. Wenn
•das Schiff nicht den richtigen Kurs, sondern einen Umweg genommen
habe, so sei der Plan lediglich der gewesen, den Kaptoren nicht zu
begegnen, um der Belästigung durch die Visitierung und Durchsuchung
zu entgehen. Der Plan, durch Täuschung der Aufbringung zu ent-
gehen, habe dagegen nicht vorgelegen.
Wenn ferner auch auf der Fahrt in den Gewässern, in welchen;
der Schiffsverkehr nicht sehr lebhaft sei, die Bordlaternen nachts zeit-
weilig ausgelöscht gewesen seien, so sei das aus Sparsamkeit geschehen.
Die Führung von Lichtern bezwecke vor allem die Vermeidung von
Zusammenstößen. In Meeren, wo der Schiffsverkehr so außerordentlich
j[ering sei, daß diese Befürchtung nicht vorliege und daß ein zeit-
weiliges Löschen der Lichter der Fahrt keinen Schaden tun könne,
Marstrftnd-Mechleiibarg, Da» JftpaniBche Prlsenrecht. (53) OOiJ
Abschnitt VI '^ > Prisengerichtsentscheidungen : „Henry Bolckow".
betrachteten die Schiffahrtkreise dies fast als einen Brauch. Daher
sei es unzutreffend, hierin eine Handlung zu erblicken, durch welche
die Kaptoren hätten getäuscht werden sollen.
Wenn das Schiff ferner keinen Ausklarierungsschein gehabt habe,,
so sei der örund der, daß, wie das Zollamt in Shanghai bescheinige,
dort die Bestimmung herrsche, solche nicht auszugeben. Daß schließlich
ein Ladungsverzeichnis nicht an Bord vorhanden gewesen sei, sei der
fast allgemeine Zustand, der sich nicht nur auf dies Schiff beschränke.
Wenn daher auch ein Ausklarierungsschein und ein Ladungsverzeichnis
nicht vorhanden seien, so könne daraufhin noch nicht angenommen
werden, daß dies ein betrügerisches Mittel zur Vermeidung der Auf-
bringung sei.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, sind folgende:
In den von dem Reklamanten und Kapitän des zur Verhandlung^
stehenden Schiffes eingerichteten Konnossementen und dem Schreiben
des Absenders an den Kapitän sei überall Korsakoff als Bestimmungsort
bezeichnet worden. Im besonderen stehe in dem Brief, daß die Ladung
an keine kriegführenden Parteien geliefert werden und auch nach keinem
außerhalb Sachalins gelegenen Hafen geschafft werden solle, sondern
vielmehr für die hungerleidende Bevölkerung von Korsakoff auf der
genannten Insel bestimmt sei. Die Worte „die hungerleidende Be-
völkerung" seien besonders unterstrichen. Der Vertreter der Reklamation
behaupte, daß das, was dort geschrieben sei, die reine Wahrheit sei.
Das Urteil erster Instanz: habe die Worte, daß Sachalin der Be-
stimmungsort sei, geglaubt, die Worte dagegen, daß die Ladung der
hungerleidenden Bevölkerung geliefert werden solle, als betrügerisch
angesehen und angenommen, daß sie für die Truppen auf der genannten
Insel bestimmt sei. Er, der Staatsanwalt, sei indes überzeugt, daß alles,
was dort geschrieben sei, unwahr, und daß der wahre Bestimmungsort
Wladiwostok sei, und daß die genannte Ladung an die Etappeninten-
dantur habe geliefert werden sollen.
Der Vertreter der Reklamation behaupte,
es sei nach Nachrichten glaubwürdiger europäischer Zei-
tungen bekannt, daß es in Sachalin vollständig an Weizen-
mehl fehle, so daß viele Todesfälle durch Verhungern vor-
gekommen seien.
In was für Zeitungen dies gestanden habe, sei indes nicht dargetan
worden.
Wenn die Behauptungen über die Hungersnot wahr und die Be-
stimmung der Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes Sachalin
sei, so fehle es an jeder Auslegung dafür, aus welchen Befürchtungen
das Schiff, anstatt sicher den kürzesten Weg durch die Tsushima-
834
Prisengerichtsentscheidungen: „Henry Boickow". Abschnitt VIi^«
Straße und das Japanisch« Meer zu fahren, von Shanghai gleich in
südöstlicher Richtung nördlich von Okinawa in den Stillen Ozean
hinaussteuerte und, trotz der Gefahr des Treibeises, diesen gefährlichen
Umweg wählte und durch die Boussole- oder Etorup-Straße fuhr. Der
Vertreter der Reklamation behaupte freilich, dies sei geschehen, um
der Belästigung durch die Visitierung und Durchsuchung zu entgehen.
Wenn aber bei einem rechtmäßigen Vorgehen der vorgeschriebene Pro-
zeß sich vollziehe, bedeute das nichts weiter, als daß, wenn die ver-
schiedenen Ladungspapiere vollständig und womöglich noch Be-
scheinungen zuständiger Behörden vorhanden seien, und das Schiff
offen den richtigen Kurs fahre, dem Offizier bei der Visitierung die
wahren Tatsachen darzulegen seien. Wenn man dies als eine Be-
lästigung bezeichne, so möge das seine Berechtigung haben, man könne
aber kaum davon sprechen, wenn man die Schwierigkeiten der viel
weiteren und gefahrvollen Schleichfahrt daneben stelle.
Die Tatsache, daß das zur Verhandlung stehende Schiff vorsätz-
lich diesen gefahrvollen Umweg gewählt habe, mache es klar, daß die
Angaben des Konnossements und des Briefs an den Kapitän in allem
unwahr seien, und daß der wahre Bestimmungsort ein Hafen außer-
halb Sachalins gewesen sei.
Außerdem sei bekannt, daß zur Zeit, als das zur Verhandlung
stehende Schiff aufgebracht worden sei, der Schleichtransport von
Kriegsbedarfsartikeln zu Schiff nach Wladiwostok in großem Umfange
betrieben worden sei, und daß diese Schiffe immer einen Kurs von dem
chinesischen Meer in einem Bogen durch den Stillen Ozean genommen
hätten und durch die Soyastraße gefahren seien, beziehungsweise zu
fahren versucht hätten. Der von dem zur Verhandlung stehenden Schiff
genommene Kurs sei der bei Schleichtransport von Kriegsvorrat nach
Wladiwostok üblich gewesene. Dahfer sei es offenbar, daß auch die
Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes nach Wladiwostok
bestimmt und russischer Kriegsbedarf gewesen sei.
Da das zur Verhandlung stehende Schiff bei diesem Transport
von russischem Kriegsbedarf nach Wladiwostok in dem Konnossement
usw. einen gefälschten Bestimmungsort eingetragen gehabt habe, so
sei die Entscheidung auf Einziehung zutreffend und die Berufung
unbegründet.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant behauptet, die Ladung amerikanischen Mehls des
zur Verhandlung stehenden Schiffes habe für die hungerleidende Be-
völkerung nach dem Hafen Korsakoff befördert werden, nicht aber
an russische Truppen geliefert werden sollen. Das Schiff hat aber bei
der Abfahrt von Shanghai den falschen Bestimmungsort Hongkong an-
gegeben und von der Zollbehörde die Abfahrtserlaubnis erhalten. Ob-
CSS*) 835
Abschnitt VI i^ b Prisengerichtsentscheidungen : ,,Henry BoIckoW.
wohl auch in der Musterrolle Hongkong als Bestimmungsort verzeichnet
war, ist cias Schiff dort nicht angelaufen. Obwohl ferner behauptet wird,
daß der Bestimmungsort Korsakoff, also nicht ein Kriegshafen, und
daß der Zweck der gewesen sei, gegen die Hungersnot Abhilfe zu
schaffen, hat das Schiff nicht versucht, mit dem gewöhnlichen und
sicheren Kurs direkt und offen dorthin zu fahren, sondern mit einem
Umweg durch den Stillen Ozean die Boussole-Straße, und als es dort
in Treibeis geriet, die Etorup-Straße zu passieren. Besonders hat es
auch entgegen den bestehenden Bestimmungen zeitweise die Lichter
gelöscht und hat einen Ausklarierungsschein und ein Ladungsverzeichnis
nicht an Bord gehabt. Hieraus und nach den Aussagen der Mann-
schaft des zur Verhandlung stehenden Schiffes zu urteilen, hat die
Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes nicht nach Korsakoff
befördert werden sollen, um der hungerleidenden Bevölkerung geliefert
zu werden. Vielmehr muß angenommen werden, daß die Ladung zum
Kriegsgebrauch nach Wladiwostok, dem wichtigsten Kriegshafen und
der Hauptetappenbasis Rußlands, hat befördert werden sollen. Das heißt
also, daß das zur Verhandlung stehende Schiff einen Konterbande-
transport beabsichtigt gehabt hat. Das Völkerrecht erkennt aber an,
daß solche Schiffe, deren Reisezweck der Transport von Konterbande
ist, eingezogen werden können. 3) Das Oberprisengericht ist der An-
sicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird. Dies umsomehr, als
die ganze Ladung des Schiffs Konterbande ist und dasselbe bei ihrem
TransfKDrt, wie oben ausgeführt, sich betrügerischer Mittel bedient hat.
Da nach dem oben Angeführten die Berufung unbegründet ist,
so erübrigt es sich, auf die einzelnen Berufungspunkte noch besonders
einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 30. November 1905 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
In der Prisensache, betreffend die Ladung des norwegischen
Dampfers „Henry Bolckow", wird nach Beendigung der Untersuchung,
wie folgt, entschieden:
3) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und das ihr zu Grunde
liegende Manual of Naval Prize Law, Art. 82—85.
836
Prisengerichtsentscheldungen : „Henry Bolckow''. Abschnitt VI^i^
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme der auf den norwegischen Dampfer
„Henry- Bolckow'' verladenen 18190 Sack amerikanischen Mehls er-
kannt.
Tatbestand und Gründe:
Der Heimatshafen des Dampfers „Henry Bolckow'' ist Tönsberg
in Norwegen. Er ist ein Handelsschiff, welches berechtigt ist, vom
29. Oktober 1904 ab auf 6 Monate die norwegische Flagge zu führen.
Der Reklamant hat als Kapitän des genannten Schiffes am 17. März
1905 etwa 18190 Sack amerikanisches Mehl von der Firma M elchers
& Co. in Shanghai, China, erhalten, um dieselben nach dem Hafen
Korsakoff auf der Insel Sachalin, Rußland, zu befördern. Um den Be-
stimmungsort zu verheimlichen, gab der Dampfer dem Zollamt in Shang-
hai Hongkong als Reiseziel an und erhielt einen entsprechenden Aus-
klarierungsschein. Ferner ließ er von dem norwegischen Konsul in
Shanghai die Musterrolle mit einem Ausklarierungsvermerk nach Hong-
kong versehen. Nachdem der Dampfer von der Firma Melchers
& Co. den Auftrag erhalten hatte, die Ladung baldigst zu befördern und
den Fahrweg östlich von Japan zu nehmen, brach er am 18. März
etwa 1 Uhr nachmittags von Shanghai auf und schlug, ohne Hongkong
anzulaufen, eine südöstliche Fahrrichtung ein. Nachdem der Dampfer
nördlich an den Okinoerabu-Inseln vorbeigefahren war, passierte er
zwischen den Bonafiden-Inseln und den Rockwife-Felsen durch, setzte
dann die Fahrt in nordöstlicher Richtung fort und gelangte Anfang
April d. J. in die Höhe von Hokkaido. Nach wiederholten Versuchen,
die Boussole-Straße nordöstlich von der Insel Etorup zu passieren,
sah sich der Dampfer durch das Treibeis genötigt, nach Süden -zu wenden,
um durch die Etorup-Straße zu fahren. Auf dieser Fahrt wurde er am
7. April, nachmittags um 2 Uhr, auf 45 MO' n. Br. und 149 <> 29' ö.L.
von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Kumano Maru'' gesichtet und auf-
gebracht. Der Dampfer ist, als er sich Japan näherte, den gesetzlichen
Bestimmungen entgegen wiederholt ohne Lichter gefahren.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch den Bericht des Ober-
leutnants zur See Toriyama Sadayoshi, Vertreters des Komman-
danten des Kaiserlichen Kriegsschiffs „Kumano Maru", durch die Ver-
nehmungsprotokolle des Kapitäns des zur Verhandlung stehenden
Dampfers, Otto ^alaas, des ersten Offiziers E. Amundsen, des
ersten Maschinisten S. L e e , des Obermatrosen ChiunChengSang,
der Steuerer Cheng Hyong Yuen und Cheong Shu Lok, der
Matrosen Ah Sang und Ah C h i u n sowie des vorgenannten Tori-
yama Sadayoshi, durch ein Antworttelegramm des Ministers der
Auswärtigen Angelegenheiten, durch das Schiffsjournal, das Schiffs-
837
Abschnitt VI 5i b Prisengerichtsentscheidungen : ,,Henry BolckoW.
Zertifikat, das Flaggenattest, durch die von der Firma Melchers&Co.
an den Kapitän gerichteten Briefe und die ihnen beiliegenden Tele-
gramme, durch die Musterrolle usw.
Das Gericht ist der folgenden Ansicht:
Nach dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns zu urteilen, ist
die zur Verhandlung stehende Ladung, nämlich amerikanisches Mehl,
für die hungerleidende Bevölkerung nach Korsakoff zu befördern ge-
wesen. Aber der Kapitän weiß selber nicht, welche Bevölkerung
Hungersnot leidet und in welchem Grade. Auch sagt er, er wisse nicht
wer der Empfänger ist. Zwar steht in einem Brief der Firma Melchers
& Co. an den Kapitän, daß die genannte Ladung nur der hungernden
Bevölkerung des Hafens Korsakoff auf Sachalin zu liefern sei und nicht
nach einem Hafen außerhalb Sachalins befördert werden dürfe und
daß der Konsul die Richtigkeit dieser Tatsachen bescheinigen werde.
Diese Bescheinigung ist aber tatsächlich unmöglich, da der Konsul schon
in die Musterrolle eingetragen hat, daß der Bestimmungsort des Schiffes
Hongkong sei. Die in dem erwähnten Briefe vorkommenden Worte
„die hungernde Bevölkerung" sind nur mit der Absicht der Bemäntelung
unterstrichen, um dadurch der Aufbringung zu entgehen, und man
kann nicht annehmen, daß die dort geschriebene Angabe tatsächlich
gemeint gewesen ist. Auch ist über den Punkt, daß die Ladung der
hungernden Bevölkerung geliefert werden sollte, irgend ein glaub-
würdiger Beweis nicht erbracht worden. Dagegen ist der Hafen von
Korsakoff ein wichtiger Verteidigungsplatz in dem südlichen Teile von
Sachalin. Seit dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges hat Ruß-
land nicht nur die dortige Besatzung verstärkt, sondern auch das System
freiwilliger Soldaten eingeführt und solche angeworben. Außerdem
hat der Generalgouverneur von Ostasien erst am 3L März 1904 »russischer
Zeitrechnung die Anwerbung von Freiwilligen dadurch befördert, daß
er eine besondere Verordnung erließ, wonach jedem Verbannten, wenn
er als Freiwilliger eintritt, die Strafe gemildert wird. Die Folge davon
war, daß sich die Stärke des Militärs dort neuerdings plötzlich vermehrt
hat. Überdies hat die schon in der Friedenszeit an und für sich wenig
zahlreiche Zivilbevölkerung nach dem Ausbruch des Krieges noch be-
deutend abgenommen, da ein Teil derselben aus Furcht vor einem An-
griff der japanischen Armee sich nach anderen Plätzen zurückgezogen
hat und ein anderer Teil als Freiwilliger angeworben wurde.
Folgende Handlungen des Schiffes sind lediglich als Mittel an-
zusehen, um der Aufbringung durch die japanische Marine zu entgehen :
Erstens, daß das Schiff, obwohl es schon zur Zeit der Abfahrt von
Shanghai nach dem Hafen von Korsakoff bestimmt war, doch sich durch
falsche Angaben von dem dortigen Zollamt einen Ausklarierungsschein
nach Hongkong ausstellen und auch von seinem Konsul durch eine
838
Prisengerichtsentscheidungen: „Lincluden". Abschnitt VI»
gleiche Anzeige den falschen Bestimmungsort in die Musterrolle ein-
tragen ließ. Zweitens, daß der Kapitän, obwohl die Ladung möglichst
schnell befördert werden sollte, doch nicht den kürzesten Weg nahm,
sondern weit über den Stillen Ozean durch die Boussole- oder Etorup-
Straße passieren wollte und trotz des Eisgangs diese schwierige Fahrt
mit aller Kraft fortzusetzen versuchte. Drittens, daß das Schiff, nach-
dem es sich dem japanischen Lande genähert hatte, gegen die be-
stehenden Bestimmungen ab und zu ohne Lichter fuhr und anderes
mehr. Oberlegt man nun, weshalb wohl alle diese betrügerischen Mittel
angewandt wurden, so ist es klar, daß die Ladung des Schiffs nicht
im gewöhnlichen Handelsverkehr, wie es zum Beispiel die Lieferung
für eine der Hungersnot ausgesetzte Bevölkerung sein würde, sondern
lediglich für den Kriegsbedarf des feindlichen Landes befördert wurde.
Die Ladung muß also selbstverständlich als Kriegskonterbande be-
trachtet werden, i)
Daß aber Güter, welche Kriegskonterbande sind, wenn auch unter
neutraler Flagge fahrend, eingezogen werden können, ist sowohl von
•der Pariser Seerechtsdeklaration im Jahre 1856 als auch von der völker-
rechtlichen Wissenschaft und Praxis anerkannt worden. 2)
Aus diesen Gründen ist die zur Verhandlung stehende Ladung
«inzuziehen und es wird wie in der Urteilsformel entschieden.
Gegeben am 28. Juni 1905 im Prisengericht zu Yokosuka nach
Anhörung des Staatsanwalts.
(Unterschriften.)
In der Prisensache, betreffend den englischen Dampfer „Lincluden",
wird nach Einsichtnahme des Schriftsatzes des Staatsanwalts Yama-
moto, wie folgt, entschieden.
Urteilsformel:
Der Dampfer „Lincluden" und seine gesamte Ladung werden frei-
gegeben.
Tatbestan d und Gründe:
Der Dampfer „Lincluden" steht im Eigentum der Lincluden-
Dampfer-Aktiengesellschaft in Manchester, England. Er führt die eng-
lische Handelsflagge und dient zum Gütertransport. Im Auftrage der
Reederei heuerte der Kapitän am 11. Januar 1905 in Savona in Italien
1) 11. Ziffer 2. — ») V. § 43.
839
Abschnitt -VI « Prisengerichtsentscheidungen : „Lincluden**^
eine Mannschaft an, um nach dem Schwarzen Meere zu fahren und
von dort mit Ladung nach Wladiwostok zu gehen. Am selben Tage
fuhr er von dort ab und langte am 23. desselben Monats in Nikolajew
in Rußland an, wo er 8 078 273 Pfund oder 3697 Tons Gerste lud. Der
Absender versah ihn mit Konnossementen, in denen als Empfänger
„Order in Tsingtau in China" angegeben war. Am 28. d. M. fuhr
er von Nikolajew ab und traf nach einer Fahrt über Konstantinopel,
Port Said und Labuan am 12. Mai in Wusung in China ein. Dort er-
hielt er von dem Reeder Order für Strome & Co. in Kobe und fuhr
am folgenden Tage, dem 13., von dort nach Kobe ab. Auf dieser
Reise wurde der Dampfer am 16. d. M., 9 Uhr 30 Minuten vormittags,
auf 330 10' n. Br. und 127 0 37' ö. L. unter dem Verdacht, Konterbande
zu befördern, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „ßado Maru" auf-
gebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die schriftliche Aussage des
Vertreters des Kommandanten der „Sado Maru'', Marineoberleutnants
K i m u r a To y o k i n o , die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
C. H. Laing, des ersten Offiziers T. D. Sambridge, das Schiffs-
zertifikat, Tagebuch, Privatschiffsjournal der „Lincluden", die Konnosse-
mente, das Ladungsverzeichnis, die Ausklarierungspapiere von Shanghai,
die Telegramme des Reeders an den Kapitän, einen Brief der Firma
Do d well & Co. an den Kapitän und ein Telegramm der Firma
Strome & Co. in Yokohama an das Prisengericht."
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da der Dampfer Gerste geladen gehabt habe und anfangs mit.
der Bestimmung nach Wladiwostok abgefahren gewesen sei, so sei es
nicht zu umgehen gewesen, daß er unter dem Verdacht, Kriegskonter-
bande zu transportieren, aufgebracht worden sei.
Durch die Untersuchungen im Prisengericht sei es indes offenbar
geworden, daß der Dampfer auf der Reise den Bestimmungsort ge-
wechselt habe, und auf der Fahrt nach Kobe begriffen gewesen sei. Da
er demnach keinen Kriegskonterbandetransport betrieben habe, so sei
er sogleich freizugeben.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach dem zwischen dem Kapitän und der Mannschaft ab-
geschlossenen Heuervertrag war der zur Verhandlung stehende Dampfer
bestimmt, Gerste nach Wladiwostok, einem Stützpunkt der feindlichen
Marine, zu schaffen. Sein anfänglicher Zweck war also offenbar der
Transport von Konterbande.
Da es nun für Schiffe, welche zu Konterbandetransport benutzt
werden, gebräuchlich ist, einen falschen Bestimmungsort in den Schiffs-
papieren anzugeben, um der Aufbringung zu entgehen, so genügten
die Angaben des Privatschiffsjournals,, der Ausklarierungspapiere voit
840
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Quang Nam". Abschnitt VI^
Shanghai und der Telegramme und Briefe an den Kapitän nicht, obwohl
sie Kobe deutlich als Bestimmungsort bezeichneten, um zu der Ent-
scheidung zu kommen, daß das anfängliche Ziel geändert worden sei.
Daher war die Beschlagnahme seitens der „Sado Maru" gerechtfertigt.
Aber nach der Untersuchung im unterzeichneten Prisengericht
ist es unzweifelhaft geworden, daß der zur Verhandlung stehende
Dampfer während der Reise seinen Plan, nach Wladiwostok zu gehen,
endgültig aufgegeben hatte und nach Kobe zu fahren und seine Ladung
dort an die Firma Strome & Co. abzuliefern bestimmt war.
Das zur Verhandlung stehende Schiff und seine gesamte Ladung
sind demnach, ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme, frei-
zugeben.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 21. Mai 1905 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mottet & Cie., Saigon, vertreten durch den
französischen Staatsangehörigen Marc Mottet, ebendaselbst.
ProzeBvertreter ; Rechtsanwalt Magaki Jocho, Tokio, Shi-
baku Akefunecho Nr. 17.
In der Prisensache, betreffend den französischen Dampfer „Quang
Nam" wird, wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Die Reklamation wird abgewiesen.
Der Dampfer „Quang Nam" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Quang Nam" steht im
Eigentum der in Paris errichteten Gesellschaft für chinesische Küsten-
schiffahrt. Als sein Liegeplatz war Saigon in Cochinchina bestimmt,,
er führt die französische Flagge und dient zum Gütertransport. Im
April 1905 lud er in Saigon 800 Kisten Spirituosen; am 23, d. Mts.
lichtete er Anker und gelangte am nächsten Tage, dem 24., nach der
Kamranh-Bucht, und überlieferte seine Ladung an das zurzeit in dieser
Bucht ankernde russische zweite pazifische Geschwader. Am 26. d. Mts.
fuhr er von dort ab und gelangte über Hongkong nach Shanghai. Dort
lud er 130 Tons Cardiff kohle in seine Bunker, ohne sonst Ladung
841
Abschnitt VI ^ Prisengerichtsentscheidungen : „Quang Nam".
zu nehmen, und fuhr am 12. d. Mts. i) von dort udeder ab, wobei er
angab, nach Manila zu gehen. Er wählte die Route zwischen For-
mosa und den Pescadores, fuhr in die Hattan-Straße 2) ein und wurde
am 16. d. Mts. nördlich von Toreajima von. dem Kaiserlichen Kriegs-
schiff „Bingo Maru", weil er für den Feind Spiondienste leiste, auf-
gebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Kommandanten des Kaiserlichen Kriegsschiffs „Bingo Maru", Kapitäns
zur See Arigawa Taihaku, das Protokoll des Kapitänleutnants
Yasumura Kaiichi, das Gutachten des MarineingeiHeurs Tsu-
bouchi Minoru über den Zustand der Maschine der „Quang Nam",
die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der „Quang Nam", Paul
Bouisson, des Vizekapitäns Philippe Antoine Paoli, des
Offiziers Ernesto Charlotti, des ersten Maschinisten Antoine
Castaldi, des zweiten Maschinisten Charles Emile Pierre
Amiss und des dritten Maschinisten Leopold Blazy, durch das
Schiffszertifikat, das Tagebuch und das Maschinenjournal.
Die Hauptpunkte der Ausführungen des Vertreters der Rekla-
mation sind folgende:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Quang Nam" stehe
im Eigentum der in Paris errichteten Gesellschaft für chinesische Küsten-
schiffahrt und verkehre zwischen Saigon, den Philippinen, Manila, Ilo-Ilo
und Cebu. Der Reklamant habe mit jener Gesellschaft einen Charter-
vertrag abgeschlossen und das Schiff zum Gütertransport benutzt. Im
April 1905 habe er in Saigon Kisten mit Spirituosen geladen, sei nach
der Kamranh-Bucht gefahren und habe dort seine Ladung abgeliefert.
Auf der Reise über Hongkong und Shanghai nach Manila habe der
Dampfer Maschinenschaden erlitten. Als er, um entweder zwecks Re-
paraturen die Hilfe eines anderen Schiffes zu erhalten, oder um einen
Hafen anzulaufen, in die Pescadores-Straße eingefahren sei, sei er am
16. Mai von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Bingo Maru" beschlag-
nahmt worden.
Das zur Verhandlung stehende Schiff sei ein neutrales Fahrzeug,
und auch der Reklamant und Charterer sei von neutraler Nationalität.
In Shanghai habe der Dampfer 130 Tons Steinkohlen geladen und weder
Konterbandepersonen, noch Konterbandedokumente, noch Konterbande-
güter an Bord genommen. Da der Kapitän nicht gewußt habe, daß für
die Gegend bei den Pescadores eine See Verteidigungsverordnung er-
lassen sei, so könne dies nicht als Grundlage für die Beschlagnahme
angenommen werden.
Nach seinem Schriftsatz nehme der Staatsanwalt an, daß
1) Offenbar am 12. Mai.
^) Der japanische Name für die Roverstraße,
842
Prisengerlchtsentschei düngen: „Quang Nam". Abschnitt VI^
das zur Verhandlung stehende Schiff von der russischen
Regierung gechartert sei und, um dem Feind zu nützen,
die Verteidigung Japans und die Bewegungen seines Ge-
schwaders ausgekundschaftet habe.
Der Kapitän und die ihm unterstehenden Offiziere hätten vordem immer
nur auf Handelsschiffen gedient und alle anderen an Bord befindlichen
Personen seien Leute, welche nur die Schiffsarbeit verrichteten. Daß
sie alle nicht imstande seien, militärische Kundschafterdienste zu leisten,
sei auch für einen Menschen mit gewöhnlichem Verstand klar.
Freilich stimmten, wenn man die Akten durchsehe, die Aussagen
des Kapitäns, des Vizekapitäns und der Maschinisten in den Haupt-
punkten nicht überein. Aus einem von dem Kapitän an den in Na-
gasaki ansässigen französischen Konsul gesandten Bericht könne man
indes ersehen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff auf der Reise
von Shanghai nach Manila Maschinenschaden erlitten habe.
Im § 37 Ziffer 5 der japanischen Seeprisenordnung*) sei die Rede
von
„Schiffen, von *denen anzunehmen ist, daß sie im Interesse
des Feindes Kundschafterdienste leisten oder Nachrichten
übermitteln oder sonst offenbar tätig sind, um den Feind
zu unterstützen."
Es sei offenbar, daß Fälle gemeint seien, in welchen die Tätigkeit
zur Unterstützung klar erwiesen sei.
Im Artikel 23 der völkerrechtlichen Bestimmungen über Seeprisen,
welche der Völkerrechtskongreß in Turin im Jahre 1882 beschlossen
habe, werde gesprochen von Schiffen, welche am Kriege teilnähmen
oder solche Teilnahme beabsichtigen; und es werde bestimmt, daß bei
Vorliegen solcher Fälle neutrale Schiffe beschlagnahmt werden könnten.
In einem Falle jedoch, wie dem vorliegenden, wo es durchaus
nicht klar erwiesen sei, ob der Kapitän mit der Absicht, dem feindlichen
Staat zu nützen, gehandelt habe oder nicht, könnten derartige Be-
stimmungen nicht Platz greifen.
Aus diesen Gründen sei das zur Verhandlung stehende Schiff frei-
zugeben.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Der von dem Reklamanten eingereichte Chartervertrag sei eine
Privat Urkunde, die sich jederzeit herstellen lasse und keinen Glauben
verdiene. . Demnach sei der Reklamant nicht legitimiert zur Erhebung
der Reklamation und diese sei daher abzuweisen.
Da ferner anzunehmen sei, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff von der russischen Regierung gechartert worden sei und dazu
•Tvr
813
Abschnitt VI^' Prisengerichtsentscheidungen: „Quang Nam'^
gedient habe, für den Feind unsere Verteidigung und die Bewegungen
unserer Flotte auszukundschaften, so müsse es eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Der Vertreter der Reklamation behauptet, daß der Reklamant
Mottet das zur Verhandlung stehende Schiff von der Gesellschaft
für chinesische Küstenschiffahrt gechartert habe, und hat zum Beweise
hierfür einen zwischen Mottet und dem Generalvertreter der fran-
zösischen Gesellschaft für chinesische Küstenschiffahrt in Saigon A s co 1 1
abgeschlossenen Chartervertrag eingereicht. Auch bringt er eine Prozeß-
vertretungsvollmacht bei. Der Chartervertrag ist indessen zur Zeit der
Aufbringung nicht an Bord der „Quang Nam" vorhanden gewesen und
kann, weil er ein Privatdokument ist, das jederzeit von den Zeichnern
hergestellt werden kann, keinen Glauben beanspruchen. Was ferner
die Vollmacht angeht, so wird behauptet, daß bewiesen werden könne,,
daß Mottet den Inhalt vor einem Notar erklärt habe, da aber die
Wahrheit dieser Behauptung nicht bewiesen ist, so kann sie gleichfalls
nicht anerkannt werden. Da auch sonst keinerlei Beweise für das recht-
liche Interesse*) des Reklamanten in dieser Sache vorliegen, so ist die
Reklamation abzuweisen.
Der zur Verhandlung stehende Dampfer hat am 22. April 1905
in Saigon 800 Kisten Spirituosen geladen und ist ohne Ladungsverzeichnis
und Chartervertrag nach der Kamranh-Bucht gefahren, wo er die Ladung;
an das zweite russische pazifische Geschwader geliefert hat.
Aus dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns, in welchem es heißt:
er glaube, daß die an Bord genommene Cardiffkohle aus einem russi-
schen Kohlenlager stamme, er nehme an, daß das zur Ver-
handlung stehende Schiff von der russischen Regierung gechartert
worden sei ergibt sich klar, daß das Schiff von der russischen.
Regierung gechartert worden ist.
Daß das Schiff, obwohl es angab, von Shanghai nach Manila
zu gehen, vorsätzlich die schwierige Route zwischen Formosa und den
Pescadbres wählte und unter Kursänderung in die Hattan-Straße eindrang,
ist offenbar geschehen, weil ihm die Aufgabe oblag, die Verteidigungs-
verhältnisse bei den genannten Inseln und die Bewegungen unserer
Flotte auszuspionieren. Überdies hat das Schiff in Saigon Cardiffkohle
eingenommen, welche es bisher noch nie gebraucht hatte. Ferner ist
es ohne jegliche Ladung von der Kamranh-Bucht über Hongkong nach
Shanghai gegangen. Dort nahm es auch wieder keine Ladung, sondern
130 Tons Cardiffkohle ein, obwohl es noch reichlich Kohlen hatte
um nach Manila zu fahren. Alle diese Handlungen sollten offenbar
die Kundschafterdienste erleichtern.
Daß ein Schiff, welches zum Nutzen des Feindes Verteidigungs-
*) IV. § 16,2.^
84A
Prisengerichtsentsch&idangen: „Quang Nam". Abschnitt VI^'
Verhältnisse und Bewegungen der Kriegsflotte auskundschaftet, auch
wenn es ein neutrales Schiff ist, eingezogen werden kann, ist völker-
rechtlich allgemein zugestanden. Demnach ist das zur Verhandlung
stellende Schiff einzuziehen.*)
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 28. November 1905 im Prisengericht zu Sasebo,
im Beisein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamant: Mottet & Cie., Saigon, Cochinchina, vertreten
durch den französischen Staatsangehörigen Marc Mottet, eben-
daselbst.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Magaki Jocho, Tokio, Shi-
baku, Nichinokuba, Akefunecho Nr. 17.
Am 28. November 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend den französischen Dampfer „Quang Nam",
welcher am 16. Mai 1905 auf der Reede von Bako nördlich von Torea-
jima von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Bingo Maru" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Abweisung der Rekla-
mation und Einziehung des Dampfers „Quang Nam" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Marc Mottet in Vertretung des Rekla-
manten, der Firma Mottet & Cie., durch den Rechtsanwalt Magaki
Jocho als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt; welche im Ober-
prisengericht im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und
Dr. jur. I s h i w:a t a r i B i n i c h i geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation Ma-
gaki Jocho und deren Gründe sind folgende:
1. Wenn man die Gründe des Urteils erster Instanz ansehe, so
heiße es dort:
Der Vertreter der Reklamation behaupte, daß der Reklamant
Mottet das zur Verhandlung stehende Schiff von der Ge-
sellschaft für chinesische Küstenschiffahrt gechartert habe,
und habe zum Beweise hierfür einen zwischen Mottet und
dem Generalvertreter der französischen Gesellschaft für
chinesische Küstenschiffahrt in Saigon, As coli, ab-
geschlossenen Chartervertrag eingereicht. Auch bringe er
eine Prozeßvertretungsvollmacht bei. Der Chartervertrag sei
indessen zur Zeit der Aufbringung nicht an Bord der „Quang
Nam" vorhanden gewesen und könne, weil er ein Privat-
~')"\r§ 47.
845
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentscheidungen : „Quang Nam''.
dokument sei, das jederzeit von den Zeichnern hergestellt
werden könne, keinen Glauben beanspruchen. Was ferner die
Vollmacht angehe, so werde behauptet, daß bewiesen werden
könne, daß Mottet den Inhalt vor einem Notar erklärt
habe; da aber die Wahrheit dieser Behauptung nicht be-
wiesen sei, so könne sie gleichfalls nicht anerkannt werden.
Da auch sonst keinerlei Beweise für das rechtliche Interesse
des Reklamanten in dieser Sache vorliege, so sei die Rekla-
mation abzuweisen.
Damit werde der zwischen dem Reklamanten und der Gesellschaft für
chinesische Küstenschiffahrt abgeschlossene Chartervertrag lediglich mit
der Begründung, daß er zur Zeit' der Beschlagnahme nicht an Bord vor-
handen und ein privates Dokument sei, welches auch später hergestellt
sein könne, für unecht erklärt. Demzufolge sei angenommen worden^
der Reklamant habe keinerlei rechtliches Interesse an dieser Sache. Dies
sei eine unzureichende Entscheidung, welche den § 16 der Prisengerichts-
ordnung«) außer acht lasse, und der Reklamant könne sich dabei nicht
bescheiden.
2. Es möge wohl die Frage entstehen, weshalb die Eigentümer
des zur Verhandlung stehenden Schiffs, die Gesellschaft für chinesische
Küstenschiffahrt, nicht den Reklamationsprozeß führe und weshalb viel-
mehr der Charterer, der weit geringeres Interesse habe, die Reklamation
erhebe. Dies sei indessen nicht schwer zu verstehen, wenn man den Inhalt
des zwischen dem Reklamanten und der genannten Gesellschaft ab-
geschlossenen Chartervertrags ansehe. Nach Artikel 15 des Vertrages
liege je nach den Umständen im Falle von Seeschaden oder Aufbringung
des Dampfers „Quang Nam'' die Verantwortung dem Reeder gegenüber
dem Charterer ob. Wenn ferner der Charterer am Tage des Ablaufs
des Chartervertrags das Schiff nicht abliefere, so gelte das Schiff unter
den Beteiligten als verloren. Dann sei noch eine weitere Frist von
15 Tagen zu gewähren, nach deren Ablauf der Charterer den Eigentümern
des Schiffes den Preis desselben mit 24 000 Pfund Sterling bezahlen solle.
Nach Artikel 14 desselben Vertrags habe der Charterer für diesen Preis
ein entsprechendes Pfand zu leisten. Da dies Geld tatsächlich bei einer
Bank in Saigon hinterlegt sei, so habe die Reederei keine Veranlassung,
bezüglich der „Quang Nam" irgendwie in Sorge zu sein. Daß ferner
die Ausübung des Klagerechts bezüglich des Schiffes dem Charterer als
Pflicht obliege, gehe aus dem Ende des Artikels 15 des Vertrages hervor.
Sobald die Gesellschaft für chinesische Küstenschiffahrt Mitteilung er-
halten habe, daß die zur Verhandlung stehende „Quang Nam" von
einem japanischen Kriegsschiff aufgebracht worden sei, habe sie den
Reklamanten sofort in Klage genommen und auf Grund des Charter-
ß) IV.
846
Prisengerichtsentscheidungeii : nQuang Nam". Abschnitt VI^'
Vertrags beim Landgericht in Saigon einen Prozeß auf Herausgabe des
hinterlegten Geldes angestrengt. In den Zeitungen Saigons sei zu lesen,
daß dieser Prozeß noch bei jenem Gericht anhängig sei. Auch dadurch
könne der Reklamant beweisen, daß er der Charterer sei, und es genüge,
um sein rechtliches Interesse zu ersehen.
3. Die Vertretungsvollmacht für die vorliegende Reklamation sei
von einem Notar ausgestellt und von einem Richter des Landgerichts
in Saigon beglaubigt. Sie sei von dem Reklamanten, welcher die „Quang
Nam" von den Eigentümern der Gesellschaft für chinesische Küsten-
schiffahrt gechartert habe, d. h. 'also in 'der Eigenschaft eines Charterers,
erteilt worden.
Der Reklamant habe in Saigon ein großes Spirituosen- und Lebens-
mittelgeschäft und sei der Eigentümer des großen Hotel de TUnivers
und ein bekannter und reicher Mann. Nach der Stellung des Rekla-
manten sei es daher ausgeschlossen, daß derselbe sich einer betrüge-
rischen Handlung schuldig machen sollen, durch welche auf Grund
seiner falschen Angaben der Notar, ein Beamter mit öffentlichem Glauben,
getäuscht worden sei und unwahre Tatsachen in ein notarielles Dokument
über Rechte und Pflichten des Reklamanten aufgenommen habe, welchem
dann das Gericht seine Beglaubigung erteilt habe.
Wenn man dies vom gesetzlichen Standpunkt beleuchte, so ergebe
eine Betrachtung der Artikel des französischen Strafrechts, betreffend
Fälschung öffentlicher und notarieller Dokumente, daß dieses Vorgehen
zustande kommt, wenn jemand einem öffentlichen Beamten gegenüber
betrügerische Angaben macht, auf Grund deren ein öffentliches Doku-
ment aufgesetzt werde. Hierfür gebe es Entscheidungsbeispiele des
französischen Kassationshofes und die Strafrechtsgelehrten seien darin
einig. Auch im deutschen Strafrecht sei dies wörtlich ausgesprochen
und der Strafgesetzentwurf von Boissonade und der dem japanischen
Landtag vorgelegte Abänderungsentwurf des Strafgesetzes enthielten
gleiche Bestimmungen.
Man könne doch kaum annehmen, daß der Reklamant für eine
Sache, die außerhalb eines rechtlichen Interesses liege, Behauptungen
aufstellen solle, welche eine Verletzung des Strafrechts darstellen würde.
Wenn man einmal annehme, wie das Urteil erster Instanz, daß
der Reklamant, ohne rechtliches Interesse zu besitzen, die vorliegende
Reklamation erhoben habe, so müsse man seinen Zweck dabei als
einen mit gesundem Menschenverstand nicht zu ersehenden und un-
vernünftigen bezeichnen. Denn wenn der Zweck der Reklamation er-
reicht und die „Quang Nam" freigegeben werde, so würden den Vorteil
davon, wie leicht einzusehen, nur die Eigentümer des Schiffes, die Ge-
sellschaft für chinesische Küstenschiffahrt, erlangen.
847
Abschnitt VIS3 Prisengerichtsentscheidungen: ,,Quang Nam".
4. Wenn man den Schluß der Begründung des Urteils erster
Instanz ansehe, so sei dort entschieden, daß
es völkerrechtlich allgemein zugestanden sei, daß ein Schiff,
welches zum Nutzen des Feindes Verteidigangsverhältnisse
und Bewegungen der Kriegsflotte auskundschafte, auch wenn
es ein neutrales Schiff sei, eingezogen werden könne. Dem-
nach sei das zur Verhandlung stehende Schiff einzuziehen.
Für diese Annahme werde ausgeführt:
Aus dem Vernehmungsprotokoll des Kapitäns, in welchem
es heiße: er glaube, daß die an Bord genommene Cardiff-
kohle aus einem russischen Kohlenlager stamme
er nehme an, daß das zur Verhandlung stehende Schiff von
der russischen Regierung gechartert worden sei er-
gebe sich klar, daß das Schiff von der russischen Regierung
gechartert worden sei.
Daß das Schiff, obwohl es angegeben habe, von Shang-
hai nach Manila zu gehen, vorsätzlich die schwierige Route
zwischen Formosa und den Pescadores gewählt habe und
unter Kursänderung in die Hattan-Straße eingedrungen sei,
sei offenbar geschehen, weil ihm die Aufgabe obgelegen
habe, die Verteidigungsverhältnisse bei den genannten Inseln
und die Bewegungen unserer Flotte auszuspionieren, über-
dies habe das Schiff in Saigon Cardiffkohle eingenommen,
welche es bisher noch nie gebraucht gehabt habe. Ferner
sei es ohne jegliche Ladung von der Kamranh-Bucht Ober
Hongkong nach Shanghai gegangen. Dort habe es auch
wieder keine Ladung, vielmehr 130 Tons Cardiff kohlen ge-
nommen, obwohl es für eine Reise nach Manila noch reichlich
Kohlen gehabt habe. Alle diese Handlungen hätten offen-
bar die Kundschafterdienste erleichtern sollen.
Das Gericht erster Instanz habe also offenbar allein auf eine un-
bestimmte Aussage des Kapitäns und die Qualität der geladenen Kohle
•ein so großes Gewicht gelegt, daß es zu jener Entscheidung ge-
kommen sei.
5. Wie in der Reklamation gesagt, habe das zur Verhandlung
stehende Schiff keine Konterbande geladen. Die Besatzung, Kapitän
sowohl wie die geringe Mannschaft, seien alle Leute, welche nur auf
Handelsschiffen gedient hätten und militärische Spionagedienste nicht
zu erfüllen imstande seien. Ferner habe das Schiff auf der Reise von
Shanghai nach Manila Maschinenschaden genommen und sei genötigt
gewesen, zu stoppen. Dies gehe unbestreitbar hervor aus dem Bericht
des Kapitäns der „Quang Nam" an den französischen Konsul in Naga-
848
Prisengerichtsentscheidungen; „Qaang Nam". Abschnitt Vis*
saki vom 13. Juli 1905 und aus den Akten dieses Falls. In ersterem
heiße es:
Als am 15. Mai, nachmittags 3 Uhr, die Insel Agincourt
in Sicht gekommen sei, habe der Kondensator Schaden ge-
nommen, und das Schiff sei darauf nach der Westseite von
Formosa gefahren usw.
Nach dem zweiten Vernehmungsprotokoll habe der Vizekapitän auf
die Frage, was er für einen Grund annehme dafür, daß man nach
der Roverstraße gefahren sei, in kurzem geantwortet.
Er nehme an, daß man vielleicht zur Reparatur des Maschinen-
schadens dorthin gefahren sei.
In dem Vernehmungsprotokoll des dritten Maschinisten heiße es:
Ehe das Schiff in die Nähe der Pescadores gekommen
sei, habe es Maschinenschaden erlitten, infolgedessen in
den Kondensator Seewasser eingedrungen und aus der
Soupape Dampf ausgeströmt sei. Der Obermaschinist habe
den Kapitän gebeten, das Schiff stoppen zu lassen, worauf
der Kapitän geantwortet habe, daß das Schiff bald vor Anker
gehen werde usw.
Daß das Schiff ferner bei der Aufbringung eine andere Flagge
als die französische geführt habe, dafür lägen nach dem Bericht des
Offiziers, der die Beschlagnahme ausgeführt habe, keine Anhalts-
punkte vor.
Daß daher das zur Verhandlung stehende Schiff vorsätzlich die
schwierige Route zwischen Formosa und den Pescadores gewählt haben
und unter Kursänderung in die Hattan-Straße eingedrungen sein solle,
weil ihm die Aufgabe obgelegen habe, die Verteidigungsverhältnisse
bei den genannten Inseln und die Bewegungen unserer Flotte aus-
zuspionieren, sei eine Annahme, welche einfach eine Tatsache auf-
stelle, für welche keine wirklichen Beweise vorlägen und welche daher
als unzutreffend bezeichnet werden müsse.
Wenn man annehme, daß die „Quang Nam" sich eines Neutralitäts-
bruchs durch Unterstützung der Handlungen des Feindes schuldig ge-
macht habe, weshalb würden dann der Kapitän und seine Untergebenen
nicht bestraft? Der Grund, weshalb man nur das Schiff einziehen
wolle, werde wohl der sein, daß man jene nicht bestrafen könne.
6. Der Artikel 23 der von dem Völkerrechtskongreß von Turin
im Jahre 1882 gefaßten Beschlüsse über das Seeprisenwesen spreche
klar aus, daß neutrale Schiffe nur, wenn sie tatsächlich an dem Krieg
teilgenommen oder die Absicht solcher Teilnahme gehabt hätten, auf-
gebracht werden könnten. Wenn der § 37 der japanischen Seeprisen-
ordnung') in Ziffer 5 von Schiffen spreche, „von denen anzunehmen
MarBtrand-Meohlenburg, Das japanisohe Prisenrecht. (54) 0^9
Abschnitt VI 53 Piisengerichtsentsclieidungen: „Quang Nam".
ist, daß sie im Interesse des Feindes Kundschafterdienste leisten oder
Nachrichten übermitteln oder sonst offenbar tätig sind, um den Feind
zu unterstützen'', so sei es unzweifelhaft, daß der Paragraph solche
Fälle bezeichne, in welchen es bekannt und klar sei, daß solche Tätig-
keit zur Unterstützung des Feindes vorliege.
Was die Tätigkeit des Kapitäns im vorliegenden Fall angehe, so
seien Reeder und Charterer hieran in keiner Weise beteiligt, noch hätten
sie darum gewußt. Da es überdies nicht klar sei, ob der Kapitän in
das japanische See Verteidigungsgebiet einzudringen im Begriff gewesen
sei, um dem Feinde dadurch zu nützen, so könnten § 37, Ziffer 5 und
§ 47 der japanischen Seeprisenordnung keine Anwendung finden.
Die Pariser Deklaration vom Jahre 1856 erklärt die Freibeuterei
mit Privatschiffen für aufgehoben. Sie spreche aus, daß auch feindliches
Gut, wenn es auf einem Schiff mit neutraler Flagge verladen sei, ab-
gesehen von Konterbande, nicht aufgebracht und eingezogen werden
dürfe. Das moderne Völkerrecht erkenne in Wissenschaft und Praxis
an, daß bezüglich von Seeprisen Kriegskonterbandegüter sehr schwer
zu beurteilen, neutrale Schiffe dagegen, welche solche nicht geladen
hätten, nicht so leicht aufzubringen und einzuziehen seien.
Da in dem vorliegenden Falle der „Quang Nam", wie aus den
Akten hervorgehe, nur die widersprechenden Aussagen der Besatzung-,
dagegen keine richtigen Beweise vorlägen, so sei Reklamant der Ansicht,
daß das Urteil erster Instanz völlig unbegründet sei, und beantrage
die Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffs.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Mizukami Chojiro, sind folgende:
1. Es sei in Schiffahrtskreisen allgemeiner Brauch, daß der Charter-
vertrag, da er ein wichtiges Schiffspapier sei, um die Bewegungen eines
Schiffes und sonstige Tatsachen zu erkennen, an Bord sei. Der von
dem Reklamanten eingereichte, zwischen ihm und der Gesellschaft für
chinesische Küstenschiffahrt abgeschlossene Chartervertrag sei indessen
bei der Beschlagnahme nicht an Bord gewesen, auch sei nichts vor-
gebracht, was seine Abwesenheit hätte begründen können. In der ersten
Aussage des Kapitäns des zur Verhandlung stehenden Schiffes, gegen-
über dem mit dem Fall beauftragten Prisenrat, heiße es vielmehr:
Er wisse, daß das Schiff von der russischen Regierung ge-
chartert sei Das Schiff habe keinen Chartervertrag
besessen; der Grund sei wahrscheinlich der, daß es von der
russischen Regierung gechartert sei ....
In der -zweiten Aussage heiße es:
Seine Annahme, daß das Schiff von der russischen Regierung
gechartert sei, rühre schon aus der Zeit vor der Abreise
von Saigon her. Überdies schließe er, daß das Schiff von .
850
Prisengerichtsentscheidungen: „Quang Nam". Abschnitt VI^
der russischen Regierung gechartert sei, daraus, daß es Kohlen
aus den Kohlenlagern der russischen Regierung erhalten
habe
Der Vizekapitän habe in seiner ersten Vernehmung ausgesagt:
Davon, daß das Schiff an die russische Regierung verkauft
worden sei, habe er nichts gehört, vc'ohl sei aber in un-
bestimmter Weise davon gesprochen vcorden, daß es ver-
chartert worden sei. Etwas gewisses müsse der Kapitän
darüber wissen . . .
In der Vernehmung des ersten Maschinisten stehe:
Er habe wohl von einem Gerücht gehört, nach welchem das
zur Verhandlung stehende Schiff der russischen Regierung
verchartert worden sei, könne das aber nicht bestimmt be-
haupten
Die Mannschaft sei einmütig der Ansicht, daß das Schiff in Charter
der russischen Regierung stehe, und sage kein Wort darüber, daß das
Schiff von dem Reklamanten gechartert worden sei. Nach diesen Aus-
sagen und Tatumständen sei es nicht schwer zu schließen, daß der
Chartervertrag in Wahrheit nicht errichtet worden sei, umsomehr, als
der Chartervertrag nur ein privates Dokument sei, welches jederzeit
zwischen den Zeichnern hergestellt sein könne und daher nicht ohne
weiteres glaubwürdig sei.
Es sei daher zutreffend, wenn das Urteil erster Instanz den Charter-
vertrag abgewiesen und nicht als tatsächlich anerkannt habe; und die
Berufung sei unbegründet.
2. Die Gründe, weshalb der von dem Reklamanten eingereichte
Chartervertrag keinen Glauben verdiene, seien oben dargetan. Wenn
man danach seiner Errichtung keinen Glauben schenke, so könne, wenn
der Reklamant auch behaupte, daß auf Grund dieses Chartervertrags
ein Prozeß erhoben und tatsächlich beim Gericht in Saigon anhängig
sei, diese eine Sache seine Errichtung nicht beweisen. Überdies sei
die Tatsache, daß die Zeichner des Vertrages einen Prozeß angestrengt
hätten, lediglich eine Behauptung des Vertreters der Reklamation, welche
nicht bewiesen worden sei.
3. In der von dem Vertreter der Reklamation eingereichten
notariellen Vollmacht sei der Auftrag des Reklamanten an den Ver-
treter niedergelegt, nach welchem derselbe die Reklamation in der vor-
liegenden Prisensache erheben und andere wichtige Maßnahmen er-
greifen solle. Der Hauptzweck der Vollmacht sei eben der, die Einzel-
heiten der Vollmacht klar darzustellen, und es sei nach der Art des
Dokuments und seinem Sinn klar, daß man über die Frage, ob der Voll-
machtgeber der Eigentümer oder der Charterer des zur Verhandlung
stehenden Schiffs sei oder nicht, keinen notariellen Akt habe -nehmen
(64*) 851
Abschnitt VI^s Prisengerichtsentscheidungen: ,,Quang Nam'*.
wollen. Wenn daher auch in der Vollmacht stehe, daß der Reklamant
die Eigenschaft eines Charterers besitze, so könne man darin doch keinen
Beweis für das Bestehen des Chartervertrags erblicken. Dies um so
weniger, als die Tatsache, daß das Wort „Charterer" dort verzeichnet sei^
wohl beweisen könne, daß der Reklamant dem Notar gegenüber eine
solche Aussage gemacht habe, nicht aber, daß diese Aussage auch wahr
gewesen sei.
Der Reklamant führe für die Behauptung, daß seine Aussage gegen-
über dem Notar wahr sei, deutsche und andere Rechtsbestimmungen an.
Diese hätten aber zu der vorliegenden Sache keine direkte Beziehung-
und außerdem sei die Behauptung, wie oben dargetan, offenbar un-
begründet und brauche hier nicht aufs neue erörtert zu werden.
4. In der ersten Aussage des Kapitäns, gegenüber dem mit dem Fall
beauftragten Prisenrat, heiße es:
Er könne selbst den Grund, weshalb er bis nach den Pes-
cadores gegangen sei, nicht klar aussprechen, meine aber,.
der Prisenrat müsse ihn selber kennen
In der zweiten Aussage heiße es:
Er glaube, daß die auf dem zur Verhandlung stehenden
Schiff verladenen Cardiffkohlen aus einem russischen Kohlen-
lager entnommen seien Er glaube, daß das zur Ver-
handlung stehende Schiff von der russischen Regierung ge-
chartert worden sei.
In der ersten Vernehmung des Vizekapitäns heiße es:
Freilich sei ein Maschinenschaden entstanden, da aber darin
für die Reise kein Hindernis gelegen habe, so sei die Reise
fortgesetzt worden. Es sei nur ein kleiner Schaden gewesen,,
der es nicht erfordert habe, zu seiner Reparatur in einen
Hafen einzulaufen oder die Hilfe eines anderen Schiffes in
Anspruch zu nehmen
Der erste Maschinist habe in seiner ersten Aussage gesagt:
Er habe sich mit niemandem darüber besprochen, daß zur
Reparatur des Schadens Kilung angelaufen werden solle. . .
Sie hätten ein zwischen Formosa und den Pescadores
fahrendes Schiff gesichtet und seien demselben etwa einen
halben Tag gefolgt. Dies sei aber nicht geschehen, um seine
Unterstützung bei der Reparatur zu erbitten
Aus allen diesen Aussagen und der Tatsache, daß das Schiff ohne
irgendwelche Ladung von der Kamranh-Bucht über Hongkong nach
Shanghai gefahren sei, wo es gleichfalls wiederum keine Ladung ge-
nommen, sondern eine große Menge Cardiffkohle zum eigenen Gebrauch
geladen habe; ferner aus der Vorgabe, nach Manila zu gehen, während
es absichtlich die schwierige Route zwischen Formosa und den Pascadores
852
Priaengerichtsentscheidungen: „Quang Nam". Abschnitt VI^
genommen habe und unter Kursänderung in die Hattanstraße ein-
gedrungen sei; sowie aus der bekannten Tatsache, daß auf den Pesca-
dores ein Kriegshafen und eine Festung seien, welche in militärischer Be-
ziehung von größter Bedeutung seien: aus allem diesen sei es über jeden
Zweifel erhaben, daß das zur Verhandlung stehende Schiff nach den
Pescadores gefahren sei, nicht um seinen Maschinenschaden zu reparieren,
sondern um für Rußland unseren Verteidigungszustand auf den ge-
nannten Inseln und die Bewegungen unserer Flotte auszukundschaften.
Wenn daher das Urteil diese Tatsachen angenommen und auf Einziehung
des zur Verhandlung stehenden Schiffs erkannt habe, so sei das zu-
treffend, und die Berufung unbegründet.
Aus diesen Gründen sei die Berufung abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Nach dem von dem Reklamanten aufs neue dem Oberprisengericht
eingereichten, von dem Landgerichtsdirektor in Saigon beglaubigten
Chartervertrag kann freilich angenommen werden, daß der Reklamant
an dem zur Verhandlung stehenden Schiff rechtliches Interesse hat.
Das Schiff ist aber von Saigon über Hongkong nach Shanghai
gegangen, und hat, obwohl es angegeben hat, von Shanghai nach Manila
zu gehen, und auf dieser Route begriffen war, seine ganze, bei Abreise
von Shanghai eingenommene Ladung in der Kamranh-Bucht der russi-
schen baltischen Flotte abgeliefert und ist danach ohne jede Ladung
weitergefahren. Auf dieser Reise brannte es Cardiffkohle, welche weder
dieses Schiff jemals verwandt hatte, noch überhaupt im Osten ge-
wöhnliche Handelsschiffe verwenden. Obwohl es in Shanghai noch
reichlich Kohlen für eine Reise nach Manila an Bord hatte, nahm es
noch weitere 130 Tons Cardiffkohle ein. Während es angab, von
Shanghai nach Manila zu gehen, fuhr es zwischen Formosa und den
Pescadores ein, änderte absichtlich seinen Kurs und versuchte in die
Hattan-Straße einzudringen.
Der Kapitän hat nach dem Vernehmungsprotokoll ausgesagt, daß
das Schiff ein französisches sei und daß er nicht gehört habe, daß es
bis zur Abfahrt von Saigon an die russische Regierung verkauft worden
sei. Doch habe er gehört, daß es später an die russische Regierung ver-
chartert worden sei. Schon vor der Abreise von Saigon habe er gedacht,
daß das Schiff von der russischen Regierung gechartert worden sei;
dies habe er auch daraus geschlossen, daß das Schiff Kohlen aus den
russischen Kohlenlagern erhalten habe. Da aber kein Chartervertrag
da sei, so könne er es nicht bestimmt behaupten. Er könne nicht
deutlich darüber aussagen, weshalb er nach den Pescadores gefahren sei.
Aber der Richter müsse das selber wissen Freilich bestehe an und für
sich durchaus kein Hindernis, weshalb er den Grund, aus welchem er
nach den Pescadores gegangen sei, nicht nennen solle, wie oft er aber auch
853
Abschnitt VI>> Prisengerichtsentscheidungen: „Quang Nam".
gefragt werde, werde er ihn doch nicht sagen, weil das ihm nach seiner
Rückkehr in seine Heimat persönlich schaden werde. Wenn ferner das
Schiff keinen Chartervertrag gehabt habe, so nehme er an, daß der Grund
dafür vielleicht der sei, daß es von der russischen Regierung gechartert
sei
Wenn man diese Aussagen und den Umstand zusammenhält, daß
auch der Vizekapitän, der erste Maschinist und der dritte Maschinist aus-
gesagt haben, sie hätten unbestimmt gehört, daß das zur Verhandlung-
stehende Schiff von der russischen Regierung gechartert worden sei, so
muß man zu dem Schluß kommen, daß das Schiff von der russischen Re-
gierung gechartert worden ist und versucht hat, für den Feind militärische
Geheimnisse Japans auszuspionieren.
Der Reklamant behauptet freilich, daß die Besatzung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffs nur aus Leuten bestehe, welche nur in der
Handelsschiffahrt gedient hätten und zu militärischer Spionage nicht im-
stande seien. Militärische Spionage erfordert aber keineswegs unbedingt^
daß der Betreffende besondere militärische Kenntnisse besitzt. Es ist "da-
her unbegründet, daß die Besatzung eines Handelsschiffs dazu nicht im-
stande ist.
Der Reklamant sagt ferner, das Schiff habe sich den Pescadores
genähert, weil es damals Maschinenschaden gehabt habe, der es nötigte,
zur Reparatur die Hilfe eines anderen Schiffs in Anspruch zu nehmen
oder einen Hafen anzulaufen. Es geht indes aus dem Bericht des zur Be-
satzung des Kaiserlichen Kriegsschiffs „Bingo Maru" gehörigen Marine-
ingenieurs Tsubouchi Minoru hervor, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff in keiner Weise Reparaturen nötig gehabt habe, wegen
deren es habe vor Anker gehen müssen. Außerdem geht aus der oben
angegebenen Aussage des Kapitäns hervor, daß das Schiff nicht, weil
Reparaturen nötig gewesen seien, nach den Pescadores gefahren ist.
Daher kann auch die Behauptung des Reklamanten über diesen Punkt
nicht anerkannt werden.
Aus diesen Gründen ist es durchaus zutreffend, wenn das Urteil
erster Instanz angenommen hat, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff für den Feind unseren Verteidigungszustand und die Bewegungen
unserer Flotte ausspioniert hat, und daraufhin seine Einziehung ent-
schieden hat. Daher ist die Berufung unbegründet.
Es wird demnach wie folgt, entschieden :
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 12. März 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
854
Prisengerichtsentscheidungen: »Quang Nam". Abschnitt Vis^t
In der Prisensache, betreffend das Lazarettschiff „Orel'' des russi-
schen Roten Kreuzes, wird nach Einsicht des Schriftsatzes der Staats-
anwälte Mizukami Chojiro und Yamamoto Tatsurolcuro,
wie folgt, entschieden :
Urteilsformel:
Das Lazarettschiff „Orel" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Das zur Verhandlung stehende Lazarettschiff „Orel'' steht im Eigen-
tum der Gesellschaft der russischen freiwilligen Flotte. Sein Heimats-
hafen ist Odessa in Rußland, es führt die russische Handelsflagge und
dient zum Personen- und Gütertransport. Das russische Rote Kreuz hat
das Schiff anläßlich des japanisch-russischen Krieges als Lazarettschiff
gechartert, und am 29. Juni 1904 hat die russische Regierung durch Ver-
mittlung des französischen Gesandten in Japan für dasselbe um Bewilli-
gung der Freiheiten nachgesucht, welche in den Artikeln 1 bis 5 des
Haager Vertrages vom 29. Juli 1899 über die Anwendung der Grund-
sätze der Genfer Konvention vom 22. August 1864 auf den Seekrieg be-
stimmt sind. Auf Grund der Zustimmung der Kaiserlichen Regierung
wurde das Schiff in Toulon in Frankreich ausgerüstet und mit der für ein
Lazarettschiff notwendigen Einrichtung versehen. Es erhielt eine Be-
scheinigung von dem französischen Marineoberingenieur der Schmiede-
und Schiffsbauwerkstätten in Caen und eine Konzessionsurkunde der
russischen Regierung und wurde der zweiten russischen pazifischen Flotte
zugeteilt. Es stieß in Tanger in französisch Afrika zu dieser Flotte und
fuhr mit ihr zusammen nach dem Osten. Am 21. November 1904 russi-
schen Stils befolgte es den Befehl des Kommandierenden des Geschwaders,
dem zu dem Geschwader gehörigen Schiff „Malaia'' nachzufahren und
ihm Order zu geben, sich nicht aus dem Signalbereich zu entfernen.
Ferner nahm es am 21. Mai 1905 auf Befehl des Geschwaderchefs den
Kapitän Alex Steward und drei andere Leute des von dem zum Ge-
schwader gehörigen Kriegsschiff „Oleg"' aufgebrachten englischen
Dampfers „Oldhamia", obwohl diese ganz gesund waren, mit der Wei-
sung, sie nach Wladiwostok mitzunehmen, an Bord. Bei Kapstadt er-
hielt es von dem Stab des Geschwaders Order, 10 000 Fuß 2 mm starken
und 1000 Fuß 1 mm starken gut isolierten Leitungsdraht zu beschaffen.
Als das zweite und dritte Geschwader sich der Straße von Tsushima
näherten, fuhr die „Orel'', wie auch das andere Lazarettschiff
„Kastroma" bald auf der Höhe der ersten, bald der zweiten Kriegs-
schiffe des Geschwaders, welches in Formation von zwei und drei
Linien vorrückte. Die beiden Schiffe standen dabei auf den Flügeln
und bildeten mit dem an der Tete fahrenden Schiff ein Dreieck.
85Ö
Abschnitt VI^«« PrisengerichUentscheidungen: „Orel".
Am 27. Mai 1905, 3 Uhr 30 Minuten nachmittags, wurde das
zur Verhandlung stehende Schiff 10 Seemeilen westlich von Okinoshima,
während das russische Geschwader mit der vereinigten japanischen
Kriegsflotte in Kampf war, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Sado
Maru" zu stoppen beordert und in der Folge nach der Miura-Bucht
bei Tsushima geführt und, weil es die Operationen des Feindes unter-
stützt hatte, mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Sado Maru", Korvettenkapitäns
Hashi Kanshiro, durch die Konzessionsurkunde seitens des russi-
schen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers in
Frankreich, die Bescheinigung des Oberingenieurs der Schmiede- und
Schiffsbauwerkstätten in Gaen in Frankreich, die Abschrift einer Note
des französischen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten
Ministers in Japan an den Kaiserlichen Minister der Auswärtigen An-
gelegenheiten, die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns der .,Orer',
Jacob Konstantino witsch Lafmatoff, des ersten Offiziers
AlexanderBehrmann,des Chefarztes JacobMuritanowski,
des Rendanten Walter Osten-Sacken, den Meßbrief und das
Tagebuch des genannten Dampfers, das Vernehmungsprotokoll des
Kapitäns der „Oldhamia", AlexSteward, und Bescheinigungen dieses
Kapitäns und der drei anderen Leute von demselben Dampfer.
Die Hauptpunkte der Staatsanwälte sind folgende:
Da das zur Verhandlung stehende Lazarettschiff erwiesenermaßen
von dem Feinde zu Zwecken der Kriegsführung benutzt worden sei,
so müsse es mitsamt seinem Zubehör eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Da sich die Vergünstigung der Unverletzlichkeit von Lazarett-
schiffen auf solche Fälle beschränkt, wo das Schiff die festbestimmten
Bedingungen erfüllt und ausschließlich dem wohltätigen Zweck der
Hülfeleistung an Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige dient, so kann
ein solches Schiff, wenn es zu Kriegszwecken eines der kriegführenden
Staaten benutzt wird, der Wegnahme nicht entgehen. Das erkennt das
Völkerrecht allgemein an und das geht auch aus dem Wortlaut des
Haager Vertrages, welcher die Genfer Konvention für den Seekrieg in
Anwendung setzt, klar hervor.
Das zur Verhandlung stehende Lazarettschiff hat freilich eine
seinem Namen entsprechende Ausrüstung erhalten und der Kaiserlichen
Regierung ist von der russischen Regierung Mitteilung gemacht worden ;
aber es hat, während es dem russischen zweiten pazifischen Geschwader
folgte, auf der Fahrt nach dem Osten einem zu dem Geschwader
gehörigen Dampfer Befehle des Geschwaderchefs übermittelt und den
Kapitän und drei andere Leute eines von dem Geschwader aufgebrachten
856
Prisengeiichtsentscheidungen: „Orel". Abschnitt VI^*
«englischen Dampfers, obwohl diese gesund vcaren, an Bord genommen,
um dieselben nach dem feindlichen Kriegs hafen Wladiwostok zu be-
fördern. Dadurch hat es offenbar die feindlichen Kriegsoperationen
unterstützt.
Ferner muß daraus, daß es von dem Geschwader Befehl erhielt,
Kriegsbedarfsartikel zu besorgen und daß es während der Fahrt den
Platz, den gewöhnlich Wachtschiffe haben, einnahm, geschlossen werden,
daß dem zur Verhandlung stehenden Lazarettschiff stets die Erledigung
von kriegerischen Aufgaben für das feindliche Geschwader oblag.
Das Schiff kann daher die besondere Vergünstigung des Haager
Vertrages, welcher die Genfer Konvention für den Seekrieg in An-
wendung setzt, nicht beanspruchen und kann völkerrechtlich mit allem
Recht eingezogen werden, i)
Da innerhalb der von dem unterzeichneten Prisengericht in der
Bekanntmachung festgesetzten Frist eine Reklamationsschrift nicht ein-
gegangen ist, so wird nach Antrag des Staatsanwalts auf Grund des
letzten Absatzes des § 16 der Prisengerichtsordnung*) ohne Verhand-
lung wie in der Urteilsformel entschieden.
Am 25. Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo.
(Unterschriften.)
In der Prisensache, betreffend dem Lazarettschiff „Orel'' des
russischen Roten Kreuzes gehöriges Geld, wird, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Das dem Lazarettschiff „Orel'' gehörige Geld im Betrage von
54 569 Francs, 83 Centimes und 2486 Rubel, 44 Kopeken wird ein-
gezogen.
Tatbestand und Gründe:
Das zur Verhandlung stehende Geld ist dem der russischen Ge-
sellschaft vom Roten Kreuz angehörigen Lazarettschiff „Orel'' zur
Bestreitung der Gehälter der Angestellten der Gesellschaft auf diesem
Schiff und der sonstigen allgemeinen Ausgaben geliefert worden. Das
genannte Lazarettschiff ist anläßlich des japanisch-russischen Krieges
dem zweiten russischen pazifischen Geschwader beigegeben worden und
reiste mit diesem zusammen nach dem Osten. Am 21. November
1904 russischen Stils befolgte es den Befehl des Kommandanten des
') V. § 47. — ») IV.
857
Abschnitt V^*« Prisengerichtsentscheidungen: „Orel"»
Geschwaders, dem zu dem Geschwader gehörigen Schiff „Malaia" nach-
zufahren und ihm Order zu geben, sich nicht aus dem Signalbereich
zu entfernen. Ferner nahm es am 21. Mai 1905 auf Befehl des Ge-
schwaderchefs den Kapitän Alex Steward und drei andere Leute
des von dem zum Geschwader gehörigen Kriegsschiff „Oleg'' auf-
gebrachten englischen Dampfers „Oldhamia'', obwohl diese ganz ge-
sund waren, mit der Weisung, sie nach Wladiwostok mitzunehmen,
an Bord. Bei Kapstadt erhielt es von dem Stab des Geschwaders
Order, 10000 Fuß 2 mm starken und 1000 Fuß 1 mm starken gut-
isolierten Leitungsdraht z^ beschaffen. Als das zweite und dritte Ge-
schwader sich der Straße von Tsushima näherten, fuhr die „Orel" wie
auch das andere Lazarettschiff „Kastroma" bald auf der Höhe der
ersten, bald der zweiten Kriegsschiffe des Geschwaders, welches in
Formation von zJwei und drei Linien vorrückte. Die beiden Schiffe
standen dabei auf den Flügeln und bildeten mit dem an der Tete
fahrenden Schiff ein Dreieck.
Als am 27. Mai 1905 das Schiff in der Miura-Bai bei Tsushima
aufgebracht wurde, wurde auch das zur Verhandlung stehende Geld
mit Beschlag belegt.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Stellvertreters des Kommandanten der „Sado Maru", Korvettenkapitäns
Hashi Kanshiro, durch die Vernehmungsprotokolle des Kapitäns
der „Orel", Jacob Konstantinowitsch Lafmatoff, des ersten
Offiziers Alexander Behrmann, des Chefarztes Jacob Muri-
tanowski, des Rendanten Walter Osten-Sacken sowie des
Kapitäns der „Oldhamia", Alex Steward, und durch die Bescheini-
gungen dieses Kapitäns und der drei anderen Leute desselben Dampfers.
Die Hauptpunkte der Ansicht der Staatsanwälte sind folgende:
Da das in Frage stehende Lazarettschiff von dem Feinde zu
Zwecken der Kriegsführung benutzt worden sei, so müsse das zur
Verhandlung stehende Geld, welches zur Bestreitung der verschiedenen
Ausgaben des Schiffes bestimmt gewesen sei, als diesem Lazarettschiff
zugehöriges Gut zusammen mit demselben eingezogen werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Da das Lazarettschiff die Fähigkeit des Genusses der besonderen
Vergünstigung der Unverletzlichkeit verloren hat und als Prise zu be-
handeln ist, so muß auch das gesamte an Bord befindliche Zubehör
eingezogen werden.
Das dem russischen Roten Kreuz angehörige Lazarettschiff „Orel"
hat, während es dem zweiten russischen pazifischen Geschwader folgte,
auf der Fahrt nach dem Osten einem zu dem Geschwader gehörigen
Dampfer Befehle des Geschwaderchefs übermittelt und den Kapitän und
drei andere Leute eines von dem Geschwader aufgebrachten englischen
858
Piisengerlchtsentscheidungen: „Orel". Abschnitt VI^*
Dampfers, obwohl diese gesund waren, an Bord genommen, um dieselben
nach dem feindlichen Kriegshafen Wladiwostok zu befördern. Dadurch
hat es offenbar die feindlichen Kriegsoperationen unterstützt.
Ferner muß daraus, daß es von dem Geschwader EJefehl erhielt,
Kriegskonterbande zu besorgen und daß es während der Fahrt den
Platz, den gewöhnlich die Wachtschiffe haben, einnahm, geschlossen
vcerden, daß dem genannten Lazarettschiff stets die Erledigung von
kriegerischen Aufgaben für das feindliche Geschwader oblag.
Es kann daher die besondere Vergünstigung des Haager Vertrages
vom 29. Juli 18Q9, welcher die Grundsätze der Genfer Konvention
vom 22. August 1864 auf den Seekrieg zur Anwendung bringt, nicht
empfangen.
Das zur Verhandlung stehende Geld ist zum Betriebe des ge-
nannten Lazarettschiffs bestimmt gewesen und muß daher in gleicher
Weise wie die medizinischen Instrumente und Materialien als unentbehr-
lich notwendiges Zubehör des Schiffes mit diesem zusammen von rechts-
wegen eingezogen werden, i)
Der auf dem Lazarettschiff befindliche Generalbevollmächtigte und
Kassenführer der russischen Gesellschaft vom Roten Kreuz, Baron
Walter von Osten-Sacken, hatte freilich in dieser Angelegen-
heit eine Reklamation auf Freigabe der gesamten zur Verhandlung
stehenden Gelder eingereicht, er hat dieselbe aber nach Schluß der
mündlichen Verhandlung zurückgezogen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 3L Juli 1905 im Prisengericht zu Sasebo, im Bei-
sein des Staatsanwalts Yamamoto Tatsurokuro.
(Unterschriften.)
Reklamanten : T h e o d o r und F. E i m b c k e , offene Handels-
gesellschaft und H. Wilhelm Dieckmann jr., Kommanditgesell-
schaft, beide in Hamburg, Deutschland, vertreten durch Rein hold
Richter, Führer des Dampfers „Lydia", wohnhaft in Deutschland,
Bremerhaven, Bürgermeister-Schmidtstraße Nr. 107.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi, Na-
gasaki, Togi, Togiyamachi Nr. 41.
In der Prisensache betreffend den deutschen Dampfer „Lydia" wird,
wie folgt, entschieden:
0 § 47.
859
Abschnitt VI^'« Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia".
Urteilsformel:
• Der Dampfer „Lydia" wird eingezogen.
Tatbestand und Gründen
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Lydia" steht im gemein-
samen Eigentum der Reklamanten Theodor und F. Eimbcke
(offene Handelsgesellschaft) und der Kommanditgesellschaft H. Wil-
helm Dieckmann jr. , führt die deutsche Flagge und dient zum
Gütertransport. Der Dampfer wurde von der im Miteigentum stehenden
Kommanditgesellschaft H. Wilhelm Dieckmann jr. gechartert und
mit Bestimmung für den russischen Hafen Nikolajewsk in Hamburg
mit Maschinenöl, Zylinderöl, Wagenfett, Madiafett, Essigsäure, Schmier-
kannen, Zwischenlegscheiben, Bandeisen, Treibriemen, Schmirgel, Hanf-
seilen, Kochsalz und Salz beladen. Es wurden zweierlei Ladungsmanifeste
und Konnossemente ausgestellt, von denen die einen Hongkong, die
anderen Nikolajewsk als Bestimmungsort angaben. Das Schiff wurde
jedoch nur mit den ersteren versehen, um ihm den Anschein zu geben,
als ob es nach Hongkong bestimmt sei.
Am 8. April 1905 fuhr der Dampfer von Hamburg ab, traf am
4. Juni in Hongkong ein und fuhr, nachdem der Kapitän das bereits
vor seiner Ankunft in Hongkong von der Reederei eingetroffene, auf
Nikolajewsk lautende Ladungsmanifest und die Konnossemente in
Empfang genommen hatte, am 8. Juli nach Nikolajewsk ab, wobei er
Kurs östlich um Formosaund südlich von Okinawa nahm. Vom 16. des-
selben Monats geriet der Dampfer in einen Taifun, infolgedessen
am 17. sein Ruder brach.
Während der Dampfer auf der See trieb, wurde am 20. ein Not-
ruder fertiggestellt und beschlossen, nach Nagasaki als Nothafen zu
fahren. Da aber das Ruder nicht, wie erwartet, operierte und die
Fahrt nach Nagasaki nicht möglich war, so wurde beschlossen, Shanghai
als Nothafen anzulaufen. Als der Dampfer am 23. desselben Monats
in die Nähe der Hauptinsel Okinawa kam., brach das Ruder w^ieder
und das Schiff mußte, weil es bewegungsunfähig war, seine Fahrt nach
Shanghai aufgeben und die Signalstation von Kap Kiamu auf der ge-
nannten Insel um Hilfe angehen. Es fuhr alsdann unter Beistand des
japanischen Dampfers „Futami Maru" nach dem Hafen von Naha und
wurde daselbst am 26. desselben Monats, weil es Kriegskonterbande
an Bord haben sollte, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru"
beschlagnahmt.
Die obigen Tatsachen gehen klar hervor aus der schriftlichen Aus-
sage des Kommandanten des Kriegsschiffs „Nippon Maru", Narikawa
K i , aus den Vernehmungsprotokollen des Kapitäns R e i n h o 1 d
Richter, des ersten Offiziers Franz Bernau, des zweiten Offiziers
860
Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia**. Abschnitt VI'*»
Hans Ostermann vom Dampfer „Lydia'', aus dem Schiffszertifikat,
dem Ladungsmanifest, den Konnossementen, dem Logbuch, dem Charter-
vertrag und dem Gesundheitspaß des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
1. Der Dampfer sei nicht auf der Fahrt nach Nikolajewsk beschlag-
nahmt worden. Er habe vielmehr seine Reise nach Nikolajewsk auf-
gegeben gehabt und sei bereits 250 Seemeilen nach Shanghai zurück-
gekehrt gewesen, als er die Signalstation von Kap-Kiamu auf Okinawa
um Hilfe bat und in den Hafen von Naha einfuhr. Während er dort
vor Anker lag, sei er beschlagnahmt worden. Selbst angenommen, der
Dampfer habe Konterbandeschiffahrt betrieben, so habe er doch unter-
wegs seinen Plan geändert und sein Ziel aufgegeben und könne des-
halb nicht beschlagnahmt werden.
2. Eine Entscheidung darüber, ob die Fahrt völkerrechtlich als
verboten anzusehen sei oder nicht, könne nur unter Zugrundelegung
der gegenwärtigen Tatsachen und Umstände getroffen werden. Auf
bloße Vermutung zukünftiger, noch unbestimmter Tatsachen hin, wie
z. B. daraufhin, daß der Dampfer nach Fertigstellung seiner Reparaturen
die einstweilen unterbrochene Fahrt wieder aufgenommen haben würde,
könne eine derartige Entscheidung rechtmäßig nicht gefällt werden. An-
genommen aber, die Entscheidung entspreche dem Recht, so wäre es
doch unmöglich gewesen, daß der Dampfer, nachdem er in Shanghai
angekommen wäre und seine Reparaturen bewerkstelligt hätte, früher
als am 15. Oktober Shanghai hätte verlassen können. Da zu dieser
Zeit die See schon zugefroren gewesen sein würde, so würde der
Dampfer seine Reise nach Nikolajewsk erst im April nächsten Jahres
haben ausführen können. Es erübrige sich, gegenwärtig, wo der Frieden
zwischen Japan und Rußland bereits geschlossen und die Ratifikation
schon ziemlich sicher sei, darüber Worte zu verlieren, daß eine Beschlag-
nahme auf Grund von Tatsachen, die erst nach dem April nächsten
Jahres eintreten könnten, nicht zu rechtfertigen sei.
3. Angenommen, die Verteidigungspunkte zu 1 und 2 hätten keinen
Bestand, so seien doch die an Bord des zur Verhandlung stehenden
Dampfers verladenen Güter vorzugsweise landwirtschaftliche Geräte, also
keine Kriegskonterbande. Weder sie noch der Dampfer, der sie führe,
könnten demnach eingezogen werden.
4. Es befänden sich freilich unter der Ladung einige Güter, die
nach dem Standpunkt der japanischen Regierung Kriegskonterbande
wären; ihre Verladung sei aber ohne Dolus oder Prämeditation ge-
schehen. Da ferner Schiffseigentümer und Ladungseigentümer ver-
schiedene Personen wären, so erscheine es recht und billig, nur die
Kriegskonterbande einzuziehen, die übrige Ladung aber sowie das Schiff
freizulassen.
861
Abschnitt VI^« Prisengerichtsentscheidiingen: „Lydia".
Aus diesen Gründen beantrage er die Freilassung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende:
Da das unter der Ladung des zur Verhandlung stehenden Dampfers
befindliche Bandeisen, Maschinenöl, die Treibriemen, das Kochsalz usvc
nach Nikolajewsk bestimmt gewesen seien, so wären sie Kriegskonter-
bande. Da ferner der zur Verhandlung stehende Dampfer bei dem
Transport dieser Kriegskonterbandegüter sich falscher Angaben bedient
habe und Schiff und Ladung derselben Person gehöre, so sei das
Schiff einzuziehen.
Das Gericht betrachtet ^s als Bestimmung und Gebrauch des
Völkerrechts, daß Schiffe, welche unter Anwendung die Wahrheit ent-
stellender Mittel Kriegskonterbande führen, einzuziehen sind.
Was die unter der Ladung des zur Verhandlung stehenden Damp-
fers befindlichen Güter, nämlich Maschinenöl, Zylinderöl, Wagenfett,
Madiafett, Essigsäure, Schmierkannen, Zwischenlegescheiben, Bandeisen,
Treibriemen, Schmirgel und Hanfseile angeht, so sind sie Materialien
zum Bau und zur Ausrüstung von Kriegs- und Handelsschiffen; das
Kochsalz und sonstige Salz ist ein Nahrungsmittel; der Bestimmungsort
Nikolajewsk ist zusammen mit Wladiwostok der wichtigste Verteidigungs -
punkt des russischen Küstengebiets; nachdem seit etwa Juni oder
Juli 1906 Wladiwostok von der Kaiserlichen Kriegsflotte von dem See-
verkehr mehr oder weniger abgeschnitten war, diente hauptsächlich
Nikolajewsk als Tor und Tür für die Einfuhr von Kriegsbedarfsartikeln.
Aus diesen Tatsachen muß geschlossen werden, daß die genannten
Waren für den Kriegsbedarf des Feindes geliefert werden sollten und
daß sie daher Kriegskonterbande sind, i)
Obwohl der Dampfer bereits bei seiner Abreise von Hamburg de-
finitiv nach Nikolajewsk bestimmt war, wurden Ladungsmanifest und
Konnossemente, um der Aufbringung durch das zu der Zeit zwischen
Hongkong und Singapore kreuzende Kaiserliche Geschwader zu ent-
gehen, auf Hongkong ausgestellt und das Schiff mit diesen Papieren
versehen. Weil das Schiff derart unter Anwendung von -Mitteln, welche
die Wahrheit entstellen sollten, Kriegskonterbande geführt hat, ist das-
selbe einzuziehen. 2)
Der Prozeßvertreter behauptet, der zur Verhandlung stehende
Dampfer habe seine Reise nach Nikolajewsk aufgegeben gehabt; an-
genommen aber, er habe sie nicht aufgegeben gehabt; so würde er doch
wegen seiner Reparaturen die Reise nicht vor dem 15. Oktober d. Js.
haben fortsetzen können. Zu dieser Zeit sei aber das Meer bereits
zugefroren, so daß der Dampfer erst nach April nächsten Jahres seine
Reise hätte unternehmen können. Auf eine derartige noch völlig un-
Ö^.^iffer 1 und 2. — 2) V. § 44.
862
Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia". Abschnitt Vis^a
bestimmte Tatsache hin das Schiff mit Beschlag zu belegen, sei un-
rechtmäßig. I>em steht entgegen, daß der Kapitän Reinhold Richter
auf eine Frage des Untersuchungsrichters geantwortet hat, daß er nach
Ausführung einer vorläufigen Reparatur in Okinawa nach Nikolajewsk
weitergefahren sein würde, woraus klar hervorgeht, daß der Kapitän
zur Zeit der Beschlagnahme seinen Plan, nach Nikolajewsk zu fahren,
nicht aufgegeben hatte. Es muß als ein allgemeiner Grundsatz des
Völkerrechts angesehen werden, daß ein Schiff, welches Kriegskonter-
bande führt, wenn es zur Zeit der Aufbringung sein Ziel nicht end-
gültig aufgegeben hat, der Aufbringung unterliegt. Daher ist, selbst
wenn wie im vorliegenden Falle das Schiff nicht in der Lage war,
die Reise wegen seiner Reparaturen, eher als nach April nächsten Jahres
auszuführen, in der Aufbringung eine Unrechtmäßigkeit nicht zu finden.
Dieses um so weniger als, selbst wenn das Schiff nach Shanghai ge-
fahren wäre und dort in Reparatur gegangen wäre, eine so lange Zeit,
wie der Prozeßvertreter behauptet, dazu nicht erforderlich gewesen wäre
und der Dampfer sehr wohl vor Zufrieren der nördlichen Gewässer
in Nikolajewsk hätte eintreffen können.
Die Behauptungen des Prozeßvertreters sind also unbegründet, und
es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 18. Oktober 1905 im Prisengericht zu Sasebo, im Bei-
sein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Theodor & F. Eimbcke, offene Handelsgesell-
schaft, und H.Wilhelm Dieckmann jr., Kommanditgesellschaft,
beide in Hamburg, vertreten durch Reinhold Richter, Führer des
Dampfers „Lydia", wohnhaft in Bremerhaven, Bürgermeister-Schmidt-
straße Nr. 107.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichiin
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41. .
Am 18. Oktober 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend den am 26. Juli 1905 im Hafen von Naha von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru" aufgebrachten deutschen
Dampfer „Lydia", ein Urteil gefällt, in welchem auf Einziehung des
Dampfers „Lydia" erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Rein hold Richter, als Ver-
treter der Reklamanten, der offenen Handelsgesellschaft Theodor
863
Abschnitt VI^« Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia'*.
& F. Eimbcke und der Kommanditgesellschaft H. Wilh. Dieck-
mann jr., durch den Rechtsanwalt Ishibashi Tomokichi als
Prozeßvertreter die Berufung eingelegt, welche im Beisein des Staats-
anwalts Dr. jur. Ishiwatari Binichi beim Oberprisengericht ge-
prüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
sind folgende :
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe des
Dampfers „Lydia" beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei auf der Fahrt nach
iNJikolajewsk am 16. Juli 1905 auf offener See, 27 « 40' nördlicher Breite
und 131 ö 2' östlicher Länge von einem schweren Unwetter betroffen
worden und habe bei zunehmendem Sturme am folgenden Tage Ruder-
havarie erlitten. Nachdem der Dampfer drei Tage lang steuerlos ge-
trieben sei, sei es am 20. Juli gelungen, ein Notruder fertigzustellen.
Da jedoch mit Rücksicht auf die Schiffshavarie und die noch beträcht-
liche Entfernung bis Nikolajewsk die Fahrt nach dem ursprünglichen
Bestimmungshafen unausführbar erschienen sei, so habe man am selben
Tage (die Mittagsposition des Schiffes sei 26 <* 45' nördlicher Breite
und 1310 35' östlicher Länge gewesen) zwischen 5 und 8 Uhr nach-
mittags in einem Schiffsrate der Offiziere beschlossen, nach Shanghai zu
gehen. In Ausführung dieses Beschlusses sei das Schiff drei weitere
Tage gefahren und habe zirka 250 Seemeilen zurückgelegt. Als es
am 23. desselben Monats, nachmittags zwischen 1 und 4 Uhr unweit
der Okinawa-lnseln infolge neuerdings erlittenen Schadens am Notruder
bewegungsunfähig geworden sei, habe es durch Signale von der Signal-
station bei Kap Kiamu Hilfe erbeten und sei am 24., 5 Uhr nachmittags,
von dem Dampfer „Futami Maru" in den Hafen von Naha eingeschleppt
worden. Während der Dampfer dort vor Anker gelegen habe, sei er
am 26. desselben Monats von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon
Maru" aufgebracht worden. Der zur Verhandlung stehende Dampfer
sei mithin keineswegs auf der Fahrt nach Nikolajewsk aufgebracht
worden. Vielmehr sei der Verlauf der gewesen, daß der Dampfer die
Reise dorthin längst aufgegeben gehabt, von der Fahrt nach Shanghai
bereits 250 Seemeilen zurückgelegt, Naha als Nothafen angelaufen und
daselbst vor Anker gelegen habe, als er aufgebracht worden sei. Nach
völkerrechtlicher Praxis unterliege jedoch ein Schiff, das mit der Ab-
sicht, dem Feinde Konterbande zuzuführen, ausgefahren sei, nicht der
Einziehung, wenn es während der Fahrt seine Absicht ändere und den
Transport der Konterbande aufgäbe. Aus diesem Grunde müsse das
zur Verhandlung stehende Schiff ganz fraglos freigegeben werden.
Im Urteil der ersten Instanz sei die im Vernehmungsprotokoll
aufgezeichnete Aussage des Kapitäns Reinhold Richter „wenn sich
864
Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia". Abschnitt TI&s«
die Reparatur des Dampfers in Okinawa hätte bewerkstelligen lassen,
so wäre er nach Nikolaiewsk gefahren", angezogen und auf Grund
derselben die Fahrt nach Shanghai als Ausflucht angesehen worden.
Daß sich jedoch der Dampfer wirklich auf der Fahrt nach Shanghai
befunden habe, dafür spreche die effektive Tatsache, daß er drei Tage
lang den Kurs auf Shanghai genommen und bereits annähernd 250
Seemeilen zurückgelegt habe. Die als Aussage des Kapitäns in dem
Vernehmungsprotokoll verzeichneten Angaben entsprächen nicht den
Tatsachen und seien nicht von ihm geäußert worden. Der Kapitän
habe gegen diese unsinnige Aussage schon in der ersten Instanz pro-
testiert; vermutlich beruhe sie auf einem Mißverständnis des Dolmetschers.
Aber selbst, wenn der Kapitän ausgesagt haben sollte, er würde nach
Nikolajewsk gegangen sein, so müsse man doch angesichts klaren Gegen-
beweises, der darin liege, daß er tatsächlich nach Shanghai umgekehrt
sei, nach den Grundsätzen der Beweisaufnahme diese Tatsachen als
Beweis gelten lassen und jene Aussage verwerfen. Dies umsomehr,
als auch in dem Schiffsjournal, welches nicht unter dem Verdacht nach-
träglicher Fälschung stehen könne, da es von dem die Aufbringung
bewirkenden Offizier beschlagnahmt worden sei, sich ausdrücklich die
Aufzeichnung finde, daß die Schiffsoffiziere am 20., nachmittags
zwischen 5 und 8 Uhr, Schiffsrat abgehalten und einstimmig beschlossen
hätten, nach Shanghai zu gehen. Von einem derartigen Beschluß aber
könne der Kapitän, falls nicht neue Hindernisse einträten, nicht eigen-
mächtig abgehen. Jedoch einmal angenommen, daß die im Vernehmungs-
protokoll aufgezeichnete Aussage des Kapitäns durchaus beweiskräftig
sei, so könne man, wenn man die ganze Vernehmung genau lese, sie
nur in dem Sinne interpretieren, daß die Reise nach Nikolajewsk tat-
sächlich aufgegeben gewesen sei. Es heiße nämlich in dem Protokoll:
Falls sich die Reparatur in Okinawa hätte bewerkstelligen
lassen, würde man nach Nikolajewsk gegangen sein; da je-
doch an dem Platz kein Schmied ausfindig zu machen ge-
wesen sei, so habe man beschlossen, nach Nagasaki zu gehen.
Diese Worte besagten doch, daß, weil die Reparatur in Okinawa nicht
tunlich, die Reise nach Nikolajewsk unmögHch gewesen sei. Im übrigen
seien sie eine Antwort auf die Frage des mit dem Fall beauftragten
Rats : „was er zu tun beabsichtigt habe, wenn die Reparatur in Okinawa
fertiggestellt worden- wäre", d. h., auf eine Frage, welche einen zu-
künftigen Fall annehme. Demnach sei die Aussage, sozusagen, eine
bedingte gewesen, die nicht geeignet sei, die Tatsache der wirklich
angetretenen Fahrt-oiach Shanghai und die in dem Schiffsjournal auf-
gezeichneten Tatsachen zu entkräften.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Mar 8 tr an d-Meohlenburg, Das Japanische Prisenreoht. (55) oDö
Abschnitt VI^« Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia".
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Lydia" stehe im Eigentum
der offenen Handelsgesellschaft Theodor & F. Eimbcke und der
Kommanditgesellschaft H. Wilhelm Dieckmann jr. Der beiden
Gesellschaften angehörige Dieckmann jr. habe, ohne eines be-
sonderen Chartervertrags zu bedürfen, ausdrücklich einen Chartervertrag
abgeschlossen. Er habe bei der Ausfahrt von Hamburg zwei I^dungs-
verzeichnisse ausgestellt, von denen das eine auf Hongkong, das andere
auf Nikolajewsk lautete, habe das letztere per Post nach Hongkong
geschickt und dadurch vermeiden wollen, daß das Schiff vom japanischen
Geschwader aufgebracht würde.- Er habe geplant, Kriegskonterbande
nach dem feindlichen Hafen Nikolajewsk zu befördern, und wenn er
auch infolge eines unerwarteten Hindernisses seinen Plan nicht habe
ausführen können, so könne dieser Umstand dennoch die Tatsache des
Transports von Kriegskonterbande nicht auslöschen. Die Einziehung
von Schiff und Ladung im Falle der Zufuhr von Kriegskonterbande
an den Feind beschränke sich keineswegs auf den Fall, wo anzunehmen
sei, daß der Transport ohne Hindernisse hätte ausgeführt werden
können. Vielmehr müsse ein Schiff, das zum Zwecke des Transports
von Konterbande ausgefahren sei und in einem Sturm Havarie erleide,
auch während es umhertreibe, oder Zuflucht suche, als auf der ursprüng-
lich beabsichtigten Fahrt befindlich erachtet werden.
Die Reklamanten versuchten mit der Tatsache, daß das Schiff,
nachdem es in einem Sturme Ruderhavarie erlitten, auf dem Wege
nach Shanghai gewesen sei und bei Kap Kiamu um Hilfe gebeten
habe, darzutun, daß es seine Reise aufgegeben gehabt habe. Dies offen-
bare jedoch vielmehr die Absicht, den Schaden zu reparieren, be-
ziehungsweise der Seenot einstweilen zu entgehen und nachher die Reise
fortzusetzen. Als Beweis dafür, daß die Reise aufgegeben gewesen sei,
könnten diese Tatsachen dagegen nicht angesehen werden, zumal der
Kapitän klar und deutlich ausgesagt habe, nach Ausbesserung der
Schäden hätte er direkt nach dem ursprünglichen Bestimmungshafen
Nikolajewsk gehen wollen.
Die Reklamanten argumentierten ferner,
wenn man die Vernehmung des Kapitäns genau lese, so könne
, man sie nur in dem Sinne interpretieren, daß die Reise nach
Nikolajewsk tatsächlich aufgegeben gewesen sei. Es heiße
nämlich im Protokoll: „falls sich die Reparatur in Okinawa
hätte bewerkstelligen lassen, würde man nach Nikolaiewsk
gegangen sein ; da jedoch an dem Platze kein Schmied aus-
findig zu machen gewesen sei, so habe man beschlossen,
nach Nagasaki zu gehen". Erwäge man nun, daß die Repa-
ratur tatsächlich in Okinawa unmöglich gewesen sei, so werde
866
Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia". Abschnitt VI»«
durch die Aussage die tatsächliche Sachlage bestätigt, daß
man bestimmt nicht nach Nikolajewsk habe gehen wollen.
Indessen, wenn auch der Schaden, den der Schiffskörper erlitten ge-
habt habe, noch so groß gewesen wäre, so daß das Schiff absolut nicht
nach Nikolajewsk hätte gehen können, so könne man daraus noch nicht
folgern, daß es die Zufuhr von Konterbande aufgegeben habe. Stehe
doch ausdrücklich in den Konnossementen, daß der Kapitän, falls er
infolge von Unwetter oder aus einem andern Grunde verhindert sein
sollte, die Ladung auf seinem Schiffe zu befördern, die Pflicht habe,
die Güter auf ein anderes Schiff umzuladen, oder sich mit einem
Schlepper nach dem Bestimmungshafen schleppen zu lassen. Übrigens
sei auch der Schaden, den das Schiff genommen habe, gering, wiewohl
nach Behauptung der Reklamanten die Reparatur so lange Zeit in An-
spruch nehmen würde, daß das Schiff den Bestimmungshafen nicht
vor seiner Vereisung hätte erreichen können. Was schließlich den ein-
stimmigen Beschluß der Schiffsoffiziere, nach Shanghai zu gehen, an-
lange, so habe dieser Hafen nur als Nothafen angelaufen werden sollen;
ebenso habe man Kap Kiamu nur um Beistand angesprochen und
Okinawa angelaufen, um das Ruder zu reparieren. Diese Tatsachen
seien jedoch nicht das geringste Anzeichen dafür, daß die ursprüng-
liche Reise des Schiffes aufgegeben worden sei. Wenn daher die erste.
Instanz in der Überzeugung, daß es sich um den Transport von Kriegs-
konterbande unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gehandelt habe>.
das Schiff eingezogen habe, so sei diese Entscheidung wohl gerecht-
fertigt und die Berufung der Reklamanten sei daher als grundlos zu ver-
w^erfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Nikolajewsk befindet sich im Mündungsgebiet des Amur-Flusses
und ist gleichwie Wladiwostok einer der wichtigsten Stützpunkte im
Rücken der Verteidigungslinie der die Mandschurei besetzt haltenden
russischen Armee gewesen. Von dem Zeitpunkt an, wo die Kaiserliche
Marine den Seeverkehr nach Wladiwostok vollständig abgeschnitten hatte>
wurde Nikolajewsk zum Einfuhrort für den gesamten russischen Kriegs-
bedarf. Dazu kommt, daß Nikolajewsk befestigt war und daß Kanonen-
boote und Torpedoboote dort stationiert waren. Ferner waren in Niko-
lajewsk Landtruppen stationiert und es wurde tatsächlich energisch in
Verteidigungszustand gesetzt. Unter diesen Umständen ist es klar, daß
die Ladung des Dampfers „Lydia'', unter welcher sich Material für
den Bau und die Ausrüstung von Kriegsschiffen und anderen Schiffen,
Maschinenöl, Zylinderöl, Wagenschmieröl, Madiafett, Essigsäure, Schmier-
kannen, Zwischen legescheiben, Bandeisen, Treibriemen, Schmifgel, Hanf-
garn — alles Gebrauchsartikel für solche Schiffe — und Proviant, wie
z. B. Tafel- und anderes Salz, befand, dem Feind für dessen Kriegs-
(55*) 867
Abschnitt VI 65 a Prisengerichtsentschef düngen : „Lydia".
bedarf zugeführt werden sollte und dementsprechend als Kriegskonter-
bande anzusehen ist. Wenn ferner die Sache äußerlich so arrangiert
>«^orden ist, daß zur Zeit des Antritts der Seereise der „Lydia" der
H. Wilhelm Dieckmann jr. als Charterer des Schiffs und als
Verschiffei der Ladung erscheint, so ist doch im Ladehafen Hamburg
die ganze Verladung unter der Aufsicht des Faktors Dreier der im
Miteigentum des Schiffs stehenden offenen Handelsgesellschaft
F. Eimbcke&Co. erfolgt und der Empfänger der Ladung, die Firma
Nobel & Co. in Nikolajewsk ist das im Miteigentum des Schiffs
stehende, unbeschränkt haftende Mitglied der Kommanditgesellschaft.
Aus dem Umstand, daß der Kapitän den Befehl erhalten hatte, nach
seiner Ankunft am Bestimmungshafen die Schiffsflagge des Ladungs-
empfängers zu setzen, geht klar hervor, daß die Seereise des Schiffes
mit der Absicht der Beförderung der Kriegskonterbande im gemein-
schaftlichen Interesse der Miteigentümer des Schiffes unternommen
wurde. In einem der Konnossemente steht geschrieben, das Schiff
habe Ladung für Hongkong eingenommen. Der Kapitän behauptet
zwar, er habe bei der Abreise aus Hamburg nicht gewußt, ob das Schiff
nach Nikolajewsk bestimmt sei oder wohin sonst; aber andererseits
hat er auch erklärt, die beim Eintreffen des Schiffs in Rußland benötigten
Papiere, nämlich ein Gesundheitspaß, ausgestellt von den Hamburgischen
Polizeibehörden sowie die anderen Konnossemente, aus denen die Ab-
sicht, die Ladung nach Nikolajewsk zu befördern, hervorgehe, seien am
7. April 1905, also vor der Abreise des Dampfers, zu Hamburg aus-
gestellt worden. Hieraus ergibt sich, daß das Schiff von Anfang an
nach Nikolajewsk im russischen Staatsgebiet bestimmt war, daß es aber
zunächst, um der Aufbringung durch die zwischen Singapore und Hong-
kong kreuzenden Schiffe der Kaiserlich Japanischen Flotte zu entgehen,
nur Schiffspapiere bei sich führte, in denen Hongkong als Bestimmungs-
hafen angegeben war, während die Konnossemente und der Gesund-
heitspaß, in denen Nikolajewsk als Bestimmungshafen angegeben war,
besonders per Post gesandt wurden, um dem Schiff erst in Hongkong
ausgehändigt zu werden, ein Plan, der offenbar den Zweck hatte, die
Konterbandefahrt zu erleichtern. Es muß daher behauptet werden, daß
das Schiff einen Konterbandetransport geplant und sich dabei betrüge-
rischer Mittel bedient hat.
Die Reklamanten behaupten, das zur Verhandlung stehende Schiff
sei nicht auf der Reise nach Nikolajewsk aufgebracht worden, vielmehr
habe es infolge eines Taifuns einen Schaden am Steuer erlitten, der es
veranlaßt habe, seine Absicht, nach Nikolajewsk zu gehen, aufzugeben.
Als es aber auf der Rückfahrt nach Shanghai schon etwa 250 Seemeilen
zurückgelegt habe, sei es neuen Schwierigkeiten begegnet, habe daher
Hilfe angerufen, um den Hafen von Naha anlaufen zu können, und sei,
868
Prisengerichtsentscheidungen: „LydlSL"- Abschnitt Vl^Sif
als es in diesem Hafen verankert gewesen sei, beschlagnahmt worden.
Selbst wenn daher anzunehmen wäre, daß es ursprünglich mit der Ab-
sicht der Beförderung von Kriegskonterbande ausgefahren sei, so habe
es doch jedenfalls diese Absicht aufgegelien, und die Beschlagnahme
des Schiffes nach Aufgabe der Absicht sei rechtlich unbegründet. Aber
in dem zum Beweis dieser Behauptung angezogenen Schiffsjournal steht
nur, das Schiff habe wegen des Taifuns und wegen des erlittenen Ruder-
schadens Shanghai als Nothafen anzulaufen und daher den Kurs zu
ändern beschlossen. Es fehlt aber nicht nur an irgend einer anderen
Angabe, aus welcher hervorginge, daß das Schiff die Absicht, nach
Nikolajewsk zu fahren, aufgegeben hätte; es ist vielmehr gerade nach
dieser Eintragung anzunehmen, daß das Schiff beabsichtigte, seinen
Schaden in Shanghai reparieren zu lassen, und daß es doch noch
rechtzeitig genug aus Shanghai wieder auslaufen zu können hoffte,
um seinen Bestimmungshafen Nikolajewsk noch vor dem Zufrieren zu
erreichen. Es kann also nicht behauptet werden, daß das Schiff in-
folge des erlittenen Seeschadens seine Absicht, Kriegskonterbande zu
befördern, aufgegeben habe.
Daß auch neutrale Schiffe, wenn sie eine Einfuhr von Kriegs-
konterbande vorgehabt haben, zusammen mit der Kriegskonterbande
weggenommen werden können, ist von der völkerrechtlichen Wissen-
schaft anerkannt. Da bei der in Frage stehenden Reise außerdem auch
noch in der oben dargestellten Weise betrügerische Handlungen be-
gangen sind, so ist es gerechtfertigt, daß das Urteil der ersten Instanz
auf Einziehung des Schiffs mit Ladung lautet, und die Berufung ist
unbegründet.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 12. März 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: H. Wilhelm Dieckmann jr., Hamburg,
Deutschland, vertreten durch Reinhold Richter, Führer des
Dampfers „Lydia", wohnhaft in Deutschland, Bremerhaven, Bürger-
meister-Schmidtstraße Nr. 107.
Prozeßvertreter: Rech tsan wal t Ishibashi Tomokichi,
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
869
Abschnitt VI ^8^ Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia"»
In der Prisensache, betreffend die an Bord des deutschen Dampfers
„Lydia" befindliche Ladung wird, wie folgt, entschieden:
U r t e i 1 s f o r m e 1 :
Die an Bord des Dampfers „Lydia" befindlichen, in beigeheftetem
Ladungsverzeichnis aufgeführten Güter werden eingezogen.
Tatbestand und Gründe:
Die zur Verhandlung stehenden Güter. wurden in Hamburg auf
dem Dampfer „Lydia" verschifft, verließen am 8. April 1905 diesen
Hafen mit Bestimmung für Nikolajewsk und wurden am 26. Juli, als
der Dampfer in Naha, weil er Kriegskonterbande führen sollte, von
dem japanischen Kriegsschiff „Nippon Maru" beschlagnahmt wurde, mit
diesem zusammen beschlagnahmt.
Die obigen Tatsachen gehen klar hervor aus der schriftlichen Aus-
sage des Kommandanten des Kriegsschiffs „Nippon Maru", Narikawa
K i , aus den Vernehmungsprotokollen des Kapitäns R e i n h o 1 d
Richter, des ersten Offiziers Hans Ostermann vom Dampfer
„Lydia", aus dem Schiffszertifikat, dem Ladungsmanifest, den Konnosse-
menten, dem Logbuch, dem Chartervertrag und dem Gesundheitspaß
des genannten Dampfers.
Die Hauptpunkte des Vertreters der Reklamation sind folgende:
1. Der Dampfer sei nicht auf der Fahrt nach Nikolajewsk beschlag-
nahmt worden. Er habe vielmehr wegen Havarie seine Reise nach
Nikolaiewsk aufgegeben und sei bereits 250 Seemeilen nach Shangha-*
zurückgekehrt gewesen, als er die Signalstation von Kap-Kiamu auf
Okinawa um Hilfe bat und in den Hafen von Naha einfuhr. Während
er dort vor Anker lag, sei er beschlagnahmt worden. Selbst ange-
nommen, der Dampfer habe Konterbandeschiffahrt betrieben, so habe
er doch unterwegs seinen Plan geändert und sein Ziel aufgegeben und
könne deshalb nicht beschlagnahmt werden.
2. Eine Entscheidung darüber, ob die Fahrt völkerrechtlich als
verboten anzusehen sei oder nicht, könnte nur unter Zugrundelegung
der gegenwärtigen Tatsachen und Umstände getroffen werden. Auf
bloße Vermutung zukünftiger, noch unbestimmter Tatsachen hin, wie
z. B. daraufhin, daß der Dampfer nach Fertigstellung seiner Reparaturen
die einstweilen unterbrochene Fahrt wieder aufgenommen haben würde,
könne eine derartige Entscheidung rechtmäßig nicht gefällt werden.
Angenommen aber, die Entscheidung entspreche dem Recht, so wäre
es doch unmöglich gewesen, daß der Dampfer, nachdem er in Shanghai
angekommen wäre und seine Reparaturen bewerkstelligt hätte, früher
als am 15. Oktober Shanghai hätte verlassen können. Da zu dieser
Zeit die See schon zugefroren gewesen sein würde, so würde der Dampfer
870
'.Prteengerlchtsentscheldungen: „Lydia". Abschnitt Vis^k
seine Reise nach Nilcolaiewslc erst im April nächsten Jahres haben aus-
führen können. Es erübrige sich, gegenwärtig, wo der Frieden zwischen
Japan und Rußland bereits geschlossen und die Ratifikation schon ziem-
lich sicher sei, darüber Worte zu verlieren, daß eine Beschlagnahme
auf Grund von Tatsachen, die erst nach dem April nächsten Jahres
eintreten könnten, nicht zu rechtfertigen sei.
3. Angenommen, die Verteidigungspunkte zu 1 iiTid 2 hätten keinen
Bestand, so seien doch die an Bord des zur Verhandlung stehenden
Dampfers verladenen Güter vorzugsweise landwirtschaftliche Geräte;
das Bandeisen, Maschinenöl, die Treibriemen usw. seien alle Zubehör
der landwirtschaftlichen Geräte; das Kochsalz sei für die Landleute
bestimmt; die Sachen seien also alle nicht für den Kriegsgebrauch des
Feindes bestimmt, daher keine Konterbande und könnten nicht ein-
gezogen werden.
4. Es befänden sich freilich unter der Ladung einige Güter, die
nach dem Standpunkt der Regierung Kriegskonterbande wären; ihre
Verladung sei aber ohne Dolus oder Prämeditation geschehen. Da
ferner Schiffseigentümer und Ladungseigentümer verschiedene Personen
wären, so erscheine es recht und billig, nur die Kriegskonterbande ein-
zuziehen, die übrige Ladung aber freizulassen.
Aus diesen Gründen beantrage er die Freilassung der zur Ver-
handlung stehenden Ladung.
Die Hauptpunkte der Ansicht des Staatsanwalts sind folgende :
Da das unter der zur Verhandlung stehenden Ladung befindliche
Bandeisen, Maschinenöl, die Treibriemen, das Kochsalz usw. nach Niko-
laiewsk bestimmt gewesen seien, so wären sie Kriegskonterbande. Da
ferner der zur Verhandlung stehende Dampfer bei dem Transport dieser
Kriegskonterbandegüter sich falscher Angaben bedient habe und Schiff
und Ladung derselben Person gehöre, so sei die ganze Ladung ein-
zuziehen.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Was die unter der zur Verhandlung stehenden Ladung befindlichen
Güter, nämlich Maschinenöl, Zylinderöl, Wagenfett, Madiafett, Essigsäure,
Schmierkannen, Zwischen legscheiben, Bandeisen, Treibriemen, Schmirgel
und Hanfseile angeht, so sind sie Materialien zum Bau und zur Aus-
rüstung von Kriegs- und Handelsschiffen; das Kochsalz und sonstige
Salz ist ein Nahrungsmittel. Der Bestimmungsort Nikolajewsk ist zu-
sammen mit Wladiwostok der wichtigste Verteidigungispunkt des russi-
schen Küstengebiets; nachdem seit etwa Juni oder Juli 1905 Wladiwostok
von der Kaiserlichen Kriegsflotte von dem Seeverkehr mehr oder weniger
abgeschnitten war, diente hauptsächlich Nikolajewsk als Tor und Tür
für die Einfuhr von Kriegsbedarfsartikeln. Aus diesen Tatsachen muß
^geschlossen werden, daß die genannten Waren für den Kriegsbedarf
871
Abschnitt VI 65b Prisengerichtsentscheidungen : „Lydia' V
des Feindes geliefert werden sollten und daß sie daher Kriegskonter-
bande sind. ^)
Die Güter, welche nicht Kriegskonterbande sind, sind ebenso wie
alle andern von den Reklamanten an die Firma Noebel & Co. ver-
schifft worden. Da demnach die Konterbandegüter und die unverfäng-
liche Ladung demselben Eigentümer gehören, so ist die gesamte Ladung
einzuziehen. ^)
Der Prozeßvertreter behauptet, der zur Verhandlung stehende
Dampfer habe seine Reise nach Nikolaiewsk aufgegeben gehabt; an-
genommen aber, er habe sie nicht aufgegeben gehabt, so würde er doch
wegen seiner Reparaturen die Reise nicht vor dem 15. Oktober d. J.
haben fortsetzen können. Zu dieser Zeit sei aber das Meer bereits
zugefroren, so daß der Dampfer erst nach April nächsten Jahres seine
Reise hätte unternehmen können. Auf eine derartige noch völlig un-
bestimmte Tatsache hin das Schiff mit Beschlag zu belegen, sei unrecht-
mäßig. Dem steht entgegen, daß der Kapitän Reinhold Richter
auf eine Frage des Untersuchungsrichters geantwortet hat, daß er nach
Ausführung einer vorläufigen Reparatur in Okinawa nach Nikolajewslc
weitergefahren sein würde, woraus klar hervorgeht, daß der Kapitän
zur Zeit der Beschlagnahme seinen Plan nach Nikolajewsk zu fahren,
nicht aufgegeben hatte. Es muß als ein allgemeiner Grundsatz des
Völkerrechts angesehen werden, daß ein Schiff, welches Kriegskonter-
bande führt, wenn es zur Zeit der Aufbringung sein Ziel nicht end-
gültig aufgegeben hat, der Aufbringung unterliegt. Daher ist, selbst
wenn wie im vorliegenden Falle das Schiff nicht in der Lage war,
die Reise wegen seiner Reparaturen eher als nach April nächsten Jahres
auszuführen, in der Aufbringung eine Unrechtmäßigkeit nicht zu finden.
Dieses um so weniger als, selbst wenn das Schiff nach Shanghai ge-
fahren wäre und dort in Reparatur gegangen wäre, eine so lange Zeit,
wie der Prozeßvertreter behauptet, dazu nicht erforderlich gewesen wäre
und der Dampfer sehr wohl vor Zufrieren der nördlichen Gewässer
in Nikolajewsk hätte eintreffen können.
Die Behauptungen des Prozeßvertreters sind also unbegründet,,
und es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 18. Oktober 1905 im Prisengericht zu Sasebo im.
Beisein des Staatsanwalts Mizukami Chojiro.
(Unterschriften.)
1) IL Ziffer 1 und 2. — V. § 43.
872
Prisengerichtsentscheidungen : ,iLydia".
Abschnitt VI »^
Ladungsverzeichnis des Dampfers ,,Lydia^'.
No.
Art der Güter
Anzahl der
Kolli
Ablader
Empfänger
1
Dreschmaschinen . .
4 Kolli
H. Wilh. Dieck-
mann, Hamburg
Noebel & Co.,
Nikolajewsk
2
Roßwerke (Teile vonland
Wirtschaft!. Maschinen
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n
»
3
Zahnräder dazu . .
. 4 ,
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4
Eiserne Stangen dazu
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. 10 Kisten
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Zehn Getreidemaschiner
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5 Bunde
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2 Bunde
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Vier Grasmäher
4 Kisten
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Sechs Heurechen .
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Abschnitt VI«*
Prisengerichtsentscheidungen : „Lydia".
No.
Art der Güter
Anzahl der
Kolli
Ablader
Empfänger
42
Elf Qetreidemäh-
11 Kisten
H. Wilh. Dieck-
Noebel & Co.,
maschinen
mann, Hamburg
Nikolajewsk
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Sechs Getreidemäh-
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D 1» • •
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n
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Manila-Binde-Garn
150 Ballen
f»
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Zvlinderöl
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Kochsalz ....
300 Säcke
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n
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Treibriemen . . .
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Madiafett . . .
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Salz
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Nägel
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Essigsäure . . .
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Schmirgelpapier .
2 Pack
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Parfümerien . . .
1 Kiste
6 Ballen
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Putzwolle . . .
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1 .
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73
Schmierkannen
1 .
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Stearinkerzen . .
200 Kisten
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Seife
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Drahtstifte . . .
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Salz
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Reservesäcke dazu
79
Wagenfett . . .
10 Kisten
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Wellblech . . .
250 Bunde
2 Kisten
10 Faß
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Dachfirste . . .
82
Nägel
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Zwischenlegescheiber
1 .
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n
n
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Kochsalz ....
300 Sack
830 Bunde
20 Kisten
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f*
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Bandeisen . . .
86
Sicherheitszündhölzer .
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Maschinenöl . .
•
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n
S74
Prisengerfchlsentschddungen : iXydia".
Abschnitt VI »^
>Io.
Art der Güter
Anzahl der
Kolli
Ablader
Empfänger
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
Zylinderöl
Salz
Madiafett . • . . .
Drahtbürsten . . . .
Elektrische Ttirglocken .
Siegellack .....
Parftimerien
Eraaillegeschirr . . .
Eisenwaren
Essigsäure
Meßwerkzeug . . . .
Schmirgelleinen . . .
Schmirgel
Eisenwaren
n
Fischnetze
Eisenwaren
Nägel
Eisenwaren
Parftimerien u. Kataloge
Pfeifen undTannenbaum-
schmuck usw. . . .
50 Kisten
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1
1
1
3
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2
1
1
Sack
Faß
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Kisten
Kiste
Ballen
Kiste
Ballen
Kiste
n
Kisten
Kiste
H. Wilh. Dieck-
mann, Hamburg
Noebel & Co.,
Nikolajewsk
Reklamant: H. Wilhelm Dieckmann in Hamburg, ver-
treten durch Reinhold Richter, Führer des Dampfers „Lydia",
wx)hnhaft in Bremerhaven, Bürgermeister-Schmidtstraße Nr. 107.
Prozcßvcrtrctcr: Rechtsanwalt Ishibashi Tomoki chi in
Nagasaki, Togiyamachi Nr. 41.
Am 18. Oktober 1905 hat das Prisengericht zu Sasebo in der
Prisensache, betreffend die an Bord des am 26. Juli 1905 im Hafen
von Naha von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru" aufge-
brachten deutschen Dampfers „Lydia" befindliche Ladung, ein Urteil
gefällt, in welchem auf Einziehung der an Bord des Dampfers „Lydia''
befindlichen, in dem dem Urteil beigefügten Ladungsverzeichnis auf-
geführten Güter erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat Rein hold Richter, als Vertreter des
Reklamanten H. Wilhelm Dieckmann, durch den Rechtsanwalt
Ishibashi Tomokichi als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein des Staatsanwalts Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation
sind folgende:
875
Abschnitt VI Üb Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia"»
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz und Freigabe der
gesamten an Bord des Dampfers „Lydia" verladen gewesenen Güter
beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
Der Dampfer, auf dem die zur Verhandlung stehenden Güter
verladen gewesen seien, sei auf der Fahrt nach Nikolajewsk am 16. Juli
1905 auf offener See, 27^40' nördlicher Breite und 131^2' östlicher
Länge, von einem schweren Unwetter betroffen worden und habe bei
zunehmendem Sturme am folgenden Tage Ruderhavarie erlitten. Nach-
dem der Dampfer drei Tage lang steuerlos getrieben sei, sei es am
20. Juli gelungen, ein Notruder fertigzustellen. Da jedoch mit Rück-
sicht auf die Schiffs ha varie und die noch beträchtliche Entfernung bis
Nikolajewsk die Fahrt nach dem ursprünglichen Bestimmungshafen un-
ausführbar erschienen sei, so habe man am selben Tage (die Mittags-
position des Schiffes sei 26« 45' nördlicher Breite und 131^35' östlicher
Länge gewesen) zwischen 5 und 8 Uhr nachmittags in einem Schiffs-
rate der Offiziere beschlossen, nach Shanghai zu gehen. In Ausführung
dieses Beschlusses sei das Schiff drei weitere Tage gefahren und habe
ca. 250 Seemeilen zurückgelegt. Als es am 23. desselben Monats, nach-
mittags zwischen 1 und 4 Uhr, unweit der Okinawa-Inseln, infolge
neuerdings erlittenen Schadens am Notruder bewegungsunfähig ge-
worden sei, habe es durch Signale von der Signalstation bei Kap Kiamu
Hilfe erbeten und sei am 24., 5 Uhr nachmittags von dem Dampfer
„Futami Maru" in den Hafen von Naha eingeschleppt worden. Während
der Dampfer dort vor Anker gelegen habe, sei er am 26. desselben
Monats von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Nippon Maru" aufgebracht
worden. Der zur Verhandlung stehende Dampfer sei mithin keines-
wegs auf der Fahrt nach Nikolajewsk aufgebracht worden. Vielmehr
sei der Verlauf der gewesen, daß der Dampfer die Reise dorthin längst
aufgegeben gehabt, von der Fahrt nach Shanghai bereits 250 Seemeilen
zurückgelegt, Naha als Nothafen angelaufen und daselbst vor Anker ge-
legen habe, als er aufgebracht worden sei. Nach völkerrechtlicher Praxis
unterliege jedoch ein Schiff, das mit der Absicht, dem Feinde Konter-
bande zuzuführen, ausgefahren sei, nicht der Einziehung, wenn es
während der Fahrt seine Absicht ändere und den Transport der Konter-
bande aufgäbe.
Aus diesem Grunde müsse die zur Verhandlung stehende Ladung,
ebenso wie das Schiff selbst, freigegeben werden.
Im Urteil der ersten Instanz sei die im Vernehmungsprotokoll auf-
gezeichnete Aussage des Kapitäns Reinhold Richter „wenn sich
die Reparatur des Dampfers in Okinawa hätte bewerkstelligen lassen,
so wäre er nach Nikolajewsk gefahren" angezogen und auf Grund der-
selben die Fahrt nach Shanghai als Ausflucht angesehen worden. Daß
sich jedoch der Dampfer wirklich auf der Fahrt nach Shanghai be-
876
Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia". Abschnitt VI^^
funden habe, dafür spreche die effektive Tatsache, daß er drei Tage
lang den Kurs auf Shanghai genommen und bereits annähernd 250
Seemeilen zurückgelegt habe. Die als Aussage des Kapitäns in dem
Vernehmungsprotokoll verzeichneten Angaben entsprächen nicht den
Tatsachen und seien nicht von ihm geäußert worden. Der Kapitän
habe gegen diese unsinnige Aussage schon in der ersten Instanz pro-
testiert; vermutlich beruhe sie auf einem Mißverständnis des Dol-
metschers. Aber selbst wenn der Kapitän ausgesagt haben sollte, er
würde nach Nikolajewsk gegangen sein, so müsse man doch angesichts
klaren Gegenbeweises, der darin liege, daß er tatsächlich nach Shanghai
umgekehrt sei, nach den Orundsiitzen der Beweisaufnahme diese Tat-
sachen als Beweise gelten lassen und jene Aus3age verwerfen. Dies um
so mehr, als auch in dem Schiffsjournal, welches nicht unter dem Ver-
dacht nachträglicher Fälschung stehen könne, da es von dem die Auf-
bringung bewirkenden Offizier beschlagnahmt worden sei, sich aus-
drücklich die Aufzeichnung finde, daß die Schiffsoffiziere am 20., nach-
mittags zwischen 5 und 8 Uhr, Schiffsrat abgehalten und einstimmig
beschlossen hätten, nach Shanghai zu gehen. Von einem derartigen
Beschluß aber könne der Kapitän, falls nicht neue Hindernisse einträten,
nicht eigenmächtig abgehen; jedoch einmal angenommen, daß die im
Vernehmungsprotokoll aufgezeichnete Aussage des Kapitäns durchaus
beweiskräftig sei, so könne man, wenn man die ganze Vernehmung ge-
nau lese, sie nur in dem Sinne interpretieren, daß die Reise nach Niko-
laiewsk tatsächlich aufgegeben gewesen sei. Es heiße nämlich in dem
Protokoll :
falls sich die Reparatur in Okinawa hätte bewerkstelligen
lassen, würde man nach Nikolajewsk gegangen sein; da je-
doch an dem Platz kein Schmied ausfindig zu machen ge-
wesen sei, so habe man beschlossen, nach Nagasaki zu gehen.
Diese Worte besagten jedoch, daß, weil die Reparatur in Okinawa nicht
tunlich, die Reise nach Nikolajewsk unmöglich gewesen sei. Im übrigen
seien .sie eine Antwort auf die Frage des mit dem Fall beauftragten
Rats: „was er zu tun beabsichtigt habe, wenn die Reparatur in Okinawa
fertiggestellt worden wäre", d. h. auf eine Frage, die einen zukünftigen
Fall annehme. Demnach sei die Aussage, sozusagen, eine bedingte ge-
wesen, die nicht geeignet sei, die Tatsache der wirklich angetretenen
Fahrt nach Shanghai und die in dem Schiffsjournal aufgezeichneten
Tatsachen zu entkräften.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
Bericht zu Sasebo, Yamamoto Tatsurokuro, sind folgende:
Die Angaben des Kapitäns auf die Frage des mit der Untersuchung
beauftragten Rates der ersten Instanz, wie er beweisen könne, daß die
Fahrt nach Nikolajewsk aufgegeben gewesen sei, erbrächten diesen Be-
877
Abschnitt Vl^b Prisengerichtsentscheidungen : „Lydia*^
weis nicht im geringsten; vielmehr täten sie dar, daß die Absicht be-^
standen habe, den Bestimmungshafen Nikolajewsk auf die eine oder
andere Weise zu erreichen. Was die Rückfahrt nach Shanghai an-
gehe, so sei es klar, daß man wegen schweren Unwetters diesen Hafen
lediglich vorübergehend als Nothafen anlaufen, nach Ankunft sofort das
Ruder reparieren und die Reise haben fortsetzen wollen. Demnach sei
die Behauptung, die Reise sei aufgegeben gewesen, hinfällig.
Der Reklamant behaupte ferner,
das erstinstanzliche Urteil sei ungesetzlich, da es sich auf
die im Vernehmungsprotokoll aufgezeichnete Aussage des
Kapitäns Reinhold Richter „wenn sich die Reparatur
des Dampfers in Okinawa hätte bewerkstelligen lassen, so-
^x^re er sogleich nach Nikolajewsk gefahren" stütze, die Tat-
sache jedoch, daß das Schiff bereits auf dem Wege nach
Shanghai gewesen sei, völlig außer acht lasse.
Die erste Instanz habe jedoch die Tatsache, daß das Schiff nach Shang-
hai umgekehrt sei, nicht verneint. In dem Tatbestand des Urteils heiße
es vielmehr:
Vom 16. desselben Monats sei der Dampfer in einen Taifurr
geraten, infolgedessen er am 17. sein Ruder gebrochen
habe. Während der Dampfer auf der See umhergetrieben
sei, habe man am 20, ein Notruder fertiggestellt und be-
schlossen, nach Nagasaki als Nothafen zu fahren. Da aber
das Ruder nicht, wie erwartet, operiert habe, und die Fahrt
nach Nikolajewsk nicht möglich gewesen sei, so habe man
beschlossen, Shanghai als Nothafen anzulaufen. Als der
Dampfer am 23. d. M. in die Nähe der Hauptinsel Okinawa
gekommen sei, habe er das Ruder wieder gebrochen, und
das Schiff habe, weil es bewegungsunfähig gewesen sei,-
seine Fahrt nach Shanghai aufgegeben und die Signalstatioa
von Kap Kiamu auf der genannten Insel um Hilfe angehen
müssen usw.
Danach habe das Urteil wohl anerkannt, daß das Schiff nach Shang-
hai umgekehrt gewesen sei. Nicht dagegen habe es angenommen, daß
die Fahrt nach Nikolajewsk aufgegeben gewesen sei, denn der Kapitän
habe über diesen Punkt klar ausgesagt, daß er, wenn die Reparatur des
Ruders ausgeführt gewesen wäre, sogleich nach Nikolajewsk weiter-
gefahren wäre. Man könne nicht schlechthin, wenn ein Schiff auf der
Reise einem Taifun begegne, vorübergehend wegen Seenot nach dem
nächsten Hafen umkehre oder von einem anderen Schiffe Beistand er-
bitte, unmöglich die Absicht unterstellen, daß es damit die Reise nach
seinem Bestimmungshafen aufgebe. Im Gegenteil müsse man ganz natur-
gemäß die Absicht unterstellen, daß das Schiff nach Beseitigung der-
878
Prlsengerichtsentscheidungen : ,,Lydia". Abschnitt VI&si^
Hindernisse seine Reise wiederum aufnehmen wolle. Infolgedessen sei
auch dieser Punkt der Berufung hinfällig.
Der Reklamant behauptet ferner,
wenn man die Aussage des Kapitäns „falls sich die Reparatur
in Okinawa hätte bewerkstelligen lassen, würde man nach
Nikolajewsk gegangen sein; da jedoch an dem Platze kein
Schmied ausfindig zu machen gewesen sei, so habe man be-
schlossen, nach Nagasaki zu gehen", prüfe, und erwäge,,
daß die Reparatur in Okinawa tatsächlich unmöglich ge-
wesen sei, so besagten die Worte des Kapitäns, daÖ man
nicht nach Nikolajewsk habe gehen können. Die Aussage
könne daher nur in dem Sinne interpretiert werden, daß die
Reise nach Nikolajewsk tatsächlich aufgegeben gewesen sei.
Nach den Aufzeichnungen im Schiffstagebuche und den Aussagen des
Kapitäns und der Schiffsoffiziere sei dagegen die Sachlage folgende ge-
wesen: Man habe in einem Sturme Ruderhavarie erlitten und nach
Anbringung eines Notruders im nächsten Hafen, nämlich Nagasaki, Zu-
flucht suchen wollen, habe jedoch infolge der Wetterverhältnisse diese
Absicht aufgegeben. Sodann habe man beschlossen, nach Shanghai
zu gehen, habe jedoch unterwegs von neuem an dem Ruder Havarie
erlitten und infolgedessen, da man weder vorwärts noch rückwärts weiter
konnte, nunmehr auch diese Reise aufgegeben. Darauf habe man bei
Kap Kiamu um Beistand gebeten, sei von der „Futami Maru" in den
Hafen von Naha eingeschleppt worden und habe beabsichtigt, nach
Reparatur des Ruders nach Nikolajewsk zu gehen. Da jedoch an dem
genannten Platze ein für die Ruderreparatur geeigneter Schmiedehand-
werker nicht ausfindig zu machen gewesen sei, so habe der Kapitän
erwogen, ob er nach Nagasaki gehen und dort die Reparatur vornehmen
lassen solle. Während er sich mit diesem Plane getragen habe, sei das
Schiff aufgebracht worden. In Ansehung dieser Tatsachen stehe es
ganz außer Zweifel, daß das Schiff unverzüglich die ursprünglich beab-
sichtigte Reise fortgesetzt haben würde, wenn es gelungen wäre, in
Nagasaki das Ruder reparieren zu lassen. Von welcher Seite man auch
immer die Sache ansehe, so müsse man doch als feststehende Tatsache
erkennen, daß zur Zeit der Aufbringung des Dampfers die Absicht
bestanden habe, die ursprünglich geplante Reise auszuführen, und daß
diese Reise nur vorübergehend unterbrochen gewesen sei. Wenn da-
her die erste Instanz entschieden habe,
daß ein bei dem Transport von Kriegskonterbande betroffenes
Schiff, falls es zur Zeit der Aufbringung seine Absicht nicht
absolut aufgegeben habe, einzuziehen sei, und zwar zufolge
einer allgemein anerkannten Regel des Völkerrechts usw.,
so besteht diese Entscheidung völlig zu Recht. Da somit die Berufung
87^
Abschnitt VI Üb Prisengerichtsentscheidungen: „Lydia".
auch in diesem Punkte der Begründung entbehre, so beantrage er
Abweisung derselben.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Nikolajewsk befindet sich im Mündungsgebiet des Amur-Flusses
und ist gleich wie Wladiwostok einer der wichtigsten Stützpunkte im
Rücken der Verteidigungslinie der die Mandschurei besetzt haltenden
russischen Armee gewesen. Von dem Zeitpunkt an, wo die Kaiser-
liche Marine den Seeverkehr nach Wladiwostok vollständig abgeschnitten
hatte, wurde Nikolajewsk zum Einfuhrort für den gesamten russischen
Kriegsbedarf. Dazu kommt, daß Nikolajewsk befestigt war und daß
Kanonenboote und Torpedoboote dort stationiert waren. Ferner waren
in Nikolajewsk Landtruppen stationiert und es wurde tatsächlich energisch
in Verteidigungszustand gesetzt. Unter diesen Umständen ist es klar,
daß die Ladung des Dampfers „Lydia", unter welcher sich Material für
den Bau und die Ausrüstung von Kriegs- und anderen Schiffen, Ma-
schinenöl, Zylinderöl, Wagenschmieröl, Madiafett, Essigsäure, Schmier-
kannen, Zwischenlegescheiben, Bandeisen, Treibriemen, Schmirgel, Hanf-
garn — alles Gebrauchsartikel für solche Schiffe — und Proviant, wie
z. B. Tafel- und anderes Salz, befand, dem Feind für dessen Kriegsbedarf
zugeführt werden sollte und dementsprechend als Kriegskonterbande
anzusehen ist. Was die übrigen Waren anlangt, so sind sie zwar nicht
Kriegskonterbande, da sie jedoch, ausweislich des Lademanifestes, ebenso
wie die oben angeführte Konterbande, im Eigentum der Firma Noebel
& C o. stehen, so unterliegen die sämtlichen zur Verhandlung stehenden
Güter der Wegnahme.
Der Reklamant behauptet, das Schiff „Lydia", das mit den frag-
lichen Gütern befrachtet war, sei nicht auf der Reise nach Nikolajewsk
aufgebracht worden, vielmehr habe es infolge eines Taifuns einen Schaden
am Steuer erlitten, der es veranlaßt habe, seine Absicht, nach Niko-
lajewsk zu fahren, aufzugeben. Als es aber auf der Rückfahrt nach
Shanghai schon etwa 250 Seemeilen zurückgelegt gehabt habe, sei es
neuen Schwierigkeiten begegnet, habe daher Hülfe angerufen, um den
Hafen von Naha anlaufen zu können, und sei, als es in diesem Hafen
verankert gewesen sei, beschlagnahmt worden. Selbst wenn daher an-
zunehmen wäre, daß es ursprünglich mit der Absicht der Beförderung
von Kriegskonterbande ausgefahren sei, so habe es doch jedenfalls diese
Absicht aufgegeben und die Beschlagnahme des Schiffes nach Auf-
gabe der Absicht sei rechtlich unbegründet. Aber in dem zum Beweise
dieser Behauptung eingezogenen Schiffsjournal steht nur, das Schiff habe
wegen des Taifuns und wegen des erlittenen Ruderschadens Shanghai
als Nothafen anzulaufen und daher den Kurs zu ändern beschlossen.
Es fehlt aber nicht nur an irgend einer anderen Angabe, aus welcher
hervorgeht, daß das Schiff die Absicht, nach Nikolajewsk zu fahren,
880
Priaangerichtsentscheidungen: „Aiistralia". Abschnitt VIN
aufgegeben hätte; vielmehr ist gerade nach dieser Eintragung an-
zunehmen, daß das Schiff beabsichtigte, seinen Schaden in Shanghai
reparieren zu lassen, und daß es doch noch rechtzeitig genug aus
Shanghai wieder auslaufen zu können hoffte, um meinen Bestimmungs-
hafen Nikolajewsk vor dem Zufrieren zu erreichen. Es kann also nicht
behauptet werden, daß das Schiff infolge erlittenen Seeschadens seine
Absicht, Kriegskonterbande zu befördern, aufgegeben hat.
Daß auch neutrale Schiffe, wenn sie eine Einfuhr von Kriegskonter-
bande vorgehabt haben, zusammen mit der Kriegskonterbande weg-
genommen werden können, ist von der völkerrechtlichen Wissenschaft
anerkannt. ^) Da bei der in Frage stehenden Reise außerdem auch noch in
der oben dargestellten Weise betrügerische Handlungen begangen sind,
so ist es gerechtfertigt, daß das Urteil der ersten Instanz auf Einziehung
der zur Verhandlung stehenden Güter erkannt hat, und die Berufung
ist unbegründet
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 12. März 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamanten: Oceanic Steamship Company, Vereinigte Staaten von
Nordamerika, San Francisco, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
„Australia", James Rennie, und Lloyd, England, London, vertreten
durch A. G. MoreyWeale, Angehörigen der Firma Cornes&Co.,
Yokohama, Yamashitacho Nr. 40.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Sato Hakuai, Yokohama,
Honcho, Sanchomo Nr. 40.
In der Prisensache, betreffend den nordamerikanischen Dampfer
„Australia", wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des nordamerikanischen Dampfers „Au-
stralia" und der auf ihm verschifften Ladung (ungefähr 1400 Sack
Weizenmehl und 200 Kisten sonstige Lebensmittel und Webwaren so-
wie gemischte Güter) erkannt.
~ 3) Anders die japanische Seeprisenordnung, §§ 43, 44 (V) und Ihre Gnindlage,
das englische Manual of Naval Prize Law, Art. 82 bis 85.
Mftratrftnd-Meohlenburff, Daa jApanisohe Prlsenrecht. (56) ool
Abschnitt VIM Prisengerlchtsentscheiduiigeii : „Australia".
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Austraha" hat seinen
Heiniatshafen in San Francisco, Vereinigte Staaten von Nordamerika,
und ist ein Handelsschiff, welches die Flagge dieses Staates fuhrt. Er-
wurde am 10. April 1905 auf Grund eines auf den Namen der russischen
Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft abgeschlossenen Miets-
vertrags für etwa 4 Monate vermietet, um dazu zu dienen, die Aufgabe
der russischen Regierung auszuführen, welche darin bestand, für das
Etatjahr 1905 die amtlichen und privaten Bedarfsgegenstände nach den
verschiedenen Küsten platzen des Ochotskischen Meers und des Bering-
meers zu schaffen.
Zur Ausführung der Lieferung der genannten Bedarfsgegenstände-
wurde der Rat des Ministeriums des Innern, Nikolai Alexandre-
witsch Grebnitzki, zum Oberlieferungskommissar ernannt. Dieser
Beamte übernahm die Lieferungsgeschäfte und das allgemeine offizielle
und private Nachrichtenwesen an der Küste des fernen Ostens. Daneben
erhielt er Befehl, die Lage der Küstenplätze zu untersuchen. In San
Francisco schaffte er über 100 Kolli Lebensmittel, Schießpulver, Blei-
stangen und -Barren, Webwaren und andere gemischte Güter zusammen,,
verlud dieselben auf dem zur Verhandlung stehenden Schiff, auf dem
er sich auch selber einschiffte, und fuhr am 25. Mai d. J. von San'
Francisco ab. Der Dampfer lief unter Leitung des genannten Beamten
über die Commandorski-Inseln und den Hafen Petropawlowsk die ver-
schiedenen Häfen des Ochotskischen Meeres an, verteilte einen großen
Teil seiner Ladung und kehrte nach Ausübung der Nachrichtengeschäfte
wieder nach Petropawlowsk zurück. Als er dort im Begriff war, zur
Erledigung der noch übrigen Geschäfte Vorbereitungen zu emer neuen
Reise nach den Küstenplätzen des Ochotskischen Meeres zu treffen,
wurde er am 13. August von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Suma" be-
schlagnahmt.
Zur Zeit der Beschlagnahme befanden sich an Bord außer den der
russischen Regierung gehörigen Sachen feindliche Güter, welche von
der in Petropawlowsk niederlässigen Kamtschatka Handels- und Indu-
striegesellschaft nach verschiedenen Küstenplätzen des Ochotskischen
Meeres versandt werden sollten.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten des Kriegsschiffs „Suma", Kapitän leutnants
Ominato Naotaro, die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des
Kapitäns des zur Verhandlung stehenden Schiffs, James Rennie,
des mitreisenden Rats des russischen Ministeriums des Innern, Nikolai
Alexandrowitsch Grebnitzki, der Angestellten den . Kamt-
schatka-Handels- und Industriegesellschaft A. Kantor und Peter
Upman und des ersten Offiziers H. Caughell, durch die Abschrift
882
Prisengerichtsentscheidungen: „Australia'S Abschnitt VI»
d€S Vernehmungsprotokolls mit Qrebnitzki in der Prisensache, be-
treffend den Dampfer „Montara", i) die Abschrift der Instruktion der
russischen Regierung an den Kommissar für die Lieferungen an die
Küsstenplätze des Ochotskischen und Beringmeers im Rechnungsjahr
J905, das Schiffszertifikät, den Chartervertrag, das Tagebuch, das Privat-
schiffsjournal, das Ladungsverzeichnis und das Verzeichnis der vor-
gefundenen Güter.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
L Der Dampfer „Australia'' gehöre dem Reklamanten, der Oceanic
Steamship Company, und sei ein neutrales Schiff, welches am Ort der
Niederlassung der Gesellschaft, San Francisco, ordnungsmäßig ein-
getragen sei. Der Reklamant habe im April dieses Jahres mit der
Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft einen Chartervertrag ab-
geschlossen, nach welchem das Schiff derselben, zur Fahrt bei Kam-
tschatka und der Umgegend davon, für ungefähr 4 Monate vermietet
worden sei. Die Bestimmungen dieses Vertrages entsprächen alle dem
Gebräuchlichen. Ferner seien während der Ausübung des genannten
Vertrages keine falschen Schiffspapiere angefertigt oder falsche Ein-
tragungen vorgenommen worden. Diese Tatsachen bewiesen mehr als
genug, daß weder der Reeder noch der Kapitän eine Verletzung der
Neutralität geplant hätten.
In Fällen wie dem vorliegenden, wo das Schiff im ganzen der
Gegenstand des Chartervertrages sei, entspreche es dem allgemeinen
Brauch, daß während der Reise die Bestimmung über Löschen und
Laden von Gütern dem Vertreter des Charterers zustehe. Es sei daher
natürlich, daß der Kapitän des zur Verhandlung stehenden Schiffs da-
von, daß unter der Ladung, der russischen Regierung gehörige, Güter
gewesen seien, keine Kenntnis gehabt habe. Da ferner der mitgereiste
russische Beamte ihm als Passagier vorgestellt sei, so liege kein Grund
vor, weshalb er über die Amtsbefugnis des Genannten hätte unterrichtet
sein sollen. Es könne demnach nicht angenommen werden, daß der
Reeder oder der Kapitän die Absicht gehabt hätten, das Schiff unter die
Order der russischen Regierung zu stellen und daß folglich der neu-
trale Charakter des Schiffs eine Veränderung erfahren habe.
Überdies sei der in Frage stehende Transport ^durchaus eme Handelsr
transaktion des Charterers, und wenn auch ein Teil dieser Transaktion
sich auf einen Transportkontrakt von Regierungsgütern beziehe, so müsse
doch eine Entscheidung, daß dadurch das Schiff ein im Dienste der
Regierung stehendes Schiff werde, als unberechtigt erklärt werden. Eine
solche Entscheidung könne nur, wenn man annehme, daß der vor-
liegende Chartervertrag nur ein Schein vertrag und daß in Wahrheit
der eine der kontrahierenden Teile die russische Regierung selbst sei, ab-
») VI. 58.
(56*) 883
Abschnitt VI» Prisengerichtsentscheidungen: „Australia''.
gegeben werden. Da ferner der auf dem Schiff mitgereiste Beamte
sich nur eingeschifft habe, weil er die Aufgabe gehabt habe, dafür zu
sorgen, daß ein Teil der Ladung des zur Verhandlung stehenden Schiffs
nach verschiedenen Plätzen geschafft und verteilt werde, so könne das
nicht zum Beweis bei Entscheidung über die Frage dienen, ob de^-
Chartervertrag wahr oder unwahr sei; dies um so weniger, als der
Genannte seine Aufgabe bereits erfüllt gehabt und wegen Krankheit
im Hospital in Petropawlowsk gelegen habe, wo er auf die Rückkehr
des Schiffs von einer Reise nach verschiedenen Plätzen gewartet habe,
um auf demselben in die Heimat zurückzukehren. Daraus gehe hervor,
daß die Beziehungen zwischen dem Genannten und dem zur Verhandlung
stehenden Schiff schon vollständig abgebrochen gewesen seien.
2. Wenn ein Schiff in einen ausländischen Hafen einlaufe, so ent-
spreche es einem bei Handelsschiffen allgemeinen Gebrauch, daß im
Vormast die Flagge des betreffenden Landes geheißt werde. Wenn
daher das zur Verhandlung stehende Schiff bei seiner Einfahrt in Petro-
pawlowsk im Vormast die russische Flagge geführt habe, so habe es
sich darin nur nach den allgemeinen Gebräuchen gerichtet. Man könne
daher, da das Schiff die von ihm zu führende Flagge, nämlich die
amerikanische Landesflagge, nicht gestrichen gehabt habe, nicht auf
Grund der obigen Tatsache behaupten wollen, daß das zur Verhandlung
stehende Schiff unter russischer Flagge gefahren sei.
3. Der von dem Charterer übernommene Transport von Lebens-
mitteln stehe weder direkt noch indirekt in Beziehung zu den Zwecken
des Krieges. Die Bevölkerung von Kamtschatka habe, weil es an Wegen
zur Versorgung mit Lebensmitteln gefehlt habe, in entsetzlicher Weise
Hunger gelitten. Es sei von völkerrechtlichen Präzedenzen anerkannt,
daß, wenn eine Reise dem Zweck der Wohlfahrt der Menschheit diene
und keine Beziehung zu den Zwecken der Kriegsführung habe, selbst
ein feindliches Regierungsschiff von der Aufbringung frei sein müsse.
Auch Schiffe, welche wissenschaftliche, wohltätige oder religiöse Zwecke
verfolgten, fielen alle unter diese Ausnahmebestimmung. Wieviel mehr
müsse das gelten von dem in Frage stehenden Vorhaben, welches eine
hunger leidende Bevöllcerung mit Lebensmitteln habe versorgen wollen
und mit welchem sich die gewöhnliche Wohltätigkeit an humanitärer Be-
deutung nicht vergleichen könne.
4. Die Charterer des zur Verhandlung stehenden Schiffs hätten
von jeher die Proviantversorgungstätigkeit nicht ausschließlich mit Schif-
fen ihres eigenen Landes betrieben, vielmehr lägen eine Menge Bei-
spiele vor, wo sie ausländische Schiffe gechartert hätten. Einmal an-
genommen, es sei wahr, wie Grebnitzki ausgesagt habe, daß auf den
Commandorski-Inseln schon seit lange der Handelsverkehr mit aus-
ländischen Schiffen aufgehört habe, so sei das nur das Resultat der
884
Prisengerichtseiitscheidungen : „Australia". Abschnitt VI«
Monopolisierung der Geschäfte durch die Kamtschatka-Handels- und
Industriegesellschaft; mit anderen Worten: es gründe sich auf einem
speziellen Vertrag, der nur die Beziehungen der russischen Regierung
und der genannten Gesellschaft berühre; habe indes nicht seinen Grund*
darin, daß der Küstenhandel durch russisches Gesetz verboten sei. Wenn
man ferner einmal eine derartige Abmachung beziehungsweise Instruk-
tion für die Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft als russisches
Gesetz ansehe, so betreffe dies doch nur die Beziehungen zwischen!
der Regierung und der Gesellschaft, und wenn auch die russische Re-
gierung die alten Bedingungen abgeändert habe und die Gesellschaft
ausländische Schiffe brauchen lasse, so könne man deshalb doch nicht
annehmen, daß gecharterte ausländische Schiffe mit spezieller Erlaub-
nis der russischen Regierung führen.
Was der § 6 der gegenwärtigen japanischen Seeprisenordnung*)
als „Schiffe, welche mit besonderer Erlaubnis des feindlichen Staats
fahren'' bezeichne, sei dasselbe, was die alte Seeprisenordnung als
„Schiffe, welche einen Reisepaß des feindlichen Staats besitzen oder auf
Grund einer Erlaubnis des feindlichen Staats fahren" bezeichne. Es
seien also Schiffe gemeint, welche selbst eine besondere Erlaubnis er-
halten hätten. Wenn man demnach diese Bestimmung auf den gegen-
wärtigen Fall anwenden wolle, so sei das nicht nur eine Verletzung
des Sinnes der Seeprisen Ordnung, sondern stehe auch mit den Präce-
denzen und dem Sinn des Völkerrechts nicht im Einklang. Man könne
daher nicht behaupten, daß das zur Verhandlung stehende Schiff mit
einer besonderen Erlaubnis der russischen Regierung fahre.
5. Die Wegnahme von Privateigentum zur See sei ein Überbleibsel
aus barbarischen Zeiten Europas, welches man im Einklang mit dem
Fortschritt der Zivilisation ausschließlich auf Fälle, wo ihre Vornahme
im Kriegsinteresse des Staats notwendig sei, zu beschränken und von
der Seeräuberei zu unterscheiden bestrebt sei. Daher müsse das See-
prisenwesen mit Wiederherstellung des Friedens sein Ende nehmen,
und es sei selbstverständlich, daß Prisen, welche noch nicht abge-
urteilt seien, freigegeben werden müßten. Das bezeugten auch die Bei-
spiele des französisch-mexikanischen Kriegs vom Jahre 1856 (wahr-
scheinlich irrtümlich für 1865), der Kriege zwischen Österreich gegen
Frankreich und Piemont vom Jahre 1859, zwischen Dänemark und
Preußen und Österreich vom Jahre 1864 und des letzten Teils des
preußisch-französischen Kriegs.
Bezüglich der gegenseitigen Prisen der kriegführenden Staaten könn-
ten diese Fragen entweder durch Vertrag oder nach dem Prinzip der
Gegenseitigkeit geregelt werden; neutrale Schiffe und Güter brauchten
sich jedoch von Wiederherstellung des Friedens an nicht mehr der Ent-
885
Abschnitt VI» Prisengerichtsentscheidungen: „Australia^'.
Scheidung der Prisengerichtshöfe der kriegführenden Staaten zu unter-
werfen. Daher müsse in dem vorliegenden Falle unfraglich auf Frei-
gabe entschieden werden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Nach der obengenannten Instruktion der russischen Regierung an
den Oberkommissar G r e b n i t z k i und nach dem Vernehmungsprotokoll
mit demselben, hat die russische Regierung früher durch die Gou-
verneure der Küstenprovinz jährlich auf Schiffen der freiwilligen Flotte
oder direkt von der Regierung gecharterten Fahrzeugen Lebensmittel
und allerhand Waren nach dem Ochotskischen und dem Beringsmeer
geschickt. Die Regierungsgüter wurden direkt an die Regierungsdepots
der verschiedenen Plätze ausgeantwortet. Die Privatartikel ließ die Re-
gierung in der Regel durch die Landräte an die Kaufleute und die
allgemeine Bevölkerung verkaufen. Infolge des japanisch-russischen
Kriegs hörte jedoch der Verkehr nach den verschiedenen Küstenplätzen
auf, und man konnte schließlich die Verteilung von Bedarfsgegenständen
durch die Gouverneure nicht mehr durchführen lassen. Daher ent-
sandte die Zentralregierung direkt den obengenannten Oberkommissar
für die Lieferung von Bedarfsartikeln nach dem fernen Osten. Das
zur Verhandlung stehende Schiff erfüllte diese Aufgaben und erledigte
die Obliegenheiten, welche früher den Schiffen der freiwilligen Flotte
oder den direkt von der Regierung gecharterten Fahrzeugen zuge-
fallen waren. Es ist daher klar, daß der wirkliche Zweck des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes der war, zum Gebrauch russischer Be-
hörden zu dienen. Das Schiff ist speziell von der russischen Regierung
durch die Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft gemietet
worden, und Grebnitzki hatte selbst die Vollmacht, über dasselbe
zu bestimmen, und wenn auch der Versicherungsvertrag über das Schiff
zwischen einer Londoner Versicherungsgesellschaft und der Kamtschatka-
Handels- und Industriegesellschaft abgeschlossen worden ist, so hat
doch Grebnitzki gesagt, daß die russische Regierung die Versiche-
rungsprämie bezahle. Wenn man nur die Abfassung des Charter-
vertrags über das zur Verhandlung stehende Schiff betrachtet, so ist
freilich der Charterer des Schiffes die Kamtschatka-Handels- und Industrie-
gesellschaft und es hat den Anschein, als ob diese Gesellschaft auf
Grund eines besonderen Vertrages mit der russischen Regierung die
Beförderung der Regierungsgüter übernommen habe und als ob sie
das Schiff für ihre eigenen Handelsgeschäfte benutze. Tatsächlich ist
es aber unzweifelhaft, daß man das Schiff als ein im Dienst der russi-
schen Regierung stehendes Fahrzeug ansehen muß.
Der Reklamant führt aus:
Weder der Reeder noch der Kapitän habe einen Neutralitäts-
bruch vorgehabt. Sie hätten nicht gewußt, daß es sich um
886
Piisengertchtsentscheidungen: „Au8tralia". Abschnitt VI«
einen Transport von Regierungsgütern handele und daß der
mitreisende russische Beamte die Aufgabe gehabt habe, die
Bedarfsartikel zu verteilen. Daher hätten sie nicht die Ab-
sicht gehabt, das Schiff unter die Order der russischen Re-
gierung zu stellen;
ferner :
Der Oberkommissar habe seine Aufgabe bereits erfüllt ge-
habt und habe wegen Krankheit im Hospital in Petropawlowsk
gelegen. Daraus gehe hervor, daß die Beziehungen zwischen
dem Genannten und dem zur Verhandlung stehenden Schiff
schon vollständig abgebrochen gewesen seien.
Die Frage, ob das Schiff zum Gebrauch der^Behörden gedient
hat, muß nach der Art der tatsächlichen Verwendung entschieden werden
und hat nichts mit der Absicht des Reeders oder des Kapitäns zu
tun. Als das Schiff aufgebracht wurde, war die Charterfrist noch nicht
-abgelaufen, und Gründe, welche darauf schließen lassen, daß eine Ände-
rung gegen die bisherige Verwendung eingetreten war, liegen nicht
vor. Da es zudem schon bestimmt war, daß das Schiff, um die noch
übrigen Aufgaben zu erledigen, noch eine Reise an der Küste des
Ochotskischen Meeres machen sollte, so kann auch die Landung des
Oberkommissars auf die Eigenschaft des Schiffs als eines Regierungs-
fahrzeugs keinerlei Wirkung haben.
Der Reklamant behauptet weiter:
Es habe zurzeit an Mitteln und Wegen zur Versorgung von
Kamtschatka mit Lebensmitteln gefehlt, und die Bevölkerung
habe schon schrecklich von Hungersnot gelitten. Bei Er-
wägung der Humanität und Wohltätigkeit müsse das zur
Verhandlung stehende Schiff von der Wegnahme befreit
werden.
Nach der oben erwähnten Instruktion der russischen Regierung kann
man aber nicht behaupten, daß die Reise zu Zwecken der Hilfeleistung
und Wohltätigkeit unternommen worden sei. In russischen offiziellen
Schriftstücken, welche das Kaiserliche Kriegsschiff „Suma" im Hafen
von Petropawlowsk beschlagnahmt hat, heißt es, daß die Dorfbewohner
jener Gegend der Einberufung von Freiwilligenabteilungen eifrig nach-
_gekommen seien und daß am 29. Mai russischen Stils Grebnitzki mit
Lohn und Proviant für 300 Freiwillige für 3 Monate eingetroffen sei.
Das deutet an, daß das zur Verhandlung stehende Schiff Proviant usw.
an die in den verschiedenen Küstenplätzen lagernden Truppen und
freiwilligen geliefert hat. Daher ist die Argumentation des Reklamanten
unbegründet.
Weiter bringt der Reklamant vor,
das Seeprisenwesen müsse mit der Wiederherstellung des
887
Abschnitt VI» Prisengerichtsenttcheldungeii: „Aiiatralia'^
Friedens sein Ende nehmen. Daher sei es selbstverständ-
lich, daß Prisen, welche noch nicht abgeurteilt seien, frei-
gegeben werden müßten. Neutrale Schiffe und Güter brauch-
ten sich von Wiederherstellung des Friedens an nicht mehr
der Entscheidung der Prisengerichtshöfe der kriegführenden
Staaten zu unterwerfen. Daher müsse unfraglich auf Freigabe
entschieden werden.
Was die hierfür angeführten Beispiele angeht, so haben dort entweder
die kriegführenden Staaten in einem besonderen Vertrag die gegen-
seitigen Beziehungen geregelt oder es handelt sich nur um Freigabe
einer bestimmten Art feindlicher Schiffe auf Grund besonderer gesetz-
licher Vorschriften^ Als Präcedenzen auf den vorliegenden Fall können
sie indes nicht angesehen werden.
Wenn auch im allgemeinen das Recht, Prisen zu nehmen, mit
der Wiederherstellung des Friedens aufhört, so werden doch bereits
geschehene Aufbringungen dadurch nicht annulliert. Die Handlung
der Aufbringung und die Handlung, welche über die Rechtmäßigkeit
der Aufbringung entscheidet, sind zwei ganz verschiedene Sachen. Daher
können die Prisengerichte, abgesehen wo sie durch besonderen Ver-
trag oder durch Gesetz gebunden sind, gleichviel ob es sich um neu-
trale Schiffe handelt oder nicht, auch nach Wiederherstellung des Frie-
dens die Untersuchung fortsetzen und entscheiden, ob Wegnahme er-
folgen soll oder nicht. Dies ist von der Präcedenzentschieidung be-
treffend die „Yeesung" aus dem japanisch-chinesischen Krieg der Jahre
1894/95 und von der sonstigen völkerrechtlichen Praxis und Wissen-
schaft in gleicher Weise anerkannt.
Kurz, wenn auch das zur Verhandlung stehende Schiff ein neu-
trales ist, so hat es doch, weil es zurzeit zum Gebrauch der russischen
Regierung gedient hat, feindlichen Charakter s) und kann nach dem
Völkerrecht der Einziehung nicht entgehen.*) Da ferner die Ladung
des Schiffes der russischen Regierung und feindlichen Personen*) ge-
hört, so muß sie das Schicksal des Schiffes teilen.
Da aus den obigen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff
und seine Ladung einzuziehen sind, so erübrigt es sich, auf die wei-
teren Ausführungen des Reklamanten einzugehen.
Es wird daher, wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 4. November 1905 im Prisengericht zu Yokosuka
im Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, U c h i d a
Shigenari.
(Unterschriften.)
») V. § 6, 1. - ♦) V. § 40, 1. - *) V. § 40, 2.
888
PriSMigerichtsentscheldungeii: „Au«tralia''. Abschnitt VI»
Reklamanten: Oceanic Steamship Company, Vereinigte Staaten von
Nordamerika, San Francisco, vertreten durch den Kapitän des Dampfers
„Australia'S James Rennie, und Lloyd, England, London, vertreten
durch A. D. Morey Weale, Angehörigen der Firma Cornes &
Co. in Yokohama, Yamashitacho Nr. 50.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Sato Hakuai, Yokohama,
Honcho, Sanchome Nr. 40.
Am 4. November 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache, betreffend den nordamerikanischen Dampfer „Australia" und
seine Ladung (etwa 1400 Sack Weizenmehl, etwa 200 Kisten sonstige
Lebensmittel und Webwaren sowie gemischte Güter), welche am
13. August 1905 im Hafen von Petropawlowsk von dem Kaiserlichen
Kriegsschiff „Suma" beschlagnahmt worden sind, ein Urteil gefällt, in
welchem auf Wegnahme des nordamerikanischen Dampfers „Australia"
und seiner Ladung entschieden worden ist.
Gegen dieses Urteil haben James Rennie als Vertreter des
Reklamanten, der Oceanic Steamship Company, und A. D. Morey
Weale als Vertreter des Reklamanten, Lloyd, durch den Rechtsanwalt
Sato Hakuai als Prozeß Vertreter die Berufung eingelegt, welche im
Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. I s h i -
watari Binichi beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptberuf ungspunkte des Vertreters der Reklamation, Sato
Hakuai, und deren Gründe sind folgende:
1. Die reklamierende Oceanic Steamship Company habe ihr Haupt-
geschäft in San Francisco, Amerika. Durch Vermittlung der Firma Ros-
bram & Co. daselbst sei der zur Verhandlung stehende Dampfer
„Australia" von der russischen Kamtschatka-Handels- und Industrie-
gesellschaft gemietet worden. Dies sei eine ganz alltägliche,N gewöhn-
liche Handelstransaktion gewesen, die selber in keiner direkten Be-
ziehung zu der russischen Regierung stehe. Daß die von Rosbram
& Co. vertretene Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft mit
der russischen Regierung irgendwelchen Vertrag abgeschlossen habe^
sei durchaus unbekannt gewesen. Sowohl nach dem Willen wie den
Handlungen des Reklamanten sei der andere Teil bei dem Vertrag die
Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft, und nur ihr gegen-
über sei der Vertrag ausgeführt und die Verbindlichkeit übernommen.
Nach Ankunft des Schiffes in Petropawlowsk habe der Generalprokurist
der Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft den A. Kantor
sich auf demselben einschiffen lassen und ihm die allgemeine Leitung
beim Sammeln und Verteilen der Ladung übertragen. Die unmittelbare
Hantierung der Ladung beim Einnehmen und Löschen habe, wie aus
dessen Vernehmungsprotokolle hervorgehe, dem Upman obgelegen^
der unter Order von Kantor zu handeln gehabt habe. Da so die
889
Abschnitt VI» Prisengerichtsentscheldiumeii : ,Australia'\
Charterer ihre Rechte als solche selbst ausgeübt hätten, so habe das
Urteil erster Instanz, welche das zur Verhandlung stehende Schiff als
im Gebrauch der russischen Regierung stehend betrachtet habe, den
Tatbestand falsch aufgefaßt. Wenn auch der Oberkommissar für die
Lebensbedürfnisse und Rat im russischen Ministerium des Inneren,
Qrebnitzki, auf dem Schiff mitgefahren sei, so könne man doch aus
den Vernehmungsprotokollen des Kapitäns und Kantors entnehmen,
daß Qrebnitzki dem Kapitän als Passagier und Gouverneur der
Kommandorski-Inselgruppe vorgestellt worden sei und daß die Kamt-
schatka-Handels- und Industriegesellschaft ihn gegen Zahlung der
Passage an Bord genommen habe. Danach sei es offenbar, daß Greb-
nitzki das Schiff nicht in der Stellung eines Charterers unter seinem
Befehl gehabt habe. Wenn auch die russische Regierung die Char-
terer des zur Verhandlung stehenden Schiffes mit dem Transport, dem
Ansammeln und der Verteilung von Lebensbedürfnissen zur Versorgung
ihrer Untertanen im fernen Osten beauftragt habe und wenn auch
tatsächlich die der russischen Regierung gehörigen Güter unter der
von den Charterern verschifften Ladung mehr als die Hälfte ausgemacht
hätten, so könne man doch deshalb das zur Verhandlung stehende
Schiff nicht als im Gebrauch der russischen Behörden stehend an-
sehen. Dies um so weniger, als die andere Hälfte unzweifelhaft Handels-
waren der Gesellschaft sei und diese so zugleich neben der Ausführung
ihrer Aufgabe gegenüber der russischen Regierung ihre eigenen Handels-
geschäfte betrieben habe. Freilich habe Grebnitzki wirklich, mit
Bezug auf das Ansammeln und die Verteilung der amtlichen Handels-
güter, die Anordnungen getroffen. Indes hätten sich die Anordnungen
auf den Vertreter der Charterer beschränkt und, wie schon gesagt,
habe der Kapitän seine Weisungen nur von dem Vertreter der Charterer
erhalten. In einem Falle, wo viele Güter einem Schiffe übergeben
würden, um an verschiedenen Orten verteilt zu werden^ sei es ganz
alltägliche Regel und gebe zu keinerlei Verdacht Grund, daß ein Ver-
treter des Ladungseigentümers zur Erteilung der nötigen Anweisungen
an Bord sei. Die Charterer hätten nach ihrem Lieferungskontrakt die
Pflicht gehabt, bezüglich des Ansammeins und Verteilens der Re-
gierungswaren den Anordnungen des Regierungsvertreters Grebnitzki
zu folgen; und der Kapitän habe in Erfüllung des Chartervertrags sich
den Orders Kantors zu unterwerfen gehabt. So habe es äußerlich
den Anschein gehabt, als ob Grebnitzki bezüglich der Ansammlung
und Verteilung der Regierungsgüter an Bord die Weisungen erteilt
habe. Dies habe sich aber nur zufällig durch die Ausführung des
Vertrags ergeben, und man könne deshalb nicht annehmen, daß Greb-
nitzki das zur Verhandlung stehende Schiff unter seiner Order gehabt
890
Prisengerichtsentscheidungen : nAustralia". Abschnitt VI^
habe. Auch könne man es nicht so auslegen, als ob die Reeder oder
der Kapitän das Schiff unter seine Order gestellt hätten.
Die Ansammlung und Verteilung sei bereits vollendet gewesen;
nur. ein wenig Tabak und Zucker sei nachgeblieben, deren Verteilung
G r e b n i t z k i jedoch gänzlich dem Vertreter der Charterer überlassen
gehabt habe. Während er selbst von Bord und zur Pflege in das Hospital
von Petropawlowsk gegangen sei, hätten die Charterer die Verteilung
ihrer eigenen und der noch übrigen Regierungswaren beendigt. Qreb-
nitzki habe die Rückkehr des Dampfers und seine Einschiffung auf
demselben, um nach San Francisco zurückzufahren, abgewartet. Dies
gehe aus seinen Aussagen klar hervor, und es widerspreche daher noch
mehr den Tatsachen, wenn angenommen worden sei, daß das Schiff
zur Zeit der Beschlagnahme ein im Gebrauch der russischen Behörden
stehendes Fahrzeug gewesen sei.
Das Urteil erster Instanz führe aus, daß,
als das Schiff aufgebracht worden sei, die Charterfrist noch
nicht abgelaufen gewesen sei und daß Gründe, welche
darauf schließen ließen, daß eine Änderung in der bisherigen
Verwendung eingetreten sei, nicht vorgelegen hätten. Da
es zudem schon bestimmt gewesen sei, daß das Schiff, um
die noch übrigen Aufgaben zu erledigen, noch eine Reise
an der Küste des Ochotskischen Meers habe machen sollen,
so könne die Landung des Oberkommissars auf die Eigen-
schaft des Schiffes als eines Regierungsfahrzeugs keinerlei
Wirkung haben.
Grebnitzki habe aber ausgesagt, daß
zur Zeit seines Verlassens des Schiffs die Verteilung der Re-
gierungsgüter fast vollendet gewesen und die Verteilung des
wenigen noch übrigen Tabaks und Weizenmehls dem
Charterer ganz überlassen worden sei. Die Güter, außer
diesem Tabak und Weizenmehl, seien Handelswaren der
Charterer gewesen.
Der Genannte habe bei der Vernehmung, obwohl er an der Aufbringung
des zur Verhandlung stehenden Schiffs in keiner Weise interessiert ge-
wesen sei, von selbst die Instruktion für ihn als Oberkommissar gezeigt
und ausgesagt, daß die Versicherung für das zur Verhandlung stehende
Schiff der russischen Regierung obgelegen habe. Man müsse annehmen,
daß er dies nur in dem Wunsche getan habe, den Fortgang der Unter-
suchung durch den mit dem Fall beauftragten Rat zu unterstützen und
dadurch schnell von der Detention freizukommen. Daher könne man
die Wahrheit der Aussagen des Genannten über diese Punkte nicht
anzweifeln. Selbst wenn man daher einmal annehme, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff anfangs ein im Gebrauch der russischen
891
Abschnitt VIM Prisengerichtsentscheidungen: „Australia".
Behörden stehendes Fahrzeug gewesen sei, so könne man bezüglich
der Zeit der Beschlagnahme doch nur annehmen, daß es damals völlig
den Anordnungen der Charterer unterstanden habe.
Wenn auch zur Zeit der Beschlagnahme die Charterfrist noch
nicht abgelaufen gewesen sei, so sei doch der Mietsvertrag von An-
fang an ein Vertrag zwischen den Charterern und dem Reeder gewesen,
und wenn man auch einmal, wie das Urteil erster Instanz, annehme, daR
das Schiff zum Gebrauch der russsichen Behörden gedient habe, so
beruhe das auf einer Handlung der Charterer und es sei selbst-
verständlich, daß das Schiff von der Zeit an, wo die Charterer auf-
gehört hätten, es den russischen Behörden zum Gebrauch zu stellen^
nicht mehr ein im Gebrauch der russischen Behörden stehendes Fahr-
zeug gewesen sei. Die Frage, ob die Charterfrist abgelaufen gewesen
sei oder nicht, sei daher ohne Belang.
Wenn es auch wahr sei, daß die eigentlich dem Charterer ob-
liegende Verpflichtung zur Zahlung der Versicherung der russischen
Regierung auferlegt worden sei, so berühre das nur interne Verhält-
nisse, welche auf einem Übereinkommen zwischen den Charterern und
der russischen Regierung beruhten. In Fällen, wo der Reeder den
Versicherungsvertrag abschließe, werde die Versicherungsprämie beim
Chartergeld in Anrechnung gebracht und falle so dem Charterer zur
Last. Außerdem gebe es auch Fälle, wo der Charterer die Versicherung
trage und das Chartergeld sich um einen dementsprechenden Betrag
verringere. Diese Erwägung gelte auch für die Beziehungen dieser
Art zwischen Charterer und Ladungseigentümer. Da über die Hälfte
der Ladung der russischen Regierung gehöre, so müsse der größte
Teil der Versicherungsprämie, welche die Charterer bezahlt hätten, in
der Fracht eingeschlossen sein und somit der russischen Regierung
als Ladungseigentümer zur Last fallen. Wenn dagegen die russische
Regierung die Versicherungsprämie gezahlt habe, so könne man das
nur als einen Abzug von der Fracht auffassen. Auch sei es ganz
natürlich, daß die russische Regierung im Kriege, wo der Seetransport
schwierig sei, einen für die Charterer günstigen Vertrag habe schließen
müssen. Man könne daraus, daß der Ladungseigentümer für den
Charterer die Versicherung trage, nicht ableiten wollen, daß der wahre
Kontrahent bei dem Chartervertrag der Ladungseigentümer sei.
Wenn man übrigens annehmen wolle, daß die russische Regierung
selber der wahre Charterer und das zur Verhandlung stehende Schiff
ein im Gebrauch dieser Regierung stehendes Fahrzeug sei, so könne
man die Stellung der Kamtschatka -Handels- und Industriegesellschaft
wohl kaum erklären, welche neben den Regierungsgütern auf ihre eigene
Rechnung das Geschäft betrieben habe.
Kurz, es fehle an ausreichenden Beweisen dafür, daß das zur Ver-
892
Prlsengerichtsentscheidungen: „Australia". Abschnitt VI»
handlung stehende Schiff als ein im Gebrauch der russischen Behörden
stehendes Fahrzeug anzusehen sei.
2. Die von den Chartenern, der Kamtschatka - Handels- und
Industriegesellschaft, der russischen Regierung gegenüber übernommenen
Proviantlieferungsgeschäfte hätten weder mittelbar noch unmittelbar mit
dem Krieg etwas zu tun. Da der Dampfer „Maniola", welcher im Juni
1904 zwecks Lieferung von Lebensmitteln nach Kamtschatka abgefahren
sei; unterwegs Schiffbruch erlitten habe, wobei die ganze Ladung ver-
loren gegangen sei, so hätten die Landleute und Fischer auf Kamtschatka
tatsächlich Hungersnot gelitten. Als das zur Verhandlung stehende
Schiff seine Ladung an den verschiedenen Plätzen gelöscht habe, seien
die dort zusammengekommenen Landleute und Fischer durch den
Mangel an Lebensmitteln sehr entkräftet gewesen, bei vielen habe die
Sehkraft fast bis zur Blindheit abgenommen gehabt, und ihre Pelz-
kleider seien zerlöchert und Arme und Beine entblößt gewesen. Es
habe Plätze gegeben, welche schon seit zwei Jahren keine Lebensmittel
geliefert erhalten hätten. (Die von dem Reklamanten in der ersten
Instanz zur Klarstellung dieser Tatsachen beantragte Aufnahme von
Beweisen sei abgewiesen worden. Es sei daher billig, das anzunehmen,
was zugunsten des Reklamanten sein würde.)
Die Warenlieferung des zur Verhandlung stehenden Schiffes habe
das Bedürfnis, das in jenen Gegenden bestanden habe, noch nicht be-
friedigen können. Auch noch zur Zeit des am 18. September 1905
zwischen der russischen und japanischen Marine abgeschlossenen Waffen-
stillstands habe der Konteradmiral Essen als Vertreter Rußlands die
dringende Bitte gestellt, man möge, da nach zwei Wochen der See-
verkehr nach Petropawlowsk aufhöre, die Entsendung eines Transport-
schiffs von Wladiwostok nach dorthin aus Menschlichkeit gestatten, da
sonst die Bevölkerung an Hunger sterben müsse. Diesem Gesuch habe
der Konteradmiral Shimamura als Vertreter des Oberstkomman-
dierenden der vereinigten Flotte, Togo, weil die Umstände sehr drängten,
zugestimmt und er habe einen besonderen Paß erteilt. Die völker-
rechtliche Praxis stehe auf dem Standpunkt, daß auf einer Reise, welche
Pflichten der humanen Wohltätigkeit diene und mit den Zwecken des
Krieges nicht in Beziehung stehe, auch ein feindliches Regierungsschiff
nicht weggenommen werden könne, sondern unter die, für wissen-
schaftliche, wohltätige und religiöse Zwecke bestehende allgemeine Aus-
nahme falle.«) Wieviel mehr müsse das für das zur Verhandlung
stehende Schiff gelten, welches die Aufgabe gehabt habe, an die Land-
ieute und Fischer auf Kamtschatka, welche während des Winters keine
Kleidung und Nahrung erhalten könnten, wenn nach 1 bis 2 Monaten der
Seeverkehr aufgehört habe, und welche dann dem Hungerstode ver-
•) V. § 35,2.
893
Abschnitt VI^ Prisengerichtsentscheidungen: ,,Australia".
fallen müßten, Lebensmittel zu liefern. Mit diesem Akt der iMensch-
lichkeit könne sich die gewöhnliche Wohltätigkeit gar nicht vergleichen.
Wenn die russische Regierung unter Darlegung der dortigen Ver-
hältnisse offiziell mit der japanischen Regierung verhandelt hätte, so
würde die japanische Regierung, welche in jeder Beziehung die völker-
rechtlichen und menschlichen Grundsätze achte, auch einem russischen
Schiff, welchem die Aufgabe dieser Versorgung obgelegen hätte, gerade
wie der Vertreter ihrer Marine entschieden habe, zweifellos die Erlaubnis
erteilt haben.
Der Reeder und der Kapitän des zur Verhandlung stehenden
Schiffes hätte dasselbe nicht unter die Order der russischen Regierung
gestellt, auch selbst nicht eine solche Absicht gehabt. Der von den
Charterern, der Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft, über-
nommene Auftrag des Transports von Regierungsgütern sei eine An-
gelegenheit, welche die russische Regierung aus Menschlichkeit auch
nicht einen Tag lang habe vernachlässigen dürfen. Aucji stehe es zu
den Kriegsinteressen des japanischen Staats in keiner Beziehung, daß
die Bevölkerung Kamtschatkas Hungers sterbe. Daher müsse der zur
Verhandlung stehende Fall unbestreitbar unter die Ausnahmen von der
Beschlagnahme feindlicher Schiffe fallen.
3. Das Urteil erster Instanz habe angenommen, daß in den von
dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Suma'' im Hafen von Petropawlowsk
beschlagnahmten Telegrammentwürfen Spuren dafür vorhanden seien,
daß das zur Verhandlung stehende Schiff den freiwilligen Truppen
Lebensmittel geliefert habe. Es gehe indes aus dem Geschriebenen
hervor, daß es der Entwurf zu einem am 12. Mai russischen Stils,
also am 25. Mai, von dem Provinzialchef von Petropawlowsk irgend-
wohin abgesandten Telegramm sei. Da indes der 25. Mai der Tag
gewesen sei, an welchem das zur Verhandlung stehende Schiff von San
Francisco abgefahren sei, so könne der Inhalt des Telegramms nicht
geglaubt werden. Wahrscheinlich habe die russische Behörde, um ihren
Vorgesetzten zu gefallen, wie das ihre Art sei, einen übertriebenen
Bericht gemacht oder das Telegramm nur in dieser Form abgeschickt,
weil sie genötigt gewesen sei, die aufgebrachte Bevölkerung zu beruhigen.
4. Die Wegnahme von Privateigentum zur See, welches zum Kriege
in keiner Beziehung stehe, sei dasselbe wie das Beutewesen des Land-
kriegs in alter Zeit, und eine solche Plünderung des Eigentums von Privat-
personen sei eine Schädigung der eigenen Staatsehre. Man behaupte
dabei freilich, dies sei ein vom Völkerrecht zugestandenes Recht. Aber
nach ge|wöhnlicher Vernunft stimme es mit echter Humanität nicht
zusammen. Mit dem Fortschritt der Zivilisation seien daher allerhand
Beschränkungen und Ausnahmen entstanden, und es werde jetzt viel
verfochten, daß die bei Wiederherstellung des Friedens noch nicht
894
Prisengerichtsentscheidungen: „Australia". Abschnitt VI^
abgeurteilten Prisen freizugeben seien und daß die Befugnisse der
Prisengerichtshöfe mit dem Schluß des Krieges ihr Ende finden
müßten. Unter den großen Gelehrten des europäischen Kontinents
seien nicht wenige, welche auf selten dieser Ansicht stünden. Als
Präcedenzen hierfür seien die Vorfälle bei Beendigung des Krieges
zwischen Frankreich und Mexiko im Jahre 1865, zwischen Österreich
einerseits und Frankreich und Piemont andererseits im Jahre 1859,
zwischen Dänemark einerseits und Preußen und Österreich anderer-
seits im Jahre 1864 sowie zwischen Preußen und Frankreich zum Ver-
gleich anzuziehen.
Das Urteil erster Instanz behaupte freilich, daß
solche Vorfälle sich auf besonderen Vertrag oder besondere
Gesetze gründeten und keine Beispiele für den vorliegenden
Fall abgeben könnten.
Daß aber bei Anwendung eines so dehnbaren Rechts wie des Völker-
rechts das Bedürfnis empfunden worden sei, das, was die Vernunft
oder die Praxis anerkenne, vertraglich festzulegen oder gesetzlich zu
fixieren, sei ganz natürlich und das Vorhandensein solcher Verträge
oder Gesetzesbestimmungen könne nicht zur Unterstützung der gegen-
teiligen Ansicht des Gerichts dienen. Auch sei es der gewöhnliche
Verlauf, daß Rechtsgrundsätze, welche zuerst in Verträgen oder gesetz-
lichen Bestimmungen erschienen, durch nachfolgende Anerkennung
mehrerer Staaten sich zum natürlichen Rechtsgrundsatz des Völker-
rechts umgestalteten. Dies sei der Grund, weshalb mit der Entwicklung
der menschlichen Zivilisation auch das Völkerrecht sich fortentwickle.
Im Jahre 1897 habe ein italienisches Prisengericht in der „Doel-
wyck"-Sache entschieden, daß das Recht, Prisen zu machen, auf dem
Recht beruhe, Handlungen zu verbieten, durch welche der feindliche
Staat in seiner Widerstandfähigkeit verstärkt werden würde. Daher stehe
ein nach Wiederherstellung des Friedens abgegebenes Urteil auf Ein-
ziehung in Widerspruch zu der Herstellung der friedlichen Beziehungen.
Das Urteil habe es für unrecht erklärt, fremdem Eigentumsrecht
Schranken aufzuerlegen, welche nicht als durch die tatsächliche Not-
wendigkeit gerechtfertigt anerkannt werden könnten und habe daher
auf Freisprechung entschieden.
Da es, gleichviel ob dies im Gesetz ausgesprochen sei oder nicht,
ein allgemeiner Grundsatz des Straf rechts der zivilisierten Staaten sei,
daß, wenn nach einem nach Begehung einer strafbaren Handlung er-
lassenen Gesetz, die Strafe aufgehoben werde, das Recht der öffent-
lichen Klage erlösche, so müsse man sagen, daß das Entscheid ungs-
beispiel des italienischen Prisengerichts in Übereinstimmung mit diesem
Grundsatz vernunftgemäß entschieden habe. Wenn es Staaten gäbe,
welche nach Aufhebung einer Strafe eine vor dieser Aufhebung be-
895
Wenn man nur die Abtassung des C ;
zur Verhandlung stehende Schiff im i
lieh der Charterer des zur Verhandl i
die Kamtschatka-Handels- und Indus :
habe den Anschein, als ob diese C :
eines besonderen Vertrages mit der
die Beförderung der Regierungsgüter
als ob sie das Schiff für ihre eigener
nutze. Tatsächlich sei es aber unzw
Schiff als ein russisches Regierungsfal
Der Reklamant führe zur Unterstützung der E :
Beweise vorlägen, daß das zur Verhandlung s1 :
im Dienste der russischen Regierung stehendes f ;
sei, in der Hauptsache aus, daß
sowohl nach dem Willen als nach <
Reeders und des Kapitäns der andere
die Kamtschatka-Handels- und Indust
sei und daß nur ihr gegenüber der \ i
die Verbindlichkeit übernommen worc i
Sammeins und der Verteilung der L ;
treter der Gesellschaft A. Kantor di(
aber Qrebnitzki. Wenn es auch
haben möge, als ob Qrebnitzki b :
lung und Verteilung der Regierungsgi
Weisungen zu erteilen gehabt habe, s(
durch die Ausführung des zwischen dei
und der Kamtschatka Handels- und In
geschlossenen Vertrages hervorgerufci
letztere bei der gegenüber der Regieruii
Sammlung und Verteilung der Regier,
nungen des Regierungs Vertreters zu
Daraus könne man nicht folgern, daß :
Verhandlung stehende Schiff unter sein
Auch könne man es nicht so auslegen, ;
der Kapitän das Schiff unter seine '
Selbst wenn man einmal annehr
handlung stehende Schiff anfangs ein i
sehen Regierung stehendes Fahrzeug
doch zu der Zeit der Beschlagnahme
Verteilung der amtlichen Waren bere
und wenn auch noch ein wenig Tab
geblieben gewesen seien, so habe doch
Verteilung gänzlich dem Vertreter dei
51ar8tr*nd-Meohleiiburg, Das Japanische Prisenrecht.
Abschnitt VI M Prisengerichtsentscheidungen : „ Australiä"»
gehabt. Da Orebnitzki das Schiff bereits verlassen ge-
habt habe, so könne man doch wohl nur annehmen, daß es
völlig den Anordnungen der Charterer unterstanden habe.
Denn wenn das Schiff den russischen Behörden zum Ge«
brauch zur Verfügung gestellt worden sei, so müsse das
eine Handlung der Charterer sein, und es sei selbstverständ-
lich, daß das Schiff von der Zeit an, wo die Charterer auf-
gehört hätten, es den russischen Behörden zum Gebrauch zu
stellen, nicht mehr ein im Gebrauch der Behörden stehendes
Schiff gewesen sei. Die Frage, ob die Charterfrist abge-
laufen gewesen sei oder nicht, sei daher ohne Belang, und
es widerspreche aus diesem Grunde noch mehr den Tat-
sachen, wenn angenommen worden sei, daß das Schiff zur
Zeit der Beschlagnahme ein im Gebrauch der russischen
Behörden stehendes Fahrzeug gewesen sei.
Wie aber oben ausgeführt, sei das zur Verhandlung stehende Schiff
tatsächlich von der russischen Regierung gemietet worden, und nach
den eigenen Aussagen des Oberkommissars Grebnitzki stehe es außer
Zweifel, daß die Bewegungen des Schiffes durchaus nach seinen An-
ordnungen zu erfolgen gehabt hätten. Wenn auch anzunehmen sei,
daß Grebnitzki hin und wieder die Bewegungen durch den Ver-
treter der Gesellschaft habe anordnen lassen, so sei das nur geschehen,
um formell die Anordnungen durch den angeblichen Charterer ge-
schehen zu lassen. Darum könne man aber nicht sagen, daß Greb-
nitzki nicht das Schiff unter seiner Order gehabt habe.
Auch dafür, daß zur Zeit der Beschlagnahme des zur Verhandlung
stehenden Schiffs die Beziehungen der russischen Regierung und der
Handels- und Industriegesellschaft bezüglich des Schiffs als bereits auf-
gehoben zu betrachten gewesen seien, lägen keine Gründe vor. Da
vielmehr tatsächlich das zur Verhandlung stehende Schiff, wie vorher,,
als Charterschiff der russischen Regierung im Begriff gewesen sei, sich
zur Ausführung der Lieferungsgeschäfte für die Küstenplätze des-
Ochotskischen Meers zu einer zweiten Reise zu rüsten, so könne man
daraus, daß Grebnitzki wegen Krankheit vorübergehend an Land
gegangen gewesen sei, nicht folgern, daß das Schiff aufgehört gehabt
habe, im Dienst der Behörden zu stehen.
Kurz, die Behauptung des Reklamanten, es lägen keine aus-
reichenden Beweise vor, daß das zur Verhandlung stehende Schiff im
Dienst der russischen Behörden gestanden habe, sei unbegründet.
2. Aus der Instruktion des russischen Ministeriums des Inneren
an Grebnitzki als Oberkommissar der Lieferungen für das Etats-
jahr 1905 und aus den Aussagen Grebnitzkis ergebe sich folgendes:
Die Lieferungsgeschäfte für die Küstenplätze im fernen Osten seien
898
Prisengerichtsentscheidungen: „Australia". Abschnitt Vis*
derart, daß die Regierungsgüter (Weizenmehl, gequetschte Gerste, Salz,
Schießpulver und Blei) direkt an die amtlichen Magazine abgeführt,
die übrigen privaten Güter an dortige Kaufleute gegen bares Geld oder
gemäß den Zahlungsbestimmungen gegen Tierpelze geliefert würden.
Wenn ein Gegenwert nicht vereinnahmt werden könne, so würden sie
an die Landräte überwiesen, welche sie an die Kaufleute und die all-
gemeine Bevölkerung verkauften. Der erstliche Verkaufspreis werde,
wenn die Landräte die Güter übernommen hätten, um 8Vo erhöht
und je nach den Fällen in bar eingenommen oder unter der Ver-
antwortung der Landräte Zahlung in Pelzen erlaubt.
Ferner habe dem Oberkommissar allgemein das Nachrichtenwesen
für die Kästenplätze obgelegen, und daneben habe er Auftrag gehabt,
die Lage der Küstenplätze zu untersuchen.
Danach könne man schließen, daß das Schiff der Aufgabe habe
dienen sollen, den an den Küsten des fernen Ostens befindlichen Militär-
behörden die von ihnen gebrauchten Güter zu liefern, und daß es
daneben der Beförderung und dem Verkauf von privaten Materialien
obgelegen und außerdem die allgemeine amtliche und private Post-
beförderung und Untersuchung verschiedenartiger Verhältnisse zu er-
ledigen gehabt habe. In seinen Aufgaben seien wohltätige Zwecke
durchaus nicht zu ersehen. Vielmehr lasse sich aus der im Urteil
erster Instanz angezogenen, von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Suma"
in Petropawlowsk beschlagnahmte Abschrift eines Telegramms des Pro-
vinzialgouverneurs an den Militärgouverneur der Küstenprovinz ent-
nehmen, daß das zur Verhandlung stehende Schiff den in den Küsten-
plätzen lagernden regulären und freiwilligen Truppen Lebensmittel ge-
liefert habe. Daß das Telegramm am 12. Mai russischen Stils abge-
schickt sei, stehe in dem russischen Original nicht. Dies sei, wie aus
dem urtextlichen Entwurf des Telegramms hervorgehe, nur eine Be-
merkung des Obersetzers, welche dieser nach seiner Vorstellung von
dem Sinn des Originals hinzugefügt habe. Da in dem Telegramm
stehe, daß Grebnitzki am 29. Mai die Löhnung von 300 freiwilligen
Mannschaften für 3 Monate und eine gleiche Menge Lebensmittel ein-
geführt habe, so könne man daraus sehen, daß es nach dem 29. Mai
abgesandt sei. Demnach sei die Behauptung des Reklamanten, das
zur Verhandlung stehende Schiff müsse als ein zu wohltätigen Zwecken
reisendes Fahrzeug von der Beschlagnahme frei sein, unbegründet.
3. Es sei von vielen Gelehrten sowie von der völkerrechtlichen
Praxis anerkannt, daß die Prisengerichte auch nach Wiederherstellung
des Friedens das Untersuchungsverfahren fortsetzen und in ihren Ur-
teilen auf Einziehung erkennen könnten. Wenn auch mit Wieder-
herstellung des Friedens das Prisenrecht aufhöre und es daher un-
rechtmäßig sei, danach Aufbringungen auszuführen, so sei es doch im
(67*) 899
Abschnitt VIM Prisengerichtsentscheldungea : .Australia*.
Interesse der Unparteilichkeit recht und nötig, die Rechtmäßigkeit von
früher ausgeführten Aufbringungen zu untersuchen und zu entscheiden.
Das Recht der Beschlagnahme und das der gerichtlichen Aburteilung
seien durchaus zu unterscheiden. Das Recht einer kriegführendea
Macht, Prisen abzuurteilen und einzuziehen, sei schon mit der Zeit
der Aufbringung entstanden und die Aburteilung und Einziehung sei
nur eine Formalität, durch welche die Wirkung der Beschlagnahme
realisiert werde. Diese Formalität sei keine Kriegshandlung, sondern
eine Maßnahme zur Ausführung eines durch eine Kriegshandlung er-
worbenen Rechtes. Wenn daher bei Beendigung des Krieges gelegent-
lich die Zeit zur Vollendung dieser Formalität nicht gereicht habe,
so könne das nicht als Grund für den Untergang des schon ent-
standenen Rechts geltend gemacht werden. Die von dem Reklamanten
für die Freigabe von Prisen bei Wiederherstellung des Friedens vor-
gebrachten Beispiele beschränkten sich auf Fälle, wo die kriegführenden
Parteien im Friedensvertrag die gegenseitigen Beziehungen so festgelegt
hätten oder wo aus politischen Gründen auf Grund besonderer gesetz-
licher Bestimmungen eine bestimmte Art von feindlichen Schiffen frei-
gelassen worden sei. Das reiche indes nicht aus, um daraus eine all-
gemeine Bestimmung oder Praxis zu konstruieren.
Was ferner die vom Reklamanten angezogene Entscheidung eines
italienischen Prisengerichts über die „Dodwyck'' aus dem Jahre 1897
angehe, so sei sie allerdings ein .Beispiel, welches die Freigabe des
aufgebrachten Schiffes mit der Begründung, daß der Frieden wieder
hergestellt sei, für rechtmäßig erkläre; dies Urteil sei indes vernunft-
widrig, wie auch der Präsident der Gesellschaft für Völkerrecht B r u s a
es in vorzüglicher Weise angegriffen und als eine Verletzung sowohl
des Völkerrechts als auch der Verfassung verschrieen habe. Danach
könne dieses Urteil keinenfalls als ein zu befolgendes rechtmäßiges Bei-
spiel anerkannt werden.
Kurz, das Urteil erster Instanz sei in seiner Formel und seinen
Gründen zutreffend und die Berufung in allen Punkten unbegründet
und zu verwerfen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die russische Regierung hat seit langer Zeit jährlich durch die
Gouverneure der Küstenprovinz auf Schiffen der freiwilligen Flotte oder
auf Fahrzeugen, welche direkt von der Regierung gechartert wurden,
Lebensmittel und gemischte Güter nach den Küsten des Ochotskischen
und des Beringmeers schaffen lassen. Die Regierungsgüter wurden
direkt in die Regierungsdepots der verschiedenen Plätze abgeführt und
in der Regel wurden die zum Privatgebrauch bestimmten Güter durch
die Landräte entsprechend dem Bedarf an die Kaufleute und die all-
gemeine Bevölkerung verkauft. Da aber seit dem japanisch-russischen
900
Prisengertchtsentscheidungen : .Australia*. Abschnitt Vis^
Krieg der Verkehr mit den Küstenplätzen zum Stillstand kam, so ent-
sandte die Zentralregierung einen besonderen Oberkommissar für die
Lieferung von Bedarfsartikeln nach den Küsten des fernen Ostens und
hierzu würde das zur Verhandlung stehende Schiff verwandt. Daß
dasselbe so zum Gebrauch der russischen Behörden gedient hat, geht
hervor aus der dem Oberkommissar für die Lieferungen von Bedarfs-
artikeln von der russischen Regierung gegebenen schriftlichen Instruk-
tion und dem Protokoll über die Vernehmung des Genannten durch den
mit diesem Fa^l beauftragten Rat des Prisengerichts zu Vokosuka.
Der Reklamant behauptet im Punkt 1 der Berufung, daß das
zur Verhandlung stehende Schiff von der Kamtschatka-Handels- und
Industriegesellschaft gemietet sei und daß ein Vertreter dieser Gesell-
schaft an Bord gewesen sei und die ganzen Anordnungen bei der
Ansammlung und Verteilung der Ladung in der Hand gehabt habe.
Der Oberkommissar für die Lieferung der Bedarfsartikel, G r e b n i t z k i ,
sei als Fahrgast mitgefahren, habe aber nicht die Order über das Schiff
gehabt. Selbst wenn man aber annehme, das Schiff sei anfangs zum
Gebrauch der Behörden bereitgestellt worden, so sei es doch zur Zeit
der Beschlagnahme durchaus in Order der Charterer gewesen. Wenn
ferner auch der größte Teil der Ladung des Schiffes der russischen
Regierung gehöre, so hätten doch die Charterer auch eigene Handels-
waren verladen gehabt und durch ihren an Bord befindlichen Ver-
treter auf eigene Rechnung Handelsgeschäfte "betrieben. Danach sei
das Schiff nicht zum Gebrauch der russischen Behörden gestellt worden.
In dem Vernehmungsprotokoll Grebnitzkis steht folgende Aus-
sage: die Regierung habe das Schiff durch die Gesellschaft gechartert,
daher habe ihr das Verfügungsrecht und die Bestimmung der Plätze,
wo die Ladung verteilt werden sollte, und die Anordnung bei Verteilung
derselben selber zugestanden.
Wenn auch G r e b n i t z k i zur Zeit der Beschlagnahme im Hospital
war, so waren doch seine Geschäfte bei der Lieferung der Bedarfs-,
artikel noch nicht erledigt, so daß er dieselben einem Vertreter der
Charterer anvertraute. Nach diesen Tatsachen sowie dem Inhalt der
oben genannten Instruktion der russischen Regierung ist der erste Teil
des Punktes 1 der Berufung unbegründet.
Die Tatsache, daß neben der Verwendung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs für die Proviantlieferungsgeschäfte der russischen Re-
gierung die Charterer eigene Handelsgüter geladen, einen Vertreter an
Bord gehabt und ihre eigenen Geschäfte betrieben haben, ändert nichts
an dem Charakter des Schiffes als eines im Gebrauch der Behörden
stehenden Fahrzeugs. Daher ist auch der letzte Teil des ersten Be-
rufungspunktes unbegründet.
901
Abschnitt VI^ Prisengericbtsentschei düngen: „Australia".
Im zweiten Punkte der Berufung heißt es, die Lieferung der Lebens-
Tnittel habe weder direkt noch indirekt mit dem Kriege zu tun, sondern
sei lediglich ein Akt der Wohltätigkeit gewesen. Daher müsse das
5chiff, welches dabei verwandt sei, unter die für feindliche Schiffe be-
stehende Ausnahme von der Beschlagnahme fallen. Ein feindliches Fahr-
zeug kann aber auch, wenn es zu dem Kriege nicht in Beziehung
steht, trotzdem weggenommen werden. Überdies geht es aus 'der oben
genannten Instruktion der russischen Regierung hervor, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff keine Aufgaben der Wohltätigkeit hatte,
und ein von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Suma'' in Petropawlowsk
beschlagnahmter Telegrammentwurf berechtigt zu der Annahme, daß
das Schiff Proviant und dergleichen an die Truppen geliefert hat. Sonach
ist Punkt 2 der Berufung unbegründet.
Der Reklamant sagt, dieses Telegramm sei nicht glaubwürdig, weil
es am 12. Mai russischen Stils abgeschickt sei, d. h. am Tage, wo das
zur Verhandlung stehende Schiff von San Francisco abgefahren sei. Aber
in dem russischen Originalentwurf des Telegramms steht das Abgangs-
datum gar nicht verzeichnet. Da in dem Telegramm steht, daß Qreb-
nitzki am 29. Mai Löhnung für 300 Freiwillige für 3 Monate und
eine entsprechende Menge Proviant gebracht habe, so ist es klar, daß
das Telegramm nach dem 29. Mai abgesandt worden ist, und der dritte
Punkt der Berufung ist grundlos.
Im Punkt 4 wird (behauptet, daß die zur Zeit der Wiederherstellung
des Friedens noch nicht abgeurteilten Prisen freizugeben seien. Es
ist aber von völkerrechtlichen Präcedenzen anerkannt, daß Prisengerichte
auch nach Wiederherstellung des Friedens Prisenuntersuchungen vor-
nehmen und Entscheidungen auf Einziehung erlassen können. Das
Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den Verhältnissen gerecht
wird. Demnach ist auch Punkt 4 der Berufung unbegründet.
Nach dem oben Ausgeführten ist es somit zu recht geschehen,
daß das Gericht erster Instanz das zur Verhandlung stehende Schiff als
feindlich angesehen und seine sowie seiner feindlichen Ladung Weg-
nahme verfügt hat.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 13. Februar 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.) ,
902
Pri8engerichtsent8cheidungen : Antlope, Abschnitt VI^^
Reklamanten: R. C. Brook, Vizedirektor der Reederei Barque
Antiope Company Ltd. in Victoria, Britisch Columbien, Canada, Nord-
amerika, Wharf Street Nr. 63, vertreten durch P. O. R. Matheson,
Kapitän des Segelschiffes „Antiope" und das Seetransportgeschäft Barne-
5on,Hibbard&Co. in San Francisco, California, Nordamerika, Mont-
gomery Street Nr. 456, vertreten durch den Direktor JohnBarneson.
ProzeBvertreter: Rechtsanwalt Deura Rikio, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 193.
In der Prisensache, betreffend das englische Segelschiff „An-
liope" wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, entschieden:
Urteilsformel:
Es wird auf Freigabe des englischen Segelschiffs „Antiope" und
auf Wegnahme der Ladung von etwa 1800 Tons Salz erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Das zur Verhandlung stehende Segelschiff „Antiope" steht im
Eigentum des Reklamanten, der Barque Antiope Company in Victoria,
Britisch Columbien, sein Heimatshafen ist Victoria und es ist ein Handels-
schiff, welches unter britischer Flagge fährt.
Es lud auf Grund eines zwischen dem Reklamanten der Firma
Barneson, Hibbard & Co. in San Francisco und dem Vertreter
der Reederei, Charles Nelson & Co. in San Francisco, ab-
geschlossenen Chartervertrags etwas mehr als 1800 Tons halb raffi-
niertes Steinsalz, einen Teil von ungefähr 9000 Tons, welche von
M. Ruri in Nikolajewsk eingekauft waren, um sie an diesen und an
•die am gleichen Orte niederlässige Filiale der russisch-chinesischen Bank
zu befördern. Das Schiff verließ am 21. Juni d. J. San Francisco und
wurde auf seiner Reise nach dem Bestimmungsort am 13. August, 9 Uhr
vormittags, auf 53 ^ 52' n. Br. und 141 ^ 29' ö. L. von dem Kaiser-
lichen Kriegsschiff „Tainan Maru" gesichtet und, weil es Kriegs-
konterbande beförderte, aufgebracht.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift des
Vertreters des Kommandanten der „Tainan Maru", Kapitänleutnants Abe
Tsuneo, die Vernehmungsprotokolle des Genannten, des Marine-
leutnants Ohara Shunji, des Kapitäns der „Antiope" P. G. R.
Matheson und des ersten Offiziers R. M. Reed, das Schiffszertifi-
kat, das Inventar, die Musterrolle, das Konnossement, den Ausklarierungs-
schein von San Francisco, das Ladungsverzeichnis, einen Brief von
Charles Nelson an den Kapitän, das Tagebuch und das Privat-
schiffsjournal.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
903
Abschnitt VI^^ Prisenoerichtsentscheidttogen: „Antiope''^
Das zur Verhandlung stehende Schiff stehe im Eigentum des vor-
erwähnten Reklamanten, der englischen Firma Barque Antiope
Company und sei ein englisches Handelsschiff. Es habe auf Grund
eines zwischen den Vertretern der genannten englischen Firma, der ameri-
kanischen Firma The Charles Nelson Company and dem oben
erwähnten Reklamanten, der Firma Barneson, Hibbard & Co.,
abgeschlossenen Chartervertrags in San Francisco 1800 Tons halbraffi-
niertes Steinsalz geladen, einen Teil von 4000 Tons, welche der russische
Staatsangehörige M. Ruri eingekauft gehabt habe, um sie nach Niko-
lajewsk in Sibirien zu befördern. Am 20. Juni d. J. sei das Schiff von
San Francisco abgefahren und auf der Reise nach Nikolajewsk von dem
Kaiserlichen Kriegsschiff „Taiwan Maru'' unter dem Verdacht, Konter-
bande zu befördern, aufgebracht worden. Es habe aber durchaus keine
Konterbande an Bord genommen, sondern nur Salz für das Fischerei-
gewerbe befördert. Daher könne es nicht mit der Ladung zusammen
weggenommen werden, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Das zur Verhandlung stehende Schiff sei ein neutrales Fahr-
zeug, und weder die Reederei, noch deren Vertreter, The Charles
Nelson Company, noch der Kapitän und die sonstige Besatzung
des Schiffes hätten Kenntnis davon gehabt, daß die Ladung des zur
Verhandlung stehenden Schiffs von der russischen Regierung, bzw. von
der Armee oder Marine eingekauft worden sei, noch davon, daß sie
befördert worden sei, um zum Gebrauch der russischen Truppen ge-
liefert zu werden.
Selbst einmal zugegeben, der Einkäufer M. Ruri habe nur das
Fischereigewerbe vorgeschützt und in Wirklichkeit die Ladung zum
Zwecke, sie an die russischen Truppen zu liefern, einführen wollen,
so falle doch dem Schiff nicht die Verantwortung für den Konterbande-
transport zu.
2. Weder der Kapitän noch sonst jemand von der Besatzung habe
sich der Aufbringung widersetzt, noch Fluchtversuch gemacht.
3. Die an Bord befindlichen Schiffspapiere seien vollständig und
erhielten keinerlei betrügerische Angaben. Auch habe die Besatzung
keine der erforderlichen Papiere vernichtet oder verborgen.
4. Da der Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden Schiffes,
Nikolajewsk in Rußland, nicht von japanischen Kriegsschiffen öffent-
lich blockiert worden sei, so liege in der beabsichtigten Reise dorthin
kein Blockadebruch.
5. Die Ladung bestehe nur aus Salz und außerdem seien keine
Konterbandegüter noch Konterbandepersonen an Bord gewesen.
Daß die Ladung keine Konterbande sei, werde, wie folgt, begründet:
l. Das in Frage stehende Salz sei halbraffiniertes amerikanisches
Steinsalz, welches ohne weitere Bearbeitung durch Menschenhand nicht
904
Prlsengerichtsentscheidungen: •Antiope*. Abschnitt Vis^
als Speisesalz verwandt werden könne. Da es so seiner Art nach Salz
sei, wie es zum Salzen oder Einlegen von Fischen diene, so falle es
nicht unter die Nahrungsmittel. Freilich sei es für gewöhnliche ge-
salzene Fische etwas zu gut, man könne aber mit einem so vortrefflichen
Material auch wiederum einen schmackhaften Salzfisch herstellen und
einen höheren Preis für denselben erzielen. Daher sei es natürlich,,
daß die betreffenden Gewerbetreibenden lieber eine gute Qualität, wie
das hiei in Frage stehende Salz, wählten. Man könne daher daraus,
daß das Salz für das Fischereigewerbe zu gut sei, nicht schließen, daß
es nicht dazu habe dienen sollen.
Die Ziffer 2 der Instruktion des Marineministeriums Nr. 1 1) meine
mit dem Ausdruck Nahrungsmittel, Güter, welche direkt als Speisen
dienen könnten. Da aber das in Frage stehende Salz von der Art sei,
wie es zum Salzen oder Einlegen von Fischen verwandt werde, nicht
aber ohne weiteres als Speisemittel dienen könne, so falle es nicht unter
den Ausdruck „Nahrungsmittel" der genannten Instruktion. Es sei daher
klar, daß das Salz selbst im Falle, daß es für die feindliche Armee oder
Marine bestimmt sei oder nach einem Platz in Feindesland gehe, nach
dessen Verhältnissen angenommen werden müsse, daß es zum Gebrauch
der feindlichen Armee oder Marme dienen würde, keine Konterbande sei.
Dieses müsse um so mehr gelten in dem vorliegenden Falle, wo es nicht
für die feindliche Armee oder Marine bestimmt sei, sondern nach dem,
freilich feindlichen, Platz Nikolajewsk gehe, nach dessen Verhältnissen
nicht angenommen werden könne, daß es zum Gebrauch der feindlichen
Armee oder Marine dienen werde.
2. Es möge den Anschein haben, daß das Salz zur Verwendung
im Fischereibetriebe der Gegend des Amur in Sibirien nach seinem Menge
nach viel zu viel sei. Dem sei aber nicht so. Es sei erstaunlich,
welche Mengen von Salz jährlich im Fischereibetrieb jener Gegenden
benötigt werde. Besonders seitdem durch den japanisch-russischen Krieg
die Einfuhr von Japan völlig gefehlt habe, sei es nicht zu verwundern,
daß man gezwungen gewesen sei, einen großen Import von Amerika
zu beziehen. Wenn man dagegen einmal die Frage betrachte, ob das
Salz zum Gebrauch der russischen Truppen habe dienen sollen, so sei im
Gegenteil seine Menge viel zu bedeutend. Denn mit 4000 Tons Speise-
salz könne man mehr als 600 000 Mann 6 Monate lang versorgen. Weder
in Nikolajewsk noch in seiner Umgegend hätten aber so viele russische
Truppen gelegen. Auch könne man sich schließlich nicht vorstellen, daß
die russische Regierung, obwohl ihr der Inlandsweg zur Verfügung ge-
standen habe, viel Geld wegwerfen und die teure Fracht bezahlen und
noch dazu die Gefahr laufen würde, welche einem Kriegskonterbande-
transport durch Aufbringung seitens der japanischen Kriegsschiffe ge-
905
Abschnitt VIST Prisengerichtsentscheidungen: Aiiti0p0.
droht habe. Also wenn man mit der Menge argumentiere, könne da?
Salz keine Kriegskonterbande sein.
3. Nikolajewsk, der Bestimmungsort des in Frage stehenden Salzes,
sei weder Kriegshafen noch Festung, noch gebe e*s dort Kasernen, noch
sei es ein Bereich, welcher von den japanischen Kriegsschiffen blockiert
sei. Daher sei in der Einfuhr gewöhnlicher Handelsware nach dorthin
durchaus nichts Verdächtiges zu ersehen. Das Salz diene aber keinem
anderen Zwecke als eine gewöhnliche Handelsware tue.
4. Freilich sei es erwiesen, daß die russisch-chinesische Bank bei
der Transaktion des Salzes beteiligt sei, ihre Teilnahme sei indes nur
veranlaßt, um die Zahlung des Preises sicherzustellen. Ferner erscheine
freilich die genannte Bank als Käufer von 600 Tons der Ladung. Da
aber die Bank niemals Warenhandel treibe, so sei sie tatsächlich nicht
der Käufer, und selbst wenn man annehme, die Bank habe Auftrag
von der russischen Regierung gehabt, so könne man daraus nicht ohne
weiteres schließen, daß die Ware von der russischen Regierung ein-
gekauft sei.
5. Der Grund, weshalb die Fracht für die in Frage stehende Ladung
so hoch sei, liege darin, daß Schiffe, welche Güter nach Nikolajewsk
beförderten, keine Rückfracht bekämen, vielmehr in der unvorteilhaften
Lage seien, dort für die Rückreise Ballast zu kaufen.
6 Selbst wenn man annehme, der Käufer der Ladung, M. Ruri,
habe offenbar das Fischereigewerbe nur vorgeschützt, tatsächlich aber
einen Vertrag gehabt, nach welchem er Salz zum Verkauf an die russische
Regierung oder die russischen Truppen einkaufen sollte, so habe doch
der Reklamant und Ladungsherr hieran keinen Anteil gehabt und auch
nicht darum gewußt, so daß er an der Verantwortung hierfür nicht mit
zu tragen habe. Auch habe der Reklamant und Ladungsherr klar aus-
gesprochen, daß er die Ladung in der Überzeugung abgesandt habe,
daß sie keine Konterbande sei.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Die Einfuhr von Salz nach Nikolajewsk in Friedenszeiten außer von
Japan beträgt nach der Statistik der letzten Jahre (Nummer 2 der monat-
lichen Statistik der statistischen Vereinigung der Küstenprovinz vom
Februai* 1903) nicht mehr als jährlich 140 000 bis 170 000 Pud. (Das
von Japan eingeführte gesamte Salz wird nach Aussage des Zeugen
1 1 a n i I c h i j i r o zur Fabrikation der nach Japan gehenden gesalzenen
Fische verbraucht; es trete wohl gelegentlich ein Mangel auf, doch komme
ein Überschuß nicht vor. Heute aber, wo die Ein- und Ausfuhr fehlt,
braucht das japanische Salz nicht in Rechnung gezogen zu werden.)
Wenn trotzdem M. R uri, der Empfänger der auf dem zur Verhandlung
stehenden Schiff beförderten Ladung, für sich allein einen so großen
Import wie 4000 Tons (1 Ton = 63 Pud) macht und man ferner die
906
Prisengerichtsentscheldaiig^^* ^ntlope. Abschnitt VI »7
Menge zusammenzieht, welche die ,,Barracouta" (ungefähr 1600 Tons
Salz), die „CentenniaV* (ungefähr 1200 Tons Salz) und andere Schiffe zu
befördern vorhatten, so kann man schon aus dem tatsächlich von der
japanischen Marine aufgebrachten Schiffe allein den außerordentlichen
Betrag erkennen.
Das Verhältnis des zum Einsalzen von Fischen gebrauchten Salzes
ist das, daß auf 5 Pud Fisch 1 Pud Salz gebraucht wird. Dies wird
erwiesen durch die von dem russischen Finanzministerium am 20. Juli
1905 veröffentlichte Zeitschrift für Handel und Industrie. Nach der
^oßen Menge Einfuhrsalzes muß man annehmen, daß die verarbeiteten
gesalzenen Fische eine enorme Menge erreichen. Bisher ist aber die
Möglichkeit, die verarbeiteten Salzfische in Rußland selbst zu verkaufen,
sehr gering gewesen. Der einzige Markt für den Konsum des größten
Teils der gesalzenen Fische ist Japan. In letzter Zeit hat freilich der
Wunsch bestanden, die Fische nach dem europäischen Rußland zu
exportieren. Dies ist jedoch noch nicht zur Ausführung gelangt. Das
ergibt sich aus den Angaben der Verhandlungsprotokolle der vierten
Stadtversammlung von Chabarowsk vom Jahre 1903 und deren Material-
quellen
Nachdem heute, infolge des japanisch-russischen Krieges, die Aus-
fuhr nach Japan vollkommen aufgehört hat, so ist es eine von selbst klare
Tatsache, daß das Salz in der dünn bewohnten Küstenprovinz als ge-
wöhnliche Handelsware unmöglich aufgebraucht werden kann. Ebenso
ist es allgemein bekannt, daß von jeher die Hauptkonsumenten in Ruß-
land selbst die in Wladiwostok und der Mandschurei lagernden Truppen
gewesen sind. Auch ergibt sich dies aus dem Bericht der statistischen
Kommission für die Küstenprovinz aus dem Etatsjahr 1901, wo ver-
zeichnet ist, daß das Intendanturamt des Amurschen Armeebezirks im
Etatsjahre 1900 zur Verpflegung der sibirischen Truppen und der
mandschurischen Besatzungstruppen von den Fischern der Küsten-
provinz direkt 114 500 Pud gesalzenen Lachs eingekauft hat. Daß be-
sonders auch im Kriege die Menge des Bedarfs für die Truppen noch
gestiegen ist, beweisen auch die oben genannten „Neuen Mitteilungen
über Handel and Industrie", in welchen es heißt: wenn auch im Kriege
der Verkehr mit dem Auslande mehr oder weniger zum Stillstand ge-
kommen sei, so nehme deshalb die Nachfrage nach gesalzenem Lachs
nicht nur nicht ab, sondern steige vielmehr in hervorragendem Maße.
Die Truppen kauften diesen für hohe Preise
Da gewöhnlich Kaufleute, deren Zweck der Verdienst ist, kaum
planen werden, besonders wo noch das Kriegsrisiko vorliegt, eine größere
Menge Salzfisch herzustellen, als die Bevölkerung der Küstenprovinz
nötig hat, so entspricht es nicht den gewöhnlichen Zwecken des Handels,
daß M. Ruri(?) selbst nach Amerika gehen und für sich allein eine den
907
Abschnitt Vis^ Prisengerichtsentscheidungen: .Antiope*.
Friedensbedarf übersteigende Menge Salz einkaufen sollte, um es zur
Fabrikation von Salzfisch zu verwenden. Man muß daher annehmen^
daß er es den russischen Truppen als Nahrungsmittel hat liefern wollen.
Der Vertreter der Reklamation behauptet, daß das Wort „Nahrungs-
mittel'' nur Güter andeute, welche direkt als Speisemittel dienen könnten.
Man kann dagegen als Nahrungsmittel alle Sachen bezeichnen, sowohl
solche, welche schon von Natur allein genossen und daher ohne weiteres
verwandt werden können, als auch solche, welche erst mit anderen
gemischt und zubereitet werden müssen. Wenn daher auch das in
Frage stehende Salz nicht direkt als Speise dient, so steht doch nichts
entgegen, es, wenn es zur Zubereitung von Salzfisch verwandt wird, als
Lebensmittel zu betrachten.
Ob ein Gut Konterbande ist oder nicht, bestimmt sich nach seiner
Natur und Verwendungsart. Ob der Absender dies weiß oder nicht, ist
ohne Belang. Wenn auch, wie oben gesagt, die in Frage stehende
Ladung nach dem Hafen von Nikolajewsk abgesandt worden ist, so ist
doch klar, daß sie zum Gebrauch der feindlichen Truppen gedient
haben würde. Sie ist daher als Kriegskonterbande zu bezeichnen.^)
Da sie aber Konterbande ist, so ist sie nach übereinstimmender An-
erkennung der Wissenschaft und der Praxis des Völkerrechts einzu-
ziehen 3), und die übrigen Punkte des Reklamanten bedürfen keiner
Erörterung.
Der Staatsanwalt sagt bezüglich des Schiffs, daß die Vertreter der
Reederei desselben die Eigenschaft der Ladung als Konterbande ge-
kanntf aber trotzdem den Transport derselben übernommen hätten. Da
die ganze Ladung Konterbande sei, so sei das Schiff einzuziehen.
Es ist indes nach den obigen Tatsachen schwer anzunehmen, daR
die Reeder des zur Verhandlung stehenden Schiffes oder deren Ver-
treter gewußt haben, daß es sich um einen Konterbandetransport han-
delte. Ferner kann ein Schiff, selbst wenn, wie im vorliegenden Falle,
die ganze Ladung Kriegskonterbande ist, wenn nicht Anwendung be-
trügerischer Mittel oder sonst irgendwelche Gründe dafür vorhanden
sind, nicht eingezogen werden. Freilich liegen völkerrechtliche Theorien
und Gebräuche vor, nach denen lediglich aus dem einen Grunde, daß.
die ganze Ladung Konterbande ist, auch das Schiff einzuziehen ist.
Es gibt aber tatsächlich viele Stimmen dagegen, und auch unsere See-
prisenordnung hat dieses Prinzip nicht angenommen.*) Das unter-
zeichnete Prisengericht hält dies gleichfalls nicht für der Billigkeit ent-
sprechend und hat es auch niemals anerkannt. Daher kann es dem
letzten Satze der Argumentation des Staatsanwalts nicht beipflichten.
Das Schiff ist daher, weil auch sonst keine Gründe für seine Ein-
ziehung vorliegen, freizugeben.
2)ir Ziffer 2. — ») V. § 43. — *) § 43, 44.
908
Prisengerichtsentscheldunoen- .^ntiope«*. Abschnitt VIS7
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 30. November 1905 im Prisengericht zu Yoko-
suka im Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka,
Yanagita Kunio.
(Unterschriften.)
Reklamanten: R. C. Brook, Vizedirektor der Reederei Barque
Antiope Company Ltd. in Victoria, Britisch Columbien, Canada, Wharf
Street Nr. 63, vertreten durch P. O. R. Matheson, Kapitän des
Segelschiffes „Antiope''.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Deura Rikio, Regierungs-
bezirk Kangawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 193.
Am 30. November 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache betreffend das am 13. August 1905 auf 53^52' n. Br.
und 141^29' ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tainan Maru"
aufgebrachte englische Segelschiff „Antiope" ein Urteil gefällt, in wel-
chem auf Freigabe des englischen Segelschiffs „Antiope" erkannt
worden ist.
Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwälte beim Prisengericht zu
Yokosuka, KobayashiYoshio, UchidaShigenari und Yana-
gita Kunio, die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staats-
anwälte Tsutsuki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi
beim Oberprisengericht geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung der Staatsanwälte beim Prisengericht
zu Yokosuka, Kobayashi Yoshio, Uchida Shigenari und
Yanagita Kunio, sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz auf Freigabe des
englischen Segelschiffs „Antiope" und Erlaß einer Entscheidung auf
Einziehung desselben beantragt, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Obwohl das Gericht erster Instanz die Ladung des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes deutlich als Konterbande ansehe, sage es,
daß dies die Einziehung des Schiffes nicht begründen könne, weil man
nicht annehmen könne, daß die Reeder des Schiffes oder deren Ver-
treter gewußt hätten, daß es sich um einen Konterbandetransport handele.
a) Nach dem Chartervertrag hatten die Vertreter der Reeder genau
gewußt, zu welchem Zweck das Schiff gechartert worden sei.
b) Auf Wunsch des Ladungseigentümers seien zwei getrennte Kon-
nossemente hergestellt worden. Für das Salz des einen derselben sei
von dem Kontrahenten des Chartervertrags eine Fracht von 5 Dollar
909
Abschnitt VI^^ Prisengerichtsentscheidungen: Antiope.
empfangen worden, und dieses Salz habe, ohne durch die Hände des
in den; Chartervertrag erscheinenden Käufers M. Ruri(?) zu gehen,,
direkt an die russisch-chinesische Bank abgeliefert werden sollen. Wenn
man annehmen wolle, daß die Reeder von den Tatsachen, welche nicht
in den Schiffspapieren verzeichnet seien, keinerlei Kenntnis gehabt hätten,,
weshalb hätte der Ladungseigentümer sich dann die Last aufladen sollen,,
noch über den Vertrag hinaus Fracht zu zahlen? Danach zu urteilen,,
sei sicher zwischen dem Reeder und dem Ladungseigentümer eine be-
sondere Abmachung vorhanden gewesen, und der Reklamant habe
schließlich nicht den Nachweis erbringen können, daß diese Abmachung
nicht bestanden, noch daß dieselbe eine offene und rechtmäßige ge-
wesen sei.
c) Die Reeder hätten selbst dem amerikanischen Ministerium für
Handel und Industrie angezeigt, sie beförderten jährlich 3alz nach Niko-
lajewsk und hätten eine Bescheinigung erhalten, daß derartiges Salz nach
Ansicht der japanischen Regierung nicht als Konterbande gelte. Wenn
ein derartiges Verfahren für notwendig erachtet werde, so hätte der
Ladungseigentümer es zu machen. Die Reeder hätten aber ihrerseits-
diese Aufgabe übernommen und dem Ladungseigentümer bei dieser Dar-
legung geholfen. Außerdem werde tatsächlich nicht jährlich Salz von
Amerika nach Nikolajewsk befördert. Es habe auch kein Grund vor-
gelegen, weshalb die Reeder dies hätten glauben sollen. Trotzdem hätten
sie sich schleunig auf telegraphischem Wege eine öffentlich beglaubigte
Bescheinigung verschafft, um im voraus auf einen anderen Tag vor-
bereitet zu sein.
Wenn man alles dies zusammenhalte, so könne man schließen,
daß sie nicht nur von einem Vorhaben, das Salz zu befördern, ge-
hört hätten, sondern auch über die beabsichtigte Verwendung wohl
unterrichtet gewesen seien und, um diesen Zweck zu erreichen, über
ihre Pflicht hinaus ihre Unterstützung gewährt hätten.
Alle diese Tatsachen habe das Gericht erster Instanz nicht in
Erwägung gezogen und demgemäß die sich daraus ergebenden richtigen
Vermutungen außer acht gelassen. Daher könne das Urteil auf keinen
Fall gutgeheißen werden.
2. Das Gericht erster Instanz habe weiter gesagt, daß
obwohl im vorliegenden Fall die ganze Ladung Konterbande
sei, lediglich daraufhin nicht auf Wegnahme des Schiffes ent-
schieden werden könne.
Es finde sich aber in der völkerrechtlichen Praxis, daß nicht nur, wenn
die ganze Ladung Konterbande sei, sondern wenn auch ein Teil Nicht-
konterbande darunter gemischt sei, das betreffende Schiff eingezogen
werden könne, wenn es klar erwiesen sei, daß der Zweck der Reise
der Transport von Konterbande sei. Wenn auch zufällig in der, eine
910
Prfsengerichtsentscheidungen : Antiope. Abschnitt VI^^
Instruktion für. das Ressort der Marine darstellenden Seeprisenordnung
dies nicht aufgestellt sei, so könne man doch nicht behaupten, daß
Japan diesen Grundsatz verneint habe, wie aus Beispielen des dies-
maligen Krieges wie der „Powderham''-*) und „Scotsman''-ß)Sache hin-
reichend erwiesen werde. Es müsse daher als unrechtmäßig bezeichnet
werden, wenn das Gericht erster Instanz allein diesen Grundsatz ver-
neint und auf Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffs er-
kannt habe.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Vertreters der Reklamation,
Deura Rikio, sind folgende:
Es werde Venx^erf ung der eingelegten Berufung beantragt, und zwar
aus folgenden Gründen:
1. Da das zur Verhandlung stehende Schiff keinen Konterbande-
transport ausgeführt habe, so sei es rechtmäßig, daß das Urteil erster
Instanz seine Freigabe verfügt habe.
Selbst wenn man annehme, daß die Ladung des zur Verhandlung
stehenden Schiffs Konterbande sei, so hätten doch die Reeder und die
Vertreter derselben keine Kenntnis davon gehabt, daß es sich um einen
Kriegskonterbandetransport gehandelt habe und brauchten daher die
Strafe der Einziehung nicht zu tragen. Da ferner auch sonstige Gründe,
welche es unmöglich machten, dieser Strafe zu entgehen, wie bös-
gläubige, ungesetzliche oder unrechtmäßige Handlungen, nicht vorlägen,
so bestehe kein Grund für die Einziehung, und an der Entscheidung auf
Freigabe des zur Verhandlung stehenden Schiffes sei nichts auszusetzen.
Trotzdem hätten die Staatsanwälte das Urteil für unrechtmäßig an-
gesehen und die Berufung eingelegt. Die Gründe derselben könnten zwar
alle nicht anerkannt werden, sollten aber der Sorgfalt halber hier noch
einmal besprochen werden.
a) Wie in dem Chartervertrag klar angegeben sei, hätten die Ver-
treter der Reeder das Schiff zum Transport von ungefähr 1800 Tons
Salz von San Francisco nach Nikolajewsk verchartert und nur gewußt,
daß das Salz zum Fischereibetrieb und Handel an den Küsten des
Amurdistrikts geliefert werden sollte. Selbst wenn man aber annehme,
daß der Chartervertrag geschlossen sei mit der Absicht, Salz zu befördern,
welches für die russische Regierung oder die russischen Truppen be-
stimmt gewesen sei oder ihnen zum Gebrauch habe geliefert werden
sollen, oder welches zur Fabrikation von Salzfischen habe dienen sollen,
welche den Truppen zu liefern gewesen seien, so hätten doch die ge-
nannten Vertreter davon keine Ahnung gehabt. Es sei aber unmög-
lich, auf Einziehung des zur Verhandlung stehenden Schiffes zu er-
kennen mit der Begründung, daß sie gewußt hätten, daß das Schiff zum
*) VI. 40a. — 6) VI. 28a.
911
Abschnitt VI'^ Prisengerichtsentscheidungen: „Antfope*^^
für die Lachsfischerei. Seit jeher ist mehr als. die Hälfte des produ-
zierten gesalzenen Lachses in Japan konsujmiert worden. Unter den
Russen hat seit vielen Jahren der Wunsch bestanden, die Nachfrage
danach im europäischen Rußland zu steigern; dies ist aber noch nicht
gelungen. Trotzdem nun seit dem japanisch-russischen Krieg der Ver-
kehr zwischen dort und Japan vollständig aufgehört hat und die Nach-
frage nach Lachs verloren gegangen ist, hat sich das Bedürfnis da-
nach für die Truppen gesteigert. Daß diese außerordentliche Lebhaftig-
keit der dortigen Nachfrage bestand, wird dargetan durch die Zeit-
schrift für Handel und Industrie des russischen Finanzoninisteriums vom
20. Juli 1905 sowie durch die Sitzungsprotokolle der vierten Stadt-
versaimmlung von Chabarowsk im Jahre 1903.
Wenn nun zu der hier in Frage stehenden Zeit ein für ein Mal
so großer Transport nach dorthin stattgefunden hat, so muß man an-
nehmen, daß dieses Salz zur Fabrikation von gesalzenen Fischen dienen
sollte, welche zur Verpflegung der feindlichen Truppen bestimmt waren.
Es ist daher zutreffend, wenn das Gericht erster Instanz angenommen
hat, daß die Salzladung des zur Verhandlung stehenden Schiffes nach
dem feindlichen Gebiet bestimmt war und als Nahrungsmittel für die
feindliche Armee oder Marina dienen sollte und daher Kriegskonter-
bande ist.
2. Es kann aus den obigen Gründen nicht angenommen werden^
daß das nach Nikolajewsk verschiffte Salz im gewöhnlichen Handels-
verkehr verschifft worden ist. Wenn man dazu die Tatsache in Be-
tracht zieht, daß die ganze Ladung des zur Verhandlung stehenden
Schiffes Kriegskonterbande ist, so muß man zu der Annahme gelangen,
daß der Zweck der Reise des zur Verhandlung stehenden Schiffes der
Transport von Konterbande gewesen ist.
Das Völkerrecht erkennt aber an, daß Schiffe, deren Reisezweck^
wie im vorliegenden Falle, der Transport von Konterbande ist, eingezogen
werden können. Das Oberprisengericht ist der Ansicht, daß dies den
Verhältnissen gerecht wird. ')
Nach dem in den obigen Punkten 1 und 2 Ausgeführten ist das
Urteil erster Instanz, welches die Freigabe des zur Verhandlung stehenden
Schiffes ausgesprochen hat, unzutreffend.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Das Urteil erster Instanz wird aufgehoben.
Das Segelschiff „Antiope" wird weggenommen.
Am 12. März 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
') Abweichend von den Bestimmungen der §§ 43, 44 der japanischen Seeprisen-
ordnimg (V) und der Artikel 82 bis 85 des ihr zu Grunde liegenden englischen Manual
of Naval Prize Law.
9U
Prisengerichtsentscheidungen: „Antiope"^ Abschnitt VI st
Reklamant: Barneson, Hibbard&Co., Vereinigte Staaten-
von Nordamerika, Californien, San Francisco, Montgomery Street 456,-
vertreten durch den Direktor John Barneson.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Deura Rikio, Regierungs-
bezirk Kanagawa, Yokohama, Yamashitacho Nr. 193.
Am 30. November 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache, .betreffend die Ladung des englischen Segelschiffs „Anti-
ope'', welches am 13. August 1905 auf 53 o 52' n. Br. und 141 o 29'
ö. L. von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Tainan Maru" aufgebracht
worden ist, ein Urteil gefällt, in welchem auf Wegnahme der auf dem
englischen Segelschiff „Antiope" verladenen ungefähr 1800 Tons Salz
erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat John Barneson in Vertretung des
Reklamanten, der Firma Barneson, Hibbard & Co., durch den
Rechtsanwalt Deura Rikio als Prozeßvertreter die Berufung eingelegt,
welche im Beisein der Staatsanwälte beim Oberprisengericht, Tsut-
suki Keiroku und Dr. jur. Ishiwatari Binichi, geprüft
worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,
Deura Rikio, sind folgende:
Es werde Aufhebung des Urteils erster Instanz auf Wegnahme
der Ladung von 1800 Tons Salz und Erlaß einer Entscheidung auf
Freigabe derselben beantragt, und zwar aus folgenden Gründen :
1. Das Urteil erster Instanz behaupte, daß
das zur Verhandlung stehende Salz eingekauft worden sei,
um zur Herstellung von eingesalzenem Lachs zu dienen,
welcher an die russischen Truppen habe geliefert werden
sollen. Wenn der Lachs, zu dessen Herstellung das Salz
habe gebraucht werden sollen, ein Nahrungsmittel sei, so
stehe nichts im Wege, auch das hierzu verwandte Salz als
Nahrungsmittel zu bezeichnen. Da das Salz dem gesalzenen
Lachs den Geschmack gebe, so müsse das zu diesem Zweck
eingekaufte Salz als Kriegskonterbande gelten und aus diesem
Grunde eingezogen werden.
Das Salz, welches zum Einsalzen von Lachs verwandt werde, sei kein
erstklassiges Tafelsalz, sondern ein ganz gewöhnliches Salz. Der Zweck,
weshalb man den Lachs in Salzwasser einlege oder dem Lachs Salz bei-
füge, sei nicht der, durch das Salz dem Lachs einen salzigen Geschmack
zu geben, sondern dies diene nur dazu, um das Verfaulen des Fleisches
zu verhüten. Mit anderen Worten, gesalzener Lachs sei nicht ein Lachs,
dem durch das Salz Geschmack gegeben werde, sondern ein Lachs,
welcher dadurch vor dem Verfaulen geschützt werde. Wenn die Ab-
sicht die sei, Geschmack zu geben, so werde wohl niemand das amerika-
(58*) 915
Abschnitt VI>7 Prisengerichtsentscheidungeii: „Anti€»pe^.
nische Steinsalz oder ein Salz schlechter Qualität verwenden, welches
die Zunge reize und bitter schmecke. Tatsächlich werde selbst der in
Japan hergestellte gesalzene Lachs erst nach Entfernung des Salzes
als Nahrungsmittel genießbar. Das russische Fabrikat aber, so wie es
in Tokio verkauft werde, müsse erst drei oder vier Mal mit heißem
(Wasser übergössen oder zwei bis drei Tage in reines Wasser gelegt
werden, um das Salz zu entfernen und selbst dann werde es erst ge-
nießbar, wenn man ihm einen anderen Geschmack zusetze. Da dem so
sei, so sei es klar, daß das zur Verhandlung stehende Salz nicht den
Zweck habe, mit dem Lachs zusammen als Nahrungsmittel zu dienen,
sondern nur bezwecke, das Verfaulen eines Nahrungsmittels zu ver-
hindern. Das sei dasselbe, als wenn man Spirituosen mit Salizylsäure
mische, um ihr Verderben zu verhüten. Niemand werde behaupten
wollen, daß Salizylsäure, welche befördert werde, um geistigen Ge-
tränken zugesetzt zu werden, ein Getränk sei.
Daher könne solches Salz keinenfalls unter den Begriff der
„Nahrungsmittel'' der Instruktion des Marineministeriums fallen.
2. Das Urteil erster Instanz habe angenommen, daß
das zur Verhandlung stehende Salz, weil es zur Fabrikation
von gesalzenem Lachs dienen solle, welcher an die rassischen
Truppen geliefert werden solle und so mit dem Lachs zu-
sammen gebraucht werde, ein Nahrungsmittel, d. h. Kriegs-
konterbande sei.
Wenn man so argumentiere, dann komme man dahin, daß auch das
zur Herstellung von geräuchertem Lachs in Sibirien eingeführte Brenn-
material oder der zum Ackerbau eingeführte Dünger als Nahrungs-
mittel betrachtet und als Kriegskonterbande eingezogen werden könne.
Denn dann würde das Brennmaterial, vc^lches verbrannt werde, um den
Lachs zu räuchern, zusammen mit dem Lachs verbraucht. Ebenso werde
mit dem Dünger Weizen kultiviert, aus dem Brot gemacht werde, so
daß also der Dünger mit dem Weizenmehl zusammen verbraucht werde
und so als Nahrung bezeichnet werden könne.
Selbst aber einmal zugegeben, daß das zur Verhandlung stehende
Salz mit dem Lachs zusammen als Nahrung benutzt werde und so
ein Nahrungsmittel darstelle, so beschränke sich doch der Konsum des
mit diesem Salz zubereiteten Lachses nicht unbedingt auf die russischen
Truppen, sondern er könne auch nach Rußland und ins Ausland ex-
portiert werden. Die Annahme des Urteils erster Instanz, daß der Lachs
nur zum Truppengebrauch habe geliefert werden sollen, sei gänzlich
unbewiesen und unzutreffend.
3. Das Gericht erster Instanz sage,
nach der monatlichen Statistik des statistischen Vereins der
russischen Küstenprovinz sei die Menge des von den Fischern
916
Prisengericliisdxiiaelielciimgdli: »Anüope". Abschnitt Vl'^
der Küstetiprovinz in einem Jahre verbrauchten Salzes fest-
gestellt worden, und damit verglichen sei die Menge des-
zur Verhandlung stehenden Salzes übermäßig groß. Daher
sei anzunehmen, daß es zur Herstellung von gesalzenem
Lachs habe dienen sollen, welcher an die Truppen zu lieferrt
gewesen sei.
Diese Statistik sei jedoch unglaubwürdig und wertlos, da sie in Ruß"
land erschienen sei, einem Land, wo die Beamten ganz offen Geld
empfingen und die gesetzliche Disziplin sehr in Unordnung sei. Man
könne daher nicht wissen, ob nicht der Verbrauch von Salz seitens
der Fischer der Küstenprovinz in Wirklichkeit ein Mehrfaches des dort
Berichteten betrage. Der Reklamant sei daher im höchsten Grade em-
pört, daß er ein Urteil erhalte, welches sich auf einer derartigen
Publikation gründe.
Überdies habe die Abreise des fraglichen Schiffes von Amerika
nach Vernichtung der haltischen Flotte in der Straße von Tsushima
stattgefunden. Wenn geplant worden sei, zu dieser Zeit das Salz mit
einem langsam fahrenden Segelschiff zu befördern, dann nach und
nach den Lachs einzusalzen und ihn an die russischen Truppen zu
liefern, so würde zur Zeit seiner Fertigstellung Wladiwostok schon ge-
fallen und die ganze Mandschurei von den japanischen Truppen be-
setzt gewesen sein. Wenn die Russen auch dumm seien, so müsse doch
jeder diese Verhältnisse haben übersehen können. Wer wisse, ob nicht
die Russen nach dem Tage, wo die Japaner die Besetzung ausgeführt
hätten, ihre nach und nach hergestellten gesalzenen Fische an die japa-
nischen Truppen verkauft und versucht hätten, so einen großen Ver-
dienst zu erzielen?
Wenn man nach dem Urteil erster Instanz rechne, so betrage das
zur Prise gemachte Salz über 6800 Tons, d. h. über 428 400 Pud, $o
daß man also 2142 000 Pud gesalzenen Laclis hätte herstellen können.
Im Etatsjahr 1900 habe die Menge des von den russischen Truppen in
Sibirien und dem mandschurischen Okkupationsgebiet gekauften ge-
salzenen Lachses 114 500 Pud betragen. Wenn man nun die Gesamt-
stärke der damaligen russischen Truppen als 100000 annehme, so könne
man mit dem zur Verhandlung stehenden Salz soviel Lachs herstellen^
daß man ein Jahr lang 2 Millionen russische Truppen damit versorgen
könne. Ein solches Vorhaben müsse man doch wohl als zu töricht be-
zeichnen.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Yanagita Kunio, sind folgende:
1. Es stimme nicht mit der Wirklichkeit, wenn der Reklamant
behaupte, daß das zur Verhandlung stehende Speisesalz minderwertiges
Salz sei, welches nicht zum Essen dienen könne. Das Salz sei von
917
Abschnitt VI>7 Prisengerichtsentscheidungen: „Antiope'%
erster Qualität und könne durch Zerkleinerung zum Speisegebrauch
hergerichtet werden. Wenn daher der Reklamant behaupte, daß schon
nach seiner großen Menge beurteilt das Salz zur Herstellung von ge-
salzenen Fischen habe dienen müssen, so könne das nur für einen Teil
desselben anerkannt werden.
Daß Speisesalz neben der Aufgabe, daß es Geschmack verleihen
solle, zugleich auch, wie der Reklamant sage, dem Zwecke der Kon-
servierung diene, sei eine Tatsache, welche die Staatsanwälte aus der
täglichen Küche selber sehr wohl kannten und die sich keineswegs
auf die Fabrikation von Salzfisch beschränke. Man könne aber nicht
diese eine Seite herausgreifen und, weil es zum Konservieren diene, be-
haupten, daß das Salz kein Speisemittel sei.
2. Wenn auch Brennmaterial und Dünger indirekt zur Herstellung
von Speisewaren dienten, so müsse man es doch als verkehrt bezeichnen,
wenn sie mit Speisemitteln verglichen würden. Wenn man aber schon
das auf der „Antiope" verladene Speisesalz als eine Art Nahrungsmittel
ansehe, so sei es selbstverständlich, daß man an diesem seinen natür-
lichen Charakter eines Nahrungsmittels nicht ändern könne, selbst wenn
man einmal annehme, daß durch seine Verbindung mit einem anderen
Nahrungsmittel ein für hohen Preis verkäufliches neues Nahrungs-
mittel hergestellt werde.
3. Die Behauptung des Reklamanten, daß die monatliche Statistik
unglaubwürdig sei, sei überaus grob.
Bezüglich der Abreise der „Antiope" behaupte der Reklamant,
daß sie nach dem großen Seesieg im japanischen Meer stattgefunden
habe, aber sowohl die Zeit der Abreise M. Ruris von seiner Heimat,
um das Salz einzukaufen, wie auch der Abschluß des Kaufvertrags in
Amerika lägen vor der Seeschlacht im japanischen Meer. Außerdem sei,
nachdem die Russen die Herrschaft zur See verloren und die Verkehrs-
schwierigkeiten sich sehr gesteigert gehabt hätten, das Bedürfnis nach
der Ansammlung solcher Kriegsbedarfsartikel noch viel dringender ge-
worden. Diese Tatsachen seien also durchaus nicht geeignet, um als
Begründung zugunsten des Reklamanten dienen zu können.
Aus diesen Gründen müßten die neuen Streitpunkte, die der Re-
klamant anführe, auch wieder alle für unzutreffend angesehen und die
Berufung abgewiesen werden.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Der Reklamant sagt: Salz wie das zur Verhandlung stehende sei
minderwertige Ware, welche zum Speisegebrauch nicht dienen könne.
Es sei lediglich dazu bestimrnt, Lachs einzusalzen oder in Salzlake ein-
zulegen, um ihn vor dem Verderben zu bewahren. Da es demnach
den Lachs nicht schmackhaft zu machen und so als Nahrungsmittel
918
.l^risengerichtsentscheidungen : „Antiope'^ Abschnitt VI^^
^u dienen bestimmt sei, so falle es nicht unter den Ausdruck „Nahrungs-
mittel" der Instruktion des japanischen Marineministeriums.
Die Frage, ob Salz Nahrungsmittel ist oder nicht, bestimmt sich
.a.ber nicht nach der Feinheit der Qualität. Der Hauptsache nach ist
-alles das Kochsalz, was wegen seines charakteristischen Geschmacks
verwandt wird. Wenn daher auch das zur Verhandlung stehende Salz
minderwertige Ware wäre, so würde das seiner Eigenschaft als Koch-
salz nicht entgegenstehen; wieviel weniger, wo nach sachverständigem
Urteil erwiesen ist, daß es nach Trocknen und Zerkleinern eine erst-
klassige Ware abgeben v^ürde, welche sehr wohl als Kochsalz dienen
könnte.
Wenn es aber Kochsalz ist, so verliert es diesen seinen eigenen
•Charakter als Nahrungsmittel nicht dadurch, daß es mit anderen
Nahrungsmitteln vermischt wird. Man kann es nicht mit richtigen
Konservierungsmitteln von Getränken oder mit Brennmaterial zum Fisch-
räuchern oder mit Dünger für Weizen, welche keine Nahrungsmittel
■sind, auf eine Stufe stellen. Dies besonders, weil Kochsalz nicht nur bei
der Zubereitung von Fischen, sondern auch in der täglichen Küche neben
•<ier würzenden auch eine konservierende Wirkung hat. Nur die eine
Seite seiner Wirkung ins Auge zu fassen und zu behaupten, es sei kein
Nahrungsmittel, da es zur Konservierung diene, kann nur als unbillig
bezeichnet werden.
Der Bestimmungsort des zur Verhandlung stehenden Salzes, Niko-
lajewsk, liegt in der Nähe der Amurmündung und nimmt in der Küsten-
provinz eine sehr wichtige Stellung ein. Durch Vermittlung des am
•Oberlauf des Amur gelegenen Chabarowsk steht es auf dem Wasser-
wege oder durch die Eisenbahn mit militärisch wichtigen Plätzen in Ver-
bindung. Diese Gegend ist die bedeutendste für die Lachsfischerei.
Seit jeher ist mehr als die Hälfte des produzierten gesalzenen Lachses
in Japan konsumiert worden. Unter den Russen hat seit vielen Jahren
der Wunsch bestanden, die Nachfrage danach im europäischen Rußland
zu steigern; dies ist aber noch nicht gelungen. Trotzdem nun seit dem
japanisch-russischen Krieg der Verkehr zwischen dort und Japan voll-
ständig aufgehört hat und die Nachfrage nach Lachs verloren gegangen
ist, hat sich das Bedürfnis danach für die Truppen gesteigert. Daß diese
außerordentliche Lebhaftigkeit der Nachfrage bestand, wird dargetan
durch die Zeitschrift für Handel und Industrie des russischen Finanz-
ministeriums vom 20. Juli 1905 sowie auch durch die Sitzungsprotokolle
der vierten Stadtversammlung von Chabarowsk im Jahre 1903.
Wenn nun zu der in Frage stehenden Zeit ein für einmal so großer
Transport von Salz nach dorthin stattgefunden hat, so muß man an-
nehmen, daß dieses Salz zur Fabrikation von gesalzenen Fischen dienen
sollte, welche zur Verpflegung der feindlichen Truppen bestimmt waren.
919
Abschnitt Viw Prisengerichtsentscheidungen : MMontara^'.
Das zur Verhandlung stehende Salz ist demnach, weil es nach feind-
lichem Gebiet bestimmt war und als Nahrungsmittel für die feindliche
Armee oder Marine dienen sollte, Kriegskonterbande.
Es ist aber völkerrechtlicher Grundsatz, daß Konterbande schlecht-
hin eingezogen werden kann. Da es danach durchaus rechtmäßig ist,
wenn das Urteil erster Instanz es für gute Prise erklärt hat, so er-
übrigt es sich, auf die einzelnen Punkte der Berufung besonders ein-
zugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Am 12. März 1906 im Oberprisengericht.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pacific Coast Steamship Company, Vereinigte Staa-
ten von Nordamerika, San Francisco, vertreten durch den Kapitän des
Dampfers „Montara", Thomas Reilly, und Lloyd, England, London,
vertreten durch A. Q. MoreyWeale, Angehörigen der Firma Cor nes
& Co., Yokohama, Yamashitacho Nr. 50.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Sato Hakuai, Yokohama,
Honcho Sanchome Nr. 40.
In der Prisensache, betreffend den nordamerikanischen Dampfer
„Montara", wird nach Beendigung der Untersuchung, wie folgt, ent-
schieden :
Urteilsformel:
Es wird auf Wegnahme des nordamerikanischen Dampfers „Mon-
tara" und der auf diesem verschifften Güter, nämlich 25 Sack Tabak-
blätter; 11 Kisten Tabak; 17 Kisten Zucker; 1 Dampf boot; 2 kleine
Leuchter; ein Quantum Brennholz; ungefähr 4000 gesalzene Seehunds-^
feile; Robbenfelle, schwarze Dachsfelle, Rotfuchsfelle, Fischotterfelle,
Vielfraßfelle, Hermelinfelle und Bärenfelle, zusammen etwa 30 Stück,
erkannt.
Tatbestand und Gründe:
Der zur Verhandlung stehende Dampfer „Montara'' steht im Eigen-^
tum des Reklamanten, der Pacific Coast Steamship Company, sein Hei-
matshafen ist San Francisco in den Vereinigten Staaten von Nordamerika,
und er ist ein Handelsschiff, welches die nordamerikanische Flagge
führt. Der Dampfer wurde durch den Chartervertrag, welcher am
22. März 1905 zwischen der Agentur der Kamtschatka-Handels- und In-
920
Prisengerichtsentscheidungeii : „Montara". Abschnitt Vis*
dustrkgesellschaft Rosbram & Co. und der Reederei abgeschlossen
wurd«, um die von der genannten Gesellschaft der russischen Regierung
gegenüber übernommene Aufgabe der Lieferung von Lebensbedürf-
nissen nach den Commandorski-Inseln zu erfüllen, für ungefähr 5 Mo-
nate vom l. Mai d. J. ab an die genannte Handels- und Industrie-
gesellschaft vermietet. Der genannte Dampfer lud demgemäß als Lebens-
bedarf für die Bevölkerung der Commandorski-Inseln Lebensmittel, land-
'wirtschaftliche Geräte und den obengenannten Zucker und Tabak, im
ganzen etwa 200 Tons. Am 9. Juli 1905 fuhr der Dampfer von San
Francisco ab und reiste direkt nach Kamtschatka in Rußland. Er lief
die Koppe-Insel, Bering-Insel, Petropawlowsk und West-Kamtschatka an,
löschte an den verschiedenen Plätzen gewisse Mengen seiner Ladung,
lud dort Güter der Gesellschaft und eingekaufte Pelze, und ikam wieder
nach der Bering-Insel, wo er, als er den Rest der beförderten Ladung
löschte, am 16. August 1905 nach 2 Uhr nachmittags auf seinem Anker-
platz bei Nikolsk auf dieser Insel von dem Kaiserlichen Kriegsschiff
„Izumi" gesichtet wurde. Als Ergebnis der Visitierung wurde der Damp-
fer, weil im Gebrauch der russischen Regierung stehend und weil er
Konterbande befördere, beschlagnahmt.
Für gewöhnlich können ausländische Schiffe auf den Commandorski-
Inseln nicht verkehren und Handel treiben. Aber seit dem japanisch-
russischen Krieg hat die russische Regierung für Schiffe, welche vort
der Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft und der Ostsibi-
rischen Compagnie gechartert würden, eine besondere Erlaubnis zum
Verkehr in den genannten Gegenden erteilt. Daraufhin verkehrte das
zur Verhandlung stehende Schiff, obwohl es ein ausländisches Fahr-
zeug ist, unter der Vergünstigung jener Erlaubnis auf den Commandorski-
Inseln. Die in der Urteilsformel aufgeführten Güter, nämiich die noch
zu löschenden Waren, die neueingekauften Pelze, das Dampfboot usw.
gehören der russischen Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft.
Diese Tatsachen werden bewiesen durch die Aussageschrift und
das Güterverzeichnis des Vertreters des Kommandanten des Kaiserlichen
Kriegsschiffs „Izumi", Oberleutnants zur See, Ikaku Kizo, die Ver-
nehmungsprotokolle des Kapitäns der „Montara", Thomas Reilly,
des ersten Offiziers James Bowen, des Bootsmanns M. Büke, des
genannten Ikaku Kizo, des Vertreters der russischen Kamtschatka-^
Handels- und Industriegesellschaft Nikolai Bruggen, des Ober-
kommissars für die Lieferungen nach den Plätzen des Ochotskischen
Meers und des Beringsmeers für das Etatsjahr 1905, Rats des Ministeriums
des Inneren, Nikolai Alexandrowitsch Grebnitzki, das
Schiffszertifikat, den Chartervertrag, 6 Konnossemente, die Aus-
klarierungsbescheinigung von San Francisco, das Privatschiffsjournal, das
Tagebuch, die Abschrift des Vernehmungsprotokolls mit dem genannten
921
Abschnitt VI» Prisengerichtsentscheidungen : „Montara*'.
Orebnitzki aus den Akten der Prisensache betreffend den amerika-
nischen Dampfer „Australia'' und die Abschrift der Instruktion der
russischen Regierung an den Oberlieferungskommissar.
Die Hauptpunkte der Reklamation sind folgende:
Der Dampfer „Montara'' gehöre schon seit der Zeit vor dem
japanisch-russischen Krieg dem Reklamanten, der Pacific Coast Steamship
Company, sei in San Francisco eingetragen und sei ein neutrales Handels-
schiff amerikanischer Nationalität. Im März 1905 habe die genannte
Dampfergesellschaft mit der Kamtschatka-Handels- und Industriegesell-
schaft einen Chartervertrag abgeschlossen, nach welchem das Schiff
zur Fahrt in dem Ochotskischen Meer bei Kamtschatka und der Um-
gegend davon, für ungefähr 5 Monate vermietet worden sei. Der Charter-
vertrag entspreche den gewöhnlichen Gebräuchen, und das verwandte
Dokument sei von der allgemein verwandten gedruckten Art. Während
Ausübung des Vertrages seien weder falsche Schiffspapiere angefertigt
noch falsche Eintragungen vorgenommen worden. Das zeige, daß
weder der Reeder noch der Kapitän eine Verletzung der Neutralität
geplant hätten. Der Dampfer habe in San Francisco Tabak, Zucker,
landwirtschaftliche Geräte, Eisen, andere Lebensmittel und dergleichen,
alles Bedarfsartikel, welche für die Bevölkerung von Kamtschatka und
den benachbarten Inseln notwendig seien, geladen. Am 9. Juli d. J.
sei der Dampfer von dem genannten Hafen abgereist, habe Koppe-
Insel, Petropawlowsk und West-Kamtschatka angelaiufen, dort seine
Ladung gelöscht und solche zur Beförderung nach San Francisco ein-
genommen. Auf der Rückfahrt sei er wieder bei der Beringinsel an-
gekommen und habe auf dem Ankerplatz von Nikolsk geankert. Am
16. August d. J., nachmittags, als bereits die dort zu löschende Ladung
von Bord des zur Verhandlung stehenden Schiffs genommen gewesen
sei, und das Schiff vorgehabt hat, denselben Abend seine Reise nach
San Francisco anzutreten, sei das Schiff, weil ein Teil seiner Ladung
als Kriegskonterbande und das Schiff mit der Begründung, daß die
Charterer unter der Gewalt und dem Schutz der russischen Regierung
stünden, als ein im Gebrauch dieser Regierung stehendes Schiff angesehen
worden sei, beschlagnahmt worden.
1. Das Schiff habe durchaus keine Konterbande an Bord gehabt.
Wenn man aber seine Ladung für solche halte, so sei doch die Auf-
bringung erst nach Löschung derselben geschehen und die völkerrecht-
liche Wissenschaft und Praxis verböten* Wegnahme des Schiffs.
2. Die Charterer hätten freilich von der russischen Regierung das
Monopol des Pelzeinkaufshandels auf den Commandorski-Inseln ein-
geräumt erhalten. Dadurch sei aber ihre Eigenschaft als einer privaten
Gesellschaft nicht verändert worden, und man könne folglich das zur
Verhandlung stehende Schiff nicht nur daraufhin, daß es von der ge-
922
Prisengerichtsentscheidungen: „Montara**. Abschnitt VI»
nannten Gesellschaft gemietet worden sei, als ein im Gebrauch
-der russischen Regierung stehendes Schiff betrachten.
3. Wenn der Verkehr ausländischer Schiffe im nördlichen Kam-
tschatka verboten würde, so würde das Rußland nur zum Nachteil
:gereichen und daher hätten auch vor dem japanisch-russischen Krieg
-ausländische Schiffe dort verkehren können. Aber selbst angenommen,
<iies sei besonders für die Kriegszeit erlaubt worden, so sei diese Erlaub-
nis doch nicht nur den Charterern des zur Verhandlung stehenden
Schiffes bewiHigt, sondern das Verbot sei vielmehr allgemein aufgehoben.
Aber auch wenn man diese Erlaubnis als ein vereinzeltes, außer-
ordentliches Vorrecht ansehen wolle, so berühre sie doch die recht-
lichen Beziehungen der genannten Gesellschaft mit der russischen Re-
gierung und sei keine besondere von diesem Schiff erhaltene Erlaubnis.
Die in der Seeprisenordnung ^) im § 6 genannten „Schiffe, welche mit
besonderer Erlaubnis des feindlichen Staats fahren", seien notwendig
solche, welche für sich selbst die besondere Erlaubnis erhalten hätten.
Aber selbst wenn eine solche besondere Erlaubnis vorliege, so könne doch
das Schiff, nachdem es bereits die Löschung seiner Ladjung vollendet ge-
habt habe, nicht wegen Neutralitätsbruchs zur Verantwortung gezogen
werden.
4. Die japanische Seeprisenordnung sei nur für die betreffenden
militärischen Behörden erlassen, und könne, soweit sie nicht mit den
Präcedenzen und dem Sinne des Völkerrechts übereinstimme, außer auf
die Schiffe des eigenen Landes und den Bereich der eigenen Hoheits-
gewässer keine Anwendung finden.
5. Die zur Verhandlung stehende Ladung sei dazu bestimmt ge-
wesen, die hungerleidende Bevölkerung entlegener Inseln zu unter-
stützen. Der Transport diene also der Menschlichkeit.^)
6. Das Prisenwesen habe als Grundlage das militärische Bedürf-
nis und müsse daher mit Wiederherstellung des Friedens vollständig
aufhören. Es sei daher selbstverständlich, daß Prisen, welche noch
nicht abgeurteilt seien, freigegeben werden müßten. Das bezeugten
auch die Beispiele des französisch-mexikanischen Kriegs vom Jahre 1856
(wahrscheinlich irrtümlich für 1865), der Kriege Österreichs gegen Frank-
reich und Piemont vom Jahre 1859, Dänemarks gegen Preußen und
Österreich vom Jahre 1864 und des letzten Teils des französisch-
preußischen Krieges.
Bezüglich der gegenseitigen Prisen der kriegführenden Staaten
könnten diese Fragen entweder durch Vertrag oder nach dem Prinzip
der Gegenseitigkeit geregelt werden; neutrale Schiffe und Güter brauch-
ten sich jedoch von Wiederherstellung de;s Friedens an nicht mehr
der Entscheidung der Prisengerichtshöfe der kriegführenden Staaten zu
1) V. - 2) V. § 35,2.
923
Abschnitt VI» Prisengerichtsentscheidongen: „ffontara'^
unterwerfen. Daher müsse in dem vorliegenden Falle unfraglich auf
Freigabe entschieden werden.
Zum Beweis der Behauptungen des Punktes 3 der Reklamation
ist der japanische Staatsanzeiger vom 12. März 1902: Verkehr japa-
nischer Schiffe in Wladiwostok; desgleichen vom 14. Oktober 1903:
Schiffsverkehr in Wladiwostok; und das Beiblatt 8 der Monatsschrift
des Zollamts: Bericht der Beamten Yashiro und Kuraoka vor-
gelegt worden.
Das Gericht ist folgender Ansicht:
Wenn der feindliche Staat für Orte, wo in Friedenszeiten der
Handelsverkehr ausländischer Schiffe verboten ist, diesen Verkehr wäh-
rend der Kriegszeit für gewisse Schiffe besonders erlaubt, so erwerben
auch neutrale Schiffe, die auf Grund dieser besonderen Erlaubnis.
Handelsverkehr betreiben, feindlichen Charakter 3) und unterliegen der
Wegnahme.*) Auch die auf solchen Schiffen verladenen, feindlichen
Personen gehörigen Güter sind einzuziehen.^) Das ist von der Wissen-
schaft und Praxis des Völkerrechts anerkannt.
Die Commandorski-Inseln, wohin das zur Verhandlung stehende
Schiff gereist ist, sind von jeher von d^m Handelsverkehr ausländischer
Schiffe ausgeschlossen gewesen. Da aber seit dem Krieg mit Japan
die russische Regierung die Versorgung dieser Inseln auf eigenen Schiffen
nicht mehr durchführen konnte, so erteilte sie ausschließlich der Kam-
tschatka-Handels- und Industriegesellschaft und der ostsibirischen Com-
pagnie die Erlaubnis, von ihnen gecharterte ausländische Schiffe dort
verkehren zu lassen.
Da sich aus den Aussagen des oben genannten Grebnitzki
ergibt, daß das zur Verhandlung stehende Schiff auf Grund des Vor-
zugs dieser besonderen Erlaubnis bei den Commandorski-Inseln ver-
kehrt hat, und da das Schiff tatsächlich, während es auf dem Anker-
platz von Nikolsk auf der Commandorski-Insel lag, beschlagnahmt worden
ist, so muß es als feindliches Schiff betrachtet werden.
Da ferner die ganze Ladung den Charterern des Schiffs, der russi-
schen Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft, gehört, so ist sie
als Feindesgut anzusehen und zusammen mit dem Schiff wegzunehmen.
1. Der Reklamant macht als Grund für die Freigabe geltend, da&
weder der Reeder noch der Kapitän einen Neutralitätsbruch geplant
habe. Da aber die Frage, ob das zur Verhandlung stehende Schiff auf
Grund einer besonderen Erlaubnis Handelsschiffahrt getrieben hat, sich
nach den tatsächlichen Handlungen des Schiffs entscheidet, so kommt
die Absicht des Reeders oder des Kapitäns dafür nicht in Betracht.
2. Der Reklamant behauptet, daß auch vor dem japanisch-russischen
Krieg Verkehr ausländischer Schiffe in der Gegend von Commandorski
») V. § 6,2. - *) V. § 40,1. - ") V. § 40,2.
921
Prisengerichtsentscheidungen: ,,Montara". Abschnitt Vis^
stattgefunden hat und hat zum Beweis hierfür zwei Notizen aus dem
•Staatsanzeiger und eine Beilage der Monatsschrift des Zollamts ein-
igereicht. Daraus kann man aber nicht die Tatsache folgern, daß aus-
ländische Schiffe ohne Erlaubnis der russischen Regierung frei Handels-
schiffahrt in der Gegend von Commandorski getrieben haben; und die
Aussagen des früheren Gouverneurs von Commandorski und Ober-
lieferungskommissars für die Küsten des Beringmeers für das Etats-
jahr 1905, Grebnitzki, können dadurch nicht widerlegt werden.
3. Der Reklamant führt aus, wenn man auch annehme, daß die
Handelsschiffahrt fremder Schiffe in der Gegend von Commandorski
für die Kriegszeit besonders gestattet worden sei, so sei das doch nicht
eine besondere Erlaubnis für die Charterer des zur Verhandlung
stehenden Schiffes, sondern das Verbot sei vielmehr allgemein aufgehoben
^'orden ; und selbst wenn man diese Erlaubnis als ein vereinzeltes außer-
ordentliches Vorrecht ansehen wolle, so stehe dies doch der Kam-
tschatka-Handels- und Industriegesellschaft, nicht aber dem zur Ver-
handlung stehenden Schiff zu.
Es geht indessen aus den Aussagen Grebnitzkis klar hervor,
daß diese Erlaubnis nur der Kamtschatka-Handels- und Industriegesell-
schaft und noch einer Handelsgesellschaft für die von ihnen gecharterten
Schiffe erteilt worden ist und daß andere ausländische Schiffe, wenn
sie die in Frage stehenden Plätze anlaufen würden, sich der Verletzung
eines russischen Staatsverbots schuldig machen würden. Daher kann
man von einer allgemeinen Aufhebung des Verbots nicht sprechen. Und
auch wenn man annimmt, die Erlaubnis sei den Charterern des zur Ver-
handlung stehenden Schiffes und nicht dem Schiff selbst erteilt, so hat
doch, wie oben ausgeführt, das Schiff auf Grund dieser Erlaubnis in
dem verbotenen Bereich Handelsschiffahrt betrieben und damit feind-
lichen Charakter erworben.
4. Wenn der Reklamant vorbringt, die Reise des zur Verhandlung
stehenden Schiffes sei aus Menschlichkeit gemacht worden und daher
könne das Schiff nicht weggenommen werden, so steht dem entgegen,
daß, wie oben gesagt, die Reise nur in Ausführung der gewöhnlichen
Lieferungsaufgaben als eine besondere Art von Handel seitens der Kam-
tschatka Handels- und Industriegesellschaft gemacht worden ist und in
keiner Weise auf Zwecke der Wohltätigkeit und Menschlichkeit hindeutet.
6. Der Reklamant behauptet unter Anführung von Beispielen, daß
Prisen nach Wiederherstellung des Friedens nicht mehr gemacht werden
könnten, daß weder das Schiff noch seine Ladung von Wiederherstellung
des Friedens an sich der Entscheidung des Prisengerichts zu unter-
werfen brauchten. Daher seien sie selbstredend freizugeben. Was die
angeführten Beispiele angeht, so haben dort entweder die kriegführenden
Staaten in einem besonderen Vertrag die gegenseitigen Beziehungen
925
Abschnitt Vin Prisengerichtsentschef düngen : „Montara^'.
geregelt oder es handelt sich nur um Freigabe einer bestimmten Art
feindlicher Schiffe auf Grund besonderer gesetzlicher Vorschriften. Als
Präcedenzen auf den vorliegenden Fall können sie indes nicht ange-
sehen werden.
Wenn auch im allgemeinen das Recht, Prisen zu machen mit der
Wiederherstellung des Friedens aufhört, so werden doch bereits ge-
schehene Aufbringungen dadurch nicht annulliert. Die Handlung der
Aufbringung und die Handlung, welche über die Rechtmäßigkeit der
Aufbringung entscheidet, sind zwei ganz verschiedene Sachen. Daher
können die Prisengerichte, außer wo sie durch Vertrag oder Gesetz
gebunden sind, gleichviel ob es sich um neutrale Schiffe handelt oder
nicht, auch nach Wiederherstellung des Friedens die Untersuchung fort-
setzen und entscheiden, ob Wegnahme erfolgen soll oder nicht. Dies
ist von der Präcedenzentscheidung, betreffend die „Yeesung" aus dem
japanisch-chinesischen Krieg der Jahre 1894/95 und von der sonstigen
völkerrechtlichen Praxis und Wissenschaft in gleicher Weise anerkannt.
Da aus den obigen Gründen das zur Verhandlung stehende Schiff
und seine Ladung einzuziehen sind, so erübrigt es sich, auf die wei-
teren Ausführungen des Reklamanten besonders einzugehen.
Es wird daher wie in der Urteilsformel entschieden.
Verkündet am 4. November 1905 im Prisengericht zu Yokosuka im
Beisein des Staatsanwalts beim Prisengericht zu Yokosuka, U c h i d a
Shigenari.
(Unterschriften.)
Reklamant: Pacific Coast Steamship Company, Vereinigte Staa-
ten von Nordamerika, San Francisco, vertreten durch den Kapitän der
„Montara'', Thomas Reilly, und Lloyd, England, London, ver-
treten durch A. G. Morey Weale, Angehörigen der Firma Cornes
& Co., Yokohama, Yamashitacho Nr. 50.
Prozeßvertreter: Rechtsanwalt Sato Hakuai, Yokohama,,
Honcho, Sanchome Nr. 40.
Am 4. November 1905 hat das Prisengericht zu Yokosuka in der
Prisensache, betreffend den amerikanischen Dampfer „Montara" und
seine Ladung, welche am 16. August 1905 auf dem Ankerplatz von
Nikolsk auf der Beringinsel von dem Kaiserlichen Kriegsschiff „Izumi'*
beschlagnahmt worden sind, ein Urteil gefällt, in welchem auf Ein-
ziehung des nordamerikanischen Dampfers „Montara" und der auf ihm
verladenen 25 Sack Blattabak, 11 Kisten Tabak, 17 Kisten Zucker, eines
Dampfboots, zwei kleiner Leichter, eines Quantums Brennholz, unge-
fähr 4000 gesalzener Seehundsfelle', Robbenfelle, schwarzer Dachsfelle^
926
Prisengerichtsentscheidungen : ,,Montara". Abschnitt VI s»
Rotfuchsfelle, Fischotterfelle, Vielfraßfelle, Hermelinfelle und Bärenfelle,
zusammen etwa 30 Stück, erkannt worden ist.
Gegen dieses Urteil hat der Vertreter der Pacific Steamship Com-
pany, Thomas Reilly, und der Vertreter des Lloyd, A. G. iMorey
Weale, durch den Rechtsanwalt Sato Hakuai als Prozeß Vertreter
die Berufung eingelegt, welche im Beisein der Staatsanwälte Tsutsuki
K e i r o k u und Dr. jur. I s h i w a t a r i B i n i c h i beim Oberprisengericht
geprüft worden ist.
Die Hauptpunkte der Berufung des Vertreters der Reklamation,.
Sato Hakuai, und deren Gründe sind folgende:
1. Daß Rußland auch vor dem Kriege in der Küstenprovinz und an
der Küste von Kamtschatka den Verkehr japanischer und sonstiger aus-
ländischer Schiffe gestattet habe, gehe hervor aus den von dem Rekla-
manten dem Gericht erster Instanz vorgelegten Beweisstücken AI, dem
Staatsanzeiger vom 12. März 1902 (Bericht des Handelsagenten Kawa*
kami in Wladiwostok); A2, dem Staatsanzeiger vom 14. Oktober 1903
(Bericht des genannten Beamten) ; A 3, Beiblatt 8 der Monatsschrift des.
Zollamts zu Yokohama (Bericht der Beamten Y a s h i r o und K u r a o k a
über ihre Dienstreise nach Kamtschatka). Wenn man einmal annehme,
daß die Aussage Grebnitzkis, daß auf den Commandorski-Inseln
der Verkehr ausländischer Schiffe verboten sei, wahr sei, so ergebe sich
das doch nur aus dem der Kamtschatka-Handels- und Industriegespll-
schaft eingeräumten Monopolrecht. Man könne dagegen die Sache nicht
so ansehen, als ob der Küstenhandel verboten sei.
Da, wie der Vertreter der Kamtschatka-Handels- und Industrie-
gesellschaft, Bruggen, ausgesagt habe, diese Gesellschaft von der
Regierung das ausschließliche Recht erhalten habe, die Jagdbeute der
Commandorski-Inseln allein anzukaufen und den Inselbewohnern die
täglichen Lebensbedarfsartikel zu liefern, so könne man daraus ent-
nehmen, daß keine Schiffe, einerlei ob russische oder ausländische, so-
fern sie nicht im Eigentum, bzw. in Charter, der Kamtschatka-Handels-
und Industriegesellschaft stünden, auf den Commandorski-Inseln
Handelsverträge treiben dürften. Wenn daher auch, wie Grebnitzki
ausgesagt habe, die genannte Gesellschaft vor dem Kriege zum Handels-
verkehr auf den Commandorski-Inseln ausländische Schiffe nicht habe
mieten können, so sei das doch nur eine Bedingung der russischen Re-
gierung in ihrer Instruktion gegenüber dieser Gesellschaft. Diese Be-
dingung sei indessen nach der Kriegseröffnung weggefallen, und die
Gesellschaft habe dann die Freiheit zur Miete und zum Gebrauch aus-
ländischer Schiffe erhalten. Aber darum könne man gecharterte aus-
ländische Schiffe nicht als solche bezeichnen, wjelche mit besonderer
Erlaubnis der russischen Regierung führen. Denn die Handels- und
Industriegesellschaft könne jede Art von Schiffen, gleichgültig welcher
92T
Abschnitt VI» Prisengericht^entscheldung^n : „Montara*'.
Nationalität, chartern. Daß diese Gesellschaft diese Freiheit erhalten
habe, gleichgültig was für Schiffe und welcher Nationalität chartern
zu können, könne man nicht als die „Besondere Erlaubnis" «) auffassen.
Um diesem Einwurf zu entgehen, habe das Urteil erster Instanz ab-
sichtlich die dunkle Erklärung gegeben, daß das Schiff auf Grund des
Vorzugs der besonderen Erlaubnis, welche die Kamtschatka-Handels-
und Industriegesellschaft erhalten habe, gefahren sei. Die in der In-
struktion der genannten Gesellschaft enthaltene „Aufhebung der Be-
schränkung'' oder, wie das Urteil erster Instanz sage, „besondere Er-
laubnis'', könne man nicht als die für ein bestimmtes Schiff besonders
gewährte „besondere Erlaubnis" auffassen. Da ferner ein Vorzug,
welchen jedes Schiff haben könne, nicht den Charakter des Besonderen
habe, so stimme auf ihn nicht die im Eingang der Urteilsbegründung
gegebene Voraussetzung, nämlich, daß
wenn der feindliche Staat für Orte, wo in Friedenszeiten der
Handelsverkehr ausländischer Schiffe verboten sei, diesen
Verkehr für die Kriegszeit für gewisse Schiffe besonders er-
laube, auch neutrale Schiffe, die auf Grund dieser besonderen
Erlaubnis Handelsverkehr betrieben, feindlichen Charakter
erwürben und der Wegnahme unterlägen.
Kurz, die besondere Erlaubnis, auf Grund deren man neutralen
Schiffen feindlichen Charakter beilegen könne, bedinge, daß ein Schiff
eine Erlaubnis von dem feindlichen Staat erhalten habe, oder die Er-
laubnis erhalten habe, die Flagge desselben zu führen, oder Steuerfreiheit
oder sonstige Unterstützung genieße; auf alle Fälle sei es nötig, daß
ein besonders bestimmtes Schiff eine besondere Vergünstigung oder Be-
handlung empfange.
Einfach aus dem geringfügigen Grunde, daß es einen zur Friedens-
zeit verbotenen Handel getrieben habe, einem Schiff eines befreundeten
Staats feindlichen Charakter beizulegen, sei eine zu strenge Entscheidung,
welche in der Neuzeit keine Beispiele finde. Dieses sei ein Grund,
aus welchem dem Urteil widersprochen werde.
2. Da die Kamtschatka-Handels- und Industriegesellschaft jedes
ausländische Schiff zu chartern die Freiheit habe, so sei, wie schon
im vorigen Punkt dargetan, das zur Verhandlung stehende Schiff in
Charter der genannten Gesellschaft auf den Commandorski-Inseln ver-
kehrt, ohne daß es dazu von der russischen Regierung irgendwelche
besondere Vergünstigung oder Behandlung erfahren habe.
Daß ein neutrales Schiff auf Grund dessen, daß es Handel getrieben
habe, den der feindliche Staat zur Friedenszeit verbiete, weggenommen
werde, erscheine, soweit der Reklamant wisse, nicht in den Bestimmungen
der Prisenordnungen irgend eines modernen Staats. Zum Beispiel be-
') V. § 6,2.
•928
Prlsengericbtsentscheldungen: ,,Montara". Abschnitt VI^*
schränkten die am 27. Juni des Jahres 1900 von dem Marineministeriiim
der Vereinigten Staaten von Nordamerika erlassenen Bestimmungen über
den Seekrieg die Wegnahme neutraler Schiffe auf die Fälle, daß ein
Schiff im Dienst der feindlichen Armee oder Marine oder unter der Auf-
sicht des Feindes stehe (Art. 16); daß es Konterbande führe, daß es
Blockadebruch versuche (Art. 19); oder daß es zurzeit im Dienste des
Feindes stehend als Nachrichtenboot fahre (Art. 20). Obwohl ferner
die Vereinigten Staaten die Pariser Deklaration nicht gezeichnet hätten,
erklärten sie doch, daß ein neutrales Schiff, welches feindliches Gut
führe, mit seiner Ladung der Aufbringung entgehen müsse (Art. 19). Die
Staaten hätten den Artikel 2 der Pariser Deklaration anerkannt, ohne
indes seine Ausnahme anzunehmen. Wenn der vorliegende Fall sich
bei den Vereinigten Staaten ereignet hätte, so sei es unzweifelhaft, daß
er keine Entscheidung auf Wegnahme erhalten haben würde.
In der russischen Seeprisen Ordnung vom 27. März 1895 be-
schränkten sich die Fälle, in welchen neutrale Handelsschiffe eingezogen
werden könnten, auf solche Schiffe, welche Kriegskonterbande oder
feindliche Truppen transportierten (Art. 11, Absatz 1, 2, und 3); welche
vorsätzlich in einen blockierten Hafen einzudringen versuchten; welche
sich dem Anhalten, der Besichtigung und der Beschlagnahme mit Waffen-
gewalt widersetzten; und welche im Interesse des Feindes gegen Ruß-
land handelten (Art. 11, Ziffer 2, 3, und 4). Der Fall, daß ein Schiff
nach einem, im Frieden nicht geöffneten Hafen des feindlichen Staats
Handel getrieben habe, sei außer Frage gelassen. Dieses könne mit einem
tatsächlichen Beispiel belegt werden, nämlich dem Urteil des Prisen-
gerichts zu Wladiwostok vom 24. Juli 1904, in welchem auf Weg-
nahme des englischen Dampfers „Alanton" erkannt worden sei. Das
Schiff habe Cardiffkohle geladen und als Bestimmungsorte Hongkong
oder Sasebo angegeben gehabt. Am 21. Februar 1904 sei es von Car-
diff abgefahren und um das Kap der Guten Hoffnung und über Hong-
kong nach Sasebo gelangt. Dort habe es die Ladung gelöscht, sei nach
Muroran auf Hokkaido gefahren, habe wieder Kohlen geladen und
Singapore zum Bestimmungshafen gemacht. Auf der Fahrt nach dem
Westen sei es bei Okinoshima von dem gewalttätigen russischen Ge-
schwader aufgebracht worden. Freilich sei Sasebo Kriegshafen und
Muroran kein geöffneter Hafen,') und die japanische Regierung habe
auch während des Krieges niemals allgemein das Einfahren für aus-
ländische Schiffe gestattet. Auch habe sie nicht einigen einzelnen Ge-
sellschaften den Gebrauch ausländischer Schiffe freigestellt und den
Verkehr in nicht geöffneten Häfen gestattet, s) sondern für jedes ein-
^) Tatsächlich ist Muroran unter anderem für Kohlenausfuhr geöffnet.
^) Tatsächlich wurde ganz allgemein den bereits bestehenden, in Küstenschiff-
fahrt engagierten japanischen Reedereien die Verwendung ausländischer Charterschiffe
hierzu freigegeben.
MarBtraod-Mechlenburg, Das japanische Prisenreoht. (59) U^a
Abschnitt VIS* Prisengerichtsentscheidangen : „Montara''.
zelne Schiff besonders die Erlaubnis erteilt. Wenn es möglich wäre,
daraufhin, daß ein Schiff auf Grund einer Erlaubnis des Feindes nach
einem im Frieden verbotenen Hafen gefahren sei, demselben feindlichen
Charakter beizulegen, so wäre es nicht so schwer gewesen, die Ent-
scheidung auf Wegnahme des Dampfers „Alanton" zu begründen. Da
aber ein solcher Grund von der russischen Prisenordnung nicht an-
erkannt sei, so habe das Prisengericht von Wladiwostok sehr viel Mühe
gehabt^ eiae Begründung für die Wegnahme aufzubauen und sich haupt-
sächlich darauf gestützt, daß das Schiff seine ausschließlich aus Konter-
bande bestehende Ladung in Sasebo gelandet habe, obwohl die Haftung
mit der Landung aufhöre. Wenn die „Alanton'' aber nicht Konter-
bande befördert gehabt hätte, so würde offenbar das Prisengericht keinen
Vorwand für die Entscheidung auf Wegnahme haben finden können.
Wieviel mehr müsse das für die zur Verhandlung stehende „Montara"
gelten, welche für sich selbst keinerlei besondere Erlaubnis von der
russischen Regierung erhalten habe.
Auch in der am 20. Juni 1864 veröffentlichten preußischen See-
prisenordnung sei unter den im § 7 aufgeführten, als Prisen zu be-
handelnden Gegenständen der vorliegende Fall nicht enthalten.
Nach dem Handbuch des englischen Prisenrechts von Holland,
Abschnitt 9, Artikel 141, habe man bis zum Anfang des vorigen Jahr-
hunderts nach den Kriegsbestimmungen vom Jahre 1756 neutrale Schiffe,
welche zu einem, im Frieden anderen als feindlichen Schiffen verbotenen,
Handel dienten, aufbringen können. Wenn auch der Handel nach
den Kolonien und der Küsten handel während einer Zeit gebräuchlicher-
weise verboten gewesen sei, so sei dieser Handel doch zurzeit für aus-
ländische Schiffe allgemein freigegeben, so daß jene Kriegsbestimmungen
ihre praktische Anwendbarkeit verloren hätten. Nach Ziffer 2 der Pariser
Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 hätten jene Bestimmungen in dem
Sinne eine Einschränkung erfahren, daß dort bestimmt sei, daß die
neutrale Flagge feindliches Gut, ausgenommen Kriegskonterbande,
schütze. Aus diesen beiden Rechtsquellen ergebe sich klar, daß ein
englischer Kreuzerkommandant, wenn er nicht besondere Instruktion
habe, jene Kriegsbestimmungen nicht in Ausführung setzen dürfe. Die
Kriegsbestimmungen aus dem Jahre 1756, welche Schiffen, die Handel
nach Plätzen trieben, die im Frieden für ausländische Schiffe verboten
seien, feindlichen Charakter beilegten, seien eine Gewohnheit, welche
nur bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts in Übung gestanden
habe. Das sei der Grund, weshalb in den seit Mitte des vorigen Jahr-
hunderts bis zur Gegenwart erlassenen preußischen, amerikanischen und
russischen Prisenordnungen jene Bestimmung nicht mehr zu finden sei.
Ob die am Anfang des vorigen Jahrhunderts in Kraft gewesenen Kriegs-
bestimmungen heutzutage vollkommen aufgehoben seien, sei eine Frage,
930
Prisengerichtsentscheidungen: „Montara". Abschnitt VI^
über die man in englischen Juristenkreisen noch im Zweifel sei. In dem
bei dem Obergericht in Hongkong vorgekommenen „Prometheus"-Fall
sei dieser Punkt in Streit gewesen und der Kläger habe behauptet, daß
diese Bestimmungen in Kraft seien; der Beklagte habe dies bestritten.
Der Vorsitzende Richter H. S. Berkeley sei der Entscheidung über
diesen Streitpunkt aus dem Wege gegangen und habe entschieden, daß,
wenn man selbst annehme, daß diese Bestimmungen noch in Kraft seien,
nach den anderen Punkten die Forderung des Klägers abzuwe^'sen sei.
Wenn der Richter aber diese Kriegsbestimmungen als dem Recht ent-
sprechend mit der völkerrechtlichen Praxis in Einklang stehend und als
geltendes englisches Recht habe behandeln wollen, so würde er das Be-
stehen dieses Gesetzes klar haben anerkennen und danach entscheiden
müssen. Wenn er dagegen durch die oben erwähnte Wendung das
Bestehen desselben nicht klar gestellt habe, so könne daraus der Wert
dieser Bestimmungen ermessen werden.
Selbst aber wenn man annehme, es lägen keine Beweise dafür vor,
daß jene Bestimmungen in England völlig aufgehoben seien, so habe
doch ihre Anwendung notwendigerweise, wie Holland ausführe, seitdem
England die Pariser Deklaration gezeichnet habe, eine Beschränkung
erfahren. Denn da sie offenbar mit Artikel 2 der Deklaration kollidierten,
so könnten sie nur im Falle eines Kriegs mit einem Staat, welcher der
Deklaration nicht beigetreten sei, zur Anwendung kommen. Heutzutage
seien diejenigen unter den zivilisierten Staaten, welche der Deklaration;
nicht beigetreten seien, nur einige wenige. Die Vereinigten Staaten
hätten in ihren Verordnungen über den Seekrieg, wie schon angeführt,
die gleichen Bestimmungen getroffen, wie die Pariser Deklaration. Man
könne daher in den Beziehungen zwischen den modernen zivilisierten
Staaten. Bestimmungen oder Gebräuche wie die alten englischen Kriegs-
bestimmungen, tatsächlich nicht ausfindig machen.
Die als der wahre Ausdruck des Völkerrechts zu bezeichnende,
von dem internationalen Völkerrechtskongreß beschlossene Seeprisen-
ordnung sei auch natürlich frei von solchen veralteten Ideen (Art. 23).
Der Ausdruck der neuen japanischen Seeprisenordnung ^) (§ 6,
Ziffer 2): „Schiffe, welche mit einer besonderen Erlaubnis des feind-
lichen Staats fahren" beziehe sich nur auf den Fall, wo das betreffende
Schiff selbst die besondere Vergünstigung und Behandlung seitens der
feindhchen Regierung genieße. Diese abstrakte Bestimmung sei nur
eine Zusammenfassung und Vereinfachung des § 2, Ziffer 2 und Ziffer 3
der alten Prisenordnung, wo es heiße: „Schiffe, welche einen Reisepaß
des feindlichen Staats besitzen" bzw. „Schiffe, welche auf Grund eines
Erlaubnisscheins der feindlichen Regierung fahren". Die alte Be-
stimmung habe offenbar nur Anwendung finden können auf Schiffe,
(59*) 931
Abschnitt VI^ PHsengerichtsentscheidungen : „Montara'^
welche einen Reisepaß des feindlichen Staats besessen hätten oder mit
einem Erlaubnisschein der feindlichen Regierung gereist wären oder eine,
möglicherweise nach Auslegung, noch hervorragendere besondere Ver-
günstigung genossen hätten. Wenn man aber daraus, daß in der neuen
Bestimmung jene abstrakte Wendung gebraucht sei, schließen wolle,
daß sie auch hoch in leichteren Fällen, als die alte Bestimmung vor-
sehe, angewendet werden könne, so heiße das sich dem Strom der
zivilisierten Welt entgegenstemmen, welche in Wissenschaft and Praxis
jahraus jahrein den Schutz des Privateigentums zur See, soweit es mit
dem Kriege, nicht in Beziehung stehe, zu fördern suche. Dies sei aber
selbstredend nicht die Absicht bei Abänderung der alten Bestimmung
gewesen, denn die japanische Regierung strebe danach, Menschlichkeit
und Zivilisation in ihrer reinsten Form darzustellen und zu verwirklichen.
Freilich könne man die Prisenordnungen der verschiedenen Staaten
nicht ohne weiteres als Völkerrecht ansehen (die alten englischen Kriegs-
bestimmungen seien natürlich kein jetzt gültiges Völkerrecht), ihre Quel-
len seien aber die Ideen und die Praxis des Völkerrechts und sie könnten
daher selbst wiederum als eine Quelle des Völkerrechts gelten, so daß
man in ihnen dem Bestehen eines völkerrechtlichen Prinzips nachspüren
könne. Was aber die Begründung des Urteils erster Instanz angehe,
so würde es wohl schwer sein, die Wurzeln ^derselben in ihnen zu finden.
Dies sei der zweite Grund, weshalb der Reklamant sich mit dem
Urteil erster Instanz nicht bescheiden könne.
3. Mit dem Fortschritt der Zivilisation seien die Fälle, in welchen
Privateigentum, welches zu dem Krieg in keiner Beziehung stehe, weg-
genommen werden könne, mehr und mehr eingeschränkt worden. Wenn
aber die letzten Spuren davon noch nicht verschwunden seien, so seien
die Reste nur alte historische Überlieferungen, welche in ihrer Grau-
samkeit von dem Beutewesen des Landkriegs alter Zeit nicht verschieden
seien. Eine solche Plünderung des Eigentums von Privatpersonen sei
eine Schädigung der eigenen Staatsehre. Daß sie aus den Kriegen der
zivilisierten Welt verschwinden werde, sei nur eine Frage der Zeit.
Es sei ein Grundsatz der Auslegungslehre, daß Strafgesetze streng
ausgelegt und daß ihr Anwendungsbereich eng gezogen werde. Da
das Prisenrecht eine Art des Strafrechts und seine Existenz nur schwach
begründet sei, so widerlaufe eine allzuweit greifende Anwendung des-
selben dem Gedanken des Rechts und der Menschlichkeit und es sei
richtig, dasselbe streng auszulegen und seine Anwendung zu beschränken.
Wenn daher das Urteil erster Instanz bei Auslegung des Prisenrechts
vielmehr allzu frei vorgegangen sei und seinen Geltungsbereich er-
weitert habe, so habe es jene Grundlehre der Auslegung nicht beob-
achtet und sich mit den Bestrebungen der fortschreitenden Zivilisation
in Widerspruch gesetzt. Auch sei es zu bedauern, daß die Entscheidung
932
Prisengerichtsentscheidungen: „Montara*^ Abschnitt VI^^
sich nicht eigne, um als modernste Präcedenz für die zivilisierten Mächte
dienen zu können.
Das sei der dritte Grund, aus dem der Reklamant dem Urteil wider-
spreche.
Aus diesen Gründen werde Aufhebung des Urteils erster Instanz
und eine Entscheidung auf Freigabe des zur Verhandlung stehlenden
Dampfers „Montara" und seiner Ladung beantragt.
Die Hauptpunkte der Erwiderung des Staatsanwalts beim Prisen-
gericht zu Yokosuka, Kab.ashi Yoshio, sind folgende:
Seit langer Zeit habe die russische Regierung die Ausübung der
Handelsschiffahrt zwischen den russischen Commandorski-Inseln und
den verschiedenen in der Nähe liegenden Häfen nur der Kamtschatka-
Handels- und Industriegesellschaft und der Ostsibirischen Compagnie,
und zwar ausschließlich mit russischen Fahrzeugen konzessioniert. Als
seit dem japanisch-russischen Krieg Mangel an russischen Schiffen ein-
getreten sei, sei es den beiden Gesellschaften gestattet worden, aus-
ländische Schiffe zu chartern und die ihnen konzessionierte, oben ge-
nannte Handelsschiffahrt mit diesen auszuüben. Auf Grund dieser Er-
laubnis sei das zur Verhandlung stehende Schiff von der Kamtschatka-
Handels- und Industriegesellschaft gechartert worden und es sei in Aus-
übung dieser Tätigkeit beschlagnahmt worden. Diese Tatsachen er-
gäben sich aus der Aussage des Oberkommissars für die Lieferungen an
die genannten Häfen, des Rats im Ministerium des Inneren Grebnitzki.
Das zur Verhandlung stehende Schiff habe also Geschäfte, deren
Ausübung neutralen Schiffahrtsunternehmern, ja sogar russischen Staats-
angehörigen, streng untersagt sei, auf Grund einer besonderen Erlaub-
nis der russischen Regierung ausgeführt. Es sei daher zutreffend, wenn
die erste Instanz angenommen habe, daß das zur Verhandlung stehende
Schiff eine besondere Erlaubnis der russischen Regierung gehabt habe.
Das Völkerrecht verleihe einem kriegführenden Staat das Recht, Schiffe,
welche auf Grund einer besonderen Erlaubnis der feindlichen Regierung
reisten, als feindliche Schiffe einzuziehen. Daß dies Recht auch nach der
Pariser Seerechtsdeklaration vom Jahre 1856 keine Beschränkung er-
leide, gehe aus dem Artikel 19, Ziffer 2 des von dem Vertreter der
Reklamation angeführten Handbuchs des englischen Prisenrechts von
Holland hervor.
Kurz, die Entscheidung der ersten Instanz auf Einziehung des zur
Verhandlung stehenden Schiffs sei zutreffend und die Berufung un-
begründet. Daher sei dieselbe abzuweisen.
Das vorliegende Urteil wird, wie folgt, begründet:
Die russische Regierung hat seit langer Zeit die Handelsschiffahrt
auf den Commandorski-Inseln für ausländische Schiffe nicht gestattet.
Da aber seit dem japanisch-russischen Krieg Mangel an eigenen Schiffen
933
Abschnitt VI« Prisengerichtsentscheldungen : „Montara''.
berichtet wurde, so erteilte die russische Regierung der Kamtschatka-
Handels- und Industriegesellschaft sowie der Ostsibirischen Compagnie
die besondere Erlaubnis, ausländische Schiffe zu chartern und in der
genannten Gegend verkehren zu lassen, um den genannten Gesell-
schaften die Ausführung der von ihnen der Regierung gegenüber über-
nommenen Lieferungen von Bedarfsartikeln zu erleichtern. Das zur
Verhandlung stehende Schiff ist auf Grund dieser besonderen Erlaub-
nis gereist. Das geht hervor aus dem Vernehmungsprotokoll des mit
diesem Fall beauftragten Rats des Prisengerichts zu Yokosuka mit dem
Oberlieferungskommissar für die Bedarfsartikel Grebnitzki.
Das Völkerrecht erkennt in Praxis und Theorie an, daß neutrale
Schiffe, welche so auf Grund einer besonderen Erlaubnis des feindlichen
Staats fahren, feindlichen Charakter erwerben und zusammen mit der
feindlichen Ladung weggenommen werden können. Das Oberprisen-
gericht ist der Ansicht, daß dies den Verhältnissen gerecht wird.
Der Reklamant behauptet, daß Rußland auch vor dem Krieg in
der Küstenprovinz und dem Gebiet von Kamtschatka den Handels-
verkehr von ausländischen Schiffen erlaubt habe und hat zum Be-
weise hierfür Abschriften aus zwei Nummern des Staatsanzeigers und
eines Beiblatts der Monatszeitschrift des Zollamts eingereicht. Aus diesen
Beweisstücken kann indes nicht ersehen werden, daß ausländische Schiffe
in der Gegend der Commandorski-Inseln zur Handelsschiffahrt verwandt
worden sind. Daher ist der Aussage des oben genannten Greb-
nitzki Glauben zu schenken, welche in seinem Vernehmungsprotokoll,
wie folgt, erscheint: Im allgemeinen könnten nur russische Schiffe
gechartert werden, um nach den Commandorski-Inseln zu fahren. Aus
Anlaß des jetzigen Krieges seien jedoch die russischen Schiffe un-
zureichend geworden, so daß der Gesellschaft die Charterung von aus-
ländischen Schiffen gestattet worden sei. Wenn man von besonderer
Vergünstigung reden könne, so sei dies eine besondere Vergünstigung.
Ferner, sagt der Reklamant, wenn man einmal annehme, die Aus-
sage Grebnitzkis, daß die Handelsschiffahrt für ausländische Schiffe
in den bezeichneten Gegenden verboten gewesen sei und daß die Kam-
tschatka-Handels- und Industriegesellschaft für den dortigen Verkehr
ausländische Schiffe nicht hätte chartern können, sei wahr, so sei das
doch nur eine Bedingung der russischen Regierung gegenüber dieser
Gesellschaft. Diese Bedingung sei indessen nach der Kriegseröffnung
aufgehoben und die Charterung ausländischer Schiffe sei möglich ge-
worden. Da jedes ausländische Fahrzeug demnach gechartert werden
könne, so könne man das nicht als besondere Erlaubnis bezeichnen. Die
besondere Erlaubnis erfordere unbedingt, daß ein besonders bestimmtes
Schiff eine besondere Vergünstigung oder Behandlung empfange, und daß
man ein neutrales Schiff aus dem Grunde, daß es einen vom Feinde im
934
Pri86iigerlcht8ent8Cheidungen: „Montara". Abschnitt VI^s
Frieden verbotenen Handel betrieben habe, wegnehme, finde sich in
keiner der Prisenordnungen der modernen Staaten ausgesprochen. Frei-
lich könne man die Prisen Ordnungen der verschiedenen Staaten nicht
ohne weiteres als Völkerrecht ansehen; da sie aber selbst als Quellen
des Völkerrechts dienen könnten, so könne man in ihnen dem Be-
stehen eines völkerrechtlichen Prinzips durch vergleichende Forschung
nachspüren. Die Wurzeln der Begründung des Urteils der ersten In-
stanz seien in ihnen nicht zu finden.
Zu einer besonderen Erlaubnis ist es indes nicht nötig, daß sie
jedem besonderen Schiff einzeln erteilt werde. Eine besondere Erlaubnis
für die Schiffe einer besonders benannten Gesellschaft, eine allgemein
verbotene Fahrt zu machen, ist eine besondere Erlaubnis für die diese
Fahrt unternehmenden Schiffe. Die Handelsschiffahrt nach der Gegend
der Commandorski-Inseln war im allgemeinen, wie oben gesagt, den
ausländischen Schiffen verboten und war nur für die von der Kam-
tschatka-Handels- und Industriegesellschaft und noch einer anderen Firma
gecharterten Schiffe gestattet. Es ist daher außer Zweifel, daß das zur
Verhandlung stehende Schiff, welches von der genannten Gesellschaft
gechartert war, auf Grund der besonderen Erlaubnis der russischen
Regierung gefahren ist.
Wie aber oben schon gesagt, können völkerrechtlich neutrale Schiffe,
welche auf Grund einer besonderen Erlaubnis der feindlichen Regierung
fahren, weil sie feindlichen Charakter haben, weggenommen werden.
Da nun das zur Verhandlung stehende Schiff auf Grund einer besonderen
Erlaubnis der feindlichen Regierung gefahren ist, so kann es nicht
der Wegnahme entgehen, weil in den Prisenordnungen Amerikas,
Preußens und Rußlands nicht bestimmt sei, daß Schiffe, welche zu
einem im Frieden von dem feindlichen Staat untersagten Handelsverkehr
gedient hätten, eingezogen werden könnten.
Aus diesen Gründen ist es zutreffend, wenn das Urteil erster In-
stanz das zur Verhandlung stehende Schiff als ein Schiff mit feind-
lichem Charakter angesehen und auf seine sowie seiner feindlichen
Ladung Wegnahme erkannt hat. Demnach erübrigt es sich, auf die
übrigen Punkte der Berufung noch weiter einzugehen.
Es wird daher, wie folgt, entschieden:
Die Berufung wird abgewiesen.
Im Oberprisengericht am 13. Februar 1906.
(Unterschriften.)
935
Alphabetisch nach den Namen der Schiffe geordnete Über-
sicht über die Prisengerichtsentscheidungen.
Seit«
17. „Aggi", norwegisch 265
6. „Alexander**, nissisch 199
57. „Antiope", englisch 903
46. „Aphrodite", englisch 780
38 „Apollo", englisch 701
4. „Argun", russisch 129
56. „Australia", amerikanisch 881
30. „Bawtry", englisch . 569
13. „Bobrik", russisch 231
32. „Burma", österreichisch-ungarisch 625
33. „M. S. Dollar*', englisch 640
43. „Easby Abbey**, englisch 742
36. „Eastry", englisch .687
1. „Ekaterinoslav", russisch 48
22. „Fuping", deutsch 439
20. „George", französisch 432
49. „Harberton", englisch 80O
51. „Henry Bolckow", norwegisch 827
11. „Hermes", norwegisch 228
18. „Hsi-Ping**, englisch 266
50. „Industrie", deutsch 818
14. „JuHade", russisch 240
25. „King Arthur**, englisch 494
9. „Kotlk**, russisch 219
10. „Lesnik**, russisch 225
27. „Lethington**, englisch 519
52. „Lincluden", englisch 839
55. „Lydia**, deutsch . 859
5. „Manschuria'*, russsich <. 140
15. „Manschuria**, russisch 242
7. „Michael*', russisch 205
58. „Montara**, amerikanisch 920
2. „Mukden**, russisch 67
12. „Nadeschda**, russisch 230
8. „Nikolai**, russisch 212
23. „Nigretia**, englisch . • 454
31. „Oakley**, englisch 612
54. „Orel**, russisch 855
936
Seite
37. „Faros", deutsch 689
19. „Pei-Ping", chinesisch 354
40. „Powderham", englisch 723
53. „Quang-Nam". französisch 841
42. „Romulus", deutsch 739
26. „Roseley", englisch 505
3. „Rossia**, russisch 122
47. „Saxon Prince", englisch 789
28. „Scotsman", englisch 533
41. „Severus", deutsch 736
35. „Slam", österreichisch-ungarisch 668
21. „Si-Shan", englisch 437
39. „Sylviana", englisch 710
48, „Tacoma", amerikanisch 791
16. „Thalia", russisch 246
44. „Vegga", schwedisch 757
45. „Venus", englisch 772
24. „Veteran", deutsch 474
29. „Wilhelmina", holländisch 558
34. „Wyefield", englisch 655
937
E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW.. Kochstr. 68—71.
/
HARVARD LAW LIBRARY
FROM THE LIBRARY
OF
RAMON DE DALMAÜ Y DE OLIVART
MARQUES DE OLIVART
Received Dec'ember 31, 191 1